Kommunistischer Bund Bremen (KBB): Wahrheit – Kommunistische Arbeiter-Korrespondenz, Jg. 1, Nr. 3, Apr. 1972

Januar 1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet vermutlich von Anfang des Jahres aus Delmenhorst über die KJO Spartacus (vgl. Dez. 1971):"
LEBENDIGER TROTZKISMUS

Vor einigen Monaten haben vier Genossen der Stadtteilzelle Delmenhorst des KBB unsere Organisation verlassen und sich dem Spartacus angeschlossen, einer kommunistischen Jugendorganisation, die sich auf Trotzki beruft und den Ideen des Meisters nur eine eigene hinzugefügt hat, die Idee nämlich, die nationale Partei über eine Jugendorganisation aufzubauen. Ein solcher Übergang einzelner Genossen von einer Organisation zur anderen ist heute in der kommunistischen Bewegung Westdeutschlands ein häufiger und alltäglicher Vorgang, der als solcher nicht weiter berichtenswert ist. Solange eine klare Linie unserer Bewegung noch nicht entwickelt und durchgesetzt ist, finden der Kampf und die Arbeit um diese Linie immer wieder ihren Ausdruck im individuellen Suchen und Herumirren einzelner Genossen oder auch ganzer Gruppen zwischen den verschiedenen kommunistischen Organisationen in Westdeutschland. Nun haben aber diese Genossen, die zum Spartacus gegangen sind, eine 'Stellungnahme zur Politik des KBB' verfaßt, an der einige Grundzüge der heutigen trotzkistischen Strömungen aufgezeigt werden können.

Die Genossen beziehen sich in ihrer Stellungnahme vornehmlich auf unsere Selbstkritik zum Verhalten des KBB in der Aktionseinheit zur Metalltarifrunde (MTR-AE, d.Vf.), die in der KAK Nr. 9 (vgl. Nov. 1971, d.Vf.) abgedruckt war. Sie werfen uns vor:

1. Falsches Verständnis des demokratischen Zentralismus

2. Falsches Verständnis des Verhältnisses von Demokratie und Praxis.

DEMOKRATISCHER ZENTRALISMUS GLEICH FRAKTIONSMACHEREI?

Wir geben zunächst die Argumentation der Genossen zum ersten Punkt gekürzt wieder:

'Der demokratische Zentralismus ist… nicht irgendein technisches Mittel um der Effektivität willen; er bedeutet für die Mitglieder der proletarischen Kaderorganisation das Recht von Minderheitstendenzen auf freie Information und Diskussion auf der Grundlage des Programms, das sich die Organisation gegeben hat, wie die Pflicht zu gemeinsamer Disziplin nach außen nach einmal gefaßten Mehrheitsbeschlüssen, ohne daß dadurch das Recht, weiterhin auf Veränderung der gefaßten Beschlüsse hinzuwirken, ausgeschlossen ist. Die Minderheit hat also das Recht, um die Mehrheit zu kämpfen…

Die Auffassung des KBB, wie sie in der KAK (Nr. 9, S.31) geäußert wird, steht dieser leninistischen Auffassung entgegen: 'Die Entfaltung von Kritik und Selbstkritik in der kommunistischen Organisation und vor den Massen kann nun jedoch nicht bedeuten, daß jeder Genosse jeden anderen wild zu kritisieren beginnt, unentwegt kleinbürgerliche Linien oder Charakterzüge entdeckt und hemmungslos bereit ist, 'Selbstkritik' zu üben. Ihre Bedeutung für die Klärung der politischen Linie bekommt die Kritik - Selbstkritik nur, wenn sie in organisierter Form geschieht, als Entfaltung der Beziehungen des demokratischen Zentralismus. Das bedeutet: Wir müssen lernen, schwere von leichten Fehlern, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, d.h. wir müssen auch hier von der Einschätzung der politischen Bedeutung und des Ausmaßes des gemachten Fehlers ausgehen. Wir müssen daraus den Schluß ziehen, daß auch der Prozeß von Kritik und Selbstkritik der POLITIISCHEN Anleitung bedarf und nicht willkürlich vonstatten gehen kann. Dabei hat die Leitung die Pflicht, die Kritik jeder Grundeinheit und jedes einzelnen Genossen gewissenhaft zu prüfen und sie in allen Fällen von einiger Bedeutung zu veröffentlichen, so daß die gesamte Organisation und alle diejenigen, welche die Agitation und Propaganda verfolgen, sich mit ihr auseinandersetzen können.'

Wir wollen hier nicht in Frage stellen, daß jeder Kommunist selbstverständlich die Aufgabe hat, die eigene Tätigkeit sowie die der Organisation kritisch zu prüfen - im Gegenteil. Wir wenden uns aber entschieden gegen die Institutionalisierung eines Systems von Kritik - Selbstkritik, die wir für unvereinbar mit dem demokratischen Zentralismus halten. - Gemäß dem KAK-Artikel ist das Wesentliche an der Kritik und an der Selbstkritik, daß sie unter der Anleitung des Politbüros, also unter Anleitung von 'oben' erfolgt. Eine solcherart bürokratisch geführte Kritik-Selbstkritik-Kampagne läßt keine innerorganisatorische Demokratie zu, da sie sich stets zwangsläufig an den subjektiven und momentanen Meinungen der Führung orientiert, nicht aber an den politischen Notwendigkeiten. Die politische Leitung - als hätte sie den Stein der Weisen auf ewig gepachtet - kann die Kritik der Grundeinheiten zurückweisen, wenn sie sich nicht in ihre Linie einfügt. Sie kann darüber entscheiden, ob eine Kritik konstruktiv oder als liquidatorisch zu betrachten ist. Daran zeigt sich deutlich die Schwäche und Falschheit dieser Konzeption.

Wie kann sich eine richtige Linie demnach nur durchsetzen? Die Antwort kann nur lauten: nur durch eine fraktionelle Auseinandersetzung auf dem Boden der vorliegenden Programmatik… Und gerade bei der Einschätzung von Fraktionskämpfen zeigt sich das Unverständnis der KBB-Führung gegenüber dem Bolschewismus. Vielmehr wird im KBB versucht, mögliche Kritik der Grundeinheiten zu ersticken… Damit wird die Organisation zum Anhängsel der Führung, ohne entscheidenden Einfluß auf deren Politik ausüben zu können…

Nun ist diese Politik in der Geschichte der Arbeiterbewegung nicht ganz unbekannt. In der KAK Nr. 9, S.37 meint man, die Notwendigkeit von Selbstkritik mit einem Zitat Stalins belegen zu müssen. Vielleicht sollte man Stalin noch einmal zu dem gleichen Thema sprechen lassen (in: Über die Arbeit des vereinigten Aprilplenums des ZK und ZKK (vgl. 13.4.1928, d.Vf.)): 'Und eben, um vorwärtszuschreiten und die BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN MASSEN UND DEN FÜHRERN ZU VERBESSERN, muß man das Ventil der Selbstkritik ständig offenhalten, muß man den Sowjetmenschen die Möglichkeit geben, ihren Führern 'den Kopf zu waschen', sie wegen ihrer Fehler zu kritisieren. DAMIT die Führung nicht überheblich wird und DIE MASSEN SICH NICHT VON DEN FÜHRERN ENTFERNEN.' Indem Stalin sich selbst an die Spitze der Unzufriedenen setzt, wird es ihm möglich, nicht die Politik zu korrigieren, sondern die Kritik zu kontrollieren.

Bei Stalin ist die Selbstkritik zu einem Instrument der Sicherung bürokratischer Macht geworden, d.h. die Sicherung seiner eigenen Machtposition. Die Ausgabe der Losung der Selbstkritik wird dazu benutzt, erst die linke und dann die rechte Opposition auszuschalten…

Die Auswüchse dieser Politik Stalins zeigten die Säuberungen von 1936 bis 1939. Sämtliche alten Bolschewiken von Rang und Namen, welcher politischen Richtung sie auch anhingen, wie Sinowjew, Kamenew, Bucharin, Rykow, Radek, und viele andere wurden in Schauprozessen verurteilt und hingerichtet. Eine ganze Reihe von ihnen wurde durch die Folter zu Selbstkritiken gezwungen, um eine Legitimation für das bereits feststehende Todesurteil zu bekommen (z.B. 'Bündnis mit Nazideutschland zur Versklavung der Sowjetunion')!

Dieser historische Blickwinkel zeigt negative Entwicklungsmöglichkeiten im KBB auf, die den Verfassern des KAK-Artikels möglicherweise nicht bewußt sind. Diesem entgegenzuwirken kann aber nicht dadurch geleistet werden, daß man allgemein politische Fehler meistenteils auf subjektive Fehler reduziert, sondern allein durch eine materialistische Analyse.'

Zunächst ist den Genossen zuzugeben, daß in einer kommunistischen Organisation eine Minderheit das Recht hat, im Rahmen des gemeinsamen Programms darum zu kämpfen, daß ihre Anschauungen zu denen der Mehrheit werden. Aber, Genossen, wo ist das jemals von uns bestritten worden? Die Frage ist nur, WIE dieser Kampf geführt werden soll. Ihr empfehlt 'fraktionelle Auseinandersetzungen', ohne deutlich auszudrücken, was ihr damit meint. Wahrscheinlich werdet ihr der Auffassung zustimmen, daß die Mehrheit der Organisation auch die zentralen Leitungsgremien dominieren sollte. Schön, aber wie wird die Minderheit zur Fraktion? Wenn das in der Weise vor sich gehen soll, daß die Minderheit sich eine eigene Zentrale bildet, worin sich der Wille einzelner Minderheitsanhänger in den Grundeinheiten und möglicherweise auch der ganzer Zellen zusammenfaßt, so sind wir der Meinung, daß diese Fraktionsmacherei zerschlagen werden muß. Unter solchen Bedingungen muß der demokratische Zentralismus zu einer Farce werden, denn gibt die Mehrheitszentrale die Parole 'hü' aus, so muß sie ständig gewärtig sein, daß die Minderheitszentrale 'hott' ruft und damit jedes Handeln sabotiert.

Wie kann die Minderheit ihre Meinung zur Geltung bringen und um die Mehrheit kämpfen? Dadurch, daß sie ihre Meinung begründet und niederschreibt und diese ihre begründete Meinung an die Zentrale weiterleitet. Die Leitung aber hat 'die Pflicht, die Kritik jeder Grundeinheit und jedes einzelnen Genossen gewissenhaft zu prüfen und sie in allen Fällen von einiger Bedeutung zu veröffentlichen' (KAK Nr. 9). Eine Leitung, die eine solche Veröffentlichung systematisch verhindert und die Entfaltung der Diskussion in der Organisation verhindert, eine solche Leitung macht sich in der Tat der schwersten Verletzung ihrer Organisationspflichten schuldig und gehört abgesetzt.

Aber kommen wir zum praktischen Teil der Frage. Ihr werft uns vor, daß im KBB versucht würde, 'mögliche Kritik der Grundeinheiten zu ersticken'. Nun, ihr armen Erstickten, wo blieb denn eure Kritik? Womit sollten wir uns denn auseinandersetzen? Etwa damit, daß wir wußten, in Delmenhorst gibt es einen Genossen, der eine heimliche Liebe zu Trotzki gefaßt hat? Zu keinem Zeitpunkt und in keiner Entscheidung habt ihr wirklich versucht, einen Kampf um die Mehrheit zu führen. Selbst eure Stellungnahme gabt ihr ab, nachdem der erste von euch aus der Organisation ausgetreten war. Und noch in eurer Erklärung kämpft ihr nicht um die richtige Linie, sondern schreibt blutleeres Zeug über die Notwendigkeit von Fraktionen, ohne entschieden zu sagen, für welches politische Ziel ihr glaubt, eine Fraktion zu benötigen. Genau das aber ist 'kleinbürgerliche Fraktionsmacherei': Ihr wollt nichts, habt keine bestimmte Kritik vorzutragen, sondern mäkelt und räsonniert im luftleeren Raum herum.

In einem Punkt haben die heutigen Spartacus-Genossen allerdings recht mit ihrer Stellungnahme. Sie kritisieren die mißverständliche Formulierung aus KAK Nr. 9, daß der Prozeß von Kritik und Selbstkritik der politischen Anleitung bedarf. Wir halten es zwar aufgrund unserer Erfahrungen weiterhin für richtig, daß der kontinuierliche und alltägliche Prozeß von Kritik und Selbstkritik immer erneut von der Leitung in Gang gebracht, gefördert und angeleitet wird. Denn entgegen der Vorstellungswelt der Spartacus-Genossen halten wir es für den Normalfall, daß die ja nicht zufällig in die Leitung gewählten Genossen am ehesten in der Lage sind, die Organisation 'an den politischen Notwendigkeiten zu orientieren'. Aber ihr Bürokratenjäger, ihr habt in dem Punkte recht, daß das auch anders sein kann. Und in diesem Fall muß gewährleistet sein, daß die Kritik aus den Grundeinheiten eine falsche Linie korrigieren und eine schlechte Leitung notfalls absetzen kann. Darum die Betonung der Veröffentlichungspflicht, darum werden wir, solange es die Klassenjustiz und Polizei erlauben, unsere Leitung wählen.

THEORIE UND PRAXIS

Nun zum zweiten Punkt, zur Frage, zur Frage des falschen Verständnisses der Beziehungen zwischen Theorie und Praxis. Hier können wir uns kurz fassen, da die Genossen sich einen Popanz aufgebaut haben. Sie werfen uns vor, die Strategie der westdeutschen Revolution durch Zusammenfassung der subjektiven Erfahrungen und Meinungen von Arbeitern erarbeiten zu wollen, statt durch die wissenschaftliche Untersuchung der westdeutschen Wirklichkeit. Just das Gegenteil haben wir ständig betont. Die Ausarbeitung der konkreten TAKTIK des Klassenkampfes auf Grundlage der im Programm dargestellten Strategie muß allerdings mit den Massen geschehen, durch Konzentrierung ihrer richtigen Meinungen und durch das immer erneute Hineintragen dieser richtigen Meinungen in die Massen, um ihre richtigen Anschauungen zu bestärken, ihre falschen aber zu kritisieren. Über richtig und falsch zu entscheiden ist dabei selbstverständlich nur möglich vom Boden eines wissenschaftlich erarbeiteten Programms aus, das die Grundzüge unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit erfaßt. Richtig sind nämlich solche Meinungen, die den wirklichen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechen, falsch diejenigen, die ihnen widersprechen.

Das Bild vom Konzentrieren und erneutem Hineintragen der Meinungen in die Massen als Wesenszug kommunistischer Taktik und als Leitlinie für Agitation haben wir von Mao Tse-tung übernommen. Wir halten es für zutreffender als das in den zwanziger Jahren in der kommunistischen Bewegung gebräuchliche, daß die Kommunisten den Massen immer nur um eine Nasenlänge voraus sein dürften. Dieses ältere Bild, das uns die Spartacus-Genossen auch wieder vorhalten, hat den Nachteil, daß es Mißverständnisse wie die von Lenin bekämpfte Stadientheorie zuläßt, wonach zunächst nur ökonomische Propaganda, dann erst darauf aufbauend politische, eventuell noch einmal aufgeteilt in demokratische und sozialistische betrieben werden dürfe. Auf diesem Mißverständnis baut heute die DKP mit einem Taschenspielertrick ihre ganze Strategie auf: Unter dem Vorwand, bei den Massen anknüpfen zu müssen, fällt dort die Propaganda für den Sozialismus praktisch unter den Tisch. Das von Mao ausgearbeitete Bild hat den Vorteil darzulegen, daß in JEDER Phase der Klassenkämpfe die Gesamtheit der kommunistischen Ziele in Anknüpfung an die richtigen Meinungen der Massen propagiert werden muß, daß im Laufe der Kämpfe allerdings die richtigen Anschauungen der Massen reichhaltiger und beständiger, nicht mehr so stark verquickt mit allen möglichen falschen Anschauungen sich durchsetzen werden. Entsprechend weitergehen können die direkten Kampflosungen für die unmittelbar anstehende Klassenauseinandersetzung, entsprechend reichhaltiger werden die Kenntnisse der Kommunisten, wen sie aus den Erfahrungen der Massen zu lernen bereit sind.

Soweit unser Standpunkt zu dieser Frage. Wie kommen aber nun die Spartacus-Genossen dazu, uns den Unsinn zu unterstellen, wir wollten durch Zusammenfassung von Meinungen die Klassenanalyse und die Erarbeitung des Programms ersetzen? Nun, die Erklärung ist verhältnismäßig einfach: Sie sind erregt über zwei Zitate, die in der KAK abgedruckt waren, eines von Stalin und eines von Mao Tse-tung. Zu den Theoretikern der Arbeiterbewegung aber verhalten sich die Jünger Trotzkis bekanntlich wie ein gläubiger Mohammedaner zu den reinen und unreinen Speisen: Die einen darf man zitieren, die anderen nicht. Wir haben Stalin zitiert, wo er recht hatte (in KAK 9); die Genossen halten uns ein Stalin-Zitat unter die Nase, worin eine falsche Meinung vertreten wird. Wir haben Mao Tse-tung zitiert, wo er unseres Wissens nach am deutlichsten von den marxistischen Theoretikern das Charakteristikum kommunistischer Taktik zusammenfaßt. Die Genossen nehmen das zum Anlaß einer sechsseitigen langweiligen Wiedergabe der von Lenin in 'Was tun?' entwickelten These, daß der wissenschaftliche Sozialismus in der Arbeiterklasse nicht spontan entsteht, um daraus dann noch den Vorwurf der 'Theoriefeindlichkeit' des KBB 'abzuleiten'.

Von all ihren Vorwürfen bleibt am Ende nichts mehr übrig als leeres Gerede, falsche Behauptungen und das lebhafte Gefühl, daß dort einige Genossen ihrem Mißvergnügen Luft gemacht haben, ohne so recht sagen zu können, woher es denn kommt. Nun wandert dieses Mißvergnügen ja einher in den Spuren des Trotzkismus, und wir müssen uns fragen, ob da eine Wahlverwandtschaft vorliegt.

RÄSONNIERENDE UNTEROFFIZIERE

Wir geben zu, daß wir die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Trotzki in ihrem Inhalt noch nicht genau verfolgt haben und darum noch nicht in der Lage sind, aus diesen Erfahrungen der Arbeiterbewegung die richtigen Schlüße zu ziehen. Aber einen Eindruck haben wir gewonnen und dieser Eindruck wird durch all das heute sich als 'trotzkistisch' sich benennende Geschreibsel - einschließlich eurer Stellungnahme - verstärkt. Und dieser Eindruck läßt sich dahin zusammenfassen: Trotzkismus, das ist die Position der Mäkelei, des außerhalb der Bewegung stehenden Räsonnierens über die Bewegung. Unfruchtbarkeit ist das Hauptcharakteristikum, kleinbürgerlich die Gesamthaltung. Heute in Westdeutschland ist das Ganze ein Sektenkuriosum, in einer anderen, schwierigeren und verantwortungsvolleren Situation kann diese Strömung in der kommunistischen Bewegung direkt zu einer konterrevolutionären Gefahr werden."

Näher erläutert wird die KBB-Haltung anhand des 'Spartacus' Nr. 24 (vgl. Nov. 1971).
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.7

11.02.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet u.a. von heute:"
PRAWDA: KÖRPERLICHE ARBEIT EHRENRÜHRIG?

Am 11.2.1972 berichtete die Prawda, Zentralorgan der KPdSU, über eine angebliche Flluchtwelle von Intellektuellen aus China. Es heißt dort, chinesische Intellektuelle würden zu erniedrigender körperlicher Arbeit gezwungen; ein Arzt in einem 'Umerziehungslager' haben sogar Lehm für die wand eines Schweinestalles kneten müssen. Das Ganze ist als Vorwurf gemeint und soll den Beleg abgeben für die These von der im sozialistischen China herrschenden Unterdrückung. Die in der Sowjetunion zur Macht gekommene neue Klasse steht fassungslos vor der Tatsache, daß in China ernst gemacht wird mit der Aufhebung des Widerspruchs zwischen Hand- und Kopfarbeit. Sie kann nicht begreifen, warum die chinesischen Arbeiter in die Schulen und Universitäten gehen, um die Jugend politisch zu erziehen und ihr die Bedeutung der Arbeit für den sozialistischen Aufbau vor Augen zu halten. Sie kann es noch weniger fassen, daß Parteifunktionäre immer wieder in der Produktion arbeiten müssen und daß bürgerliche Intellektuelle von der herrschenden Arbeiterklasse durch körperliche Arbeit und politische Überzeugung umerzogen werden. Sie hält - an die Ausübung ihrer Herrschaft vom Bürosessel gewöhnt - körperliche Arbeit für ehrenrührig. Mit der Forderung, daß die Arbeiterklasse in allem die Führung haben muß, hat sie Schluß gemacht.

