Berlin-Kreuzberg:
Der Protest gegen die Schließung des Bethanien-Krankenhauses 1969/1970

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 4.1.2016


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Die Kampagne gegen die Schließung des Bethanien-Krankenhauses in Berlin-Kreuzberg, die wesentlich von der KPD/ML organisiert wurde, war einer der frühen Versuche von linksradikaler Stadtteilarbeit, wobei auch die Beschäftigten des Gesundheitswesens einbezogen wurden.

Die Schließung des Bethanien-Krankenhauses konnte nicht verhindert werden, dort entstand dann später u.a. das besetzte Georg von Rauch-Haus.

Aus der Bethanienkampagne bildete sich aber auch eine Gruppe, die sich zunächst am Zickenplatz traf, sich erst als Arbeitergruppe Kreuzberg der KPD/ML organisierte und bei dem bald erfolgenden Spaltungsprozess der KPD/ML dann die Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei (SDA) bildete.

Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)

Dezember 1969:
Innerhalb der Marxisten-Leninisten (ML) Westberlin wird vermutlich im Dezember der Text "Bericht der ML-Aktivisten an der FU" verfaßt. Die ML-Medizin berichtet darin u.a.:"
Die Arbeit im außeruniversitären Bereich (Medizinerladen in Kreuzberg, Krankenschwestern) konnte nicht koordiniert werden. Im Moment arbeitet ein Teil der Mediziner mit der KPD/ML auf dem Gebiet der Stadtteilagitation (Bethanien-Krankenhaus in Kreuzberg) zusammen. Eine grundsätzliche Bereitschaft der Mediziner mit der ML bei der Betriebs- und Stadtteilagitation zu arbeiten ist vorhanden."
Quelle: ML Westberlin: Info Nr. 1, Berlin Dez. 1969, S. 14ff

29.12.1969:
In Berlin-Kreuzberg geben die KPD/ML, Mitarbeiter des Bethanien-Krankenhauses sowie Rote Mediziner und Krankenschwestern vermutlich in dieser Woche das Flugblatt "Hände weg von Bethanien!" Nr. 4 (vgl. 9.2.1970) heraus. Berichtet wird vom Zusammenbruch des ärztlichen Notdienstes, angekündigt wird für Mitte Januar eine Protestversammlung.
Q: Hände weg von Bethanien! Nr. 4, Berlin o. J. (1969)

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09.02.1970:
In Berlin-Kreuzberg geben die KPD/ML, Mitarbeiter des Bethanien-Krankenhauses und des Neuköllner Krankenhauses sowie Rote Mediziner und Krankenschwestern vermutlich in dieser Woche das Flugblatt "Hände weg von Bethanien!" Nr. 5 (vgl. 29.12.1969) heraus, das zur Versammlung am 16.2.1970 aufruft. Eingeladen wird zum Treff am Zickenplatz.
Q: Hände weg von Bethanien! Nr. 5, Berlin o. J. (1970)

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13.02.1970:
In Berlin wird auf der Leitungssitzung von Spartacus - IAfeKJO u.a. die für den 16.2.1970 von der KPD/ML geplante Diskussion über eine Aktion "Hände weg von Bethanien" vorbereitet.
Q: Spartacus - IAfeKJO: Protokoll Leitungssitzung 13.2.70, Berlin 13.2.1970

16.02.1970:
Die Berliner KPD/ML führt heute eine Diskussion über ihre Aktion "Hände weg von Bethanien" im Naunyn-Kino durch, wozu sie, laut Spartacus - IAfeKJO, "zusammen mit den Roten Medizinern bereits ein halbes Dutzend Flugblätter verteilt hat."

Die "Bethanienkampagne" ist im Februar 1970 bereits in die ideologischen Auseinandersetzungen um den künftigen Kurs der KPD/ML eingeordnet. Die Kampagne steht unter der Losung einer "Hauptseite Theorie" und basiert auf einem Artikel im 'Roten Morgen': "Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf" (vgl. Jan. 1970). In diesem Artikel wird erstmals in der maoistischen westdeutschen Bewegung die Forderung nach einer "Hauptseite Theorie" erhoben.

Die Stadtteilarbeit der KPD/ML ging in Kreuzberg demnach von einer Konzeption aus, die Voruntersuchung der Lage, Propaganda des Marxismus-Leninismus, Agitation, Untersuchung und Klassenanalyse versuchte miteinander zu verbinden. Diese analytische Arbeit (Klassenanalyse der einzelnen Stadtteile) sah man als eine der Voraussetzungen zur allgemeinen Klassenanalyse Westdeutschlands und West-Berlins an.

Das Stadtteilkomitee der KPD/ML konstituierte sich im November 1969 aufgrund einer Analyse des Stadtteils Kreuzberg (Arbeiterviertel, kommunistische Vergangenheit). Die Schließung des Bethanienkrankenhauses am Mariannenplatz wurde als Beispiel "für Anschläge der Bourgeoisie auf den Versorgungssektor" angesehen. Eine Reihe von Flugblättern (Propagandaaktionen) leitete die Aktion ein, die durch Propagandatrupps (Transparente, Megaphonagitation, Bücher-Bauchladen usw.) unterstützt wurde.

