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Freiheit für Jose Cumplido
Proteste in Bochum im April und Mai 1972

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Januar 2009

Im April 1972 berichtete die KPD in ihrer „Kommunistischen Arbeiterpresse“ für Opel Bochum wohl erstmals von „unhaltbaren Zuständen im Bochumer Opelwohnheim“ und den dort grassierenden „unmenschlichen Wohnverhältnissen“. Offenbar gab es diese, so die Zeitung, schon seit längerer Zeit. Einer, der sich gegen diese Verhältnisse aufzulehnen begann, soll der Spanier Jose Cumplido (vgl. etwa 25. April 1972) gewesen sein. Die Geschichte insgesamt scheint etwas verworren.

Während die einhellige Meinung der Linken in Bochum wohl die war, dass er als „Spitzel und Rädelsführer“ denunziert worden sein soll, ließ die Werksleitung nach meiner Erinnerung damals verlauten, dass er seinen „arbeitsvertraglichen Pflichten“ nicht nachgekommen sei, was nie nachgeprüft werden konnte, aber wohl von den aktiven politischen maoistischen Gruppen damals auch nicht gewollt war. Dass die angeblich fehlende „Aufenthaltsgenehmigung“ ein Grund für seine Verhaftung gewesen sein soll, ist schwer vorstellbar.

Ob Cumplido überhaupt von der „Polizei verhaftet worden war“, wie allgemeinhin behauptet wurde, kann weder dementiert noch bestätigt werden. Vor allem die Behauptung, dass er seit seiner Verhaftung (wohl Ende April) „spurlos verschwand“, ist eher nebulös. Eigentümlich ist allerdings, dass er ab Ende Mai 1972 in der Presse der Linken nicht mehr erwähnt wird. Sein „Schicksal“ scheint unbekannt zu sein. Möglich ist, dass er „abgeschoben“ wurde.

Die Situation der Migranten war zu Beginn der 1970er Jahre tatsächlich katastrophal. In Bochum war die Brehlohstraße (vgl. Dietmar Kesten: Ruhr-Universität Bochum; Aktivitäten politischer Gruppen an der RUB, Teil 3) in aller Munde. Ähnliches kann vom Küppersbusch-Wohnheim in Gelsenkirchen berichtet werden, und anderswo schien ebenfalls das Elend mit den Händen zu greifen gewesen zu sein.

Die „Kommunistische Arbeiterpresse“ der KPD veröffentlichte eine „Korrespondenz eines ausländischen Kollegen“ (vgl. u. a. 25. April 1972), die die Wohnbedingungen ausländischer Kollegen schilderte. Dass die Bewohner des Heimes dagegen protestierten, wie der KJVD der KPD/ML (vgl. 26. April 1972) berichtete, war nur eine zwangsläufige Folge.

Den „Fall“ Jose Cumplido nahm u. a. das Vorbereitende Komitee Dortmunder Hochschulen „Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung“ zum Anlass, um die damaligen Ausländergesetze in den Zusammenhang mit der (ihrer) „politischen Unterdrückung“ zu stellen (vgl. 26. April 1972).

Gegen „das Verschwinden Cumplidos“ fand in Bochum am 29. April 1972 eine „Solidaritätsdemonstration“ statt, die von einem Solidaritätskomitee getragen wurde. In ihm waren u. a. organisiert: KSB/ML der KPD/ML-ZK, SAG Bochum, 883 Revolutionäre Aktion Bochum, Projektgruppe Gastarbeiter Bochum, KSV der KPD. Meiner Erinnerung nach schlossen sich der Demonstration damals auch viele Spanier an. Nach diesem ersten Protestmarsch soll sich auch, nach dem KJVD der KPD/ML-ZB, ein „Aktionskomitee - Freiheit für Jose Cumplido“ gebildet haben. Daran beteiligten sich die KPD/ML-ZB, der KJVD, die SDAJ der DKP (was wohl für Bochum bei der dortigen Anhäufung maoistischer Gruppen als kleine Sensation galt), Jusos der SPD, Sozi-Info und Bochumer AStA.

Am 8. Mai 1972 fand wohl die zweite Demonstration in Bochum statt. Diese war  vom Aktionskomitee „Freiheit für Jose Cumplido“ organisiert worden. An ihr nahmen neben dem „Aktionskomitee - Freiheit für Jose Cumplido“ auch die KPD, der KSV und die Liga gegen den Imperialismus teil (vgl. 8. Mai 1972).

