Arbeiter-Zeitung - Zentrales Organ der Kommunistischen Gruppe (NRF) Mannheim/Heidelberg, Jg. 2, Nr. 4, Apr. 1973

05.04.1973:
Die Nr. 4 der 'Arbeiter-Zeitung' der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg (vgl. 23.3.1973, 10.4.1973) für April erscheint vermutlich heute. Verantwortlich zeichnet Dieter Reichert. U.a. enthält sie den 1.Mai-Aufruf und "Thesen zur Aktionseinheitspolitik" (vgl. 31.3.1973).

Berichtet wird u.a. von der Stuttgarter Berufsverbote-Demonstration (vgl. 14.4.1973), verschiedenen Berufsverboten, dem eigenen 'Kommentar für die Kollegen im Ö.D.' (vgl. 2.4.1973), der Mannesbetriebszeitung 'Die Lanze' der ML Duisburg (vgl. März 1973), dem Streik bei Hoesch Dortmund (vgl. 8.2.1973), dem eigenen 'Kommentar für die Kollegen der Druckindustrie', der sich mit den Gewerkschaftsausschlüssen gegen Hans Zintl (DruPa München), Thomas Klingeberg (IGM Göttingen) und Hießberger (DruPa OV und JG Passau) befaßt, von der Gründung der KP Schwedens, den eigenen Differenzen mit dem KB Bremen zur Frage der RGO, verschiedenen politischen Entlassungen (8 bei Hoesch Dortmund, 42 bei Mannesmann Duisburg-Huckingen, je eine bei Raimann Freiburg, Krupp Atlas-Elektronik Bremen, Nordmende Bremen und Siemens Bremen, Schünemann Bremen sowie von Rainer Wischnewski bei Opel Bochum), vom Frankfurter Häuserkampf (vgl. 28.3.1973, 31.3.1973) und dem Wieslocher Schulkampf (vgl. 16.3.1973) berichtet.

Eingegangen wird auch auf die Warnstreiks der Drucker in den letzten Tagen bei der Mannheimer Morgen Großdruckerei, der Heidelberger Verlagsanstalt, bei Klambt Speyer und in Heilbronn. Arbeiterkorrespondenzen kommen von Daimler Mannheim und International Harvester (IHC) Heidelberg.

Im Maiaufruf heißt es:"
DIE LAGE DER LOHNABHÄNGIGEN VERSCHLECHTERT SICH VON TAG ZU TAG

DER ENTSCHIEDENE KAMPF DER ARBEITERKLASSE UND DES WERKTÄTIGEN VOLKES GEGEN DIE VERSCHLECHTERUNG DER LEBENSLAGE IST NOTWENDIG

Jeder hat noch die Sprüche im Ohr: Die 'soziale Marktwirtschaft sichert allen Wohlstand', die kapitalistische Produktionsweise schafft auch für die Arbeiter 'die beste aller Welten'. Und auch hierbei versuchen sich CDU/CSU und SPD/FDP gegenseitig zu übertrumpfen in ihren Lobpreisungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Tatsache aber ist, daß es in dieser Gesellschaftsordnung keine dauerhafte Besserung der Lage der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen geben kann.

Auch die bloße Verteidigung der gegenwärtigen Lebenslage wird nur im scharfen Kampf gegen die zunehmende Ausbeutung durch die Kapitalisten und gegen verstärkte Ausplünderung durch den Staat der Kapitalisten erreicht werden können. Wie sehen die Tatsachen aus: 26% aller Erwerbstätigen (dabei werden die Kapitalisten, die Manager, Ministerialbeamten, Regierungschefs, die hohen Gewerkschaftsfunktionäre, die Professoren und andere Parasiten mitgerechnet) verdienen nach wie vor unter 600, - DM Netto. Weitere 22% aller Erwerbstätigen verdienen unter 800, -DM netto. 31% aller Erwerbstätigen verdienen zwischen 800 und 1. 200 DM Netto. Für die Arbeiter, Angestellten und Beamten errechnen die bürgerlichen Statistiker ein durchschnittliches Netto-Einkommen von 1040, -DM. Dieses scheinbar hohe Durchschnittseinkommen kommt aber nur dadurch zustande, daß auch hier Direktorengehälter, Gehälter der hohen Beamten, der Gymnasiallehrer, Landgerichtsräte, Diplomingenieure in leitenden Stellungen, der Chefärzte usw. in einen Topf geworfen werden mit den Löhnen der Arbeiter und den Gehältern der kleinen Angestellten und kleinen Beamten. In Wirklichkeit verdienen mehr als die Hälfte aller Arbeiter weniger als 800, - DM Netto pro Monat und bringen 40% aller Angestellten ebenfalls keine 800, -DM nach Hause.

