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Hier werden ausschließlich zentrale öffentliche Dokumente der IGBE selbst sowie der DKP vorgestellt.
Neben der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE), heute Teil der IGBCE, tritt allein die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) auf.
Hier wird nur über den IGBE-Gewerkschaftstag 1970 in Duisburg berichtet, auf dem vor allem über die Forderungen für die Bergbautarifrunde (BETR) 1970 im Ruhrsteinkohlebergbau sowie über die Erfahrungen mit der Ruhrkohle AG (RAG) diskutiert wird.
10.04.1970:
Die DKP kündigte an (vgl. 14.11.1969, 30.9.1971):"
GEWERKSCHAFTSTAG
Am 10.April dieses Jahres wird der Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie in Duisburg stattfinden." U.a. werden die Forderungen für die Tarifrunde im Ruhrbergbau (BETR) in Höhe von u.a. 8,5% und 75% eines Monatslohnes als Weihnachtsgeld festgelegt werden.
Für die DKP berichtet E. R.:"
8,5 PROZENT BESCHLOSSEN, ABER: KEIN SPIELRAUM NACH UNTEN
DISKUSSIONSERGEBNIS DES IGBE-GEWERKSCHAFTSTAGES
Die wachsende Unruhe unter den Zechenbelegschaften über die Lohnsituation fand ihr Echo. In Duisburg stand der Gewerkschaftstag 1970 der IG Bergbau und Energie ganz im Zeichen der zum 30.April gekündigten Tarife in der Steinkohle (BETR,d.Vf.). Grundtenor der Diskussion: Von der Mindestforderung 8,5 Prozent dürfen keine Abstriche gemacht werden.
Am deutlichsten widerspiegelte der Initiativantrag des Essener Zechenbetriebsrates Manfred Sokolof die Stimmung der 'Kumpel vor Ort'. Versehen mit weiteren 68 Unterschriften forderte er eine Lohnerhöhung von mindestens zehn Prozent. Zwar wurde dieser Antrag gegen rund ein Drittel der anwesenden 297 Delegierten nach massivem Einsatz des Hauptvorstandes - der Leiter der Tarifabteilung, Gelhorn, war auch gleichzeitig Sprecher der Antragskommission - abgelehnt, aber die Diskussion um den 'Initiativantrag Nr.1' hat zweifellos den Verhandlungsspielraum 'nach unten' für den HV wesentlich eingeschränkt. Betriebsrat Helmut Marmulla aus Recklinghausen: Man solle es bei der 8,5-Prozent-Forderung belassen, diese aber 'notfalls bis zum Streik' durchsetzen. Der Delegierte Hans Angerlechner aus dem Aachener Revier: Wenn 8,5 Prozent verlangt werden, müsse am Ende auch 8,5 Prozent herauskommen, damit 'die Kollegen nicht wieder von der Barrikade heruntergeholt werden müssen'.
Sichtlich unangenehm war es dem zweiten IGBE-Vorsitzenden Karl van Berk, als der Delegierte Otto Kannstein aus Dortmund das Protokoll des Gewerkschaftstages 1969 zitierte. Als damals noch unter dem frischen Eindruck der Septemberstreiks die Diskussion über die Tarifpolitik ebenfalls hohe Wellen schlug, hatte van Berk schnell eine 'taufrische Hochrechnung' zur Hand zur Hand, wonach der neue Hauerrichtsatz zwischen 47 und 48 Mark je Schicht liegen sollte. In Wahrheit liegt er heute bei 41 Mark. Die Kumpel stehen schon lange nicht mehr an der Spitze der Lohnskala, 'wenn wir dort je waren', wie ein Delegierter bezweifelte. Der Hauerrichtlohn stieg nach den Worten des IGBE-Vorsitzenden Adolf Schmidt von 1960 bis 1970 im Durchschnitt jährlich um 1,72 DM je Schicht - noch nicht einmal der Gegenwert eines Zigarettenpäckchens. Kein Wunder, daß im letzten Jahr 40 000 Mann oder 15 Prozent der Gesamtbelegschaft den Bergbau verließen. Fazit des Delegierten Sokolof: Die von Walter Arendt einst versprochenen 'goldenen 70er Jahre für den Bergmann sind noch nicht angebrochen. Darum sei aktive Lohnpolitik notwendig."
