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Hier werden ausschließlich zentrale öffentliche Dokumente der IGBE selbst sowie der DKP vorgestellt.
Neben der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE), heute Teil der IGBCE, tritt allein die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) auf.
Hier wird nur über den IGBE-Gewerkschaftstag 1969 in Dortmund berichtet, auf dem Adolf Schmidt als Nachfolger Walter Arendts, der Arbeitsminister der SPD/FDP-Regierung wird, zum ersten Vorsitzenden der IGBE gewählt wird. Karl van Berk, der zweite Vorsitzende, der mit vergleichsweise geringer Stimmenzahl gewählt wurde, schlägt angesichts der Ruhrkohle AG (RAG) radikale Töne an. Eventuell wird hier deutlich, warum viele Delegierte ihm das Votum verweigerten. Er mag ihnen als zu 'links' gegolten haben, obwohl er sich von den verbrecherischen Septemberstreiks 1969, die ja auch im Bergbau grassierten, durchaus vehement distanziert, diese teils flächendeckenden Ausbrüche von bewusstem offenem Gesetzesbruch und damit also virulenter epidemischer Massenkriminalität wohl vor allem der DKP in die Schuhe schiebt. Die DKP, die vermutlich eine fundamental andere Sichtweise auf die Septemberstreiks 1969 hat, fühlt sich so dem ersten Vorsitzenden, Adolf Schmidt, eher verbunden als Karl van Berk, fordert energisch ihre Anerkennung als etablierter politischer Faktor innerhalb der organisierten Bergarbeiterschaft.
14.11.1969:
Am 16.10.1969 wurde vom Vorstand der IGBE für den 14.11.1969 zum Gewerkschaftstag 1969 (vgl. 23.6.1968, 10.4.1970) nach Dortmund (Kleine Westfalenhalle) eingeladen. Die Tagesordnung soll sein:
- Eröffnung und Begrüßung,
- Diskussion des Geschäftsberichtes des Hauptvorstandes,
- Diskussion,
- Wahlen,
- Nachwahl des 2.Vorsitzenden,
- Nachwahl für den Geschäftsführenden Vorstand,
- Nachwahl von ehrenamtlichen Mitgliedern des Hauptvorstandes,
- Nachwahl zu den Kommissionen nach Paragraph 18 Ziffer 12f der Satzung.
Laut IGBE vom 1.11.1969 stehen folgende Delegierte für die Spitzenfunktionen bereit:"
Für den 1.Vorsitzenden Adolf Schmidt; für den 2.Vorsitzenden Karl van Berk und als weitere Geschäftsführende Vorstandsmitglieder Werner Meyer und Helmut Gelhorn. Dabei legt der Hauptvorstand der IG Bergbau und Energie Wert auf die Feststellung, daß es sich bei den genannten Namen lediglich um Vorschläge handelt. 'Die 300 Delegierten des Gewerkschaftstages', so heißt es in der Stellungnahme des Hauptvorstandes, 'treffen allein die Entscheidung über die Neubesetzung des Geschäftsführenden Vorstandes'."
Die IGBE berichtet am 1.12.1969 selbst:"
Die Veranstaltung steht, laut IGBE vom 1.12.1969, unter dem Motto: 'Die Runde 80 - 1889 - 1969 IG Bergbau und Energie'. Weiter heißt es:"
Die 300 Delegierten hatten den 1.Vorsitzenden, den 2.Vorsitzenden und zwei Geschäftsführende Vorstandsmitglieder neu zu wählen. Dazu kam eine lebhafte Diskussion über Tagesfragen: Ruhrkohle AG (RAG,d.Vf.) und Tarifpolitik. Die Delegierten machten es sich dabei nicht leicht, und der Vorstand hatte es nicht leicht. Dennoch brachte der Gewerkschaftstag Klarheit in der Führung und Klärung in strittigen Fragen. Das Beratungsergebnis dieses Gewerkschaftstages ist zufriedenstellend. Der überraschend notwendig gewordene Führungswechsel in der Organisation vollzog sich ohne spektakuläres Geräusch. Adolf Schmidt folgt Walter Arendt nach als Vorsitzender. Zwei erfahrene Männer stehen damit an der Organisationsspitze. Helmut Gelhorn und Heinz-Werner Meyer rückten in den Geschäftsführenden Vorstand nach. Damit ist der IGBE Vorstand nach dem Ausscheiden von Walter Arendt und Heinz O. Vetter wieder komplett.
