Pädagogische Hochschule Dortmund: DOS - Dortmunder Studentenzeitung, Jg. 3, Nr. 22, 17. Okt. 1973

17.10.1973:
Der AStA der PH Dortmund gibt die Nr. 22 seiner 'DOS' - Dortmunder Studentenzeitung (vgl. 8.10.1973, 22.10.1973) mit 17 Seiten DIN A 4 heraus, mit folgendem Inhalt:
1. Statt einer freundlichen Begrüßung
2. Chronologie der Ereignisse in Chile (vgl. 6.9.1970, 11.9.1973)
3. Militärputsch in Chile oder vom bitteren Ende einer Illusion
5. Studentenschaftsgesetz - oder Täuschungsmanöver des WiMi
6. Der Herr befiehlt - die Knechte sollen folgen (vgl. PH Ruhr - 17.9.1973)
7. Studentenwerksgesetz - Der kalte Zugriff über den Sozialbereich.

Bekanntgegeben werden Termine von AStA (vgl. 15.10.1973, 16.10.1973), GEW-AG (vgl. 13.11.1973) und GIM (vgl. 24.11.1973) sowie Arbeitstreffen der GEW-AG montags um 18 Uhr und die öffentlichen AStA-Sitzungen montags um 13 Uhr.

Im ersten Beitrag wird ausgeführt:"
STATT EINER FREUNDLICHEN BEGRÜSSUNG

Der AStA der PH Dortmund und das Redaktionskollektiv der 'Dortmunder Studentenzeitung' (DOS) möchte an Euch, insbesondere die Erstsemester, einige Worte richten.

Mit dem Beginn von rund 1 000 neuen Studenten wird die Gesamtzahl an dieser Abteilung bei über 3. 000 Studierenden liegen. Diese Zahl wurde im Nordrhein-Westfalenprogramm (vgl. S2.**.197*,d.Vf.) für das Jahr 1975 angestrebt. Die Abteilung ist daher in vielfacher Hinsicht nicht auf Euch vorbereitet:

RÄUMLICHE VORAUSSETZUNGEN

Zum einen fehlt es an räumlichen Voraussetzungen. Gemeint sind damit die fehlenden Hörsäle für Großveranstaltungen. Dies allein könnte einem noch nicht die Tränen in die Augen treiben, aber und obwohl der Großteil der Lehrenden eingesehen hat, daß diese Massenveranstaltungen hochschuldidaktisch keinen Sinn haben, werden sie immer noch in großer Zahl angeboten. Als 'Notlösung' wurden daher noch im letzten Wintersemester diese Veranstaltungen zerlegt und die Vorträge der Lehrenden per Fernsehen in mehrere Seminarräume übertragen. Gegen diese Veranstaltungen liefen die Studenten Sturm, da sie keine Möglichkeit zur kritischen Reflexion fanden.

Mit 'Erfolg', denn die Veranstaltungen wurden wieder zusammengelegt, sodaß sich in manchen Veranstaltungen über 150 Studenten in Seminarräumen für 80 Studenten zusammendrängelten und wahrscheinlich nicht zum Arbeiten kamen.

TUTORENPROGRAMM

Der AStA und eine Reihe von politischen Hochschulgruppen haben daher versucht, zusammen mit fortschrittlichen Professoren und Assistenten ein Tutorenprogramm zu verabschieden, das die Abschaffung der überholten Form der Vorlesung und damit ein intensiveres Arbeiten zur Folge gehabt hätte.

Die Studentenschaft forderte, daß ein solches Programm verpflichtend gemacht wird, was aber strikt abgelehnt wurde. So fühlt sich heute niemand der Lehrenden verpflichtet, das Restprogramm zu versuchen - von wenigen Ausnahmen abgesehen.

PERSONELLE VORAUSSETZUNGEN

Die andere Seite ist die personelle Ausstattung dieser PH. In einer Reihe von Fachbereichen, wie z.B. dem grundwissenschaftlichen Fach Soziologie, fehlt es an Planstellen, um einen halbwegs gesicherten Studiengang zu garantieren. Auch hier hätte die Durchführung des Tutorenprogramms die personellen Mängel zumindest ansatzweise beseitigen können. Aber nicht genug damit; diese Abteilung läßt sich durch ministerielle Erlasse weitere Mittel für Lehraufträge, die den Personalmangel einschränken könnten, streichen. Die einzige Reaktion darauf besteht, einen Ausschuß zu bilden, der strengere Kriterien für die Vergabe von Lehraufträgen erarbeiten soll.