So entlarvend die Kommentare der Prawda sind, so dunkel sind ihre Quellen. Der Bericht über die angebliche Fluchtwelle von Intellektuellen deckt sich mit Darstellungen in der Hongkonger Boulevardpresse. Ein anderer Bericht über die angebliche Unterdrückung nationaler Minderheiten in China geht zurück auf amerikanische Geheimdienst-'Informationen', die vom US-Kommunistenfresser verarbeitet waren."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.8

24.02.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) dokumentiert:"
DAS KOMMUNIQUE VON SCHANGHAI

Die chinesische Seite erklärte:
Wo immer Unterdrückung herrscht, dort gibt es Widerstand. Staaten wünschen Unabhängigkeit, Nationen wünschen Befreiung und Völker wünschen Revolution, das ist die unaufhaltsame Strömung der Geschichte geworden. Alle Länder, ob groß oder klein, müssen gleichberechtigt sein; große Länder dürfen nicht die kleinen und starke nicht die schwachen tyrannisieren. China will niemals eine Supermacht sein, und es bekämpft Hegemonie und Machtpolitik jeder Art. Die chinesische Seite brachte zum Ausdruck, daß sie alle unterdrückten Völker und Nationen in ihrem Kampf um Freiheit und Befreiung entschlossen unterstützt und daß die Völker aller Länder das Recht haben, ihre Gesellschaftsordnung nach ihren eigenen Wünschen zu wählen, sowie das Recht, die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität des eigenen Landes zu verteidigen und Aggression, Einmischung, Kontrolle und Subversion von außen her zu bekämpfen. Alle ausländischen Truppen sollten in ihre eigenen Länder zurückgezogen werden. Die chinesische Seite drückte ihre entschlossene Unterstützung aus für die Völker von Vietnam, Laos und Kambodscha, in deren Streben nach Erreichung ihres Ziels, ihre entschiedene Unterstützung für den Siebenpunktevorschlag der Provisorischen Revolutionsregierung der Republik Südvietnam (PRR - vgl. S13.**.197*, d.Vf.) und die Erläuterung vom Februar dieses Jahres (vgl. S13.2.1972, d.Vf.) über die zwei Schlüsselprobleme in diesem Vorschlag sowie für die Gemeinsame Erklärung der Gipfelkonferenz der Völker Indochinas…

Die US-Seite erklärte:
Die Vereinigten Staaten unterstützen die individuelle Freiheit und den sozialen Fortschritt aller Völker der Welt, frei von Druck oder Intervention von außen her…

Die Vereinigten Staaten betonten nachdrücklich: Es sollte den Völkern Indochinas erlaubt sein, ihr eigenes Schicksal ohne Intervention von außen her zu bestimmen; das ständige Hauptziel der Vereinigten Staaten ist eine Lösung durch Verhandlungen gewesen; der am 27.Januar 1972 von der Republik Vietnam und den Vereinigten Staaten unterbreitete Acht-Punkte-Vorschlag bietet eine Basis zur Erreichung dieses Zieles; in Ermangelung einer durch Verhandlungen herbeigeführten Regelung beabsichtigen die Vereinigten Staaten, in Übereinstimmung mit dem Ziel der Selbstbestimmung für jedes Land Indochinas alle US-Truppen aus diesem Gebiet endgültig abzuziehen. …

In ihrer Gesellschaftsordnung und Außenpolitik weisen China und die Vereinigten Staaten wesentliche Unterschiede auf. Aber die zwei Seiten stimmten darin überein, daß sich Länder, ohne Rücksicht auf ihre Gesellschaftsordnung, in ihren Beziehungen nach den Prinzipien der Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Staaten, des Nichtangriffs gegen andere Staaten, der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens sowie der friedlichen Koexistenz verhalten sollen. Internationale Streitigkeiten sollten auf dieser Grundlage geregelt werden, ohne sich der Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu bedienen. Die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China sind bereit, diese Prinzipien auf ihre gegenseitigen Beziehungen anzuwenden.

In Anbetracht dieser Prinzipien internationaler Beziehungen erklärten die beiden Seiten:
- Fortschritte in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten liegen im Interesse aller Länder;
- beide wünschen die Gefahr internationalen militärischen Konflikts zu vermindern;
- keine der beiden Seiten sollte Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum anstreben, und jede der beiden ist gegen Bestrebungen seitens irgendeines anderen Landes oder irgendeiner Gruppe von Ländern eine solche Hegemonie herzustellen;
- keine der beiden Seiten ist bereit, im Namen irgendeiner dritten Seite Verhandlungen zu führen oder mit der Gegenseite Vereinbarungen oder Verständigung zu erreichen, die gegen andere Staaten gerichtet sind.

Beide Staaten sind der Ansicht, daß es den Interessen der Völker zuwiderlaufen würde, wenn irgendeine Großmacht im heimlichen Einverständnis mit einer anderen gegen andere Länder aufträte, oder wenn Großmächte die Welt in Interessensphären aufteilten. …

Die chinesische Seite bekräftigte von neuem ihren Standpunkt: Die Taiwan-Frage ist die Schlüsselfrage, die der Normalisierung der Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten im Wege steht; die Regierung der Volksrepublik China ist die einzig legitime Regierung Chinas; Taiwan ist eine Provinz Chinas, die bereits vor langem dem Vaterland zurückgegeben worden ist; die Befreiung Taiwans ist Chinas innere Angelegenheit, in die sich einzumischen kein anderes Land das Recht hat, und alle US-Streitkräfte und Militäreinrichtungen müssen aus Taiwan abgezogen werden. Die chinesische Regierung bekämpft entschieden jegliche Aktivitäten, die darauf abzielen, 'ein China, ein Taiwan', 'ein China, zwei Regierungen', 'zwei China', ein 'unabhängiges Taiwan' zu schaffen, oder dafür einzutreten, daß 'der Status von Taiwan noch zu bestimmen ist.'…

Die US-Seite erklärte:
Die Vereinigten Staaten kommen zu der Erkenntnis, daß alle Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße den Standpunkt vertreten, daß es nur ein China gibt und Taiwan ein Teil Chinas ist. Die Regierung der Vereinigten Staaten erhebt keine Einwände gegen diesen Standpunkt. Sie versichert nochmals ihr Interesse an einer friedlichen Regelung der Taiwan-Frage durch China selbst. Mit Rücksicht auf diese Aussicht bestätigt sie ihr Endziel des Abzugs aller US-Streitkräfte und -Militäreinrichtungen aus Taiwan. Inzwischen wird sie mit der Minderung der Spannungen in diesem Gebiet schrittweise ihre Streitkräfte und Militäreinrichtungen auf Taiwan reduzieren. …"

Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) kommentiert:"
Das Kommunique zwischen den USA und China stellt eine Niederlage des US-Imperialismus dar.

In diesem Kommunique legt die VR China klar und selbständig, ohne Kompromisse an die USA, ihren Standpunkt zur Friedenspolitik dar. Sie zwingt die US-Regierung zur Anerkennung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz. Gleichzeitig macht sie vor aller Welt deutlich, daß sie den Friedensbeteuerungen des amerikanischen Imperialismus keinen Glauben schenkt. Deshalb erklärt in demselben Kommunique, daß sie 'alle unterdrückten Völker und Nationen in ihrem Kampf… entschlossen unterstützt'.

Der US-Imperialismus muß offen seine Niederlage gegenüber der VR China bekennen. Mit der Anerkennung Taiwans als einen Teil Chinas und dem Versprechen, alle US-Truppen aus China abzuziehen, muß er zugeben, daß seine Versuche, die sozialistische Volksrepublik zu beseitigen, gescheitert sind."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S. 13

29.02.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet aus Frankreich vom 'Mord' an Pierrey Overney (vgl. 25.2.1972):"
Gegen den Mord an Pierre Overney, gegen den Terror von Polizei und 'Werks'gestapo, für die Auflösung dieser bewaffneten Unterdrückungsinstrumente in den Händen der Kapitalistenklasse demonstrierten am 29.Februar 30 000 Menschen.

Über zehn Organisationen der französischen Linken hatten zu dieser Demonstration aufgerufen. Die KPF beteiligte sich nicht an dieser Kampfaktion."

Die KPD (vgl. 24.3.1972) berichtet (vgl. 25.2.1972):"
Aufgeschreckt durch die Protestdemonstration der 50 000 in Paris gegen den Mord manövrieren jetzt die französischen Revisionisten, gestehen den 'Maoisten' subjektive Redlichkeit zu und veranstalten eine Demonstration gegen Polizeiunterdrückung und gegen Provokation (seitens der Linken). Ein durchsichtiges Spiel, das Tausende und Abertausende von proletarischen Kollegen durchschauen, die noch in den Reihen der Revisionisten organisiert sind.

Ihnen gellt der zynische Ausruf von G. Marchais, Generalskretär der französischen Revisionisten in den Ohren, die dieser anläßlich der Ermordung P. Overneys machte:

Welch ein Glück für diese Regierung, welch monströses Verbrechen für die ultralinken Gruppierungen außerhalb der Fabrik, die die Arbeiter bei Renault vor dem Fabriktor provozierten! Ich stelle die Frage: Soll es wieder so losgehen wie 1968? Ich antworte: Nein, das dar nicht wieder passieren."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.8

29.02.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet vom:"
KAMPF GEGEN FAHRPREISERHÖHUNGEN IN WESTBERLIN

Am 29.Februar demonstrierten durch die Arbeiterviertel Westberlins 8 000 Menschen unter den Losungen 'Verhindert die Fahrpreiserhöhung bei der BVG' und '30 Pfg. Einheitstarif'. 2 000 Mitglieder der Jugendgewerkschaften führten den Demonstrationszug an.

In der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration zeichnet sich eine Wende in der Westberliner Arbeiterbewegung ab. Westberlin, Zentrum der Studentenbewegung, konnte sich noch bis vor kurzem 'rühmen', die 'ruhigsten' Gewerkschaften ganz Westeuropas zu haben. Außer einem Streik bei der BVG, organisiert durch die ÖTV, haben die Gewerkschaften bis heute keine Arbeitskämpfe durchgeführt, obgleich die Löhne der Arbeiter immer niedriger waren als in vergleichbaren Großstädten. Auf die besondere politische Lage Westberlins pochend, hatten Senat und Gewerkschaftsführung den Kapitalisten in Westberlin eine Oase des Arbeitsfriedens geschaffen, während diese Kapitalisten über Subventionen, Steuervergünstigungen und niedrige Löhne Milliarden Extraprofite aus der Westberliner Arbeiterklasse zogen. Doch während die Kapitalisten ihre Milliardenschäfchen ins Trockene brachten, verschlechterte sich die Lage der Westberliner Arbeiterklasse von Jahr zu Jahr: Produktionsverlagerungen und fehlende Investitionen verunsichern die Arbeitsplätze; soziale Vergünstigungen aus der Zeit des Kalten Krieges wie Wohnraumbewirtschaftung und Mietpreisbindung fielen fort. Die Arbeiter waren daher in den letzten Jahren immer weniger bereit, für die antikommunistischen Freiheitslosungen des Senats und der Gewerkschaften auf die Straße zu gehen, wie früher alljährlich zum 1.Mai.

Die Aktionen gegen die Fahrpreiserhöhungen aber zeigen, daß die jungen Arbeiter Westberlins beginnen, offen den Kampf gegen die Verschlechterung der Lage der Westberliner Arbeiterklasse und gegen die Stillhaltepolitik der Gewerkschaftsführung aufzunehmen. Zum ersten Male in der Geschichte der Westberliner Gewerkschaftsbewegung nach 1945 riefen satzungsmäßige Organe der Gewerkschaften, die Jugendausschüsse der IG Druck und Papier (DruPa, d.Vf.) und der ÖTV gegen den Willen der Gewerkschaftsführung zu einer Demonstration auf. Unterstützt wurden sie von einer Solidaritätserklärung des LJA des DGB. Diese Bewegung der Arbeiter, die bisher noch auf die Organe der Jugendgewerkschaft beschränkt ist, sieht sich besonders scharfen Angriffen von Seiten der mit dem SPD-Senat und dem Westberliner Abgeordnetenhaus personell durch und durch verquickten Gewerkschaftsführung ausgesetzt. So versuchte die Gewerkschaftsführung nicht nur, den Kampf der Jugendgewerkschaften mit allen zur Verfügung stehenden administrativen Mitteln zu sabotieren, sondern zugleich die gewerkschaftliche Bewegung vor den Arbeitern zu diffamieren: Die Kampagne gegen die Fahrpreiserhöhung war von einem selbständigen, mehrheitlich aus Gewerkschaftsmitgliedern zusammengesetzten 'Arbeitskreis Nahverkehr' vorbereitet worden. Dieser Arbeitskreis war auf Initiative des LJA zustandegekommen, der sich auf Beschlüsse der 9.Bezirksjugendkonferenz der ÖTV (vgl. Feb. 1972, d.Vf.) und der 9.Landesjugendkonferenz des DGB (vgl. Feb. 1972, d.Vf.) gegen die Fahrpreiserhöhung stützte. Die Gewerkschaftsführung suchte den LJA unter Druck zu setzen und den Arbeitskreis so zu isolieren. So setzte der LJA beim DGB-Vorstand eine Veranstaltung zur Fahrpreiserhöhung (vgl. 10.2.1972, d.Vf.) durch, der hauptamtliche DGB-Jugendsekretär besorgte aber nur einen Raum mit 300 - 400 Plätzen. Er rief auch nicht rechtzeitig eine Sitzung des LJA ein, um ein Flugblatt mit einem Aufruf zu der Veranstaltung zu verabschieden. So handelte der Arbeitskreis von sich aus und setzte aus dem Text der schon verabschiedeten Flugblätter und einem Papier des ÖTV-Hauptvorstandes zum Nahverkehr ein Flugblatt zusammen und rief zur Protestveranstaltung auf. Das Flugblatt wurde in einer Auflage von 50 000 Stück in und vor den Betrieben und an den Verkehrsknotenpunkten in der Stadt verteilt. In den Betrieben und in der Stadt wurden Unterschriften gesammelt. Auf der nächsten Sitzung des LJA (vgl. S17*.1972, d.Vf.) erschien dann der Westberliner Vorsitzende Sickert und verlangte, daß der LJA sich von diesem Flugblatt distanzierte. Nach langen Diskussionen kam es zu folgendem Kompromiß: Der LJA gibt eine Presseerklärung (vgl. S17*.1972, d.Vf.) heraus, in der er sich nicht vom Inhalt des Flugblattes distanziert, aber feststellt, daß es nicht verabschiedet worden ist, und es sich bei der Veranstaltung nicht um eine Protest-, sondern um eine Informationsveranstaltung handele. Schon im DGB-Apparat wurde die Erklärung dahingehend verfälscht, daß es sich um eine interne Veranstaltung handele. Zu dieser Veranstaltung erschienen die vom LJA eingeladenen Gewerkschaftsführer und Vertreter des Senats natürlich nicht.

Die Einzelgewerkschaften sabotierten die Verteilung von Flugblättern. Der LJA, unter dem druck der Gewerkschaftsführung, rief dann auch nicht mehr zur Demonstration auf, sondern überließ den Aufruf dem Arbeitskreis, solidarisierte sich jedoch öffentlich mit der Demonstration.

Der Kampf der jungen fortschrittlichen Arbeiter gegen die Verschlechterung der Lage der Westberliner Arbeiterklasse wird aber nicht nur von der Sabotagepolitik der besonders reaktionären sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung erschwert. Viel schwerwiegender für ihren Kampf wirkt sich aus, daß sich die Arbeiter Westberlins bisher keine selbständige kommunistische Arbeiterorganisation geschaffen haben und so alle Schritte der fortschrittlichen Arbeiter von den Mühlsteinen sektiererischer Studentenzirkel, insbesondere der KPD (AO - Organ Rote Fahne (RF, d.Vf.)) auf der einen Seite und der opportunistischen Nachtrabpolitik der revisionistischen SEW andererseits beschwert werden.

Die KPD(AO) trat wie bei allen früheren Aktionen spalterisch auf. Sie versuchte, den Aktionskreis in ein selbständiges, von den Gewerkschaftsorganen unabhängiges Gremium zu verwandeln und den Kampf um die Gewerkschaften von Anfang an zu verhindern. In den Aktionslosungen knüpften sie ebenfalls nicht an die in den Gewerkschaften diskutierten und bereits beschlossenen Forderungen an, sondern erfanden neue, von der Arbeiterbewegung losgelöste Forderungen. (Statt senkung der Fahrpreise Bezahlung der Fahrzeit als Arbeitszeit.) Als sie sich mit ihrer Politik gegen die Mehrheit der Kollegen nicht durchsetzen konnten, spaltete sie die Bewegung: sie trat aus dem Arbeitskreis aus (vgl. S17*.1972, d.Vf.), gründete ihr eigenes 'gewerkschaftliches Aktionskomitee gegen die Fahrpreiserhöhung bei der BVG' (vgl. S17*.1972, d.Vf.) und rief auch zu einer eigenen Demonstration (vgl. 26.2.1972, d.Vf.) auf.

Die SEW trat als politische Partei überhaupt nicht auf und machte nicht einmal den Versuch, die Bewegung politisch anzuleiten, sondern hängte sich an die gewerkschaftliche Bewegung an. Der Verzicht auf eine selbständige Klassenpolitik für die Westberliner Arbeiterklasse ist nicht zu fällig. Auf die brennenden Fragen der Westberliner Arbeiterklasse, wie und um welche Ziele der Kampf unter den besonders schwierigen Bedingungen Westberlins geführt werden muß, gibt die SEW keine Antwort. Die Lösung dieser Frage ist aber die wichtigste Aufgabe, die die Westberliner Kommunisten und fortschrittlichen Arbeiter anpacken müssen.

Der Kampf um die Gewerkschaften als Kampforganisationen der Arbeiterklasse muß gegen die linkssektiererische Politik der KPD(AO) und in Auseinandersetzung mit der opportunistischen Nachtrabpolitik der SEW geführt werden, aber er kann nur erfolgreich sein, wenn er unter politisch klaren Fordrungen geführt wird, die von den Bedingungen der Westberliner Arbeiterbewegung ausgehen und in einem politischen Programm zusammengefaßt sind. Die Organisierung der Kommunisten und fortschrittlichen Arbeiter um diese Aufgabe ist der dringlichste nächste schritt.
(nach einem Bericht Westberliner Genossen zum Kampf gegen Fahrpreiserhöhungen in Westberlin.)"

Der KBB zitiert auch:"
AUS DER REDE EINENS JUNGEN ARBEITERS AUF DER KUNDGEBUNG GEGEN DIE FAHRPREISERHÖHUNG

Kolleginnen und Kollegen!

Schon im Sommer vorigen Jahres (vgl. S18*.1971, d.Vf.) - nur wenige Monate nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus (AW - vgl. 14.3.1971, d.Vf.) - hat der Senat die Erhöhung der BVG-Tarife sowie die Erhöhung der Tarife für Gas, Wasser und Strom, Kindergartenplätze, die Erhöhung der Branntweinsteuer und viele andere Preiserhöhungen beschlossen.

Kollegen, aber das trifft vor allem uns! Die Tarife für Industriestrom und Industriegas sind nur ganz geringfügig erhöht worden. Das heißt: der kleine Mann muß für Strom und Gas erhebliche Zuschläge bezahlen, die großen Kapitalisten dagegen bleiben ungeschoren.

Kolleginnen und Kollegen!

Überall in unserem Wirtschaftssystem erhalten wir höhere Löhne nur dann, wenn wir sie ERKÄMPFEN! Noch nie haben die Kapitalisten uns von ihren steigenden Profiten freiwillig einen Pfennig abgegeben.

Der Senat will offensichtlich den gemeinsamen Kampf aller Kollegen gegen die Tariferhöhung verhindern.

'Was wollt ihr denn?' hält uns der Senat vor. 'Ein paar BVG Kollegen haben doch im Verwaltungsrat der BVG bei der Tariferhöhung mitbestimmt!'

Aber, Kollegen, Mitbestimmung kann doch für uns nie Mitverantwortung heißen für die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen, die wir ausschließlich den Kapitalisten und dem Senat zu verdanken haben.

Die 35 Millionen, die uns jetzt mit Hilfe des SPD Senats aus der Tasche gezogen werden, werden den Kolleginnen und Kollegen von der BVG nicht zugute kommen. Im Gegenteil! Mit diesem Geld wird, wie die Einführung der 'Eisernen Schaffner' zeigt, auf dem Rücken der BVG Arbeiter und Angestellten rationalisiert. Deshalb fordern wir für die BVGer: Ein langfristiges Umschulungsprogramm, damit sie nicht hilflos weiteren Rationalisierungen ausgesetzt sind.