Für die DKP berichtet E. R. auch:"
KEINE ALTERNATIVE ZUR PRIVATKAPITALISTISCHEN RUHRKOHLE AG (RAG,d.Vf.)?
Die Diskussion auf dem Gewerkschaftstag 1970 der IG Bergbau und Energie in Duisburg stand naturgemäß überwiegend im Zeichen der gekündigten Lohntarifverträge (...). Aber fünf Monate zuvor war auf dem Dortmunder Gewerkschaftstag im November 1969 (vgl. 14.11.1969,d.Vf.) vor allem deswegen ein möglichst baldiges erneutes Treffen beschlossen worden, um erste Erfahrungen und die Stellung der IGBE zur neuen Ruhrkohle-Einheitsgesellschaft zu diskutieren.
Bereits in Dortmund hatte der erste Diskussionsredner entgegen der Euphorie des Hauptvorstandes gefordert, die IGBE müsse mehr als bisher 'von diesem Gebilde' Abstand halten, die Gewerkschaft und die Ruhrkohle AG seien 'zwei Paar verschiedene Schuhe'. Deshalb müsse der Unterschied 'deutlicher und sichtbarer' gemacht werden.
In Duisburg war das für die Mehrheit der Delegierten schon keine Frage mehr. Die Praxis hatte den Kumpeln aus den Zechenbetrieben das deutlich gemacht, was der Delegierte Manfred Sokolof in der Diskussion aussprach: Auch und gerade in der Ruhrkohle AG stehe nach wie vor Konzerninteresse gegen Arbeiterinteresse. Illusionen scheint es aber noch beim Hauptvorstand der Bergarbeitergewerkschaft zu geben.
Wiederum feierte der IGBE-Vorsitzende Adolf Schmidt den 'entscheidenden Beitrag', den die Gewerkschaft zur Schaffung des privatkapitalistischen Superkonzerns geleistet habe. Zwar sprach er einschränkend von einem Kompromiß, zu dem es aber 'unter den gegebenen Umständen keine Alternative' gäbe.
Diese Alternative ist sehr wohl gegeben. Sie ist sogar in der IGBE-Satzung fixiert: der gemeinwirtschaftliche Bergbau. Auf dem Oberhausener Gewerkschaftstag (vgl. Nr.17.S6**,d.Vf.) war diese Passage gegen den Willen des HV in die Satzung aufgenommen worden. Auf dem Gewerkschaftstag in Bonn (vgl. **.**.19**,d.Vf.) ließ der HV alle Minen springen, um die per Initiativantrag geforderte gemeinwirtschaftliche Konstruktion der Ruhrkohlen-Einheitsgesellschaft niederstimmen zu lassen. Und dennoch sagte Adolf Schmidt, es gebe keine Alternative, wobei er abweichend vom Redemanuskript das Wörtchen 'durchsetzbare' einfügte. Gegen wen nicht durchsetzbar?
Offensichtlich unterschätzt der Hauptvorstand die Kraft der eigenen Organisation, die von allen Industriezweigen den höchsten Organisationsgrad hat. Das war auch im vergangenen September deutlich geworden, als bei den spontanen Streiks die IGBE abweichend von allen anderen Gewerkschaften dahinter irgendwelche 'Drahtzieher' und nicht die Kampfbereitschaft der eigenen Mitglieder vermutete.
Es liegt in der privatkapitalistischen Struktur der Ruhrkohle AG, wenn der IGBE-Vorsitzende deren Verkaufspolitik scharf kritisieren mußte. Schmidt: 'Abgesehen von den Lieferschwierigkeiten wurden die kleinen Kohlebezieher in einem Ausmaß geschröpft, das der Kohle sämtliche Sympathien verderben muß.' Und weiter: 'Die IG Bergbau und Energie hält es für angebrachter, daß der Steinkohlenbergbau im Hausbrand- und Kleinverbrauchsgeschäft preispolitisch die Substitutionsgefahr (Wechsel zu anderen Energien) berücksichtigt, auf dem Kokskohlenmarkt jedoch jene Preise durchsetzt, die der Marktlage entsprechen.'
