Der Ärztestreik 1971

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin

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Es wird hier nur der Ärztestreik der Krankenhausärzte 1971 behandelt sowie die sich daran entzündende Diskussion. Aufgenommen wurden deshalb auch die Artikel und Berichte, auf die in der Debatte Bezug genommen wurde. Es werden dabei lediglich wenige Dokumente verschiedener, sich meist als kommunistisch verstehender Gruppen vorgestellt.

Es befehden sich dabei sowohl hier die KPD, die kurz zuvor noch als KPD/AO auftrat, und ihr KSV einerseits mit DKP und SEW, vor allem aber mit den drei verschiedenen KPD/MLs. Vor allem die KPD/ML-NE und die KPD/ML-ZK werden dabei als Opportunisten nachhaltig aufs Korn genommen.

Die KPD/ML-ZK eröffnet diese Darstellung mit einer bunten Reihe von Protestaktionen im Berliner Gesundheitswesen (vgl. 13.11.1969, 20.1.1970, 14.3.1970), ohne dabei immer darauf zu achten, wer da eigentlich gegen was protestiert.

Die KPD dagegen berichtet vom Gesundheitszustand der Werktätigen (vgl. 13.4.1970), was aber ansonsten hier nicht Thema ist, sondern separat behandelt werden wird.

Der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW - vgl. Mai 1970) zeigt anlässlich einer späteren Auseinandersetzung mit der KPD schon einmal deutlich den Verlauf der Klassenfronten am Krankenhaus auf. Seine Vorläufer in Heidelberg lehnen den Ärztestreik als reaktionär ab (vgl. 21.10.1971, 25.10.1971).

Die KPD veröffentlicht im Vorfeld des Ärztestreiks ihre Untersuchung über die Profite der Pharmaindustrie (vgl. 22.6.1970), die KPD/ML-ZK dokumentiert aus Berlin weitere Proteste (vgl. 24.9.1970, 17.12.1970), die KPD/ML-ZB bezieht einerseits eindeutig Position gegen die Krankenhausärzte (vgl. 8.3.1971), schlägt dieser aber dann doch der Arbeiterklasse zu, zumindest in Italien (vgl. 17.3.1971). Offenbar ist dies der KPD nicht aufgefallen und so bleibt die KPD/ML-ZB von deren Kritik verschont.

In Frankfurt kommt es zu Protesten unter Beteiligung von Ärzten (vgl. 9.6.1971), was der Linken offenbar noch nicht weiter auffällt, bald darauf aber folgt in Berlin eine Demonstration (vgl. 30.7.1971), zu der auch unter dem pflegepersonal aufgerufen wird (vgl. Juli 1971).

Die KPD berichtet von den Drohungen des Marburger Bund (vgl. 30.8.1971), die gegen das Pflegepersonal gerichtet seien.

Die Berliner KPD/ML-Neue Einheit um Klaus Sender (KPD/ML-NE - vgl. Sept. 1971) dagegen, findet den Ärztestreik nach Angaben der KPD (vgl. 5.11.1971) progressiv und steht auch dem Marburger Bund offenbar unbefangen gegenüber.

Die KPD verweist im Zusammenhang mit dem Ärztestreik anhand eines Berichts aus Duisburg (vgl. Sept. 1971) auf die Profitmacherei im Gesundheitswesen, bezichtigt die moskautreue SEW sich an den reaktionären Ärztestreik 'anzuhängen' (vgl. 3.9.1971).

Die PL/PI Berlin meldet als erste den Beginn des Ärztestreiks (vgl. 12.9.1971), während die Berliner SEW sich offenbar erneut mit diesem gemein macht, wie dies die KPD entlarvt (vgl. 12.9.1971), die für den Streikbeginn kein genaues Datum angibt (vgl. 13.9.1971), wohl aber wegweisende Richtlinien entwickelt und auch aus dem Berliner Urbankrankenhaus über die Überheblichkeit der Ärzte berichtet (vgl. 13.9.1971). Dies tun in Berlin auch die medizinischen Arbeiter der 'Sozialistischen Krankenhaus Presse' (vgl. Juli 1971, Okt. 1971).

Die PL/PI berichtet von einer Aktion in Wuppertal (vgl. 13.9.1971), der 'Rote Morgen' der KPD/ML-ZK (vgl. 11.10.1971) bezieht mit seinem Leitartikel zum Ärztestreik, ganz entgegen der Planung der Redaktion, nach Empfinden der KPD klassenversöhnlerisch bzw. opportunistische Positionen und bietet damit der KPD Anlass zu einer nicht nur heftigen (vgl. 5.11.1971), sondern auch lang andauernden Polemik (vgl. 28.3.1973).

Der KSV der KPD bezichtigt in Berlin nun ebenfalls die SEW und deren studentische Freunde der Unterstützung dieser reaktionären Bewegung, reißt mit den Polikliniken bereits kurz die spätere KPD-Programmatik zum Gesundheitswesen an (vgl. 20.10.1971). Weiterentwickelt wird diese mit der Gründung der KPD-Zelle am Rudolf-Virchow-Krankenhaus (RVK) in Berlin-Wedding, wobei wiederum direkter Bezug auf den 'reaktionären Ärztestreik' genommen wird (vgl. 22.2.1972), wie dies auch die Zelle Medizin des Kommunistischen Studentenbundes Göttingen tut (vgl. 29.5.1972).

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

13.11.1969:
In Berlin demonstrieren heute, laut KPD/ML-ZK, Medizinalassistenten und Studien- und Gerichtsreferendare.
Quelle: Roter Morgen Nr.11,Hamburg 11.10.1971

20.01.1970:
Im Berliner Klinikum Steglitz findet, laut KPD/ML-ZK, eine Versammlung der Krankenschwestern statt.
Q: Roter Morgen Nr.11,Hamburg 1971

14.03.1970:
In Berlin-Kreuzberg findet eine Demonstration gegen die Schließung des Bethanienkrankenhauses statt. Daran nehmen neben der KPD/ML auch die Rote Garde und ein Teil der Kreuzberger Bevölkerung teil. Die Demonstration bildet gleichzeitig den Höhepunkt und vorläufigen Abschluß der Bethanien-Kampagne durch die KPD/ML. Im Zuge der Vorbereitungen auf die Demonstration bildet sich die Arbeitergruppe Kreuzberg der KPD/ML.
Q: Rote Presse Korrespondenz Nr.56/57,Berlin 1970,S.8ff; Roter Morgen Nr.11,Hamburg 11.10.1971;Kommunistische Arbeiterpresse - Ausgabe AEG Telefunken Nr.2,Berlin 20.5.1970

13.04.1970:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) über den "Befund einer Untersuchung der AOK Baden-Württemberg an 31 000 Versicherten (13.April 1970):

Zwei Drittel aller Werktätigen benötigen eine Krankenbehandlung, jeder Fünfte einen Sanatoriumsaufenthalt. Bei jedem Siebten wurde eine ihm unbekannte Krankheit festgestellt!"
Q: Rote Fahne Nr.27,Berlin 8.10.1971,S.8

Mai 1970:
Die Zelle Unikliniken (UK) Heidelberg des KBW berichtet (vgl. 24.10.1973):"
Als wir im Mai 1970 im Pflegebereich an den Unikliniken (Heidelberg) akuten Personalmangel hatten und die Schwestern in Versammlungen und Resolutionen Verbesserungen und Erleichterungen für ihre Arbeits- und Wohnbedingungen forderten, schrieb der Verwaltungsdirektor in einem Rundbrief:

