Pädagogische Hochschule Dortmund: DOS - Dortmunder Studentenzeitung, Jg. 3, Nr. 24, 22. Nov. 1973

22.11.1973:
Der AStA der PH Dortmund gibt seine 'DOS' - Dortmunder Studentenzeitung Nr. 24 (vgl. Nov. 1973, Dez. 1973) mit 18 Seiten DIN A 4 heraus und folgendem Inhalt:
1. Studentenwerksgesetz (StWG)
2. Zur Lage der DSKV
3. Zum BAFöG
4. Bericht des Streikrats vom Mietstreik im Heim Stockumerstraße (vgl. 1.11.1973)
5. Hausbesetzung des AKJZ (vgl. 2.11.1973, 20.11.1973)
6. Kurzmeldungen

Der im Inhaltsverzeichnis angekündigte Artikel "Zur Reform der Lehrerausbildung" liegt uns leider nicht vor. Eventuell ist das uns zugängliche Exemplar unvollständig, ein Artikel zu diesem Thema wird aber später (vgl. 17.12.1973) verbreitet.

Erstmals findet sich eine Anzeige und zwar von der Buchhandlung C.L. Krüger, wo es progressive Literatur gibt.

Von der DSKV wird berichtet bundesweit (vgl. Sept. 1972, 13.11.1973) und aus NRW (vgl. 17.11.1973, 19.11.1973).

Zum Studentenwerksgesetz (StWG) wird eine vorherige Analyse (vgl. 17.10.1973) fortgeführt:
STW-GESETZ ANALYSE - ZWEITER TEIL (siehe auch DOS 22)
ANSTALTEN ÖFFENTLICHEN RECHTS

1. Die Umwandlung der Studentenwerke, die bisher eingetragene Vereine (e.V.) waren, in Anstalten öffentlichen Rechts, ist der einschneidendste Punkt dieser Gesetzesvorlage. Denn mit den Vereinen war es den Studenten zum Teil noch möglich, materielle Interessen der Studenten über den Vorstand des Studentenwerks (StW) zu vertreten. Mit den Anstalten öffentlichen Rechts aber, steht dem Studentenwerk direkt die Aufsichtsbehörde, sprich das Wissenschaftsministerium, vor, das die uneingeschränkte Rechts- und Fachaufsicht ausübt.

Damit besteht die unmittelbare Möglichkeit, jeden Vorstandsbeschluß, der nicht die unmittelbaren Interessen des WiMi durchsetzt, außer Kraft zu setzen und eigene Maßnahmen - 'juristisch legal' - einzuleiten. Jeder fortschrittlichen Politik wird damit ein Ende bereitet.

AUFGABEN DER STUDENTENWERKE

2. Die Aufgaben, die die Anstalten übernehmen wollen, sind unter anderem solche, die bisher die ASten im sozialen Bereich geleistet haben. Rau (SPD,d.Vf.) höhlt so einen wichtigen Teilbereich der verfaßten Studentenschaft (VS,d.Vf.) aus, nämlich den der politischen Inangriffnahme der materiellen Ausbildungssituation zu Gunsten einer administrativen Perpetuierung der materiellen Mängelsituation. Damit dieser Rahmen auch beschränkt werden kann, werden die Aufgaben der Studentenwerke als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig gesetzlich geregelt (Paragraph 3).

VERWALTUNGSRAT

3. Damit die Absicherung der ministeriellen regelbaren Aufgaben reibungslos vor sich geht, wurden die Organe des Studentenwerks neu festgelegt (Paragraph 4). Die Mitgliederversammlung, analog zur Abschaffung der Studentenvollversammlung (SVV,d.Vf.) im Studentenschaftsgesetz wird beseitigt und dafür ein Verwaltungsrat eingesetzt, der im wesentlichen ihre Aufgaben übernimmt. Im übrigen verweisen die Paritäten die Studenten in die Minorität.

BEISPIEL: MIETEN

Ein Beispiel: Mieterhöhungen sind in Aachen zunächst dadurch abgewendet worden, daß Studenten in das Studentenwerk e.V. eintraten und in der Mitgliederversammlung (vgl. S3.**.197*,d.Vf.) majorisiert Mieterhöhungen ausschlossen. Dies wird zukünftig nicht mehr möglich sein, weil der Verwaltungsrat allein schon von der Parität her eine Mieterhöhung nicht mehr ablehnen wird.

