Repression in Bochum: Heusnerviertel

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, Juli 2012

Die Aktivitäten von Bewohnern, Hausbesetzern und verschiedenen Gruppen des Heusnerviertels in Bochum gehen bis auf das Jahr 1983 zurück. Im Oktober 1983 verlautete in der Presse, dass das Viertels abgerissen werden solle. Es sei geplant, die „Westtangente“ weiterzubauen. Ein neues Bauprojekt der Stadt Bochum sah vor, in dem Stadtteil in Goldhamme einen „Umgehungsring” zu bauen, der für Entlastung des innerstädtischen Autoverkehrs sorgen sollte. Eine erste Bürgerinitiative bildete sich.

Im Flugblatt: „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie” vom April 1986 heißt es dazu: „Vielmehr hat sich in Bochum in Konkurrenz mit anderen Ruhrgebietsstädten den steigenden Forderungen der Unternehmer für Industrieansiedlungen gefügt. Die brutale Straßenführung soll das Gewerbegebiet Hombacher Hütte so perfekt wie möglich erschließen.” Die Erhaltung des Viertels lag, so heißt es dort weiter „nicht im Interesse der Stadt“. Zwangsräumungen und die Zerstörung von Wohnumfeld stießen auf Protest der Anwohner. Auslaufende Mietverträge wurden nicht verlängert. Häuser und Wohnungen wurden besetzt und die „Bürgerinitiative Heusnerviertel“ gegründet, die sich für den Erhalt, gegen „massive Polizeipräsenz“, des Viertels stark machte.

Nach dem vorliegenden Material sollen hier wesentliche Ereignisse bis zum November 1986, dem wohl endgültigen Aus für das Viertel, dokumentiert werden.

1983

Eine erste Diskussion der Bürgerinitiative mit Politikern des Rates der Stadt Bochum findet statt. Die ersten Kündigungen werden ausgesprochen. Räumungsfristen werden eingeräumt (vgl. Dezember 1983).

1984

Es erscheint ein erstes Flugblatt zum Bochumer Heusnerviertel, das gegen eine „Westtangente“ opponiert. Der Tunnel unter der Hattinger Straße wird eröffnet. Ein erstes Haus wird vor Weihnachten 1984 abgerissen (vgl. 19. März 1984; Mai 1984; September 1984).

1986

Bekannt gegeben wird, dass im Bochumer Heusnerviertel die ersten Häuser abgerissen wurden. Das Viertel sei von der Polizei „eingekesselt“ worden. Polizei hätte das Heusnerviertel „besetzt“, mit dem Abriss der Häuser sei begonnen worden (vgl. 12. März 1986; 13. März 1986; 14. März 1986).

In Bochum findet eine Demonstration statt, die sich u. a. gegen den Abriss des Viertels richtet (vgl. 15. März 1986).

Von einem weiteren Polizeiüberfall im Viertel wird berichtet (vgl. 20. März 1986; 22. März 1986; April 1986).

Ein „Unterstützercamp“ Bochum-Heusnerviertel wird eingerichtet (vgl. 18. April 1986).

Eine Initiative in Bochum ruft zu einer Demonstration auf, die sich gegen den Abriss des Viertels, der Wohnungen und gegen Polizeieinsätze richtet (vgl. 19. April 1986).

Die ersten Urteile in Heusner-Prozessen sollen verkündet werden (vgl. 21. April 1986).

Wiederum sind Bagger im Heusnerviertel aufgefahren (vgl. 26. Mai 1986).

Endgültig werden wohl die letzten Häuser im Heusnerviertel abgerissen (vgl. 20. November 1986).

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

Dezember 1983:
Laut „Heusnerviertel. Porträt eines Stadtteils“ findet im Dezember 1983 mit Politikern des Rates der Stadt Bochum und der Bürgerinitiative eine Podiumsdiskussion über den geplanten Abriss des Heusnerviertels statt. Die ersten Kündigungen ergehen trotz Einspruch an die Mieter. Räumungsfristen werden zwischen dem 31.5.1984 und Ende 1985 eingeräumt.
Quelle: Heusnerviertel. Porträt eines Stadtteils, siehe: www.bochum.de

19.03.1984:
Vermutlich erscheint an diesem Tag ein Flugblatt zum Bochumer Heusnerviertel: „Stop Westtangente. 1. Staatsfreies Gebiet - Heusnerviertel”. In dem Flugblatt wird von einem „gemeinsamen Rat“ kundgetan, dass dieses Viertel nunmehr „ein Staatsfreies, selbstverwaltetes Gebiet ist“.
Q: Flugblatt: Stop Westtangente. 1. Staatsfreies Gebiet - Heusnerviertel”, Bochum, o. J. (1984).

