Jungarbeiter und Lehrlingspresse - Organ der Frankfurter und Groß Gerauer Jungarbeiter- und Lehrlingsgruppen der Revolutionären Jugend (ML), Jg. 1, Nr. 1, Feb. 1971

14.12.1970:
Vermutlich aus dieser Woche berichtet die RJ/ML OG Walldorf/Mörfelden des KAB/ML aus der Kreisberufsschule (KBS) Groß Gerau:"
In einem Flugblatt, das kurz vor den Weihnachtsferien an der KBS Groß Gerau verteilt wurde, war auf eine Befragung der Lehrlinge hingewiesen worden. Die Lehrlinge und Jungarbeiter sollten konkrete Vorfälle aus ihren Betrieben berichten. Direktor Grossmann verbot kurzerhand diese Aktion. Er wies darauf hin, daß die Gewerkschaft durch eine ähnliche Aktion an der KBS aktiv geworden wäre und sich daraufhin die Vertreter der Kapitalisten, die IHK, eingeschaltet hätten. Er wolle keinen Ärger mehr bekommen, erklärte er weiter. Hier sehen wir ganz deutlich, wessen Helfershelfer der Sozialdemokrat Grossmann ist, wessen Interessen unsere Ausbildung unterliegt. Er verweigert Organisationen der Arbeiterklasse den Zutritt, während er der Industrie freien Lauf läßt. Der Sozialdemokrat Grossmann hat sich als Handlanger der Kapitalisten entlarvt. Wir Lehrlinge und Jungarbeiter dürfen uns nicht durch inhaltslose Phrasen von Kapitalisten und reaktionären Berufsschullehrern irreführen lassen. Wenn wir unsere Lage verbessern wollen, müssen wir selbst dafür kämpfen. Wir müssen uns in einer kampfkräftigen Organisation zusammenschliessen, die unsere Interessen wirksam vertritt.
ORGANISIEREN WIR UNS IN DEN BETRIEBS- UND BERUFSSCHULGRUPPEN DER RJ/ML."
Quelle: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 1, Frankfurt/Groß Gerau Feb. 1971, S. 5

01.01.1971:
Bei Telefonbau und Normalzeit (T&N) Frankfurt wird ab heute, laut RJ/ML, die Freistellung der Lehrlinge zum Berichtshefteschreiben, wie im BBiG seit 1.9.1969 vorgeschrieben, eingeführt:"
Der ach so fortschrittliche Betrieb T&N hat sich nun auch dazu durchringen können ab 1.1.1971 zum Schreiben des Berichtsheftes freizustellen. Diese Firma hat also über ein Jahr gegen die Bestimmungen des BBiG verstoßen. Es ist uns nicht bekannt, ob beabsichtigt ist, die Lehrlinge, die bisher unrechtmäßig gezwungen wurden ihre Freizeit zu opfern, zu entschädigen. Wir meinen: EINE ENTSCHÄDIGUNG IST NUR RECHT UND BILLIG!"
Q: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 1, Frankfurt/Groß Gerau Feb. 1971, S. 6

11.01.1971:
Über diese Woche veröffentlicht die RJ/ML OG Walldorf/Mörfelden des KAB/ML einen Bericht aus Nauheim (Kreis Groß Gerau), zu dem sie eine Vorbemerkung verfaßt:"
Der folgende Bericht, der uns von einem Lehrling zugestellt wurde, zeigt die verstärkte Ausbeutung in kleinen Handwerksbetrieben. Um der zunehmenden Konkurrenz standzuhalten, wie z.B. Großbetriebe, Einkaufscenter, sind die kleinen Unternehmer gezwungen verstärkt Lehrlinge auszubeuten.

Nauheim (Kreis Groß Gerau). Ich bin Lehrling in einem Fleischerbetrieb. Mein Lehrherr mißachtet prinzipiell alle Gesetze. Als Beispiel brauche ich nur meine Arbeitszeit aufzuführen. Nehmen wir zum Beispiel die Woche vom 11.1. - 16.1.1971. In dieser Woche war meine Arbeitszeit, wie folgende Tabelle zeigt:
Mo. von 7 - 19 Uhr gleich 11 Stunden
Di. von 7 - 19 Uhr gleich 11 Stunden
Mi. von 7 - 14 Uhr gleich 7 Stunden
Do. von 7 - 20 Uhr gleich 12 Stunden
Fr. Schule gleich 8 Stunden
Sa. von 7 - 14 Uhr gleich 7 Stunden
macht zusammen 56 Stunden

Dies geschieht alles obwohl wir Jugendlichen unter 16 Jahren nicht mehr als 8 Stunden am Tag arbeiten dürfen; ebenso dürfen wir nicht mehr als 40 Stunden in der Woche beschäftigt werden."
Q: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 1 und 2, Frankfurt/Groß Gerau Feb. 1971 bzw. März 1971, S. 6 bzw. S. 2

15.02.1971:
Vermutlich in dieser Woche erscheint in Frankfurt und Groß Gerau erstmals die 'Jungarbeiter und Lehrlingspresse' (JLP) (vgl. 29.3.1971) als Organ der Frankfurter und Groß Gerauer Jungarbeiter- und Lehrlingsgruppen der Revolutionären Jugend/ML (vgl. 9.2.1971). Ungenannt bleibt die tatsächliche Herausgebergruppe, die Ortsgruppe Walldorf/Mörfelden der RJ/ML des KAB/ML. Verantwortlich für die 6 Seiten DIN A 4 zeichnet Fritz Kainer, der in der Frankfurter Ernst Thälmann Straße wohnen soll. Kontakt ist möglich über das Frankfurter Postfach von H. Schmidt. Der Leitartikel "Gegen das reaktionäre Berufsbildungsgesetz" (BBig) enthält folgende Zwischenüberschriften:" … Gewerbeordnung von 1871 … Wie kam es zum BBiG? … Profitplanung! … Die Entwicklung des Kapitalismus führt zum Stufenplan! … Der Stufenplan ist ein weiterer Versuch der Kapitalisten die Arbeiterklasse zu spalten!"