Am 14. Mai fand eine dritte (und wahrscheinlich letzte) Demonstration statt. Laut KJVD und KPD demonstrierten 200 bis 250 Personen, „je zur Hälfte Spanier und Deutsche“, unter der Forderung „Freiheit für Jose Cumplido“. Aufgerufen hatten u. a. das gleichnamige Solidaritätskomitee, KPD/ML-ZB, KJVD, die Jusos der SPD vom 'Sozi-Info', die SDAJ der DKP, der AStA der RUB sowie spanische Organisationen (vgl. 15. Mai 1972).

In der „Jugend-Rutsche - Zeitung der Jugendbetriebsgruppe Minister Stein/Hardenberg Dortmund des KJVD der KPD/ML-ZB“ wurde in einem Artikel auf das Verschwinden von Cumplido eingegangen (vgl. 12. Juni 1972).

Das Dortmunder Komitee „Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung - Mitglied des Dortmunder Komitees 'Kampf dem reaktionären Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung“ meinte am 4. September 1972, dass der Fall Cumplido gezeigt habe, „dass nur die solidarische Kampffront aller Kollegen“ siegen helfe. Damit würden sie ihrem „Widerstand gegen diese unmenschlichen Existenzbedingungen“ Ausdruck verleihen (vgl. 4. September 1972).

Der Werksschutz von Opel Bochum hatte im April/Mai 1972 ein massives Aufgebot gestellt. Verhindert werden sollte damals das Verteilen von Flugblättern, die zur Solidarität mit Cumplido aufriefen, vor dem Werk. Trotzdem gelangten Flugblätter auf geheimen Wegen ins Opel-Werk.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

25. April 1972: Die KPD berichtete von Opel Bochum u. a. von heute mit Hilfe ihrer „Kommunistischen Arbeiterpresse“ (KAP) bzw. der:

„KORRESPONDENZ EINES AUSLÄNDISCHEN KOLLEGEN!

DAS WOHNUNGSELEND IM WOHNHEIM VON OPEL BOCHUM

Seit zwei Jahren wohne ich in dem Wohnheim in Laer. Vor zwei Jahren war das Wohnheim neu und die Zimmer in Ordnung. Der äußere Glanz verblasste schnell, als das Wohnheim voll belegt war. In jedem Zimmer waren vier Kollegen. Die Zimmer sind 12 qm groß, so dass für jeden 3 qm Wohnraum bleiben. Das ist 9 qm weniger als vom Ordnungsamt Wohnraum für einen Hund vorgeschrieben wird.

Außer den Etagenbetten steht in den Zimmern für jeden ein ca. 80 cm breiter Metallspind, in dem er seine sämtlichen Sachen unterbringen muss In der Küche stehen für 200 Kollegen 20 Kochplatten. Davon sind 5 bis 6 Platten immer kaputt. Wenn ich müde von der Schicht komme, muss ich oft zwei oder drei Stunden anstehen, bevor ich mir etwas Warmes kochen kann. Bis heute gibt es keine Kühlschränke, obwohl sie uns seit zwei Jahren versprochen werden. In der kalten Jahreszeit halfen wir uns mit Plastikbeuteln, die wir aus den Fenstern hängten. Aus 'Schönheitsgründen' wurde das verboten. So können wir praktisch keine Nahrungsmittel lagern, weil alles schnell verdirbt.

Richtig durchschlafen kann keiner, weil man bei Schichtwechsel immer wieder aufgeweckt wird. Schon im ersten Winter fiel die Heizung aus. In einzelnen Fällen funktionierte die Heizung während des gesamten Winters nur zwei bis drei Mal. Um bei 15 bis 20 Grad unter Null nicht zu erfrieren, holten sich viele die Kochplatten ins Zimmer. Das Kochen wurde dadurch natürlich noch schwieriger, so dass ich nur selten etwas Warmes Essen konnte.

Von jedem Kollegen kassiert Opel 45 DM monatlich, also 180 DM pro Zimmer oder 27 000 DM von allen 600 Heimbewohnern. IN DEN ZWEI JAHREN HABEN DIE OPEL-KAPITALISTEN DAMIT 648 000 MIETE DURCH DAS HEIM EINGENOMMEN! Inzwischen ist das Heim völlig heruntergekommen. Von Anfang an waren viel zu selten und viel zu wenig Putzfrauen da. Sie konnten die notwendige Arbeit gar nicht schaffen. Dreck und Müll stapelt sich jetzt überall in den Ecken.