IMPERATIVES MANDAT

Die Wahl der studentischen Vertreter in den Verwaltungsrat, soll in den Studentenparlamenten geschehen (Paragraph 6 Abs.1 und 2). Vorsorglich von diesem Gremium, da im Studentenschaftsgesetz die Studentenvollversammlung abgeschafft werden soll. Der Grund liegt auf der Hand; denn die demokratische Kontrolle der studentischen Vertreter im Verwaltungsrat wird damit ungleich erschwert. Sie wird sogar aufgehoben, wenn es im Gesetzestext heißt, daß die Vertreter im Verwaltungsrat nicht an 'Weisungen' gebunden sind (Paragraph 7 Abs.2). Die Möglichkeit des mit Erfolg praktizierten imperativen Mandats wird damit ausgeschlossen und weiter dadurch abgesichert, daß die Öffentlichkeit mit einfacher Mehrheit ausgeschlossen werden kann (Paragraph 7 Abs.4).

Die Absicherung des kontaktfreien Raums Studentenwerk wird vorangetrieben durch die Wahl des Vorstandes im Verwaltungsrat (Paragraph 8, Abs.1).

Abgesehen von den Paritäten im Vorstand, die auch hier die Studenten nicht absichern, bedeutet die Wahl im Verwaltungsrat, daß der Vorstand, der über die laufende Geschäftsführung entscheidet, zum willfährigen Anhängsel des Verwaltungsrates degradiert wird. Die Zementierung dieses Zustandes erfolgt über die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen (Paragraph 9, Abs.9) und durch die Unterbindung des imperativen Mandats (Paragraph 9, Abs.8), sowie durch den Umstand, daß der Vorsitzende ausschließlich ein Prof sein kann (Paragraph 9, Abs.5).

Dieses ist für den Informationsfluß von entscheidender Bedeutung; denn der Vorstand kümmert sich in der Regel bisher um den Einblick in die laufende Geschäftsführung. Wenn den Studenten diese Möglichkeit genommen wird – und dies war möglich, daß der Vorstandsvorsitzende Student war - wird auf dem Informationsweg ausgeschlossen, daß Studenten die Konflikte, die durch das Kostenbedarfsprinzip in der Wirtschaftsführung entstehen müssen, aufgreifen können.

GESCHÄFTSFÜHRER

4. Die Stellung des Geschäftsführers als Organ des Studentenwerks ist für die Einflußnahme des Ministeriums besonders gestärkt worden. Dies beginnt zunächst damit, daß die Anstellung bzw. Entlassung des Geschäftsführers der Zustimmung des Ministerium bedarf (Paragraph 11, Abs.1). Geschäftsführer, die in der Lage wären, studentische Interessen auch in die Geschäftsführung einfließen zu lassen, würden entlassen - auch eine subtile Variante des Berufsverbot (BV,d.Vf.) ist offen. Damit die Geschäftsführung nun endgültig in der Hand des Ministeriums liegt, über den verlängerten Arm des Geschäftsführers, wurden seine Kompetenzen gegenüber dem Vorstand erweitert.

Er kann Vorstandsbeschlüsse mit entscheidender Wirkung beanstanden und dem Wissenschaftsministerium zur Entscheidung vorlegen (Paragraph 11, Abs.7 und 8). Sollte dann ein Studentenwerk immer noch versuchen Politik im Sinne der Betroffenen zu machen, so ist explizit die Fach- und Rechtsaufsicht im Gesetzentwurf noch einmal verankert. Danach kann das Ministerium dem Studentenwerk eine Frist setzen, in der es bestimmte ministerielle Verfügungen umzusetzen hat (Paragraph 17, 2).

Geschieht dies nicht - und das dürfte wohl nur noch theoretische Spekulation sein - kann das Wissenschaftsministerium die Befugnisse einzelner Organe, also des Verwaltungsrates, des Vorstandes oder Geschäftsführers außer Kraft setzen und einen Staatskommissar einsetzen (Paragraph A 2, 3 und 4).