PAPERERLASS

Ein weiteres: Zu Beginn dieses Jahres (vgl. Jan. 1973,d.Vf.) kam vom Wissenschaftsministerium ein Erlaß, daß sogenannte Seminarpapiere, also Skripten, die von den Studenten in den Seminaren zur Arbeit an den Themen erstellt werden (, nicht mehr von der Hochschule bezahlt werden,d.Vf.) dürfen. Die Fächergruppen gingen einen Umweg und bezahlten diese Papiere auf Kosten der Bücheretats. Nun aber ist man soweit, daß fast nirgends neue Bücher angeschafft werden können. Folglich versucht man nun, die Kosten auf die Studentenschaft abzuwälzen. Wir haben uns dagegen gewehrt, weil die Förderung der Studenten auch immer weiter sinkt. Die endgültigen Entscheidungen, an denen sich die Abteilungskonferenz (AK,d.Vf.) immer noch vorbeidrückt, stehen noch aus.

WAS ERWARTET EUCH ALSO?

Euch erwartet ein Studium, das von den geringsten Voraussetzungen wie räumlicher und personeller Art her nicht gesichert ist; von der materiellen Absicherung durch das BAFöG ganz zu schweigen.

Euch bei diesen Startbedingungen einen guten Anfang und ein erfolgreiches Vorankommen zu wünschen, ist ein reiner Hohn - wir wollen es aber trotzdem tun."

Im auf die Chile-Chronologie folgenden Artikel wird u.a. berichtet vom 6.9.1970 und dem 11.7.1973 und außerdem ausgeführt:"
MILITÄRPUTSCH IN CHILE ODER VOM BITTEREN ENDE EINER ILLUSION


Am 11.9.1973 kam die Nachricht, daß die Oberkommandierenden der chilenischen Armee gegen die verfassungsmäßig gewählte Regierung ALLENDE geputscht haben. Mit Terror, Mord, Folter und Masseninhaftierungen versucht die Militärjunta nun, ihre Macht aufrechtzuerhalten und zu festigen. Durch sofort erlassene, scharfe Pressezensur, das Verbot der gesamten linken Presse gelangen nur spärliche Informationen ins Ausland. Eins scheint jedoch sicher zu sein: der Widerstand der chilenischen Arbeiter, Bauern und Studenten ist noch nicht vollends gebrochen, trotz des schweren Schlages, den die Junta den chilenischen Bauern, Arbeitern und Studenten zufügen konnte, und es werden fieberhafte Versuche unternommen, den Widerstand zu reorganisieren. Diesem Widerstand gehört unsere volle Solidarität (siehe Spendenaufruf des AStA). Doch diese Solidarität ist für uns auch gleichzeitig Verpflichtung, die Hintergründe der jetzigen Entwicklung in Chile aufzuzeigen und kritisch zu analysieren, nicht zuletzt auch deshalb, um am Beispiel Chile für die politische Auseinandersetzung in der BRD zu lernen.

Hauptsache, daß die Entwicklung in Chile unter der Regierung Allende von vielen fortschrittlichen Kräften in der BRD und in aller Welt mit viel Sympathie, aber auch mit Skepsis verfolgt wurde, ist um so mehr ein Grund für uns, sich kritisch mit der Entwicklung in Chile auseinanderzusetzen (?,d.Vf.).

Am 4.September 1970 (vgl. 6.9.1970,d.Vf.) gelang es der Unidad Popular (UP) mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Allende über demokratische Wahlen mit Unterstützung der Christdemokraten die Regierung zu übernehmen. Die UP stellt ein relativ heterogenes Bündnis verschiedener linker Gruppierungen dar, der Bewegung der vereinten Volksaktion (MAPU), einer Abspaltung der Christdemokraten; der Aktion Popular Independente (API), der Radikalenpartei und als wichtigster Träger die Sozialistische Partei unter Allende und die Kommunistische Partei Chile's.

Das Programm der Regierung beinhaltete im wesentlichen folgende Punkte:

1. Fortsetzung der von den Christdemokraten begonnenen Landreform
2. Beendigung der direkten imperialistischen Führungsgewalt über die Rohstoffe
3. Die Verstaatlichung einer Reihe von Industriezweigen
4. Nationalisierung der Banken

Die Durchsetzung dieser Maßnahmen bedeutete zwar nicht die Umwälzung der chilenischen Wirtschaft in eine sozialistische, doch führte sie zu einer nicht unwesentlichen Veränderung der ökonomischen Struktur Chiles (substantielle Beeinträchtigung der Profite, spürbare Umverteilung des Nationaleinkommens usw).