In der Diskussion des Geschäftsberichtes des Vorstandes – Berichterstattung Karl van Berk - wurde viel von unterschiedlichen Positionen aus diskutiert. Was der eine als gut ansah, fand keine Gnade vor den Augen des anderen. Das führte zu einem lebhaften Meinungsaustausch auf dem Gewerkschaftstag und zur Formulierung neuer Ziele, die in den nächsten Jahren anvisiert werden sollen. Urlaub, Lohnordnung, Laufzeiten der Tarifverträge, Vertrauensleute, freie Arztwahl u.a.m. spielen dabei eine entscheidende Rolle.
In seinem Schlußwort auf dem Gewerkschaftstag ließ der neugewählte Vorsitzende Adolf Schmidt keinen Zweifel, wie er seine neue Aufgabe anpacken wird: Mit Entschlossenheit die Organisationsstruktur der IGBE verbessern, damit sich jedes Mitglied geschützt und sicher fühlen kann. Und dazu keine Verschleierung der nach wie vor bestehenden Gegensätze zwischen der Ruhrkohle AG und der IG Bergbau und Energie. Adolf Schmidt sprach ein offenes Wort. Die Delegierten verstanden ihn. Der Beifall bewies es. Der Gewerkschaftstag '69 war eine erfolgreiche Arbeitstagung.
Die Delegierten haben entschieden.
Der Geschäftsführende Vorstand der IG Bergbau und Energie ist wieder vollständig. Die IG Bergbau und Energie hat einen neuen Vorsitzenden. Auch die verwaiste Position des 2.Vorsitzenden ist neu besetzt.
Neuer 1.Vorsitzender der IG Bergbau und Energie ist Adolf Schmidt. Er wurde von den Delegierten mit 254 Stimmen bei 36 Enthaltungen gewählt. Karl van Berk wählten die Delegierten mit 181 Stimmen zum 2.Vorsitzenden. Die neuen Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstandes heißen Helmut Gelhorn und Heinz-Werner Meyer. Sie wurden von den Delegierten mit großer Mehrheit gewählt. Von 293 gültigen Stimmen erhielt Helmut Gelhorn 252 und Heinz-Werner Meyer 211 Stimmen. Der Geschäftsführende Vorstand der IG Bergbau und Energie ist nun wieder komplett. Er wird voller Energie an die Lösung der anstehenden Aufgaben gehen. Die gewählten Kollegen werden in ihrem neuen Aufgabenbereich alle Kraft zum Wohle der Arbeitnehmer im Bergbau einsetzen, um das Vertrauen der Delegierten zu rechtfertigen."
Den Geschäftsbericht des Vorstandes gibt Karl van Berk, als Ehrengast spricht Walter Arendt zu den Delegierten, Adolf Schmidt hält die Fest- und die Abschlußansprache, Ehrengast der Veranstaltung ist auch Dr. Gustav Heinemann (SPD,d.Vf.). Weitere Ehrengäste sind: Heinz Oskar Vetter (DGB Vorsitzender), Heinrich Sondermann (SPD, OB der Stadt Dortmund), Heinrich Guthermut, Hans Katzer (CDU, Bundesarbeitsminister a.D.), Rudi Nickels und Werner Figgen (SPD, Arbeitsminister von NRW).
Zur Festveranstaltung nach Dortmund sollten ca. 10 000 Kollegen aus allen Teilen der BRD gekommen sein.
Die DKP kündigte an:"
WIRD ADOLF SCHMIDT ARENDT-NACHFOLGER?
Am 14.November findet in der Dortmunder Westfalenhalle der Gewerkschaftstag 1969 der IG Bergbau und Energie statt. Er wird sich dem Vernehmen nach ausgiebig mit dem letzten Tarifabschluß beschäftigen und die Wahl des Nachfolgers von Walter Arendt zum Vorsitzenden der IGBE vornehmen. Der Hauptvorstand der Gewerkschaft schlägt den Kongreß-Delegierten Adolf Schmidt als Vorsitzenden und Karl van Berk als zweiten Vorsitzenden vor. Durch das Überwechseln von H. O. Vetter auf den DGB-Vorsitz und die Berufung Arendts zum Arbeitsminister wurden diese Positionen frei."
Die DKP berichtet später:"
Die 298 Delegierten des Gewerkschaftstages der IG Bergbau und Energie wählten mit 256 Stimmen (bei 30 Enthaltungen) Adolf Schmidt (...) zum neuen Vorsitzenden. 2. Vorsitzender wurde mit der bemerkenswert niedrigen Stimmenzahl von 181 (bei 70 Enthaltungen) Karl van Berk".