KOSTENDECKUNG

5. Diese Absicherung der Funktionsfähigkeit hat natürlich ihren Grund. Fortschrittliche Vorstände haben bisher versucht, die wichtigsten Forderungen nach sozial-tragbaren Mieten, Preisen in den Mensen etc. durchzusetzen. Dies führte zu permanenten Konflikten zwischen den Vorständen der StW's und dem Wissenschaftsministerium in der Art, daß man Auseinandersetzungen um das Prinzip der sozialen Tragbarkeit und das der Kostendeckung führte. Dies wird nicht mehr möglich sein, da im Gesetzentwurf das Kostendeckungsprinzip festgeschrieben wird (Paragraph 12, 1). Von unlatenter Bedeutung wird das Kostendeckungsprinzip, wenn man die Regelung der Finanzierung betrachtet: an erster Stelle stehen die Einnahmen aus den Wirtschaftsbetrieben Wohnheimen, Mensen etc. (Paragraph 13, 1). Am Ende stehen dann irgendwie die staatlichen Zuschüsse, nach 'Maßgabe des Haushalts'.

SOZIALBEITRAG / BEITRAGSHOHEIT DES ASTA

6. Daneben stehen zur Finanzierung der Aufgaben die Mittel aus den Sozialbeiträgen der Studenten bereit, die im Gesetzentwurf auf 10 DM festgelegt sind (Paragraph 13, 3). Entscheidend ist hierbei die Berücksichtigung entsprechender Paragraphen im Studentenschaftsgesetz. Dort ist nämlich die maximale Höhe des Betrages für die Studentenschaften festgelegt (Paragraph 47a, 4). Um das Problem zu verdeutlichen:

Der jetzige Sozialbeitrag von 22 DM an der PH Dortmund setzt sich zusammen aus 12 DM für die Studentenschaft, 5 DM für die Finanzierung der Aufgaben des StW's und 5 DM Sozialbeitrag für die versicherten Studenten in der DSKV. Das Problem der DSKV wird sich bekanntlich irgendwie lösen, sodaß diese Aufgabe entfällt, bleiben 17 DM zur neuen Verfügung. Nach Paragraph 13, 3 soll nun der Mindestbetrag 10 DM für das Studentenwerk betragen. Bleiben 7 DM für die Studentenschaft.

Aber: bekanntlich hatte Rau den Plan, die verfaßte Studentenschaft zu zerschlagen und bzw. ihre Beitragshöhen einzuschränken, daß im Landeshaushalt 2,50 DM pro Student im Semester eingeplant werden sollten (?,d.Vf.). Dieser Plan scheiterte aus finanziellen Gründen und führte zum Lernprozeß des Herrn Rau.

Nun könnten also die restlichen 7 DM an unserer PH nach Paragraph 7a, 4 zu viel sein und entsprechend gekürzt werden. Mit 2,50 DM im Semester läßt sich aber keine Politik mehr machen, nicht einmal mehr die genügenden oder notwendigen Service-Leistungen abdecken. Raus Plan zur Zerschlagung der VS auf finanziellem Wege erlebt damit seine Wiedergeburt, wenn es nicht gelingt diesen Angriff abzuschmettern.

Zur Begründung dieser Reglementierung schreibt Rau öffentlichkeitsfreundlich: 'Zur angemessenen Berücksichtigung der sozialen Verhältnisse der Studenten und zur Vermeidung erheblich voneinander abweichender Beitragssätze an den Hochschulen soll der zuständige Minister erforderlichenfalls Höchstsätze festsetzen' (VIS/SVI Schrift mit dem Entwurf des StW-Gesetz, S.37 (vgl. S5.**.197*,d.Vf.), im AStA erhältlich). Mit der sozialen Masche klingt dies hier sehr gut, warum denn dann mindestens 10 DM für das Studentenwerk gezahlt werden sollen, was also bedeutet, daß der Student für die Linderung seiner materiellen Misere berappt, ist uneinsichtig. Rau hat auch dafür keine offizielle Erklärung.

WARUM DIESE GESETZE???