'Liebe Schwester, …darf ich Sie auch im Namen aller Ärzte bitten, IM INTERESSE DER UNS (!) ANVERTRAUTEN PATIENTEN mitzuhelfen, diesen Engpaß, ich möchte sagen, diese Not zu überbrücken…' Die versprochenen Verbesserungen blieben größtenteils aus, mit den Forderungen stießen wir auf taube Ohren."
Q: Kommunistische Volkszeitung Nr.5,Mannheim 24.10.1973,S.7

22.06.1970:
Vermutlich in dieser Woche gibt die Berliner KPD/AO die Nr.5 ihrer 'Roten Fahne' (RF - vgl. 8.6.1970, 13.7.1970) heraus. Ein Artikel ist:
"Für die pharmazeutische Industrie bedeuten Arzneimittel nicht Mittel zur Heilung von Krankheiten, sondern Mittel zum Scheffeln von Profit".
Auf den Pharmaartikel nimmt die KPD (vgl. 8.10.1971) auch später noch anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) Bezug.
Q: Rote Fahne Nr.5 und 27,Berlin Juni 1970 bzw. 8.10.1971,S.1ff bzw. S.8

24.09.1970:
In Berlin demonstrieren, laut KPD/ML-ZK, die Krankenpflegeschülerinnen. Das meint auch die KPD/AO.
Q: Roter Morgen Nr.11,Hamburg 11.10.1971; Rote Fahne Nr.10,Berlin Okt. 1970

17.12.1970:
In der Berliner Krankengymnastikschule Teidel findet heute, laut KPD/ML-ZK, eine Protestversammlung statt.
Q: Roter Morgen Nr.11,Hamburg 11.10.1971

08.03.1971:
Die KPD/ML-ZB berichtet vermutlich aus dieser Woche:"
GESUNDHEITSWESEN

Für Krankenkassenpatienten, also für die große Mehrheit der Krankenversicherten (nämlich die werktätigen Massen) ist eine ernsthafte ärztliche Versorgung im Krankheitsfall kaum zu bekommen. …
Das Gesundheitswesen im Kapitalismus verdient an der Krankheit der werktätigen Massen: die Ärzte bereichern sich, die Krankenkassen sind Geldinstitute mit Milliardenumsätzen und die Krankenhausärzte sind nur an den hohen Honoraren der reichen Privatpatienten interessiert."
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.21,Bochum 17.3.1971,S.5f

17.03.1971:
Die KPD/ML-ZB berichtet u.a. von heute:"
Nicht nur im südlichen Italien, sondern auch in den Industriezentren des Nordens hat die Arbeiterklasse mit einer neuen Welle von Kämpfen begonnen. … In Rom haben die Postarbeiter und die Ärzte gestreikt."
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.31,Bochum 24.4.1971,S.10

09.06.1971:
In Frankfurt streiken rund 1 000 Beschäftigte von Müllabfuhr, Straßenreinigung, Müllverbrennung und Fuhrpark für kostenlose Fahrt im öffentlichen Nahverkehr und 300 kostenlose Kilowattstunden im Monat, wie sie auch den Arbeitern der Stadtwerke zu kommen (vgl. 21.5.1971, 11.6.1971). Die Beschäftigten von Zoo, Hafen, Friedhöfen, Theatern und dem städtischen Krankenhaus zeigen ihre Solidarität durch kurze Warnstreiks und Dienst nach Vorschrift.
Laut SAG beginnt ein unbefristeter Streik im Stadtreinigungsamt, im Gartenamt und an den städtischen Bühnen.
Laut MBB wird gestreikt bei Müll, Straßenreinigung, Bühnen und öffentlichen Toiletten. Auf dem Friedhof wird Dienst nach Vorschrift gemacht.
Die PL/PI in Berlin (vgl. 21.6.1971) berichtet über die Forderung nach 300 KwH, von den Streiks bei Müllabfuhr und Müllverbrennung, von Gartenbauamt, Friedhöfen, städtischen Bädern, Bühnenarbeitern, Krankenhäusern, u.a. Ärzten, und Angestellten.

Die KPD/ML-ZB berichtet:"
MÜLLARBEITERSTREIK IN FRANKFURT

Am letzten Mittwoch (9.6.) traten 1 600 ARBEITER DER FRANKFURTER STADTVERWALTUNG in den Streik. Die Streikenden waren vor allem Arbeiter der Müllabfuhr, der Straßenreinigung, der Müllverbrennung und des Fuhrparks.

Die Kollegen fordern FREIE FAHRT auf den städtischen Verkehrsmitteln und 300 Kilowatt GRATISSTROM im Monat. Die Arbeiter der Frankfurter Stadtwerke hatten diese Forderungen schon vor 1 1/2 Jahren durchgesetzt. Deshalb verlangten jetzt die Kollegen von der Stadtverwaltung die Gleichstellung mit ihren Kollegen von den Stadtwerken.

Das Personal der städtischen Friedhöfe, die rund 400 Beschäftigten der Hafenbetriebe, die Bediensteten des städtischen Krankenhauses, die Zoo-Angestellten und das technische Personal der Städtischen Bühnen solidarisierten sich mit den Forderungen der Müllarbeiter. Sie machten 'Dienst nach Vorschrift' und organisierten kurze Warnstreiks.

Die streikenden Müllarbeiter stellten am Mittwoch Streikposten auf. Private Müllablader und Müllfahrzeuge aus Oberursel und anderen umliegenden Orten, die ihren Müll bei der Frankfurter Müllverbrennungsanlage abliefern dürfen, wurden von den Arbeitern abgewiesen. Große Müllwagen benutzten sie als Sperre zum Eingang der Anlage. Aufschriften an den Wagen waren: 'GLEICHHEIT FÜR ALLE BETRIEBE' und 'Wir streiken für soziale Gleichstellung'."
Q: Marburger Betriebsbote Nr.12,Marburg 24.6.1971; Klassenkampf allgemeine Ausgabe sowie Ausgaben Borsig, Daimler, DeTeWe, Osram B-Werk, SEL und Spinne Nr.15,Berlin Juni 1971;Klassenkampf Nr.2,Frankfurt Juni 1971;Kommunistische Arbeiter Zeitung Nr.8,Hamburg 5.7.1971;Rote Fahne Nr.12,Bochum 21.6.1971;Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.46,Bochum 16.6.1971,S.3f

Juli 1971:
In Berlin erscheint die 'Sozialistische Krankenhaus Presse' - herausgegeben von medizinischen Arbeitern der Berliner Krankenanstalten Nr. 6/7 für Juli (vgl. Juni 1969, Okt. 1971) mit dem Leitartikel "Arbeitskampf im Krankenhaus…" zum Ärztestreik. Aufgerufen wird zur Demonstration am 30.7.1971.
Q: Sozialistische Krankenhaus Presse Nr. 6/7, Berlin Juli 1971, S. 1ff

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30.07.1971:
In Berlin demonstrieren heute, laut KPD/ML-ZK, 800 Ärzte und 100 Krankenschwestern und Pfleger.

