Solidarität - Informationsblatt der GIM (Gruppe Internationale Marxisten), Jg. 1, Nr. 1, 20. März 1973

20.03.1973:
Die Nr. 1 der 'Solidarität' - Informationsblatt der GIM - Gruppe Internationale Marxisten erscheint in Dortmund (vgl. 19.2.1973, 3.4.1973). Die Ausgabe wird ediert von der Ortsgruppe Dortmund der GIM, Deutsche Sektion der IV. Internationale, Ausschuß für Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Verantwortlicher Redakteur und Kontakt ist: Hermann Schink, Dortmund. Es handelt sich bei dieser Ausgabe, die 8 Seiten hat, vermutlich um die allererste. Es ist anzunehmen, daß die Zeitung bei Hoesch Westfalenhütte erscheint und womöglich noch vor den anderen beiden großen Hoesch-Betrieben Union und Phoenix verteilt wird. Ob die Zeitung darüberhinaus noch vor anderen Betrieben erscheint, oder ob sie noch einen anderen Kreis von Menschen anspricht, ist uns derzeit nicht bekannt.
Die Ausgabe hat zum Inhalt:
- Zum Erscheinen der Solidarität,
- Nochmals zum Streik - Verlauf und Lehren der Tarifbewegung,
- Streik bei Hoogovens.

Zum "Erscheinen der Solidarität" wird ausgeführt:"
Nach den Septemberstreiks 1969 war die Führung der IG-Metall reichlich verwirrt - die Arbeiter hatten unmißverständlich deutlich gemacht, daß sie das ständige Nachhinken ihrer Löhne hinter der Wirtschafts- und Gewinnentwicklung (was höhnischerweise auch noch 'aktive Lohnpolitik' genannt wurde) nicht mehr hinnehmen würden. Das hatte entsprechende Auswirkungen auf die Tarifrunde 1970, wo die IG-Metall hohe Forderungen stellte und die Unternehmer relativ hohe Zugeständnisse machten, aus Angst die Vorgänge vom September 1969 könnten sich wiederholen, die Arbeiter der Kontrolle der Gewerkschaftsführung entgleiten und ihre Forderungen selbst stellen und durchsetzen. Deshalb das relativ gute Ergebnis 1970. Ganz anders 1971 und 1972. Die Unternehmer hatten sich in der Zwischenzeit abgesprochen auf die Forderungen 'wilder' Streiks auf keinen Fall mehr einzugehen. Und in der 'konzertierten Aktion' hatten sich Unternehmer und Gewerkschaftsspitze unter Anleitung der sozialdemokratischen Regierung so gut aufeinander eingespielt und hinter verschlossenen Türen auf 'Orientierungsdaten' geeinigt, daß in den Tarifrunden auf die Interessen der Arbeiter und ihre Bedürfnisse keine Rücksicht mehr genommen werden konnte.

Bei den beträchtlichen Preissteigerungen der letzten Jahre konnte dabei kaum der Kaufkraftverlust ausgeglichen werden, und wenn man die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge vom Januar 1973 mit einbezieht, so kommt gegenüber 1971/72 ein deutlicher Lohnabbau als Ergebnis der letzten Tarifbewegung heraus. Das macht deutlich: Die Gewerkschaftsführung setzt sich eindeutig über die Interessen der Mitgliedschaft hinweg (was an der völligen Mißachtung des ablehnenden Urabstimmungsergebnisses vom Januar (vgl. 11.1.1973, d.Vf.) besonders deutlich wird).

Die Gewerkschaftsspitze ist nicht mehr Organ der Arbeiterschaft, sie hilft vielmehr treu und brav die Gewinne der Unternehmer auf dem Rücken der Arbeiter abzusichern. Wenn die Forderungen der Mitglieder durchgesetzt werden sollen, dann muß also die bisherige Gewerkschaftsspitze aufs Schärfste bekämpft und alle Bürokraten aufmerksam kontrolliert werden. Nur dann können die Gewerkschaften wieder ein Instrument der um ihre Interessen kämpfenden Arbeiter werden. Dieser Kampf um die Gewerkschaften muß geschlossen und zielbewußt geführt werden. Alle Kollegen, die ihre Interessen konsequent und kämpferisch gegen die Anschläge der Unternehmer (z. B. verstärkte Arbeitshetze, Lohnraub durch Preistreiberei u.ä.) verteidigen wollen, müssen sich vereinigen. Es gilt eine kampfbewußte, linke Tendenz in den Gewerkschaften zu bilden um den Einfluß der Bürokraten zu zerschlagen und eine konsequente Gewerkschaftspolitik voranzutreiben.

