Münster: Arzneimittellager Frölich und Co.

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 20.8.2013

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Vom Arzneimittellager Frölich und Co. in Münster, das zum Organisationsbereich der IG Chemie Papier Keramik (CPK) gehört, kann hier bisher allein anhand von einigen Dokumenten der Freunde der KPD berichtet werden. Wir bitten um Ergänzungen.

In dem mit ca. 150, überwiegend weiblichen, Beschäftigten relativ kleinen Betrieb ist der Kommunistische Jugendverband (KJV) der KPD unter den Jungarbeiterinnen aktiv (vgl. Mai 1973), berichtet über die Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz (JuArSchG - vgl. Juli 1973) und gründet dann den Kampfausschuss bei Frölich und Co. initiativ mit (vgl. Okt. 1973), der ein betriebliches Kampfprogramm erarbeitet (vgl. 2.11.1973), für dieses Unterschriften sammelt und eine Reihe von Flugblättern herausgibt, von denen hier einige dokumentiert werden können (vgl. 6.11.1973, 24.11.1973, 9.12.1973).

Dieser Kampfausschuß besitzt für die KPD offenbar große Bedeutung, wie sich nicht nur in mehreren Artikeln des Zentralorgans zeigt (vgl. 3.1.1974, 9.1.1974), sondern auch in internen Einschätzungen (vgl. 26.1.1974). Es kommt zu einer ersten Entlassung (vgl. 1.2.1974), der eventuell weitere folgen (vgl. 3.2.1975), die hier derzeit noch nicht erschlossen werden können.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

Mai 1973:
Das RK Rhein/Ruhr des KJV der KPD (vgl. Juni 1973) berichtet vermutlich aus dem Mai aus dem CPK-Bereich:"
PROFITGEIER ERSTER KLASSE

KORRESPONDENZ EINER JUNGARBEITERIN AUS DER ARZNEIMITTELFABRIK FRÖLICH UND CO. IN MÜNSTER

Bei uns in der Firma sind ungefähr 130 Frauen und Mädchen überwiegend zwischen 16 und 25 Jahre alt, in der Produktion beschäftigt, und ca. 20 Angestellte in den Büroabteilungen. Die ganze Produktion ist Fließbandarbeit, und das gilt natürlich auch für die Lehrlinge. Man kann sich also vorstellen, was an uns verdient wird, denn gerade Frauen und Lehrlinge werden am niedrigsten bezahlt! Gastarbeiter werden bei uns nicht eingestellt (dazu ist man wohl zu fein?).

Am schlimmsten ist die Arbeitshetze, die noch dazu immer weiter heraufgeschraubt wird. Unsere Arbeitszeit ist so, daß es glatt dem Jugendarbeitsschutz widerspricht: abwechselnd haben wir eine sogenannte 'kurze Woche' gleich 38 Stunden und eine 'lange Woche' gleich 59 Stunden. Dabei dürfen Jugendliche unter 18 höchstens 44 Stunden arbeiten! Das heißt, die Jugendlichen machen alle zwei Wochen 15 Überstunden!

Außerdem werden wir zum immer schnelleren Arbeiten angetrieben, nicht nur wenn das Band beschleunigt wird, sondern besonders auch, wenn Kolleginnen aus den Abteilungen abgezogen werden. In einer Abteilung muß jetzt eine Kollegin alles das bewältigen, was früher vier erledigt haben. So passierte es auch, daß diese Kollegin wegen der Arbeitshetze von einem Regal fiel, wo ihr der Fuß ganz dick anschwoll und unwahrscheinlich schmerzte. Trotzdem mußte sie weiterarbeiten! Und das alles für einen Stundenlohn von 4, 60 DM brutto!

