ML-Hochschulpresse - Organ der Kommunistischen Studentengruppe (ML), Jg. 1, Nr. 2, Juni 1971

17.06.1971:
An der Universität Frankfurt gibt die bisherige Gruppe Marxistisch-Leninistischer Studenten (MLS) vermutlich frühestens heute nun unter dem Namen Kommunistische Studentengruppe/Marxisten-Leninisten - MLS ihre 'ML Hochschulpresse' Nr. 2 (vgl. Mai 1971) mit einem Umfang von 4 Seiten DIN A 4 heraus. Darauf heißt es:"
STÄRKT EURE FACHSCHAFTEN! AKTIVER BOYKOTT DEN BETRUGSGREMIEN!

Die Wahlen zu den Fachbereichsgremien stehen vor der Tür. Viele von uns sind der Meinung, daß eine Mitbestimmung dort nicht möglich ist. Von Demokratisierung der Hochschule zu reden erscheint als blanker Hohn, wenn wir uns nur klarmachen wie schlecht die Paritäten sind und daß Vetorecht gegen Beschlüsse seitens des Präsidenten und des Kultusministeriums besteht.

Die Frage der Beteiligung oder Nichtbeteiligung an den Wahlen erscheint vielen Studenten deshalb als eine taktische, nämlich wie der Charakter der Gremien am klarsten zu erfahren und zu vermitteln ist.

Die Fachbereichsgremien stellen nur eine Vorwegnahme des neuen HRG (Hochschulrahmengesetz, d.Vf.) dar. Wir müssen deshalb untersuchen, was es mit diesem gesamten Gesetzeswerk auf sich hat.

Das HRG hat zwei Aspekte für die Situation der Studenten:
1. den ökonomischen und
2. den politischen Aspekt.

zu 1.

Die Verschlechterung der Ausbildung nimmt gesetzliche Formen an, d.h. die Regelstudienzeit wird auf 6 Semester festgelegt und der Numerus Clausus (NC, d.Vf.) gesetzlich zementiert, sodaß die BREITE Mehrheit der Studenten in Zukunft eine immer schlechtere Ausbildung bekommt oder die Hochschule von vielen Abiturienten gar nicht mehr erreicht wird. Studenten werden in Zukunft weniger gebraucht. Nicht umsonst hört man überall vom 'akademischen Proletariat'! Das hat seine Ursache darin, daß der westdeutsche Kapitalismus nach einer Zeit des Aufblühens in die Krise geschlittert ist. Seit der Krise von 1966/67 geht die Entwicklung der Industrie andauernd zurück, die Neigung zu investieren läßt nach, was selbstredend auch seine Auswirkungen auf den Arbeitskräftebedarf hat. Heute besteht schon ein Überfluß an mancherlei Akademikern (z.B. Chemiker in der Großindustrie).

zu 2.

Es ist nun einsichtig, daß die Studenten sich diese Verschlechterung ihrer Ausbildung nicht so ohne weiteres gefallen lassen. Deshalb sieht das HRG die Auflösung der Organe der verfaßten Studentenschaft, des AStA und der Fachschaftsvertretungen, vor (Paragraph 20). Die Studenten sollen also ihrer Interessenvertretungen GERADE DANN beraubt werden, wenn sie sie am dringendsten brauchen!

Allerdings erinnern sich unsere Herrschenden noch daran, welch großen Anklang der SDS am Anfang der Studentenbewegung fand, als er sich noch um Probleme der Studenten kümmerte und große Massen von ihnen in ihrem Kampf für eine bessere Ausbildung und mehr demokratische Rechte anführte.

Deshalb können sie nicht einfach die Interessenvertretungen der Studenten zerschlagen, sondern müssen gleichzeitig den Anschein erwecken, als gäbe es auch andere Mittel, die Interessen durchzusetzen als den Massenkampf. Genau zu diesem Zweck dienen die neuen Gremien. Sie sollen den Unmut der Studenten kanalisieren, sie sollen die Aktivität der Studenten in die einzelnen Fachbereichskonferenzen und deren Ausschüsse lenken, obwohl die wichtigen Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene fallen.

Offensichtlich hat man aber nicht allzuviel Vertrauen in die Einsicht der Studenten, denn warum wäre sonst im HRG die Verpflichtung der Studenten festgelegt, in den 'Selbstverwaltungsgremien' mitzuwirken bei Strafe der Verletzung dieser Pflicht?

Was folgt daraus?

Die entscheidende Aufgabe studentischer Interessensvertretungspolitik muß es im Moment sein, die Fachbereichsgremien im Bewußtsein ALLER Studenten erst garnicht zu IRGENDEINER Basis der Interessenvertretung werden zu lassen und daher mit aller Kraft die Fachschaftsarbeit zu verstärken.

FÜR DEN AUFBAU EINER UNABHÄNGIGEN, GEWERKSCHAFTLICHEN ORGANISATION!

Dabei müssen wir uns aber immer vor Augen halten, daß Fachschaftsvertretungen und AStA jederzeit zerschlagen werden können, wie es in Berlin auch schon geschehen ist. Deshalb ist es unsere Pflicht, von vornherein auch an den Aufbau einer unabhängigen gewerkschaftlichen Organisation der breiten Mehrheit der Studenten zu gehen. Hierbei können wir von den Kommillitonen von 40 baden-württembergischen Hochschulen lernen:

Aus den 40 unabhängigen gewerkschaftlichen Fachschaftsorganisationen der einzelnen Hochschulen hat sich bereits ein Zentrales Aktionskomitee für Baden-Württemberg gebildet. So konnte dem Angriff der SPD-Landesregierung in einer eindrucksvollden Demonstration von 19 000 Studenten in Stuttgart (vgl. 15.6.1971, d.Vf.) eine einheitliche Front entgegengesetzt werden.