Der weitaus größte Teil des Steueraufkommens wird von der werktätigen Bevölkerung aufgebracht. Warum verteilt der Staat eigentlich unsere Steuern nicht nach unseren Bedürfnissen, sondern nach den Profitinteressen der Kapitalisten? Alle Mittel für öffentliche Dienstleistungen werden gekürzt! Dagegen werden die Berlinvergünstigungen und sonstigen Geschenke für die Unternehmer eher noch erhöht! Ich nenne als Beispiel nur die durch den Senat subventionierte Bauspekulation. Auch an den Fahrpreiserhöhungen kann man wieder sehen, daß wir es in unserer Gesellschaft nicht mit einem UNPARTEIISCHEN 'Vater Staat' zu tun haben, sondern daß der Staat vor allem dazu da ist, die Unternehmerherrschaft wirtschaftlich und politisch abzusichern.

Die Bewohner des Märkischen Viertels wollen zum Beispiel, daß die U-Bahn in ihr Wohngebiet ausgebaut wird, um sich kräfte- und zeitsparend erholen zu können und arbeiten und einkaufen zu gehen. Wißt ihr, was das für die Kollegen aus dem Märkischen Viertel bedeutet, wenn sie jeden Morgen mit ihrem Auto - falls sie sich bei den hohen Mieten eins leisten können, - fast eine halbe Stunde brauchen, um aus dem Viertel rauszukommen?

Der Senat orientiert sich aber nicht an den Interessen der MV-Bewohner, sondern er wird diese U-Bahn erst dann bauen, wenn die Profite der Siemens, AEG und Tiefbaukapitalisten nicht mehr stimmen. Genau dann wird der Senat ihnen diese Aufträge zuschieben, um den Unternehmern ihre Gewinne zu sichern - AUF UNSEREM RÜCKEN! Vorher baut der Senat die U-Bahn nur dann, wenn wir sie gemeinsam erkämpfen.

Unsere Forderungen lauten daher:
AUSBAU DES VERKEHRSNETZES IN DIE TRABANTENSTÄDTE - VERBESSERUNG DES TRANSPORTANGEBOTS IM NAHVERKEHR!

Kolleginnen und Kollegen! Man kann uns doch nicht mehr weismachen, daß wir mit dem Senat und den Kapitalisten in einem Boot sitzen. Wir sollen wie immer die Zeche für eine Suppe zahlen, die wir uns nicht eingebrockt haben! Die Preiserhöhungen sind genauso ein Angriff auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen wie die geringen Lohn- und Gehaltserhöhungen, die wir uns in den letzten Tarifrunden sehr schwer erkämpfen mußten.

In der letzten Metall-Tarifrunde (MTR der IGM, d.Vf.) wurde noch von allen Parteien, besonders von SPD Minister Schiller, Zeter und Mordio gebrüllt, als wir unsere berechtigten Forderungen von 11% mehr Lohn stellten.

Die steigende Inflation wurde uns unter die Nase gehalten, an der nur wir alleine schuld seien. Daß die Kapitalisten vor die Hunde gehen, wenn sie unsere Lohnerhöhungen nicht auf die Preise raufschlagen würden.

Unsere Antwort kann nur sein: wir müssen erkämpfen, was wir zum Leben brauchen und dürfen uns nicht durch irgendwelche Schwierigkeiten, die der Senat und die Kapitalisten verursacht haben, von unserem Kampf abhalten lassen.

Und, Kollegen, wenn das Boot der Kapitalisten so mit Schwierigkeiten voll ist, dann werden wir ihnen NICHT den Rettungsring zuwerfen, wir werden sie ganz schön ersaufen lassen, denn diese Bootspartie hat uns bisher nicht viel eingebracht.

Öffentliche Dienstleistungen sind für uns soziale Aufgaben, die NICHT nach kapitalistischen Wirtschaftlichkeitsprinzipien behandelt werden dürfen. Genausowenig wie Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und auch Universitäten.

Kolleginnen und Kollegen! Der ÖTV-Hauptvorstand (HV - vgl. S18*.1971, , d.Vf.) hat im vorigen Jahr ein Papier verabschiedet, das sich mit dem Nahverkehrsproblem befaßt. Darin ist die Forderung nach Einführung des 30-Pfennigs-Einheitstarifs enthalten.

Aber, Kollegen, was hat der ÖTV-Bezirksvorstand von Westberlin mit diesem Papier gemacht? Es ist in der Schublade verschwunden! Diese Forderungen sind für 'später' gedacht, hat man uns gesagt. Dabei ist dieses Papier eine VERBINDLICHE Richtschnur auch schon jetzt für den Bezirksvorstand der ÖTV.

Aber wir jungen Gewerkschafter haben die gewerkschaftlichen Beschlüsse ernst genommen und versuchen sie in die Tat umzusetzen. Denn wir sind der Meinung, daß Verbesserungen unserer Arbeits- und Lebensbedingungen nicht dadurch erreicht werden, daß man nur Papiere erarbeitet und Beschlüsse faßt, sondern indem man versucht, sie praktisch im Kampf durchzusetzen.

Darin wurden wir von bestimmten Leuten in der DGB Spitze behindert.

Fortschrittliche Dinge dürfen zwar diskutiert und auch geschrieben werden, aber wer dem Taten folgen lassen will, der ist gleich ein 'Linker' und damit was Schlimmes.

Aber, Kollegen, wer sind denn die 'Linken' und was machen sie? Wir sind die Linken, Kollegen, die wir für unsere Interessen eintreten und das ist auch richtig so. Das ist konsequente Arbeiterpolitik. Das zeigen die zustimmenden Resolutionen aus den Betrieben.

Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns darüber im Klaren sein, daß es uns unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen nicht sofort gelingen wird, die Fahrpreiserhöhungen und die Preiserhöhungen allgemein verhindern zu können.

Wir werden deshalb nicht resignieren, sondern weitermachen! Jeder an seinem Platz und wir alle GEMEINSAM!

Warum haben wir heute demonstriert und werden auch in Zukunft weiterkämpfen?

Diese Demonstration und die anderen Auseinandersetzungen, deren Ursache die Preistreiberei des SPD-Senats ist, haben den Sinn, daß die Kollegen besser erkennen, wo ihre Interessen liegen und wer in den Kämpfen ihre Gegner sind.

Was müssen wir in Zukunft machen? Als erstes dafür sorgen, daß noch mehr nicht-organisierte Kollegen in die Gewerkschaften gehen und dort konsequente Gewerkschaftspolitik machen. Zweitens kommt es für uns darauf an, aus den Gewerkschaften wieder unsere Kampforganisationen zu machen, daß sie aufhören, nur höflicher Tarifpartner für die Bosse von der Industrie zu sein. Deshalb ist es für jeden Kollegen notwendig, der Gewerkschaft nicht nur anzugehören, sondern auch aktiv in ihr zu arbeiten.

Ein Meilenstein werden die Betriebsräte- und Vertrauensleute-Wahlen (BRW bzw. VLW, d.Vf.) sein. Hier werden wir jeden Kandidaten fragen, wo er politisch steht, ob er unsere Forderungen unterstützt oder nicht. Wer dafür ist, sich hinter den Paragraphen des Betriebsverfassungsgesetzes (BVG, d.Vf.) zu verstecken - den werden wir nicht wählen. Wer dafür ist, das Betriebsverfassungsgesetz zu einem Werkzeug zur Durchsetzung unserer unmittelbaren Interessen zu machen - den werden wir wählen.

Wer die Beschlüsse der Gewerkschaften nur als Arbeitspapiere ansieht, die im Aktenschrank verfaulen können - den werden wir nicht wählen. Wer sich dafür einsetzt, daß diese Beschlüsse im tagtäglichen Kampf verwirklicht werden - den werden wir wählen.

Wer dafür ist, daß der 1.Mai im Saal stattfindet, so wie im vorigen Jahr - den werden wir nicht wählen. Wer sich dafür einsetzt, daß der 1.Mai auf der Straße stattfindet, der wird unsere Stimme bekommen.

Und wichtiger noch:
Wer bei den nächsten Tarifverhandlungen sich von den Lügen der Unternehmer einlullen läßt, wer sich von den Industrieherren einreden läßt, daß man doch 'das Ganze' im Auge haben müsse, daß die Unternehmer knapp bei Kasse sind und daß nur Unruhestifter für einen Streik sind - solchen Kollegen werden wir bestimmt nicht unsere Stimme geben. Wer jedoch bei den Tarifverhandlungen unsere Interessen vertritt, den werden wir unterstützen.

Mit einem Wort: Der Kampf gegen die Fahrpreiserhöhungen und der Kampf für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und für eine bessere Gewerkschaftspolitik sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Unsere Forderungen bleiben deshalb:
WEG MIT DER FAHRPREISERHÖHUNG BEI DER BVG!
UNTERSTÜTZEN WIR DIE FORDERUNG DER GEWERKSCHAFT ÖTV NACH EINFÜHRUNG DES 30 PFENNIG EINHEITSTARIFS!
ORGANISIEREN WIR UNS IN DER GEWERKSCHAFT UND KÄMPFEN WIR DAFÜR, DASS AUS DER GEWERKSCHAFT WIEDER UNSERE KAMPFORGANISATION WIRD!"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.17f

März 1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) verbreitet folgende Anzeige für ein vermutlich im März erschienenes Buch:"
NEU IM VERLAG DES POLITLADEN ERLANGEN:
GRIGORI SINOWJEW
GESCHICHTE DER KPDSU (B)

* Schulungsmaterial *
Verlag der Komintern, Hamburg, 1923
240 Seiten, 7, 50 DM

Mit einem Vorwort
REPRINTAUSGABE IM VERLAG DES POLITLADEN ERLANGEN

Sinowjews 'Geschichte der Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki)' (?, d.Vf.) spiegelt im Gegensatz zu Stalins 'Kurzem Lehrgang' und zu den teilweise bornierten trotzkistischen Darstellungen wie dem jetzt wieder neu aufgelegten Werk von Moneta eine historische Situation wider, in der die Bolschewiki über ein Höchstmaß an revolutionären und praktischen Erfahrungen und Einsichten verfügten. Bei Sinowjew wird nicht mit Methoden gearbeitet, die den Gegner mit Diffamierung, Geschichtsfälschungen und Beschimpfungen von vornherein als Politgangster zeigen sollen, sondern die nicht- und antibolschewistischen Positionen werden scharf voneinander abgegrenzt und in ihrer relativen Stichhaltigkeit erläutert. Das Werk zeigt aber, daß die Grundbestimmungen in der Tradition des Bolschewismus niemals abstrakt im Sinn unwandelbarer Prinzipien angewendet wurden, sondern daß diese 'Prinzipien' in bestimmten Etappen bei verändertem Kräfteverhältnis der Klassen in Weiterentwicklung der revolutionären Theorie modifiziert wurden. Den sterilen Dogmatikern und Sektierern gegenüber sei Sinowjes Bestimmung der bolschewistischen Tradition hervorgehoben: Der Bolschewismus, das ist die Hegemonie des Proletariats, das sind die Arbeiterräte, das ist die Idee der unmittelbaren Herrschaft der proletarischen Massen!

In Bremen ist dieses Buch erhältlich im Politischen Buch, Fedelhören 10"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S. 20

März 1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet vermutlich aus dem März:"
MAIVORBEREITUNGEN BEIM BREMER DGB

'Für eine bessere Welt!', diese Mai-Parole des DGB für 1972 hat der Kreisvorstand Bremen zu ergänzen beschlossen: Am 1.Mai auf dem Domshof wird in großen Buchstaben zusätzlich zu lesen sein: 'Bildung und Mitbestimmung verändern die Welt!'.

Damit hat der Kreisvorstand des DGB klargestellt, daß er den Kampftag der Arbeiterklasse als eine sozialdemokratische Versammlung durchzuführen gedenkt. In ihrem über hundertjährigen Kampf ist die internationale Arbeiterbewegung für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung eingetreten. Seit über fünfzig Jahren versuchen die Sozialdemokraten der Arbeiterbewegung einzureden, es ließe sich auch mit der Ausbeutung ganz gut leben, wenn nur Gewerkschaftsführer in den Aufsichtsräten der Konzerne sitzen würden und mit den Kapitalisten über die Methoden der Ausbeutung verhandeln könnten. Und heute ergänzen sie diese Unwahrheit durch die Behauptung des Aufstiegs durch Bildung. Als ob die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Volkshochschule (VHS, d.Vf.) oder durch bessere Schulen behoben werden könnte! All diese Behauptungen dienen dazu, den Arbeitern das einzige Mittel auszureden, das sie ergreifen müssen, wenn sie ihrer Ausbeutung durch das Kapital ein Ende setzen wollen: den Kampf um Arbeitermacht und Sozialismus.

Wie wenig aber die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer der Wirkung ihres eigenen Geredes auf die Arbeiter noch vertrauen, davon künden die Mittel, die sie am 1.Mai gegen fortschrittliche Kollegen einsetzen wollen.

Der IG-Metall-Ortsvorstand (vgl. S5.*.1972, d.Vf.) sprach sich überhaupt gegen eine öffentliche Demonstration aus, in der Einschätzung, völlig sicher gegen Kritik an der sozialdemokratischen Gewerkschaftspolitik könne man nur in einer geschlossenen Saalveranstaltung vor geladenen Gästen sein. Der Ortsvorstand der IGM wurde jedoch überstimmt von den Vorständen der übrigen Gewerkschaften, welche die Situation anders einschätzen und glauben, auch eine öffentliche Demonstration und Kundgebung 'im Griff' behalten zu können.

Wie sie sich das vorstellen, ist jetzt offenbar geworden. Laut Beschluß des Mai-Ausschusses im DGB-Kreisvorstand soll der Charakter einer sozialdemokratischen Veranstaltung durch direkte Zusammenarbeit mit der Polizei sichergestellt werden. Gemeinsam mit der Polizeiführung soll ein mehrstufiger 'Aktionsplan' gegen 'Störungen' ausgearbeitet werden. Der DGB wird Funksprechgeräte einsetzen, die mit der Polizei verbunden sind und über den ganzen Zug verteilt Polizeieinsatz anfordern können. - Was können das für 'Störungen' sein, die den Einsatz der Polizei zum Schutz von 10 000 demonstrierenden Arbeitern und Angestellten nötig machen? Die Rede ist immer von faschistischen Schlägertrupps. Als ob Tausende von Arbeitern sich von der Polizei gegen ein eventuell auftretendes Häuflein faschistischer Schläger schützen lassen müßten! Die Fadenscheinigkeit dieser Begründung liegt auf der Hand, zumal in den letzten Jahren auch keinerlei Versuche in dieser Richtung mehr gewagt worden sind.

Sorge bereitet den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern die Entwicklung der letzten Jahre aus einem ganz anderen Grund. Es geht darum, eine rote, klassenkämpferische Demonstration zu verhindern. 'Gestört' fühlen sich die Gewerkschaftsführer durch Parolen, in denen der Klassenzusammenarbeit der Kampf angesagt wird. Und solche 'Störungen' sollen notfalls durch Polizei beseitigt werden.

Vorbeugend wurde weiterhin beschlossen, alle mitgeführten Transparente müßten vorher angemeldet und vom Vorstand gebilligt werden. Den gewerkschaftlichen Betriebsgruppen, den Vertrauenskörpern soll so die Möglichkeit genommen werden, Parolen mitzutragen, die ihren Kampf ausdrücken und zu dem Bildungs- und Mitbestimmungsgerede nicht passen.

Das Ungeheuerlichste an den Bremer DGB-Planungen aber besteht darin, die Teilnahme auf DGB-Mitglieder einschränken zu wollen. Weil die Mai-Demonstration vom DGB angemeldet sei, darum hätten Nicht-Mitglieder dort nichts zu suchen. So reden Vorsitzende von Kaninchenzüchtervereinen, wenn sie Vereinsfest von 'Fremden' reinhalten wollen. Wenn aber Vorstände von Gewerkschaften, Vorstände von Massenorganisationen der Arbeiterklasse Nichtmitglieder vom Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse und vom Ausdruck ihres Willens fernzuhalten versuchen, dann ist das offene Sabotage der Arbeiterinteressen. Aufgabe des Vorstandes wäre es, durch klare Losungen, durch die Propagierung des gemeinsamen Kampfes die Kollegen, die noch nicht organisiert sind, an den organisierten Kampf ihrer Klasse heranzuführen und dafür gerade den 1.Mai, die Demonstration der Stärke der Arbeiterklasse zu nutzen. Stattdessen werden Gesichtskontrolleure in den einzelnen Gewerkschaftsblocks eingesetzt und Kontrollen der Mitgliedsbücher vorbereitet.

Nun läßt sich sicher voraussagen, daß die sozialdemokratischen Funktionäre nicht in der Lage sein werden, diesen Plan durchzuführen. Wo sie es dennoch versuchen, die organisierten Kollegen von den Nichtorganisierten zu trennen, sollte ihnen eine deutliche Abfuhr gewiß sein. Wir fordern alle Kollegen auf, diesem organisationsschädigendem Verhalten der DGB-Führung entgegenzutreten und gerade auch die nichtorganisierten Kollegen in möglichst großer Zahl zur Beteiligung am Kampftag der Arbeiterklasse zu gewinnen. Wir fordern auf, die Losungen, die in den betrieblichen Gewerkschaftsgremien und in gewerkschaftlichen Jugendgruppen beschlossen wurden, auf der Demonstration mitzutragen, ohne sie der Zensur des Vorstandes vorzulegen.

Der Ortsjugendausschuß der HBV hat eine Resolution an seinen Ortsvorstand verfaßt (vgl. 30.3.1972, d.Vf.), in der er sich scharf gegen die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaftsführung und Polizei wendet. Wir drucken im folgenden diese Resolution ab und fordern alle gewerkschaftlichen Gremien in Bremen auf, diese Resolution zu diskutieren und sich ihr anzuschließen."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.5

März 1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet vermutlich aus dem März von der AGW:"
Auf der AG Weser fielen in sechs Monaten sieben Kollegen dem mörderischen Arbeitstempo zum Opfer (einschließlich Wegeunfälle), jeden Monat erleiden 80 Kollegen Arbeitsunfälle."

Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet auch, vermutlich ebenfalls u.a. aus dem März:"
AG WESER: GEGEN ARBEITSHETZE - FÜR SICHERHEIT!

'Die Platzverhältnisse auf Bau Nr. 1382 im Maschinenbau und an Deck sind sehr beengt', teilte man uns freundlicherweise mit. Doch nicht nur an Bord, sondern auch in manchen Hallen herrschen solche Zustände. Die Maschinenbauhalle z.B. stammt noch aus dem 19.Jahrhundert. Doch seitdem hat sich die Produktion um ein Vielfaches gesteigert und der Platz reicht nicht mehr aus, um die angelieferten oder halbfertigen Teile sicher zu lagern. Besonders wenn Termine vorgezogen werden und die Arbeitshetze noch mehr gesteigert wird wie z.B. im letzten Jahr vor dem Betriebsurlaub, stehen die Teile in den Gängen und anderswo herum. Vernünftige Lagerplätze schmälern die Profite, also ist es das billigste, die Teile am Arbeitsplatz oder gleich neben der Maschine zu lagern. Das geht auf unsere Knochen, unsere Arbeitsplätze werden dadurch unübersichtlich und gefährlicher. Wir fordern deshalb

SICHERE ARBEITSPLÄTZE

Das heißt Schaffung von sicheren Lagerplätzen. so daß die Teile nicht überall herumstehen. Die Anschläger sind gezwungen, die Bauteile dort hinzustellen, wo gerade Platz ist. Dies bildet für die Anschläger ebenso eine Gefahr wie für alle anderen Kollegen und hinzu kommt die ständig steigende Arbeitshetze. So geschah es vor ca. zwei Monaten, daß ein Anschläger beim Absetzen eines Maschinenteils eingeklemmt wurde. Wahrscheinlich konnte der Kranführer die Zeichen des Anschlägers nicht mehr sehen, und der Anschläger konnte nicht mehr nach hinten ausweichen, weil hinter ihm ein Getriebe stand. Schuld an diesem und an vielen anderen Unfällen sind die Werftbosse, die ständig die Arbeitshetze höher schrauben, um ihre Profite zu steigern. Sie treffen nur solche Sicherheitsvorkehrungen, die sie kein Geld kosten. Wenn man nachts beigeht und auf dem Helgen den Kollegen die Schläuche abschneiden läßt, dann ist das immer noch die billigste Art. Unterweisungen über Unfallgefahren geben sie nur bei Neueinstellungen, um ihrer Pflicht zu genügen. Von den sogenannten Unfallschutzwochen merkt man nur etwas an den schwarzen Brettern. Unter der ständig schärfer werdenden Arbeitshetze dienen Appelle der Sicherheit wenig. Wenn im Mitteilungsblatt geschrieben steht, 'jeder muß mithelfen, daß ordentliche und unfallsichere Verhältnisse herrschen…', dann kostet das den Krupp-Konzern herzlich wenig und dient im voraus als Ausrede, um die Schuld auf die Fahrlässigkeit der Kollegen zurückzuführen. Das gipfelt dann in der Beschimpfung der Kollegen: 'Oft ist es die Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit, sich derart sicherheitswidrig zu verhalten…'. Kollegen, die acht oder mehr Stunden im Akkord oder Prämie arbeiten, als bequem hinzustellen, ist wohl die unverfrorenste Art, von den wirklichen Ursachen abzulenken und anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. In letzter Zeit wurden überall Tafeln mit elf Geboten für die Sicherheit ausgehängt. Doch all diese notwendigen Sicherheitsvorkehrungen sollen von den Kollegen im Akkordtempo durchgeführt werden, und ihre möglichst schnelle Abwicklung wird mit ein paar Prozenten 'honoriert'.

