Graetz Bochum

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin

Es werden hier nur wenige der einschlägigen Dokumente des APO-Archivs vorgestellt. Diese Darstellung stützt sich auf indirekte Berichte durch bundesweites bzw. Bochumer Material der KPD/ML-ZB, Dortmunder Veröffentlichungen der KPD sowie Internas der Kommunistischen Gruppe Bochum/Essen (KG B/E). Aufgenommen wurden allgemeine Ausführungen zur Farbfernsehindustrie, die Bezug zu Graetz haben.

Für die Belegschaft der Kabelwerke Reinshagen in Bochum scheint Graetz in Bochum-Riemke vor allem ein Betrieb mit besserer Bezahlung als der eigene (vgl. 11.5.1970), die KPD/ML-ZB enthüllt die Preisgestaltungspraktiken der Farbfernsehindustrie, u.a. auch von Graetz (vgl. 7.11.1970), berichtet aber auch von der Kurzarbeit, nicht nur bei dieser SEL-Tochter (vgl. 25.11.1970), die offenbar zu Arbeitsplatzverlagerungen in die benachbarten SEL-Werke in Dortmund und Altena führt (vgl. 11.1.1971).

Bei SEL Dortmund dient Graetz als warnendes Beispiel (vgl. 28.5.1975), wobei die Lage des wiederholt angesprochenen (vgl. 16.6.1975), 'dichtgemachten' Werks, bei dem es sich nicht um dasjenige in Dortmund-Dorstfeld handelt, unklar bleibt, evtl. ist dasjenige in Dortmund-Lindenhorst gemeint.

Die KPD beleuchtet dafür bundesweit die Geschichte des Muterkonzerns (vgl. 20.6.1975), beklagt vor Ort bei SEL Dortmund nicht zuletzt wiederholt die Arbeitsplatzverlagerungen zu Graetz Bochum (vgl. 20.6.1975, 23.6.1975), wo der Arbeiterbund (AB – vgl. 11.1.1976) damals vermutlich nicht vertreten war, wohl aber die Kommunistische Gruppe Bochum/Essen (KG B/E – vgl. 3.3.1977, Jan. 1979, März 1981).

Nach Klaus Neuwirth arbeiteten zwei Genossinnen und ein Genosse des Opel-Kollektivs der KGB/E bei Graetz (Bochum). Ein Genosse wurde 1978 (?) mit großem Stimmenanteil in den Betriebsrat gewählt.

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

11.05.1970:
Die Nr.3 des 'Roten Kabels' - Zeitung der Kabelwerke Reinshagen Bochum Betriebsgruppe der KPD/ML (bzw. KPD/ML-ZB) und des KJVD erscheint vermutlich in dieser Woche (vgl. 4.5.1970, 1.6.1970) als Sondernummer mit sechs Seiten DIN A 4 unter Verantwortung von Peter Weinfurth, Essen, mit folgendem Leitartikel:"
HITZEPAUSEN UND ERSCHWERNISZULAGE!
...
Überall in den Betrieben gibt es Erschwerniszulage pro Stunden, wenn die
Kollegen unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen. Bei Graetz und Opel verdienen die Kolleginnen sowieso mehr als wir.

Wir schuften genauso viel. Auch wir haben ein Recht auf Erschwerniszulage!

ERSCHWERNISZULAGE VON 30 PFG. PRO STUNDE!"
Q: Rotes Kabel Nr.3,Bochum Mai 1970;
Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.2,Bochum 18.5.1970,S.*