Wir hatten als Merkmal der gegenwärtigen Politik der herrschenden Klasse herausgefunden, daß sie einerseits massiv gegen die Interessen der Studenten vorgeht, andererseits aber zu allen nur erdenklichen Betrugsmanövern Zuflucht nehmen muß, um nicht den stärksten Widerstand der Studenten hervorzurufen, was aber teilweise schon heute mißlingt. Die Durchführung einer solchen studentenfeindlichen Politik kann naturgemäß nur einer Regierung übertragen werden, die noch relativ großer Sympathien bei den Studenten sicher ist. Die SPD/FDP-Rgeirung genießt bei der Mehrheit unseres Volkes, darunter auch bei den Studenten, noch ein ziemlich großes Vertrauen, da sie ihre volksfeindliche Politik hinter einem Rauchvorhang von Phrasen wie 'innere Reformen' und 'Demokratisierung' verbirgt. Bei der Arbeiterklasse betreibt sie eine ähnliche Politik wie gegenüber der Studentenschaft: Dort verschlechtert sie durch Lohndiktat, Lohnsteuervorauszahlung und Dequalifizierung der Ausbildung die Lebenssituation der Arbeiter empfindlich, bietet aber, wie bei den Studenten, Betrugsgremien zur Beschwichtigung an.

Die SPD/FDP-Regierung hätte trotzdem keinerlei Chance ihre Politik bei den Studenten durchzusetzen, wenn sie nicht auch an der Hochschule ihre Erfüllungsgehilfen hätte:

An der Hochschule existieren im wesentlichen zwei Gruppen, die, jede auf ihre Weise, der Politik der SPD/FDP-Regierung, und damit der herrschenden Klasse, dienen:
1. SHB: Der SHB übernimmt offen die studentenfeindliche Politik, indem er auf Ersuchen des Kultusministeriums eine Fachschaftsrahmenordnung (vgl. 27.5.1971, d.Vf.) vorgeschlagen hat, in der die Betrugsgremien integriert werden sollen und vor allem die Fachschaftsvollversammlung NICHT MEHR das höchste beschlußfassende Organ der Studenten darstellt.

2. SPARTAKUS: Der Spartakus (MSB der DKP, d.Vf.) lenkt die Aufmerksamkeit der Studenten auf die Gremien, indem er sie zur 'Tribüne des Hochschulkampfes' machen will. Außerdem baut er mit dem sogenannten 'Rechtskartell' einen Popanz auf, der verhindert, daß der gegenwärtige Hauptgegner der Studenten, die Betrugsregierung von SPD/FDP entlarvt wird.

STÄRKT DEN ZAF!

Es genügt nicht, nur zum Boykott der Fachbereichsgremien aufzurufen. Es muß vielmehr gezeigt werden, wie wir unsere Interessen durchsetzen können, wie wir uns gegen die massive Verschlechterung in unseren Lebens- und Ausbildungsbedingungen zur Wehr setzen können. Die Studentenbewegung hat bewiesen, daß wir unsere Belange nur im gemeinsamen Vorgehen erfolgreich vertreten können.

Dabei müssen die verschiedenen Ebenen des Kampfes unterschieden werden. In Vorlesungen, Seminaren und Praktika geht es z.B. um die Abschaffung von Klausuren und bessere Tutorenprogramme, um Teilnahmescheine statt Leistungsscheine, um Kritik von Vorlesungsinhalten etc. Hier ist es erforderlich, zu Kampfmaßnahmen wie Resolutionen, Klausurenboykott, Go-Ins in Gremien etc., zu greifen.

Viele Forderungen, wie solche nach besseren Tutorenprogrammen und Lehrstellen müssen auf der Ebene der einzelnen Fachbereiche angegangen werden. Deshalb unsere Losung: Stärkung der Fachschaftsvertretung.

Um die häufig bestehende Isolation der Fachschaftsvertretungen aufzuheben, empfiehlt es sich, Vorlesungssprecher in jeder Vorlesung wählen zu lassen, die dann mit der Fachschaftsvertretung eng zusammenarbeiten. So kann gewährleistet werden, daß die Widersprüche in einer Veranstaltung auf schnellstem Wege ihre Antwort finden in einer breiten Aktion der Studenten.

Wie wir oben bereits gezeigt haben, bereitet der kapitalistische Staat mit Hilfe der SPD/FDP-Regierung die Zerschlagung der Asten und Fachschaften vor, bzw. hat dies schon teilweise durchgeführt. Daher besteht die Notwendigkeit einerseits die bestehende Interessenvertretung der Studenten zu verteidigen, gleichzeitig aber auch eine unabhängige gewerkschaftliche Organisation der Studenten aufzubauen.

Im Zentralen Aktionsrat der Fachschaften haben Marxisten-Leninisten und andere Studenten diese Aufgabe in Angriff genommen. Der ZAF organisiert sich entsprechend den Fachbereichen in Fachgruppen. Gleichzeitig werden in Aktionsgruppen bestimmte allgemeinere Probleme (Forschung und Lehre, Berufssituation etc.) gemeinsam angegangen.

Die Angriffe der SPD/FDP-Regierung erfolgen auf nationaler Ebene (HRG) - unser Ziel muß es sein, dem einen gewerkschaftliche Organisation der Studenten entgegenzustellen."
Q: ML-Hochschulpresse Nr. 2, Frankfurt Juni 1971

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