Die Herren, die schlimmstenfalls in ihrem Leben mal auf den Teppichen ihrer gutausgestattenen Büros ausrutschen, sind nicht ständiger Arbeitshetze ausgesetzt. Sie diktieren das Tempo; wir sollen unsere Knochen hinhalten. Die ständigen Kürzungen der Vorgabezeiten, die Einführung neuer noch ausgeklügelterer Lohnsysteme haben zur Folge, daß Sicherheitsvorkehrungen am Rande betrieben werden. Deshalb die Durchsetzung von Sicherheit am Arbeitsplatz gleichzeitig.

KAMPF GEGEN AKKORD UND PRÄMIEN-HETZE

Arbeitssicherheit könne wir genauso wie jede andere Forderung nur durchsetzen, wenn wir darum einen stetigen und beharrlichen Kampf führen. Maßnahmen (!) für die Arbeitssicherheit gehen an die Profite der Kapitalisten. Darum können wir Maßnahmen zur Arbeitssicherheit auch nur durchsetzen, wenn wir die Kapitalisten vor die Alternative stellen: entweder sichere Arbeitsplätze oder wir verweigern unsere Arbeitskraft.

VERWEIGERT GEFÄHRLICHE ARBEITEN, WENN DIE NÖTIGEN SICHERHEITSVORKEHRUNGEN NICHT GETROFFEN WERDEN!

In jeder Abteilung müssen deshalb die Sicherheitsbeauftragten gewählt werden und konsequent die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen überprüfen.

Diese Kollegen müssen geschult werden, um unsere Interessen zu vertreten und sie müssen monatlich zusammentreffen und gemeinsam ihre Tätigkeit beraten und Forderungen aufstellen. Sie müssen uns beraten, nötigenfalls ungesicherte Arbeit zu verweigern."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.2 und 17

März 1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet vermutlich aus dem März von den BRW:"
NORDMENDE: FÜR EINEN KONSEQUENTEN BETRIEBSRAT

In den nächsten Wochen werden in der ganzen BRD die Betriebsratswahlen durchgeführt, so auch bei uns im Betrieb. Seit den letzten Wahlen der Betriebsräte 1968/1969 erhielt die Arbeiterbewegung in Westdeutschland einen großen Aufschwung. So fanden auch bei Mende in den letzten zwei Jahren spontane Arbeitsniederlegungen sowohl in der Produktion (Tarifrunde (MTR, d.Vf.) 1970) wie auch öfter in verschiedenen Abteilungen statt. Ganz anders als in all den Jahren zuvor gehören politische und gewerkschaftliche Themen zu unserer tagtäglichen Diskussion. Insbesondere hat ein großer Teil der Belegschaft die Politik der sozialdemokratischen Betriebsräte und SPD-Betriebsgruppe (SPD-BG, d.Vf.) durchschaut. Immer wieder konnten wir erfahren, daß unsere Forderungen und Interessen nur durchgesetzt wurden, wenn wir sie selbst in die Hand genommen haben. Seit mehr als fünfzehn Jahren ist unser Betriebsrat in Händen einer sozialdemokratischen Clique. Durch ihre Mehrheit im gewerkschaftlichen Vertrauenskörper (VLK, d.Vf.) erschien bei jeder Betriebsratswahl die gleiche Kandidatenliste, so daß die Belegschaft nur die Wahl hatte, entweder die alten Köpfe anzukreuzen oder sich an der Wahl gar nicht zu beteiligen.

Das berechtigte Mißtrauen und der Protest der Kollegen gegen diese SPD-Mauschelei wurde vor Jahren einmal von einem reaktionären Menschen namens Koch geschickt auf CDU-Mühlen gelenkt. Mit einer zweiten Liste konnte dieser Kollege sich behaupten und mit einigen Getreuen in den Betriebsrat einziehen. Als er nach einiger Zeit den Betrieb verließ, brach die braune Opposition zusammen.

Der SPD-Politik wurde die Maske vom Gesicht gerissen, als auf die Mauschelei der offene Übertritt in die Geschäftsleitung durch einen Betriebsrat erfolgte. Der sozialdemokratische Betriebsratsvorsitzende Elmers wurde Personalchef unter Martin Mende und trat aus der IG Metall aus. Hier wurde deutlich, in wessen Diensten die Politik der SPD-Betriebsgruppe stand. Jeder Kollege im Betrieb wußte nun, daß die radikalen Sprüche auf der Betriebsversammlung (BV, d.Vf.) nur der Einsäuselung der Belegschaft und nicht der Durchsetzung ihrer Forderungen dienten. Auch der IGM-Arbeit wurde mit dieser Politik ein vernichtender Schlag ausgeteilt, ca. 300 Kollegen traten spontan aus der IG Metall aus und bis heute wirkt dieser Vorgang nach.

Der Schritt von Herbert Elmers war nicht der Schritt eines besonders schlechten Menschen, er war der Schritt eines sozialdemokratischen Karrieristen und lag auf der Linie der SPD. Trotz ihrer Bemühungen, sich wieder als Arbeiterpartei darzustellen und trotz aller 'Reform'-Versprechungen vertritt die SPD, wie alle anderen bürgerlichen Parteien, die Zusammenarbeit mit den Kapitalisten. Mit Hilfe der Sozialpartnerschaftsideologie versucht sie zu verschleiern, daß Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse gegensätzliche Interessen haben. 1969 besaß die SPD sogar die Frechheit, mit ihrem 'Genossen' Elmers und seiner 'modernen Personalführung' für sich in einer Broschüre über Bremen Reklame zu machen (vgl. 1969, d.Vf.).

Die Politik der SPD-Betriebsgruppe zeichnet sich bis heute durch konsequente Mauschelei und Cliquentaktik aus. Wichtig ist auch, daß alle freigestellten Betriebsräte schon unter Elmers im Betriebsrat tätig waren. Uns ist inzwischen allen klar, daß er hier gute Erben gefunden hat.

Damit man sich als Betriebsrat halten kann, ist es natürlich, daß man die notwendigsten Arbeiten verrichtet und z.B. einzelnen Kollegen Unterstützung erteilt; doch über diesen Rahmen kommen die Aktivitäten des bisher 19-köpfigen Betriebsrats nicht hinaus. Anstehende Probleme werden nicht in Zusammenarbeit und ständiger Information zwischen Betriebsrat und Belegschaft gegen die Kapitalistenfamilie Mende durchgesetzt, sondern im Kämmerlein mit Hermann Mende ausgemauschelt. So wurde z.B. zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung vereinbart, das Prämiensystem bei Mende einzuführen; daß dieses nicht in UNSEREM Interesse ist, wissen wir inzwischen alle. Und wenn auf Druck der Belegschaft Verhandlungen um eine 'Neu'-Ordnung der Prämie geführt werden mußten, so geschah dies wiederum nach der alten Methode im stillen Kämmerlein bei Mende und der Belegschaft wurde anschließend ein 'Ergebnis' serviert.

An die Stelle der geschlossenen Durchsetzung von Forderungen durch Betriebsrat und Belegschaft GEGEN Mende tritt die 'vertrauensvolle Zusammenarbeit' MIT Mende gegen die Belegschaft.

Dabei wissen wir alle, daß uns noch nie etwas geschenkt wurde. Nur durch geschlossenes Auftreten, nur wenn der Betriebsrat die Belegschaft im Rücken hat, haben Verhandlungen Erfolg. Dies aber ist nicht im Interesse der Fischer und Lilienthal, denn hierzu wäre notwendig die Kontrolle des Betriebsrates durch die Belegschaft und durch einen aktiven großen gewerkschaftlichen Vertrauenskörper.

Die SPD-Betriebsgruppe hat den Wahlkampf für die Betriebsrätewahlen schon begonnen. Mancher Kollege wunderte sich schon in den letzten Tagen über die plötzlich ausgebrochene 'soziale Bemutterung' und Fürsorge der Betriebsräte.

Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns nichts vormachen. Dahinter steckt nichts anderes als die Stimmenfangpolitik der SPD-Betriebsgruppe!"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.17

04.03.1972:
U.a. der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) dokumentiert von heute die:"
GEMEINSAME ERKLÄRUNG

Am 4./5.März 1972 haben sich auf Einladung des KBB Genossen der KB Göttingen, Osnabrück und Wolfsburg, der Kommunistischen Gruppe (NRF) Mannheim/Heidelberg sowie einzelne Genossen aus Braunschweig, Berlin und Salzgitter getroffen, um über eine korrespondierende Mitarbeit an der 'Wahrheit' zu beraten. Diskutiert wurde: 1. über die Konzeption der politischen Zeitung als einen Schritt im Parteiaufbau; 2. über Voraussetzungen und konkrete Formen einer möglichen Mitarbeit an der 'Wahrheit'.

Zum ersten Punkt wurde mit den Genossen der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg keine Einigkeit erzielt. Die Genossen der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg sehen im Ausbau eines von verschiedenen Zirkeln getragenen theoretischen Organs den derzeit wichtigsten Hebel zum Vorantreiben der Auseinandersetzung mit dem Ziel der Einheit der westdeutschen kommunistischen Bewegung. Sie erklärten, ihren Standpunkt zu dieser Frage demnächst im 'Neuen Roten Forum' darlegen zu wollen. Die Redaktion der 'Wahrheit' wird sich damit auseinandersetzen. Beide Organisationen sind der Meinung, daß es richtig ist, die Auseinandersetzung um die Bedeutung der Zeitung im Parteiaufbau öffentlich zu führen und in dieser Auseinandersetzung die Bestimmung des Charakters der Zeitung deutlicher herauszuarbeiten.

Die Genossen aus Göttingen und Osnabrück vertraten die Meinung, eine intensivere Mitarbeit an der 'Wahrheit' als einer vom KBB politisch und organisatorisch getragenen Zeitung sei nur möglich, wenn die Redaktion der 'Wahrheit' einen politischen Arbeitsplan vorlege, in dem die brennenden Fragen der westdeutschen kommunistischen Bewegung herausgearbeitet werden und angegeben wird, wie ihre Lösung in Angriff genommen werden soll. Erst auf der Grundlage eines solchen politischen Plans würde die Auseinandersetzung und damit auch die Entscheidung über eine intensivere Mitarbeit möglich. Diese Meinung wurde von allen anwesenden Genossen geteilt. Die KBB-Genossen erklärten, daß vorgesehen sei, einen solchen Arbeitsplan in einer der nächsten Nummern der 'Wahrheit' zu veröffentlichen.

Gemeinsam wurden folgende Regel für eine korrespondierende Mitarbeit an der 'Wahrheit' aufgestellt, die die einzelnen Genossen ihen Organisationen und Zirkeln zur Beratung vorlegen werden:

1. Allen Korrespondenten soll regelmäßig der Redaktionsplan für die nächsten Nummern der 'Wahrheit' zugehen.

2. Die Korrespondenten unterhalten einen über die Einsendung von Artikel- und Berichtseinsendungen hinausgehenden Briefwechsel mit der Redaktion über alle Fragen der kommunistischen Bewegung, insbesondere über die Entwicklung der Arbeit am jeweiligen Ort.

3. Die vom KBB bestellte Redaktion entscheidet über die Veröffentlichung von Artikeln und Berichten. Lehnt sie die Veröffentlichung ab, so begründet sie dies vor den Genossen und macht in besonders beispielhaften Fällen allen Korrespondenten den eingesandten Bericht und ihre Kritik daran zugänglich, um Material für gemeinsames Lernen zu schaffen.

4. Die Korrespondenten verweisen bei ihren Berichten auf die Bedeutung ihres Artikels für die Auseinandersetzung am Ort. Insbesondere machen sie deutlich, ob sie Änderungen seitens der Redaktion zulassen.

5. Die Redaktion der 'Wahrheit' wird versuchen, auf wichtige Ereignisse in der unmittelbaren Nähe der Korrespondenten hinzuweisen, so daß diese gezielt Material für Berichte sammeln können.

6. Es finden regelmäßige, durchschnittlich vierteljährliche Treffen der Korrespondenten statt, auf denen neben praktischen Fragen über den politischen Arbeitsplan und die Redaktionsplanung für die nächsten Nummern beraten wird.

Trotz ihrer Differenzen zum Aufbauplan der 'Wahrheit' erklärten die Genossen der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg ihre Bereitschaft, sich am Austausch von Berichten zu beteiligen, um die jeweilige Propaganda- und Agitationsarbeit zu verbessern."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.18

04.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet:"
DEMONSTRATION DER BREMER ARBEITERJUGEND

Am 4.März demonstrierten durch die Bremer Innenstadt mehr als tausend Lehrlinge und junge Arbeiter. Unter roten Fahnen, Transparenten und mit Sprechchören kämpften sie für eine bessere Berufsausbildung, gegen die geplante Kürzung des Bildungshaushaltes und für die geschlossene Kampffront der gesamten Arbeiterklasse. In Übereinkunft mit dem DGB-Kreisjugendausschuß (KJA, , d.Vf.) hatte der Dachverband der Bremer Berufsschüler (DBBS, d.Vf.) die Bremer Arbeiterjugend zu dieser Demonstration aufgerufen, den im letzten Jahr begonnenen Kampf mit einer kraftvollen Demonstration und Kundgebung voranzutreiben.

Was war vorausgegangen?

Die bürgerlichen Parteien CDU, FDP und SPD durch die machtvolle Lehrlingsdemonstration des letzten Jahres (vgl. 6.3.1971, d.Vf.) aus ihren Sesseln hochgeschreckt, konnten sich im Bremer Wahlkampf (BüW bzw. LTW - vgl. **.**.197*, d.Vf.) nicht genug tun, eine kräftige Erhöhung des Bildungshaushaltes zu versprechen und alles mögliche für die Interessen der Lehrlinge zu unternehmen, wollten sie doch damit die Stimmen vor allem der Jungwähler erschwindeln. Hinter all diesen schönen Versprechungen konnten sie ihr wahres Gesicht aber nicht verbergen: als Handlanger der Kapitalistenklasse liegt ihnen kein Deut daran, im Interesse der Arbeiterjugend die Ausbildungsbedingungen zu verbessern. Die immer wieder beschworene Erhöhung der Bildungsausgaben fällt flach, die Zustände an den allgemeinbildenden Schulen und den Berufsschulen verschärfen sich mehr und mehr:

Die seit 22 Jahren gesetzlich vorgeschriebenen zwölf Unterrichtsstunden sind nicht annähernd erreicht. Trotzdem ist aber geplant - wie überall in der BRD - einen Teil dieser Stunden für Wehrkundeunterricht (WKE, d.Vf.) zu mißbrauchen. Und dafür sollen Schulräume und Lehrer zur Verfügung gestellt werden trotz:

RAUMMANGEL, der sich immer weiter verschärft;

LEHRERMANGEL, dem der Senator für das Bildungswesen nicht mit aller Entschiedenheit entgegenwirkt. Er läßt vielmehr demagogisch in aller Öffentlichkeit verbreiten, daß er 30 graduierte Ingenieure und Betriebswirte für den Lehrerberuf an den Berufsschulen ausbilden läßt, nicht bekannt aber macht er die Tatsache, daß diesen 30 angenommenen Bewerbern 383 abgelehnte gegenüberstehen.

Die Bremer Arbeiterjugend in den letztjährigen Demonstrationen und Kampfveranstaltungen zu einer politischen Kraft gereift, mit der die Kapitalisten und ihr Staat zu rechnen haben, hat auf die verlogene Politik der bürgerlichen Parteien nur eins parat: Ihre Sache in die eigene Hand zu nehmen.

Aus den Erfahrungen mit diesen Parteien, ihren Versprechungen und ihrem Reformgefasel reifte die Erkenntnis: auf die eigene Kraft zu setzen, sich aus der Fesselung der kapitalistischen Freizeitfürsorge zu befreien und die Entwicklung einer selbständigen Politik der gesamten Arbeiterklasse voranzutreiben. Denn die bürgerlichen Parteien, die bürgerlichen Parlamente, die Minister und Senatoren sind Instrumente der Kapitalistenklasse zur Niederhaltung der Arbeiter. Auf diese Herren kann die Arbeiterklasse nicht bauen. Der kapitalistische Staatsapparat läßt sich für die Interessen der Werktätigen nicht einspannen. Diese Erkenntnis, sich auf die eigene Kraft zu stützen, demonstrierten entschlossen die tausend jungen Arbeiter und Lehrlinge unter den Hauptparolen:

ERKÄMPFEN WIR DAS STREIKRECHT FÜR LEHRLINGE,

um wirkungsvoll den Kampf um die eigenen Interessen führen zu können, den älteren Kollegen in ihren Kämpfen nicht als Streikbrecher in den Rücken zu fallen, und um an ihrer Seite den Kampf der gesamten Klasse voranzutreiben.

ORGANISIEREN WIR UNS IN DEN GEWERKSCHAFTEN,

gründen wir gewerkschaftliche Jugendgruppen und kämpfen mit diesen im Betrieb für unsere Rechte.

ERKÄMPFEN WIR 500 DM EINHEITLICHEN LOHN FÜR ALLE LEHRLINGE

um die Spaltung nach Lehrjahren aufzuheben und nicht unseren Eltern auf der Tasche liegen zu müssen. Nicht sie sollen unsere Ausbildung bezahlen, sondern diejenigen, die davon profitieren.

Klar und unmißverständlich spiegeln diese Parolen die Bewußtheit darüber wider: der Kampf ist nur erfolgreich zu führen in engem Zusammenschluß in den Organisationen der Arbeiterklasse. Der DGB-Kreisjugendausschuß und der Dachverband sind sich im Gegensatz zum letzten Jahr heute in diesem Punkt einig. Und so ist mit diesem organisierten und einheitlichen Kampf der Arbeiterjugend, der nicht länger von den Schülerringen an den Berufsschulen und der Gewerkschaftsjugend in unterschiedlicher Richtung geführt wird, eine neue Stufe im Kampf der Arbeiterjugend erreicht.

Nach wie vor gilt es aber, und das hat diese Demonstration wieder in besonderer Deutlichkeit gezeigt, jeder Schwächung und Spaltung der Kampffront der Arbeiterjugend entschieden entgegenzutreten.

Jenen rühmlichen Versuchen der Jusos und der SDAJ (der SPD bzw. DKP, d.Vf.), die schon in den Aktionseinheiten gegen Strauß und Barzel (CSU bzw CDU - vgl. 14.9.1971 bzw. 8.10.1971, d.Vf.) sowie im Kampf gegen das Berufsverbot (BV - vgl. 18.1.1972, d.Vf.) durch Spaltungsmanöver die Kampfkraft der Arbeiterklasse schwächten, kann nur in offener Auseinandersetzung und in klarer und kontinuierlicher Propagierung der Forderungen der Arbeiterjugend entgegengetreten werden. Je klarer sich die Forderungen im Kampf ausdrücken und sich auf die Interessen der Arbeiterklasse insgesamt beziehen, umso fester wird die Kampffront werden.

Statt den Kampf der Bremer Lehrlinge und Jungarbeiter mit zu tragen, stieß die SDAJ in das Horn der Jusos und der bürgerlichen Parteien, die in einem wahren Trommelfeuer versuchten, die fortschrittlichen Kräfte von den Massen zu isolieren: Die Linksradikalen würden die Lehrlinge für ihre Interessen mißbrauchen. Demonstrationen für die Interessen der Lehrlinge ja, aber nicht gemeinsam mit den Linksradikalen, das schadet nur bei der Durchführung. Dieses Gezeter des SPD-Senatsdirektors Kreuser vom Bildungssenat schrieben die SDAJ-ler auf ihre Fahnen, waren sie doch nicht in der Lage, die Forderungen der Bremer Arbeiterjugend zu unterstützen, gehen diese über ihre eigenen in den 'Fünf Grundrechten der jungen Generation' (vgl. 31.3.1972, d.Vf.) niedergelegten Forderungen weit hinaus. Deshalb greift die SDAJ Hand in Hand mit den Jusos zur übelsten Verleumdung der fortgeschrittenen Bremer Lehrlinge und jungen Arbeiter und unterstellt ihnen 'Fadenscheinigkeit' und 'Spaltertum'. Geht der Kampf der Arbeiterjugend an den Forderungen der SDAJ vorbei, versucht sie ihn zu boykottieren. Ein solches Verhalten treibt den Kampf der Arbeiterklasse nicht voran, es schadet ihm nach Kräften.

