Pädagogische Hochschule Dortmund: DOS - Dortmunder Studentenzeitung, Jg. 3, Nr. 23, 31. Okt. 1973

31.10.1973:
Der AStA der PH Dortmund gibt die Nr. 23 seiner 'DOS' - Dortmunder Studentenzeitung (vgl. 22.10.1973, 22.11.1973) mit 16 Seiten DIN A 4 und folgendem Inhalt heraus:
1. Die ersten 'Gehversuche'
2. Rahmenlehrplan Gesellschaft und Politik (RLP - vgl. Dez. 1970, 25.10.1973)
3. Gespräch mit chilenischen Untergrundkämpfern (vgl. 1.10.1973)
5. Paper-Erlaß (vgl. NRW 12.9.1972, 7.11.1973)

Bekanntgegeben werden die Termine der Studentenvollversammlung (SVV - vgl. 31.10.1973) und der Abteilungskonferenz (AK - vgl. 7.11.1973), einer Schulung der GEW-AG (vgl. 13.11.1973) sowie die regelmäßigen montäglichen Sitzungen von AStA um 13 und der GEW-AG um 18 Uhr.

Im ersten Artikel heißt es:"
DIE ERSTEN 'GEHVERSUCHE'.

ERFAHRUNGEN EINES NEUIMMATRIKULIERTEN

Die ersten beiden Semesterwochen liegen hinter uns, für ca. 750 Kommilitonen die ersten Gehversuche als PH Studenten. Diese 'Gehversuche' sahen für die meisten so aus: Seminare waren überfüllt, fielen aus, wurden in Gruppen eingeteilt, fanden keine passenden Räume usw. Wollte man sich vom Seminarrummel in Mensa und Cafeteria erholen, sah man sich bitter enttäuscht: Auch dort Überfüllung, Anstehen, Warteschlangen bis auf die Gänge. Dachte man gar an das Ausweichen in vielleicht vorhandene Kommunikationsräume, so suchte man diese vergeblich. Selbst bei den öffentlichen Fernsprechern stand man Schlange. So etwa die Atmosphäre.

Derartig stellt sich nach zwei Wochen für einen neuimmatrikulierten PH-Studenten das Studium an einer Hochschule des Industriegiganten BRD dar. Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Armut und privatem Reichtum als Folge der privatkapitalistischen Wirtschaft, die es immer weniger Leuten ermöglicht, immer mehr Geld und Macht zu erlangen, wird hier unmittelbar erfahrbar. Hier könnte dann Unmut oder Verärgerung entstehen oder aber Abfindung mit derartig schlimmen Ausbildungsverhältnissen, weil man es von der Schule nicht anders kennt. Die Meinung vom 'schönen freien Studentenleben' muß man nicht nur wegen der miesen äußeren Verhältnisse an der PH aufgeben, sie wird auch brüchig, wenn man die Praxis der Ausbildungsförderung betrachtet: BAFöG-Sätze sind festgeschrieben, also trotz steigender Preise und Mieten noch weniger Geld, da die Berechnungsgrundlagen von 1971 von festgelegten Freibeträgen ausgehen.

Hier werden also ganz bewußt die Ausbildungskosten niedrig gehalten, da diese keine direkt gewinnbringenden Kosten darstellen. Ein Student arbeitet nicht, ist momentan unproduktiv, kann also nicht unmittelbar Profite für die Unternehmer erwirtschaften.

Die konkret erfahrbare materielle Verschlechterung hier an der PH kann gerade die Frage nach solchen Zusammenhängen provozieren.

