Haare und Frisuren

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 13.10.2010

Diese Darstellung ist extrem unvollständig, es fehlt vor allem die biometrische Auswertung der vorhandenen Bilder, während es zum Haarerlass der Bundeswehr einen eigenen Beitrag gibt.

Die Frage der Frisur bzw. Haartracht bzw. vor allem die Länge der Haare für das männliche Geschlecht sind für die hier untersuchte radikale Linke der BRD nicht nur einleitend eine Unterdrückungsmaßnahme, die für das faschistische Griechenland angeprangert wird (vgl. 21.4.1967), sondern sie selbst wird auch seitens der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) der zu langen Haartrachten geziehen (vgl. 16.6.1969), die Länge der Haare ist dann auch im Erziehungsheim in Staffelberg einer der Streitpunkte in der dortigen Heimkampagne des SDS Frankfurt (vgl. 30.6.1969).

In der DDR scheinen lange Haare dagegen verpönt (vgl. 4.10.1969), eine Weile scheinen sie kein besonderes Thema gewesen zu sein. Die Abwendung vom 'abenteuerlichen, kleinbürgerlichen' Kleidungs- und Lebensstil (vgl. Feb. 1971) vollzog sich – dort wo sie geschah – eher schleichend, während auf der anderen Seite die Frisur gemäß der Mode offenbar Karrieresprossen erklimmen ließ (vgl. 11.2.1971).

So finden sich nun auch herbe Kritiken der damaligen Mode und ihres häufigen Bestandteils, der langen Haare, wie hier seitens der KPD/ML-ZK von Opel Bochum dokumentiert (vgl. 5.7.1971), andererseits aber wird das Recht auf Tragen langer Haare von den benachbarten Genossen derselben Fraktion im Ruhrpark energisch verteidigt (vgl. Sept. 1971).

Auch bei Hoesch Dortmund ist die Frage der Haarlänge bzw. das Tragen eines Haarnetzes Bestandteil der Erörterung der Schuld am Tod des Praktikanten Friedrich Holtkamp, wobei Rolf Strojec wegen seiner Einschätzung dieses Vorfalls als Mord bei Hoesch entlassen wird (vgl. 12.4.1973, 8.5.1973).

Die KPD/ML biedert sich dann zum vorläufigen Abschluss dieser Darstellung einer Leserbriefschreiberin an (vgl. 12.1.1974), ohne dass diese beiläufigen Direktiven des Zentralorgans tatsächlich jemals flächendeckend umgesetzt worden wären.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

21.04.1967:
Der AStA der PH Dortmund (vgl. 5.12.1973) berichtet aus Griechenland (vgl. Apr. 1972) vom heutigen Militärputsch.

Der RJVD des KABD (vgl. Jan. 1974) berichtet aus Griechenland (vgl. 1947, 13.11.1973):"
1967 richtete sich eine gewaltige Massenbewegung gegen den US-Imperialismus, es kam zu Streiks und riesigen Massendemonstrationen. Die Lage wurde gefährlich für die US-Imperialisten, und sie beschlossen, ihr brutalstes Mittel einzusetzen, den Faschismus. Griechenland durfte den US-Imperialisten nicht verloren gehen, denn sie brauchen die griechischen Häfen für ihre Flotte zur Kontrolle des Mittelmeers. Die Griechen aber wollten Unabhängigkeit und forderten deshalb den Austritt aus dem aggressiven NATO-Pakt. deshalb inszenierten die US-Imperialisten den faschistischen Militärputsch des 21.April 1967. Vorbereitet wurde der Putsch vom US-Geheimdienst CIA und verlief nach dem NATO-Plan 'Prometheus'. Dieser von den NATO-Kriegstreibern ausgeheckte Plan hatte offiziell den Zweck, 'schnellstens die kommunistischen Führer zu verhaften, um Subversionsarbeit im Untergrund zu verhindern'. Ähnliche Pläne gibt es für alle NATO-Staaten.

Am 21.April 1967 also erhielt die griechische Armee über CIA-Agenten den Befehl 'Prometheus'. Innerhalb weniger Stunden wurden Gewerkschafts- und Parteibüros, Zeitungsredaktionen vom Militär besetzt, eine Verhaftungswelle lief an und brachte Tausende von Demokraten in KZ's. Die Junta verbot alle Parteien und Gewerkschaften, Streiks, Versammlungen und Demonstrationen, sämtliche fortschrittlichen Bücher und Filme, die Musik von Mikis Theodorakis, lange Haare und Miniröcke und verfügte die Zensur der Presse und der Post. Die Gefängnisse sind seitdem überfüllt, die Gefangenen werden gefoltert. Die Art der Folter ist nach Berichten die Falanga, bei der den Gefangenen mit Stock und Rohr die Fußsohlen blutig geschlagen werden, sowie auf das Brustbein eingeschlagen wird, so daß sich die Lunge mit Blut füllt.

Dieser faschistische Terror hat den Zweck, das griechische Volk niederzuhalten, damit Griechenland eine Kolonie des US-Imperialismus bleibt. Es ist der Imperialismus, der foltert und mordet und Staatsstreiche organisiert, um seine Macht über den ganzen Globus auszudehnen. Es ist der Imperialismus, der das griechische Volk niederdrückt, entehrt und seiner sämtlichen Rechte beraubt. Das Gesicht des Imperialismus ist blutig und seine Blutspur führt von Vietnam bis nach Chile, von Brasilien bis nach Griechenland. Für Macht und Millionen gehen die Imperialisten über Leichen. Wir Kommunisten haben den Kampf gegen das barbarische System des Imperialismus auf unsere Fahnen geschrieben."

Berichtet wird auch durch die KPD (vgl. 28.1.1972).
Quellen: Rebell Nr.1,Tübingen Jan. 1974,S.11; Rote Fahne Nr.35,Berlin 28.1.1972,S.10; DOS Nr.25,Dortmund 5.12.1973,S.10

16.06.1969:
Die IGBE gibt ihre 'Einheit' Nr.12 heraus, darin erscheint auch der folgende Artikel:"
TERROR IST KEIN AUSWEG!
WAS WILL DIE AUSSERPARLAMENTARISCHE OPPOSITION

Demonstrationen, Krawalle und der immer lauter werdende Ruf nach Reformen hallen durch die deutschen Lande. Universitäten schließen, Gegenuniversitäten werden von Studenten eröffnet, die Fronten zwischen Establishment und außerparlamentarischer Opposition (APO) verhärten sich.