Die Berliner Proletarische Linke / Parteiinitiative (PL/PI - vgl. 19.9.1971) berichtet vom Krankenhausärztestreik (vgl. 12.9.1971) über die heutige Demonstration.
Q: Klassenkampf Nachrichtendienst Nr. 4, Berlin 19.9.1971, S.2; Roter Morgen Nr. 11, Hamburg 11.10.1971;Sozialistische Krankenhaus Presse Nr. 6/7, Berlin Juli 1971, S. 5

30.08.1971:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) über ein "massiv drohendes Flugblatt des Marburger Bundes vom 30.8., das sich direkt an die Krankenschwestern richtete: 'Wir weisen aber darauf hin, daß wir uns von NIEMAND davon abhalten lassen, ALLES zu tun, um unsere Ziele zu erreichen!'"
Q: Rote Fahne Nr. 27, Berlin 8.10.1971, S. 8

September 1971:
Die KPD/ML-Neue Einheit (KPD/ML-NE) gibt vermutlich im September eine Sondernummer 2 ihrer 'revolutionären Stimme' (RS) heraus, in der sie sich u.a. mit dem Ärztestreik befaßt. Damit wiederum beschäftigt sich die KPD (vgl. 5.11.1971).
Q: Rote Fahne Nr. 29, Berlin 5.11.1971, S. 10

September 1971:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) verfaßt vermutlich im September den folgenden Bericht:"
ZUR MEDIZINISCHEN VERSORGUNG DER WERKTÄTIGEN IN DUISBURG/UNTERSUCHUNGSBERICHT

'GESCHÄFT MIT DER KRANKHEIT'

In den Duisburger Arbeitervierteln Ruhrort, Meiderich und Hamborn leben 210 000 Menschen, 60 000 von ihnen sind Arbeiter, 20 000 Angestellte und 6 000 Lehrlinge. Der größte Teil von ihnen arbeitet in einem der Betriebe des Thyssen-Konzerns (Verhüttung, Stahlerzeugung, Bergbau und Hafenanlagen). Neben den Industrieanlagen besitzt Thyssen auch noch ausgedehnte Wohngebiete.

Ein großer Teil der Werktätigen lebt unter sehr schlechten Bedingungen, in alten Häusern, die oft keine Bäder und oft nur eine Toilette für mehrere Familien haben. Häuser wie die in der Lessing- und Schillerstraße oder in der Schacht- und Steigerstraße sind vor allem in Alt-Hamborn, Marxloh und Neumühl keine Seltenheit. Die Arbeiterviertel sind oft stundenlang von Industrieabgasen eingenebelt; Parks und Grünanlagen gibt es jedoch fast gar nicht.

In den Betrieben steigt durch die Arbeitshetze ständig die Zahl der Unfälle; es gibt kaum einen Kollegen, der nicht durch Narben oder Knochenverletzungen gekennzeichnet wäre. Die Krankheiten, die durch zu höhe körperliche und geistige Belastung entstehen, nehmen zu - die Arbeitskraft wird noch schneller verschlissen, damit die Kapitalisten sich ihre Profite auch in der Krise sichern können.

Die Krankenzahlen der letzten Jahre sind dafür der beste Beweis: Von 1969 bis 1970 stieg der Krankenstand der ATH Hamborn um fast ein Viertel, mehr als zwei Drittel der Kollegen aus diesem Betrieb mußten 1970 ein- oder mehrmals krankgeschrieben werden. Wie es um die Gesundheit der Kollegen bestellt ist, zeigen auch besonders deutlich die Zahlen der Sterbefälle in den Duisburger Arbeitervierteln, verglichen mit einigen bürgerlichen Vierteln.

1970 starben in Ruhrort 19,6 auf 1 000 Einw.
in Beeck 17,0 auf 1 000 Einw.
in Meiderich 15,6 auf 1 000 Einw.

Dagegen in Wedau 10,9 auf 1 000 Einw.
in Buchholz 10,0 auf 1 000 Einw.
in Rahm 8,8 auf 1 000 Einw.

Ein anderes Beispiel sind die Sterbeziffern der Neugeborenen: 1970 starben in den Hamborner Krankenhäusern 23 von 1 000 Neugeborenen, in den Krankenhäusern im Süden Duisburgs dagegen nur 2 von 1 000.

Angesichts dieser Zahlen muß sich jeder Kollege fragen: Wie sieht es in den medizinischen Einrichtungen aus, auf die ich bei Krankheit oder Unfall angewiesen bin? Die Antwort können sehr viele aus eigener Erfahrung geben: Weder durch Vorsorgeeinrichtungen noch durch Krankenhäuser und freipraktizierende Ärzte können die Duisburger Arbeiter ausreichend medizinisch versorgt werden:

1. Die Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten werden zwar seit dem 1.7.1971 für Kinder bis zu 5 Jahren, Frauen und Männer über 45 Jahren von den Krankenkassen bezahlt, doch nur ein kleiner Teil der Arbeiter und Familienangehörigen kann sich wirklich regelmäßig - d.h. mindestens jährlich - vom 'Arzt seiner Wahl' vorsorglich untersuchen lassen: In Ruhrort, Meiderich und Hamborn kommt ein praktischer Arzt auf 2 300 Patienten, ein Frauenarzt auf 5 000 Frauen und ein Kinderarzt auf 7 000 Kinder bis 15 Jahre. Bei diesem Verhältnis kann sich jeder ausrechnen, wann er einmal drankommt.

2. In den Arbeitervierteln steht für 110 Menschen ein Krankenhausbett zur Verfügung. Die medizinischen Einrichtungen der meisten Häuser sind veraltet, Neuanschaffungen werden kaum gemacht - mit dem Hinweis, das sei nicht rentabel. In der 3.Klasse sind Zimmer mit 7, 8 und mehr Betten keine Seltenheit. Kaum eine Station besitzt ein Untersuchungszimmer, in dem ein Kranker gründlich und ungestört untersucht und befragt werden kann. Die hygienischen Zustände in den meisten Krankenhäusern sind erschreckend. Eine Toilette für 20 - 25 Personen, Wände von denen der Putz rieselt – diese Umstände bewirken sehr ungünstige Krankheitsverläufe, Eiterungen, Infektionen, langsame Heilung usw.

Die Behandlung ist darauf ausgerichtet, die Kranken so schnell und so kostensparend wie möglich wieder 'arbeitsfähig' zu machen.

Ein Kollege von der ATH wurde mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Ein schweres Eisenstück war auf seinen Fuß gefallen. Anstatt den Kollegen in ein Spezialkrankenhaus zu überweisen, wo der Fuß - durch eine teure und langwierige Behandlung - hätte gerettet werden können, entschied sich der verantwortliche Arzt für eine Amputation.

Ein Arzt meinte im Gespräch über einen Patienten, der auf eine Behandlung mit einem teuren Medikament angewiesen war: 'Hier muß man sich dann wirklich überlegen, ob so etwas kassenwirtschaftlich noch tragbar ist.'

Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung besteht in den meisten Krankenhäusern chronischer Personalmangel. Der größte Teil des Pflegepersonals besteht aus Hilfskräften, deren medizinische Kenntnisse sehr beschränkt sind, die aber trotzdem die Arbeit von Schwestern und Pflegern leisten müssen. Die Personalknappheit und die mangelnde Fachkenntnis führen zwangsläufig zu mangelnder Pflege.

