Von der Zeitung "Rhizom" aus der Bielefelder autonomen Szene erschienen nur zwei Nummern (vgl. "Geschichte der Barrio", in: Barrio, Nr. 14 (1993), S. 2). Zur Herausgabe der "Rhizom" hieß es u. a.: "Wir hoffen, dass diese Zeitung ein Diskussionsforum wird. Es ist eine Möglichkeit für mehr Kommunikation innerhalb der radikalen Linken und für mehr Transparenz nach außen - über unsere kleinen, abgeschotteten Zirkel hinaus." (Nr. 1, S. 1)
Wir danken der Geschichtswerkstatt Dortmund für die freundliche Unterstützung.
Januar 1987:
In Bielefeld erscheint die Nr. 1 der Zeitung "Rhizom".
Einleitend heißt es: "The Show Must Go on. Es hat in Bielefeld immer wieder Versuche gegeben, eine radikale Zeitung zu machen. Sie sind alle gescheitert, das heißt, von keiner Zeitung hat es mehr als 3 Ausgaben gegeben. Trotzdem wagen wir hiermit einen neuen Versuch, weil die Notwendigkeit einer radikalen Zeitung nachwievor besteht. (…) Einen solchen Anspruch zu formulieren, bringt natürlich Schwierigkeiten mit sich. Die erste Ausgabe ist deshalb ein Sprung ins kalte Wasser. Außerdem besteht auch in diesen kalten Zeiten die Möglichkeit, dass dieses Blatt kriminalisiert wird. Woher der Wind zur Zeit weht, hat die bayerische Justiz bereits vorexerziert, als sie die 'Radi-Aktiv' Nr. 10 aus dem Verkehr gezogen hat."
Artikel der Ausgabe sind:
- "Ich hab geträumt alle Türen wären offen, die Gefängnisse leer", über die "Verhaftung von Jens", der verdächtig wird, an der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" und an der "Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens" beteiligt zu sein
- "Law and Order", über neue Staatsschutzgesetze
- "Die neuen Staatsschutzgesetze in Paragraphen" (u. a. §129a)
- "Für eine sozialrevolutionäre und antiimperialistische Bewegung", über die "Revolutionären Zellen", die Behandlung von Flüchtlingen, antiimperialistische Politik, die Asylfrage, Neonazis, "zukünftige Mobilisierungen und Kämpfe", der "Organisationsgrad der Bewegung"
- "Frage-keine Antwort: 'Warum wir dem Chef der Ausländerpolizei von West-Berlin Harald Hollenberg in die Knie geschossen haben", über ein unerkannt gebliebenes 'Kommando'
- "Es herrscht so eine Hundermeterlaufmentalität, aber politischer Kampf ist eher ein Marathonlauf" über ein Interview mit Flüchtlingen
- "Volkszählung. 10 Minuten, die sie noch bereuen werden", über Datenerfassung, Erfassungsstaat, Widerstand, die Folgen
- "Sie wollen nur unser Bestes, aber das kriegen sie nicht" über die Weitergabe von Daten, Institutionen, Planungsmaterial, Informationssysteme, Schulung von ZählerInnen, Boykott der Volkszählung
- "Die Entwicklung von Klassenbewußtsein im revolutionären Spanien", über 50 Jahre spanischer Bürgerkrieg
Aufgerufen wird zu einer "Demonstration für Autonomie und Solidarität gegen Kontrolle und Staatsterrorismus" am 30.1.in Bielefeld, zu einem Treffen zur Volkszählung am 28.1.
Quelle: Rhizom, Jg. 1, Nr. 1, Bielefeld, Januar 1987.
April 1987:
Vermutlich im April erscheint die Nr. 2 der Zeitung "Rhizom" in Bielefeld.
Im "Editorial" wird u. a. ausgeführt: "Neue Bielefelder Zeitschrift? No, brauch ich nicht, hab genug Papier bei mir rumliegen. (…) Desinteressierte Blicke, neugierige Blicke, feindselige Blicke, aufmunternde Blicke. (…) Und dann 'Rhizom'. Was ist das? Rhizom, dieses sich scheu zwischen Rhinozeros und Rhododendren versteckende Pflänzchen, ist tatsächlich ein solches: Eine Quecke, eine Wurzel, die teils über, teils unter der Erde wachsend die Eigenschaft besitzt, dass jedes ihrer Teile eigenständig überlebensfähig ist. (…) Nicht Vielfalt, wildes Wachsen ist das Ideal, sondern Ordnung, Überschaubarkeit und: Hierarchie!
