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Berlin
Der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Erschießung Ian McLeods im Juni 1972

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 25.06.2007

Rote Fahne, Zentralorgan der KPD: Kampf dem staatlichen Terror der SPD_Regierung! Polizeimord in Stuttgart
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In Westberlin vermischen sich Ende Juni, Anfang Juli 1972 die u.a. von der KJO Spartacus und der KPD/ML-ZB geplanten Proteste gegen das 'kleine Notstandspaket' bzw. den 'Bonner Notstandskurs' oder gar den 'Bonner Notstandsstaat' (vgl. 19.6.1972) bzw. den 'Gesetzen zur Inneren Sicherheit', wie sie außerhalb der Linken genannt werden (vgl. 21.6.1972), mit denjenigen gegen die Erschießung von Ian McLeod in Stuttgart am 25. Juni 1972.

Auffällig ist dabei, dass zwar zunächst die KPD/ML-ZB und die KJO Spartacus jeweils allein Veranstaltungen organisieren, die KJO aber die Kluft zwischen Stalinisten und Trotzkisten damals als keinesfalls so tief ansieht, dass keine Aktionseinheit erreicht werden könne (vgl. 27.6.1972). Auch mit anderen linken Gruppen, wie der KPD, die sofort auf die Erschießung von McLeod antworten und umgehend noch in der Wochenmitte demonstrieren wollen (vgl. 28.6.1972, scheint es lediglich taktische Differenzen zu geben, aber kaum inhaltlich entscheidende. Trotzdem kann für die Demonstration am Sonnabend keine umfassende Aktionseinheit gebildet werden, da wichtige Gruppen der Westberliner Linken wie KPD und KPD/ML-ZK fernblieben (vgl. 1.7.1972). Immerhin aber schlossen sich Spartacisten und KPD/ML-ZB sowie einige weitere kleinere Gruppen zusammen.


Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

19.06.1972:  In Berlin führt die KJO Spartacus in dieser Woche eine Veranstaltung zum 'kleinen Notstandspaket' durch.
=KJO Spartacus-Ortsleitung Westberlin:ohne Titel,Berlin o.J. 27.6.1972

19.06.1972:  In Berlin will die KPD/ML-ZB in ihrer heute beginnenden Kampfwoche gegen den Notstandskurs eine Demonstration durchführen (vgl. 1.7.1972).
=Rote Fahne Extrablatt,Bochum Juni 1972

19.06.1972:  Heute wird in Berlin das folgende 'Extrablatt' der KPD/ML-ZB verteilt:"
KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSSTAAT!

Den wachsenden Kämpfen der Arbeiterklasse, der wachsenden Stärke der Marxisten-Leninisten, die sich in den wichtigsten Großbetrieben an die Spitze der Kämpfe gestellt haben, der breiten demokratischen Bewegung unter den Werktätigen, in der Bundeswehr und an den Hochschulen versucht die westdeutsche Monopolbourgeoisie und ihre SPD-Regierung einen verschärften Notstandskurs entgegenzusetzen.

Bei den Betriebsratswahlen (BRW,d.Vf.), der wichtigsten Klassenschlacht der vergangenen Monate, stand in den Großbetrieben Westdeutschlands und Westberlins schon die entscheidende Frage auf der Tagesordnung: Sozialdemokratie oder Kommunismus? - Mit aktiver Unterstützung der Betriebsgruppen der KPD/ML und des KJVD wurden oppositionelle und kommunistische Arbeiter als klassenkämpferische Betriebsräte bei Opel-Bochum, Ford-Köln und Daimler-Benz-Untertürkheim (in Stuttgart, alle: IGM-Bereich,d.Vf.) durchgesetzt!

Die Antwort der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie ist deutlich:

Hetze gegen die Marxisten-Leninisten, in die eifrig die Führer der D'K'P (DKP,d.Vf.) und SEW einfallen, Berufsverbot (BV,d.Vf.) für Kommunisten im Öffentlichen Dienst (ÖD,d.Vf.), Aufrüstung der Polizei, Zentralisierung des Staatsapparates, in Westberlin Neubauers Plan zur Umstrukturierung der Polizei nach dem Himmlerschen Blockwartsystem (KOB,d.Vf.), politische Entlassungen bei AEG und SIEMENS (beide IGM-Bereich,d.Vf.), 33 Gewerkschaftsausschlußverfahren (UVB,d.Vf.) allein in Westberlin.