Die historische Gewachsenheit der StWe ist bereits in der ersten Analyse (DOS 22) dargestellt worden. Die Forderung nach einer Neuordnung der Studentenwerke war einhellige Meinung auch vonseiten der Studenten. Wenn aber durch dieses Gesetz jede fortschrittliche Politik im Bereich der materiellen Versorgung der Studenten unmöglich gemacht wird und dieses Gesetz nahtlos alle Konflikte ausschließt zu Gunsten administrativer Steuerungsmechanismen und Willkürakte, dann kann dies nicht auf die Zustimmung von studentischer Seite treffen. Vielmehr noch: Dieses Gesetz sollte allen Reform- und Mitbestimmungsillusionisten die Rolle des Staates im Kapitalismus deutlich machen.

Kurz zur Verdeutlichung:
'Im Zuge der kapitalistischen Hochschulreform setzt ein breiter Angriff auf das Lebensniveau der Masse der Studenten ein, der sich aus den Maßnahmen des Staates zur Rationalisierung und Ökonomisierung des Ausbildungsbereiches ergibt. Das betrifft materielle Ausbildungsbedingungen, die Ausbildung selber und das allgemeine Lebensniveau überhaupt. Die staatliche Sozialpolitik ordnet sich sozial flau wirkende Maßnahme zur Sicherstellung der Reproduktion des Kapitalverhältnisses ein (?,d.Vf.), da ein bestimmtes Minimum an sozialer Stabilität sowohl im Produktions- als auch im Ausbildungssektor Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Verwertungsprozesses ist (SVI-Antrag (vgl. S5.**.197*,d.Vf.)).

Die illusionäre Haltung des VDS und der Revisionisten MSB Spartakus (der DKP,d.Vf.) und SHB kann dieser AStA nicht teilen, wenn sie sich wie folgt artikuliert: 'Das deutlich erkennbare Ziel dabei ist, das Studentenwerk dem unmittelbaren Einfluß der Studentenschaft zu entziehen. Die studentischen Mitgliedre in Beirat und Vorstand haben demgegenüber inzwischen deutlich gemacht, daß der AStA im Studentenwerk eine politisch erkämpfte und politisch einzusetzende Stellung im laufend härter werdenden Kampf um die materielle Absicherung der Studenten und ihrer Familien sieht und weiterhin versuchen wird, im Studentenwerk eine offensive Sozialpolitik zu machen.

Die Frage der Rechtsform ist dabei sekundär. In jeder Rechtsform geht es um die Durchsetzung realer Mitbestimmungsmöglichkeiten durch die Verfaßte Studentenschaft. Diese Mitbestimmung kann sich nicht auf die Mitverwaltung des Mangels beschränken sondern hat im Studentenwerk dafür zu sorgen, daß die dringenden sozialen Probleme der Studenten so gut wie irgend möglich durchsetzbar gelöst werden.'

Dazu nur: Gerade die Rechtsform und ihre gesetzliche Ausfüllung wie beim vorliegenden StW-Gesetz macht es unmöglich, die sozialen Probleme der Studenten zu lösen. Der andere Aspekt ist angeklungen: Auf dem Wege der Änderungen der Studentenwerke werden in einem Abwasch - da ja Änderungen des Hochschulgesetzes erforderlich sind - entsprechende Paragraphen, nämlich 47, mitgeändert, ohne viel Aufsehen dabei zu erlangen. In dieser Gesetzesänderung (Studentenschaftsgesetz) werden so alle entscheidenden Rechte, die sich die studentische Bewegung erkämpft hat, wie Satzungs- und Beitragshoheit, unter den Tisch gekehrt. Diesen massiven Eingriffen gilt es solidarisch zu begegnen.

Unterstützt daher die von der SVV beschlossene Resolution und dokumentiert damit den ersten Schritt zum Kampf gegen die reaktionären Hochschulgesetze!"

Abgedruckt wird die Resolution der studentischen Vollversammlung (SVV – vgl. 12.11.1973).

Zum BAFöG heißt es:"
BAFÖG
BUNDESAUSBILDUNGSFÖRDERUNGSGESETZ

EINLEITUNG
Die BAFöG-Diskussion, die in der letzten Zeit an unserer Hochschule gelaufen ist, hat gezeigt, daß weder eine einheitliche noch eine zufriedenstellende Meinung erzielt werden konnte.