Die medizinische Versorgung durch die freipraktizierenden Ärzte ist völlig unzureichend. Überaus hohe Einwohnerzahlen pro Arzt sind kein böser Zufall, denn: Je mehr Krankenscheine ein Arzt sammeln kann, desto mehr verdient er. Er ist in der Regel an einer ausreichenden Behandlung seiner Patienten überhaupt nicht interessiert. Die Folgen kennt jeder: überfüllte Wartezimmer und 'Behandlungen' von wenigen Minuten. Die medizinisch-technischen Einrichtungen vieler Ärzte sind unzureichend oder veraltet: Neuanschaffungen 'rentieren' sich nicht, denn die Patienten kommen auf jeden Fall. Hinzu kommt, daß die Krankenkassen Druck auf Ärzte und Patienten ausüben: Ärzte, die zuviel krankschreiben oder zuviele Medikamente verordnen, bekommen nach einem Vierteljahr Ersatzforderungen der Krankenkassen ins Haus geschickt. Andererseits muß jeder arbeitsunfähige Patient der Berufsgenossenschaft, also einer Vereinigung der Kapitalisten, gemeldet werden. Die Folge ist, daß viele Kollegen trotz Krankheit aus Furcht vor der Entlassung entweder erst gar nicht zum Arzt gehen oder aber darauf verzichten, sich krankschreiben zu lassen.

Den Kapitalisten sind jedoch die Kosten für die medizinische Versorgung der Arbeiterklasse immer noch zu hoch, und sie versuchen, die Folgen der Arbeitshetze und mangelnder Betriebssicherheit auf die Kollegen abzuwälzen.

Die Beiträge für die Betriebskrankenkassen wurden ab 1.7.1971 erhöht: in Hamborn von 7,6 au 8,6%, in Ruhrort von 9 auf 9,8%. Die Erhöhung wurde mit steigenden Arzt-, Medikamenten- und Krankenhauskosten, hervorgerufen durch den rapide gestiegenen Krankenstand, begründet. Die Begründung, die der Geschäftsführer der BKK der ATH Hamborn, Siegfried Feldmann, für den erhöhten Krankenstand gibt, spricht für sich selbst.

Mit unverschämter Offenheit nennt der Geschäftsführer der Betriebskrankenkasse von ATH-Hamborn (Siegfried Feldmann) die wirklichen Gründe für den erhöhten Krankenstand: 'Konjunkturelle Zunahme der Beschäftigung, zunehmendes Arbeitstempo, Mehrarbeit mit erhöhtem Unfallrisiko und wachsenden gesundheitlichen Belastungen' und verlangt gleichzeitig, daß die Arbeiter die daraus entstehenden Kosten auch noch selbst tragen.

Das heißt auch: Die medizinische Versorgung der Arbeiterklasse wird sich weiter verschlechtern! So erklärte Herr Feldmann in der letzten Ausgabe der Werkszeitschrift 'Unsere ATH' (vgl. Sept. 1971,d.Vf.) zum Thema 'Was kann man gegen den hohen Krankenstand unternehmen?':

'…das neue Hausarzt-System (hat) bisher nicht die Erwartungen erfüllt, die der Gesetzgeber von diesem System erhofft und ihm auferlegt hat. Nach diesem neuen Verfahren, das ab 1. Januar 1970 praktiziert wird, liegt die Entscheidung darüber, ob der Versicherte arbeitsfähig oder arbeitsunfähig ist, einzig und allein beim behandelnden Arzt.'

Er geht dann auf die hohen Krankenzahlen ein und kommt zu dem Schluß: 'Es liegt einzig und allein in der Hand jedes einzelnen Arztes, diese Zahlen günstig zu beeinflussen.' (Unsere ATH, Nr. 8/9, S. 9/10)"

Die Kapitalisten versuchen mit allen Mitteln, die Kosten, die kranke Arbeiter verursachen, herunterzudrücken. Steuermittel, die als Zuschüsse an Krankenhäuser gehen, können nicht mehr in Form von Steuervergünstigungen in die Taschen der Kapitalisten fließen. Kranke Arbeiter, denen sechs Wochen lang der volle Lohn gezahlt werden muß, kann kein Kapitalist brauchen. Die Folge ist: Die Kollegen werden gezwungen, nur bei schweren gesundheitlichen Schäden noch einen Krankenschein zu nehmen.

Wie sollen diese Zustände im Gesundheitswesen geändert werden? 'Reformvorschläge' wie das klassenlose Krankenhaus, das angeblich gute medizinische Versorgung FÜR ALLE garantiert, verschleiern nur die Tatsache, daß die Kapitalisten niemals an einer ausreichenden medizinischen Versorgung der Arbeiterklasse interessiert sein werden. Denn beim klassenlosen Krankenhaus geht es nicht um eine Abschaffung der unterschiedlichen Behandlung der Kassenpatienten. Hinter dieser Phrase verbirgt sich einzig und allein das Interesse von Krankenhausträgern und Assistenzärzten, mehr als bisher am Geschäft mit der Krankheit beteiligt zu werden. Weiterhin gibt es besserbehandelte zahlungskräftige Privatpatienten, weiterhin bleibt es bei der unzureichenden Behandlung der Kassenpatienten.

Nur wenn die Arbeiterklasse den konsequenten Kampf für ihre Interessen aufnimmt und die Herrschaft der Kapitalisten zerschlägt, kann sie, ebenso wie alle anderen Bereiche der Gesellschaft, das Gesundheitswesen nach ihren Bedürfnissen organisieren."

Die KPD (vgl. 8.10.1971) bezieht sich auf diesen Artikel auch anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971).
Q: Rote Fahne Nr. 27, Berlin 8.10.1971, S. 3 und 8

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03.09.1971:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) über die SEW Berlin (vgl. 12.9.1971):"
Wie in der BRD die DKP, so auch ihre Schwester in Westberlin, wo die Stärke der Kampfmaßnahmen den wahren Charakter dieser ständischen Bewegung am klarsten herausstrich:

DIE SEW-FÜHRUNG HÄNGT SICH AUCH DEM REAKTIONÄREN ÄRZTESTREIK AN!

In ihrem Zentralorgan 'Die Wahrheit' schlägt die SEW-Spitze in die gleiche Kerbe: Wohlwollend berichtet sie am 3.9.1971, daß diese Bewegung 'auch im Interesse der Pflege und Behandlung des Patienten' sei und fordert 'mehr Planstellen und höhere Gehälter (!!) im Krankenhaus'."
Q: Rote Fahne Nr.27,Berlin 8.10.1971,S.9

12.09.1971:
Die Berliner Proletarische Linke / Parteiinitiative (PL/PI - vgl. 19.9.1971) berichtet vom heute beginnenden Krankenhausärztestreik, an dem sich in ca. 12 000 Ärzte in der Bundesrepublik Deutschland, u.a. in Wuppertal (vgl. 13.9.1971) und Westberlin (vgl. 30.7.1971, 12.9.1971) beteiligen.
Q: Klassenkampf Nachrichtendienst Nr. 4, Berlin 19.9.1971, S. 2

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12.09.1971:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet anläßlich des Ärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) über die SEW Berlin (vgl. 3.9.1971):"
Am 12.9.1971 vermutet sie, daß die ganze Angelegenheit 'eine Sache aller (!!) im Gesundheitswesen' sei! Die SEW-Führung unterschlägt die proletarischen Klasseninteressen, stellt nicht die Frage nach dem Klasseninhalt dieser Bewegung, wie sie auch unfähig ist, die Hintergründe zu untersuchen, und verrät damit erneut die proletarischen Klasseninteressen!"