Die Anarchistenjagd der letzten Wochen gibt dem Bonner Staat willkommene Vorwände, noch vor der parlamentarischen Sommerpause vier neue Durchführungsgesetze zur Notstandsgesetzgebung (NSG,d.Vf.) durchzupeitschen!

Das Zentralbüro der KPD/ML und die Provisorische Bundesleitung (PBL,d.Vf.) des KJVD haben am 12.Juni 1972 folgenden Aufruf herausgegeben und an alle marxistisch-leninistischen und demokratischen deutschen und ausländischen Organisationen verschickt".

Es folgt der zentrale Aufruf (vgl. 2.6.1972) und das Flugblatt endet:"
Das Landessekretariat Westberlin der KPD/ML und das Landesaufbaukomitee des KJVD ruft alle marxistisch-leninistischen, alle demokratischen deutschen und ausländischen Organisationen und Kräfte auf:

Führt mit uns gemeinsam den entschlossenen Kampf gegen den Bonner Notstandskurs und seine Durchsetzung durch den SPD-Senat!

Führt mit uns gemeinsam eine Demonstration gegen die neuen Notstandsmaßnahmen durch!"
=KPD/ML-ZB:Extrablatt der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten,Berlin 19.6.1972,S.1ff;
Rote Fahne Extrablatt,Bochum Juni 1972


21.06.1972:  Die KPD/ML-ZB Berlin berichtet heute in einem 'Extrablatt' über die Gesetze zur 'Inneren Sicherheit' (vgl. 22.6.1972):"
KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSKURS!

DAS BUNDESGRENZSCHUTZGESETZ - EINSATZ EINER BÜRGERKRIEGSTRUPPE

Folgende neue Durchführungsgesetze zur Notstandsgesetzgebung (NSG,d.Vf.) sollen noch vor der parlamentarischen Sommerpause in einhelliger Aktion von Strauß, Barzel, Genscher und Brandt durchgepeitscht werden: das Bundesgrenzschutzgesetz, das Verfassungsschutzgesetz (VS,d.Vf.), die Vorbeugehaft, das Waffengesetz und das Gesetz zur 'Erhaltung des Olympischen Friedens', das ein Demonstrationsverbot in bestimmten Bannmeilen um die Olympischen Spiele vorsieht.

Willkommener Vorwand für diese Gesetze zur 'inneren Sicherheit' waren die Jagd auf die Baader-Meinhof-Gruppe (RAF,d.VF.) und die Serie von Bombenanschlägen Ende Mai.

Was ist der Inhalt der Notstandsgesetzgebung, die 1968 (vgl. 30.5.1968,d.Vf.) von der Kiesinger-Strauß-Brandt-Regierung gegen den Widerstand einer breiten demokratischen Bewegung und gegen umfangreiche spontane Proteststreiks durchgesetzt wurde?

Streik und Versammlungsverbot

Zwangsarbeit

Mobilmachungsübungen und -vorbereitungen

Telefon- und Postschnüffelei

Einsatz des Bundesgrenzschutzes in Katastrophenfällen und bei einer Bedrohung der 'freiheitlich demokratischen Grundordnung' (FdGO,d.Vf.)

Jetzt, mit dem neuen Bundesgrenzschutzgesetz, wird der Bonner Notstandskurs weiter verschärft: Schon in 'Friedenszeiten', nicht erst im besonderen Fall einer Naturkatastrophe oder Bedrohung der Flick- und Thyssen-Demokratie, kann der Bundesgrenzschutz als legale Bürgerkriegstruppe eingesetzt werden.

In Zukunft soll es genügen, daß durch einfache Anforderung der Länderpolizeibehörden der Bundesgrenzschutz eingesetzt werden kann, wenn die Länderpolizeibehörden durch 'Spitzenbelastungen überfordert' sind.

Der CDU-Abgeordnete Hanz bezeichnete gerade diesen Punkt, den möglichen Einsatz des Bundesgrenzschutzes als zentraler Sicherheitspolizei, offen als wichtigsten Punkt des neuen Notstandsgesetzes.