Seit zwei Jahren versuchen wir, gegen diese menschenunwürdigen Verhältnisse anzukämpfen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Protestschreiben wir schon den Heimleitern zur Weiterleitung übergeben haben. Das ist jetzt vorbei. Wir werden nicht mehr schreiben, sondern handeln. Hundert Mal haben uns die Heimleiter schon belogen. Sie werden dafür bezahlt, dass sie uns belügen. Jetzt ist schon der Vierte da. Der zweite war meistens betrunken. Von jungen unerfahrenen Kollegen ließ er sich die Pässe zeigen, wann es ihm einfiel und drohte, dass sie wieder nach Spanien geschickt würden, wenn sie nicht dies und das für ihn machten. Der dritte Heimleiter, Herr Lange, war der einzige, der zu uns hielt. Am schwarzen Brett hängt er alle Schreiben aus, die er an die Opel-Kapitalisten geschrieben hatte. Eine Antwort war nie gekommen. Nach kurzer Zeit wurde er von Opel rausgeschmissen. Danach kam Robinson, der jetzige Heimleiter. Er ist nicht nur williger Diener der Kapitalisten, sondern auch ein Betrüger.

Er versucht sich an uns zu bereichern. So verlangt er Geld für zerbrochene Scheiben oder normale Verschleißreparaturen, lässt diese aber nicht durchführen. Die Scheiben sind heute noch kaputt. Robinson spielte eine hinterhältige Rolle am 25.April, als er die Polizei auf den Kollegen Jose Cumplido hetzte. An diesem Tage passierte Folgendes:

Seit dem 1.4.1971 gilt eine Rechtsvorschrift, dass jeder ausländische Kollege mindestens 8 qm Wohnraum haben muss. Opel bekam eine Sondergenehmigung, mit der sie die unmenschlichen Wohnbedingungen im Wohnheim Laer noch bis zum 1.4.1972 verlängern konnten. Dann sollte das Wohnheim Langendreer fertig sein. Aus dem 1.4. wurde dann Ende April. Am 25.4. erschienen Opel-Leute morgens im Heim. Sie wollten aber nicht etwa die restlichen Betten abholen, sondern wieder vier Betten in alle Zimmer reinstellen! Wir stellten uns in die Türen, so dass sie unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten. Als wir abends von der Schicht kamen, standen in allen Zimmern vier Betten! Robinson hatte hinter unserem Rücken alle Zimmer aufgeschlossen. Das war zu viel! In zehn Minuten waren alle neuen Betten aus Fenstern und Türen geflogen.

Deutsche Kollegen, Ihr wisst alle, dass wir im Werk meistens die schlechteren Arbeiten machen müssen, dass wir grundsätzlich in den niedrigeren Lohngruppen eingestuft werden, dass die Kapitalisten und ihre Knechte überall versuchen, aus unserer Unkenntnis und unseren Sprachschwierigkeiten zusätzlich Profit zu schlagen. So auch im Wohnheim.

ÜBT SOLIDARITÄT MIT UNSEREM KAMPF!

LASST ES NICHT ZU, DASS DIE STÄNDIGEN SPALTUNGSVERSUCHE DER KAPITALISTEN ERFOLG HABEN UND EINEN KEIL ZWISCHEN SPANISCHE UND DEUTSCHE ARBEITER TREIBEN.

FREIHEIT FÜR JOSE CUMPLIDO!

MENSCHENWÜRDIGE WOHNBEDINGUNGEN FÜR AUSLÄNDISCHE KOLLEGEN!

HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!“ (1)

26. April 1972: Laut KJVD der KPD/ML-ZB protestierte im Opelwohnheim in Bochum u. a. der Spanier Jose Cumplido gegen unmenschliche Wohnverhältnisse. Er wird von einem Spitzel als Rädelsführer denunziert, wird heute von der Polizei verhaftet und verschwindet spurlos.

Berichtet wurde auch in:

- NRW in Dortmund durch das Vorbereitende Komitee Dortmunder Hochschulen Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung und das Vorbereitende Komitee Huckarde Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung. (2)

29. April 1972: Laut der „Bochumer Studenten-Zeitung“ fand in Bochum eine „Solidaritätsdemonstration für den spanischen Genossen Jose Cumplido im Opel-Ausländerheim“ statt. Anlass der Demonstration ist das Verschwinden Cumplidos, der „gegen die unhaltbaren Zustände im Opel-Ausländerheim protestiert“ hatte und „vom Heimwart als Rädelsführer verpfiffen“ worden war. Wegen einer angeblich fehlenden Aufenthaltsgenehmigung wurde dieser dann festgenommen An der Demonstration beteiligen sich: KSB/ML der KPD/ML-ZK, SAG Bochum, 883 Revolutionäre Aktion Bochum, Projektgruppe Gastarbeiter Bochum, KSV der KPD.