So richtig und berechtigt es ist, niedrige Hausbrandpreise zu verlangen, so illusionär ist die Erwartung, die Ruhrkohle AG werde bei der Kokskohle 'marktgerechte' Preise festsetzen. den Beweis dafür lieferte Adolf Schmidt selbst, als er auf die 'eigentumsrechtlichen Verflechtungen' hinwies, die die Gefahr beinhalten würden, 'daß die Einheitsgesellschaft in völlige Abhängigkeit der Stahlunternehmen an Rhein und Ruhr gerät'. Die Stahlindustrie besitzt in der Ruhrkohle AG die Aktienmehrheit.
Diese Abhängigkeit ist keine Gefahr mehr, sie ist bereits Tatsache. Die Stahlindustrie als größter Kokskohlenverbraucher ist daran interessiert, den Kokspreis niedrig zu halten. Rote Zahlen bei der Ruhrkohle AG schrecken die Stahlbosse und Mehrheitsbesitzer nicht. Dafür muß ja nach der feinen Konstruktion der Einheitsgesellschaft der Steuerzahler über Bundes- und Landesbürgschaften geradestehen.
Diese roten Zahlen wurden bereits manipuliert, als entschieden wurde, die Kraftwerke, Grundstücke, Wohnungen und Kohlenhalden nicht in die Ruhrkohle AG einzubringen. Und sie werden weiter manipuliert - worauf der Delegierte Erhard Dresemann hinwies - durch die Regelung, daß die Ruhrkohle AG nur 87 Prozent des Verkaufspreises erhält, die Verkaufsgesellschaften aber für die 'Verteilung' 13 Prozent. So haben die Stahlbosse den Profit und die Steuerzahler das Nachsehen.
Das 'Kind der IGBE', die Ruhrkohle AG, hat sich - wie von vielen Gewerkschaftern vorausgesagt - kraft seiner privatkapitalistischen Natur zu einem argen Bastard entwickelt. Der Hauptvorstand der IG Bergbau und Energie sollte sich endgültig von der Vaterschaft lossagen, um frei zu werden für eine konsequente Interessenvertretung seiner Mitglieder."
Die IGBE berichtet vom Gewerkschaftstag bzw. von der BETR im Ruhrbergbau (vgl. 31.3.1970):"
8,5% GEFORDERT
TARIFRUNDE IN DER STEINKOHLE
Die Richtung für 1970 stimmt. Das hat der Gewerkschaftstag `70 in Duisburg bewiesen.
Nach mehrstündiger Diskussion stellte sich heraus: Das tarifpolitische Arbeitsprogramm der IGBE findet die Zustimmung der Delegierten aus den Betrieben.
Im deutschen Steinkohlebergbau geht die IG Bergbau und Energie in eine entscheidende Tarifrunde. Andere Bergbauzweige werden folgen.
Höhere Löhne und Gehälter, tarifliche Sicherung des Weihnachtsgeldes und höheres Urlaubsgeld stehen auf dem Programm.
Der Vorsitzende der IGBE, Adolf Schmidt, hatte in seinem Referat vor dem Gewerkschaftstag die Grundsätze der Gewerkschaftspolitik eingehend dargelegt. Dabei wurde deutlich:
Es geht der IGBE um mehr als nur um jährliche Lohn- und Gehaltserhöhungen. Die Gewerkschaftsaufgaben sind vielfältig; die Forderungen sind umfassend. Das wurde in Referaten, Diskussionen und Schlußwort erkennbar.
Die Ruhrkohle AG (RAG,d.Vf.) muß eine zukunftsorientierte Unternehmenspolitik entwickeln. Zur Verbesserung des Betriebsklimas hat mehr zu geschehen. Die Vermögensbildung muß weiterentwickelt werden. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Bergbau bedarf der weiteren Verbesserung. Die Belegschaftskrise muß gestoppt werden.
Diese Sachfragen der IGBE-Politik und eine Vielzahl von Diskussionsbeiträgen dazu kennzeichneten das Bild des Gewerkschaftstages in Duisburg."
Die IGBE berichtet auch:"
NICHT MEHR VON DER GNADE LEBEN
IGBE FÜR KLARE RECHTSVERHÄLTNISSE
Das ist die stark ausgeprägte Tendenz der IGBE-Tarifpolitik.