- Bei größeren Demonstrationen, wie z.B. bei den Roten-Punkt-Aktionen (ARP gegen Fahrpreiserhöhungen,d.Vf.) wie in Dortmund (vgl. 1.3.1971,d.Vf.) und Hannover, an denen sich besonders auch die Arbeiterjugend beteiligte, bei größeren Streiks, wie sie 1971 in der Chemie- und Metalltarifrunde (CTR der CPK bzw. MTR der IGM,d.Vf.) stattfanden und wie sie heute im Ruhrbergbau (BETR der IGBE,d.Vf.) wieder auf der Tagesordnung stehen, kann der Bundesgrenzschutz als Bürgerkriegstruppe angefordert werden. Jede Möglichkeit soll dabei offengehalten werden: Die Länderpolizeibehörden müssen nur erklären, daß ihre eigenen Kräfte nicht ausreichen.

- In den Paragraphen 10 - 12 des Gesetzes wird dann geregelt, daß der BGS umfangreiche polizeiliche Vollmacht erhält, die an die Aufgaben einer Sicherheitspolizei heranreichen: Er hat das Recht auf Anhalten von Personen, erkennungsdienstliche Behandlung (ED,d.Vf.), Gewahrsam, Obhut, Durchsuchung von Personen, Wohnungen und Sachen, Sicherstellung und Beschlagnahmung sowie Einzug von Sachen. Durch diese Befugnisse kann der BGS wie eine Sicherheitspolizei operieren, ungehindert von der Notwendigkeit, richterliche Maßnahmen bemühen zu müssen. Die Bedeutung dieser Befugnisse wird vor allem deutlich, wenn man sieht, daß er schon 1970 18 000 Personen festgenommen hat, also schon bisher als Polizeireserve eingesetzt wurde.

- Nach dem BGS-Gesetz, dieser neuen Notstandsmaßnahme, ist außerdem die Zwangsrekrutierung von Jugendlichen möglich. Bisher bestand der BGS aus einer Kerntruppe von berufsmäßigen Soldaten und Wehrpflichtigen, die sich freiwillig zum Bundesgrenzschutz meldeten.

- Weiter kann der BGS nach dem neuen Gesetz nach Paragraph 50 jederzeit für Notstandsaufgaben Reservisten einberufen:

Der Reservist muß bis zum 45.Lebensahr an Übungen teilnehmen.

Im Verteidigungsfall kann sich die Dienstzeit bis zum 60.Lebensjahr ausdehnen.

Die Bundesregierung kann in Zukunft Bundesgrenzschutzübungen ohne jede zeitliche Begrenzung anordnen! Auf dem Umweg über die Einberufung von 'Übungen' kann so die Bundesregierung in jeder von ihr für richtig gehaltenen Situation nicht nur über den Bundesgrenzschutz verfügen, sondern auch noch über seine Reservetruppen.

Das Bundesgrenzschutzgesetz ist also deutlich ein Ausführungsgesetz zu den Notstandsgesetzen. Diese werden sogar noch erweitert und eine umfangreiche Eingreifreserve für die Bundesregierung wird geschaffen. Diese Bürgerkriegstruppe kann in allen möglichen Fällen eingesetzt werden, in denen die Demokratie der Schlotbarone und Junker durch Demonstrationen, Streiks, durch jede beliebige demokratische Bewegung gegen Ausplünderung, Unterdrückung und Kriegskurs bedroht wird.

Deshalb fordern KPD/ML und KJVD alle Marxisten-Leninisten und jeden ehrlichen Demokraten auf, mit uns gemeinsam den Kampf gegen diese neue Notstandsmaßnahem aufzunehmen unter der Losung:

WEG MIT DEM BUNDESGRENZSCHUTZGESETZ, DEM NEUEN BÜRGERKRIEGSTRUPPENGESETZ!

KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSKURS!"

Eingeladen wird zur morgigen Veranstaltung.
=KPD/ML-ZB:Extrablatt der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten,Berlin 21.6.1972

22.06.1972:  Nach eigenen Angaben der KPD/ML-ZB "riefen in Westberlin die Landesverbände der KPD/ML und ihres Jugendverbandes, KJVD, zu einer Kampfveranstaltung gegen den Bonner Notstandskurs auf", u.a. durch ein gestriges Flugblatt (vgl. 21.6.1972), wo der Hörsaal 104 im Hauptgebäude der TU um 19 Uhr als Ort angegeben wurde.