Die 'Solidarität' steht fest auf der Seite der bewußten Kollegen, die den Kampf aufgenommen haben und wird ihren Beitrag zur Bildung, Festigung und Weiterführung der linken Gewerkschaftstendenz leisten".

Der Artikel "Nocheinmal zum Streik - Verlauf und Lehren der Tarifbewegung" führt aus:"
Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Absicht der Unternehmer: Schon nach der Tarifbewegung 1971/72 stellte der IG Metall-Vorstand fest: 'Die Auseinandersetzungen mit den Unternehmern werden in Zukunft härter'. Nun - sie sind härter geworden! Die 'Arbeitgeber'verbände waren, wie schon 1971, deutlich auf Konfrontationskurs in die Tarifbewegung 1972/73 gegangen, wobei sie sich der vollen Unterstützung von SPD-Finanzminister Schmidt sicher sein konnten, der den Arbeitern angedroht hatte, jede Lohnerhöhung über 8% durch einen nicht zurückzahlbaren Konjunkturzuschlag wegzusteuern. Warum diese Front von Unternehmern und Regierung gegen die Lohnforderungen der Arbeiter? Das Argument, daß die Lohnerhöhungen die Preise in die Höhe treiben, zieht nicht (die Unternehmer sind keine solchen Stabilitätsapostel!); denn trotz der bescheidenen erzielten tariflichen Lohnerhöhungen haben die Automobilfirmen schon drastische Preiserhöhungen für die nächste Zeit angekündigt und auch auf der Frankfurter Industriemesse haben die Preise wieder kräftig angezogen. Es muß also ein Grund da sein. Der ist auch leicht gefunden. Seit der Rezession 1966/67 sind die Gewinnaussichten der deutschen Industrie (in der Stahlindustrie besonders) nicht mehr so glänzend wie vorher. Einerseits wegen der zunehmenden Schwierigkeiten auf dem Weltmarkt, die in der dauernden Dollarkrise sichtbar werden und die die deutsche Industrie durch die DM-Aufwertung besonders belasten; und andererseits auch wegen der deutlichen Abflachung der Binnenkonjunktur. (wodurch die vorhandenen Kapazitäten nicht ständig im notwendigen Umfang ausgelastet werden können). Dies alles führt zur Einengung des Gewinnspielraumes der Unternehmer. Da der Markt eben nicht mehr so ausdehnungsfähig war wie früher, konnte eine Stabilisierung oder gar Erhöhung der Gewinne nur über die Kostenseite erreicht werden. Man verfiel daher auf die Idee die Lohnkosten zu senken d.h. die Arbeiter kurztreten zu lassen. So werden z.B. in vielen Werken mit z.T. erheblich verringerter Belegschaft große Steigerungen des Produktionsausstoßes vorgenommen.

'Orientierungsdaten' der Regierung und die geringen Angebote der Unternehmer.

Das Verhalten der Gewerkschaftsbürokratie: Wie reagierte nun die IG Metall-Spitze auf diesen Versuch die Gewinne der Unternehmer auf dem Rücken der Arbeiter zu stabilisieren? Wies sie diesen Versuch mit der gebotenen Härte zurück? Nein! Schon in den Tarifkommissionen kürzte sie die Forderungen der Betriebe, die durchweg um 13 - 15% und höher gelegen hatten, erheblich auf 11% bzw. 60 Pfennig und ging damit an die unterste Grenze die überhaupt möglich war. Denn ein Abschluß in dieser Höhe hätte bei der letztjährigen Preissteigerungsrate von 6, 4%, der Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge vom Januar und der Lohnsteuerprogression bereits absoluten Lohnstopp bedeutet. Nach dem kläglichen Abschluß von 8, 5% bzw. 46 Pfennig, kann die Urabstimmung vom Dezember (vgl. 20.12.1972, d.Vf.) nur als nicht ernst gemeinte 'Tarifgymnastik' des Vorstandes gewertet werden. Besonders wenn man bedenkt, daß das Ergebnis auf alle 13 Monate (einschließlich Dezember) bezogen nur eine Erhöhung von 7, 9% ausmacht, und eine solche Anhebung hatten die Unternehmer schon im Dezember angeboten. Daß der IG Metall-Vorstand aus dem ablehnenden Urabstimmungsergebnis vom Januar keine Konsequenzen zog, zeigt nur, daß er sich einen Dreck um den Willen seiner Mitglieder schert.