Laut KJVD der KPD/ML-ZB bildete sich nach einem ersten Protestmarsch in Bochum das Aktionskomitee „Freiheit für Jose Cumplido“. Daran beteiligen sich u. a. KPD/ML-ZB, KJVD, SDAJ der DKP, Jusos der SPD, Sozi-Info und der Bochumer AStA. (3)

1. Mai 1972: Bei Opel Bochum gab die KPD vermutlich in dieser Woche eine „Kommunistische Arbeiterpresse“ (KAP) heraus. Eine Korrespondenz berichtet aus dem Ausländerwohnheim in Laer, u. a. über die Festnahme von Jose Cumplido. (4)

8. Mai 1972: Laut der „Bochumer Studenten-Zeitung“ fand in Bochum eine zweite Solidaritätsdemonstration für Jose Cumplido statt. Unterstützt wurde diese Demonstration u. a. von dem in der letzten Woche gegründeten Aktionskomitee „Freiheit für Jose Cumplido“ sowie von KPD, KSV und Liga gegen den Imperialismus. (5)

14. Mai 1972: In Bochum demonstrierten, laut KPD/ML-ZB, 250 Personen, laut KJVD über 200, je zur Hälfte Spanier und Deutsche, unter der Forderung „Freiheit für Jose Cumplido“. Aufgerufen hatten u. a. ein gleichnamiges Solidaritätskomitee, KPD/ML-ZB, KJVD, die Jusos der SPD vom 'Sozi-Info', die SDAJ der DKP, der AStA der RUB und spanische Organisationen.

Weitere Parolen seien gewesen:

Die KPD berichtete: „Am 14.5.1972 demonstrierten 200 spanische Kollegen vor dem spanischen Wohnheim in Laer und in der Bochumer Innenstadt. Sie forderten 'Freiheit für Jose Cumplido' und 'Menschenwürdige Wohnungen für ausländische Arbeiter'. Jose Cumplido, ein spanischer Kollege, ist verschwunden, nachdem er von der Polizei verhaftet worden war. Er hatte an einer Protestaktion der spanischen Kollegen gegen die unzumutbaren Verhältnisse in den Wohnheimen teilgenommen.

Betriebsratsvorsitzender Perschke nannte auf der Betriebsversammlung die Wohnverhältnisse 'vorbildlich'. Doch wie sieht es in den Wohnheimen tatsächlich aus?" Dazu und zur Festnahme Cumplidos äußerte sich u.a. ein spanischer Kollege. (6)

31. Mai 1972: Auf der Schachtanlage Minister Stein/Hardenberg Dortmund soll vermutlich heute Mittag die „Rote Fahne“ der KPD/ML-ZB Nr.11 vom 29.5.1972 verkauft werden, für die morgens u. a. geworben worden war. In dieser Ausgabe war auch der Artikel zu Jose Cumplido zu lesen: „FREIHEIT FÜR JOSE CUMPLIDO - Spanischer Kollege bei Opel“ (7)

12. Juni 1972: Vermutlich erschien in dieser Woche eine Ausgabe der „Jugend-Rutsche - Zeitung der Jugendbetriebsgruppe Minister Stein/Hardenberg Dortmund des KJVD der KPD/ML-ZB. Ein Artikel lautete auch: „FREIHEIT FÜR JOSE CUMPLIDO!“ (8)

4. September 1972: Vermutlich Anfang dieser Woche gab in Dortmund das Vorbereitende Komitee Huckarde Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung - Mitglied des Dortmunder Komitees 'Kampf dem reaktionären Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung' das folgende Flugblatt mit vier Seiten DIN A4 unter Verantwortung von Reinhart Wagner, Postfach 89, Dortmund-Marten, heraus:

„AUFRUF ZUM KAMPF GEGEN DAS REAKTIONÄRE AUSLÄNDERGESETZ

IN ALLER STILLE EINSCHNEIDENDE GRUNDGESETZÄNDERUNGEN VORBEREITET!