Ca. 400 Menschen nehmen daran am Abend in der Technischen Universität (TU) teil, u.a. auch die KPD/ML-ZK und die KPD.
=Rote Fahne Nr.13,Bochum 28.6.1972,Beilage;
KPD/ML-ZB:Extrablatt der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten,Berlin 21.6.1972,S.2


27.06.1972:  In Westberlin teilt die Ortsleitung der KJO Spartacus mit, daß, nachdem man selbst vorige Woche eine Veranstaltung zum 'kleinen Notstandspaket' durchgeführt habe, nun die KPD/ML-ZB am 1.7.1972 dagegen eine Demonstration ab Gesundbrunnen durchführen wolle.

Eventuell könne dazu eine Aktionseinheit zwischen KJO Spartacus und KPD/ML-ZB erreicht werden.

Auf dem Treffen, auf dem die Ortsleitung dieses Wissen erhielt, trat die KPD für eine Demonstration am 28.6.1972 und die Beachtung von McLeod ein, worauf, laut KJO Spartacus, die KPD, die Spontis und der KB das Treffen verlassen hätten.
=KJO Spartacus-Ortsleitung Westberlin:ohne Titel,Berlin o.J. 27.6.1972

28.06.1972:  In Westberlin informiert die Ortsleitung der KJO Spartacus ihre Mitglieder darüber, daß heute eine Demonstration gegen das 'kleine Notstandspaket' und die Erschiessung McLeods in Stuttgart am 25.6.1972 stattgefunden habe, an der u.a. KPD, KB und Spontis teilnahmen. Wegen Regen habe es aber nur 400 Teilnehmer gegeben.

Die KPD/ML-ZB habe inzwischen doch eine Aktionseinheit für die Demonstration am 1.7.1972 abgelehnt, die Demonstration solle aber trotzdem gemeinsam, nur mit KJO und ZB, durchgeführt werden.

Die KPD (vgl. 5.7.1972) berichtet:"
Am Mittwoch, dem 28.6.1972, fand unter Führung der KPD eine Demonstration gegen den staatlichen Terror der SPD-Regierung statt. Mehr als 800 Menschen zogen vom Bahnhof Gesundbrunnen zum Leopoldplatz im Wedding und protestierten gegen die hinterhältige Ermordung des englischen (britischen,d.Vf.) Bürgers MacLeod durch die Stuttgarter Polizei. Auf der abschließenden Kundgebung stellte der Redner der KPD dar, daß diese Ermordung ein Höhepunkt in einer Reihe von staatlichen Terrormaßnahmen der SPD-Regierung ist, deren gesetzliche Absicherung durch die Genscher-Gesetze in der vorletzten Woche (vgl. 22.6.1972,d.Vf.) vollzogen worden ist."
=KJO Spartacus-Ortsleitung Westberlin:ohne Titel,Berlin o.J. 28.6.1972;
Rote Fahne Nr.50,Dortmund 5.7.1972,S.5


28.06.1972:  Die KPD/ML-ZB berichtet heute in einem 'Extrablatt' von der Erschießung Mc Leods in Stuttgart (vgl. 25.6.1972) und ruft auf:"
EINE KAMPFFRONT GEGEN NOTSTANDSTERROR!
NIEDER MIT DEN SPALTERN!

Freunde, Genossen!

Ein unbewaffneter Mensch wird durch drei Schüsse aus einer Maschinenpistole in den Rücken getötet. Der Mörder: Ein Polizist.

Durch die sofort verhängte Nachrichtensperre soll verhindert werden, was im Falle der Ermordung von Petra Schelm (vgl. Hamburg - 15.7.1971,d.Vf.), Thomas Weißbecker (vgl. Augsburg - 2.3.1972,d.Vf.) und Georg von Rauch (vgl. Berlin - 4.12.1971,d.Vf.) geschah:

Die Entlarvung der 'Staatsschützer' als Mörder vom Dienst.