Das bedeutet einfach, der größte Teil aller Arbeiter und Angestellten muß nach wie vor aus der Hand in den Mund leben und existiert am Rande des Existenzminimums. Das ist das Resultat einer fast ununterbrochenen Aufschwungsphase der kapitalistischen Produktion in Westdeutschland, in deren Verlauf die Arbeiter den Kapitalisten Werte erarbeitet haben, die allen früher gekannten Größenordnungen sprengen und zu einer ungeheuren Stärkung des westdeutschen Imperialismus geführt haben.

Es ist das Resultat einer Entwicklung, in der die Löhne zwar stiegen, ihr Steigen aber in gar keinem Verhältnis zum Kapitalzuwachs der Kapitalisten und zur Steigerung ihrer Profite steht. Immerhin bedeuten die Lohnerhöhungen der letzten Jahre eine tatsächliche Verbesserung der Einkommensverhältnisse der Arbeiter und Angestellten. Damit machen aber die Kapitalisten und ihr Staat jetzt Schluß. Die steigenden Preise und die Ausplünderung der Arbeiter, kleinen Angestellten und kleinen Beamten durch Steuern bewirken inzwischen eine Senkung des Reallohns. Allein die Preissteigerungen für Nahrungsmittel (Steigerung zwischen Januar 1972 und Januar 1973 um 8, 2%; die Steigerung zwischen März 1972 und März 1973 wird noch wesentlich höher sein und fast 9% erreichen) übertrifft schon die Lohnerhöhungen. Einzelne Nahrungsmittel sind zwischen Januar 1972 und Januar 1973 fast unglaublich viel teurer geworden: so Kartoffeln um 45%, Frischobst um 36%, Frischfisch um 16%. Fleisch kann sich heute ein normaler Mensch sowieso nur noch an Feiertagen leisten. Aber von Nahrungsmitteln allein kann schließlich keiner leben, und auch die anderen Gebrauchsgüter des täglichen Lebens sind wesentlich teurer geworden. So Kleider und Schuhe, aber auch Autos, Strom und Gas und die öffentlichen Verkehrsmittel kosten immer mehr. Mindestens genauso wie die Preissteigerungen für Nahrungsmittel fallen die Mieterhöhungen (durchschnittlich rund 6% zwischen Dezember 1971 und Dezember 1972) ins Gewicht. Die Einnahmen aus der Lohnsteuer haben sich 1972 um 16, 3% erhöht, da die Beschäftigtenzahl in diesem Jahr im wesentlichen gleich geblieben ist, bedeutet das, daß die Steuerbelastung je Lohnabhängigen wesentlich stärker zugenommen hat als die Löhne.

Alles in allem beweisen die angeführten Zahlen, daß sich die Lage der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes gegenwärtig nicht nur nicht verbessert, sondern im Gegenteil verschlechtert. Das trifft zwar den einzelnen mehr oder weniger stark. Aber was die untersten Lohngruppen und Schichten der Arbeiter, kleinen Angestellten und kleinen Beamten gegenwärtig erfahren, eine Verschlechterung ihrer Lebenslage, das wird der großen Mehrzahl der Lohnabhängigen ebenfalls nicht erspart bleiben. Besonders schlecht geht es den Menschen, die ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen können und auf die Rente angewiesen sind. Sie werden von den Preiserhöhungen noch härter getroffen als die anderen. Jeder Fünfte in der BRD muß aber von der Rente leben. 1971 hatten 20% der Rentner weniger als 300, -DM, weitere 44% weniger als 600, - DM und nur 36% mehr als 600, -DM.

Die meisten ehemaligen Arbeiter liegen natürlich unter 600, -DM und großenteils näher an den 300, -DM als an den 600, -DM. Schon im Mai 1971 wurde die Wachstumsrate der Renten fast völlig von den Preissteigerungen aufgefressen. Inzwischen ist dies der Fall. Nach lebenslanger Ausbeutung durch den Kapitalisten erwartet den Rentner heute nichts anderes als ein Hungerdasein. Es hat gar keinen Zweck, sich etwas vorzumachen. Die 'soziale Marktwirtschaft' kann ihre Versprechen nicht wahrmachen, die kapitalistische Gesellschaft ist für die Kapitalisten die beste aller Gesellschaften aber für niemand sonst! Die SPD/FDP-Regierung hat daran auch nichts geändert. Wie jede andere Regierung macht sie auch die Geschäfte der Kapitalisten. Sie versucht nur, die Arbeiter bei der Stange zu halten und benützt dazu ihre Spießgesellen in der Gewerkschaftsführung. Diese verhindert mit allen Mitteln den Lohnkampf und schwätzen von Mitbestimmung und Vermögensbildung. Zum 1. Mai geben sie die Parole heraus: 'Mitdenken, Mitbestimmen, Mitverantworten'.

KANN DIE 'MITBESTIMMUNG' ETWAS ÄNDERN?

Als Allheilmittel gegen die Ausbeutung und Unterdrückung preist die Gewerkschaftsführung die Mitbestimmung an. Aber was kann die Mitbestimmung an den Gesetzen des Kapitalismus ändern, der auf der Ausbeutung beruht und nur vorwärts kommt, wenn er die Ausbeutung verstärkt?