Wir kriegen auch nicht mal einen Arbeitsvertrag, mit der Begründung, man können doch nicht für 130 Leute jedem einen solchen Vertrag aushändigen, das sei ein viel zu großer Aufwand und koste zu viel Zeit, denn die Schreibkräfte hätten genug für den Betrieb zu tun. Unser Betriebsrat tut dagegen nichts. Er tagt, ohne daß überhaupt jemand davon weiß. Auch nach den Sitzungen wird weder am Schwarzen Brett noch sonstwo gesagt, was dort wieder ausgemauschelt wurde.

Der Boß unserer Firma hat jetzt z.B. die Pausen - die wir bisher alle zusammen hatten - so gelegt, daß jede Abteilung erst dann Pause machen darf, wenn das Fließband ganz leer ist. Das bedeutet, daß alles getan sein muß, bevor wir überhaupt unsere Abteilung verlassen dürfen. Mit anderen Worten: Abteilung 1 ist immer eher fertig als Abteilung 5 oder 8. Also heißt das, daß wir uns nie mehr zusammensetzen können, um wichtige innerbetriebliche Probleme zu diskutieren. Auch nach Arbeitsschluß sehen wir uns kaum, da Abteilung 5 oder 8 oft Überstunden machen müssen, weil sie mit der Arbeit noch nicht fertig sind. Die einzigen Abteilungen, die meistens pünktlich Schluß haben, sind 1, 2, 3. Sämtliche anderen müssen in der Regel 3 - 4 mal in der Woche Überstunden leisten. Auch die Lehrlinge bleiben von der vielen Überstundenschinderei nicht verschont, ebenso wie sie auch die meiste Zeit in der Fließbandproduktion verbringen, weil sie sämtliche neun Fließbandabteilungen durchlaufen müssen. Deswegen fordern wir für unsere Belegschaft:

WEG MIT DER ÜBERSTUNDENSCHINDEREI!
PAUSEN ZU GLEICHER ZEIT UND MIT GLEICHER LÄNGE FÜR ALLE!
ARBEITSVERTRÄGE FÜR JEDEN!
WEG MIT DER KURZEN UND DER LANGEN WOCHE!
FÜR EINE 40-STUNDEN-WOCHE!
MINDESTLOHN NETTO 1 200 DM!
EXISTENZLOHN FÜR LEHRLINGE 600 DM!"
Quelle: KJV-RK Rhein/Ruhr: Jugendarbeitsschutz - Schutz der Jugend? Schutz der Ausbeutung!, Dortmund 1973, S. 13f

Juli 1973:
Der Kommunistische Jugendverband (KJV) der KPD gibt die Nr. 7 seiner 'Kämpfenden Jugend' (vgl. 28.5.1973, Sept. 1973) für Juli heraus und berichtet von Frölich & Co Münster.
Q: Kämpfende Jugend Nr. 7, Dortmund Juli 1973, S. 11

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Oktober 1973:
Bei Frölich und Co. in Münster (120 Besch.) wird, laut und mit KPD, vermutlich im Oktober ein Kampfausschuß gegründet.
Q: Rote Fahne Nr. 46, Dortmund 14.11.1973

02.11.1973:
Bei Frölich und Co. in Münster verteilt der Kampfausschuß nach eigenen Angaben heute sein "Kampfprogramm". Dieses gliedert sich in die Abschnitte:
- "Statt des offensichtlichen Lohnraubes (auch bei uns) und der Spaltung unter den Kollegen durch diesen grossen Lohnunterschied - Kampf um die Einheit aller Arbeiter!";
- "Einheitlicher Stundenlohn von 6,00 DM für alle!";
- "Bezahlung der Busfahrten zur Firma hin und zurück!";
- "Arbeitsverträge für jeden!";
- "Weg mit der Arbeitshetze!" - Für planmässigen Arbeitsrhythmus!";
- "Einheitliche Pausen!"; sowie
- "Gegen die kurze und lange Woche - für einen geregelten 8-Stundentag! Für die 40-Stundenwoche!".
Q: Kampfausschuß Fa. Frölich & Co: Kampfprogramm, Dortmund o. J. (1973)