Die einen werfen mit Farbbeuteln, die anderen, darunter grautotalitäre Militaristen, schreien nach Vorbeugehaft für Deutschlands unbequeme Jugend. Spaniens Ausnahmezustand war Francos Antwort auf 'international gelenkte' Studentenunruhen im eigenen Land, in der Tschechoslowakei (CSSR,d.Vf.) verbrannte sich der Student Jan Pallach (vgl. S*.**.196*,d.Vf.), um gegen die Willkür der Sowjets zu protestieren, und in Italien lieferten sich streikende Arbeiter und Studenten blutige Straßenschlachten.

Der westdeutsche Bürger ist aus seinen Tabus herausgeschockt. Nicht nur das anarchistische Programm der APO erregt die bundesdeutschen Gemüter, auch die Bärte, die langen Haare, die Unordnung und Sexfreiheit lassen jeden Rechtschaffenden an solcher Art von Revolutionären zweifeln.

Die Welt der Erwachsenen urteilt schnell, wenn es gilt, ihre eigenen Fehler zu vertuschen, deshalb sollte sich die Jugend kritischer mit der APO befassen. Die außerparlamentarische Opposition ist älter, als die Öffentlichkeit es weiß.

Mit dem ersten Parlament kamen auch die Kräfte, die gegen den Parlamentarismus opponierten. Und die Unruhe gibt es heute noch. Es ist jedoch falsch zu glauben, daß nur diejenigen Kräfte etwas gegen den öffentlichen Apparat mit seiner oft allzu großen Selbstherrlichkeit tun, die spektakuläre Mittel einsetzen.

Die demokratischen Kräfte, die das ohne Kaufhausbrand tun, haben jedoch etwas gegen die kritiklose Verherrlichung neuer Autoritäten und lehnen die Bilder von Mao, Ho und Guevara verächtlich ab.

Und dazu gehören auch die Gewerkschaften. Ihre Mitglieder wissen, wie es um die 'Ordnung' steht, auf die Westdeutschland seit Adenauer dressiert und eingeschworen ist. Sie greifen jedoch nicht zu Aktionen, die nichts anderes im Sinn haben als Zerstörung und Anarchie. Die APO darf daher nicht der letzte Ausweg für Unzufriedenheit sein. Die Professoren und Studenten haben ebenso die Möglichkeit der konstruktiven Mitarbeit in Gewerkschaften und demokratischen Parteien wie Angestellte, Arbeiter und Lehrlinge.

Was kann die APO schon für uns tun?

Die außerparlamentarische Opposition ist kein eingetragener Verein und keine Partei im Sinne des Paragraphen 2 des Parteigesetzes. Ihr Programm ist gar nicht neu und längst nicht die einzige politische Alternative in unserer Gesellschaft.

Ihre Forderungen nach 'einem unabhängigen Europa' das die kommunistisch-antikommunistische Feindschaft hinter sich gebracht hat und mit den USA und der SU und jeder anderen Macht friedliche Beziehungen pflegt', sind so alt, daß sie energischer schon 1945 von dem damaligen Vorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher, ausgesprochen wurden. So kann man den 'Wunschzettel' der APO Punkt für Punkt durchleuchten, ohne auch nur irgendwo etwas zu finden, das nicht bereits in den Programmen unserer im Bundestag vertretenen Parteien vorhanden ist.

Die APO muß sich etwas neues einfallen lassen. Mit den bekannten Thesen lockt sie keinen Demokraten hinter dem Ofen vor. Solange sie noch terroristische Gewalt ausübt, kann man ihre bärtigen Agitatoren nicht ernst zunehmende Revolutionäre nennen.

Ihre Schmierereien und Krawalle müssen jetzt im Jahr der Bundestagswahl (BTW - vgl. 28.9.1969,d.Vf.) enden, wenn sich die APO nicht nach der Wahl einem etablierten Terror der NPD gegenüberstehen will."
Q: Einheit Nr.12,Bochum 16.6.1969

30.06.1969:
In Biedenkopf steht, laut SDS Frankfurt, als Erfolg der Aktion (vgl. 28.6.1969) in der Landeserziehungsanstalt Staffelberg folgendes fest:"
1. Der Karzer wird aufgelöst
2. Vier Erzieher kündigen
3. Die Haare dürfen wachsen
4. Innerhalb des Heims bildet sich eine Basisgruppe
Als die Frankfurter Genossen nach diesen Zusagen abfuhren, schlossen sich spontan 26 Heiminsassen an. Sie stimmten 'mit den Füßen' über die Heimverfassung ab - sie türmten einfach" (vgl. 5.7.1969).
Q: SC:Info Nr.7,Frankfurt 5.7.1969

04.10.1969:
Das Innenministerium NRW berichtet von der SDAJ über deren Anlehnung an die DKP sowie vom heute beginnenden Treffen junger Sozialisten in Ostberlin:"
Allerdings gibt es in ihr auch pro-chinesische und 'antiautoritäre' Strömungen. Letztere haben zu einer Spaltung der Wuppertaler Gruppe geführt, wo die 'Antiautoritären' eine Unabhängige SDAJ - jetzt Revolutionäre Sozialistische Jugend (RSJ) - gründeten. Anlaß dazu war u.a. das Auftreten von Vertretern dieser Gruppe während eines 'Treffens junger Sozialisten' in Ostberlin, das die FDJ anläßlich des 20. Jahrestages der DDR veranstaltete.

Wegen ihres schlechten Auftretens wurden die 'antiautoritären' Wuppertaler SDAJler in Ostberliner Gaststätten entweder nicht erst eingelassen oder z. B. mit dem Bemerken hinausgewiesen, sich erst einmal die Haare schneiden zu lassen."
Q: Innenministerium NRW:Extremismusberichte an den Landtag oder Landesbehörden 1969,Düsseldorf 1969,S.25

Februar 1971:
Wahrscheinlich Anfang Februar erscheint in der KPD/ML-ZB eine Sondernummer des Funktionärsorgans 'Der Parteiarbeiter' (vgl. Jan. 1971, März 1971). Diese Ausgabe, die Nr.2/1971, behandelt ausschließlich "Die antifaschistische Demonstration in Dortmund" (vgl. 17.1.1971) gegen die 'Aktion Widerstand' (AW), in der u.a. NPD-Mitglieder mitarbeiten.