Auf das Verhalten der SDAJ hatte der Schülerring für Einzelhandel (HBV-Bereich, d.Vf.) die richtige Antwortresolution. Diese Resolution wurde auf der Abschlußkundgebung unter starkem Beifall verlesen. Auf der abschließenden Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude wurden von den Rednern weiterhin die Erfahrungen der bisherigen Kämpfe, die Perspektive des Kampfes der Arbeiterklasse überhaupt und seine nächsten Ziele hervorgehoben. Die Erfahrungen aus den Kämpfen des letzten Jahres haben gezeigt: Nicht bürgerliche Parlamente, nicht die Wahlversprechungen bürgerlicher Parteien, nicht die Propagandamanöver von Ministern und Senatoren sind das Fundament, auf dem die Arbeiterklasse bauen kann. Immer mehr beginnt die Arbeiterjugend die Hauptlehre ihres Kampfes zu begreifen: sich auf die eigene Kraft zu verlassen!

Setzen wir in den anstehenden Kämpfen auf diese Erkenntnis, entwickeln wir die eigene Kraft: Beschränken wir den Kampf nicht nur auf die Berufsschulen, organisieren wir den Kampf für unsere Interessen in den Betrieben, bilden wir gewerkschaftliche Jugendgruppen und wählen wir uns in den anstehenden Jugendvertreterwahlen (JVW - vgl. 1.5.1972, d.Vf.) starke und konsequente Interessenvertreter!

So werden wir in der Lage sein, die Entwicklung einer selbständigen Politik der Arbeiterjugend voranzutreiben!"

Berichtet wird auch über die Haltung der Gesamtschülervertretung (GSV) der Gymnasien (vgl. 3.2.1972, 10.2.1972).
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.4

05.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet:"
BRANDT IM IRAN

Der 'König der Könige' Reza Pahlewi von eigenen Gnaden und mit ihm Howeida, der Chef des iranischen Terrorregimes über das persische Volk, führten vom 5. - 8.März 1972 Gespräche mit Bundeskanzler Brandt, um die 'guten' und 'vertrauensvollen' Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederherzustellen. Gemeint waren dabei nicht die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern, sondern die dunklen Beziehungen bei der gemeinsamen Unterdrückung und Ausbeutung des persischen Volkes. Bundeskanzler Brandt war nämlich auf den Ruf der westdeutschen Imperialisten nach Teheran gereist, daß große Geschäfte für die westdeutschen Konzerne warteten: Geschäfte, die für die westdeutschen Imperialisten größtmögliche Extraprofite sichern sollen, die persischen Arbeitern durch die Errichtung von Montagefabriken der westdeutschen Elektrokonzerne in Persien abgepreßt werden sollen; Geschäfte, die sich um die Steigerung des Absatzes westdeutscher Waren in Persien drehen; Geschäfte, die sich aus einem 'gigantischen Großobjekt' ergeben könnten, mit dem 'unter Umgehung der internationalen Ölfirmen' die persischen Rohölreserven ausgeplündert werden sollen.

DER WESTDEUTSCHE IMPERIALISMUS AUF DER SUCHE NACH EIGENEN ROHSTOFFQUELLEN

Besondere Bedeutung muß dem 'Milliardengeschäft auf Gegenseitigkeit', das vom Ministerpräsidenten Howeida angeboten wurde, beigemessen werden, gemeinsam mit westdeutschen Firmen eine Erdölversorgung 'von der Quelle bis zur Tankstelle' aufzubauen, unter Umgehung der internationalen Ölkonzerne.

Für die Bundesrepublik ist nämlich die von Jahr zu Jahr steigende Abhängigkeit von Importen der Energieträger Kohle und Öl kennzeichnend. Heute wird bereits 55% des Energieverbrauchs durch Öl gedeckt (1950 waren es erst 5, 2%). Aus bundesrepublikanischen Quellen fließen konstante 7, 5 - 8 Millionen t jährlich, während die Importe von Rohöl 1972 114 Millionen t übersteigen werden. Dabei sinkt die Kohleförderung laufend. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß der Heizwert des Erdöls um 57% höher liegt als bei der Steinkohle und das Öl um etliches billiger gefördert werden kann.

Der steigende Energieverbrauch der westdeutschen Industrie, die Verminderung der Steinkohlenförderung an der Ruhr um weitere 15 Millionen t und die Stillegung der Zechen verstärken die Abhängigkeit der Bundesrepublik von den Öllieferanten in den arabischen Ländern.

Zudem wird sich in den nächsten Jahren die Konkurrenz der imperialistischen Staaten um die Erdölgebiete verstärken. So decken die USA heute 30% ihres Bedarfs aus Nahost und Afrika, während erwartet wird, daß dieser Anteil 1975 auf 58% und 1980 sogar bis 73% steigen wird. Die Rohölförderung wird ab 1975 in den USA selbst rückläufig werden.

Somit sieht sich der westdeutsche Imperialismus wiederum einer Situation gegenüber, in der er in der Rohstoffwirtschaft den anderen führenden imperialistischen Mächten unterlegen ist. Alle bekannten Erdölgebiete sind bereits unter die verschiedenen imperialistischen Mächte aufgeteilt. Zwar hatten die westdeutschen Imperialisten bisher keine Schwierigkeiten, die notwendigen Rohstoffe auf dem 'freien Markt' zu kaufen, aber die oben angedeuteten Entwicklungstendenzen weisen ganz klar darauf hin, daß dies nicht immer so sein muß. Der westdeutsche Imperialismus unternimmt daher z.Zt. immer größere Anstrengungen, eigene Rohstoffquellen im Ausland zu erwerben. Neben der Sicherung der Rohstoffe für die heimische Industrie muß jedoch zugleich das Streben westdeutscher Kapitalisten nach neuen Absatzmärkten und Ausbeutungsmöglichkeiten im Ausland berücksichtigt werden.

DER EINFLUSS DER WESTDEUTSCHEN IMPERIALISTEN AUF DIE IRANISCHE WIRTSCHAFT

Im Zusammenhang mit dem Erdöl ist der Iran dafür der geeigneteste Platz. Die iranischen Bohrtürme zeichnen sich durch eine ungeheure Produktivität aus. Im Jahre 1966 fördert ein Bohrturm im Iran 728 000 t Öl, während in Venezuela nur 17 800 t und in den USA nur 700 t pro Bohrturm gefördert wurden. Diese Tatsache ist die Quelle kolossaler Profite. Des weiteren hoffen die reaktionären Kreise im Iran, daß sich der Import bis 1978 verdoppeln wird. Damit würde der Iran den größten Markt aller unterentwickelt gehaltenen Länder darstellen. Schließlich werden den persischen Arbeitern nur karge Hungerlöhne gezahlt, ein weiterer Anreiz für die Kapitalisten. Der Iran nimmt darüberhinaus eine geographische und strategische Schlüsselposition im gesamten Nahen und Mittleren Osten ein.

Die Chancen der BRD, den Kampf um das iranische Erdöl zu beginnen, sind nicht schlecht. Schließlich ist die BRD, wenn man mal vom Erdölsektor absieht, der wichtigste Handelspartner des Irans. Sie belegt den ersten Platz bei den Lieferländern vor den USA und Großbritannien und den ersten Platz bei den Käuferländern vor der UdSSR (SU, d.Vf.). Die BRD nimmt die zweite Stelle bei den Direktinvestitionen nach den USA im Iran ein. Das Doppelbesteuerungsabkommen von 1970 (vgl. 1970, d.Vf.) räumt westdeutschen Konzernen eine Reihe Privilegien gegenüber ihren Konkurrenten ein. In den letzten Jahren bemühen sich die westdeutschen Imperialisten ihren Einfluß im Iran zu verstärken. Das läßt sich z.B. an der gewährten 'Entwicklungshilfe' ablesen: Sie betrug in den Jahren 1965 - 1969 etwa 330 Millionen DM, im Jahr 1970 allein schon 430 Millionen DM. Politischer Ausdruck dieser Bemühungen war der Besuch des Bundeskanzlers Brandt im Iran.

Dieses Vordringen in den Iran mit dem Ziel, eigene Erdölquellen für die BRD zu sichern, entspricht einer Politik, die Enno Schubert, Vorstandsmitglied der Gelsenberg AG (IGBE-Bereich, d.Vf.), so formuliert hat: die Erdölsuche und -förderung 'in solchen Gebieten' zu betreiben, 'die als politisch relativ stabil gelten, auch wenn aus ihnen nicht unbedingt 'Niedrigkostenöl' zu erwarten ist'. Das iranische Erdöl ist schwefelhaltiger als z.B. das libysche und daher kostspieliger in der Verarbeitung. Dennoch sind die Imperialisten bereit, gewisse Abstriche an ihren Extraprofiten im Hinblick auf eine längerfristige strategische Sicherung hinzunehmen. Heute herrschen jedoch nirgends 'stabile' politische Verhältnisse im Sinne der Imperialisten. Es folgt für sie daraus: 'Wir müssen aktiv zu einer weiteren Streuung der Versorgung beitragen' (E. Schubert). Genau dies ist in den letzten Jahren geschehen. Hauptlieferant bei Erdöl ist Libyen, das 1970 noch 38, 5% der gesamten Ölimporte lieferte, dieses Jahr aber nur noch 23, 6%. 'Nutznießer' dieser Umverteilung sind Saudi-Arabien, Nigeria und Algerien.

DER KAMPF DES IRANISCHEN VOLKES GEGEN AUSBEUTUNG UND UNTERDRÜCKUNG

Die westdeutschen Imperialisten und ihre Regierung sind aus ökonomischen Interessen zwangsläufig an der politischen 'Stabilität' des gegenwärtigen Systems im Iran interessiert. Bundeskanzler Brandt, trotz 'Friedens'-Nobelpreis, trotz seines Geredes über 'mehr Demokratie wagen', ist nicht im mindesten an den Erfolgen des persischen Volkes bei seinem Versuch, das Terrorregime des Schahs abzuschütteln, interessiert. Im Gegenteil, die Aufrechterhaltung der Unterdrückung ist eine der wichtigsten VORBEDINGUNGEN für die großen Geschäfte der westdeutschen Imperialisten im Iran. Absicherung der Interessen im Iran bedeutet aber auch Militärhilfe. Der Wert der bekanntgewordenen Waffenlieferungen im Jahr 1970 allein betrug 40 Millionen DM. Der 'aufrechte Demokrat' Brandt ein Komplize des Schahs!

Das despotische Regime im Iran ist gekennzeichnet durch: ene geknebelte Presse, Terror und Bespitzelung durch die SAVAK, die Geheimpolizei des Schahregimes, Verbot von Parteien und Massenorganisationen, Unterdrückung von Demonstrationen und Streiks, Verfolgung und schwere Bestrafung all derjenigen, die dieses System zu kritisieren wagen.

Diese Unterdrückung wird ergänzt durch einen absurden Schahkult, der seinen Höhepunkt im letzten Jahr (vgl. Sept. 1971, d.Vf.) erreichte, als der 'König der Könige' das 'Fest der Feste', das 2 500jährige Bestehen des persischen Reiches, also das 2 500jährige Bestehen von brutaler Ausbeutung und grausamer Unterdrückung der Volksmassen durch die persischen Potentaten feierte und dafür fast eine Milliarde Dollar aus dem Fenster warf.

Neben dem hemmungslosen Schahkult sollen die persischen Massen durch eine vorgetäuschte Demokratisierung vernebelt werden.

Die Propagierung eines eigenen Weges, jenseits von Kapitalismus und Sozialismus, angeblich verwirklicht in der 'weißen Revolution' (vgl. 1963, d.Vf.) des Schahs soll den immer stärkeren Widerstand des persischen Volkes eindämmen helfen. Aber die Streiks persischer Arbeiter für eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und für demokratische Rechte, die Bewegung der Schüler und Studenten gegen die Imperialisten und das Schahregime schlagen die finstere Herrschaft des Schah schwer an. Die demokratischen Kräfte werden durch die Geheimpolizei SAVAK verfolgt, ohne Haftbefehle verhaftet, gefoltert und erschossen. Dennoch kommt es immer wieder zu Demonstrationen und Streiks. Auch wenn diese Kämpfe spontan, unorganisiert und voneinander isoliert sind, zeigen sie jedoch immer mehr die Entschlossenheit breiter Schichten der Bevölkerung, den Kampf zu wagen, den Schah zu stürzen: Das Volk wird sich bewußt, daß das gegenwärtige Regime zu brechen ist.

Hier einige Ereignisse des letzten Jahres, über die die bürgerliche Presse kaum berichtete". Es folgen einige Berichte aus dem Iran (vgl. 8.2.1971, 18.1.1972) und weiter heißt es:"
ABSICHERUNG DER ROHSTOFFQUELLEN DURCH STÜTZUNG REAKTIONÄRER KRÄFTE

Mit der 'Insel des Friedens' und den 'stabilen' politischen Verhältnissen ist es also nicht so weit her, wie es uns der Schah glauben machen möchte. Trotz Pressezensur und Geheimhaltung werden immer mehr Einzelheiten über die faschistische Unterdrückung und die zunehmenden Kämpfe dagegen bekannt. Nicht zuletzt die iranischen Studenten im Ausland, die eigentlich ausgeschickt wurden, die neuesten wissenschaftlichen Methoden der Ausbeutung und Unterdrückung anwenden zu lernen, die sich aber auf die Seite des Volkes gestellt haben, bilden für das Schahregime eine ständige Gefahr. Das 'Geschäft auf Gegenseitigkeit', das Howeida den westdeutschen Imperialisten anbot, läuft denn auch darauf hinaus, diesen 'beleidigenden Aktivitäten' iranischer Studenten endlich ein Ende zu setzen. So ließ die deutsche Delegation im Iran durchblicken, daß die an 'Terror grenzenden Exzesse' iranischer und sonstiger ausländischer Gruppen in der Bundesrepublik 'eingedämmt' werden sollten, sie könnten außenpolitischen Schaden anrichten, sprich: Geschäfte verhindern; das 'Kapital an Sympathie' zugunsten Deutschlands im Iran müsse unbedingt erhalten werden. Brandt und der Schah, 'einträchtig' und 'vertrauensvoll' zusammenarbeitend bei der Ausplünderung des persischen Volkes, spielen sich gegenseitig die Vorwände zu, um auch in der Bundesrepublik die demokratischen Rechte einzuschränken. Die Angriffe bundesrepublikanischer Behörden auf die Existenz politischer Organisationen der antiimperialistischen Kräfte des Irans und anderer Länder der 'Dritten Welt' werden sich in den nächsten Wochen und Monaten verschärfen. Gegen dieses unheilvolle Komplott von BRD-Imperialisten und Schah-Clique, das sehr sinnfällig den Zusammenhang zwischen der expansionistischen Politik nach außen und der weiteren Einschränkung demokratischer Rechte im Inneren demonstriert, kann nur der gemeinsame Kampf der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen in der Bundesrepublik und der persischen Volksmassen gesetzt werden."

Der AStA der PH Dortmund (vgl. 13.11.1972) berichtet vermutlich vom 7.März:"
Brandt holte sich in Persien die Zusage von größeren Öllieferungen ab. Nach nicht dementierten Pressemeldungen vom 8.März des Jahres hat die von ihm angeführte Delegation als Gegenleistung Verschärfungen des Ausländerrechts in Aussicht gestellt."

Die Conföderation Iranischer Studenten/National Union (CISNU) berichtet auf einem Kongreß gegen die Ausländergesetze in Köln (vgl. 15.11.1972):"
Als der Bundeskanzler Willy Brandt im März dieses Jahres nach Teheran kam, kam er, um über bessere Anlagebedingungen für die westdeutschen Kapitalisten zu verhandeln. Der Schah ließ durchblicken, daß er zu großen Zugeständnissen bereit sei, wenn Brandt dafür gegen die progressiven persischen Studenten in der BRD schärfer vorgehen würde. Laut Pressesprecher Konrad Ahlers verlief diese Verhandlung damals 'in freundschaftlicher und herzlicher Atmosphäre'."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.6

10.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet:"
ZWEI ARBEITER IN SPANIEN ERSCHOSSEN

Am 10.März 1972 erschoß die spanische Polizei in El Ferrol, der Geburtsstadt Francos, zwei Arbeiter während einer Demonstration. Der Faschismus in Spanien zeigt wieder seine bluttriefende Fratze. 34 Jahre lang versuchte er, die Arbeiterklasse, ihre Organisationen und ihre Kampfkraft zu zerschlagen. Es ist ihm nicht gelungen. Die Demonstrationen, Streiks und Versammlungen der spanischen Arbeiterklasse und der spanischen Studenten hören nicht auf. Das Franco-Regime, das noch 1969 mit dem Gedanken spielte, politische Gruppen 'gesetzlich' zuzulassen (die aber keine Parteien bilden sollten), setzt nur noch auf die nackte Gewalt. Die spanischen Kapitalisten und das Franco-Regime sind fest entschlossen, die demokratische Bewegung des spanischen Volkes im Blut zu ersticken.

1963 (vgl. 1963, d.Vf.) ordnete Franco an, Julian Grimai zu erschießen; er war Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei Spaniens (PCE, d.Vf.). 1965 (vgl. 1965, d.Vf.) wurden zwei Anarchisten zum Tode durch Erdrosseln verurteilt. 1966 (vgl. 1966, d.Vf.) wurde Andres Moreno Barranco erschossen. Er hatte während seiner Militärzeit Gedichte gegen das Franco-Regime geschrieben. Immer mehr richtet sich der blutige Terror gegen die spanische Arbeiterbewegung. In Granada (vgl. 21.7.1970, d.Vf.) eröffnete die Polizei das Feuer auf demonstrierende Bauarbeiter, die gegen Kurzarbeit und Entlassungen protestieren wollten. Als sich die Polizei in ihre Kasernen zurückzog, lagen auf den Straßen Granadas zwei tote Arbeiter. In Madrid, wo die Polizei ebenfalls bestialisch gegen Bauarbeiter vorging, starb ein Arbeiter. Auch Barcelona hatte seinen Trauertag. Nach Auseinandersetzungen, die mehrere Wochen andauerten, besetzten die streikenden Arbeiter von SEAT den Betrieb. Die Werksleitung holte Polizei, die das Werk räumen sollte. Zwei Arbeiter wurden dabei 'auf der Flucht' erschossen.

El Ferrol ist das vorläufige Ende dieser Mordserie des faschistischen Franco-Regimes. Seit dem Prozeß gegen sechs Angehörige der baskischen Untergrundorganisation ETA im Januar letzten Jahres (vgl. 3.12.1970, d.Vf.) ging die spanische Regierung immer härter gegen die Arbeiter vor. Aber auch der Widerstand der spanischen Arbeiter gegen die faschistischen Maßnahmen des Franco-Regimes wurde immer entschlossener. So blieb auch der Mord in El Ferrol nicht ohne Antwort. In allen Industriezentren hielten die Belegschaften Gedenkminuten ab oder führten Solidaritätsstreiks durch, um gegen den Terror zu protestieren. Vorübergehend wurde die gesamte galizische Metallindustrie lahmgelegt. In La Coruna, einer Stadt in der Nähe El Ferrols, demonstrierten 200 Marineschüler, in Madrid verbarrikadierten Studenten vorsorglich die Ausfallstraße nach La Coruna. An den Universitäten des Landes wurden ganze Fakultäten geschlossen, um Solidaritätsversammlungen der Studenten zu verhindern. Von Bilbao bis Barcelona tauchten über Nacht an Hunderten von Mauern Parolen gegen den faschistischen Überfall auf die Arbeiter in El Ferrol auf.

Was war geschehen?

Zwischen der staatlichen Schiffbaufirma Empresa Nacional Bazan, die in Cadiz, Südspanien und El Ferrol Werften betreibt, und den Werftarbeitern kam es zu Auseinandersetzungen über einen Tarifvertrag: die Arbeiter in El Ferrol forderten höhere Löhne. Die Werksleitung hoffte dem ein kurzes Ende zu bereiten und entließ vermeintliche 'Rädelsführer'. Die erhofften Ergebnisse traten nicht ein. Die Arbeiter schmissen aus Solidarität mit den Entlassenen die Klamotten hin und streikten. Da ließen die Bazan-Bosse die Werft polizeilich räumen. Am nächsten Morgen demonstrierten 3 000 Arbeiter durch die Stadt, um gegen die Schließung der Werft zu protestieren und ihre Lohnforderungen noch einmal zu bekräftigen. Unterwegs stellten sich ihnen Polizeitruppen entgegen, die blindwütig in die Menge schossen: 38 Verwundete und zwei Tote waren die Opfer dieser Bluttat.