Dieser neue Terrorakt und die damit verbundenen Maßnahmen sind ein Glied in der Kette der Ereignisse der letzten Wochen:

Nahezu einstimmig verabschiedeten SPD-Regierung und die anderen bürgerlichen Parteien vier Gesetze zur angeblichen 'inneren Sicherheit' (vgl. 22.6.1972,d.Vf.), das Bundesgrenzschutzgesetz, das Vorbeugehaftgesetz, das Bundesverfassungsschutzänderungsgesetz und das Waffengsetz. Ausgerichtet sind diese Gesetze auf ein einziges Ziel: Die Niederwerfung der Kämpfe der der Massen, insbesondere der Arbeiterklasse, der Ausbau und die Zentralisierung der bewaffneten Machtorgane der Imperialisten zu Bürgerkriegstruppen, die Bespitzelung und Unterdrückung von ausländischen und deutschen fortschrittlichen Organisationen und die Vorbereitung des Verbots der Marxisten-Leninisten.

Praktisch zeigt sich das so: Schon heute sollen die Kollegen sich daran gewöhnen, unrechtmäßiges und brutales Vorgehen der Polizei zu dulden: So werden die Kollegen des Springerhauses in Hamburg (DP-Bereich,d.Vf.) morgens von maschinenpistolenbewaffneten Bullen kontrolliert.

So wird bei AEG ein Kollege in Handschellen aus dem Betrieb gezerrt, der angeblich gestohlen haben soll. So werden Hausdurchsuchungen gemacht, Hauswarte nach 'verdächtigen' Personen befragt, Wohnungstürne eingeschlagen, ohne daß eine stichhaltige Begründung vorliegt, Flugblattverteiler werden verhaftet und brutal mißhandelt. Aber das ist nur die eine Seite.

Dieser verschärfte Terror, die Verabschiedung der neuen Notstandsgesetze sind Maßnahmen der Konterrevolution. Das bedeutet: Sie sind die Antwort des Bonner Staates auf die anwachsenden Kämpfe der Massen.

Seit 20 Jahren wurde nicht so viel gestreikt wie in den vergangenen zwei Jahren.

In den Betriebsratswahlen (BRW,d.Vf.) mußten die Regierungsknechte überall Stimmeneinbußen hinnehmen, in einigen Fällen gelang es, kommunistische und fortschrittliche Kollegen in den Betriebsrat zu wählen. Als Antwort der Kämpfe der Kollegen: Politische Entlassungen, Gewerkschaftsausschlußterror (UVB,d.Vf.). Hier hat sich in den Betrieben eine Kampffront gebildet, die ständig wächst:

Aber auch an anderen Kampfabschnitten hat der Kampf begonnen: Gegen das Berufsverbot gegen die reaktionären Ausländergesetze, gegen die Unterdrückung fortschrittlicher Rechtsanwälte.

In dieser Situation hat die KPD/ML aufgerufen, eine breite Kampffront herzustellen. Sie hat alle Anstrengungen unternommen, für eine Kampfdemonstration ein breites Bündnis aller kommunistischen, demokratischen und fortschrittlichen Organisationen herzustellen.

Kollegen, Freunde, Genossen!

Die Kapitalistenklasse hat verschiedene bürgerliche Parteien. Aber sie hat auch ein einheitliches, starkes Instrument, den Staatsapparat! Und diesem imperialistischen Staatsapparat können wir entgegentreten mit einer einheitlichen, geschlossenen Arbeiterklasse. Gegenwärtig gelingt der Sozialdemokratie und den revisionisten noch, den kampf der Arbeiterklasse zu spalten. Die marxistisch-leninistische Bewegung ist zersplittert. Es ist deshalb die Aufgabe der Kommunisten, den Weg zur Einheit der Maxisten-Leninisten zu gehen, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Kampf der Arbeiterklasse zusammenzuschließen unter der Führung einer starken, einheitlichen Kommunistischen Partei. Das ist es, was die Massen von uns fordern!

Der Weg zur Einheit kann nur sein: Im Kampf um die täglichen Interessen der Arbeiter, im Kampf gegen den Staatsapparat Schritt für Schritt die gemeinsamen Standpunkte festigen, die Differenzen klären. Nur eine Kommunistische Partei, die ein einheitliches Programm hat, die im Kampf gegen falsche Ansichten gestählt ist, die eine Einheit des Willens und Handelns ist, kann die Kapitalistenklasse besiegen und die wahre Demokratie der Massen, die Diktatur des Proletariats erkämpfen.