Die Klärung der Zusammenhänge wäre der Anfang einer aktiven politischen Änderung solcher Zustände. Resignation oder kritiklose Anpassung an unsere Ausbildungssituation wäre das einfachste und leichteste. Zudem wäre es das, was solche Verhältnisse funktional in uns erwirken sollen: Abfinden mit der Situation, keine Frage nach Ursachen und Zusammenhängen. Hat man sechs Semester in dieser Ausbildungssituation bestanden, die materiell und inhaltlich derart unzureichend ist, wird man in seiner Praxis als Lehrer genau solche Verhältnisse als normal und gewohnt hinnehmen. Man wird überfüllte Schulklassen, zuwenig Arbeitsgeräte, keine Kopiermöglichkeiten usw. als Norm akzeptieren und nicht als entsetzliche Diskrepanz zu bekämpfen suchen. Den Mangel wird man als normal akzeptieren, weil er auch an der PH stetig akzeptiert wurde. Man wird gar nicht erst die Frage stellen, wer unter diesem Mangel zu leiden hat: die Kinder der arbeitenden Mehrheit dieser Gesellschaft.

Arbeitet man dementsprechend angepaßt in seinem späteren Beruf, dann hat sich die Funktion der PH-Ausbildung gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung schließlich erfüllt.

Das sollten wir verhindern."

Enthalten ist auch ein Lied:"
CHILE 11.9.1973

Wer hat auf Chile den Stiefel gesetzt, wer hat den Mord gebracht?
Wer hat denn diesen Brand gebracht in der Septembernacht?

Das waren die Herren Generäle, diese Schlächter der Nation,
die warteten schon auf die Schlächterei, drei Jahre warten sie schon.

Wer hat denn wohl die Stiefel geleckt, wer hat die Fahnen geweiht?
Wer hat für die Arbeitermörder gebetet im Namen der Christenheit?

Das waren die Faschisten und Christdemokraten, Frei, der Demokrat,
der deutsches Geld in der Tasche und Blut an den Händen hat.

Wer hat wohl denen die Stiefel gewichst mit seinem faulen Steiß?
Wer hat gesagt: 'Schlag zu, General, schlag zu um jeden Preis!'

Das war die Bourgeoisie, die reichen Blutsauger der Nation.
Die haben drei Jahre nicht schlecht überlebt, drei Jahre warten sie schon!

Wer hat wohl denen die Stiefel gekauft, die Bomber, die Panzer, die Macht?
Wer hat mit Hunger und Terror bereitet die Septembernacht?

Das waren die Gangster in Washington, die haben den Hunger gemacht,
die haben den Finger am Abzug gehabt in der Septembernacht!

Drei Jahre dauerte der PROZESS, drei Jahre in Legalität,
Allende bewies, daß Revolution ohne Revolution nicht geht.

Da haben die Kapitalisten doch in der Septembernacht
mit ihrer eigenen Legalität kurzen Prozeß gemacht.

So geht das schon viele Leben lang, ein Jahrhundert und mehr,
die Ketten der Unterdrückung wiegen vier Jahrhunderte schwer.

Und macht das Volk das Maul auf, kriegt es Stiefel ins Gesicht.
Wer hat die geleckt, gewichst, gekauft? Das Volk, das Volk doch nicht!

Arbeiter in Santiago, Student in Concepcion,
Mapuche-Indianer und Bauern, seht, sie kämpfen schon.

Gekämpft wird nicht in Chile bloß, auch andere haben entdeckt:
daß man den Fuß abhauen muß, der in dem Stiefel steckt!

UND KEINE SCHONUNG DEN STIEFELLECKERN DER MILITÄRDIKTATUR!
UND KEINEN GLAUBEN DER BOURGEOISIE UND IHREM FRIEDENSSCHWUR!

UND MITTEN INS HERZ DEM IMPERIALISMUS, WO IMMER ER HAUST,
UND MITTEN IN SEIN DOLLAR-HERZ DIE BEWAFFNETE ARBEITERFAUST!

(Melodie: 'Dos anos me ando rodando…')

Don Juan Capra".

Dokumentiert wird auch die Werbung für einen Chile-Bericht der 'Praline' (vgl. Okt. 1973).
Q: DOS Nr. 23, Dortmund 31.10.1973


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