Als erstes Kampfziel ihrer Bethanienkampagne propagierte die KPD/ML Ende Feb. 1970 die Losung "Hände weg von Bethanien". Zwei weitere Flugblätter erreichten eine Auflage von ca. 30 000 Stück. Veranstaltungen wie die im "Naunyn-Kino" wurden durchgeführt.

Laut 'Erziehung und Klassenkampf' können durch die Kampagne der KPD/ML Teile der Kreuzberger Bevölkerung mobilisiert werden. Die Schließung des Krankenhauses konnte zwar nicht verhindert werden, aber sein Abriß. Das Krankenhaus Bethanien wird am 1. März 1970 geschlossen.
Q: Erziehung und Klassenkampf Nr. 7, Frankfurt 1972, S. 11; Spartacus - IAfeKJO: Protokoll Leitungssitzung 13.2.70, Berlin 13.2.1970;Rote Presse Korrespondenz Nr. 56/57, Berlin 13.3.1970, S. 8ff;Hände weg von Bethanien! Nr. 5, Berlin o. J. (1970), S. 2

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14.03.1970:
In Berlin-Kreuzberg findet eine Demonstration gegen die Schließung des Bethanienkrankenhauses statt. Daran nehmen neben der KPD/ML auch die Rote Garde und ein Teil der Kreuzberger Bevölkerung teil. Die Demonstration bildet gleichzeitig den Höhepunkt und vorläufigen Abschluß der Bethanien-Kampagne durch die KPD/ML. Im Zuge der Vorbereitungen auf die Demonstration bildet sich die Arbeitergruppe Kreuzberg der KPD/ML.

Aufgerufen wurde durch ein Flugblatt von KPD/ML, Arbeitergruppe Kreuzberg, Mitarbeiter des Bethanien, Neuköllner und Rudolf-Virchow-Krankenhaus (RVK) sowie der Roten Mediziner.
Q: Rote Presse Korrespondenz Nr. 56/57, Berlin 13.3.1970, S. 8ff; Roter Morgen Nr. 11, Hamburg 11.10.1971, S. 1;Kommunistische Arbeiterpresse - Ausgabe AEG Telefunken Nr. 2, Berlin 20.5.1970, S. 4;KPD/ML u.a.: Heraus auf die Strasse: Protestmarsch gegen die Schliessung des Bethanien-Krankenhauses!, Berlin o. J. 81970)

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27.03.1970:
In Berlin beschäftigt sich die Stadtteiluntersuchungsgruppe der KPD/AO auf ihrer Sitzung mit der Bethanienkampagne der KPD/ML. Dazu heißt es u.a.:"
Zur statistischen Untersuchung hatte die KPD/ML gezielt die theoretisch arbeitenden Gruppen - Soziologen, Architekten - angesprochen, aus denen sie auch zuverlässige Mitarbeiter als Propagandisten rekrutierte."

Das Bethanien Krankenhaus sei aber trotz der Kampagne geschlossen worden, aber das "organisatorische Resultat nach dem geordneten Rückzug der KPD-ML ist eine Arbeitergruppe von 12 - 15 Arbeitern, die in Schulungszirkeln zusammengefaßt werden."
Q: KPD/AO: P.d.Sug. vom 27.3.1970, o.O. (Berlin) o.J. (1970)

20.05.1970:
In Berlin gibt die KPD/AO die Nr. 2 ihrer 'Kommunistischen Arbeiterpresse - Ausgabe AEG-Telefunken' (vgl. April 1970, 3.6.1970) heraus. Eingegangen wird u.a. auf die Schließung des Bethanienkrankenhauses in Kreuzberg und die Berliner Krankenhäuser allgemein, wobei die Existenz von Stadtteilgruppen der KPD/AO in Neukölln, Moabit und Wedding zur Sprache kommt.
Q: Kommunistische Arbeiterpresse - Ausgabe AEG Telefunken Nr. 2, Berlin 20.5.1970, S. 1ff