Während alle Welt gebannt nach München blickt, während man sich in Bonn um Ostpolitik, Wahlkampfthemen und Rentenreform zankt, werden in aller Stille die Vorbereitungen für die Offensive gegen die Arbeiterklasse getroffen. Mit den Gesetzen zur 'inneren Sicherheit' schafft sich die herrschende Klasse Westdeutschlands neue Instrumente, die es ihr ermöglichen, alle Hemmungen gegenüber ihren sogenannten 'Grundrechten' fallen zu lassen, wenn es sich um die Niederhaltung demokratischer oder revolutionärer Bewegungen handelt. Dabei versucht sie heute, den wahren Charakter dieser Gesetze soweit wie möglich vor dem Volk zu verbergen.

Und sie haben auch allen Grund dazu: Wenn sie, in trauter Einheit von FDP/SPD und CDU/CSU, neue und verschärfte Unterdrückungsmaßnahmen vorbereiten und gleichzeitig ein Wahlkampf vor der Tür zu stehen hat, dann können sie dem Volk nicht sagen, was sie wirklich meinen. Nur wenn sie unter sich sind, lassen sie die Katze aus dem Sack. So zum Beispiel Herr Genscher (FDP, d.Vf.), Bundesinnenminister, der am 7.6.1972 in einer Bundestagssitzung unter anderem erklärte: 'Wir haben uns in den letzten Jahren in zunehmendem Maße auch mit den Sicherheitsproblemen auseinandergesetzt, die durch die Tätigkeit radikaler und zum Teil terroristischer Ausländerorganisationen im Bundesgebiet entstehen.' Worin jedoch, so muss man sich fragen, besteht die Radikalität und der Terrorismus, den Herr Genscher anprangert? Ist es radikal, wenn spanische Kollegen dagegen protestieren, dass sie mit fünf Menschen in einem kleinen Loch hausen müssen, wie es im Wohnheim der Opel-Werke in Bochum Laer der Fall ist?

Der Kollege Jose Cumplido war einer derjenigen, die aufzeigten, dass nur die solidarische Kampffront aller Kollegen ihren Widerstand gegen diese unmenschlichen Existenzbedingungen Erfolg verleihen kann. Ohne Begründung wurde er daraufhin von Bochumer Polizeischergen auf der Straße verhaftet. Was ist mit ihm geschehen, wurde er den spanischen faschistischen Völkerknechten zugeschoben? Oder ist es vielleicht terroristisch, wenn spanische Arbeiter in ihrer Heimat für das Recht kämpfen, freie Gewerkschaften zu bilden, bzw. für einen Lohn demonstrieren, der ihnen gerade das Existenzminimum sichert? Bei solchen Gelegenheiten schießt die spanische Polizei einfach in die Menge hinein, wie z.B. am 1.Mai 1972 in Barcelona, wo sie acht Arbeiter tötete.

Als radikale und terroristische Minderheiten bezeichnet die sozialdemokratische Regierung also Organisationen, in denen hunderttausende von portugiesischen, spanischen, griechischen oder türkischen Antifaschisten arbeiten. Sie führen in ihren Heimatländern den Kampf für nationale Unabhängigkeit und Demokratie gegen die von den USA gestützten faschistischen Militärregime und in Westdeutschland kämpfen sie für menschenwürdige Existenzbedingungen und gleiche demokratische Grundrechte, gegen die Extraausbeutung durch die westdeutsche Kapitalistenklasse und gegen die Bespitzelung und Verfolgung durch deutsche Polizisten und Verfassungsschützer.

Nach dem äußerst reaktionären Entwurf des Ausländergesetzes sollen ausländische Demokraten und fortschrittliche Arbeiter jederzeit bei sogenannter 'Gefährdung der auswärtigen Belange der Bundesrepublik' ausgewiesen werden. Wie das praktisch aussehen soll, hat der 'Friedenskanzler' Brandt bereits bei seiner Persienreise im März dieses Jahres sehr deutlich gezeigt. Als Gegenleistung für Öl an den westdeutschen Imperialismus hat Brandt die radikale Unterdrückung aller persischen oppositionellen Studenten in Westdeutschland und Westberlin angeboten.

Jede öffentliche Versammlung von Ausländern, an der mehr als drei Personen teilnehmen, soll genehmigungspflichtig werden und jederzeit auflösbar sein. Davon sollen in Zukunft auch deutsche Versammlungen nicht ausgeschlossen werden, wenn Ausländer anwesend sind und sei dies auch nur zufällig. Da liegen bereits die ersten Ansatzpunkte zur Ausdehnung des Gesetzes auf deutsche oppositionelle Organisationen.