So gelang es z. B. im ersten Jahr
- die jährliche Inflationsrate von 35% (1970) auf 22% (1971) zu senken
- die Mindestlöhne um 66% zu erhöhen
- annähernd 80 000 Wohnungen zu bauen
- die Arbeitslosenquote in Großsantiago von 8,3% (Dez. 1970) auf 5,1% (Juni 1971) zu senken
- trotz des früh einsetzenden Boykotts die industrielle Produktion in den ersten neun Monaten um 8-10% zu erhöhen.

Hierbei muß hervorgehoben werden, daß die Maßnahmen der Regierung begleitet waren von hoher Mobilisierung der Arbeiter und Bauern, die mit ihren Aktionen oft weit über den von der Regierung gesetzten Rahmen hinausgingen. Dieser Aufschwung der Massenbewegung schlug sich nieder in einem erhöhten politischen Bewußtsein und Organisationsgrad, und war später Keim autonomer Machtstrukturen. Hierin ist auch der Grund zu suchen, wieso sich die ökonomisch Herrschenden der Volksfrontregierung nicht sofort entledigen konnten. Die Stärke der Arbeiter- und Bauernbewegung, die anfangs recht weitgehende Neutralität der Armee ließen der Bourgeoisie keine Möglichkeit, einen schnellen Entscheidungskampf herbeizuführen (an verschiedenen Versuchen, sich der Regierung zu entledigen, hat es selbstverständlich nie gefehlt; siehe auch Chronologie der Ereignisse).

Ein Teil der Bourgeoisie setzte sich samt seinem Kapital nach den Wahlen sogar gleich ins Ausland ab. Die einzige Aussicht der Bourgeoisie bestand darin, im Verlauf der nächsten Jahre das System ökonomisch so zu schwächen, daß sie auf der Grundlage der Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung, vor allem des Mittelstandes, mit Hilfe faschistischer Organisationen wie 'Vaterland und Freiheit', des Militärs und ausländischer Unterstützung (man kann sich der bereitwilligen Unterstützung des amerikanischen Geheimdienstes CIA stets vergewissern), die Konfrontation suchen konnte.

Denn weder war es möglich, die Arbeiterbewegung zu reintegrieren, noch bot eine kurze, militärische Intervention des US-Imperialismus Aussicht auf Erfolg. So lief denn die Taktik der Bourgeoisie auf eine systematische, ökonomische Zermürbung hinaus. Die vom CIA finanzierten Streiks der 150 000 Kleinhändler und Fuhrunternehmer im Oktober 1972 (vgl. 12.10.1972,d.Vf.) verkündeten den Beginn der Großoffensive der Reaktion. Damals antwortete die Arbeiterklasse mit der Schaffung von Komitees zur Verteilung und Gemeinschaften, die die Lieferung an Industriebetriebe kontrollierten. Die politische Situation spitzte sich zu. Am 29.Juni 1973 wurde die zweite Offensive gestartet. Der Putsch, von Teilen der Armee getragen, scheitert. Die Betriebe werden von den Arbeitern spontan besetzt und weitere Machtorgane der Arbeiter gebildet. Die dritte Offensive war ein erneuter Fuhrunternehmerstreik, der exakt bis zur Machtübernahme andauerte.

Der Putsch am 11. September kam somit nicht unerwartet.

ER IST DIE KONSEQUENTE, VORAUSSEHBARE FORTFÜHRUNG DER STRATEGIE DER BOURGEOISIE, DER AKTUELLEN, POLITISCHEN SITUATION, DIE WEDER DURCH DIE HERRSCHAFT DES BÜRGERTUMS NOCH DER ARBEITER KLAR BESTIMMT WURDE, EIN ENDE ZU BEREITEN. WENN HEUTE DIE CHILENISCHE ARBEITER- UND BAUERNREGIERUNG IN IHREM EIGENEN BLUT ERSTICKT WIRD, SO KANN MAN DIE UNIDAD POPULAR, INSBESONDERE DIE KP CHILE'S NICHT VON DER MITSCHULD FREISPRECHEN; DENN DASS SOWOHL DIE MASSNAHMEN DER REGIERUNG ALLENDE ALS AUCH DIE DYNAMIK DER MASSENBEWEGUNG DEN ERBITTERTEN WIDERSTAND DER BOURGEOISIE HERVORRUFEN MUSSTEN, WAR VON ANFANG AN KLAR. DOCH WELCHE ANTWORT WURDE DARAUF VON DER UP-REGIERUNG GEGEBEN?