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Mai 1984:
Ab dem Mai 1984 droht endgültig die Abrißbirne. Ein Haus wird vor Weihnachten 1984 abgerissen.
Q: Heusnerviertel. Porträt eines Stadtteils, siehe: www.bochum.de

September 1984:
Laut „Heusnerviertel. Porträt eines Stadtteils“ wird kurz vor der Kommunalwahl der Tunnel unter der Hattinger Straße dem Verkehr freigegeben.
Q: Heusnerviertel. Porträt eines Stadtteils, siehe: www.bochum.de

12.03.1986:
Im Bochumer Heusnerviertel werden laut: „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie“ an diesem Tag „vier Häuser“ abgerissen. Ca. „500-600 Polizisten, inklusive eines Sondereinsatzkommandos“ sollen vor Ort gewesen sein. Das Viertel sei „eingekesselt“ worden, eine „spontane Demonstration“ am gleichen Tag sei von der Polizei verhindert worden. Eine Woche später soll es zu „Polizeiüberfällen“ gekommen sein.
Q: Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie, Bochum, o. J. (1986).

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13.03.1986:
Das Flugblatt: „Räumung und Abriss im Heusnerviertel - Stadtteil gleicht einem Heerlager“ berichtet über die Vorfälle um das Heusnerviertel am 12.3. Danach haben „3-400 Polizisten das Heusnerviertel besetzt“. Diese Aktionen seien „generalstabsmäßig geplant“ gewesen. „Der Einsatz der Polizei geschah Überfallartig… Die Taktik war schnell klar: Über ein Riesenaufgebot an Beamten und Material“, sollte die „totale Kontrolle ausgeübt“ werden. Der gesamte Einsatz sei „auf höchster Ebene geplant“ worden.

Kritik wir an der „nackten Gewalt des Staates und der Polizei“ geübt. Aufgerufen wird von der „Bürgerinitiative Heusnerviertel“ zu einer Demonstration am 15.3. in Bochum.
Q: Bürgerinitiative Heusnerviertel: Räumung und Abriss im Heusnerviertel. Stadtteil gleicht einem Heerlanger, Bochum, o. J. (1986)

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14.03.1986:
Vermutlich erscheint an diesem Tag ein Flugblatt der „Bürgerinitiative Heusnerviertel“: „Ausnahmezustand in Bochum. Kriegsrecht im Heusnerviertel“.

Danach ist am „Mittwoch, den 12.3. Innerhalb von fünf Minuten von 400 Polizisten das Heusnerviertel“ gestürmt worden. „Mit dem Abriss wurde begonnen“. „Aus Protest gegen die unglaubliche polizeistaatliche Vorgehensweise der Stadt fand eine Demonstration in der City“ statt. Die „friedliche Demonstration“ sei von „einem massiven Polizeiaufgebot umzingelt“ worden. „Gleichzeit räumte die Polizei alle Häuser in der Bahnstraße ohne Rücksicht auf noch bestehende Mietverträge …“
Das Heusnerviertel „soll dem Prestigeprojekt Westtangente zum Opfer fallen, auf noch schwebende Verfahren wird keine Rücksicht genommen.“ Aufgerufen wird zu einer Demonstration am 15.3.1986 in Bochum, Dr. Ruer Platz.
Q: Bürgerinitiative Heusnerviertel: Ausnahmezustand in Boch um: Kriegsrecht im Heusnerviertel, Bochum, o. J. (1986).

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15.03.1986:
Laut Flugblatt: „Fachschaftsreferat: Heusnerviertel Demo: Die Polizei prügelt los“ findet an diesem Tag in Bochum eine Demonstration statt, die sich gegen den Abriss des Viertels, der Häuser und der Räumung richtet. Bei der Demonstration soll es zu Übergriffen der Polizei gekommen sein. Sie endete mit „massiven, gewalttätigen Übergriffen der Polizei… mehrere Hundertschaften Polizei waren im Einsatz“. Ca. „30 Personen“ seien „eingekesselt“ worden. „Der massive Einsatz der Polizei sollte eine Machtdemonstration des Staates sein … Von vorn herein war ein rücksichtsloser Schlagstockeinsatz beabsichtigt“. In der Zwischenzeit sei das Viertel „zum größten Teil dem Erdboden gleich gemacht worden sein”. Aufgerufen wird zur Solidarität. Das „Fachschaftsreferat forderte den AStA auf, sich für eine Solidaritätsveranstaltung einzusetzen.“
Q: Fachschaftsreferat: Heusnerviertel Demo: Die Polizei prügelt los, Bochum, o. J. (1986).