Diese verschärften Unterdrückungsmaßnahmen stehen in einer Reihe mit den Notstandsgesetzen, dem Westberliner Handgranatengesetz, dem Bundesgrenzschutzgesetz, der gesamten Aufrüstung von Polizei und Bundeswehr, dem reaktionären Betriebsverfassungsgesetz und dem Berufsverbot von Kommunisten und Demokraten im öffentlichen Dienst, die sich gegen die gegenwärtigen Maßnahmen des Staatsapparates wenden. Diese Gesetze dienen der Unterdrückung der kommunistischen und demokratischen Bewegung, die den Kampf gegen staatliche Unterdrückung führen und dient nicht zuletzt der erneuten Anwendung des KPD-Verbots.

VERSCHLIESSEN WIR NICHT DIE AUGEN VOR DER WIRKLICHKEIT!

Verschließen wir nicht die Augen vor der Wirklichkeit. Die aufgeführten, verabschiedeten Gesetze zeigen, dass das herrschende Finanzkapital nicht nur Vorbereitung zur Unterdrückung der ausländischen Kollegen trifft, sondern auch Maßnahmen ergreift, um ebenso gegen uns vorgehen zu können. Das wiedererstarkte Selbstbewusstsein der deutschen Arbeiterklasse und die immer stärker werdende Unzufriedenheit des Volkes mit dem politischen Geschehen zwingt die herrschende Klasse, Vorbereitungen zu treffen für die zwangsläufige Verschärfung der kommenden Klassenkämpfe. Die ständigen Preissteigerungen, die sich wiederholenden Absatzkrisen und die damit verbundene Kurzarbeit und Entlassungen haben gezeigt, dass die Zeit des Wirtschaftswunders vorbei ist. Dass der kapitalistische Krisenkurs, wie wir ihn bereits in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts kennen, auch die Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft immer stärker kennzeichnet.

Die Unzufriedenheit wächst aber auch aus der Erkenntnis, dass dieser Staat nicht den Interessen der Volksmassen dient, sondern ein Instrument des herrschenden Finanzkapitals zur Organisierung seiner Herrschaft und der Unterdrückung alles gegen diese Herrschaft gerichteten Widerstands ist. Neben den verabschiedeten volksfeindlichen Gesetzmaßnahmen wurde dies besonders deutlich durch die offensichtlich gewordenen Korruptionen, wie dem Abgeordnetenhandel zur Durchsetzung von Industrieinteressen oder zuletzt dem Skandal um Dorn, und Raffert und Co. Gerade Kommunisten sind diejenigen, die den Zusammenhang von politischer Korruption und politischer Unterdrückung unermüdlich entlarven und dem Volke offenbaren.

Gerade deshalb richtet sich der gegenwärtig verschärfte Terror der Bourgeoisie und ihres Staatsapparates gegen die anwachsende kommunistische Bewegung. Aus eigener Erfahrung weiß die Bourgeoisie sehr gut, dass die Verschmelzung der kommunistischen mit der Arbeiterbewegung, erst die revolutionäre Idee in den Köpfen der Massen eine ernsthafte Gefahr für ihre Herrschaft darstellt. Daher geht es ihr heute darum, diese Verbindung von kommunistischer und Arbeiterbewegung im Keime zu ersticken. So werden Betriebe, Gewerkschaften und Staatsapparat, Schulen und Hochschulen radikal von fortschrittlichen Menschen und Kommunisten gesäubert und das erneute Verbot der kommunistischen Organisationen beschleunigt vorbereitet. Trotz des offensichtlich reaktionären Charakters der Gesetze, trotz der ungeheuren Gefahr, die diese Maßnahmen der Verschärfung der politischen Unterdrückung für alle fortschrittlichen und demokratischen Kräfte in Westdeutschland bedeuten, ist sich der größte Teil der westdeutschen Arbeiterklasse gar nicht oder nur in sehr geringem Maße dieser Gefahr bewusst. So konnte und kann die SPD-Regierung diese Gesetze verabschieden lassen und weitere Maßnahmen vorbereiten, ohne auf einen nennenswerten Widerstand zu stoßen.

SCHLUSS MIT DER LÜGE VOM KLEINEREN ÜBEL DER SPD!