07.11.1970:
Die Nr.48 des 'KND' der KPD/ML-ZB (vgl. 4.11.1970, 11.11.1970) erscheint. In "Preisbindung-Farbfernseher" heißt es:"
Nachdem das Großhandelsmonopol Ration zwei Graetz Farbfernseher-Typen unter dem gebundenen Preis verhökert (es hatte die Preisbindung der 2. Hand durch Re-Import von 1 000 Farbfernsehern aus dem EWG-Ausland unterlaufen) und auch eine große Zahl von Fachhändlern die Preisbindung umgehen, haben jetzt fast alle großen Farbfernseher-Produzenten ihre Preise um 6% gesenkt (AEG-Telefunken, Philips, Graetz, Imperial, Grundig, Nordmende, Blaupunkt). Diese Preise sind aufs neue beim Bundeskartellamt (BKA) zur Preisbindung angemeldet worden. Dieses faktische Preiskartell der Kapitalisten will seine hohen, kalkulierbaren Profite aufrechterhalten. Sie kündigten bereits an, sie würden die Preissenkungen wegen der 'steigenden Kosten' in absehbarer Zeit wieder rückgängig machen. Daß die Monopole, die Farbfernseher produzieren, an der Preisbindung bei dieser ware festhalten, zeigt ihren Willen, zumindest hier einer totalen Konkurrenz auf dem Inlandsmarkt zu entgehen, die die Existenz des einen oder anderen Unternehmens bedrohen könnte. Eine scharfe Konkurrenz hätte für alle starke Profitrückgänge zur Folge. Darum nehmen sie vorerst lieber eine 6%-tige Preissenkung in Kauf, statt die Preisbindung dieses Markenartikels aufs Spiel zu setzen. Die Preisbindung der 2. Hand (Vertrag zwischen Kapitalisten und Händlern) geht hier also mit einer 'inoffiziellen' Preisbindung der 1. Hand (Absprachen der Monopole über den Mindestpreis eines Produkts) Hand in Hand: eine konzertierte Aktion der Kapitalisten zur Aufrechterhaltung eines Mindestprofits, den man in längerfristige Kalkulationen einbeziehen kann. Obwohl der Preisbindungsvertrag (der nur solange 'legal' ist, wie das BKA keinen Verstoß dagegen feststellt) ständig unterlaufen wird (Händler bieten 500 DM für gebrauchte Schwarz-Weiß-Fernseher, wenn der Kunde einen Farbfernseher kauft), unternimmt das BKA nichts. Das HB ('Handelsblatt', d.Vf.) vermutet, daß das BKA - eine staatliche Institution - der SPD-Regierung Schützenhilfe für die nächsten Landtagswahlen geben will. Das Fallen der Farbfernseherpreise soll widerlegen, daß alle Preise bei der Wirtschaftspolitik der SPD steigen. Die Kapitalisten meinen mit unbestechlicher kapitalistischer Logik, eine Preissenkung gehe auf Kosten der Händler (die den Wartungsdienst für das 'komplizierte' Instrument leisten müssen) und vor allem auf Kosten des Konsumenten, der jetzt durch die geringere Gewinnspanne der Händler einen schlechteren Service für seinen Farbfernseher bekommen müßte. In internen Kapitalistenkreisen allerdings verlautet, daß die Preissenkung 'angesichts der Lohnsteigerungen und sonstigen Kostenerhöhungen' allein zum Schaden der 'Industrie' ist. Die Preissenkung sei nur vertretbar, 'wegen der außerordentlichen Gefahr einer totalen Marktzerstörung bei Preisfreigabe'. Im Monopolkapitalismus sind die Monopole die letzten, die für das gute alte Heiligtum der 'freien Marktordnung' (freie Konkurrenz) eintreten. Konkurrenz bejahen sie nur, um die 'Kleinen zu schlucken'. Das Preiskartell ist eine Absprache der (konkurrierenden) Monopole, die Konkurrenz dort zu beenden, wo die gemeinsamen Profite bedroht sind. Jedoch können diese Stillhalteabkommen nur vorübergehender Art sein. Die Konkurrenz muß sich unter dem Druck der ausländischen Monopole verstärken und zu weiteren Konzentrations- und Monopolisierungsbewegungen führen. Nur für den Moment ist der Markt noch groß genug für ein Nebeneinander von Philips, Grundig, Graetz usw."
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.48,Bochum 7.11.1970

25.11.1970:
Die Nr.53 des 'KND' der KPD/ML-ZB (vgl. 21.11.1970, 28.11.1970) erscheint:"
"Im Werk Bochum der Standard-Elektrik-Lorenz AG (SEL), in dem Farbfernsehgeräte der Marken Schaub-Lorenz und Graetz montiert werden, mußte die Belegschaft zwei Tage Zwangsurlaub einlegen." Noch einen Tag zuvor habe SEL im 'Handelsblatt' verkündet: 'Produktionskürzungen sind nicht geplant'."