In einem Bericht "Lehrlingsausbildung bei Faulstroh, Groß Gerau", der zu prompten Reaktionen (vgl. 16.2.1971) führt, wird geschildert:"
Wir Lehrlinge bei Faulstroh, einem Metallbetrieb in Groß Gerau, werden im Werk 2 'ausgebildet', wenn wir nicht gerade in der Produktion arbeiten. Bei Faulstroh ist es nämlich Sitte, daß Lehrlinge ab dem 2. Lehrjahr in der Produktion abwechselnd (nach einem bestimmten Plan) beschäftigt werden. An Weihnachten 1970 hatte man eine besondere Überraschung für uns. Wir mußten Werkzeuge und Maschinen reinigen und anstreichen!

Das reaktionäre BBiG brachte uns auch einige wenige Verbesserungen, wie zum Beispiel:
- Freistellung zum Berichtshefteschreiben.
- Bezahlung der Arbeitskleidung und deren Reinigung.
- Stellung der Arbeitsmittel.
- Verbot von berufsfremden Arbeiten.

Wie sieht es bei Faulstroh mit der Durchführung … aus?

Wir müssen immer noch:
- den Wochenbericht zu Hause schreiben,
- unsere Arbeitsmittel selber kaufen,
- unsere Sicherheitsschuhe selber kaufen,
- unseren Arbeitsanzug zu Hause reinigen lassen, oder uns mindestens
einen zweiten kaufen, den wir dann vom eigenen Geld bezahlen müssen,
- auch Frühstück holen und in 'Ausnahmefällen' das Reinigen von Toiletten
bleibt uns nicht erspart.

Was heißt das für uns Lehrlinge und Jungarbeiter?
Was zeigen uns diese Beispiele?

Sie zeigen, daß im Kapitalismus selbst Gesetze wie das BBiG, die nur wenige Verbesserungen mit sich bringen, von den Kapitalisten nur insoweit eingehalten werden, als sie für die Kapitalisten von Nutzen sind. Unsere Rechte können wir nur dann durchsetzen, wenn wir sie im gemeinsamen Kampf den Kapitalisten abringen, denn dem Kapitalisten ist nichts an einer guten Ausbildung seiner Lehrlinge gelegen; für ihn ist nur wichtig, daß seine Profite stimmen. Ob sie ihm gut oder schlecht ausgebildete Lehrlinge einbringen, ist ihm völlig gleichgültig. Ihn interessiert nur unsere Arbeitskraft, die ihm die hohen Profite einbringt. Unsere Wünsche, nämlich eine gute Ausbildung, interessieren ihn nicht. Wir haben uns dies lange genug gefallen lassen, es wird Zeit, daß wir uns gegen die Willkür der Kapitalisten zusammenschließen."

Es findet sich auch eine "Erklärung":"
In Darmstadt, wo von Genossen der RJ(ML) die AKTUELLE LEHRLINGSPRESSE herausgegeben wird, wurde von Seiten der Berufsschulleitung und von einzelnen Lehrern versucht, die Redaktion der Zeitung als 'Studentenklüngel' zu diffamieren. Deshalb sehen wir uns veranlaßt, vorsorglich folgende Erklärung abzugeben: Schüler- und Studentengenossen helfen uns nur deshalb beim Verteilen der JLP und beim Verkauf unseres Zentralorganes REBELL, weil wir selbst arbeiten müssen, und daher nicht an allen Tagen in der Woche vor den Berufsschulen verteilen können." Ebenfalls veröffentlicht wird eine "Erklärung des Vesperkollektivs (Redaktion Berufsschule)", in der es u.a. heißt:"
Die 'Vesper', eine Zeitung, die von Groß Gerauer Lehrlingen und Oberschülern herausgegeben wurde, hat ihr Erscheinen eingestellt. Die Berufsfachschüler und Lehrlinge, die bisher in der Redaktion mitarbeiteten, haben sich dazu entschlossen in Zukunft die JUNGARBEITER UND LEHRLINGSPRESSE der REVOLUTIONÄREN JUGEND (MARXISTEN - LENINISTEN) - RJ(ML) zu unterstützen und anderen Gestaltung mitzuarbeiten. Diese Zeitung wird sich unter anderem auch mit den speziellen Problemen von uns Lehrlingen und Jungarbeitern des Kreises Groß Gerau beschäftigen. Es geht vor allem darum die bestehenden Mißstände aufzudecken und ein Organ zu schaffen, in dem unsere Interessen vertreten werden."

Weitere Berichte kommen aus Frankfurt ("Betrug bei Hertie"), wo ebenfalls das BBiG nicht eingehalten wird, von der (Nicht-) Freistellung zum Berichtshefteschreiben bei T&N (vgl. 1.1.1971) und Messer Griesheim, wo darüber noch nachgedacht wird, aus Groß Gerau ("Helfer der Kapitalisten") über die Kreisberufsschule (KBS) (vgl. 14.12.1970) und aus dem Landkreis aus einem Fleischerbetrieb in Nauheim (vgl. 11.1.1971), "Verstärkte Ausbeutung".
Q: Jungarbeiter und Lehrlingspresse Nr. 1, Frankfurt/Groß Gerau Feb. 1971

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