Die Berliner Proletarische Linke / Parteiinitiative (PL/PI - vgl. 19.9.1971) berichtet vom Krankenhausärztestreik (vgl. 30.7.1971), dass seitdem in Berlin fünf Krankenhäuser nur noch einen Notdienst aufrecht erhalten.
Q: Klassenkampf Nachrichtendienst Nr. 4, Berlin 19.9.1971; Rote Fahne Nr. 27, Berlin 8.10.1971, S. 9

13.09.1971:
Laut den MLSG (vgl. Okt. 1971) beginnt heute der Ärztestreik an zwei Westberliner Krankenhäusern, sie berichten: "Krankenhausärzte wehren sich gegen katastrophale Arbeitsbedingungen".
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet vermutlich u.a. aus dieser Woche von Krankenhausärztestreik:"
SPALTUNG DER EINHEITLICHEN KAMPFFRONT AM KRANKENHAUS - GEFÄHRDUNG DER MEDIZINISCHEN VERSORGUNG DER MASSEN - DIE FORDERUNGEN DER KPD

LEHREN AUS DEM ÄRZTESTREIK

In der zweiten Septemberhälfte fand die ständische Kampfbewegung der am Krankenhaus angestellten Ärzte unter Führung des 'Marburger Bundes' durch die 'totale Arbeitsniederlegung bei Aufrechterhaltung eines Notdienstes für Patienten in Lebensgefahr' in einigen Krankenhäusern in Westberlin, Hamburg und Bremen seinen vorläufigen Höhepunkt. Nach der Zulassung des 'Marburger Bundes' zu den Tarifverhandlungen mit der Tarifgemeinschaft der Länder in München Mitte Oktober (vgl. S8*10.1971,d.Vf.) wurden weitere Kampfmaßnahmen ausgesetzt.

Der Verlauf der Radikalisierung des Ärztekampfes zeigt das Schicksal aller kleinbürgerlichen Bewegungen, die, losgelöst vom Kampf der übrigen Werktätigen zum Opfer reaktionärer 'Volksfreunde' werden und der Stärkung der Ausbeuterklasse zu dienen.

Die 'oppositionellen Ärzte' im 'Marburger Bund', die diese Kampfbewegung zunächst gegen den Willen der Führung dieser ständischen Organisation auslösten, richteten ihre Hauptforderungen nicht gegen die entscheidenden Mißstände im Krankenhaus! Neben ihrer 'an sich' fortschrittlichen Forderung nach Einführung eines Schichtdienstes, der den zu manchmal schwerer Überlastung führenden Bereitschaftsdienst ablösen soll, verlangten sie vielmehr spalterisch höhere Vergütung für die angestellten Ärzte, die mit durchschnittlich mindestens 2 000 DM sehr gut bezahlt sind, während eine vollausgebildete Krankenschwester nur ca. 800 DM bekommt!

Zur Unterstützung ihres ständischen Kampfes forderten sie zugleich die Solidarität der übrigen werktätigen Schichten am Krankenhaus. Wie dünn das Mäntelchen der 'vereinigenden Forderungen mit den Krankenschwestern' wirklich ist, enthüllt ein massiv drohendes Flugblatt des Marburger Bundes vom 30.8., das sich direkt an die Krankenschwestern richtete: 'Wir weisen aber darauf hin, daß wir uns von NIEMAND davon abhalten lassen, ALLES zu tun, um unsere Ziele zu erreichen!' So wurde im Urban-Krankenhaus im Westberliner Arbeiterbezirk (Kreuzberg - vgl. 13.9.1971,d.Vf.) ein Krankenpfleger aus einer Streikversammlung gewiesen mit der Bemerkung: 'Dies hier geht nur die Ärzte etwas an, wenn wir euch brauchen, holen wir euch schon!'

Tatsächlich vereinigten sich die angestellten Ärzte mit der Gilde der Chefärzte: Viele Oberärzte und mancher Chefarzt traten spontan in den 'Marburger Bund' aus Solidarität mit ihren 'jungen Kollegen' ein, denn von ehemaligen Forderungen wie 'Abschaffung der Hierarchie am Krankenhaus' war jetzt nichts mehr zu hören.

WELCHE DEMAGOGISCHE TAKTIK VERFOLGT DIE 'MARBURGER BUND'-LEITUNG?

In Flugblättern an die Bevölkerung fragt der 'Marburger Bund': Wann streiken Ärzte? und gibt zur Antwort: 'Wenn jeder Spatz das jahrelang bestehende Elend in den deutschen Krankenhäusern von den Dächern pfeift!' Und weiter: 'Sicher können während der Arbeitsniederlegung auch Patienten in Mitleidenschaft gezogen werden, aber ein noch größerer Schaden wäre es, die unhaltbaren Zustände in den Krankenhäusern weiter kampflos hinzunehmen!'

DIE LEITUNG DES 'MARBURGER BUNDES' VERSUCHT DER WERKTÄTIGEN BEVÖLKERUNG VORZUGAUKELN, DIE MISSTÄNDE AM KRANKENHAUS SEIEN HAUPTSÄCHLICH IN DER ÜBERLASTUNG DER KRANKENHAUSÄRZTE BEGRÜNDET.

Sie verschweigt der Bevölkerung aus gutem Grund, daß es gerade die Organisationen sind, die seit Jahrzehnten die Kämpfe fortschrittlicher Gewerkschafter und der Arbeiterklasse um Verbesserungen in den medizinischen Einrichtungen zunichte gemacht haben, die sich allesamt mit dieser Streikbewegung solidarisierten.

Der reaktionäre Hartmannbund, die schlagkräftigste Organisation der niedergelassenen Ärzteschaft erklärte sofort, 'zur Unterstützung des Streiks Mittel aus seinem Kampffonds zur Verfügung zu stellen'! Ähnlich die Chefärztevereinigung, die Bundesärztekammer usw.

ES GIBT IN DER DEUTSCHEN GESCHICHTE KEINEN ÄRZTESTREIK, DER NICHT KONTERREVOLUTIONÄR WAR!

In den Streikversammlungen wurde die Massenfeindlichkeit des Ärztestreiks trotz tarnender Parolen wie: 'Aktion Intensivpflege' deutlich: gerade die radikalen Ärzte brachten die innere Logik eines Ärztestreiks bei Fragen, ob z.B. die Entzündung einer Gallenblase so akut sei, daß sie abgewiesen oder operiert werden müsse am besten zum Ausdruck:

DER STREIK IST UMSO WIRKUNGSVOLLER, JE MEHR DIE MEDIZINISCHE VERSORGUNG ZUSAMMENBRICHT!

DIE REAKTIONÄRE EINHEIT DER 'FREIEN GESAMTÄRZTESCHAFT' IST DIE VORAUSSETZUNG FÜR DIE PROFITMACHEREI MIT DER KRANKHEIT!

Die weitere Eskalierung der Kampfmaßnahmen gerade in Westberlin, wo der Senat sich als erster zur Erfüllung der 'konkreten' Forderungen bereit erklärte, machte das Hauptziel der 'Marburger Bund'-Führung klar: In Absprache mit dem Vorstand der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung der niedergelassenen Ärzteschaft, Hauptverantwortliche der katastrophalen Zustände im Gesundheitssystem durch die Erzielung der TARIFFÄHIGKEIT des Marburger Bundes die Spaltung am Krankenhaus organisatorisch zu festigen.

Was ist die Wirklichkeit des kapitalistischen Gesundheitssystems?

WIE STEHT ES UM DIE GESUNDHEIT DER WERKTÄTIGEN BEVÖLKERUNG

Die steigende Arbeitshetze fordert wachsende Zahlen an Arbeitsunfällen, die Berufserkrankungen greifen um sich, die Krankenstände steigen an, die Rate der Frührentner schnellt in die Höhe. In der ROTEN FAHNE Nr.1 (RF - vgl. Apr. 1970,d.Vf.) nannten wir einen entsprechenden Befund einer Untersuchung der AOK Baden-Württemberg an 31 000 Versicherten (13.April 1970):

Zwei Drittel aller Werktätigen benötigen eine Krankenbehandlung, jeder Fünfte einen Sanatoriumsaufenthalt. Bei jedem Siebten wurde eine ihm unbekannte Krankheit festgestellt!