Über die Farbfernsehindustrie heißt es:"
In der Farbfernsehindustrie versuchen die Kapitalisten und ihre Handlanger Kurzarbeit und Entlassungen als 'punktuelle Ereignisse', die die Konjunktur nicht beträfen, zu verharmlosen. Sie verschweigen, daß es sich um eine echte Überproduktionskrise handelt, wie sie typisch für den Kapitalismus ist: Die Kapitalisten mußten bei dem neuen Produkt Farbfernseher große Überkapazitäten schaffen, um durch die produzierten Mengen die durchschnittlichen Kosten zu senken und die neuen Kapazitäten auszulasten, damit sich die Produktion überhaupt lohnte. Wegen des guten Absatzes im Vorjahr rechneten sie mit einem Absatz von 800 000 Geräten in diesem Jahr, haben aber bisher nur 600 000 erreicht. Während also im Frühjahr die Arbeitszeit in diesen Betrieben ständig verlängert wurde (viele Überstunden), um die Profite der Kapitalisten in die Höhe zu treiben und die Kapazitäten bis zum letzten auszunutzen, müssen die Arbeiter nun zu Hause bleiben und mit einem noch geringeren Lohn auskommen".
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.53,Bochum 25.11.1970

11.01.1971:
Die KPD/ML-ZB berichtet:"
Bei Graetz in Bochum gibt es seit der 2. Januarwoche Kurzarbeit, vorläufig bis zum 24. Februar. Die Kurzarbeit betrifft bisher nur die Farbfernseherproduktion, nach Angaben der Ruhrnachrichten vom 8.1. 800 Arbeiter; das sind etwa 2/3 der Belegschaft. Die Schwarz-Weißproduktion läuft noch - allerdings auch 'auf Widerruf'. Bis jetzt weiß keine von den Arbeiterinnen Bescheid, was weiter passiert. Die bisherigen Arbeiterinnen vom Farbband sind aufgeteilt worden: ein Teil fährt ins Zweigwerk Altena (heute Märkischer Kreis,d.Vf.) (Farbfernseherbauteile, Radios), ein weiterer Teil ins Zweigwerk Dortmund-Lindenhorst (Nachrichtentechnik). 'Bummelanten' werden entlassen. Die Graetz-Herren versuchen jetzt ihre Produktion umzustellen und zwar auf Nachrichtentechnik. Die erste Gruppe von 'bewährten' Arbeiterinnen wurde am 11.1. schon zu einem zweiwöchigen Kurs für die neue Produktion nach Bayern geschickt."
Q: Kommunistischer Nachrichtendienst Nr.3,Bochum 13.1.1971,S.3

28.05.1975:
Die KPD Ortsleitung (OL) Dortmund gibt, laut einer handschriftlichen Datierung heute, bei SEL das folgende Flugblatt heraus:"
KEINER DARF ENTLASSEN WERDEN!
...
Stillhalten hat jedoch noch nie den Arbeitern, sondern immer nur den Kapitalisten genützt! SEL Dorstfeld und Graetz konnten in den 60iger Jahren dicht gemacht werden (vgl. S1.**.196* bzw. S1.**.196*,d.Vf.), weil die Kampffront der Arbeiter nicht stark genug war. Dies darf nicht noch einmal passieren!"
Q: KPD-OL Dortmund:Keiner darf entlassen werden!,Dortmund o.J. (28.5.1975)

16.06.1975:
Bei SEL Dortmund gibt die der KPD nahestehende Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern vermutlich Anfang dieser Woche ihre 'Information' Nr.6 (vgl. 9.6.1975, 20.6.1975) heraus:"
AB HEUTE: STREIK
KEINER DARF ENTLASSEN WERDEN!
...
Wer jetzt noch glaubt, bei den Verhandlungen käme was Gutes für die Arbeiter raus,
- der denkt nicht an die Stillegungen von Graetz (vgl. S1.**.196*,d.Vf.) und SEL Dorstfeld (vgl. S1.**.196*,d.Vf.)".
Q: Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern:Information Nr.6,o.O. (Dortmund) o.J.
(Juni 1975)

18.06.1975:
In der Nr.24 ihrer 'Roten Fahne' (RF - vgl. 9.4.1975, 23.4.1975) berichtet die KPD aus dem IGM-Bereich über die ITT-Tochter SEL in Berlin, Dortmund in NRW, Mannheim in Baden-Württemberg und Gunzenhausen in Bayern, sowie deren Vorläufer Mix und Genest sowie Lorenz AG und die verwandten Firmen Schaub-Lorenz und Graetz.
Q: Rote Fahne Nr.24,Köln 18.6.1975