Der Inhalt der Nummer gliedert sich dementsprechend in:
- Das politische Ziel der Demonstration;
- Zur Einheitsfronttaktik;
- Dokumente zur antifaschistischen Aktionseinheit (vgl. 6.1.1971, 11.1.1971, 13.1.1971);
- Dokumente zur Einheitsfronttaktik;
- Kritiken (vgl. Baden-Württemberg 24.1.1971).

Einleitend führt das ZB der KPD/ML zum politischen Ziel der Demonstration auch aus:"
Die Anstrengungen für die Demonstration standen im richtigen Verhältnis zu ihrer Bedeutung. Die Kräfte der Partei und des Jugendverbandes mußten planmäßig mobilisiert werden. So mancher Mißstand wurde ans Tageslicht gezerrt. Es wurde z.B. klar, daß noch starke Arbeit bei der Einbeziehung der Mitglieder von Partei und Jugendverband geleistet werden muß, wenn die Genossen wirklich Vorkämpfer des Proletariats werden wollen. Im Augenblick haben wir es noch nicht einmal geschafft, die älteren Genossen zu mobilisieren. Auch was den kleinbürgerlichen Individualismus vieler Genossen betrifft (und das gilt auch für die proletarischen Genossen), so war es erschreckend deutlich, daß trotz des unermüdlichen Einsatzes der meisten Genossen sie noch nicht in genügender Weise solche kleinbürgerlichen Eigenheiten, wie lange Haare, abenteuerliche Kleidung usw. abgelegt haben … Es lohnt sich wohl nicht, darauf hinzuweisen, daß ein solches abenteuerliches Aussehen den Kontakt mit den Massen erschwert."
Q: Der Parteiarbeiter Nr.2,Bochum Feb. 1971

11.02.1971:
Für den AStA der Ruhr-Universität Bochum (RUB - vgl. 11.2.1971) berichtet Bärbel Bolmes heute:"
UNI-SPRUNGBRETT

Geht man von der Tatsache aus, daß die weiblichen Studierenden an der RUB etwa ein Fünftel der gesamten Studentenschaft ausmachen, so erhebt sich die Frage, was die Vertreterinnen dieser universitären Minderheit bewegt, ein Hochschulstudium zu beginnen.

An der grundsätzlich nächstliegenden Möglichkeit, nämlich dem Ziel eines Hochschulabschlusses, kommen dem Betrachter schnell gewisse Zweifel, wenn er das Verhalten der Kommilitoninnen kritisch betrachtet. Das große Zweifeln beginnt spätestens beim Betreten der Cafeteria: schnell gewinnt man den Überblick über das aktuelle Winter-Make-up Marke 'Brigitte', die modischen Farbkombinationen 'Für-Sie', die neueste Frisur zur Maxi-Mode nach 'Petra'.

Die reizend aussehenden Rivalinnen beherrschen sämtliche Regeln des Spiels 'Wie angele ich mir einen Akademiker?' Neben einigen Investitionen für das gepflegte Äußere (siehe oben), die absolut notwendig sind, um Interessenten anzulocken (es ist günstig, sich ein persönliches modisches Image wie 'sportlich' oder 'elegant' zu geben), ist es zweckmäßig, an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten zu erscheinen.

Hier kommen die zeitlich fixierten Vorlesungen, Seminare, Übungen günstig gelegen; nach einer gewissen Lernperiode am Anfang des Semesters weiß jeder Student, wann bestimmte interessante Frauen wo anzutreffen sind. Auch Bibliotheken eignen sich zum Kontakteknüpfen vorzüglich; nach einem einleitenden, fachlichen Gedankenaustausch ist es leicht möglich, dem Gespräch in der Cafeteria, wo man sich kurz von den Anstrengungen der geistigen Arbeit erholt, einen persönlicheren Aspekt zu verleihen.

Resümee des ganzen Spektakels: Wozu ein Hochschulstudium zur Bildung einer selbständigen Persönlichkeit nutzen, wenn es gleichermaßen die Möglichkeit bietet, den akademischen und damit finanziell gesicherten Hafen der Ehe anzusteuern?"
Q: Bochumer Studentenzeitung Nr.73,Bochum 11.2.1971,S.2

05.07.1971:
Vermutlich heute gibt die Rote Opelbetriebsgruppe der KPD/ML-ZK erstmals bei Opel Rüsselsheim ihre 'Zündkerze' (vgl. 7.7.1971) heraus, die die Nr.3 trägt, da die Numerierung vom bisherigen 'Roten Metaller' (vgl. 11.5.1971) fortgeführt wird. Ein Jugendteil wird von der Roten Garde (RG) Rüsselsheim erstellt:"
FÜR JUNGARBEITER UND LEHRLINGE: GLEICHER LOHN FÜR GLEICHE ARBEIT
FÜR ALLE LEHRLINGE 80% DES FACHARBEITERLOHNES!

JUNGARBEITER UND LEHRLINGE!

Warum kriegt einer, der 18 Jahre ist und am Band schafft, weniger, als sein Kollege daneben, der ein paar Jahre älter ist? Warum gibt es bei der Leistungszulage Abstufungen nach Alter? Bei den Angestellten ist es genauso:

Ein 20jähriger kaufm. oder techn. Angestellter in den Gehaltsgruppen K1 und T1 kriegt 120 DM weniger als sein 21jähriger Schreibtischnachbar.

Das alles soll uns Jugendliche voneinander spalten. Wer mehr kriegt, kämpft nicht mehr so sehr wie sein Kumpel, der weniger hat. Unsere Forderung 'GLEICHER LOHN FÜR GLEICHE ARBEIT' zielt auf die Einheit der Arbeiterklasse ab. Denn wie der Mensch lebt, so denkt er. Deshalb:

Wir Lehrlinge arbeiten in der Produktion oder wir schaffen in der Lehrwerkstatt genau wie ein Dreher oder Werkzeugmacher im Betrieb. Gegen die produktive Arbeit haben wir gar nichts, aus zwei Gründen:

1. Wir wollen praktisch arbeiten. Natürlich muß es entsprechende Ausbildungsplätze in der Produktion geben, wo wir nicht rumgejagt werden, sondern von den älteren Kollegen wirklich was lernen können. Von einem Dreher mit 30jähriger Berufspraxis können wir hundertmal soviel lernen, wie von einem Pauker, der nur Bücher gelesen hat.