Das hat dazu geführt, daß das Sozialreferat es sich zur Aufgabe gemacht hat, nochmals die BAFöG-Problematik zu diskutieren. In diesem Zusammenhang kamen wir natürlich nicht umhin, zusätzlich auf die Rolle des Staates einzugehen. Den gefundenen Konsensus wollen wir in dem folgenden Artikel an die Studentenschaft und die politischen Gruppen vermitteln.

Im Zuge der kapitalistischen Hochschulreform setzt ein breiter Angriff auf das Lebensniveau der Studenten ein, der sich aus den Maßnahmen des Staates zur Rationalisierung und Ökonomisierung des Ausbildungssektors ergibt. Das betrifft die materiellen Ausbildungsbedingungen, die Ausbildung selber und das allgemeine Lebensniveau überhaupt.

Die staatliche Sozialpolitik ordnet sich als flankierende Maßnahme zur Sicherstellung der Reproduktion des Kapitalverhältnisses ein, da ein bestimmtes Minimum an sozialer Stabilität sowohl im Produktionsprozeß als auch im Ausbildungssektor Voraussetzung für den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Verwertungsprozesses ist. Das läßt sich belegen beim Krankenversicherungsschutz, Mutterschutz, Unfallschutz (es kommt nicht darauf an, ob jemand gesund ist, sondern lediglich, ob jemand arbeitsfähig ist).

Das BAFöG soll durch die Einschränkung der Förderungsdauer die Einführung der Kurzstudiengänge absichern und ist so im Zusammenhang zu sehen mit dem wachsenden Bedürfnis der Monopole nach einem relativ hohen Ausstoß an relativ gering qualifizierten Fachkräften. Zum anderen dient die staatliche Sozialpolitik als Steuer-, Selektions- und Disziplinierungsinstrument. Exemplarisch deutlich wird es an dem reaktionären Antistreikparagraphen (Paragraph 20) im BAFöG.

DIE SOZIALPOLITIK DES STAATES

a) Sozialstaatstheorie
Die politische Bedeutung der Sozialstaatstheorie finden wir in den verschiedenen Ansätzen in Theorie und Praxis wieder. ALL DIESEN AUFFASSUNGEN IST GEMEIN, DEN STAAT ALS EINE GEGENÜBER DEN WIDERSPRÜCHEN IN DER GESELLSCHAFT MEHR ODER WENIGER SELBSTÄNDIGE INSTITUTION ZU ERKLÄREN. Wesentlich für die Herausbildung dieser Einstellung ist die Erfahrung von 'sozialpolitischen' Gesetzen des bürgerlichen Staates, die bestimmte Formen der Ausbeutung der Arbeiter im kapitalistischen Betrieb einschränken und die materielle Existenz der Lohnabhängigen für Zeiten, in denen sie ihre Arbeitskraft nicht als Ware auf dem Markt verkaufen können (Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit), auf der Basis des Existenzminimums absichern (Arbeitsschutzgesetzgebung und Sozialversicherungssysteme). Diese Gesetze könnten leicht als Einschränkung der Herrschaft des Kapitals über die lebendige Arbeit erscheinen, zumal ihre Durchsetzung immer auch vermitteltes Ergebnis von Klassenkämpfen war.

Der Staat konnte so in den Augen der Arbeiterklasse, insbesondere aber ihren Organisationen (Einzelgewerkschaften, DGB) als ein Instrument erscheinen, mit dessen Hilfe man sich auf dem Wege der 'Salamitaktik' stückweise die politische und gesellschaftliche Herrschaft aneignen könne.

Zunehmende wirtschafts- und sozialpolitische Eingriffe des Staates, Konzentration des Kapitals und längere Prosperitätsphasen, vor allem nach dem 2.Weltkrieg, bilden die hauptsächliche Erfahrungsbasis für 'Theorien' von der Möglichkeit der schrittweisen Überführung des Kapitalismus MITTELS des staatlichen Apparats. Der Boden, auf dem der Staat sich als selbständig erweisen soll, ist die Sphäre der VERTEILUNG DES SOZIALPRODUKTS. Hier soll er seine Hebel als Verbesserung oder gar zur schrittweisen Überführung der kapitalistischen Gesellschaft in Richtung auf den Sozialismus ansetzen können. Eine solche Vorstellung schließt also die Annahme ein: DASS DIE DISTRIBUTION ALS SELBSTÄNDIGE, UNABHÄNGIGE SPHÄRE NEBEN DER PRODUKTION LÄUFT. Die Produktion und die sie beherrschenden Gesetze setzen aber der Verteilung GRUNSÄTZLICH Schranken! Die Verteilung ist nur ein notwendiges Moment des Produktions- und Zirkulationsprozesses des Kapitals und nicht als Feld für politische Staatsakte anzusehen. Hier wird es wichtig, auf die Rolle des Staates einzugehen.