Wer, wie die KPD/AO von vornherein die Möglichkeit und die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes leugnet, der schwächt den Kampf der Massen, der unterstützt die Bourgeoisie! Die Führer der KPD/AO haben in den vorangegangenen Bündnisverhandlungen anläßlich einer gemeinsamen Demonstration gegen die Notstandsgesetze mit allen Mitteln diese Einheit gespalten. Sie haben mit der Lüge, Verhandlungen seien auf zentraler Ebene gescheitert, angefangen. Diese Lüge mußten sie zugeben: In Wahrheit haben ihre Führer auf zentraler Ebene bis heute nicht einmal auf die Bündnisangebote der KPD/ML geantwortet! Weiter behaupten die KPD/AO-Führer, die KPD/ML trage Illusionen unter die Massen, man könne die Notstandsgesetze verhindern oder rückgängig machen. In wahrheit lag der KPD/AO eine Plattform zur Aktionseinheit vor, in der es heißt:

'Im Gemeinsamen Kampf müssen alle Illusionen zurückgewiesen werden, die glauben machen wollen, der Notstandskurs sei etwa durch Appelle an die Bonner Parteien rückgängig zu machen oder zu verhindern... Deshalb heißt Kampf gegen Notstandskurs: MASSENKAMPF GEGEN DIE DURCHFÜHRUNG DER NOTSTANDSMASSNAHMEN!'

Wer dann noch behauptet, die KPD/ML 'schüre Illusionen über den Charakter des bürgerlichen Parlaments', der belügt die Massen, der verhindert die Einheit im Kampf zugunsten einer kleinbürgerlichen Machtpolitik!

Täuschung und Betrug statt Kampf um Klarheit und Einheit im Kampf - das sind die Methoden der Führer der KPD/AO.

Wir rufen alle Kommunisten, alle fortschrittlichen und antiimperialistischen Menschen und ihre Organisationen auf:

KOMMT ALLE MASSENHAFT ZUR KAMPFDEMONSTRATION AM SONNABEND, 1.JULI 14 UHR AB GESUNDBRUNNEN!

KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSKURS!"
=KPD/ML-ZB:Extrablatt der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten,Berlin 28.6.1972

01.07.1972:  In Berlin beteiligen sich, nach einem Bericht der KPD/ML-ZB, etwa 600 Personen an einer Demonstration gegen den Notstandskurs, zu der sie selbst, die Organisation Griechischer Marxisten-Leninisten (OGML), die PEF, das Sozialistische Gabbe Kollektiv, die Sympathisantengruppe des KB (SdKB) und ein (wohl nur der KPD/ML-ZB bekannter,d.Vf.) Kommunistischer Studenten Bund (KSB), bei dem es sich tatsächlich um die Kommunistische Studentengruppe (KSG bzw. KSG/ML) des KAB/ML handelt, aufgerufen hatten. KPD/ML-ZK und KPD hätten trotz eines Bündnisangebotes die Teilnahme abgelehnt:"
Die Vertreter der Gruppe Roter Morgen erklärten, sie könnten sich an dieser Demonstration nicht beteiligen, weil sie gerade eine Kampagne unter der Parole 'Es lebe der Kommunismus' machten. Noch schlimmer trieb es die KPD/AO: Nachdem in den Bündnisverhandlugen alle falschen Argumente der KPD/AO von den Delegierten der KPD/ML entkräftet waren, spalteten sie ganz offen die Kampffront. Sie riefen zu einer eigenen Demonstration gegen den 'staatlichen Terror der SPD-Regierung' zwei Tage vor der angekündigten Einheitsfrontdemonstration auf. Sie begründeten das mit dem 'aktuellen Anlaß' der durch die Erschießung des Schotten McLeod in Stuttgart gegeben sei."

Obwohl die KPD und die KPD/ML-ZK sich nicht beteiligten ist es der KPD/ML-ZB gelungen während der Demonstration 87 Exemplare ihrer 'Roten Fahne' zu verkaufen.

Nach Ansicht der KJO Spartacus wurde zu der Demonstration gegen das 'kleine Notstandspaket' nur von ihr selbst und der KPD/ML-ZB aufgerufen.

Uns lag allerdings das folgende Flugblatt von zwei Seiten DIN A4 unter Verantwortung von H. Kwiatkowski (ansonsten für die KPD/ML-ZB) zeichnend vor:"
AUFRUF ZUR DEMONSTRATION
KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSKURS

Am 25.Juni um 6 Uhr 30 erschoß die Kriminalpolizei den unbekleideten, unbewaffneten Schotten Ian Mc Leod in seiner Wohnung von hinten. Mc Leod wurde verdächtigt, Kontaktmann von Baader-Meinhof (RAF,d.Vf.) gewesen zu sein. Eine Nachrichtensperre soll verhindern, daß die Umstände der Ermordung bekannt werden.