2. Die Kapitalisten verbreiten, wo sie es können, in Fernsehen, Radio, Zeitungen: 'Junge Leute haben ganz andere Interessen als ältere.' Meistens meinen sie damit Mode, Beat, lange Haare usw. So wollen sie den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter - ob jung oder alt - verhindern. Das ist ihnen lange genug gelungen.

Die Arbeit in der Produktion bringt uns mit älteren Kollegen zusammen. Hier meint jeder, daß das gemeinsame Interesse von jung und alt die Abschaffung der Ausbeutung ist - und nicht sonntags stundenlang in Diskotheken rumhocken, wo man einpennt vor Langeweile.

Aus diesen Gründen sind wir nicht gegen die Arbeit in der Produktion.
WIR WOLLEN ABER AUCH DAFÜR BEZAHLT WERDEN! …"
Q: Zündkerze Nr.3,Rüsselsheim o.J. (1971)

September 1971:
Das 'Ruhr-Park Info', Betriebszeitung der Roten Ruhr-Park Gruppe (RRG) der KPD/ML-ZK, Nr.8 erscheint in Bochum (vgl. Apr. 1971) mit 18 Seiten DIN A 4 unter Verantwortung von Norbert Otte, Bochum. Herausgeber ist ein Redaktionskollektiv aus Angestellten, Arbeitern, Lehrlingen und Studenten. Von Quelle wird berichtet:"
KARRIERE NUR MIT GLATZE

Im Lehrlings-Werbeplakat von Quelle (…) liest man unter 3: 'Als Lehrling haben Sie Aussicht, die Erfolgsleiter emporzusteigen: im Verkauf, in der Verwaltung, in der Dekoration. Ganz nach Eignung. Nach Ihren Interessen. Nach Ihren starken Seiten.'

Fragt man ältere Kollegen, was es mit diesen 'Sprüchen' auf sich hat, so erntet man nur ein müdes Lächeln, denn gerade sie wissen aus eigener (schlechter) Erfahrung nur zu gut, was davon zu halten ist. 'Schlechte Erfahrungen', - das gehört gewissermaßen mit zur Lehrlingsausbildung, gerade bei uns. Jüngster 'Ausbildungs'-Fall:

Wie man bei uns 'schon vom ersten Tag an (…) als ebenbürtiger Mitarbeiter akzeptiert' wird (siehe Plakat, 4), erlebte ein Kollege, der Anfang August als Deko-Lehrling eingestellt wurde, und zwar, wie man annehmen darf, von Frau Hoyer, der Personalchefin.

Deshalb erscheint es auf den ersten Blick kurios, daß ausgerechnet 'Kollegin' Hoyer an einer Besonderheit des Kollegen Anstoß nahm, die mittlerweile, besonders bei Dekorateuren und Deko-Lehrlingen, eine Alltäglichkeit ist: Ihr mißfiel nämlich die 'Matte' des Kollegen. Frau Hoyer forderte ihn auf, sich die Haare abschneiden zu lassen und drohte ihm mit Kündigung, falls er es nicht tun würde. Der Kollege weigerte sich, zu recht, denn Frau Hoyer ging damit weit über ihre 'Weisungsbefugnis' hinaus. Tatsache ist nämlich:

LANGE HAARE SIND KEIN KÜNDIGUNGSGRUND!

Das dürfte 'Kollegin' Hoyer sicher wissen. Nicht zuletzt darum grenzt ihre 'Aufforderung' hart an Nötigung, an eine strafbare Handlung also…

WARUM DIESE 'KLEINIGKEIT' WICHTIG IST

Es wäre nicht das erste Mal, daß man einen Kollegen wegen nichtiger Gründe auf kaltem Wege bzw. hinten herum 'fertig machte', z.B. durch eine 'einwandfreie', 'unanfechtbare' Kündigung nach Ablauf der Probezeit.

Von daher betrachtet wird eine 'Matte' nebensächlich, zu einer zweitrangigen Angelegenheit. Demm werden auch die Kolleginnen und Kollegen zustimmen müssen, die irgendwie was gegen lange Haare haben. Schließlich wissen sie selbst, daß eine Hinten-herum-Kündigung bei allen möglichen Kleinigkeiten als unausgesprochene Drohung im Raum steht. Wir meinen, daß man derartige Kündigungsdrohungen nicht länger hinnehmen kann. Gerade in 'unserem' Geschäft kann man sehen, wie weitreichend derartige Zwangsmaßnahmen sind:

- Es fängt damit an, daß man Kollegen zwingen will, nur solche Haare zu tragen, die der Geschäftsleitung genehm sind, s.o.;

- Es hörte, vorerst, damit auf, daß man den Lehrlingen vorschreiben wollte, welche politische Meinung sie haben dürften. (Beispiel: Beim Erscheinen des 1. RP-Info im September 1970, trommelte BR v. Schleedorn die Lehrlinge zusammen und 'legte ihnen nahe', auf keinen Fall mit diesen 'Kommunisten' Kontakt aufzunehmen. Andernfalls… s.o.)

Konsequenzen?
Meckern nützt nichts. Stillschweigen erst recht nicht. Wir meinen, daß der oben berichtete Vorfall ein Musterfall ist, mit dem man - endlich mal -derart willkürlichen Drohungen, sei es wegen langer Haare, Zigarettenpausen oder kurzer 'Schwätzchen' mit Kolleginnen einen Riegel vorschieben könnte. Konkret:

FALLS DEN KOLLEGEN NACH ABLAUF DER PROBEZEIT 'EINWANDFREI' GEKÜNDIGT WERDEN SOLLTE, SOLLTEN WIR IHM GEMEINSAM DEN RÜCKEN STÄRKEN UND IHN DRÄNGEN, BIS ZUM ARBEITSGERICHT ZU GEHEN.