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15.07.1970:
In Berlin versammeln sich, laut KPD/ML-ZB, die Arbeiter der KPD/ML-ZK, wobei 25-30 Genossen zusammengekommen seien (hierbei dürfte es sich im wesentlichen um die in der 'Bethanienkampagne' aufgebaute Arbeitergruppe Kreuzberg gehandelt haben, die auch unter der Bezeichnung 'Stadtteilgruppe der KPD/ML' auftaucht, d.Vf.). Der Kandidat der KPD/ML-ZK H. habe ein Papier vorgelegt: "Die Intellektuellen haben uns für dumm verkauft, die Partei hat sich gespalten, in eine Richtung, die den losen Bund mit anderen ML-Organisationen anstrebt, auf der anderen Seite das ZK. Wir sind über die Diskussion in der Partei nicht informiert worden, sondern wurden wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Wir Arbeiter werden nur als Aushängeschild benutzt, seit der Gründung der Partei sitzen Leute in ihr, die schon zum Zeitpunkt der Gründung die Partei für ein totgeborenes Kind hielten. … Wir werden nicht mehr in einer Partei mitmachen, in der die Intellektuellen die Führung innehaben." Der Antrag auf eine Neugründung ohne Intellektuelle, die später nur individuell mitmachen könnten habe 18 Stimmen bekommen, während zwei dagegen gewesen seien und der Rest sich enthalten habe. Geplant sei die Herausgabe einer Stadtteilzeitung für Kreuzberg (was auch in Form der 'Berliner Arbeiterzeitung' (BAZ) verwirklicht wurde, d.Vf.) und die Aufnahme der Betriebsarbeit ebendort sofort und in anderen Teilen Berlins in zirka zwei bis drei Jahren.

Die KPD/ML-ZB berichtet darüber auch unter der Schlagzeile "Die schwarze Linie liquidiert sich selbst!". Danach hat sich die KPD/ML-ZK in drei Teile gespalten, und zwar das ZK und Ezra Gerhard einerseits, die Volkstümler um J.K. (Reto) andererseits und eine neue Partei, deren Name mit 'Sozialistischer Arbeiterbund Deutschlands' angegeben wird, die aber tatsächlich unter dem Namen 'Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei'(SDA) in Berlin (besonders in Kreuzberg) eine gewisse Popularität erlangte. Das ZB führt zu dieser Spaltung aus, daß der 'Unione-Agent Reto' (bezieht sich auf die 'Unione dei Comunisti Italiani/marxisti-leninisti in Italien, d.Vf.) letzte Woche in Berlin auf einer Untersuchungsgruppensitzung Ezra Gerhard gegenüber u.a. gesagt habe: "Die Partei ist zur Zeit nur eine Ansammlung von Leuten, die sich für den Marxismus-Leninismus interessieren und der demokratische Zentralismus ist von daher nicht das richtige Organisationsprinzip. Von daher ist es notwendig, den Kontakt zu den anderen ML-Organisationen zu intensivieren, besonders mit der KPD/AO." Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen kommt das ZB zu dem Schluß: "Damit ist es den Trotzkisten erneut gelungen, die Arbeiterklasse zu spalten", ohne weiter auszuführen, um welche Trotzkisten genau es sich dabei handeln soll und wieso es sich bei der KPD/ML-ZK, die man in der Vergangenheit ja nicht gerade mit Lobreden bedachte, um die Arbeiterklasse handele, besonders wo doch die Arbeiter der KPD/ML-ZK sich zusammengeschlossen und sich lediglich von einigen Personen getrennt haben, die das ZB selbst als Agenten bezeichnet. Vermutlich mit besonderem Blick auf die Arbeitergruppe wird sodann aufgefordert sich der 'korrekten proletarischen Linie' anzuschließen.
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr. 17, Berlin 22.7.1970

Oktober 1970:
Von der Stadtteilgruppe Berlin-Kreuzberg wird eine weitere Bethanienkampagne entfaltet. Unter der Parole "Bethanien steht leer - Bethanien für Kreuzberg" wurde die Errichtung eines Zentrums für Kreuzberger Kinder und Jugendliche gefordert. Die Kampagne scheiterte. Auch ein Initiativausschuß Bethanien scheiterte mit der Agitation.
Q: Erziehung und Klassenkampf Nr. 7, Frankfurt 1972,S.11

10.02.1971:
In Herford ruft die Rote Garde (RG) Herford der KPD/ML-ZK heute zu einer heutigen Filmveranstaltung auf. Es sollen Filme zu Palästina, zur Black Panther Party (BPP) in den USA und zur Bethanienkampagne der KPD/ML-ZK in Berlin gezeigt werden.
Q: RG Herford: ohne Titel, Herford o.J. (10.2.1971)

11.02.1971:
In Bielefeld ruft die Rote Garde (RG) Bielefeld der KPD/ML-ZK heute zu einer heutigen Filmveranstaltung auf. Es sollen Filme zu Palästina, zur Black Panther Party (BPP) in den USA und zur Bethanienkampagne der KPD/ML-ZK in Berlin gezeigt werden.
Q: RG Bielefeld: ohne Titel, Bielefeld o.J. (11.2.1971)

12.03.1971:
In Berlin erscheint die 'RPK' Nr. 106 (vgl. 6.3.1971, 19.3.1971). Die Rote Zelle Medizin befaßt sich mit der Med. Fak. der FU und dem Bethanienkrankenhaus.
Q: Rote Presse Korrespondenz Nr. 106, Berlin 12.3.1971, S. 10f

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Letzte Änderung: 04.11.2019