20.06.1975:
In Dortmund gibt die der KPD nahestehende Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern vermutlich heute die Nr.7 ihrer 'Information' (vgl. 16.6.1975, 23.6.1975) heraus:"
WIR KÄMPFEN WEITER!
S T R E I K BIS ZUM SIEG!
...
Wenn jetzt 350 entlassen werden, sparen die Kapitalisten die Abfindung für die 150 anderen, die dann später fliegen. Und denken dabei noch, daß wir uns dadurch spalten lassen! Wenn die Kapitalisten scheinheilig versprechen für 40 einen Arbeitsplatz in Altena oder Bochum zu besorgen, spekulieren sie darauf, daß die lange Anfahrtszeit sowieso keiner mitmacht."
Q: Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern:Information Nr.7,o.O. (Dortmund) o.J. (20.6.1975)

23.06.1975:
In Dortmund gibt die der KPD nahestehende Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern vermutlich in dieser Woche die Nr.8 ihrer 'Information' (vgl. 20.6.1975) heraus:"
Keine Rausschmisse! Streik gegen jede Entlassung!

Heute ... Uhr 30 (unlesbar,d.Vf.) ist die Belegschaftsversammlung. Wie die Kapitalisten bereits in allen Dortmunder Zeitungen angekündigt haben, wollen sie uns heute sagen, daß sie über 300 Arbeiter entlassen wollen.

Haben wir drei Wochen lang für einen faulen Kompromiß gekämpft?

Angeblich ist das Verhandlungsergebnis ein Erfolg für uns Arbeiter. Wir sollen auch noch froh sein, daß 45 Arbeiter nach Altena und Bochum versetzt werden, daß ITT eine Autoreparaturwerkstatt eröffnet und dreißig Arbeiter neu einstellt."
Q: Gruppe von ITT/SEL-Arbeitern:Information Nr.8,o.O. (Dortmund) o.J. (1975)

11.01.1976:
Der AB gibt die Nr.78 seiner 'Kommunistischen Arbeiter Zeitung' (KAZ) (vgl. 14.12.1975, 25.1.1976) heraus und berichtet aus Bochum von Graetz.
Q: Kommunistische Arbeiterzeitung Nr.78,München 11.1.1976

03.03.1977:
Innerhalb der Kommunistischen Gruppe Bochum/Essen (KGB/E) erscheint der 'Rundbrief' Nr.4 (vgl. 5.2.1977, 18.4.1977). Die 'BAZ' wird nach diesem Bericht u.a. vor Graetz-Bochum verteilt.
Q: KGB/E:Rundbrief Nr.4,Bochum 3.3.1977

Januar 1979:
Nach eigenen Angaben der Kommunistischen Gruppe Bochum/Essen (KGB/E) findet ihre 6. ordentliche MV in Bochum statt. U.a. wird der "Rechenschaftsbericht des Zentralen Ausschusses der Kommunistischen Gruppe Bochum/Essen" verabschiedet. Zur Bochumer Arbeiterbewegung heißt es:"
Es wird hierzu festgestellt, daß die Unterstützung der Arbeiterbewegung der Hauptansatzpunkt für die Ausrichtung unserer praktischen Politik sei. ... Ein Genosse regt an, die Propaganda mit der BAZ am BV einzustellen und stattdessen lieber bei Graetz die BAZ zu verteilen. Demgegenüber wird jedoch gesagt, daß längerfristig auch am BV wieder ein Kontakt herzustellen sei und deshalb die Propaganda fortgeführt werden müsse. Bei Graetz könne die BAZ auch zusätzlich ohne übermäßigen Arbeitsaufwand verteilt werden."
Q: KGB/E:Protokoll der MV vom 27.1.1979,Bochum 1979;
KGB/E:Arbeitsplan der KGB/E,Bochum Jan. 1979;
KGB/E:Rechenschaftsbericht des Zentralen Ausschusses der Kommunistischen Gruppe Bochum/Essen,Bochum Jan. 1979

März 1981:
Die Kommunistische Gruppe Bochum/Essen (KGB/E) gibt ihre 'Bochumer Arbeiterzeitung' (BAZ) Nr.47 (vgl. Apr. 1980, Apr. 1981) als fünfte Frauen-BAZ heraus. Aus dem Inhalt:
- Graetz: alle Bänder stehen still.
Q: Bochumer Arbeiterzeitung Nr.47,Bochum März 1981

Letzte Änderungen: 19.7.2011

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