Dieses alles lehnen wir ab. Wir wollen keine hierarchischen Strukturen, auch keine linken. Von daher ist das Rhizom auch ein Widerstandsmodell. Gerade in Zeiten, in denen die Kräfte schwach und das Ziel fern ist, sind unabhängige autonome Strukturen notwendig. Wer weiß: bei hoffentlich sich verbreitendem und vertiefendem 'Widerstand' in einem entwickelteren Stadium der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wird es vielleicht einmal nötig sein, gezielt andere Strukturen aufzubauen, geregeltere. Aber immer muss es doch das sein, was die anarchistischen und rätekommunistischen DenkerInnen des 19. und 20. Jahrhunderts vor Augen hatten: eine Ordnung von unten in der Entscheidungen dort getroffen werden, wo sie auch umgesetzt werden.
Auch wenn dieses allgemeine Ziel von allen, die an der Herstellung dieser Zeitschrift beteiligt sind, geteilt wird, so gibt es über die Art und Weise, wie es erreicht werden könnte durchaus unterschiedliche Meinungen. (…) Dass dabei der regionale Aspekt eine wichtige Rolle spielt, ergibt sich aus der Tatsache, dass Protest und Widerstand sehr eng mit dem eigenen Lebensumfeld verbunden sind. Wir führen keinen Kampf nur aus theoretischer Einsicht in die Notwendigkeit. (…) Es ist deshalb tatsächlich bedauerlich, dass in der ersten Ausgabe recht wenige direkt auf Bielefeld bezogene Artikel waren. (…) Aus eigener Kraft können wir einen solchen Anspruch nur exemplarisch verwirklichen. Dies erfordert jedoch Zeit, viel Arbeit und vor allem die Unterstützung von Initiativen und Gruppen".
Artikel der Ausgabe sind:
- "Zwischen Bündnispolitik und radikalem Widerstand", u. a. über die WAA-Wackersdorf, das "grün-alternative Spektrum", reformistische Gruppen, linksradikale Gruppen, Friedensbewegung, 3.-Welt-Bewegung, geplante Großdemo in Wackersdorf (Herbst 87), Kampagne gegen die KWU, Aktionstage gegen die Atommülltransporte (27.6.1987), Aktionen der Anti-AKW-Bewegung, Mobilisierungen für das Pfingstcamp in Wackersdorf, Strategiefragen zu Hanau, BIGA, Hanau-Gruppe in Bielefeld
- "Interview", über ein Gespräch über Anti-AKW, ML-Bewegung, Realsozialisten, Linke, KWU-Kampagne, Startbahn West
- "Volxstrom", ein preiswerter Weg zur Energieversorgung der Massen", über den Stromzählerstand und der Manipulation der Geräte
- "Volkszählung 87, zweite Runde", über den Boykott und möglich Repressalien
- "Erfassen und Aussondern. Kontinuität der Volkszählungen von 1933-1987", über eine Chronik der Datenerfassung
- "Von den Millionen an sich zu Millionen für sich", über ein Treffen im 'AJZ'
- "Abschaffung aller humangenetischen Beratungsstellen", über eine Doku der 'Roten Zora' zu Aktionen gegen das humangenetische Institut (u. a. in Münster 1986)
- "Dokumentation, Januar 1987", über die 'Rote Zora'
- "Von den Tagräumen des weißen Mannes die Welt zu beherrschen", über die Einrichtung einer technischen Fakultät an der Uni Bielefeld
- "Widerstandstage", über Palästinenser-Tage (4./5. Mai), Flüchtlinge (6. Mai), Entwicklung der Psychiatrie (7. Mai), 8. Mai (Jens), 9. Mai (11. Todestag von Meinhof), 10. Mai (Vorstellungen vom militanten Widerstand)
- "Valerio Morucci", über den Moro-Entführer und eine Erzählung
Aufgerufen wird zu einem Treffen zur Volkszählung am 12.4. im "AJZ".
Q: Rhizom, Jg. 1, Nr. 2, Bielefeld, (April) 1987.
Letzte Änderung: 04.01.2020