Alle Läden, alle Büros und alle Betriebe in El Ferrol machten aus Solidarität mit den Arbeitern zu. Das Geschäftsleben, die Verbindungen mit der Außenwelt und der öffentliche Verkehr waren gelähmt. Die lokale Polizei mußte sich in die Kasernen zurückziehen und Verstärkungen aus den angrenzenden Provinzen abwarten. Zwei Kriegsschiffe ankerten vor den Werften und richtete ihre Kanonen auf die Stadt. Die Polizeitruppen riegelten sämtliche Straßen ab und erstickten den Aufstand. Trotz all dieser Terrormaßnahmen beteiligten sich über 150 Arbeiter am Begräbnis der zwei Erschossenen, die ganze Stadt trug schwarzen Trauerflor am Ärmel.

Die Ereignisse in El Ferrol zeigen, daß die staatlichen Zwangsgewerkschaften, die 'Sindicatos', die Arbeiter nicht mehr unter ihrer Kontrolle haben. Überall im Land brechen Streiks aus, kämpfen gegen die Arbeiter gegen den Willen dieser Zwangsgesellschaft um höhere Löhne. Auf der Werft in El Ferrol beteiligten sich von den 4 000 Arbeitern an den Betriebsratswahlen dieser von den Faschisten beherrschten Gewerkschaften im letzten Sommer kein einziger!

Die Ereignisse in El Ferrol zeigen weiter, daß die spanischen Arbeiter die faschistische Unterdrückung nicht fürchten, auf die soziale Demagogie nichts mehr geben, daß sie bereit sind, den Kampf gegen den Faschismus zu führen.

Die Ereignisse in El Ferrol zeigen schließlich, daß die Kämpfe der spanischen Arbeiter nicht mehr isoliert voneinander geführt werden, sondern daß sich immer stärker eine gemeinsame Kampffront herausbildet.

Die 'Neue Zürcher Zeitung' (NNZ, d.Vf.) schreibt am 14.März 1972: 'Die immer schärfere Repression (Unterdrückung) mag den äußeren Schein der Ordnung noch geraume Zeit - vielleicht auf lange Jahre - aufrechterhalten. Doch wird sie stets neue und größere Opfer fordern.' Sie vergaß hinzuzufügen, daß Unterdrückung den endgültigen Verfall des Faschismus in Spanien nicht aufhalten kann.

Solidarität mit der spanischen Arbeiterklasse!

Nieder mit dem Franco-Regime!"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.20

11.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet im Zusammenhang mit der Lehrlingsdemonstration des DBBS vom 4.3.1972 über die Gesamtschülervertretung (vgl. 4.2.1972) mit Hilfe des heutigen 'Weserkurier':"
OBERSCHÜLERVERTRETER GEGEN ARBEITERJUGEND

Die Bremer Gesamtschülervertretung (GSV) hat eine Woche nach der Lehrlingsdemonstration erklärt, ihr Verhältnis zum Dachverband Bremer Berufsschüler sei problematisch (WK 11./12.3.1972). Personell wird die Gesamtschülervertretung vornehmlich getragen von Gymnasiasten, die Mitglieder oder Sympathisanten des DKP-nahen SSB (Sozialistischer Schülerbund) sind. Diese Oberschüler nun, die sich 'Senatoren' nennen, halten die gewählte Vertretung der Arbeiterjugend an der Berufsschule 'nicht für autorisiert im Namen der Mehrzahl der Bremer Berufsschüler zu sprechen'.

Das wäre für sich genommen nicht mehr als ein schlechter Witz und ein weiterer nutzloser Versuch, die Arbeiterjugend ihrer Vormundschaft unterzuordnen. Abgegeben wurde ihre Presseerklärung allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem wegen der Lehrlingsdemonstration massive Angriffe des sozialdemokratischen Senats und der bürgerlichen Presse gegen den Dachverband der Berufsschüler vorgetragen wurden. D.h. die Herren Oberschüler nutzten den Zeitpunkt, um im Feuerschutz der bürgerlichen Presse erneut ihre Vormundschaftsansprüche über die Arbeiterjugend vorzutragen."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.4

14.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet von Brinkmann u.a. über die heutige BV:"
BRINKMANN: ZUCKERBROT UND PEITSCHE

In der letzten Zeit flattern den Arbeitern und Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik Brinkmann in verstärktem Maße sogenannte 'Informationsbriefe' ins Haus. Den Begriff 'Informationsbriefe' sollte man besser durch die Worte 'Entlassungsdrohungen' und 'Ankündigungen von Lohnrückstufungen' ersetzen. Das entspricht dem tatsächlichen Inhalt dieser Briefe. Diese Briefe kommen von der Brinkmann-Geschäftsleitung, die den Betrieb immer als einen 'sozialen', sich in vorbildlicher Weise um die Belange seiner Mitarbeiter kümmernden Betrieb bezeichnet. Unterschrieben wurden diese 'Informationsbriefe' von dem Betriebsratsvorsitzenden Folkers, der sich ständig und bei jeder Gelegenheit brüstet, ein konsequenter Interessenvertreter zu sein.

Arbeiterinnen und Arbeitern wird angekündigt, daß ihr Bonus, auch eine 'Sozialleistung' der Firma Brinkmann, gestrichen wird, wenn sie oder ihre Kinder krank werden. Kollegen werden in niedrigere Lohngruppen eingestuft mit der Begründung, sie bekämen eine leichtere Arbeit, während die Arbeitshetze ständig steigt. So wurden z.B. neue Maschinen bestell, die fast die doppelte Menge Zigaretten ausstoßen. Bis heute ist immer noch unklar, ob die Kollegen, die hinter der Maschine stehen um die fertigen Zigaretten für die Verpackung vorzubereiten, entsprechend der sich verdoppelnden Arbeit verstärkt werden. Das Schweigen der Geschäftsleitung deutet darauf hin, daß nichts dergleichen beabsichtigt wird. Das bedeutet, die Kollegen werden in Zukunft doppelt so schnell arbeiten müssen.

Die Geschäftsleitung droht den Kollegen von Brinkmann mit Entlassung mit der Begründung: 'zu häufig krank'. Wodurch werden die Kollegen aber krank? Gewiß nicht, weil die Arbeit durch Sozialleistungen' der Firma Brinkmann so ruhig und gemütlich wird. Das Gegenteil ist der Fall: immer und überall in den Fabriken werden die Arbeiter krank, kommt es zu Arbeitsunfällen, weil sich die Arbeitshetze verschärft, die Luft in den Hallen immer schlechter wird, der Maschinenlärm ständig zunimmt und die Nerven aufgerieben werden. Das alles sind gewiß keine Arbeitsbedingungen, die der Gesundheit des Arbeiters zuträglich sind. So ist es auch bei Brinkmann. Auch dieser Betrieb bildet keine Ausnahme. Werden die Arbeiter dann zu häufig krank, weil sie gezwungen sind, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, dann bekommen sie von den Kapitalisten einen Tritt, man wirft sie auf die Straße.

Und solche Maßnahmen werden von dem Betriebsrat bei Brinkmann, Folkers, ohne Wimpernzucken sanktioniert. Mit dieser Politik setzt der jetzige Betriebsrat konsequent die arbeiterfeindliche und kapitalistenfreundliche Politik seiner Vorgänger fort, die 1957 dem Rausschmiß von 600 Zigarrenarbeitern den Segen gaben (vgl. 1957, d.Vf.).

Bisher haben es Geschäftsleitung und Betriebsrat in harmonischer Zusammenarbeit immer wieder verstanden, durch kleine Zugeständnisse die Brinkmann-Arbeiter ruhig zu halten. Seit der Betriebsversammlung vom 14.März 1972 sind die ruhigen Zeiten jedoch vorbei. Die Methode 'Zuckerbrot und Peitsche' zieht nicht mehr. Schon als Folkers in den Saal trat, wurde er von Arbeiterinnen und Arbeitern der unteren Lohngruppen mit einem Hagel von Pfiffen und Buhrufen bedacht. Seine sorgfältig ausgeklügelte Rede, für deren Vorbereitung er sich mehrere Wochen Zeit genommen hatte, und in der er unter anderem ankündigte, daß die Geschäftsleitung den Bau eines Schwimmbades plane, erhielt nicht den geringsten Beifall.

Nach der Rede des Betriebsratsvorsitzenden meldete sich eine große Zahl von Kollegen zu Wort. Alle gingen auf die wirklichen Forderungen der Belegschaft ein, alle übten scharfe Kritik an der Politik des Betriebsrates. Der erste stellte die Frage, was der Betriebsrat tun wolle gegenüber der geplanten Gebührenerhöhung bei den Gehaltskonten. Er machte deutlich, daß es ja schließlich die Arbeitgeber seien, die von dieser Regelung profitieren. Auf diese Frage gab der Betriebsrat nach altbewährter Manier eine ausweichende Antwort. Aber im Gegensatz zu früheren Zeiten merkten das die Kollegen sofort. Er wurde ständig durch Pfiffe und Zwischenrufe unterbrochen. Der nächste Kollege übte direkte und massive Kritik an Folkers. Dieser sei zu nachgiebig gegenüber der Geschäftsleitung. 'Kommen jedoch Kollegen zu ihm, die Fragen stellen oder einen Wunsch haben, so werden sie mit fadenscheinigen Begründungen abgewiesen'. Scharfe Kritik auch übte er daran, daß der Betriebsrat seine Unterschrift unter die sogenannten Informationsbriefe setzt. Weiter führte er dazu aus: 'Folkers hat beispielsweise Verwarnungen unterschrieben, ohne die betreffenden Kollegen auch nur ein einziges Mal dazu anzuhören.'

Betriebsversammlungen finden nur einmal im Jahr statt. Geschäftsleitung und Betriebsrat wachen ängstlich darüber, daß diese Versammlung nicht länger als eine Stunde dauert. Auch diesen Zustand kritisierte der Kollege auf das Schärfste. Für sein konsequentes Eintreten im Interesse der Belegschaft wurde der Kollege mit stürmischem Beifall belohnt.

Der Betriebsrat versuchte, sich drehend und windend mit ausweichenden Antworten aus der Schlinge zu ziehen. Das ganze Gerede kaufte ihm jedoch niemand ab. Deutlich wurde das in den ständigen Zwischenrufen, die sein arbeiterfeindliches Gestammel unterbrachen.

Danach meldete sich eine Arbeiterin aus dem Maschinensaal zu Wort. Sie sagte, daß man anstelle eines Schwimmbades lieber einen Kindergarten bauen solle. Ein Kindergarten sei für die Frauen viel nützlicher, während man das Schwimmbad in den kurzen Pausen doch kaum benutzen könne. Danach ging sie noch einmal auf die Drohbriefe der Geschäftsleitung ein. Sie sagte: 'Auch ich habe eine Verwarnung wegen Fehlhäufigkeit bekommen, und niemand hat mir die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Uch habe neben meiner Arbeit in der Fabrik noch zwei Kinder zu versorgen, und es bleibt mir oft nichts anderes übrig, als mich krankschreiben zu lassen.'

Es meldeten sich noch viele Kollegen zu Wort, die alle die Forderungen der Belegschaft klar und ohne Umschweife formulierten. Ein Kollege ging noch einmal auf die Sache mit der Betriebsversammlung ein. Er wollte wissen, warum immer nur eine Betriebsversammlung im Jahr stattfindet. Seines Wissens sollten es doch laut BVG vier im Jahr sein. Folkers unverschämte Antwort darauf war: 'In den letzten 20 Jahren hat es immer nur eine Betriebsversammlung im Jahr gegeben.'

Es wird allerhöchste Zeit, daß Betriebsräte, die den Forderungen der Belegschaft solche Antworten geben, abgesetzt werden. Die 20 Jahre, die Arbeiter und Arbeiterinnen von Brinkmann sich von solchen Leuten zertreten ließen, sind endgültig vorbei. Das hat ie Betriebsversammlung in der Zigarettenfabrik deutlich gezeigt. Der nächste und entscheiden Schritt sind die Betriebsrastwahlen (BRW - vgl. **.*.1972, d.Vf.).

Hier muß es heißen: Keine Stimme für Folkers und die Klassenversöhnler, die sich wieder selbst auf die Listen gesetzt haben. Konsequente Arbeitervertreter in den Betriebsrat."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.16

14.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet u.a. von heute:"
KAPITALISTISCHE JUSTIZ: KORRUPTION LEGAL!

Bürgerliche Ideologen wiederholen immer neu die Behauptung, unsere 'freiheitlich-demokratische Grundordnung' (FdGO, d.Vf.) sei gekennzeichnet durch die Teilung der Gewalten im Staatsapparat. Besonderes Gewicht legen sie dabei auf die 'Unabhängigkeit der Justiz' von der Regierung. Verboten wurde die KPD 1956 (vgl. 17.8.1956, d.Vf.) unter anderem deswegen, weil sie dieser Behauptung die Auffassung des wissenschaftlichen Sozialismus entgegenstellte, daß Regierung, Parlament und Gerichte nur arbeitsteilig die politischen Geschäfte der Kapitalistenklasse bei der Niederhaltung der Arbeiterklasse erfüllen und deswegen der gesamte bürgerliche Staatsapparat gestürzt werden muß. Und arbeitsteilig wurde die Partei, die diese Auffassung vertrat, vom kapitalistischen Staat verboten: Die Regierung stellte den Verbotsantrag gegen die KPD, das Bundesverfassungsgericht (BVG, d.Vf.) stimmt ihm zu.

In Hamburg wurde nun in den letzten Wochen ein Fall bekannt, der in das innere Getriebe des kapitalistischen Staatsapparates, insbesondere in das innere Getriebe der Justiz einen Blick werfen läßt. Der Oberstaatsanwalt von Below erschoß sich Anfang Januar (vgl. 1.1.1972, d.Vf.), nachdem sich die Gerüchte verdichtet hatten, daß er jahrelang sich an Bußgeldern bereichert habe. Das Verfahren, das er angewandt hatte, war einfach. Fälle von Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität, die den kapitalistischen Schiebern nach offiziellen Schätzungen jährlich etwa 13 Milliarden DM einbringen, ließ er sich von dem eingeweihten Justizsekretär Hans Detlev Böe vorlegen. Während kleine Ladendiebe und Einbrecher in Westdeutschland aufgrund der geltenden Klassengesetze zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden, besteht in Fällen von Großkriminalität der kapitalistischen Herrenkaste die durch Gesetze gedeckte Gepflogenheit, die Verfahren entweder aus Mangel an Beweisen für eine BetrugsABSICHT niederzuschlagen oder aber einzustellen, weil 'kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht'. Man arrangiert sich dann mit einer Bußgeldzahlung für wohltätige Vereine, die nicht als Strafe gilt und dem Täter den größten Teil seiner kriminellen Sonderprofite beläßt.

An der Wohltätigkeit nun haben von Below und mit ihm mindestens dreizehn prominente Angehörige der Hamburger Justiz Gefallen gefunden. Er stellte solche Fälle, die nach kräftigem Bußgeld rochen, 'mangels öffentlichem Interesse' ein und ließ sich von seinem ebenfalls eingeweihten Amtsrichterkollegen Friedrich Arland die Einstellungsverfügung bestätigen. Die eingetriebenen Bußgelder streute er an verschiedene 'gemeinnützige' Vereine, vor allem aber an den 'Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr', dessen Hamburger Vorsitzender er war. Dieser Verein nun lud Hamburger Richter und Staatsanwälte zu gut honorierten Vorträgen ein. Die Gelder dazu stammten aus den Bußzahlungen. Allein im Jahre 1971 kassierten: von Below 31 000 DM, Amtsrichter Arland 10 000 DM, Obersekretär Böe 20 000, Amtsgerichtsrat Schmalz 20 000 DM, Amtsgerichtsrat Thamm 20 000 DM. Laut 'Stern' vom 26.3.1972 werden die Namen von 40 weiteren Begünstigten, darunter Polizeibeamten, vorläufig noch verschwiegen.

Aber das war nicht die einzige Quelle, die den Korruptionssumpf speiste. Ebenfalls mit Bußgeldern versorgt wurde das 'verkehrswirtschaftliche Seminar' in Hamburg, das bei Richtern und Staatsanwälten beliebt ist wegen der billig arrangierten Reisen in alle Welt. Welchen Charakter diese 'Studien'-Reisen hatten, darüber gibt die Bemerkung eines Mitglieds über seine letzte Japanreise Auskunft, an der auch von Below teilgenommen hatte: 'Der Teilnehmerkreis unterschied sich insofern von dem der früheren Reisen, als dieses Mal auch 31 Ehefrauen mitkommen konnten.' Und über eine Südamerika-Tour berichtet einer der schmierigen Justiz-Honoratioren: 'Eindrucksvoll war zu Ehren der Gäste die Vorführung von 100 jungen Mädchen im Alter von 8 - 12 Jahren.'

Als mit dem Selbstmord von Belows, der ganz offenbar die Nerven verloren hatte, die 'unabhängige' Justiz schmutztriefend dastand, sah sich der sozialdemokratische Justizsenator Heinsen veranlaßt, eine Untersuchung des Falles einzuleiten. Als Ermittlungsbeamte setzte er ein: drei Hamburger Staatsanwälte! Diese haben inzwischen ihre Untersuchung abgeschlossen und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: 'Die Honorare, die Hamburger Richter und Staatsanwälte im vergangenen Jahr für ihre Vortragstätigkeit vom 'Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr' bezogen haben, sind disziplinar- und strafrechtlich nicht zu beanstanden. Wie die Justizbehörde der Hansestadt am Dienstag ferner mitteilte, haben Nachprüfungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Richter und Staatsanwälte durch diese Honorare veranlaßt wurden, dem 'Bund' Geldbußen zuzuführen.' (Frankfurter Rundschau (FR, d.Vf.), 16.3.1972).

Die ermittelnden Staatsanwälte bescheinigen also, daß die Korruption des Oberstaatsanwalts von Below und seiner Kumpane durchaus legal war, daß sie mit den Buchstaben des Gesetzes übereinstimmt. Sie stellen zugleich klar, wem diese Gesetze und dieser 'Rechtsstaat' dienen. Die vom Bundestag erlassenen Gesetze erlauben es, daß jährlich Milliardenwerte, die von der Arbeiterklasse geschaffen wurden, von kapitalistischen Schiebern über die 'normale' Ausbeutung hinaus angeeignet werden. Die Hamburger Rechtsexperten sind weiter der Meinung, daß es nicht verboten ist, wenn ihre Beamten an den Schiebereien, die sie decken, mitprofitieren. Die Arbeitsteilung zwischen den bezahlten Agenten der Kapitalisten im Bundestag, welche die Gesetze machen und den korrupten Staatsanwälten und Richtern, die sie auslegen, klappt vorzüglich. Für alle fällt dabei etwas ab: für die Bundestagsabgeordneten ein Beratervertrag, für die 'unabhängige' Justiz Bußgelder. Was dabei herauskommen muß und täglich herauskommt, haben die Verbände und Zeitungen der Kapitalisten offen ausgesprochen. So forderte die 'Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels' von den Justizministern: 'Der Ladendiebstahl muß entsprechend seinem kriminellen Unrechtsgehalt schnell und eindrucksvoll geahndet werden.' Bei Steuerhinterziehungen hingegen, an denen die Kapitalisten zusätzliche Milliarden verdienen, müsse nach Meinung des 'Handelsblatts' (HB, d.Vf.) vor der 'konsequenten Ausdehnung rechtsstaatlichen Denkens' gewarnt werden, denn diese Steuerhinterziehungen kämen 'oft nicht zuletzt dem Arbeitnehmer und der Sicherung seines Arbeitsplatzes im Betrieb zugute.' (nach Spiegel, 2.8.1971).

Bezieht der eine seine Korruptionsgelder im Namen von Wohltätigkeitsvereinen, so wollen die anderen ihre Schiebereien mit den Interessen der Arbeiter decken, die sie berauben.