ROLLE DES STAATES

Einerseits ist der Staat Instrument in den Händen der Kapitalisten für deren direkte Interessenwahrung, andererseits hat er die Funktion der Vermittlung zwischen Einzelkapitalien, d.h. der Staat kann in der Rolle des ideellen Gesamt-Kapitalisten gegebenenfalls bestimmte Maßnahmen gegen die Interessen der Einzelkapital durchsetzen. In diesem Rahmen besitzt der Staat einen beschränkten Handlungsspielraum, innerhalb dessen - besonders bei entfalteten Klassenauseinandersetzungen - er begrenzt Forderungen der Arbeiterklasse gegen die Interessen der Einzel-Kapitale durchsetzen kann. Die Grenze des Handlungsspielraums liegt jedoch da, wo das kapitalistische System unmittelbar in seiner Existenz gefährdet wäre, explizit: wenn die Forderungen der Arbeiterklasse sich gegen die Interessen des Gesamtkapitals stellen.

SOZIALPOLITIK IM AUSBILDUNGSSEKTOR

Der Kampf für die materiellen Interessen der Studenten gegen die Politik des monopolkapitalistischen Staates kann, wenn er nicht zur ständischen Privilegienverteidigung werden soll, nur richtig geführt werden, wenn er dem Kampf der breiten Massen gegen die Angriffe des Kapitals untergeordnet wird und in der Perspektive des Bündnisses mit der werktätigen Bevölkerung im Kampf gegen das kapitalistische Ausbeutungssystem überhaupt geführt wird.

Um die Charakteristika der Sozialpolitik im Bildungsbereich und insbesondere im studentischen Bereich aufzuzeigen, muß man zunächst auf einige ökonomische Hintergründe in der Entwicklung der Produktivkräfte eingehen.

Zur Erzielung von Extraprofiten, aber auch zur Profitmaximierung unter sich erschwerenden Verwertungsbedingungen des Kapitals in der allgemeinen Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist es für das Einzelkapital unumgänglich, in immer stärkerem Maße Wissenschaft, sei es als Inkorporation der Wissenschaft selbst oder als in die Arbeitskraft inkorporierte Qualifikation in den unmittelbaren Produktionsprozeß einzugliedern.

Da jedoch der gesellschaftliche Stand der Produktivkräfte nicht dem der Produktionsverhältnisse adäquat ist, bedarf es im Kapitalismus einer permanenten gezielten Steuerung und Selektion von Wissenschaft und Intelligenz, wenn dies auch prinzipiell nur kurzfristig möglich ist. Hierbei tritt dann noch die Differenzierung durch die Reproduktion der Kapitalverhältnisse auf, nämlich im Arbeits- und Verwertungsprozeß derselben (Unterscheidung in Produktions- und Herrschaftswissenschaften im Bildungsbereich).

Die heutige Bildungsplanung, die im Sinne der wichtigen Kapitalfraktionen durchgeführt wird, verfolgt notwendigerweise einen quantitativ und qualitativ differenzierten Aspekt. Neben der Subsumtion der qualifizierten Arbeitskraft unter das Kapital besteht das Problem der Rekrutierung dieser Arbeitskraft.

Die Veränderung der sozialen Herkunft der zu qualifizierenden Arbeitskraft bildet das wesentliche Moment im (Aus-) Bildungsbereich. In diesem Sinne liegt auch die Bedeutung der Absichten des Kapitals, z.B. mit dem BAFöG innerhalb einer im Kapitalismus möglichen Bildungsplanung (qualitative und quantitative Bedarfsplanung der Industrie) auf die Rekrutierung der Auszubildenden einzuwirken.

Es wird notwendig sein, solche Tendenzen aufzuzeigen, d.h. sie auf ihren ökonomischen Hintergrund zurückzuführen und gleichzeitig ihre ideologischen Absichten zu entlarven.