(Die Drohung der 'Kollegin' Hoyer reicht aus, um diesen Prozeß zu gewinnen.) Falls es soweit kommen sollte wird sich auch die Rote Ruhrparkgruppe in jeder Hinsicht - nicht zuletzt FINANZIELL - FÜR IHN STARK MACHEN.

P.S.: Fängt man mit langen Haaren bei QUELLE an, ist die 'Karriere' schon beendet, bevor sie begonnen hat, und wenn man noch so viel 'Eignung', 'Interesse'', 'starke Seiten' usw. mitbringt. Das läßt nur den Schluß zu: Die 'steilste Karriere' machen Glatzköpfige. Also, Herr Ashoff, Frau Hoyer, falls sie auf der Quelle-'Erfolgsleiter' noch weiter nach oben wollen, ab zum Salon Koe…."
Q: Ruhr Park Info Nr.8,Bochum Sept. 1971

12.04.1973:
Die KPD (vgl. 24.4.1973) berichtet von Hoesch Dortmund:"
MIT 17 JAHREN VON HOESCH ERMORDET

In der Nacht vom 12. auf den 13.April starb ein siebzehnjähriger Praktikant an den Folgen eines Unfalls, der sich im Siemens-Martin-Werk auf Union ereignet hatte. In 8 - 10 m Höhe wurde er auf der Kranbahn zwischen Kran und Pfeiler gequetscht und zog sich die tödlichen Verletzungen zu.

Wenn jetzt Arbeitsschutz und Staatsanwaltschaft die Ursachen genauer untersuchen, werden sie sich die 'aufsichtsführenden' Kollegen genauer vornehmen. Die Verantwortlichen - den Hoesch-Vorstand - lassen sie natürlich unbehelligt.

Tatsache ist:
- allein im letzten Jahr wurden in den Erhaltungsbetrieben - bei denen der verunglückte Kollege eingesetzt war - 61 Kollegen herausrationalisiert. Gleichzeitig wird die anfallende Arbeit - bei gesteigerter Hetze - zusammen mit den in zahlreichen Betrieben eingesetzten billigen Lehrlingen und Praktikanten bewältigt.

- Außer bei der Einstellung hat der tote Kollege keine genauere Unfallschutzbelehrung bekommen.

Dafür hagelt es für die jugendlichen Kollegen 'Sicherheitsbelehrungen', wenn sie nicht DEN GANZEN TAG mit einer Mütze auf dem Kopf herumlaufen oder die Haare darunter hervorgucken. Der Hoesch-Vorstand spart ein, diszipliniert die Kollegen, läßt sich sein Lebtag nicht in den gefährlichen Produktionsstätten sehen und spricht hinterher bedauernd von 'menschlichem Versagen'. Wir pfeifen auf das geheuchelte Beileid dieses Scharlatans, das schon bei der Kalkulation der Pfennigbeträge wieder vergessen ist. Wir wissen nur eines: mit 17 Jahren wurde unter qualvollen Umständen wieder einmal ein Kollege von uns das Opfer kapitalistischer Profitgier. Ohne eine Schwiele an den Händen dagegen entschlummerte am 3.2. sanft im Alter von 81 Jahren der Hoesch-Kapitalist Walter Springorum. Das ist die Klassenwirklichkeit in der sozialdemokratisch regierten Bundesrepublik und an dieser Tatsache mit all ihren Folgen wird sich nichts ändern, wenn wir diesem Spuk nicht ein Ende bereiten."

Berichtet wird auch in:
- NRW durch das RK Rhein/Ruhr des KJV der KPD (vgl. Juni 1973).
Q: KJV-RK Rhein/Ruhr:Jugendarbeitsschutz - Schutz der Jugend? Schutz der Ausbeutung!,Dortmund 1973,S.17; Kommunistische Arbeiterpresse Hoesch Nr.23,Dortmund 24.4.1973,S.6

08.05.1973:
Bei Hoesch Westfalenhütte Dortmund wird mit einem Schreiben von heute, der Lehrling Rolf Strojec entlassen (vgl. 19.11.1973), wobei viele Quellen nicht nur die Namensschreibweise variieren, sondern auch auf den 9.5.1973, den 10.5.1973 und gar den 12.4.1973 verweisen.

Der KSV der KPD (vgl. 16.5.1973) berichtet:"
Am 8.5.1973 wurde der Jugendvertreter bei Hoesch Dortmund, Rolf Strojec, fristlos entlassen. Als offizieller Grund wurde angegeben, daß er auf einer Teilbelegschaftsversammlung den tödlichen Unfall eines Praktikanten als Mord der Hoesch-Kapitalisten bezeichnet hatte.

DVD: Wie trug sich der Unfall des Kollegen Holtkamp zu? Worauf stützt sich Deine Behauptung, daß es sich letztendlich hier um einen Mord der Hoesch-Kapitalisten handelt?