Was heißt da noch 'Gleichheit vor dem Gesetz', 'Selbständigkeit der Justiz' und 'Freiheit des Richters'? - In Wirklichkeit bedeuten diese Phrasen nichts anderes als die Freiheit des Parlaments, solche Gesetzte zu erlassen, welche die Ausplünderung der Werktätigen in jeder Form legalisieren, und die Freiheit der Richter bedeutet, das Eigentum der kapitalistischen Herren zu schützen und sich an ihren Gaunereien zu beteiligen. Von diesem Schmarotzerunwesen, das sich mit Titeln und Verdienstorden schmückt, das jede Möglichkeit ausnutzt, um gegen Arbeiter, die das Eigentumsrecht der Kapitalisten verletzen, schwere Strafen zu verhängen, das den Reichtum verzehrt, den die Arbeiter geschaffen haben und das sich geilen Auges die Töchter der Arbeiterklasse 'vorführen' läßt, von diesem Geschmeiß muß die Arbeiterklasse sich befreien. Sie kann das nur, sie kann den Sumpf der kapitalistichen Korruption nur trockenlegen, wenn sie die gesamte kapitalistische Staatsmaschinerie zerbricht und ihre Arbeitermacht aufrichtet. MIT dieser kapitalistischen Maschine, MIT diesen Richtern, Staatsanwälten, Abgeordneten, Offizieren und hohen Beamten kann sie ihre Macht NICHT ausüben. Sie muß sich ihre eigenen Machtorgane aufbauen, die sie mit ihren eigenen Leuten besetzt und die sie unter ständiger Kontrolle hält, um damit ihre Diktatur über die Kapitalisten und ihren Anhang auszuüben."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.20

24.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet:"
DKP: DIE UNENTBEHRLICHEN

In der Ausgabe der DKP-Zeitung 'UZ' vom 24.3.1972 fand sich auf der ersten Seite folgende bemerkenswerte Meldung:
'UNENTBEHRLICH

Frankfurt. UZ. - Auf die DKP-Funktionäre könnten die Gewerkschaften nicht mehr verzichten, 'sie haben sich im Bewußtsein vieler Arbeitnehmer längst unentbehrlich gemacht.' Das schreibt die 'Frankfurter Rundschau' (FR, d.Vf.) zu den gegenwärtigen Betriebsratswahlen (BRW, d.Vf.) Wenn führende DGB-Funktionäre Splittergruppen und Sektierern eine klare Absage erteilten, sei die DKP damit nicht gemeint, das habe der Vorsitzende der IG Druck und Papier (DruPa, d.Vf.), Leonhard Mahlein, ausdrücklich betont.'

Eine bürgerliche Zeitung wie die 'Frankfurter Rundschau' bescheinigt also der DKP ihre Unentbehrlichkeit in den Gewerkschaften. Und der DKP, die nicht müde wird zu betonen, sie sei die Partei der Arbeiterklasse, ist dieses Lob aus dem Munde der Bourgeoisie keineswegs peinlich. Im Gegenteil, sie brüstet sich damit und bucht es als Erfolg in ihrem Kampf um Anerkennung durch die bürgerliche Demokratie. Eine kommunistische Partei, die sich von der Bourgeoisie und ihren Knechten in Gewerkschaftsvorständen Unentbehrlichkeit bescheinigen läßt, eine solch Partei mag für die Kapitalisten vielleicht einmal unentbehrlich werden, wenn es der SPD nicht mehr gelingt, die Arbeiter vom selbständigen Kampf abzuhalten, für die Arbeiterklasse aber ist sie nicht nur höchst entbehrlich, sondern schädlich."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.8

30.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet von der Vorbereitung des 1.Mai in Bremen (vgl. März 1972):"
Der Ortsjugendausschuß der HBV hat eine Resolution an seinen Ortsvorstand verfaßt, in der er sich scharf gegen die Zusammenarbeit zwischen Gewerschaftsführung und Polizei wendet. Wir drucken im folgenden diese Resolution ab und fordern alle gewerkschaftlichen Gremien in Bremen auf, diese Resolution zu diskutieren und sich ihr anzuschließen."

In der Resolution heißt es:"
RESOLUTION DER HBV-JUGEND

Liebe Kollegen,
die HBV-Jugend protestiert schärfstens gegen die für die Mai-Demonstration vorgesehenen Disziplinierungsmaßnahmen des Mai-Ausschusses. Die Aufstellung von gewerkschaftlichen Funkstreifen, die eine direkte Verbindung zur Polizei haben, und das Teilnahmeverbot für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder sind für jeden Werktätigen eine Provokation. Es handelt sich hier um Angriffe, die sich gegen alle konsequenten Arbeiter und Angestellten richten. Dies ist auch im Zusammenhang mit der machtvollen Mai-Demonstration im letzten Jahr zu sehen. Bekanntlich demonstrierten 12 000 Kolleginnen und Kollegen und erteilten der Vermögensbildungsdemagogie des sozialdemokratischen Ministers Ehmke (SPD, d.Vf.) eine lautstarke Absage.

Die Verbindung der Funkstreifen mit der Polizei zeigt uns, wieweit die Gewerkschaftsführung bereit ist, zusammen mit den staatlichen Machtorganen gegen Arbeiter und Angestellte vorzugehen.

Die Tendenz der gewaltsamen Bekämpfung konsequenter Gewerkschafter, die in der Chemie-Tarifrunde (CTR der CPK - vgl. 3.7.1971, d.Vf.) angedeutet wurde, setzt sich hier verstärkt fort. Wir müssen erkennen, daß dieser Staat nicht unser Staat ist, sondern auf der Seite des Großkapitals steht.

Diese in Bremen geplanten Maßnahmen unterstützen die Kampagne der herrschenden Klasse, die demokratischen Rechte der Arbeiter und Angestellten weiter abzubauen, um die Verwertungsbedingungen des Kapitals zu sichern; damit arbeitet man objektiv in ihrem Interesse. Diesen Maßnahmen kann nur durch Organisation und Solidarität begegnet werden.

Wir fordern Euch auf, gegen die Maßnahmen Stellung zu nehmen.

Bremen, den 30.März 1972"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.5

31.03.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet:"
SIEG IM VOLKSKRIEG!

Der gemeinsame Kampf des vietnamesischen, kambodschanischen und laotischen Volkes für nationale Unabhängigkeit und Freiheit gegen den US-Imperialismus ist in sein entscheidendes Stadium getreten. Die Offensive, die die Befreiungsstreitkräfte am 31.März eingeleitet haben, läßt keinen Zweifel daran, daß alle Versuche, die Völker Indochinas zu unterjochen, vergeblich waren.

Die Einheiten der Nationalen Befreiungsfront Südvietnams gehen an drei Fronten zum Angriff über. In den nördlichen Provinzen des Landes kam es zu schweren Panzer- und Artilleriegefechten nahe der Stadt Dong Ha und bei Hue. Den südvietnamesischen Marionettentruppen, die in den letzten Tagen um 15 000 zusätzliche 'Elite'-Soldaten verstärkt worden waren, ist es nicht gelungen, die Offensive zu stoppen. Im Gegenteil: Diese Truppen lösen sich auf. Ganze Einheiten gehen auf die Seite des Volkes über oder flüchten in heilloser Verwirrung. Das Kommando der Befreiungsstreitkräfte hat die südvietnamesischen Streitkräfte aufgefordert, sich der Situation bewußt zu werden und unverzüglich die Waffen zu strecken.

An der zweiten Front im Zentralen Hochland wird die Stadt Kontum hart umkämpft. Nördlich der Hauptstadt Saigon haben die Befreiungsstreitkräfte die dritte Front errichtet. Bei An Loc, 110 km von Saigon entfernt, kam es zu schweren Kämpfen. Die Truppen der Befreiungsfront rücken langsam, aber stetig auf die Hauptstadt vor. Die militärische Situation läßt sich mit einem Wort umschreiben: Der Vormarsch ist nicht aufzuhalten.

200 Milliarden Dollar haben die US-Imperialisten im Vietnamkrieg ausgegeben. Über 500 000 amerikanische GIs haben die unaufhaltsam auf die US-Imperialisten zukommende Niederlage nicht abwenden können. Bombardierungen der Demokratischen Republik Vietnam (DRV, d.Vf.) - ohne Erfolg; Kambodscha-Einmarsch - keine Wende; Laos-Invasion - die südvietnamesischen Marionettentruppen werden davongejagt.

Aus seinen Niederlagen hat der US-Imperialismus die 'Vietnamisierungspolitik' entwickelt: südvietnamesische Truppen, amerikanische Waffen. Daß auch diese Politik gescheitert ist, wird jetzt offenbar. Der Sieg der vietnamesischen Revolution ist nicht aufzuhalten."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S.1

03.04.1972:
Der KB Bremen gibt vermutlich in dieser Woche die Nr. 3 seiner 'Wahrheit' (vgl. 1.3.1972, 16.5.1972) mit 20 Seiten DIN A3 im Verlag Wahrheit unter Verantwortung von Michael Tilgner und gedruckt bei der Stelter KG, Bremen, heraus.

Man befaßt sich mit den Jugendvertreterwahlen (JVW - vgl. 1.5.1972, 30.6.1972), mit der Nr. 24 des 'Spartacus' der KJO Spartacus (vgl. Nov. 1971), mit der 'UZ' der DKP (vgl. 24.3.1972), mit den Arbeitsunfällen (vgl. 3.4.1972) und den werktätigen Frauen (vgl. 3.4.1972). Veröffentlicht wird eine "Gemeinsame Erklärung" verschiedener Zirkel (vgl. 4.3.1972), geworben für die 'Geschichte der KPdSU(B)' von Sinowjew (vgl. März 1972).

Aus Baden-Württemberg wird berichtet mit Hilfe der 'Arbeiterzeitung' (AZ) Nr. 3 (vgl. 27.3.1972) der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg über die Maivorbereitungen des DGB Mannheim (vgl. 1.5.1972). Geworben wird für das 'Neue Rote Forum' (NRF - vgl. 27.12.1971, Feb. 1972) der KG(NRF) Mannheim-Heidelberg, welches auch im eigenen Politischen Buch, Fedelhören 10, erhältlich ist.

Aus Berlin wird berichtet von den Fahrpreiserhöhungen (vgl. 29.2.1972).

Aus Bremen wird berichtet über den 1.Mai 1971, die Berufsschülerdemonstration (vgl. 4.3.1972), die Gesamtschülervertretung (GSV - vgl. 4.2.1972, 11.3.1972), über die Vorbereitung des 1.Mai (vgl. März 1972, 26.4.1972), u.a. durch die HBV-Jugend (vgl. 30.3.1972), aus dem NGG-Bereich von Brinkmann (vgl. 14.3.1972) sowie aus dem IGM-Bereich von Nordmende (vgl. März 1972) und von der AG Weser (vgl. März 1972).

Aus Hamburg wird berichtet über Korruption in der Justiz (vgl. 1.1.1972, 14.3.1972).

Aus Niedersachsen wird berichtet aus Delmenhorst von vier eigenen, zur KJO Spartacus (vgl. Dez. 1971) übergetretenen Genossen und deren Kritik am KBB (vgl. Jan. 1972).

Aus dem Ausland wird berichtet aus Vietnam (vgl. 31.3.1972), vom Besuch Willy Brandts (SPD) im Iran (vgl. 5.3.1972), vom Mord an Pierre Overney in Frankreich (vgl. 25.2.1972), von der Chinaberichterstattung der KPdSU (vgl. 11.2.1972), vom Besuch Nixons (USA) in der VR China (vgl. 24.2.1972), über den Moskauer Vertrag mit der SU (vgl. 12.8.1970), von der Ostpolitik (vgl. 3.4.1972) und aus Spanien (vgl. 24.1.1972, 10.3.1972).

Das ZK des Kommunistischen Bundes Bremen veröffentlicht als Leitartikel seinen:"
AUFRUF ZUM 1.MAI

Der große Feiertag der Arbeiter der ganzen Welt steht bevor. In allen Ländern der Welt feiern am 1.Mai die klassenbewußten Arbeiter ihren Zusammenschluß zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Mit den deutschen Arbeitern werden die englischen (britischen, d.Vf.) und französischen, die italienischen und amerikanischen sich zu großen legalen Demonstrationen zusammenfinden und für ihre Ziele eintreten. In einer Front mit ihnen stehen die Arbeiter in den faschistischen Diktaturen, in Spanien, in Portugal und Griechenland, die auch in diesem Jahr wieder gegen den Polizeiterror ihre Demonstrationen und Kundgebungen durchführen werden. In brüderlicher Solidarität mit den Arbeitern der kapitalistischen Länder werden die Arbeiter in China und Albanien, in Korea und Kuba ihren Sieg über die kapitalistischen Herren feiern. Und Millionen von Arbeitern werden in der Sowjetunion (SU, d.Vf.), in Polen, in Ungarn, in der DDR zu Demonstrationen und Kundgebungen zusammenströmen.

Die Losungen, unter denen das internationale Proletariat marschiert, sind unterschiedlich. Darin drücken sich nur die unterschiedlichen Bedingungen des Kampfs in den verschiedenen Ländern aus, sondern auch die Spaltung und Zerrissenheit in der internationalen Arbeiterbewegung. Aber bei aller Auseinandersetzung um die richtige Politik der Arbeiterklasse, bei aller nationalen und politischen Zersplitterung des internationalen Proletariats:
Der 1.Mai ist der von der ganzen Arbeiterbewegung begangene große Feiertag des Weltproletariats. Am 1.Mai ziehen die Arbeiter aller Länder Bilanz über die Kämpfe des vergangenen Jahres, mustern sie ihre Reihen und bestimmen die nächsten Schritte im Kampf gegen materielle Not, gegen politische Unterdrückung, für Freiheit, Arbeitermacht und Sozialismus.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die Maifeiern 1972 unter die Losung gestellt: 'Für eine bessere Welt!' Wir müssen fragen: Besser für wen? - Zwei Welten stehen heute einander gegenüber: die Welt des Kapitals und die Welt der Arbeit, die Welt der Ausbeutung und Unterdrückung und die Welt der Solidarität und der Freiheit. Auf der einen Seite - ein Häuflein reicher Schmarotzer. Sie haben Fabriken und Werke, Arbeitsgeräte und Maschinen an sich gerissen. Sie nennen riesige Konzerne ihr Privateigentum und saugen ihre Profite aus dem Blut und dem Schweiß der Arbeiter und der unterdrückten Völker in der ganzen kapitalistischen Welt. Der Staat mit seiner Armee und Polizei ist ihr Diener, ist der treue Wächter des von ihnen angehäuften Reichtums.

Auf der anderen Seite - Millionen, die nichts besitzen als die Kraft ihrer Arme, die Geschicklichkeit ihrer Hände und die Fähigkeit ihres Kopfes. Sie müssen bei den Kapitalisten um Erlaubnis bitten, für sie arbeiten zu dürfen. Sie schaffen durch ihre Arbeit alle Reichtümer, selber aber plagen sie sich ihr ganzes Leben lang für Nahrung, Kleidung und Wohnung ab. In den Krisen der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie heute in den USA und England herrschen und in ersten Anzeichen auch in Westdeutschland zu Tage treten, betteln sie um Arbeit wie um Almosen. Täglich werden sie gezwungen, ihre Kraft und Gesundheit durch übermäßige Arbeit auszuhöhlen.

In Ausbeuter und Ausgebeutete, Unterdrücker und Unterdrückte sind alle Länder der kapitalistischen Welt gespalten. Darum stehen die englischen Arbeiter, die eben in gewaltigen Streiks gegen die kapitalistische Lohnpolitik der Regierung aufgetreten sind, auf derselben Seite wie die westdeutschen Arbeiter, die ihre Reallöhne gegen die Angriffe 'ihrer' Kapitalisten verteidigen müssen. - Mit ihnen in einer Front stehen die spanischen Klassengenossen, die in Streiks und Demonstrationen für die Freiheit ihrer Arbeiterorganisationen eintreten und gegen den Franco-Faschismus sich erheben. - Auf einer Seite mit den westdeutschen Arbeitern steht die irische Arbeiterklasse, die als Vorhut des ganzen Volkes sich im blutigen Kampf für nationale Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus befindet. - Und auf derselben Seite stehen die indochinesischen Völker, die seit Jahrzehnten den bewaffneten Kampf um ihre nationale Unabhängigkeit führen und die gegenwärtig die Vorhut bilden in dem weltweiten Kampf, der unter der Losung geführt wird: 'Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt Euch!'

Der Imperialismus tritt überall als Unterdrücker der Völker auf, in Afrika, in Lateinamerika, in Asien, um die Rohstoffe und billige Arbeitskräfte auszubeuten.

Deshalb ist der Befreiungskampf der ausgebeuteten Völker Teil des internationalen Klassenkampfes gegen den Imperialismus.

Es ist die Aufgabe der Kommunisten, der Arbeiterklasse klarzumachen, daß die national organisierten Kämpfe sich gegen den gleichen Gegner richten, gegen die Kapitalistenklasse; daß der Kampf der spanischen Arbeiter, des irischen Volkes, der indochinesischen Völker auch ihr Kampf ist, den sie mit allen Kräften unterstützen müssen.

FREIHEIT FÜR DIE SPANISCHEN ARBEITERORGANISATIONEN! NIEDER MIT DEM FRANCO-FASCHISMUS!

FÜR DEN SIEG DER INDOCHINESISCHEN VÖLKER GEGEN DEN US-IMPERIALISMUS!

FÜR DIE SOLIDARITÄT DER ENGLISCHEN UND DEUTSCHEN ARBEITRKLASSE IM KAMPF GEGEN LOHNABBAU UND MASSENENTLASSUNGEN!

ES LEBE DER KAMPF DER IRISCHEN ARBEITERKLASSE UND DES GANZEN IRISCHEN VOLKES FÜR NATIONALE UNABHÄNGIGKEIT, DEMOKRATIE UND SOZIALISMUS!

DER GEWERKSCHAFTLICHE KAMPF DER WESTDEUTSCHEN ARBEITERKLASSE IM LETZTEN JAHR UND SEINE NÄCHSTEN ZIELE

In den Maidemonstrationen der letzten Jahre hat die westdeutsche Arbeiterklasse gezeigt, daß sie es wieder lernt, für die eigenen Klasseninteressen Partei zu ergreifen. Entgegen den ständig von sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern verbreiteten Einschätzungen, daß die Maifeiern tot seien, weil immer weniger Kollegen bereit wären zu demonstrieren, sind seit 1969 von Jahr zu Jahr mehr Kollegen auf die Straße gegangen. Und von Jahr zu Jahr sind die Parolen, die sie auf Transparenten mitführten, bewußter und kämpferischer geworden. Eine wichtige und vorwärtstreibende Rolle hat dabei die westdeutsche Arbeiterjugend gespielt. Zum 1.Mai 1970 ging sie auf die Straße mit Losungen, die den kämpferischen Charakter des 1.Mai betonten. Noch wurde die Parole 'Der 1.Mai ist Kampftag!' abstrakt der Propagierung einer klassenversöhnlerischen Politik entgegengestellt.

Aber schon zum 1.Mai 1971 trugen die fortgeschrittensten Arbeiter Transparente, auf denen die Forderungen für die nächsten Schritte des Kampfes formuliert waren: Gegen das arbeiterfeindliche Betriebsverfassungsgesetz (BVG - vgl. 19.1.1972, d.Vf.), gegen die Friedenspflicht für die Betriebsräte, gegen Lohnleitlinien und konzertierte Aktion, für freie politische und gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb.

Trotz dieses in den Maidemonstrationen und Kundgebungen zu Tage tretenden Wachstums der Stärke, der Bewußtheit und Kampfbereitschaft der westdeutschen Arbeiterklasse, haben die westdeutschen Arbeiter und Angestellten in den Kämpfen des letzten Jahres eine Niederlage erlitten. Gegen nur schwachen Widerstand hat der kapitalistische Staat das 'neue' Betriebsverfassungsgesetz erlassen können und versucht nun unter sozialdemokratischer Führung, es den Arbeitern als Reform zu verkaufen. So einschneidend die Bestimmungen des Gesetzes für die Verschlechterung der betrieblichen Kampfpositionen auch sind, so war doch nicht zu erwarten, daß die westdeutschen Arbeiter und Angestellten in kürzester Frist die Kraft entwickeln könnten, die reaktionäre Gesetzesvorlage vom Tisch zu wischen. Nur ein kleiner Teil der Arbeiterklasse hat bisher die Auseinandersetzung um dieses Gesetz geführt, seinen Klassencharakter erkannt und den Kampf dagegen organisiert. Ihre Aufgabe wird es sein, diesen Kampf weiter zu führen und in den Betrieben die Voraussetzungen zu schaffen, daß die Betriebsräte zu Kampforganen der Belegschaften werden. Das Gesetz der Kapitalisten aushöhlen, um es schließlich zu brechen, das muß ihre Losung sein.

Aber auch in den Lohnkämpfen des Jahres 1971/1972 haben sich die Kapitalisten gegen die westdeutschen Arbeiter und Angestellten durchsetzen können. Auf einer Ebene also, wo die Arbeiter 1969 und 1970 Erfolge im Kampf erzielen konnten. Die erreichten Tarifabschlüsse 1971 von - übers Jahr gerechnet 6 - 7% - bedeuten bei offiziell angegebenen Preissteigerungen von 6%, bei zusätzlichen Steuer- und Gebührenerhöhungen und einer täglich gesteigerten Intensivierung der Arbeit eine Senkung des Lohnniveaus der westdeutschen Arbeiterklasse. Die Schärfe, mit der die entscheidenden Tarifrunden in der Chemie-, Metall- und Stahlindustrie (CTR der CPK und MTR bzw. STR der IGM, d.Vf.) geführt wurden, hatte ihre Ursache zum einen in der Entschlossenheit der Kapitalisten, offensiv vorzugehen und Lohnabbau durchzusetzen. Zum anderen war in den Kämpfen der letzten Jahre bei den Arbeitern ihre Bereitschaft herangereift, ihre Interessen im Kampf durchzusetzen.