Ein wichtiger Grund für diesen Zustand liegt in der Tatsache, dass ein großer Teil der westdeutschen Arbeiterklasse und viele fortschrittliche Menschen die SPD als kleineres Übel ansehen gegenüber der CDU/CSU, wenn nicht gar als fortschrittliche Alternative. Klärt man sie über den Charakter und die weitreichenden Konsequenzen dieser Gesetze auf, stimmen viele spontan der Verurteilung dieser Unterdrückungsmaßnahmen zu. Nicht selten entgegnen sie jedoch genauso spontan, dass diese Gesetze im Grunde nur auf den äußeren Druck von Barzel, Strauß und Springer und Co. auf die SPD zustande gekommen sind, eben als Zugeständnisse an die Rechtskräfte, und dass die SPD selbst die Gesetze nie anwenden würde. Ursache dieses Dilemmas seien vielmehr die knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und die kleine Koalition. Bei einer SPD-Alleinregierung sähe die ganze Sache schon viel besser aus …

Dies sind nur einige Beispiele sozialdemokratischer Praxis, nur einige Beispiele zum Verständnis der SPD-Führer nach 'mehr Demokratie' und 'demokratischem Sozialismus'. Dass es sich bei diesen Gesetzen eben nicht nur um Zugeständnisse oder bloße Absicht handelt, zeigt wohl deutlich die blutige Jagd nach Mitgliedern der Baader-Meinhof Gruppe (RAF, d. Vf.), in deren direktem oder indirektem Zusammenhang mehr als zehn Menschen von der Polizei ermordet wurden, sowie eine große Zahl von Festnahmen fortschrittlicher und revolutionärer Menschen, zum Zwecke der 'Erkennungsdienstlichen Behandlung' für Ruhnaus Verbrechercomputer). Dass es der SPD bis jetzt trotzdem immer wieder gelingt, ihre reaktionäre Politik zu verschleiern, liegt nicht zuletzt in der Rolle begründet, die die SPD in der deutschen Arbeiterbewegung einmal spielte und die es ihr immer noch ermöglicht, den Anschein einer Partei zu erwecken, die in erster Linie die Interessen der Arbeiter vertritt.

Nicht erst ihre Politik in der großen Koalition machte deutlich, welche Interessen sie vertritt. Bereits 1956 unterstützte sie das KPD-Verbot. Unter ihrer Regie wurde die Konzertierte Aktion und ihr Einfluss in den Gewerkschaften dazu benutzt, die ökonomischen Kämpfe der Arbeiterklasse zu unterdrücken, um sich damit der westdeutschen Bourgeoisie als die Kraft anzubieten, die die Krise des westdeutschen Kapitalismus auf Kosten der Werktätigen überwindet. Es bedeutete, dass aufgrund des großen Einflusses der SPD in breiten Teilen der Bevölkerung, die sie trotz ihrer reaktionären Politik immer noch für besser halten als die CDU/CSU, gerade der Kampf gegen die geführt werden muss, die selbst vorgeben, gegen die politische Unterdrückung und das reaktionäre Ausländergesetz zu kämpfen, dies jedoch mit den 'linken' SPD-Führern, mit einer 'realistischen Fraktion' gemeinsam tun wollen. Sie unterstützen damit direkt die Demagogie der SPD-Führer und verhindern, dass viele fortschrittliche Menschen den wahren Charakter der SPD erkennen.

DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER: EINE KAMPFFRONT!

Ob Brandt, ob Barzel - der Stiefel, der uns tritt, ist der gleiche, er dient denselben Herren. Sie sagen 'einige ausländische Radikale und Terroristen', - sie meinen uns, sie meinen die gesamte Arbeiterklasse. Denn das Ausländergesetz ist die Generalprobe für die Unterdrückung der Arbeiterklasse, des ganzen werktätigen Volkes in Westdeutschland.

Diese Politik der westdeutschen Bourgeoisie ist Antwort auf die anwachsenden Befreiungsbewegungen der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, auf die immer schärfer werdende Krise des gesamten imperialistischen Systems; sie ist Vorsorge gegenüber dem Wiedererwachen der westdeutschen Arbeiterklasse, dem erneuten Aufflammen des offenen Klassenkampfes in unserem Land; sie bildet den Beitrag der westdeutschen Konzernherren zur Rettung des verfaulenden imperialistischen Systems. Sie reiht sich damit ein in die internationale Organisierung der herrschenden Klassen. In allen Ländern der Erde, in denen noch nicht die breiten Volksmassen unter der Führung der Arbeiterklasse die Macht ergriffen haben, sind es ähnliche, meist noch grausamere Maßnahmen, mit denen die herrschende Klasse ihren unvermeidlichen Untergang heraus zu zögern versucht: Sei es die Ermordung von demonstrierenden Studenten in den USA seien es die Foltermethoden in brasilianischen Gefängnissen, die Verhaftung tausender Patrioten in Spanien, die Todesurteile gegen revolutionäre Jugendliche in der Türkei, die in einer Reihe stehen mit der Verschärfung der politischen Unterdrückung bei uns in Westdeutschland, dem 10-Jahre-Urteil gegen Werner Hoppe, der Ermordung von Petra Schelm und anderen. Dieser Politik kann und muss die ganze Arbeiterklasse, muss das ganze werktätige Volk entschlossen gegenübertreten, müssen sie ihre eigenen Abwehrmaßnahmen treffen. Wie kann das geschehen? Es ist unbedingt notwendig, dass alle Organisationen und Gruppen, die sich für die Interessen der Arbeiterklasse und der Volksmassen einsetzen, ungeachtet ihrer verschiedenen Taktiken eine Einheitsfront gegen die Ausländergesetze und die verschärfte politische Unterdrückung planen und organisieren. Wir werden hierzu die ersten Schritte vorbereiten und die Auseinandersetzungen zur Herstellung dieser Einheitsfront in Angriff nehmen.