Rolf S.: Also: am 12. April war der 17-jährige Praktikant Friedrich Holtkamp im Siemens-Martin-Werk auf Union damit beschäftigt, auf einem Kran ein E-Kabel zu verlegen und dabei ist er vom heranrollenden Brückenkran zwischen Pfeiler und dem Kran zerquetscht worden und wenig später im Umfallkrankenhaus - man kann schon sagen - verreckt.
Was mich veranlaßt hat, auf diesen Unfall näher einzugehen in der Teilbelegschaftsversammlung der Lehrwerkstatt, war folgendes:
Erstens ist uns bekannt, daß im vergangenen Jahr aus den Erhaltungsbetrieben, wo der Kollege beschäftigt war, 61 Kollegen herausrationalisiert worden sind. Das zweite ist, daß Kollege Holtkamp dort erst kurze Zeit war und ohne umfassende Unfallschutzunterrichtung auf die gefährliche Arbeit am Kran geschickt wurde. Ich habe wenig vorher selbst auf diesem Kran gearbeitet und es ist einer der größten Kräne auf dem Werk, ungefähr 10 bis 15 Meter hoch. Da hat der Kollege ohne umfassende Unfallschutzvorrichtung arbeiten müssen. Man hat, das macht man bei Hoesch laufend, die Leute rausrationalisiert und bewältigt die Arbeit mit billigen Praktikanten oder Lehrlingen. Das war hier auch der Fall. Man ist mit zwei Leuten losgezogen, um das Kabel zu verlegen, einer stand unten, der andere ging hoch und dabei passierte dann der Unfall.
Eigentlich war ja der Kollege zur Ausbildung hingeschickt worden und letzten Endes hat er hier normale Produktionsarbeit gemacht mit wenig Leuten und dann kam es zu dem Unfall.
Auf der anderen Seite sieht es so aus, daß in der Lehrwerkstatt den Lehrlingen zur Strafe sogenannte 'Sicherheitsbelehrungen' verordnet werden - das habe ich ebenfalls aufgegriffen in der Versammlung - gerade jetzt sind wieder drei Leute zum Unfallschutz geschickt worden, weil sie die Mütze, die allgemein verordnet ist, nicht ordnungsgemäß getragen haben; das ist ein reines Disziplinierungsinstrument, da muß man den ganzen Tag, ob man nun Verdrahtungen anfertigt, feilt oder (wo es ja notwendig ist), an der Bohrmaschine arbeitet, diese Mütze tragen. Wenn nicht gibt's Meldungen und Unfallschutzbelehrungen - das wandert alles in die Personalakte. Dafür hatte man allerdings Zeit übrig. Das waren die wesentlichen Hintergründe und es hat starken Wirbel gegeben, gerade auf der Versammlung. Die Kollegen standen voll hinter mir und der Ausbildungschef verstieg sich dann zu solchen Behauptungen, daß man letzten Endes so was gar nicht vermeiden kann, weil die Entwicklung der Technik und der Industrie das mit sich bringt. Danach ist also alle 2 Stunden ein Toter untrennbar verbunden mit dem technischen Fortschritt den wir in den letzten Jahren erreicht haben, und das ist ein Ding, was kein Kollege einsehen kann und was auch absolut nicht stimmt.

DVD: Kannst Du andere Beispiele nennen, wo Kollegen entweder verunglückt oder fast verunglückt sind und wo die Hintergründe ebenso klar sind wie in diesem Fall?

Rolf S.: Ja, das kam insbesondere durch die Diskussion über diesen Fall heraus. Ich bin Vertrauensmann und habe das mit meinen Kollegen, unter den Elektrikern, besprochen und die haben dann ausgepackt: Da gibt es den Fall eines Kollegen, der an Stromschienen arbeiten sollte, die angeblich abgeschaltet waren. Der Kollege war allerdings gewarnt durch die Verhältnisse, wie sie bei Hoesch herrschten, und sagte: 'Nee, das mache ich nicht!' und weigerte sich, an diesen Stromschienen zu arbeiten. Weil Lehrlinge keine Spannungsprüfer haben - das ist ja zu teuer -, hat er denn die Stromschienen kurz geschlossen. Daraufhin gab es einen großen Knall, weil noch Spannung drauf war. Daraufhin bekam dieser Lehrling eine Meldung, die in die Personalakte wanderte! Andere Fälle werden laufend berichtet: Arbeiten in der Lehrwerkstatt selbst auf 4-5 Metern hohen schwankenden Leitern, was eigentlich gar nicht gestattet werden sollte, und die Arbeit im Betrieb selber - insbesondere auf Kränen, was zu den gefährlichsten Arbeiten gehört, wo die Lehrlinge einfach so eingesetzt werden. Unfallverhütungsmaßnahmen werden kaum erläutert. Ich hab mich unter den Kollegen
umgehört, dabei ist lediglich erst von einem Meister bekannt, daß er, als Lehrlinge dort zur sogenannten Ausbildung geschickt wurden, sie über Unfallschutz aufgeklärt hat. In anderen Werken werden die sofort in die Produktion geschickt.

DVD: Nach alledem ist also klar, daß die wirkliche Schuld für diese Unfälle diejenigen tragen, die die Lehrlinge weder richtig ausbilden noch sie unterweisen in den notwendigen Sicherheitsbestimmungen, sondern die Lehrlinge als billige Arbeitskräfte zur Ersetzung der herausrationalisierten Kollegen einsetzen…

Rolf S.: Was mich persönlich noch sehr aufgeregt hat, aber auch viele andere, ist, daß auf der einen Seite wir, die Kollegen, uns in der Produktion kaputtmachen, während der Hoesch-Vorstand sich nie sehen läßt, er steckt bloß immer ein, was dort erarbeitet wird und kommt dann auch so zu einem glänzenden Lebensabend, daß jetzt im Februar ein Vorstandsmitglied mit 83 Jahren selig entschlummerte, während die Kollegen schon mit 50-55 als Invaliden auswandern oder eben in der Produktion draufgehen.

DVD: Du sagst gerade, daß diese Verhältnisse nicht nur die Jugendlichen betreffen, sondern auch die älteren Kollegen. Wie wirkt sich das aus?

Rolf S.: Zahlen habe ich im Moment nicht im Kopf. Ich nenne das konkrete Beispiel eines Kollegen, der bei mir im Haus wohnt: Er hat vor zwanzig Jahren angefangen im Thomas-Werk, dann hat er übergewechselt wegen der Dämpfe usw., die ihn wirklich krankgemacht haben, ins Siemens-Martin-Werk und jetzt fristet er sein Dasein als Kauenwärter. Er war anfangs vollkommen gesund und ist immer kränker geworden und wollte zur Kur gehen. Da wurde ihm in einem Brief des Werksarztes bescheinigt, daß das nicht ginge und daß er irgendwie psychopathisch sei, das letztlich nur, um die Kosten für eine Kur einzusparen. Neben diesem Beispiel gibt es zig andere.

DVD: Welche Krankheiten sind es, die die Kollegen von der Arbeit bekommen?

Rolf S.: Das geht von inneren Krankheiten bis hin zu körperlichen Mißbildungen durch schwere Arbeit. Außerdem spielt da noch rein das ganze verdammte Schichtwechselsystem, 'vollkontinuierliche Arbeitszeit', dadurch, daß die Produktionsanlagen voll ausgenutzt werden, sind (vom kapitalistischen Standpunkt aus) äußerst rationelle Schichtsysteme notwendig, das heißt 9 Tage arbeiten - 2 Tage frei, und wieder 9 Tage arbeiten - 2 Tage frei, und wieder 9 Tage arbeiten oder 11 Tage arbeiten - das ist ganz verschieden. Und laufend Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht. Das führt nach wissenschaftlichen Untersuchungen zu Schlafstörungen und Magenkrankheiten. Es gibt Untersuchungen, daß die Folgen der Rationalisierungen in der Stahlindustrie dazu beitragen, daß ein Stahlarbeiter stärkerer Belastung ausgesetzt ist als ein Spitzensportler im Einsatz. Das ist letzten Endes das Produkt der Profitgier und der Rationalisierungen in den Stahlkonzernen.