Der Streik um 14 Pfennig:
Es war jedem klar, daß der 46 Pfennig-Abschluß nicht ausreichte den Lebensstandard aller Kollegen auch nur annähernd auf dem Niveau von 71/72 zu halten - er bedeutete Lohnabbau! Daß in dieser Tarifrunde mehr drin war, beweist Daimler-Benz, wo im Anschluß daran innerbetriebliche Lohnerhöhungen bis zu 20% erreicht wurden. Schon kurze Zeit nach Tarifabschluß wurde bei Hoesch für 14 Pfennig linear gestreikt (vgl. 8.2.1973, d.Vf.). Hierbei wurde zweierlei klar: 1.) Die Kollegen hatten klar erkannt, daß die 46 Pfennig wirklich viel zu wenig waren und setzten sich dagegen zur Wehr. 2.) Auch die 14 Pfennig wurden linear, d.h. für alle gleich, gefordert, was zeigt, daß der Versuch des IGM-Vorstandes, die linearen Lohnforderungen schlecht zu machen, mißlungen war.

Warum lineare Lohnforderungen? Lebensmittel, Mieten usw. sind für alle gleich teurer geworden. Jedem von uns wird während der Arbeit immer mehr Leistung abgefordert. Lohndifferenzierungen und prozentuale Lohnerhöhungen sind seit eh und je bewährte Mittel, die Arbeitnehmerschaft auseinanderzudividieren und zu spalten: Alle sind gleich betroffen; wir müssen uns gemeinsam wehren!

Wer geglaubt hatte dem Streik könne ein ebenso rascher Erfolg beschieden sein wie 1969, der sah sich getäuscht! Nach den Septemberstreiks 1969 haben die Unternehmer einen harten Kurs eingeschlagen. Dies zeigt sich u.a. auch daran, daß Schmitthals am 9.2. Repressalien gegen streikende Kollegen androhte und Listen auslegen ließ, in die sich die 'Arbeitswilligen' eintragen sollten und an den Drohbriefen die der Vorstand an die Kollegen verschickte. Unterstützt wurde diese Haltung der Unternehmensleitung noch durch den IGM-Vorstand, der den streikenden Kollegen, wie schon 1969 dadurch in den Rücken fiel, daß er den Streik ablehnte, ihn als 'gewerkschaftsschädigend' erklärte und jede Unterstützung verweigerte (hier wird auch klar, was der IGM-Vorstand meint, wenn er von den inngewerkschaftlichen Konsequenzen der Urabstimmung vom Januar spricht - nämlich Kontrolle und Unterdrückung der Kollegen und Vertrauensleute, die sich konsequent und kämpferisch für die Vertretung der Interessen der Arbeiter einsetzten). Dies erklärt, warum die Streikfront schon am Samstag abbröckelte und zusammenbrach, obwohl noch auf der Kundgebung am Freitag alle drei Hoesch-Werke ihre Entschlossenheit zur Fortführung des Streiks bekundet hatten.

Was läßt sich aus diesem schnellen Zusammenbruch des Streiks schließen? Neben der harten Haltung und den Repressionen der Unternehmer und dem Verrat der IGM-Führung müssen auch gewisse Schwächen in der Streikfront für den Mißerfolg verantwortlich gemacht werden. Es hatte weder Streikvollversammlungen noch eine gewählte zentrale Streikleitung gegeben, die den Zusammenhalt der drei Werke gewährleistet, die Kollegen ständig informiert und Streikposten organisiert hätte. Wäre dies geschehen, so hätten die Gerüchte über die Arbeitsaufnahme bei Phoenix und Union leicht widerlegt und die Streikfront zusammengehalten werden können.

Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen und die Lehren für die Zukunft?

Die Auseinandersetzungen bei Hoesch sind keine auf dieses Unternehmen beschränkte Angelegenheit. Das zeigen z.B. die Kämpfe bei Mannesmann, wo man die Arbeiter dadurch prellen will, daß man durch Veränderungen der Arbeitsplätze die Arbeitsintensität erhöht und die entsprechende Höherstufung in den Lohngruppen verweigert, bei Hoogovens in den Niederlanden, wo die Kollegen ebenfalls um Lohnerhöhungen streiken und die Solidaritätsbewegung zur größten Streikwelle nach dem II. Weltkrieg geführt hat und in Großbritannien wo sich die Arbeiterschaft in großen Aktionen gegen das Lohndiktat der Regierung wehrt. Wir sehen, die Konflikte nehmen an Häufigkeit, Ausdehnung und Schärfe immer mehr zu.