Die Sozialpolitik im Bildungsbereich bildet heute ein um so geeigneteres Selektions- und Steuerungsinstrument, je größer in der soziologischen Zusammensetzung der Studenten der Anteil aus den einkommensschwachen Schichten ist.

Das BAFöG hat eine Reihe von Teilförderungsmaßnahmen abgelöst und dient als zentrales Mittel zur Selektion und Steuerung, sowohl zur politischen Disziplinierung. Es reiht sich nahtlos in die anderen Maßnahmen der kapitalistischen Bildungsplanung ein. Deshalb ist ein isolierter Kampf gegen das Gesetz sinnlos und bedeutet, darauf zu verzichten, den Studenten den Zusammenhang aller Maßnahmen im Ausbildungssektor zu verdeutlichen. Wir müssen berücksichtigen, daß das BAFöG als Teil der 'Reformmaßnahmen' in erster Linie die Studenten betrifft, also den Teil der Auszubildenden, der durch seine relativ qualifizierte Ausbildung eine relativ qualifizierte Stellung in seinem späteren Beruf gegenüber der großen Masse der werktätigen Bevölkerung einnehmen wird. Forderungen im einseitigen Interessen einer Schicht - der Intelligenz - aufzustellen, würde heißen: DIE WIDERSPRÜCHE ZWISCHEN DER ARBEITERKLASSE UND DEN BREITEN MASSEN EINERSEITS UND DER INTELLIGENZ ANDERERSEITS ZU VERSCHÄRFEN UND SO SPALTERISCH ZU WIRKEN. SIE KÖNNEN SOMIT LÄNGERFRISTIG, WEIL SIE EIN BÜNDNIS MIT DER ARBEITERKLASSE VERHINDERN, AUCH DIE INTERESSEN DER INTELLIGENZ NICHT WIRKSAM VERTRETEN.

Wir müssen vielmehr in unserem Kampf folgende Schwerpunkte setzen: Das BAFöG zementiert den allgemeinen Angriff auf das Lebensniveau der Auszubildenden und ist vorwiegend auf die Förderung der Kurzstudiengänge ausgerichtet. Es schließt immer noch bestimmte Teile der Auszubildenden, wie z.B. Besucher der berufsbildenden Einrichtungen, aus. IM BAFÖG WIRD SOZIALE SITUATION DER WERKTÄTIGEN BEVÖLKERUNG VOLLKOMMEN AUSSER ACHT GELASSEN. Unsere Parolen müssen lauten:
FÜR KOSTENDECKENDE FÖRDERUNG ALLER MINDERBEMITTELTEN SCHÜLER UND STUDENTEN!!!
ANHEBUNG DER ELTERNFREIBETRÄGE AUF DEN DURCHSCHNITTLICHEN FACHARBEITERGRUNDLOHN!!!
WEG MIT DEM FORMBLATT 9!
NIEDER MIT DEM REAKTIONÄREN ANTISTREIKPARAGRAPHEN!!!
ENTLARVT DIE SELEKTION UND KONTROLLE IM KLASSENINTERESSE DER HERRSCHENDEN!!!"

Im Punkt Kurzmeldungen wird berichtet von der letzten Abteilungskonferenz (AK - vgl. 7.11.1973) und mitgeteilt:"
GEW GEWÄHRT RECHTSSCHUTZ

Studenten, die GEW-Mitglied sind und vom Diplom Erlaß betroffen sind, erhalten umgehend von der GEW Rechtsschutz. Bitte meldet Euch im AStA, damit Eure Bescheide sofort an die Rechtsschutzstelle weitergeleitet werden können und ein Musterprozß in die Wege geleitet werden kann."

Ebenfalls als Kurzmeldung erscheint der folgende Hinweis (vgl. Juni 1973):"
VORDIPLOM PRÜFUNG

Im Juni dieses Jahres kam an die Akademischen Prüfungsämter ein Runderlaß des KuMi, der Studenten mit der Begabtensonderprüfung durch das Bestehen der Diplomvorprüfung die allgemeine Hochschulreife zuerkennt. Nachstehend der Erlaß." Abgedruckt wird allerdings ein Erlaß vom 25.6.1970.
Q: DOS Nr. 24, Dortmund 22.11.1973


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