Alle Leistungen der Unternehmer sollen tarifvertraglich gesichert werden. Tarifexperte Helmut Gelhorn hat es vor dem Gewerkschaftstag in Duisburg mit aller Klarheit formuliert.
'Wir müssen weg von dem Weihnachtsgeld, das jährlich wie Almosen gezahlt wird.'
Deshalb fordert die IGBE einen Tarifvertrag über das Weihnachtsgeld. Das Endziel ist ein 13. Monatseinkommen auf tarifvertraglicher Grundlage. Beim Urlaubsgeld ist dieses Ziel schon erreicht. Auch auf die kostenlose Gestellung der Arbeitskleidung ist der Rechtsanspruch gesichert. Es paßt nicht in eine moderne Industriegesellschaft, als Arbeitnehmer von der Gunst und Gnade der Unternehmer zu leben. Das hat die IGBE erkannt."
Weiter berichtet die IGBE:"
TARIFVERHANDLUNGEN SIND FÜR BERGLEUTE KEIN TEPPICHHANDEL
ADOLF SCHMIDT AUF DEM GEWERKSCHAFTSTAG
Tarifpolitische Fragen akzentuierten den Gewerkschaftstag der IG Bergbau und Energie in Duisburg. Kein Wunder, nachdem die Tarife im Steinkohlebergbau gekündigt und die Forderungen präsentiert waren. Wer jedoch Sensationen vom Gewerkschaftstag erhoffte, wurde herb enttäuscht. Die Diskussion zur Tarifpolitik lief hart, sachlich und fair. Verantwortungsbewußt stellten sich die Delegierten hinter die tarifpolitischen Forderungen ihres Vorstandes. Sie umfassen mehr als aktuelle Tagesfragen. Das legte der IGBE-Vorsitzende in seinem Referat vor dem Gewerkschaftstag überzeugend dar.
Adolf Schmidt stellte überzeugend heraus, daß es für die IG Bergbau und Energie keinen Stillstand gibt, wenn es gilt, die soziale Lage der Bergleute und ihre Familien zu verbessern.
'Dabei wird sie sich von niemandem und an keiner Stelle übertreffen lassen. Das war so, das ist so und bleibt so!', waren seine Worte, die im Beifall der Delegierten fast untergingen.
Kurz streifte der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie die Gründung der Ruhrkohle AG, um dafür umso mehr der Entwicklung im Steinkohlebergbau seine Aufmerksamkeit zu widmen. Dazu führte er u.a. aus:
'Auf drei Gebieten wird der Steinkohlebergbau in den nächsten Jahren Besonderes leisten müssen, um die Probleme des Strukturwandels auf dem Energiemarkt zu bewältigen.
Das ist die Unternehmens-, die Verkaufs- und die Belegschaftspolitik.
Es gilt, heute Aktivitäten zu zünden, und Kooperationen zu finden, die aus der Einheitsgesellschaft des Ruhrkohlebergbaus ein Energieunternehmen des Jahres 2000 machen.
Der deutsche Steinkohlenbergbau muß heraus aus provinziellem Denken und provinzieller Unternehmensführung.
Der europäische Markt und der Weltmarkt sind Größenordnungen, in denen ein modernes Management Anno 1970 denken muß.
Zumindest das Management eines Unternehmens, das 180. 000 Arbeitnehmer beschäftigt und mit Umsatzwerten von 6 Milliarden DM rechnet.'
PS-DIREKTOREN AUCH AN DER SAAR
Zur Mitbestimmung im Steinkohlebergbau erklärte der Vorsitzende der IG Bergbau und Energie, daß er überzeugt sei, daß ebenso wie in den anderen Steinkohlerevieren auch im Saarbergbau bald Betriebsdirektoren für Personal- und Sozialfragen ihre Tätigkeit aufnehmen können. Die IG Bergbau und Energie jedenfalls sei gewillt, dieses Problem in allen Bereichen zu lösen.
In den anderen Revieren, vor allem bei der Ruhrkohle AG, seien die Anfangsschwierigkeiten über die Abgrenzung der Aufgabenbereiche der PS-Direktoren inzwischen behoben. Die Direktoren können nun entscheidend mitbestimmen und so das Betriebsklima positiv beeinflussen.