DVD: Was Du erzählst, sind Sachen, die alle Kollegen wissen und die sie aussprechen - sicherlich nicht immer so öffentlich, wie Du es getan hast. Trotzdem scheint klar, daß das nicht der einzige Grund für die Kündigung sein kann. Es ist auch bezeichnend, daß der Hoesch-Vorstand den Betriebsrat und die Jugendvertretung gar nicht konsultiert hat und sich für die Entlassung nur die Unterschrift des reaktionären Betriebsrates Roggenbach geholt hat und Dir dann gleich die Papiere in die Hand gedrückt hat.
Kannst Du sagen, warum dem Hoesch-Vorstand soviel daran gelegen ist, Dich loszuwerden?

Rolf S.: Man muß erstens sagen: in der offiziellen Kündigung stand nur 'wegen ihrer Äußerungen auf der Teilbelegschaftsversammlung am 26.4. sind wir nicht mehr gewillt, das Berufsausbildungsverhältnis fortzusetzen.' Punkt. Aus. Jetzt ist bekannt geworden, daß in internen Schreiben und Begründungen folgendes gesagt wurde von der Ausbildungsleitung:
1. daß ich mit meinen politischen Ansichten Unruhe in die Lehrwerkstatt bringen würde, und 2. daß ich ja auch schon auf der Vertrauensleute-Versammlung am 25. unangenehm aufgefallen sei.
Dort hatte ich eine Resolution eingebracht zur Vorverlegung der Tarifrunde, die dann auch mit ca. 500 Ja-Stimmen bei 2 oder 3 Gegenstimmen angenommen worden ist. Es ist klar, daß der Hoesch-Vorstand als 'unangenehmes Auffallen' betrachtet, weil das einfach die Bewegung der Stahlarbeiter für einen zwischentariflichen Lohnkampf weiter vorantreibt.
Meine Entlassung ist kein Einzelfall, sondern richtet sich gegen jeden Widerstand, der sich in der Lehrwerkstatt regt. Es geht einfach darum, diejenigen Kollegen auszuschalten, die ankämpfen gegen politische Disziplinierungsmaßnahmen, wie Zwang zum Haarnetztragen, Drohungen, nicht ins Arbeitsverhältnis übernommen zu werden, kleinere Disziplinierungsmaßnahmen, Aufsicht während der Mittagspause und wohin man auch geht, Einschränkungen jeglicher Bewegungsfreiheit bis hin zum politischen Unterricht im Sinne von Hoesch. Mit vorgedruckten Blättern wird einem da beigebracht, daß die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik letzten Endes sehr demokratisch geregelt seien, daß man sich auf die Bundestagsabgeordneten verlassen könne, und Antikommunismus übelster Machart betrieben. Das ist auch auf der Teilbelegschaftsversammlung zur Sprache gekommen, was den ungeteilten Beifall aller Lehrlinge fand.
Es geht auch darum, jede Stimme des Widerstandes, die sich gegen die Einführung der Stufenausbildung ab August bei Hoesch richtet, zu ersticken. Im August werden nur Lehrlinge in den Elektroberufen eingestellt, denen man einen 2-Jahresvertrag statt wie bisher einen 3-Jahresvertrag gegeben hat, was ganz eindeutig eine Verschlechterung der Ausbildung bedeutet.

DVD: Kannst Du etwas näher darauf eingehen, wieweit der Kampf der Kollegen entwickelt ist? Sind z. B. auch schon woanders ähnliche Resolutionen wie die, die Du eingebracht hast, verabschiedet worden?

Rolf S.: Diese Resolution von der Westfalenhütte war erst der Anfang. Im Phönix-Werk ist in den nächsten Tagen eine ähnliche Resolution durchgekommen, aber jetzt kommt es eben darauf an, konkrete Beschlüsse zu fassen, konkrete Forderungen durchzusetzen, und letztenendes Lohnerhöhungen jetzt durchzukämpfen. Das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein.

DVD: Werden die Kollegen dazu bereit sein? Sie haben ja unmittelbar nach dem letzten Tarifabschluß gestreikt, haben nur faktisch nichts durchsetzen können; hat das die Kollegen entmutigt oder hat es ihre Entschlossenheit bestärkt, es im Sommer einmal ordentlicher zu machen?

Rolf S.: Ich glaube, da sie bereit sind, für Lohnerhöhungen jetzt zu kämpfen, das zeigt ja ganz einfach auch die Abstimmung.
Andererseits - was den Streik anbetrifft - das hat schon Nachwirkungen, wenn man mehrere Schichten verliert, wenn man drei Tage eisern streikt und dann innerhalb einer Stunde so'n Streik abgewürgt wird. Ich meine bei den Preissteigerungen, bei den Zuständen, die sich heute für den Arbeiterhaushalt darstellen, lassen sich meiner Ansicht nach Kampfmaßnahmen gar nicht mehr verhindern und im Sommer und im Herbst werden wir die kampfbereiten Stahlarbeiter, die immer an der Spitze gestanden haben, werden wir diese Stahlarbeiter wieder in Aktion sehen.

DVD: Das macht doch klar, warum der Hoesch-Vorstand so schnell und gereizt reagiert. Es ist klar, daß er alles daran setzen wird, Dich aus dem Betrieb rauszuhalten und daß Du und die Kollegen, die Dich gewählt haben, und in Dir ihren Vertreter sehen, alles tun werden, um Dich wieder reinzubekommen. Wie verhalten sich in dieser Situation der Betriebsrat und die Jugendvertretung, die nicht konsultiert wurden vor der Entlassung und wie verhalten sich die gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Betrieb?