Unsere Interessen können wir in diesen Auseinandersetzungen nur durchsetzen, wenn wir eine starke, konsequente Interessenvertretung haben. Um die IG-Metall wieder zu einem kampffähigen Organ der Arbeiter zu machen, ist es notwendig, den Einfluß der Bürokraten in der Gewerkschaft abzubauen.

Deswegen:
- müssen die Mitglieder der Tarifkommissionen statt wie bisher durch die Bürokratie bestimmt zu werden durch die Vertrauensleute gewählt werden,
- müssen alle Mitglieder der Tarifkommission jederzeit abwählbar sein, wenn sie unsere Interessen nicht mehr vertreten,
- muß jeder Tarifabschluß durch Urabstimmung bestätigt werden.

Gegen den 'Stabilitätspakt': raus aus der konzertierten Aktion! Für volle Tarifautonomie! Für unabhängige und demokratische Gewerkschaften! Stärkt die Stellung der Vertrauensleute gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie!"

Der Artikel "Streik bei Hoogovens" (vgl. 20.2.1973) führt aus:"
Zehn Tage nach der Beendigung der Arbeitsniederlegungen bei den Hoesch-Werken begann ein Streik bei dem holländischen 'Schwesternkonzern' Hoogovens in den Niederlanden. Bis zum Redaktionsschluß war uns der endgültige Verlauf und Ausgang des Streiks nicht bekannt. Der Streik begann in der Abteilung 'Material und Magazin' und dehnte sich im Laufe des nächsten Tages auf alle wichtigen Abteilungen aus, so daß die Produktion völlig zum Erliegen kam. Doch nicht nur die Kollegen von Hoogovens legten die Arbeit nieder. Mit einer Welle von Sympathiestreiks in Betrieben der verschiedensten Branchen bekundeten zahlreiche holländische Kollegen ihre Solidarität. Aber wenn die Solidarität der Arbeiter ihre Stärke deutlich macht, so sind auch die Unternehmer und ihre Handlanger in Justiz und Politik schnell einig. Mit einer gerichtlichen Verfügung sollte der von den Gewerkschaften unterstützte Streik illegalisiert und verboten werden um so die gewerkschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten in den Betrieben rigoros einzuengen und besser unterdrücken zu können. Hier der Versuch acht aktive Gewerkschafter zu entlassen, dort der Versuch, einen Streik durch Gerichtsbeschluß beenden zu
lassen. Die Absichten der Unternehmer sind die gleichen, nämlich das Ziel so gut wie jede gewerkschaftliche und politische Betätigung aus dem Betrieb fern zu halten. Unterschiede gibt es eigentlich nur in der Methode! Der Streik bei Hoogovens war der Auslöser für die größte Streikbewegung in den Niederlanden seit dem II. Weltkrieg. Die Unternehmer sind daher entschlossen, den Kollegen eine Niederlage beizubringen. Denn sie wissen genau, daß eine erfolgreiche Durchsetzung der Forderungen der Kollegen von Hoogovens nach einer linearen Lohnerhöhung (Forderung: Cent statt Prozent), einer Teuerungszulage (TZL, d.Vf.) von 465 Gulden für alle im Jahr (was bei einer offiziell geschätzten Preissteigerungsrate von 8% für 1973 mehr als gerechtfertigt erscheint) und nach Eingliederung der höheren Angestellten in die Tarifverträge, in den meisten Betrieben eine Bewegung in Gang setzen wird, in der die Arbeiter den Unternehmern mit ähnlichen Forderungen entgegentreten werden. Die holländischen Arbeiter haben ihre Solidarität mit den streikenden Kollegen von Hoogovens in eindeutiger Weise ausgedrückt. Wir, die wir über den 'Estel-Konzern' auf's Engste mit den Kollegen von Hoogovens verbunden sind, sollten nicht dahinter zurückstehen und unsere volle Solidarität mit ihren berechtigten Forderungen ebenso deutlich bekunden.

SOLIDARITÄT MIT DEN STREIKENDEN KOLLEGEEN VON HOOGOVENS!"

Letztlich wird in der Ausgabe darauf verwiesen, daß "demnächst unsere Dokumentation über den Streik um 14 Pfennig bei Hoesch erscheint. Sie wird neben einer ausführlichen Chronologie, einer tarifpolitischen Einschätzung, alle diesbezüglichen Artikel der Lokalpresse sowie alle Flugblätter der GIM zum Streik enthalten".
Quelle: Solidarität Nr. 1, Dortmund 20.3.1973

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