Eine Warnung richtete Adolf Schmidt in diesem Zusammenhang an jene Werksdirektoren, die ihre Aufgabe darin sehen, die PS-Direktoren in ihrer Tätigkeit zu behindern.
Ihnen schrieb er ins Stammbuch:
'Wir werden uns solcher Fälle gern annehmen. Wir werden nicht dulden, daß sich Werksleiter hartnäckig gegen Verträge und Aufsichtsratsbeschlüsse stemmen.'
BESITZSTANDSWAHRUNG FÜR ALLE
Klarheit schuf Adolf Schmidt auch darüber, was die IG Bergbau und Energie unter Besitzstandswahrung innerhalb der Ruhrkohle AG versteht:
'Offensichtlich ist die IG Bergbau und Energie in puncto dessen, was wir Besitzstandswahrung nennen, immer noch nicht verstanden worden. Unter Besitzstandswahrung versteht die IG Bergbau und Energie nicht die kollektive, sondern eindeutig die individuelle Besitzstandswahrung.
Wir meinen es sehr ernst, wenn wir fordern, kein Bergarbeiter und kein Bergbauangestellter darf durch die Gründung der Ruhrkohle AG irgendwelche Nachteile erleiden.
Aber - und das fügen wir hinzu - die Besitzstandswahrung sollte auch für die AT-Angestellten, die inzwischen zu 45 Prozent in der IG Bergbau und Energie organisiert sind, gelten.'
Adolf Schmidt ließ auch keinen Zweifel daran, daß die IG Bergbau und Energie sich in Zukunft verstärkt um den Arbeits- und Gesundheitsschutz kümmern wird.
Das zeigen folgende Sätze:
'Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten haben seit mehr als 100 Jahren im Bergbau eine ansteigende Entwicklung. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, diese Tendenz fatalistisch hinzunehmen.
Denn mit Bergmannsschicksal ist da nichts, aber auch gar nichts zu erklären.
Das heißt nicht, daß wir demnächst verstärkt nach Schuldigen suchen. Uns geht es nicht um Schuld und Sühne. Den betroffenen Bergleuten ist damit nämlich nicht geholfen. Uns geht es allein darum, das Gesundheits- und Unfallrisiko im Bergbau auf ein Mindestmaß zu reduzieren.'
Wenig später zog der Boß der IG Bergbau und Energie eine kurze Bilanz der gewerkschaftlichen Erfolge und erklärte dann:
'Dennoch: weder wir und ebensowenig unsere Mitglieder sind zufrieden mit dem sozialen Status der Beschäftigten in der deutschen Bergbauwirtschaft.
Das gilt insbesondere für den Steinkohlebergbau, dessen Entwicklung im letzten Jahrzehnt ein Musterbeispiel dafür bietet, wie die Politik einer Gewerkschaft begrenzt wird durch Fakten des Marktes und der staatlichen Wirtschaftspolitik.
Denn sowenig die Hilfsmaßnahmen der öffentlichen Hand zugunsten des Steinkohlebergbaus vermochten, den energiewirtschaftlichen Strukturwandel zu verhindern und die Zechen in blühende Betriebe zu zaubern, so wenig sind die Lohn- und Gehaltsbedingungen im Steinkohlebergbau Maßstab der gezahlten Löhne und Gehälter in den Wachstumsindustrien unseres Landes.
BELEGSCHAFTSKRISE GESTOPPT
Mit anderen Worten: Die Lohn- und Arbeitsbedingungen im Steinkohlebergbau müssen verbessert werden, wenn die bereits eingerissene Belegschaftskrise gestoppt werden soll. Deshalb hat die IG Bergbau und Energie die Tarife im Steinkohlebergbau gekündigt.'
Den Kritikern an der Politik der IG Bergbau und Energie antwortete Adolf Schmidt:
'Alles bedacht und alles erwogen! Aber die berechtigten Interessen der Beschäftigten im Steinkohlebergbau verlangen ihr Recht, und zwar ebenso schnell wie konsequent.
Wir müssen unsererseits unsere Kritiker davor warnen, die Belegschaftskrise zu unterschätzen und sich vorzumachen, es sei alles nur halb so schlimm. Es ist nämlich in Wirklichkeit viel kritischer als bisher der Öffentlichkeit bekannt wurde.