Nachrichtensperre, das ist das neueste Mittel, zu dem Polizei, Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit der SPD-Regierung und allen Bonner Parteien greifen, um zu verhindern, daß amtliche Lügen durch widersprüchliche Äußerungen aufgedeckt werden, wie anläßlich der Ermordung von Petra Schelm (vgl. Hamburg - 15.7.1971,d.Vf.), Georg von Rauch (vgl. Berlin - 4.12.1971,d.Vf.), Thomas Weißbecker (vgl. Ausgburg - 2.3.1972,d.Vf.). Das ganze erfolgt im Rahmen der Baader-Meinhof-Jagd. Sie wird zur Zeit zum Vorwand genommen für umfangreiche Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Verhaftungen von Demokraten, Sozialisten und vor allem Kommunisten. Die Baader-Meinhof-Jagd ist es auch, die der Bonner Bundestag auf Initiative der SPD-Regierung zum Vorwand genommen hat, um in der vergangenen Woche (vgl. 22.6.1972,d.VF.) fünf Gesetze zur 'inneren Sicherheit' fast einstimmig durchzupeitschen:
- DAS BUNDESGRENZSCHUTZGESETZ, das den BGS zur legalen Bürgerkriegstruppe gegen Streiks und Demonstrationen macht;
- Das BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZÄNDERUNGSGESETZ (VS,d.VF.), das die längst praktizierte umfassende Bespitzelung von fortschrittlichen und kommunistischen, deutschen und ausländischen Arbeitern, Werktätigen und Studenten legalisiert, das die beschleunigte Auslieferung von fortschrittlichen und kommunistischen Ausländern an ihre faschistischen Henker legalisiert, das ihre Organisationen mit Verbot bedroht;
- das VORBEUGEHAFTGESETZ, das eine Neuauflage des Schutzhaftegsetzes der Nazis bedeutet;
- Das WAFFENGESETZ, das das Waffenmonopol des Staates und die Waffenvergabe an 'zuverlässige' Bürger verstärkt;
- Das DEMONSTRATIONSVERBOT zu den olympischen Spielen, das einen Präzedenzfall für andere Gelegenheiten schaffen soll.

Diese von der SPD-Regierung im Auftrag der Monopolherren ausgearbeiteten Notstandsmaßnahmen sind neuerlicher Ausdruck des reaktionären Charakters des Bonner Staates und aller seiner Parteien. Sie sind die Antwort des Staates der Monopoel auf die wachsenden Kämpfe der Arbeiterklasse.

Sie stehen in einer Reihe mit Maßnahmen in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, die nur als Notstandskurs bezeichnet werden können.

Darunter fallen in WESTBERLIN:
- Der - nach dem neuen Betriebsverfassungsgesetz (BVG,d.Vf.) – beschleunigte Ausbau der Sklavendisziplin in den Betrieben, der Ausbau von betrieblichen Spitzelnetzen, die politischen Entlassungen von fortschrittlichen und kommunistischen Arbeitern;
- Der beschleunigte Abbau der Reste innergewerkschaftlicher Demokratie, sowie neuerdings der Gewerkschaftsausschlußterror (UVB,d.Vf.) gegen Demokraten und Kommunisten;
- Das Berufsverbot (BV,d.Vf.) für fortschrittliche und kommunistische Arbeiter und Werktätige im öffentlichen Dienst (ÖD,d.Vf.);
- Die Streifenpolizei nach dem Vorbild des faschistischen Blockwartssystems so umzustrukturieren (KOB,d.Vf.), daß jeder einzelne Bewohner einer Straße ständig genausestens überwacht wird;
- Die verschärfte Anwendung und der Ausbau der reaktionären Ausländergesetzgebung;
- Das Verbot der Raumvergabe in öffentlichen Gebäuden an kommunistische Organisationen, neuerdings (vgl. S2.*.1972,d.Vf.) von Neubauer speziell gegen die KPD/ML und die KPD erlassen.