Erich Rupp berichtet für die DKP:"
GEWERKSCHAFTSTAG: NEUER VORSTAND NEUE AUFGABEN - IG BERGBAU UND ENERGIE TAGTE IN DORTMUND
Der diesjährige Gewerkschaftstag der IG Bergbau und Energie hatte gleich eine komplette neue Führungsspitze zu wählen, nachdem Walter Arendt Bundesminister wurde und sein Stellvertreter Heinz Vetter zum DGB-Vorsitzenden gewählt worden war. Doch im Mittelpunkt der Beratungen standen andere Probleme.
Drei Fragen beherrschten die Diskussion des Gewerkschaftstages, der in jener Stadt tagte, wo vor 80 Jahren die Bergarbeitergewerkschaft gegründet wurde, in Dortmund. Das war einmal das Lohnproblem, zum anderen die Haltung gegenüber der Ruhrkohle AG (RAG in NRW,d.Vf.) und drittens die Stellung der Gewerkschaft zu den Septemberstreiks im Saarbergbau und auf einigen Dortmunder Zechen.
UNRUHE ÜBER LÖHNE
Kaum ein Diskussionsredner, der nicht auf die explosive Stimmung der Bergleute wegen der ungenügenden Löhne hingewiesen hätte. So sprach sich der Delegierte H. Marmulla für eine expansive Lohnpolitik aus. Die Gelegenheit sei beim gegenwärtigen Arbeitskräftebedarf 'so günstig wie nie'. W. Weber wies darauf hin, daß auch die heutige Absatzlage bei den bevorstehenden Tarifverhandlungen einen 'kräftigen Schluck aus der Pulle' ermögliche.
Es krisele in den Belegschaften, berichtete P. Zöls, man könne nicht einfach sagen, es sei nicht mehr drin. Es könne wieder 'knallen, wie schon einmal'. Und der Delegierte Tresemann warnte, wenn es nicht gelinge, den Wirtschaftszuwachs der Hochkonjunktur auch bei der Erhöhung der Löhne und Gehälter zum Ausdruck zu bringen, dann werde sich 'die Unruhe des September auf den Januar 1970 verlagern'.
Sofortige Kündigung des Lohntarifs und erhebliche Verbesserungen, 'wenn nötig mit Urabstimmung und Streik', forderte J. Cwiklinski. Damit unterstützte er einen in die gleiche Richtung zielenden Initiativantrag, der von einem Fünftel der Delegierten unterschrieben wurde. Nachdem der neugewählte zweite Vorsitzende Karl van Berk erklärt hatte, im September erst sei 'der beste Tarifvertrag in der Geschichte der IG Bergbau und Energie' abgeschlossen worden, die Zeit sei noch nicht reif, nun schon Anfang nächsten Jahres wiederum in eine neue Lohnbewegung einzutreten, wurde dieser Antrag zwar abgelehnt, fand aber immerhin die Zustimmung von gut einem Drittel der Delegierten. Von diesen (?,d.Vf.) wurde die Auffassung vertreten, der Septemberabschluß habe nur einen Teil des Nachholbedarfs gedeckt. Um die Spitzenstellung in der Lohnskala zu erringen und die gegenwärtige Preiswelle aufzufangen, sei eine neue Lohnbewegung dringend geboten.
VAN BERK: ENTEIGNEN
Mit der endgültigen Arbeitsaufnahme der Ruhrkohle AG ist bei einer Beschäftigtenzahl von rund 200 000 und einem Umsatz von ca. sechs Milliarden Mark ein 'privatkapitalistischer Superkonzern' - so der Delegierte M. Sokolof - entstanden, dessen Gewicht gegenüber den Bergleuten ungleich größer ist, als das der 26 ehemaligen Ruhrkohlengesellschaften. Im Gegensatz zur offiziellen Schönfärberei, mit der Einheitsgesellschaft seien alle Kohleprobleme gelöst, im Gegensatz auch zum Überschwang des IGBE-Hauptvorstandes, wurde die Aussprache des Gewerkschaftstages geprägt von einer nüchternen Einschätzung des neuen Großkonzerns.