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06.11.1973:
Bei Frölich und Co. in Münster gibt der Kampfausschuß sein Flugblatt Nr. 4 (vgl. 24.11.73) heraus und fordert zum Unterschreiben des Kampfprogramms (vgl. 2.11.1973) auf.
Q: Kampfausschuß bei Fa. Frölich & Co Münster Nr. 4, Dortmund 6.11.1973

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24.11.1973:
Bei Frölich und Co. in Münster gibt der Kampfausschuß sein Flugblatt Nr. 5 (vgl. 6.11.73, 9.12.1973) heraus, in dem eine vierteljährliche Betriebsversammlung gefordert und vom eigenen Offenen Brief an den Betriebsrat vom selben Tag berichtet wird. Aufgefordert wird zum Unterschreiben der Forderungen des Kampfausschusses.
Q: Kampfausschuß Fa. Frölich & Co Nr. 5, Dortmund 24.11.1973

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09.12.1973:
Bei Frölich und Co. in Münster gibt der Kampfausschuß sein Flugblatt Nr. 6 (vgl. 24.11.1973) heraus, in dem von der Reaktion auf den eigenen Offenen Brief an den Betriebsrat berichtet wird. Aufgefordert wird zur Unterstützung des Kampfausschusses.
Q: Kampfausschuß bei Fa. Frölich & Co Münster Nr. 6, Dortmund 9.12.1973

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03.01.1974:
In der Nr. 1 ihrer 'Roten Fahne' (vgl. 19.12.1973, 9.1.1974) berichtet die KPD aus Münster vom Kampfausschuß bei Frölich und Co.
Q: Rote Fahne Nr. 1, Dortmund 3.1.1974

09.01.1974:
In der Nr. 2 ihrer 'Roten Fahne' (vgl. 3.1.1974, 16.1.1974) befaßt sich die KPD u.a. mit dem Arzneimittellager Frölich und Co. in Münster.
Q: Rote Fahne Nr. 2, Dortmund 9.1.1974

26.01.1974:
In Duisburg beginnt das Regionalkomitee (RK) Rhein/Ruhr der KPD im Rahmen der bundesweiten Tagungen mit seiner zweitägigen Konferenz oppositioneller Gewerkschafter, auf der sich über 100 u.a. an den Arbeitskreisen IGM, CPK, DruPa, HBV und ÖTV/Post beteiligen. Teilnehmer kommen auch aus Bergkamen und Kamen von Schering und Spar und aus Münster (Armstrong und Frölich).

Im Hauptreferat heisst es auch:"
Einige Beispiele, auch aus den Betrieben, in denen Streikaufrufe erfolgreich waren, zeigen, wie wichtig die Vorbereitung in den Abteilungen und an unwesentlich erscheinenden Punkten ist:
- Unterschriftensammlung gegen Versetzungen (Erfolg bei Philips und Opel)
- Verweigerung der Samstagsarbeit (Frölich Münster) und der Überstunden
- Zur-Rede-Stellen des Betriebsrats vor einer Gruppe von Kollegen (Opel), Gang ins Büro (Mannesmann)
- Kontrolle über das Arbeitstempo und Weigerung zur schnelleren Bandarbeit (die Kontrolle über das Tempo, die Stückzahlen oder die Tonnenleistung ist häufig sehr wichtig für die Mobilisierung! Kollektives Langsamarbeiten bei den Bändern bei Daimler; bei Opel nach dem Streik verließen zahlreiche beschädigte Wagen das Band: hier hätte organisiertes Eingreifen den individuellen Protest wirkungsvoll gemacht!)
- Aushänge am Schwarzen Brett
- Pausendiskussion und Verlängerung der Pause (dies war schon häufig Ausgangspunkt für Streiks)
- Treffen von Vertrauensleuten einer Schicht usw.