Dieser Notstandskurs richtet sich vor allem gegen die Arbeiterklasse, sowie ihre kommunistischen Organisationen, aber auch gegen die breiten Massen der Werktätigen sowie gegen die fortschrittliche Intelligenz. Dieser Kurs bildet eine reale Gefahr. Der Kampf dagegen muß deshalb entschlossen von uns aufgenommen und geführt werden. Im gemeinsamen Kampf müssen alle Illusionen zurückgewiesen werden, die glauben machen wollen, der Notstandskurs sei etwa durch Appelle an die Bonner Parteien rückgängig zu machen oder zu verhindern. Der Bonner Staat ist der Staat der westdeutschen Monopolherren. Die Bonner Parteien sind die Parteien des Monopolkapitals.

Deshalb heißt Kampf gegen den Notstandskurs: Massenkampf gegen die Durchführung der Notstandsmaßnahmen. Dieser Kampf ist bereits aufgenommen worden von entschlossenen Kollegen gegen den Gewerkschaftsausschlußterror, er ist aufgenommen worden von Teilen der fortschrittlichen Intelligenz gegen das Berufsverbot, er ist aufgenommen worden von mehreren ausländischen Organisationen gegen die Verschärfung der reaktionären Ausländergesetze. Die verschiedenen Teilkämpfe müssen zusammengefaßt werden. Deshalb rufen wir alle fortschrittlichen, alle antiimperialistischen und kommunistischen Kräfte in Westberlin auf, unter den folgenden Losungen und Parolen am kommenden Samstag
den 1.Juli mit uns zu demonstrieren:

KAMPF DEM BONNER NOTSTANDSKURS!
- WEG MIT DEM BUNDESGRENZSCHUTZGESETZ - DEM NEUEN BÜRGERKRIEGSTRUPPENGESETZ!
- AUFLÖSUNG DER FREIWILLIGEN POLIZEIRESERVE (FPR,d.Vf.) – DER BÜRGERKRIEGSTRUPPE FÜR WESTBERLIN!
- WEG MIT DER GEPLANTEN UMSTRUKTURIERUNG DER NEUBAUERPOLIZEI - WEG MIT DEM GEPLANTEN FASCHISTISCHEN BLOCKWARTSYSTEM!
- KEINE MARK FÜR DIE AUFRÜSTUNG DER WESTBERLINER POLIZEI!
- WEG MIT DER WIEDEREINFÜHRUNG DER VORBEUGEHAFT!
- WEG MIT DEM BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZÄNDERUNGSGESETZ - DEM NEUEN SPITZELGESETZ!
- WEG MIT DER REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZGEBUNG - DEUTSCHE ARBEITER, AUSLÄNDISCHE ARBEITER - EINE KAMPFFRONT!
- WEG MIT DEM DEMONSTRATIONSVERBOT!
- WEG MIT DEM KPD-VERBOT!
- FREIHEIT FÜR DIE MARXISTEN-LENINISTEN UND IHRE PRESSE!
- SCHLUSS MIT POLITISCHEN ENTLASSUNGEN UND GEWERKSCHAFTSAUSSCHLÜSSEN!
- FÜR FREIE BETÄTIGUNG FORTSCHRITTLICHER UND KOMMUNISTISCHER KOLLEGEN IN BETRIEB UND GEWERKSCHAFT!

Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML)
Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD)
Organisation Griechischer Marxisten-Leninisten
Patriotische Einheitsfront der Türkei
Kommunistische Studentengruppe (KSG)
Sympathisantengruppe des Kommunistischen Bundes (KB)
Sozialistisches Gabbe-Kollektiv

DEMONSTRATION: SAMSTAG, 1.7. 14 UHR U-BAHNHOF GESUNDBRUNNEN"

Aufgerufen wurde auch durch ein Flugblatt der KPD/ML-ZB (vgl. 28.6.1972).
=Rote Fahne Nr.14,Bochum 10.7.1972;
KJO Spartacus-Ortsleitung Westberlin:ohne Titel,Berlin 28.6.1972;
KPD/ML-ZB, KJVD, OGML, PEF, KSG, SGdKB, SGK:Aufruf zur Demonstration Kampf dem Bonner Notstandskurs,Berlin o.J. (Juni 1972);
KPD/ML-ZB:Extrablatt der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten,Berlin 28.6.1972,S.2


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