ALS DIE REAKTIONÄREN KRÄFTE IM OKTOBER 1972 DIE CHILENISCHE WIRTSCHAFT DURCH BOYKOTT ZERSTÖRT HATTEN, ALS DIESE SCHON OFFEN ZUM PUTSCH AUFRIEFEN, IN DIESER SITUATION HATTE DIE REGIERUNG NICHTS BESSERES ZU TUN, ALS IN 24 VON 25 PROVINZEN DEN AUSNAHMEZUSTAND ZU VERHÄNGEN UND EIN ALLGEMEINES AUSGEHVERBOT. SIE HÄLT DIE ARBEITERKLASSE VON WIRKSAMEN SELBSTVERTEIDIGUNGSMASSNAHMEN AB UND LEGT DIE MACHT IN DIE HÄNDE DER MILITÄRS, DAS SEINE SCHIEDSRICHTERROLLE BEI DER OFFENSIVE DER REAKTION NATÜRLICH NICHT AUF IMMER UND EWIG BEIBEHALTEN KONNTE. ZWAR HATTEN SIE SICH BIS DAHIN RELATIV NEUTRAL VERHALTEN, DOCH WAR ABZUSEHEN, DASS BEI EINER VERSCHÄRFUNG DES KONFLIKTS, SIE ZWISCHEN DEN LAGERN WÄHLEN MUSSTEN, NICHT ZWISCHEN ILLEGALITÄT ODER LEGALITÄT, SONDERN ZWISCHEN DER BOURGEOISIE UND DEM PROLETARIAT. DOCH DAS SCHICKSAL DER CHILENISCHEN ARBEITER UND BAUERN IN DIE HÄNDE DER ARMEE ZU LEGEN, BEDEUTETE GLEICHZEITIG AUCH DEN STRICK FÜR ALLENDE. BEREITS VOR SEINEM REGIERUNGSANTRITT HAT ER EINE SCHRIFTLICHE GARANTIEFORDERUNG HINTERLEGT, DASS ER 'KEINE VOLKSMILIZ BILDEN UND DIE ARMEE NICHT POLITISIEREN' WERDE.

ANGESICHTS DES IMMER STÄRKER WERDENDEN TERRORS UND DER OFFENEN PROPAGANDA DER RECHTEN FÜR EINEN PUTSCH, VERSUCHTE DIE REGIERUNG DURCH ZUGESTÄNDNISSE AN DIE BOURGEOISIE DIESE ZU BESÄNFTIGEN - MIT DEM ERFOLG, DASS DIE POLITISCHE SCHWÄCHE DER REGIERUNG DIE BOURGEOISIE NUR NOCH ERMUTIGTE, IMMER WEITREICHENDERE FORDERUNGEN ZU STELLEN UND IHRE VORBEREITUNGEN ZUM STURZ DER REGIERUNG ZU INTENSIVIEREN. WÄHREND DIE BOURGEOISIE SCHON LÄNGST EINE POLITIK AUSSERHALB IHRER EIGENEN LEGALITÄT BETRIEB, BEMÜHTE SICH DIE REGIERUNG ALLENDE IMMER NOCH, DIESE LEGALITÄT UM KEINEN MILIMETER ZU VERLASSEN.

Ihre kompromißlerische Haltung gegenüber der Reaktion, ihr Festhalten an der bürgerlichen Legalität als Folge der Illusion vom friedlichen Übergang zum Sozialismus macht sie unfähig, das Problem der Bewaffnung der chilenischen Arbeiter und Bauern zu lösen. In diesem Sinne ist die UP auch mitverantwortlich für die jetzige Niederlage der Arbeiterbewegung.

Doch angesichts der politischen Reife der chilenischen Arbeiterklasse ist kaum zu erwarten, daß diese ihren Kampf aufgibt. Dieser Kampf jedoch dürfte kaum enden mit der Wiedereinsetzung der alten Regierung, sondern mit der Errichtung der Macht der Arbeiter und Bauern. Das Militär hat heute die erste Schlacht gewonnen, jedoch noch nicht den ganzen Krieg."

Aus dem 'Spiegel' Nr.40 wird ein Bericht über Folterungen (vgl. 1.10.1973) zitiert und von SBü und KELA folgt ein:"
SPENDENAUFRUF

Kommilitoninnen und Kommilitonen!

Das Sozialistische Büro und das Komitee Europa-Lateinamerika haben einen
SOLIDARITÄTSFOND FÜR EIN SOZIALISTISCHES CHILE
eingerichtet.

Spendet massenhaft auf folgende Konten:
Girokonto Hannelore Vack, 605 Offenbach, bei: Bank für Gemeinwirtschaft (BfG,d.Vf.) Offenbach Nr.17439961, Kennwort: Chile-Solidarität.