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20.03.1986:
Vermutlich erscheint um den 20.3. herum ein Flugblatt zum Heusnerviertel: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“ Danach wird über einen Polizeiüberfall am „Donnerstag im Morgengrauen” berichtet. Anderen Quellen sprechen von Mittwoch (12.3.), Häuser seien geräumt und dem „Erdboden gleich gemacht worden“. Eine Demonstration am Samstag (15.3.) sei trotz des „knallharten Vorgehens“ der Polizei durchgeführt worden. Gefordert wird: „Zurücknahme aller Strafanträge, Zusammenhängender Wohnraum für alle, Keine Westtangente, Sofortiger Ersatz aller zerstörten und geklauten Sachen, Schluss mit jeglichem Bullenterror.“
Q: Flugblatt: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, Bochum, o. J. (1986).

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22.03.1986:
Vermutlich erscheint am 22.3. ein Flugblatt zum Heusnerviertel: „Polizeiüberfall.“ Danach seinen „als Bauarbeiter verkleidete Polizisten“ vor der „Heusnerstraße 10 und 12“ aufmarschiert und gaben vor, Vermessungsarbeiten durchzuführen. Nachdem sie aufgefordert wurden, sich zu entfernen, sei es zu Übergriffen von „10-15 Uniformierten“ gekommen. „7 Leute wurden verhaftet, 5 mussten ins Krankenhaus. Viele Leute erlitten Verletzungen wie Schrammen, Blutergüsse, Platzwunden und Würgemale.“ Bekannt wurde, „dass diese durchgeplante und gezielte Aktion im Rathaus an oberster Stelle bekannt und gewollt war.“ Auch, dass dies „ein Racheakt der SPD gegen Menschen“ gewesen sei, die sich gegen eine „Menschenverachtende und asoziale Politik“ wehren.
Q: Flugblatt: Polizeiüberfall, Bochum, o. J. (1986).

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April 1986:
Laut „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie“ besteht das Bochumer „Heusnerviertel“ „noch aus 17 Häusern“. Im Bereich des Viertels soll ein „Umgehungsring um die Innenstadt herum“ gebaut werden. Offizielle Begründung für den „Umgehungsring“: „Entlastung des innerstädtischen Verkehrs“.
Q: Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie, Bochum, o. J. (1986).

18.04.1986:
Laut „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie“ soll vom 18.-25. April ein „Unterstützer-Camp“ stattfinden, das sich gegen die Räumungen des Heusnerviertels einsetzt.
Q: Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie, Bochum, o. J. (1986).

19.04.1986:
Laut „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie“ ruft eine Initiative in Bochum zu einer Demonstration auf, die sich gegen den Abriss des Viertels und der Wohnungen und gegen Polizeieinsätze richtet.
Q: Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie, Bochum, o. J. (1986).

21.04.1986:
Laut „Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie“ sollen an diesem Tag „Urteilsverkündigungen“ im „Räumungsprozess“ des Heusnerviertels stattfinden. Ein Flugblatt ruft zur Solidarität mit den Betroffenen auf: „Für die Rücknahme aller Strafanzeigen“, „Für den Erhalt unserer kollektiven und politischen Lebenszusammenhänge“.
Q: Heusnerviertel - Gegen Polizei, Stadt und Industrie, Bochum, o. J. (1986).

26.05.1986:
Vermutlich erscheint an diesem Tag ein Flugblatt zum Heusnerviertel: „Wer die Macht hat, hat das Recht.“ Danach hat „wieder einmal der Bagger im Heusnerviertel zugeschlagen“.

Der Grund für durchgeführte Hausdurchsuchungen im Viertel sei, „dass 15 Personen einen Bagger und Bauarbeiter mit Steinen beworfen und den Bagger anschließend angesteckt haben“ sollen. Das wird als „Lügengeschichten von Stadt und Polizei“ bezeichnet. Das beweise, „dass der Stadt inzwischen jedes Mittel recht ist, um das Problem Heusnerviertel so schnell wie möglich zu lösen. Erklärt wird auch zu Stadt und Polizei: „In den dort sitzenden Führungspositionen scheinen Kleingeister zu sitzen, die ihre Machtbedürfnisse im Heusnerviertel meinen demonstrieren zu müssen.“ Diese „neue Bochumer Linie“ wird als „verfehlte und asoziale Politik“ bezeichnet.
Q: Flugblatt: Wer die Macht hat, hat das Recht, Bochum, o. J. 1986).

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20.11.1986:
Es erscheint ein Flugblatt ohne Impressum zum Bochumer Häusnerviertel ohne eigentlichen Titel. Bekannt gemacht wird, dass jetzt wohl endgültig auch die letzten Häuser von der Polizei „geräumt worden” seien. Erklärt wird u. a.: „Wir bleiben bei unseren Forderungen: Kollektiver Wohnraum für alle, Zurücknahme aller Strafanträge, Weg mit dem SPD-Sumpf in Bochum, Weg mit dem Schweine-Schwanz System.“ Aufgerufen wird zu einer Demonstration am 22.11. in Bochum, Husemannplatz.
Q: Flugblatt zum Bochumer Heusnerviertel, Bochum, o. J. (1986).

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