ERFAHRUNGEN MIT DER IGCPK IN MÜNSTER:
Die Lage: relativ starke Chemie-Industrie, oppositionelle Kollegen bei Glasurit, Armstrong, Frölich und anderen Betrieben und: völlig danieder liegende Gewerkschaftsarbeit, keine Ortsverwaltung, kein KJA (dieser wurde aufgelöst), nichts, was nicht direkt von der Bezirkszentrale in Dortmund gesteuert würde. Was tun? 'Glänzende Gelegenheit, den wahren Charakter der Gewerkschaftsführung klarzumachen' werden viele sagen. Man muß nur (nur…?) die Kollegen zusammenschließen und kann Kämpfe initiieren ohne und gegen die Gewerkschaftsführung. Richtig, und nur eine taktische (aber eine sehr wichtige taktische) Überlegung hat die oppositionellen Gewerkschafter veranlaßt, für die Bildung eines KJA, einer Ortsverwaltung usw. zu kämpfen: weil wir immer wieder und immer eindrucksvoller die Rolle der Gewerkschaftsführung klarmachen müssen. Dies geht nicht mit bloßer Propaganda, sondern nur im Kampf. Wir geben uns nicht der Illusion hin, daß eine Ortsverwaltung der Garant des Fortschritts an sich sein wird (und deshalb ist der Kampfausschuß im Betrieb Frölich zehnmal wichtiger als 500 Anträge an die IGCPK), aber wir können durch unsere doppelte Taktik - Arbeiten in den Gewerkschaften und gleichzeitig selbständiger Kampf mit eigenständigen Organisationsformen - das Vertrauen zahlreicher Arbeiter … (weiße Stelle, d.Vf.)"
Q: Rote Fahne Nr. 3 und 5, Dortmund 16.1.1974 bzw. 30.1.1974; KPD-RK Rhein/Ruhr: Material zur Konferenz oppositioneller Gewerkschafter in NRW am 26./27. Januar in Duisburg Hauptreferat, o.O. o.J. (Jan. 1974);Kämpfende Jugend Nr. 11, 1und 2, Dortmund Dez. 1973, 15.1.1974 bzw. 1.2.1974, S. 3, S. 1 bzw. S.1f

01.02.1974:
Der Kommunistische Jugendverband (KJV) der KPD gibt die Nr. 2 seiner 'Kämpfenden Jugend' (KJ - vgl. 15.1.1974, 15.2.1974) heraus und berichtet aus Münster von Frölich (CPK-Bereich).
Q: Kämpfende Jugend Nr. 2, Dortmund 1.2.1974, S. 3

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03.02.1975:
Für den KJV Münster verfasst Bernhard Beste das heutige Flugblatt, in dem von den Mordanschlägen auf Heinz Scholz bei der Vulkan-Werft Bremen und den Kollegen Dreisbach bei Opel Rüsselsheim berichtet wird. Aber auch in Münster "verstärkt sich der Terror:
So wurde anläßlich der Rausschmisse bei Armstrong, bei den Entlassungen bei Frölich & Co und Weros mit allen Tricks gearbeitet:
Bei Armstrong machte man kein Hehl daraus, daß man mit dem MAD zusammenarbeitet und die Kollegen bespitzeln läßt, bei Weros ging die Kapitalisten auch körperlich gegen eine Kollegin vor, die dann auch entlassen wurde, weil sie sich für einen tariflich abgesicherten Lohn einsetzte,
bei Frölich & Co wurden eine ganze Reihe von Kollegen entlassen!

Doch mit den Entlassungen der kommunistischen Kollegen allein ist es nicht getan:
Bei MAN wird ein Lehrling entlassen, weil er sich in der Probezeit beim Feilen den Arm verletzt und krankgeschrieben wird, ein Tankwart-Lehrling wird entlassen, weil er den Kunden kein 'Frohes Weihnachten' gewünscht hat und sich nicht rasiert, viele Jugendliche kriegen überhaupt keine Lehrstelle mehr. Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit wird von Tag zu Tag größer!"
Q: KJV Münster: Kolleginnen und Kollegen, Genossen!, Münster 3.2.1975, S. 1

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