Postscheckkonto Dr. Andreas Buro, Sonderkonto Braunschweig, Postscheckamt Hannover, Konto Nr. 2398848-309, Kennwort: Chile-Solidarität".

Zum Studentenwerksgesetz (StWG) bzw. dessen Zusatzparagraphen 47 a heißt es:"
STUDENTENSCHAFTSGESETZ - ODER TÄUSCHUNGSMANÖVER DES WIMI

War man sich noch zu Beginn des Jahres von Seiten der Regierungskoalition einig, die Studentenschaft besonders durch den Entzug der Beitragshoheit praktisch zu zerschlagen, so wurden die Studenten im Mai dieses Jahres (vgl. 24.4.1973,d.Vf.) durch ein neues Versprechen des Wissenschaftsministers Rau überrascht. Man habe einen Lernprozeß durchgemacht und die Koalition sei sich einig, die verfaßte Studentenschaft zu erhalten. Wie dieser Lernprozeß aussah, davon zeugt der Entwurf der Landesregierung (vgl. S11f*.1973,d.Vf.). Der Paragraph 47a, Absatz 2 des SPD-Entwurfs heißt:

'Aufgabe der Studentenschaft ist es,

1. Die gemeinsamen Interessen der Studenten als Angehörige der Hochschule wahrzunehmen,
2. für die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Studenten einzutreten
3. die kulturellen Belange der Studenten zu fördern
4. den Studentensport zu fördern
5. die Beziehungen zu den Studentenvertretungen deutscher und ausländischer Hochschulen zu pflegen.

Die Zuständigkeit der Hochschule und der Hochschulorgane für entsprechende Aufgaben bleibt unberührt; die Studentenschaft hat das Recht, zu hochschulpolitischen Fragen Stellung zu nehmen.'

Im Kommentar zum Gesetzentwurf zu diesem Abschnitt heißt es:

'Der Gesetzentwurf berücksichtigt das sog. hochschulpolitische Mandat in der Weise, daß es zwar nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Studentenschaft gehört, hochschulpolitische Interessen der Studenten wahrzunehmen, daß ihr jedoch das Recht eingeräumt wird, zu hochschulpolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Ausgeschlossen ist das von studentischer Seite vielfach geforderte sog. allgemeinpolitische Mandat'.

Nicht nur, daß der Studentenschaft das Recht auf ein allgemeinpolitisches Mandat abgesprochen werden soll, sondern auch das sog. hochschulpolitische Mandat der Studentenschaft soll so verkürzt werden, 'daß die Hochschulen einen legitimierten Gesprächspartner für studentische Fragen haben'. Das heißt, daß der Studentenschaft das Recht auf aktive Wahrnehmung, z.B. durch Streiks, Demonstrationen usw., selbst dieser Interessen abgesprochen werden und sich die Studentenschaft in Zukunft sich lediglich darauf beschränken soll, Resolutionen und Stellungnahmen zu verabschieden. Macht die Studentenschaft von IHREM Recht auf ein allgemein-politisches Mandat Gebrauch, drohen ihr gerichtliche Sanktionen. Interessant ist es, in diesem Zusammenhang auf die gegenwärtigen Vorgänge an der Universität Freiburg (vgl. 24.1.1973, Juli 1973,d.Vf.) hinzuweisen. …

Solange die Studentenschaften wie in den 50/60iger Jahren in den allgemeinen Tenor des Antikommunismus einstimmten und gesellschaftskritische Ansätze mit dem Mikroskop zu suchen waren, sah man sich nicht genötigt, das allgemeinpolitische Mandat der Studentenschaft in Frage zu stellen. Sobald aber sozialistische, kommunistische und andere fortschrittliche Strömungen in der Studentenschaft an Stärke gewannen, entfaltete der Staatsapparat seine Gegenoffensive; doch bei den Angriffen auf das allgemeinpolitische Mandat scheint bei den Vertretern des Staates selbst eine gewisse Unsicherheit laut geworden sein. Im Kommentar im Hochschulrahmengesetz (HRG - vgl. 2.7.1973,d.Vf.) der SPD/FDP-Regierung heißt es, daß 'aus der Einbindung der Hochschule in die Gesellschaft' folgt, 'daß zwischen hochschulpolitischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen fließende Übergänge bestehen; die Grenze wird mit Sicherheit dort überschritten, wo ein sachlicher Bezug zur Hochschulpolitik weder erkennbar noch beabsichtigt ist.'