Ich darf als Konsequenzen für die inzwischen fatale Belegschaftssituation den Bundesbeauftragten für den Steinkohlebergbau zitieren:
Dr. Woratz erklärte am 26.Februar dieses Jahres vor dem Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages:
'Obwohl keine Entlassungen mehr erfolgen und im Gegenteil alle Anstrengungen unternommen werden, um Arbeitskräfte für den Bergbau zu gewinnen, betrug der Abgang von Bergleuten im Jahre 1969 immer noch rund 40 000 Mann, das sind rund 15 Prozent der Gesamtbelegschaft. Wenn diese Entwicklung anhält, wird es dem Bergbau nicht möglich sein, die für die Bedarfsdeckung notwendige Förderung zu erbringen.'
WAS KNAPP IST, WIRD TEUER
Wir, die IG Bergbau und Energie, stimmen dem Kohlebeauftragten ohne Einschränkung zu und stellen schlicht, aber wohl treffend fest: Bergleute sind inzwischen ausgesprochen knapp. Was knapp ist, wird in einer Marktwirtschaft teuer. Da Bergleute immer knapper werden, werden sie eben teurer. Nachdem die Beschäftigten des Steinkohlebergbaus ein Krisenjahrzehnt die Geblaumeierten der Marktwirtschaft waren, möchten sie nunmehr auf die Vorteile der Marktwirtschaft nicht verzichten.
Die IG Bergbau und Energie ist darüber hinaus der Auffassung, daß eine Lohn- und Gehaltsaufbesserung für die Arbeiter und Angestellten im deutschen Steinkohlebergbau auch den Interessen der Wirtschaft und der Verbraucher dient.
Ich darf hier wiederum einen sicherlich unverdächtigen Kronzeugen zu Wort kommen lassen. Die Statistik der Kohlenwirtschaft e.V. stellt in ihrem Jahresbericht 1969 fest, daß die durch den Belegschaftsrückgang bedingte Fördereinbuße 7,3 Millionen t. betrug.
'Das bedeutet in der Praxis: Ohne die fluchtartige Abkehr vor allem der jüngeren Arbeitskräfte wäre die Kohle- und Koksversorgung aller Verbraucher in der Bundesrepublik im vergangenen Winter gesichert gewesen.'
Im Anschluß an diese Ausführungen erläuterte Adolf Schmidt das Arbeitsprogramm der IG Bergbau und Energie. Ausdrücklich betonte er, daß dieses für alle Bergbaubereiche gelte.
Es wird Zug um Zug realisiert. Zunächst jedoch sei die Tarifrunde in der Steinkohle erfolgreich abzuschließen.
Die IG Bergbau und Energie ist gewillt, die angekündigten tarifpolitischen Ziele zu erreichen. Notfalls durch Kampf. Daran ließ Adolf Schmidt keinen Zweifel, als er sagte:
'Für uns sind Tarifverhandlungen kein orientalischer Teppichhandel. Unsere Forderung ist so bemessen, daß es nicht mehr viel zu verhandeln gibt!"
Auf dem Gewerkschaftstag wurden laut IGBE auch acht neue Hauptvorstandsmitglieder gewählt:
Hermann Klos (Bezirk Niederrhein), Hermann Spitzer (Bezirk Niederrhein), Hans Uebber (Bezirk Ruhr-Westfalen), Heinz Fricke (Bezirk Ruhr-Westfalen), Heinrich Dost (Bezirk Ruhr-Mitte), Herbert Michulski (Bezirk Niedersachsen), Helmut Mahler (Bezirk Saar) und Helmut Marmulla (Bezirk Ruhr-Nord).
=Einheit Nr.8,Bochum 15.4.1970,S.1 und 3;
Unsere Zeit Nr.16 und 17,Essen 18.4.1970 bzw. 25.4.1970,S.4 bzw. S.6;
Der Hammer Lohnrunde 70 - nicht unter 8,5%,Bochum o.J. (Apr. 1970),S.1f;
Die Kumpel-Post Lohn- und Gehaltsforderungen der IGBE voll durchsetzen,Dortmund o.J. (Mai 1970),S.1;
Unsere Zeit NRW Nr.4,Essen 22.1.1970,S.9
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