Rolf S.: Nun, der Betriebsrat ist ja umgangen worden, der Gesamtbetriebsrat. Nachträglich hat der Gesamtbetriebsrat getagt und hat sich gegen diese Entlassung ausgesprochen, das nützt aber nichts, da hatte ich die Kündigung schon im Hause. Jetzt sieht es so aus, daß sich die Jugendvertretung in Worten solidarisiert hat. Die Lehrwerkstatt steht ganz eindeutig voll hinter mir. Unterschriften sind überall gesammelt worden, erfolgreich, am Tor und im Betrieb gibt es häufig Diskussionsgruppen. Wir haben am Freitag eine Protestkundgebung vor der Lehrwerkstatt der Westfalenhütte durchgeführt, es haben sich zahlreiche Jugendgruppen schon solidarisch erklärt.
Wir haben am Montagmorgen an die erwachsenen Kollegen Informationsflugblätter verteilt und es geht darum, die Solidaritätsfront von Lehrlingen, Jungarbeitern und erwachsenen Kollegen weiter auszubauen.

DVD: Eine Frage: Muß nicht der Gesamtbetriebsrat seine Zustimmung bei Entlassungen geben?

Rolf S.: Man kann es ganz einfach sagen, daß bei fristlosen Entlassungen gar kein sog. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht, sondern lediglich bei ordentlichen Kündigungen.
Im Februar sind bekanntlich acht Leute entlassen worden und mußten auf den Druck der Kollegen wieder eingestellt werden.
Der Hoesch-Vorstand denkt gar nicht daran, die damals angelegten Listen zu vernichten und fortschrittliche Kollegen nicht weiter zu behelligen. Damals habe ich z. B. in der alten Kantine die Solidaritätsresolution der Lehrwerkstatt vor der Streikversammlung verlesen. Damals hat der Werksschutz herumspioniert und fotografiert und es soll niemand glauben, daß diese Unterlagen vernichtet sind. Die Tradition der politischen Entlassungen bei Hoesch wird weitergehen, wenn sich die Belegschaft nicht wie im Februar dagegen wehrt und im Februar sind gute Ansätze dafür gemacht worden."

Der KSV der KPD (vgl. 30.5.1973) berichtet auch von der Solidarität an den Dortmunder Hochschulen, u.a. auch an der PH (vgl. 8.5.1973, 9.5.1973), sowie von der Demonstration für Rolf Strojec (vgl. 11.5.1973).

Die GIM tritt bei Hoesch (vgl. 15.5.1973) ein:"
FÜR DIE SOFORTIGE WIEDEREINSTELLUNG VON R. STROJEC

Am 10.5. wurde der Kollege Rolf Strojec, Starkstromelektrikerlehrling und Jugendvertrauensmann, fristlos entlassen. Er hatte auf einer Teilbelegschaftsversammlung (vgl. **.*.1973,d.Vf.) den tödlichen Unfall des Kollegen Holtkamp beim Werk Union (vgl. **.*.1973,d.Vf.) als Ermordung bezeichnet und die Herren der Unternehmens- und Werksleitung verantwortlich gemacht. Das genügte. Dieselben Herren, die durch 'Rationalisierungen und Personaleinsparungen' ständig die Arbeitshetze verschärfen, damit die Sicherheit am Arbeitsplatz laufend verschlechtern und so tatsächlich die Verantwortung für viele Arbeitsunfälle tragen, schmissen ihn raus. Dabei konnten sie sich der Hilfe des BR Roggensack bedienen, der ohne die Zustimmung des gesamten Betriebsrates (der sich noch nachträglich gegen die Entlassung ausgesprochen hat) die Entlassung genehmigte. Diese Entlassung hat eindeutigen politischen Anlaß. Sie ist der Versuch, jede politische Betätigung im Betrieb zu verhindern und zielt in der Perspektive auch gegen jede gewerkschaftliche Arbeit. Sie ist ein Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und die demokratischen Rechte der Arbeiterbewegung. Deshalb rufen wir alle Kollegen zur Solidarität mit Rolf Strojec auf.

FÜR DIE SOFORTIGE WIEDEREINSTELLUNG DES KOLLEGEN STROJEC!
FÜR FREIE POLITISCHE BETÄTIGUNG IN AUSBILDUNG UND BERUF!"
Q: Solidarität Nr.4,Dortmund 15.5.1973,S.4; Dem Volke Dienen Nr.12 und 14,Dortmund 16.5.1973 bzw. 30.5.1973; Kommunistische Jugendpresse - Hoesch Dortmund Nr.4,Dortmund Juni 1973,S.1; Kommunistische Jugendpresse - Hoesch Dortmund/Kommunistische Arbeiterpresse - Hoesch Dortmund Sonderdruck und 2. Sonderdruck,Dortmund o.J. (10.5.1973) bzw. 11.5.1973,S.1 bzw. S.1

12.01.1974:
Die KPD/ML gibt ihren 'Roten Morgen' (RM) Nr.2 (vgl. 5.1.1974, 19.1.1974) heraus. Auf Seite 6 wird gefragt "Sind lange Haare fortschrittlich?" Dazu heißt es u.a.:"
Die Bourgeoisie weiß genau, daß die Jugend der aktivste und kämpferischste Teil des Volkes ist. Darum will sie verhindern, daß die Jugend erkennt, daß ihre Freiheit untrennbar mit der Freiheit des gesamten werktätigen Volkes verbunden ist … Die Kapitalisten wollen erreichen, daß der Haß auf die bestehenden Zustände sich gegen die Eltern und nicht gegen sie selbst richtet. … Es ist kein Zufall, daß auch und gerade die modernen Revisionisten (DKP,d.Vf.) lange Haare auf ihren Plakaten propagieren und versuchen die Jugend mit Beatmusik einzufangen. … Die Propagierung der bürgerlichen Jugendkultur durch die D'K'P-Revisionisten ist ein wichtiger Faktor bei ihren verzweifelten Bemühungen, die Arbeiterklasse von der sozialistischen Revolution abzuhalten, sie an das kapitalistische System zu ketten."
Q: Roter Morgen Nr.2,Dortmund 12.1.1974,S.6

RM_1974_02_06


Valid HTML 4.01 Transitional   Valid CSS


[ Zum Seitenanfang ]   [ Zur nächsten Zwischenübersicht ]   [ Zur Hauptübersicht der Datenbank MAO ]