Im Klartext: Die Entscheidung über das, was über den 'hochschulpolitischen' Rahmen hinausgeht, soll in Zukunft der Willkür der Gerichte ausgesetzt sein. Abschnitt 3 des Paragraphen 47a lautet: 'Organe der Studentenschaft sind:

1. Das Studentenparlament,
2. Der allgemeine Studentenausschuß,
3. Die Organe der Fachschaften.

Die Zuständigkeit der Organe und die Vertretung der Studentenschaft sowie die Gliederung der Studentenschaft in Fachschaften sind in der Hochschulsatzung zu regeln. Im übrigen wird die Ordnung der Studentenschaft in einer Satzung geregelt, DIE VOM STUDENTENPARLAMENT BESCHLOSSEN WIRD UND DER ZUSTIMMUNG DES SENATS UND DER GENEHMIGUNG DES MINISTERS FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG BEDARF'.

Hiermit wird dem Ministerium ein Mittel in die Hand gegeben, jede Satzung der Studentenschaft, die über den vom Ministerium gegebenen Rahmen hinausgeht, abzulehnen.

Die bisherige Regelung an unserer Hochschule ist in der Verfassung der PH Ruhr niedergelegt. Paragraph 56,2: 'Die Studentenschaft der Hochschule gibt sich eine Satzung, die der Genehmigung des Senats bedarf. Die Studentenschaft regelt ihre Angelegenheiten im Rahmen der Satzung selbständig.'

IMPERATIVES MANDAT

Mit dem Entwurf der Landesregierung wird nicht nur das imperative Mandat, das die studentischen Vertreter im AStA und Studentenkonferenz an die Beschlüsse der Basis bindet, um so eine Verselbständigung dieser Organe zu verhindern und demokratischer Kontrollen zu unterwerfen, liquidiert, sondern auch die Studentenvollversammlung als höchstes Organ der verfaßten Studentenschaft in der JEDER immatrikulierte Student Sitz und Stimme hat, und so auf die von SK und AStA gemachte Politik Einfluß nehmen kann, und nicht nur Studentenfunktionäre bestimmen, ist in diesem Entwurf nicht mehr vorgesehen.

Damit wird die Studentenschaft ihres wichtigsten Kontroll- und Entscheidungsorgans beraubt. Damit die Studentenschaft sich nicht einfach über diese ganzen reaktionären Bestimmungen hinwegsetzen kann, sollen letztlich die Hochschulverwaltung und das Wissenschaftsministerium über Höhe und Verwendungszweck der Studentenbeiträge entscheiden - das sicherlich beste Mittel, um die Studentenschaft fest im Griff halten zu können!

Daß diese Vorstellungen des Staates und der Landesregierung über Rolle und Funktion der verfaßten Studentenschaft den Interessen der verfaßten Studentenschaft diametral entgegengesetzt stehen, ist versucht worden, in diesem Artikel herauszustellen. Ein weiterer Artikel, der sich mit den Ursachen dieses Angriffs auseinandersetzen wird, erscheint demnächst.

Der beabsichtigten Aushöhlung der verfaßten Studentenschaft werden wir unseren gemeinsamen Widerstand entgegensetzen.

Von der Stärke dieses Widerstandes wird es abhängen, inwieweit es uns gelingt, die bisher im KAMPF errungenen Rechte (Satzungsautonomie, Beitragshoheit, imperatives Mandat und das allgemeinpolitische Mandat) zu verteidigen."

Zum StWG heißt es auch in einem ersten Teil einer Analyse (vgl. 22.11.1973):"
STUDENTENWERKSGESETZ - DER KALTE ZUGRIFF ÜBER DEN SOZIALBEREICH

Vorab: Das Studentenwerksgesetz für NRW ist noch in den Ausschüssen. Es wird aber damit gerechnet, daß das Gesetz noch in diesem Jahr den Landtag passiert.

Weiterhin: Zum STW-Gesetz gehört ein Zusatzparagraph 47a, der als Studentenschaftsgesetz die Verfaßte Studentenschaft (VS,d.Vf.) neu regeln soll. Hier soll nur der Teil des Gesetzes behandelt werden, der die Umwandlung der Studentenwerke (die noch eingetragenen Vereine e.V.) in Anstalten des öffentlichen Rechts vorsieht.

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

'Die Studentenwerke sind von den betroffenen Studentenschaften, die durch sie genossenschaftliche Selbsthilfe leisten wollten, regelmäßig in der Rechtsform des Eingetragenen Vereins gegründet worden (STW-Zeitung, Düsseldorf, Januar 1973)'. Es zeigte sich aber, daß die Vereine finanziell ihren satzungsgemäßen Aufgaben nicht nachkommen konnten. Die soziale Lage der Studenten ließ sich nicht entscheidend verbessern. Die Arbeit blieb Flickwerk an den Stellen, an denen die angespannte soziale Lage am deutlichsten hervortrat. Auch die zaghafte Zuschußgewährung von staatlicher Seite konnte die offensichtlichen Mängel nicht beheben.