Die Analyse der beiden 'Stützen' unseres Gesundheitssystems, der auf Profitbasis arbeitenden niedergelassenen Ärzteschaft sowie der Situation in den meist durch den Staat organisierten Krankenhäusern, zeigt eine rapide Verschlechterung der medizinischen Versorgung der Werktätigen.

Da das Funktionieren der Kassenpraxis auf dem Prinzip der Abrechnung nach der Zahl von Krankenscheinen und durchgeführter ärztlicher Leistungen beruht, erzielt der niedergelassene Arzt im Allgemeinen die höchsten Profite durch eine Situation, die jeder kennt: Hoffnungslos überfüllte Wartezimmer, die farcenhafte 'Untersuchung und Behandlung' von 60 - 70 und mehr Patienten während weniger Stunden.

Um die Voraussetzungen für dieses gewinnträchtige Geschäft mit der Krankheit zu erhalten, setzt die Bundesärztekammer - wie schon die Reichsärztekammer - an den Universitäten eine scharfe Aufnahmebeschränkung (NC,d.Vf.) für Medizinstudenten durch. Hinter der 'freien Ärzteschaft' stehen vor allem die Pharmakonzerne, die mit allen Mitteln das kritiklose Verschreiben einer völlig unübersichtlichen Zahl von Medikamenten unterstützen, um so möglichst ungefährdet über Monopolpreise (mit bis zu 1 000% Gewinnspannen!!) sich gesundzustoßen.

Der Patient wird unter diesen Bedingungen in Mittel zum Scheffeln von Geld (siehe auch ROTE FAHNE Nr.5 (vgl. 22.6.1970,d.Vf.))!

Die Krankenkassen wiederum sind gezwungen, mit den Beitragsgeldern der Werktätigen zu 'wirtschaften', den immer höheren Honorarforderungen der Kassenärztlichen Vereinigungen durch kostengebundene Leistungssätze entgegenzutreten: so darf ein niedergelassener Arzt z.B. pro Vierteljahr und Krankenschein durchschnittlich nur etwa 15 DM verschreiben und wird bei höheren Ausgaben in der Regel ersatzpflichtig gemacht. Diese Kürzung seines Einkommens (Jahresdurchschnitt etwa 80 000 bis 100 000 DM!) wird der 'freie' niedergelassene Arzt mit allen Mitteln verhindern, auch fortschrittliche Praktiker müssen sich den Zwängen dieses patientenfeindlichen Systems beugen. Der Klassencharakter der ambulanten Medizin wird besonders deutlich an der geringen Arztdichte in Arbeitervierteln, verglichen mit bürgerlichen sowie an der katastrophalen Unterversorgung der Bevölkerung auf dem Land (siehe Duisburg-Bericht (vgl. Thyssen Duisburg, IGM-Bereich - Sept. 1971,d.Vf.)).

Zum Beispiel gab es noch Anfang 1952 in Westberlin 125 Polikliniken, die sich steigender Beliebtheit erfreuten, da den Patienten dort auf Kassenscheine die gesamten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der Krankenhäuser (mit einheitlich geprüftem Medikamenten-Sortiment!) zur Verfügung standen, die eine sinnvolle ambulante Versorgung sicherstellten. Die niedergelassene Ärzteschaft sah mit Recht die Zeichen ihres 'privatwirtschaftlichen' Untergangs und erreichte durch Drohungen und geschickte Zusammenarbeit mit dem SPD-Senat auf der Grundlage eines Urteils der Klassenjustiz (vgl. S8.*.1952,d.Vf.) die Schließung der Polikliniken.

DER HEMMUNGSLOSEN PROFITMACHEREI AUF OSTEN UNSERER GESUNDHEIT UND LEBENSKRAFT MÜSSEN WIR ENTGEGENTRETEN MIT DEM KAMPF ZUR BRECHUNG DES MONOPOLS DER NIEDERGELASSENEN ÄRZTESCHAFT AN AMBULANTER MEDIZIN: WIEDERERÖFFNUNG UND AUFBAU STAATLICHER POLIKLINIKEN!

Im stationären Bereich der medizinischen Versorgung betreibt der kapitalistische Staatsapparat systematisch den Abbau der Leistungen! Angesichts der jetzt verstärkt einsetzenden Rezession in der BRD und Westberlin, deren untrügliche Zeichen Kurzarbeit, Entlassungen und verstärkte Arbeitshetze sind, betreibt die Brandt-Regierung überall die Senkung der Ausgaben für die Werktätigen, um den Kapitalisten mit den 'freibekommenen' Steuergelder neue gewinnversprechende Investitionsanreize zu bieten: Neben den Preiserhöhungen überall im öffentlichen Dienst werden planmäßig Beitragserhöhungen der 'sozialen' Versicherungen durchgesetzt: Arbeitslosen- (siehe ROTE FAHNE Nr.26 (vgl. 10.9.1971,d.Vf.)), Renten- und Krankenversicherungen.

VOR ALLEM ABER SETZT DIE SPD-REGIERUNG TROTZ DER KATASTROPHALEN ENTWICKLUNG DES KRANKENSTANDES DER WERKTÄTIGEN DIE KOSTEN AM KRANKENHAUS HERUNTER!

Auf der Liste der planmäßigen Verknappung von Akutbetten durch Krankenhausabrisse und vor allem den verzögerten Bau neuer Krankenhäuser, wird das Angebot an Akutbetten so gering gehalten, daß die einweisenden Kassenärzte nur noch schwerkranke, völlig unzureichend versorgte Patienten einweisen.

DURCH DIESEN KAMPF DER PATIENTEN UM BETTEN WIRD 'AUTOMATISCH' EINE LIEGEDAUERVERKÜRZUNG DURCH DRUCK AUF DIE STATIONEN ERZWUNGEN: DIE FOLGEN
DIESER HÖHEREN KRANKENBEWEGUNG TRÄGT ALLEIN DAS PERSONAL: SCHNELLERER
BETTENWECHSEL BEI TENDENZIELL IMMER SCHWERER KRANKEN PATIENTEN, DIE
SORGFÄLTIG BEHANDELT SEIN SOLLEN!

Zugleich ist eine riesige Zahl von Planstellen (Schätzungen gehen bis 50 000!!) unbesetzt. Da die Bundesregierung zudem die Kosten für die Ausbildung der Pflegekräfte z.B. durch die Schaffung neuer 'billigerer' Schichten wie die Pflegehelferinnen und den Import koreanischer Krankenschwestern senkt, gibt sich der Staat selbst die Mittel verstärkter Spaltung einer einheitlichen Kampffront aller Werktätigen am Krankenhaus in die Hand. So sind selbst die besetzten Planstellen von immer weniger qualifizierten Kräften eingenommen: - in den Labors arbeiten immer weniger vollausgebildete medizinisch-technische Assistentinnen (MTA,d.Vf.), die diagnostischen Möglichkeiten werden eingeschränkt. - immer öfter müssen Pflegehelferinnen und Schülerinnen vollverantwortlich im Nachtdienst einspringen. - ärztliche Unterbesetzung der Stationen.