Mitbestimmung bei der eigenen Ausbeutung, ist das ein Ausweg? Nein, das ist ein schlimmer Betrug. Das zeigen gerade die Erfahrungen in der Montanindustrie, wo die Mitbestimmung bloß dazu dient, ein paar Arbeitsdirektoren fett zu machen und einige Betriebsräte zu bestechen. Die Arbeiter werden dort nicht nur von den Kapitalisten schikaniert, sondern auch von den Vertretern der eigenen Gewerkschaft.

KANN DIE VERMÖGENSBILDUNG ETWAS ÄNDERN?

Wer kann denn im Ernst glauben, daß die Kapitalisten auf dem Weg der Vermögensbildung mehr herausgeben werden, als ihnen im Lohnkampf abgenommen werden kann? Die Vermögensbildung ist nur ein Ablenkungsmanöver, um die Arbeiter und Angestellten vom Lohnkampf abzulenken. Keinerlei Vermögensbildung ändert etwas daran, daß das Kapital in der Hand der Kapitalisten bleibt und durch die Ausbeutung der Arbeiter zusammenkommt und sich vermehrt. Ein anderes Ablenkungsmittel ist das Grade vom Lohn- und Preisstop.

KANN EIN LOHN- UND PREISSTOP ETWAS ÄNDERN?

Ein Lohn- und Preisstopp, ausgesprochen durch den kapitalistischen Staat und dessen Regierung, bedeutet in Wirklichkeit einen Lohnstopp bei weiter steigenden Preisen. Warum? Weil sich die Preise gar nicht nach den Lohnkosten richten, sondern auf der Grundlage der aufgebrachten Arbeitszeit nach Angebot und Nachfrage. Ein Preisstop bleibt in Wirklichkeit völlig wirkungslos oder führt höchstens zur Herausbildung eines Schwarzmarktes. Die Wirkung eines Lohn- und Preisstops wäre also: Einfrieren der Löhne und weiteres Sinken des Reallohns. Das zeigen die Beispiele der USA ganz klar. Die Löhne hinken den Preisen immer hinterher, durch eine 'Lohn- und Preisstop' wird dieses ökonomische Gesetz des Kapitalismus lediglich verschärft und noch mehr zugunsten der Arbeiterklasse ausgenutzt. Das ganze Gerede vom Lohn- und Preisstop soll lediglich die Arbeiter vom schonungslosen Lohnkampf ablenken. Im Kampf gegen die Verschlechterung des Reallohns hat die Arbeiterklasse kein anderes Instrument als den entschlossenen Lohnkampf. An den Bedingungen freilich, unter denen die ganze gesellschaftliche Entwicklung auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse beruht, kann auch der Lohnkampf nichts ändern. Um daran etwas zu ändern, muß die Arbeiterklasse den Kampf für eine neue Gesellschaftsordnung, den Kampf für den Kommunismus aufnehmen und die politische Macht erobern, um die Produktionsmittel in die eigene Hand zu nehmen und die Produktion im Interesse der Arbeiterklasse und des Volkes zu regeln.

In China, Albanien, Nordkorea und Nordvietnam regelt die Arbeiterklasse und das Volk die Produktion. In diesen Ländern gibt es keine Preiserhöhungen, sondern vielmehr werden die Preise nach und nach gesenkt, während die Vergütung der Arbeit ständig steigt. Das ist deshalb so, weil dort die Arbeit nicht den Bereicherung der Kapitalisten dient, sondern der Verbesserung des Lebens der Arbeiterklasse und der breiten Volksmassen. In der Volksrepublik China zum Beispiel sind die Preise für Artikel wie Getreide, Speiseöl, Salz, Baumwolle und Kohle seit 23 Jahren stabil geblieben. Industriegüter für den täglichen Bedarf und Medikamente sind wesentlich verbilligt worden. Vor ein paar Jahren noch würde über den Sozialismus hergezogen. Heute beginnen die Illusionen über die Vorteile des Kapitalismus sich aufzulösen. Der Kampf für den Sozialismus wird wieder zur Perspektive der Arbeiterklasse. Am 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, werden wir nicht nur gegen den Lohnabbau, gegen die Preis- und Steuererhöhungen demonstrieren. Wir werden nicht nur gegen die Verschlechterung der Lebenslage, sondern auch für ihre radikale Veränderung demonstrieren."

Diesen Artikel verbreiten auch in:
- NRW in Castrop-Rauxel und Dortmund die KFR (vgl. 20.4.1973).
Q: Arbeiter-Zeitung Nr. 4, Mannheim Apr. 1973; Mai-Zeitung der Kommunistischen Kollektive Hoesch, Zeche Hansa (Dortmund) und Gewerkschaft Viktor (Castrop Rauxel) Mitglieder der Kommunistischen Fraktion im Ruhrgebiet für den Wiederaufbau der Kommunistischen Partei, Dortmund/Castrop-Rauxel 1973, S. 1 und 3

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