'Obwohl durch die Erhöhung der staatlichen Zuschüsse versucht wurde, den Leistungsumfang auszuweiten, war und ist aus den Kriterien der Zuschußgewährung keine geänderte Beurteilung des Sozialstatus der Studenten zu sehen (a.a.O.).' Deutlich wird dies an der familienabhängigen Förderung. 'Die Motivation zur und die Einflußnahme auf die Ausbildung wird in erster Linie durch die Eltern angelegt, gemäß deren finanziellen Möglichkeiten und deren spezifischen Bildungsmotivation. Dadurch findet ständig ein sozialer Ausleseprozeß statt, der die bestehenden schichtenspezifischen Ausbildungswege und die daraus resultierenden tendierten Berufsstandards reproduziert' (a.a.O.). Die Konsequenz ist dann: 'Da die Ausbildung (also auch das Studium) notwendige Arbeit für die Gesellschaft ist, muß auch deren materielle Absicherung von der Gesellschaft durch deren zuständige staatliche Institutionen gewährleistet werden' (a.a.O.).

'Als Rechtsform für die Studentenwerke bieten sich dafür rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts an. Aus dieser formalen Übereinstimmung mit der bisher auch vom Land NRW vorgesehenen Rechtsform kann noch keine Übereinstimmung über die inhaltliche Bestimmung dieser Anstalten abgeleitet werden' (a.a.O.).

DER ARGE ENTWURF

Die Arbeitsgemeinschaft (Arge) der NRW-Studentenwerke erarbeitete deshalb einen eigenen Gesetzentwurf. Dieser enthielt z.B. im Punkt Aufgaben entscheidende Erweiterungen:

Paragraph 2 b: gesundheitliche Betreuung der Studenten, ihre Versicherung gegen Unfall und Krankheit, Maßnahmen der gesundheitlichen Vor- und Fürsorge einschließlich Einrichtung und Unterhaltung studentenärztlicher und psychohygienischer Dienste.

Paragraph 2 e: Mitwirkung an der Hochschulplanung soweit sie ihren Tätigkeitsbereich berührt, insbesondere bei der Bau- und Kapazitätsplanung.

Gerade solche entscheidenden Erweiterungen sieht der Gesetzentwurf des Landes aber nicht vor.

Außerdem wurde im Arge-Entwurf im Bereich der Organisation der Studentenwerke insbesondere die entscheidende Stellung des Vorstandes betont. Auch die Paritäten im Vorstand, dem im Arge-Entwurf die allgemeine Leitung zugesprochen wurde, sind zumindest diskutierenswert. Im Paragraphen 7, Abs.1, a-c sind vier Studentenvertreter, zwei andere Hochschulangehörige sowie zwei Vertreter der Bediensteten vorgesehen. Diese Paritäten gewährleisten in echter Halbparität die Mehrheit der Betroffenen. Im übrigen ist der Gesetzentwurf in den Übergangsbestimmungen im Gegensatz zum Landesentwurf durch Klarheit gekennzeichnet. Dieser Entwurf wurde dem WiMi zugeleitet mit der Bitte um Stellungnahme. Das Ministerium regierte aber nicht, sondern brachte einen Referentenentwurf auf den Tisch und verlangte nun seinerseits die Stellungnahme von den Studentenwerken. Die StW's kommentierten diesen Entwurf, aber ihre Bedenken blieben ungehört.

FORDERUNGEN DER STW'S

Folgende Forderungen wurden an das Ministerium gestellt:
a. Beschränkung der Staatsaufsicht auf Rechtaufsitz,
b. damit verbunden das Recht auf Selbstverwaltung und Satzungsautonomie,
c. Paritäten, die die Betroffenen absichern,
d. Wahl aller studentischen Vertreter durch die Studentenschaften,
e. Durchsetzung des Prinzips der sozialen Tragbarkeit und nicht das der Kostendeckung.

DER NRW-ENTWURF

Sämtliche Forderungen blieben ungehört und im Landtag wurde ein endgültiger Entwurf vorgelegt (vgl. S16**.1973,d.Vf.), der nun verabschiedet werden soll. Vor allem die Stellung der Organe in den Studentenwerken hat sich entscheidend gewandelt. Zum einen wird der Verwaltungsrat in seinen Kompetenzen dadurch erweitert, daß er den Vorstand wählt und dieser nicht von allen Beteiligten direkt gewählt wird.