DIE ZUNEHMENDE MENSCHENFEINDLICHKEIT DES KAPITALISMUS, FÄULNIS UND PARASITENTUM SEINER HERRSCHENDEN KLASSEN UND SEINES STAATSAPPARATES WIRD DURCH DIESE TATSACHEN SCHLAGEND BEWIESEN.

Diese durch die Sparmaßnahmen des Staates hervorgerufene Verschärfung der Widersprüche am Krankenhaus ließ auch den Gegensatz zwischen großen Teilen der Assistenzärzteschaft und den Chefärzten offenbarer werden, die vor allem einen Abbau ihrer Privilegien in Form der Privatstationen, ihrer fast unumschränkten ärztlichen Machtfülle sowie der Möglichkeit, eine Praxis nebenher zu führen, befürchten mußten. Vor allem jedoch die niedergelassene Ärzteschaft, die Hauptbastion der nach Profitkriterien organisierten, massenfeindlichen medizinischen 'Versorgung' sah mit Schrecken die drohenden Zeichen ihres Untergangs, das Zerbrechen der vielbeschworenen Einheit des Ärztestandes: die Verbindung der fortschrittlichen Teile der Ärzteschaft mit allen Werktätigen am Krankenhaus in einer einheitlichen Kampffront mit dem Ziel, den Kampf gegen die Mißstände und den Klassencharakter zugleich mit der Forderung nach Wiedereröffnung und planmäßigem Neubau staatlicher Polikliniken zu führen!

DIE FÜHRUNG DES MARBURGER BUNDES KÄMPFT FÜR DIE ERHALTUNG DER REAKTIONÄREN EINHEIT DES ÄRZTESTANDES, FÜR DIE SPALTUNG EINER FORTSCHRITTLICHEN KAMPFFRONT AM KRANKENHAUS!"

Berichtet wird aus Berlin über die Haltung der SEW (vgl. 3.9.1971, 12.9.1971) und fortgefahren:"
Einzig die ÖTV gab auf den Druck ihrer Mitglieder die Erklärung ab, daß der Streik spalterisch sei und sicher nicht dem Patienten nütze. Die ÖTV-Spitze hat jedoch bisher nichts unversucht gelassen, die fortschrittlichen Forderungen der Gewerkschafter nach Errichtung staatlicher Polikliniken und Abschaffung der Privatstationen am Krankenhaus zu unterlaufen und zu sabotieren: Vielmehr hat die ÖTV-Spitze das hochentwickelte Spaltungssystem von 120 Lohnabstufungen am Krankenhaus durchzusetzen!

DIE KPD WIRD ALLEN SPALTUNGSMANÖVERN DER BOURGEOISIE DIE EINHEITLICHE KAMPFFRONT ALLER WERKTÄTIGEN UNTER FÜHRUNG DES PROLETARIATS ENTGEGENSTELLEN. DIE KATASTROPHALEN ZUSTÄNDE AM KRANKENHAUS WERDEN NUR DANN VERÄNDERT WERDEN, WENN KRANKENSCHWESTERN, PFLEGER, MEDIZINISCH-TECHNISCHE ASSISTENTINNEN MIT DEM FORTSCHRITTLICHEN TEIL DER ÄRZTE IM BÜNDNIS MIT DEN ÜBRIGEN WERKTÄTIGEN DEN KAMPF UM GRUNDLEGENDE VERBESSERUNGEN DER MEDIZINISCHEN VERSORGUNG AUFNEHMEN. AUF DER RGUNDLAGE DES AKTIONSPROGRAMMES (ROTE FAHNE NR.21 (vgl. 7.7.1971,d.Vf.) KÄMPFT DIE KPD FÜR FOLGENDE FORDERUNGEN:

- PLANMÄSSIGER BAU VON POLIKLINIKEN FÜR DIE WERKTÄTIGEN,
- ABSCHAFFUNG DER KLASSEN- UND PRIVATSTATIONEN IN DEN KRANKENHÄUSERN,
- ERSTKLASSIGE BEHANDLUNG FÜR ALLE WERKTÄTIGEN,
- AUSREICHEND AUSBILDUNG ALLER MEDIZINISCHEN FACHKRÄFTE,
- KAMPF DEM PERSONALMANGEL,
- DURCHSETZUNG DES BETTENSCHLÜSSELS."

Später (vgl. 5.11.1971) befaßt sich die KPD auch mit den Äußerungen der KPD/ML-NE und der KPD/ML-ZK zu diesem Thema.
Q: Rotes Signal Nr. 9, Tübingen Okt. 1971,S. 6; Rote Fahne Nr. 27, Berlin 8.10.1971, S. 8f

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13.09.1971:
Die KPD (vgl. 8.10.1971) berichtet anläßlich des Krankenhausärztestreiks (ÖTV-Bereich - vgl. 13.9.1971) vermutlich aus dieser Woche, es "wurde im Urban-Krankenhaus im Westberliner Arbeiterbezirk (Kreuzberg,d.Vf.) ein Krankenpfleger aus einer Streikversammlung gewiesen mit der Bemerkung: 'Dies hier geht nur die Ärzte etwas an, wenn wir euch brauchen, holen wir euch schon!'"
Q: Rote Fahne Nr. 27, Berlin 8.10.1971,S. 8

13.09.1971:
Die Berliner Proletarische Linke / Parteiinitiative (PL/PI - vgl. 19.9.1971) berichtet vom Krankenhausärztestreik (vgl. 12.9.1971) über die heutige Demonstration von 200 Ärzten in Wuppertal.
Q: Klassenkampf Nachrichtendienst Nr. 4, Berlin 19.9.1971, S. 2

Oktober 1971:
In Berlin erscheint die 'Sozialistische Krankenhaus Presse' - herausgegeben von medizinischen Arbeitern der Berliner Krankenanstalten Nr. 9 für Oktober (vgl. Juli 1971, Nov. 1971) mit den Artikeln "Ärztestreik" und "Aus den Krankenhäusern" mit dem Bericht "Zwei Versammlungen von Ärzten und Schwestern im Krankenhaus am Mariendorfer Weg".
Q: Sozialistische Krankenhaus Presse Nr. 9, Berlin Okt. 1971, S. 12ff

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11.10.1971:
Die Nr. 11 des 'Roten Morgens' (vgl. 27.9.1971, 25.10.1971) berichtet u.a. über die Entwicklung der Bewegung im Berliner Gesundheitswesen (vgl. 13.11.1969, 20.1.1970, 14.3.1970, 24.9.1970, 17.12.1970, 30.7.1971) sowie über dieses selbst. Über die Haltung der KPD/ML-ZK zum bundesweiten Ärztestreik berichtet auch die KPD (vgl. 5.11.1971).

Von der Redaktionssitzung für diese Nummer berichtet der Landespresseverantwortliche NRW (vgl. 27.9.1971, 25.10.1971):"
ÄRZTESTREIK. Von J (Wb) vorgelegt, von mir geringfügig überarbeitet. Dieser Artikel war nicht als Aufmacher von uns gedacht. E war während dieser Sitzung jedoch nur kurzfristig anwesend. Wir hatten jedoch einen Seitenplan aufgestellt, wo der Artikel zum Bundesgrenzschutz für die Titelseite vorgesehen war.
Q: KPD/ML-ZK-LPV NRW: Bericht des LPV NRW (K) und RM-Redkoll-Mitglied über seine Tätigkeit im RM-Redkoll von Dezember 1970 bis November 1971, o. O. o. J., S. 11f; Roter Morgen Nr. 11, Hamburg 11.10.1971, S. 1ff

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20.10.1971:
Die erste Nummer der Regionalzeitung des KSV für Berlin, 'Dem Volke dienen' (DVD - vgl. Nov. 1971) erscheint vermutlich heute als Zeitung für die Hoch- und Fachhochschulen in Westberlin.