Diesem Flugblatt werden eine Reihe von weiteren folgen, sowie Auszüge aus Gesetzestexten mit Kommentaren, aktuelle Informationen über Fälle von politischer Unterdrückung und den Widerstand dagegen. Wir werden dabei tiefer und in Einzelheiten den reaktionären Charakter der Gesetze erläutern, die Schritte zur Abwehr aufzeigen und den jeweiligen Stand unserer eigenen Bewegung darstellen. An alle Arbeiter, Werktätige, Studenten, Schüler und Hausfrauen richtet sich dieser Aufruf. Setzt euch mit den Verteilern der Flugblätter in Verbindung.

Diskutiert mit ihnen! Berichtet ihnen von euren eigenen Erfahrungen von politischer Unterdrückung! Zeigt die katastrophalen Verhältnisse, unter denen unsere ausländischen Kollegen hier existieren müssen auf. Macht eure eigenen Vorschläge, werdet aktiv! Beteiligt Euch an der Initiative zur Gründung der Komitees - nur der gemeinsame Kampf schafft eine wirkliche Abwehrfront. Es nützt niemandem, wenn er heute dieser Sache aus dem Weg geht.

DEM ANGRIFF DER HERRSCHENDEN KLASSE MUSS DIE GESCHLOSSENHEIT DES VOLKES ENTGEGENSTEHEN!

ES LEBE DIE EINHEITSFRONT ALLER WERKTÄTIGEN!

ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT DER ARBEITERKLASSE!

NIEDER MIT DEM WESTDEUTSCHEN IMPERIALISMUS!

TOD DEM FASCHISMUS IN DER TÜRKEI, GRIECHENLAND, SPANIEN, PERSIEN UND IM IRAK!

ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!

DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER - EINE KAMPFFRONT!“ (9)

Anmerkungen:

(1) Vgl. Rote Fahne, Nr.45, Dortmund, 31.5.1972,S.7.

(2) Vgl. Vorbereitendes Komitee Huckarde: Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung: Aufruf zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz, Dortmund, o. J. (September 1972), S. 1; Der Kampf der Arbeiterjugend, Nr.5, Bochum, Juni 1972; Vorbereitendes Komitee Dortmunder Hochschulen - Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung: Kampf der Verschärfung der reaktionären Ausländergesetze, Dortmund, o. J. (1972), S. 2; Vorbereitendes Komitee Dortmunder Hochschulen Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung: Aufruf zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz, Dortmund, o. J. (1972), S. 2.

(3) Vgl. Der Kampf der Arbeiterjugend, Nr. 5, Bochum, Juni 1972; Bochumer Studenten-Zeitung, Nr.94, Bochum 1972, S. 5.

(4) Vgl. Rote Fahne, Nr. 45, Dortmund, 31.5.1972, S. 7.

(5) Vgl. Bochumer Studenten Zeitung, Nr. 95, Bochum 1972, S. ?

(6) Vgl. Rote Fahne, Nr. 45, Dortmund, 31.5.1972, S. 7; Rote Fahne, Nr. 11, Bochum, 29.5.1972, S. 11; Der Kampf der Arbeiterjugend, Nr. 5, Bochum, Juni 1972.

(7) Vgl. Rutsche Kumpels, aufgepasst: 'Tarifwahrheit bedeutet Lohnabbau’! Dortmund, o. J. (1972), S. 8.

(8) Vgl. Jugend-Rutsche: Unser der Sieg - Durch Einheit im Kampf, Dortmund, o. J. (Juni 1972).

(9) Vgl. Vorbereitendes Komitee Huckarde: Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung: Aufruf zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz, Dortmund, o. J. (September 1972).

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