Mehr Abstand von der Ruhrkohle AG zu halten, forderte auch H. Marmulla. Skeptisch äußerte er sich über die Mitbestimmungsmöglichkeiten der betrieblichen Personal- und Sozial-Direktoren, deren Einführung der IGBE-HV als großen Erfolg herausgestellt hat. Marmulla: Viele Betriebsräte hätten heute schon faktisch mehr Rechte, als juristisch der P-u.S-Direktor vorgegeben bekomme.
Es habe oft so ausgesehen, als seien Ruhrkohle AG und IGBE ein und dasselbe, kritisierte A. Moravec. Es müsse wieder klar werden, daß die IGBE die Interessenvertreterin der Belegschaften sei. Ihre Rolle als Kampforganisation müsse zurückgewonnen werden.
Unter dem Eindruck dieser Diskussion erklärte Karl van Berk, seiner Meinung nach hätte man den Bergbau entschädigungslos enteignen sollen. Aber die politischen Verhältnisse ließen das nicht zu. Dafür erhielt er großen Beifall.
PFIFFE UND PFUIRUFE
Empörte Pfiffe und Pfuirufe erntete van Berk dagegen für seine Bemerkung im Schlußwort, nach wie vor sei er der Meinung, die Septemberstreiks an der Saar und in Dortmund seien 'organisierte Aktionen' gewesen. Damit knüpfte er an die unsinnige Behauptung der IGBE-Zeitung EINHEIT an, die spontanen Arbeitsniederlegungen seien von kommunistischen Drahtziehern organisiert worden.
Schon die Diskussion hätte Karl van Berk eines Besseren belehren sollen. Zahlreiche Redner wiesen darauf hin, daß die Streiks ihre Ursache in der Unzufriedenheit der Belegschaften hatten. Der Delegierte Freise: Das Vertrauen zur Gewerkschaft sei das eine, die Hartnäckigkeit der Unternehmer das andere. Freise forderte einen stärkeren Informationsfluß vom HV bis zur Mitgliedschaft. Auch H. Mahr wies die zu primitive Konstruktion des HV zurück. Der Streik sei einfach eine 'Retourkutsche' für die zu lange Laufzeit des alten Tarifvertrags gewesen.
Mit dem 'Kommunistenschreck' habe sich die IGBE einfach lächerlich gemacht, sagte M. Sokolof. Man solle nicht falsche Schuldige suchen. Wenn darauf verwiesen würde, daß die DKP im Streik Flugblätter verteilt habe, dann sei das kein Argument. Schließlich sei es das legitime Recht einer Arbeiterpartei, in einer so wichtigen Frage Stellung zu beziehen. Den anderen Parteien habe das ja auch freigestanden. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn die Kommunisten geschwiegen hätten. Eine wesentlich realistischere Einschätzung als Karl van Berk gab der neue IGBE-Vorsitzende Adolf Schmidt in einem Zeitungsgespräch. 'Das sagen wir nicht, daß wir unschuldig sind und die Kommunisten schuldig', erklärte er. Da den Gewerkschaftsmitgliedern die Absicht der IGBE bekannt gewesen sei, möglichst rasch mit den Arbeitgebern zu verhandeln, hätten viele die Arbeit in dem Glauben niedergelegt, 'damit die Gewerkschaft zu stärken'. Schmidt kündigte eine Überprüfung an, ob der Informationsfluß 'von vor Ort bis in den Hauptvorstand' intakt sei.
Die neugewählte IGBE-Spitze steht vor keinen leichten Aufgaben. Die wachsende Lohnunruhe in den Zechen erfordert eine aktive Tarifpolitik. Die Ernüchterung über die hochgejubelte Ruhrkohle AG wird mit den Erfahrungen über diesen Superkonzerne wachsen und eine stärkere Distanzierung erfordern. Eine stärkere Orientierung auf die Betriebe ist erforderlich. Der vor Jahren vollzogene Rückzug auf die Ortsgruppen hat weniger den Kommunisten geschadet - wie gewollt - als der Gewerkschaft selbst. Wenn der diesjährige Gewerkschaftstag zu der Erkenntnis beigetragen hätte, daß Antikommunismus sich letztendlich immer gegen die Arbeitnehmer und ihre Organisationen auswirkt, dann wäre die IGBE schon einen großen Schritt weitergekommen."
=Einheit Nr.20, 21, und 23,Bochum 16.10.1969, 1.11.1969 bzw. 1.12.1969,S.*,S.* bzw. S.1;
Unsere Zeit Nr.32 und 35,Essen 6.11.1969 bzw. 27.11.1969,S.7 bzw. S.7
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