Den Ärztestreik des Marburger Bundes in der 'BRD' und Berlin findet man reaktionär, weil dadurch keine einheitliche Kampffront am Krankenhaus aufgebaut wird. Das ist eher was für die SEW und deren Aktionsgemeinschaft demokratischer und sozialistischer Mediziner (ADSMed) an der FU. Man selbst tritt ein für Polikliniken.
Q: Dem Volke dienen Nr. 1, Berlin Okt. 1971

26.10.1971:
Der AStA der FAU Erlangen-Nürnberg gibt seine 'Faust-Informationen' Nr. 11/12 (vgl. 7.7.1971, 19.1.1972) heraus. Berichtet wird auch über den Ärztestreik.
Q: Faust-Informationen Nr. 11/12, Erlangen 26.10.1971, S. 2

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05.11.1971:
Die KPD (vgl. 5.11.1971) berichtet heute über den Ärzte-Streik (vgl. Sept. 1971):"
OPPORTUNISTISCHE ANSICHTEN ZUM ÄRZTESTREIK

Die letzten Publikationen zweier Linien der KPD/ML beschäftigten sich mit dem Thema Ärztestreik und kommen zu einem identischen Ergebnis. Die KPD/ML-Roter Morgen (KPD/ML-ZK - vgl. 11.10.1971,d.Vf.) berichtet kaum weniger zustimmend über den Verlauf des Ärztestreiks als beispielsweise die Illustrierte Jasmin oder die bürgerliche Wochenzeitung 'Die Zeit'.

Sie begrüßt, daß die Mehrzahl der Westberliner die Notwendigkeit dieses Streiks eingesehen hat und nimmt die streikenden Ärzte gegen den Vorwurf in Schutz, daß es irgendwo zur Gefährdung des Lebens von Patienten gekommen sei. Geradezu tragikomisch hört sich die Einschätzung der Gruppe 'neue Einheit' an (Rev. Stimme, Sonder-Nummer 2 ('Revolutionäre Stimme' der Berliner KPD/ML-NE - vgl. Sept. 1971,d.Vf.)).

Auf der Grundlage der moralisierenden Wissenschaftskritik der Studentenbewegung entlarvt diese Gruppe die bürgerliche Medizin als 'unwissenschaftliches Gebräu von Schneiden, Brennen und Vergiften' und fordert am Beispiel eines krebserkrankten Mathematikstudenten dazu auf, sich durch individuelle Auflehnung und Verweigerung den abenteuerlichen Behandlungsmethoden eines westberliner Röntgen-Chefarztes erfolgreich zu entziehen. Die Gruppe 'neue Einheit', die die wortradikalen Phrasen des Marburger Bundes 'Für ein gesundes Krankenhaus' für bare Münze hält, begrüßt die fortschrittliche Bewegung unter den Ärzten. Wehklagend merkt sie an, daß die Assistenzärzte es nicht zulassen, daß 'Chefärzte, Professoren und ihr reaktionärer Anhang an der Spitze der Bewegung stehen.' Die KPD/ML Roter Morgen betet die Forderungen der westberliner Ärztedemonstration nach, sie zeigt sich außer Stande, die Widersprüche im Gesundheitswesen zu untersuchen, die zentralen Abwehrforderungen zu propagieren, den fortschrittlichen Kräften am Krankenhaus eine Kampfperspektive zu weisen.

Demgegenüber hat die KPD auf der Grundlage einer materialistischen Bestimmung der Entwicklung im Gesundheitswesen nachgewiesen, daß die Führung des Marburger Bundes, die von Anfang an die 'Bewegung' organisatorisch zu kontrollieren vermochte, unter radikalen Phrasen für die Erhaltung der reaktionären Einheit des Ärztestandes kämpfte, daß sie gegen die Errichtung einer fortschrittlichen Kampffront am Krankenhaus Stellung nahm.

Die Linien der KPD/ML zeigen sich unfähig, eine 'konkrete Situation konkret zu analysieren', sie sind nicht in der Lage, nach den Prinzipien der marxistisch-leninistischen Untersuchungsmethode vorzugehen. Deshalb können sie auch nicht die Bündnisschichten des Proletariats in richtiger Weise als Reservoir der proletarischen Revolution bestimmen.

Solche Gruppen werden schon vom spontanen Ärztestreik fortgerissen. Nach der altbewährten Linie der Opportunisten bleibt ihre Devise: 'Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts!'"
Q: Rote Fahne Nr. 29, Berlin 5.11.1971, S. 10

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22.02.1972:
In Berlin erscheint erstmals die 'Kommunistische Presse' (KP) der Zelle Rudolf- Virchow-Krankenhaus (RVK) der KPD "für die Werktätigen des Rudolf-Virchow-Krankenhauses". Die KPD (vgl. 25.2.1972) berichtet u.a.:"
Wichtigste nächste Aufgabe der Zelle RVK wird die Errichtung eines KAMPFPROGRAMMS am Krankenhaus sein, das sich auf das Aktionsprogramm der KPD und die in der Analyse des Ärztestreiks entwickelten Forderungen stützt:
PLANMÄSSIGER BAU VON POLIKLINIKEN FÜR DIE WERKTÄTIGEN!
ABSCHAFFUNG DER KLASSEN- UND PRIVATSTATIONEN IN DEN KRANKENHÄUSERN!
ERSTKLASSIGE BEHANDLUNG FÜR ALLE WERKTÄTIGEN!
AUSREICHENDE AUSBILDUNG ALLER MEDIZINISCHEN FACHKRÄFTE!
KAMPF DEM PERSONALMANGEL!
DURCHSETZUNG DES BETTENSCHLÜSSELS!

Der reaktionäre Ärztestreik hat gerade auch in unserem Krankenhaus gezeigt, daß fortschrittliche Kräfte immer Opfer reaktionärer Bewegungen werden - in diesem Fall der Einheit der 'freien Gesamtärzteschaft' als privilegiertem Stand -, wenn sie nicht in allen Klassenkämpfen die Führung der Arbeiterklasse anerkennen."
Q: Rote Fahne Nr. 37, 38 und 44, Berlin bzw. Dortmund 25.2.1972, 10.3.1972 bzw. 25.4.1972, S. 7, S. 2 bzw. S. 4

29.05.1972:
An der Universität Göttingen gibt die Zelle Medizin des KSB die Nr.1 ihrer Zeitung 'Rote Diagnose' (vgl. 15.6.1972) heraus, man äußert sich auch "Zur Standespolitik" des Marburger Bund und zum Ärztestreik.
Q: Rote Diagnose Nr. 1, Göttingen 29.5.1972, S. 4

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28.03.1973:
Die KPD befaßt sich heute mit der KPD/ML-ZK:"
ZUM 'BÜNDNISANGEBOT' DER KPD/ML-ROTER MORGEN:

Ein Grundprinzip des Marxismus-Leninismus lautet: Konkrete Analyse einer konkreten Situation. Die Nichtanwendung dieses Prinzips durch die KPD/ML, der Mangel an Untersuchungen führt entweder zu Fehleinschätzungen (wie dies zum Beispiel beim Ärztestreik … krass der Fall war)"
Q: Rote Fahne Nr. 13, Dortmund 28.3.1973, S. 7

Letzte Änderung: 11.09.2019

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