Die Vertreter vor allen von studentischer Seite werden nicht mehr durch die Studentenkonferenz in den Vorstand gewählt, sondern vom Verwaltungsrat. Sie entziehen sich damit jeder demokratischen Kontrolle und laufen Gefahr, sich von der studentischen Basis zu lösen. Dieses Gremium obliegt außerdem der Erlaß einer Satzung, die bisher durch die Mitgliederversammlung genehmigt wurde und nur durch das WiMi entschieden wird.

Die Handlungsmöglichkeit des Vorstandes ist weiter eingeschränkt worden. Durch die exponierte Stellung des Geschäftsführers ist es für ihn möglich nach Paragraph 11, Abs.7 und 8 Vorstandbeschlüsse auszusetzen und der Aufsichtsbehörde, sprich WiMi zu melden, um durch sie entscheiden zu lassen. Dies kann und wird zur Mißachtung der Interessen der Studenten führen.

PARITÄTEN - IMPERATIVES MANDAT

In diesem Zusammenhang sei auf die Paritäten hingewiesen. Gerade die Studenten, die in dieser Institution um ihre materiellen Interessen kämpfen müssen, werden zugunsten der Hochschullehrer zurückgedrängt. Deutlich wird dies auch daran, daß ein Student nicht mehr Vorstandsvorsitzender sein kann. Insbesondere auf das imperative Mandat ist noch hinzuweisen. In Paragraph 7, Abs.2 und 7 wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Vertreter in den Organen der STW's nicht an 'Weisungen' gebunden sind. Für die Studentenvertreter bedeutet dies, daß man ihnen von Seiten der Studentenkonferenz keine bindenden Aufträge erteilen kann.

FINANZIERUNG

Der gravierende Punkt ist der der Finanzierung der Studentenwerke. Glaubte man doch dadurch, daß die Studentenwerke Anstalten öffentlichen Rechts werden, die Finanzhilfen von staatlicher Seite enorm ansteigen würden. Man sieht sich nun durch den Gesetzentwurf getäuscht. Zunächst soll finanziert werden, wie in Paragraph 13, Abs.1, S.1 zu 1 zu lesen ist, aus Einnahmen der Mensen und Wohnheime. An zweiter Stelle aus Einnahmen der studentischen Sozialbeiträge. Dies bedeutet, daß die Hauptfinanzierungsquelle die Studenten sind, diese sollen auch noch zur Verbesserung ihrer verschärften materiellen Situation Gelder aus dem Geldbeutel mit dem großen Loch aufbringen, und zwar mindestens 10 DM. Damit dies auch abgesichert ist, wurde dem Kostendeckungsprinzip der Vorrang gegenüber den sozialtragbaren Prinzip gegeben.

Weitere Finanzierung soll über Dritte geschehen. Wer aber wird einer Institution Geld zur Verfügung stellen, in der er bisher zumindest Einfluß über die Mitgliederversammlung auf die Verwendung der Mittel hatte, die nun ersatzlos zugunsten der staatlichen Aufsicht gestrichen wird.

Dann erst kommen die staatlichen Zuschüsse und zwar 'nach Maßgabe des Haushalts'. Welche Mittel bisher zur Verfügung gestellt wurden, ist bekannt. Sie reichten nicht aus die eklatantesten Probleme zu beseitigen (siehe DOS Nr.21 und Streik der STW-Bediensteten (vgl. 27.6.1973, 28.6.1973,d.Vf.)).

UNSERE FORDERUNGEN

Der AStA ist der Meinung, daß durch diese Gesetz eine weitere Verschärfung des sozialen Numerus Clausus ins Haus steht.

Zum einen sind die Studenten in den Gremien des STW unterrepräsentiert und haben nicht die Möglichkeit, ihre materiellen Interessen zu vertreten und durchzusetzen.

Mit der Staatsaufsicht des Landes werden keine weiteren Mittel zur Verfügung gestellt, sondern die bestehende Mängelsituation durch staatlichen Dirigismus perpetuiert.

Darüber hinaus wird noch verlangt, daß die Studenten, deren Förderungsbeiträge im Schnitt 250 DM betragen, für die Beseitigung ihrer materiellen Probleme finanziell herangezogen werden.

WIR FORDERN DAHER:

DAS RECHT AUF SELBSTVERWALTUNG UND SATZUNGSAUTONOMIE MUSS GEWÄHRLEISTET SEIN!
DIE PARITÄTEN MÜSSEN DIE INTERESSENVERTRETUNG DER STUDENTEN ABSICHERN!
DURCHSETZUNG DES PRINZIPS DER SOZIALEN TRAGBARKEIT!"
Q: DOS Nr. 22, Dortmund 17.10.1973


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