Die Ursache für die verschärften Angriffe der Kapitalistenklasse ist der verschärfte Konkurrenzkampf der internationalen Kapitale. Um in diesem Konkurrenzkampf bestehen zu können, sieht sich die westdeutsche Kapitalistenklasse zu nehmend gezwungen, ihre Profite auf Kosten des erreichten Reallohns der westdeutschen Arbeiterklasse sicherzustellen und möglichst zu steigern. Der in der Wiederaufbauphase des westdeutschen Imperialismus vorhandene Spielraum für Kompromisse schwindet immer mehr. Damit aber verschwindet der soziale Kitt, die Schmierseife, mit der seit Mitte der fünfziger Jahre das offene Aufeinanderprallen der Klassenfronten abgeschwächt werden konnte.

Die Kapitalistenklasse hat in den letzten Tarifrunden mit Hilfe ihrer Unternehmerorganisationen den Kampf um Lohnsenkung politisch härter geführt als in den letzten Jahren: Sie richtete Unterstützungsfonds für Produktionsausfälle bei Streiks ein; sie entfaltete eine breite Propaganda in Fernsehen, Rundfunk und Presse. Auf den Metallarbeiterstreik in Baden-Württemberg konnten sie mit einer nahezu lückenlos durchgeführten Aussperrung und mit gezielten Betriebsstillegungen in anderen Bereichen antworten. Während der Verhandlungen traten sie mit provokativ niedrigen Angeboten auf und waren in der Lage, ein Ausscheren einzelner Betriebe aus der Kapitalistenfront fast ausnahmslos zu verhindern.

Gegen diese einheitliche und feste Front stand eine Arbeiterklasse, die - nach langen Jahren fast kampflos errungener Lohnzugeständnisse - erst seit 1969 wieder die Erfahrung von Arbeitskämpfen zurückgewinnt. Unter dem propagandistischen Trommelfeuer der bürgerlichen Presse, von Fernsehen und Rundfunk, die fest auf seiten der Bourgeoisie stehen; geführt von sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionären, die den Kampf nicht wollten; unter einer sozialdemokratischen Bundesregierung, die sie an die Fessel der Lohnleitlinien zu legen versucht, mußten die westdeutschen Arbeiter in den Kampf zur Verteidigung ihrer Löhne gehen.

Der dreiwöchige Metallarbeiterstreik in Baden-Württemberg, die kürzeren Streiks in der chemischen Industrie im September ((vgl. 3.7.1971, d.Vf.) die ersten seit fünfzig Jahren), zahlreiche Warnstreiks in allen Branchen, Protestdemonstrationen gegen Werksstillegungen: All diese Aktionen zeigen die wachsende Klarheit der westdeutschen Arbeiter darüber, daß sie ihr Lebensniveau nur durch Kampf verteidigen können.

Wenn die westdeutsche Arbeiterklasse dennoch einen Abbau ihrer Reallöhne hat hinnehmen müssen, so liegt ein wesentlicher Grund dafür in der Politik ihrer Organisationen, der Gewerkschaften. Deren sozialdemokratische Führungen, eng verschmolzen mit dem kapitalistischen Staatsapparat und auf das von den Kapitalisten diktierte 'gesamtwirtschaftliche Interesse' eingeschworen, organisierten die Niederlage der Arbeiterklasse. Von vornherein steuerten sie auf einen Abschluß zu, der in Höhe der Schillerschen Lohnleitlinien lag und wandten alle Mühe auf, weitergehende Forderungen aus den Betrieben abzuwürgen. Der von ihnen angestrebte Lohnleitlinien-Pakt mit den Kapitalisten wurde von diesen jedoch ausgeschlagen. Diese fühlten sich stark genug, die Abschlüsse noch weiter zu drücken, und sie konnten ihr Ziel auf dem Umweg über eine längere Laufzeit erreichen. Die Politik dieser sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer ist dabei so offen auf den Pakt mit den Kapitalisten und ihrem Staat aus, daß sie selbst bereit sind, die erreichten Reallöhne der Arbeiter als Morgengabe darin einzubringen. Zum Streik war die IG-Metall-Führung erst dann bereit, als die auftrumpfenden Metallkapitalisten mit provokativ niedrigen Angeboten und der Ablehnung aller noch so kärglichen Schlichtungssprüche, das Vertrauen der Gewerkschaftsmitglieder in ihre Führungen nachhaltig zu erschüttern drohte. Aber auch dann noch haben sie den Kampf auf einen Bezirk beschränkt und selbst dort nur schwerpunktmäßig streiken lassen. Die gesammelte Kraft der westdeutschen Metallarbeiter wurde nicht mobilisiert.

Aus diesen Erfahrungen muß der Schluß gezogen werden, daß die klassenbewußten Arbeiter den Kampf aufnehmen müssen gegen die sozialdemokratische Linie der Klassenversöhnung in den Gewerkschaften, FÜR DIE GEWERKSCHAFTEN ALS KAMPFORGANISATIONEN DER ARBEITERKLASSE. Wenn dieser Kampf nicht geführt wird, wenn de fortschrittlichen Arbeiter und Angestellten nicht daran gehen, starke und kampfbereite Vertrauenskörper (VLK, d.Vf.) schaffen, bei den Betriebsratswahlen (BRW, d.Vf.) die klassenbewußten Kollegen zu wählen und den entscheidenden Kampf um jedes Stück innergewerkschaftlicher Demokratie zu führen, dann wird die Arbeiterklasse auch in den Tarifrunden des kommenden Jahres auf die Lohnleitlinien festgenagelt werden; dann wird die konzertierte Aktion zwischen den Kapitalisten, der Bundesregierung und den Gewerkschaftsführungen beim Abbau der Reallöhne neue Triumphe feiern. Darum darf es im kommenden Jahr keine Verzögerung bei der Vorbereitung der Tarifrunden geben. Aus den Erfahrungen des letzten Jahres zu lernen heißt, frühzeitig Forderungen in den Betrieben aufstellen und diese breit zu diskutieren, damit Nacht-und-Nebel-Abschlüsse der Vorstände erschwert werden. Es heißt weiter, deutlich zu machen, daß sich die Lohnforderungen der Arbeiter nicht nach dem Wohlergehen der kapitalistischen Konjunktur richten dürfen, sondern einzig nach den Interessen der Arbeiter und nach der Stärke, die sie zur Durchsetzung ihrer Forderungen entwickeln können. Und es heißt zum dritten, gegen die Zersplitterung der Kampfkraft nach Bezirken die Taktik der überbetrieblichen Warnstreiks zu setzen. Wenn die Kapitalistenverbände in Baden-Württemberg durch niedrige Angebote zu Warnstreiks provozieren, so brauchen die Arbeiter in Bremen nicht zu warten, bis sie von 'ihren' Kapitalisten ebenso provoziert werden, sondern können sich sofort mit ihren Kollegen in anderen Bezirken verbinden.

Im Hinblick auf die anstehenden Tarifrunden werden wir am 1.Mai die Losungen propagieren:

KAMPF DEM ABBAU DER REALLÖHNE!
RAUS AUS DER KONZERTIERTEN AKTION!
WEG MIT DEN LOHNLEITLINIEN!

Kämpfe zur Verteidigung ihres wirtschaftlichen Lebensniveaus werden die westdeutschen Arbeiter im kommenden Jahr aber nicht bis zu den Tarifrunden hinausschieben können. Schon heute werden die Vorgabezeiten gekürzt, die Löhne durch ständige Umbesetzungen gedrückt; die Arbeitshetze wird größer. Die Angst um den Arbeitsplatz führt dazu, daß kranke Kollegen sich nicht auskurieren. Zugleich steigen die Unfallquoten. Auf der AG Weser (IGM-Bereich - vgl. März 1972, d.Vf.) fielen in sechs Monaten sieben Kollegen dem mörderischen Arbeitstempo zum Opfer (einschließlich Wegeunfälle), jeden Monat erleiden 80 Kollegen Arbeitsunfälle. Ihren sinkenden Profitraten suchen die Kapitalisten zu begegnen durch Rationalisierung auf den Knochen der Arbeiter. Gegen diese ständigen Angriffe der Kapitalisten werden sich die Arbeiter der einzelnen Betriebe in dauernden Kleinkämpfen zur Wehr setzen müssen. Hier besonders brauchen sie einen Betriebsrat, der ihnen in den Abwehrkämpfen zur Seite steht und nicht mit der Geschäftsleitung gemeinsame Sache macht.

Kapitalistische Krise und Rationalisierung bedeuten für die Arbeiterklasse zugleich: Betriebsstillegungen, Kurzarbeit und Massenentlassungen. Während die Ausbeutung des in Arbeit befindlichen Teils des Proletariats verschärft wird, wird ein anderer Teil aus dem Produktionsprozeß ausgestoßen und muß von Arbeitslosen- und Kurzarbeitsgeld leben.

Im letzten Jahr haben die Arbeiter zunehmend den Kampf gegen den Verlust ihrer Arbeitsplätze und gegen die Vernichtung von Produktionsmitteln aufgenommen. Bei aller Entschlossenheit, mit der dieser Kampf geführt wird, können die Arbeiter im Kapitalismus Stillegungen aber nicht dauerhaft verhindern. Solange sie nicht die kapitalistische Produktionsweise insgesamt bekämpfen, kämpfen sie nur gegen die Auswirkungen eines Übels und nicht gegen das Übel der ständig von Krisen geschüttelten Profitwirtschaft selbst. Aber im ständigen Kampf gegen die Auswirkung der kapitalistischen Rationalisierung auf die Arbeiter kann die Arbeiterklasse die Folgen für ihre Lebensbedingungen mildern, und sie gewinnt die Kraft, um ihre große Aufgabe, um den Kampf um den Sozialismus angehen zu können. Darum gilt es, diesen Kampf im kommenden Jahr fester zu organisieren und auch die Arbeiter nicht unmittelbar betroffener Betriebe in die Front gegen Stillegungen und Massenentlassungen einzubeziehen. Nur bei breiter solidarischer Unterstützung werden von Entlassung bedrohte Arbeiter ihre Übergangsforderungen nach Umschulung bei vollem Lohn, Lohnfortzahlung für ein weiteres Jahr, Beschaffung neuer Arbeitsplätze durchsetzen können. Nur im breiten Kampf aller Arbeiter wird der ständigen Verschärfung der Akkordhetze in den einzelnen Betrieben wirkungsvoll begegnet werden können.

GEGEN PRÄMIEN- UND AKKORDHETZE! FÜR DIE ERHÖHUNG DER STUNDENLÖHNE!
GEGEN KURZARBEIT, ENTLASSUNGEN UND STILLEGUNGEN DIE EINHEITLICHE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE!

Die Kapitalisten haben im vergangenen Jahr nicht nur den Angriff auf das wirtschaftliche Lebensniveau der Arbeiterklasse vorgetragen, den sie im kommenden Jahr fortsetzen müssen. Als erfahrene Klassenkämpfer wissen sie, daß der Abbau der Reallöhne ohne Kämpfe nicht durchsetzbar ist. Auf diese Kämpfe und auf die Sicherung des westdeutschen Imperialismus in den Stürmen des nächsten Jahrzehnts bereiten sie sich politisch vor durch den weiteren Ausbau des staatlichen Unterdrückungsapparates und durch die Beseitigung demokratischer Rechte, die ihre Bewegungsfreiheit beim Schlag gegen die Arbeiterklasse und deren Organisationen behindern könnten. Deshalb die Zentralisierung und militärische Ausrüstung der Polizei, deshalb das Zur-Schau-Stellen ihrer bewaffneten Macht in den Städten bei allen nur denkbaren Anlässen, deshalb das Bundesgrenzschutzgesetz (BGS - vgl. 22.6.1972, d.Vf.), wonach diese militärisch ausgerüstete Freiwilligentruppe nun auch legal als Bürgerkriegsarmee eingesetzt werden kann. In diesen Maßnahmen wird das unter demokratischer Hülle verborgene Wesen des bundesrepublikanischen Staates erkennbar: Bewaffnete Diktatur der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse zu sein.

Maßnahmen zur Stärkung und Sicherung der staatlichen Gewaltmaschine, ihre Anpassung an die wechselnden Bedingungen des Klassenkampfes sind das ständige Geschäft aller kapitalistischen Regierungen. Für die westdeutsche Kapitalistenklasse und ihren Staat erhalten diese Maßnahmen aktuell besondere Bedeutung durch das ständige Anwachsen der antimilitaristischen Bewegung in der Jugend. Von Monat zu Monat steigt die Zahl der Kriegsdienstverweigerer (KDV, d.Vf.) und die wehrpflichtigen Soldaten in den Kasernen widersetzen sich immer entschlossener militärischem Drill und politischer Indoktrinisierung. Ihre 'Disziplinlosigkeit' ist Gegenstand ständiger Klage bei den Truppenkommandeuren und sorgenvoller Beratungen im Bundestag. Vorläufig ist diese Bewegung noch spontan, aber heute schon erkennt die westdeutsche Bourgeoisie die Gefahr die ihr entsteht, wenn die Arbeiterjugend und die Jugend andrer Schichten unseres Volkes nicht mehr bereit ist, sich gegen ihre Klasse bewaffnen zu lassen oder gar die Waffen im eigenen Interesse anwendet. Darum die Anstrengungen, militaristische Propaganda in Schulen und Berufsschulen zu tragen (WKE, d.Vf.). Darum der Versuch, sich in Polizei und Bundesgrenzschutz bürgerkriegsgeübte Freiwilligentruppen aufzubauen. Der Ausbau des bewaffneten Arms der Bourgeoisie richtet sich gegen die gesamte Arbeiterschaft. Darum ist der antimilitaristische Kampf, den Teile der Arbeiterjugend heute aufgenommen haben, eine Sache der ganzen Klasse. Sein Ziel kann nicht sein Demokratisierung der Armee, sein Ziel ist die Aushöhlung und schließliche Zerschlagung der bewaffneten Macht der Kapitalistenklasse. Darum stellen wir die Parole auf:

KAMPF DEM MILITARISMUS! KAMPF DEM POLIZEITERROR!

Die Kapitalisten sind sich bewußt, daß sie Klassenkämpfe in den nächsten Jahren nicht durch Zugeständnisse werden verhindern können. Aber sie wissen zugleich, daß die Arbeiterklasse in ihren Kämpfen nur siegen kann, wenn sie sich organisiert und zum bewußten Kampf zusammenschließt. Darum gilt ihr konzentrierter Haß den Arbeiterorganisationen, die sie in jedem ihrer selbständigen Schritte zu behindern suchen. Zwei Taktiken werden dazu gleichzeitig angewandt: Die ideologische, politische und organisatorische Bindung der Arbeiterorganisationen an die Interessen der Bourgeoisie und ihre Einrichtungen, insbesondere an den bürgerlichen Staat. Und zum anderen der Einsatz des bürgerlichen Staates mit seinen Gesetzen, seiner Justiz und Polizei gegen die Arbeiterorganisationen bis zu ihrem Verbot und ihrer versuchten Zerschlagung. Haupthebel der Kapitalistenklasse bei der Anwendung der ersten Taktik ist die Sozialdemokratie mit ihrem Einfluß auf die Gewerkschaftsführungen und einen großen Teil des gewerkschaftlichen Funktionärskörpers. Aber völlig können sich die Kapitalisten des Erfolgs dieser Taktik niemals sicher sein. Selbst wenn die Gewerkschaften beherrscht sind von der Politik der Klassenzusammenarbeit, selbst wenn sie über ihre sozialdemokratischen Funktionäre mit tausend Fesseln auch organisatorisch an den bürgerlichen Staat gebunden sind, bis zur direkten Zusammenarbeit von Verfassungsschutz (VS, d.Vf.) und Gewerkschaftsfunktionären gegen fortschrittliche Kollegen, selbst wenn die Sozialdemokraten über die Gewerkschaften unentwegt bürgerliche Ideologie in die Arbeiterklasse tragen, selbst dann bleibt die Tatsache bestehen, daß in den Gewerkschaften Millionen von Arbeitern organisiert sind, deren Interessen denen der Kapitalisten unversöhnlich gegenüberstehen. Darum bleiben die Kapitalisten auch gegenüber gezähmten Gewerkschaften mißtrauisch, darum behalten sie sich auch gegenüber den Gewerkschaften die Anwendung ihrer zweiten Taktik vor: Dieselben sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer, die sie in der konzertierten Aktion an ihren Verhandlungstisch locken, bekommen von ihnen einen Tritt, wenn sie unerwünscht in den Betrieben auftauchen wollen. Das neue Betriebsverfassungsgesetz stellt ihnen nach wie vor alle Mittel bereit, um den Gewerkschaftsvertretern den Zutritt zum Betrieb zu verweigern.

Die Kapitalistenklasse führt so gleichzeitig den Kampf um die politische Beherrschung der Gewerkschaften und den Kampf gegen die Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiterklasse. Ihr wütendster Haß aber gilt denjenigen Organisationen der Arbeiterklasse, die den Kampf gegen die bürgerliche Linie in den Gewerkschaften aufnehmen, die den Sturz der Kapitalistenherrschaft und den Aufbau des Sozialismus propagieren. Ihr wütendster Haß gilt den Kommunisten. Um jeden Preis wollen sie verhindern, daß in der Arbeiterklasse offen die Auseinandersetzung um die richtige Linie in der Arbeiterbewegung geführt wird. Darum haben sie von willfährigen Richtern 1956 (vgl. 17.8.1956, d.Vf.) das KPD-Verbot aussprechen lassen und halten es bis heute als ständige Drohung aufrecht, darum fordern sie das Verbot der DKP, darum halten sie Verfassungsschutz und politische Polizei (PoPo - K14, d.Vf.) ständig in Aktion, um die Tätigkeit der kommunistischen Gruppen zu verfolgen, darum haben sie im neuen BVG wiederum das Verbot parteipolitischer Betätigung im Betrieb durchgesetzt, darum werden die Arbeiter, die im Interesse ihrer Klasse handeln, entlassen und auf schwarze Listen gesetzt.

Im Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte steht die westdeutsche Arbeiterklasse nicht allein. Mit ihr kämpfen fortschrittliche Beamte und Lehrer, die sich des politischen Berufsverbots im öffentlichen Dienst (BV im ÖD, d.Vf.) zu erwehren haben, mit ihr kämpfen große Teile der Studenten, die sich dagegen stemmen, daß ihre Ausbildung an den Hochschulen im Interesse des Kapitals reglementiert und politisch zensiert wird. Die Arbeiterklasse muß den Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte führen, um sich ihre gewerkschaftliche und politische Betätigungs- und Organisierungsfreiheit ständig neu zu sichern. Sie muß den Kampf um die demokratischen Rechte des Volkes führen, um sich innerhalb des kapitalistischen Staates zusammenzuschließen und organisieren zu können für den Sturz der Ausbeuterordnung und des Staates, der sie schützt. Dabei wird sie jede Bewegung anderer Klassen unseres Volkes, die sich gegen den Abbau demokratischer Rechte wendet, unterstützen. Ja mehr noch, sie wird in diesem Kampf allen anderen Klassen unseres Volks vorangehen. Weil sie als einzige Klasse keine Privilegien zu verlieren hat, kann allein die Arbeiterklasse den Kampf um die Demokratie konsequent und ohne Hintergedanken führen, bis zur breitesten Demokratie für die Massen in der sozialistischen Räterepublik.

Die Arbeiterklasse führt gegenwärtig Abwehrkämpfe gegen die Bourgeoisie zur Verteidigung der Rechte des Volkes innerhalb des bürgerlichen Staates. Und diese demokratischen Abwehrkämpfe werden heute keineswegs von der gesamten Klasse getragen, sondern wesentlich von der Arbeiterjugend, die in diesen Kämpfen als Vorhut ihrer Klasse auftritt. Am 1.Mai haben wir die Aufgabe, die nächsten Schritte im demokratischen Kampf gegen den kapitalistischen Staat in der Arbeiterklasse zu propagieren.

FÜR FREIE POLITISCHE UND GEWERKSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG IN BETRIEBEN UND BEHÖRDEN, IN SCHULEN, HOCHSCHULEN UND IN DER ARMEE!
WEG MIT DER FRIEDENSPFLICHT FÜR DIE BETRIEBSRÄTE!
SCHLUSS MIT DEN POLTISCHEN ENTLASSUNGEN!
VOLLE POLITISCHE ORGANISATIONSFREIHEIT FÜR DIE ARBEITERKLASSE!
FÜR DIE AUFHEBUNG DES KPD-VERBOTS!

In den Kämpfen zur Verteidigung der demokratischen Rechte des Volkes wird die westdeutsche Arbeiterklasse die Kraft schöpfen für den schließlichen Sturz der Kapitalistenherrschaft und die Errichtung der Arbeitermacht.

Noch sind es einzelne fortschrittliche Arbeiter, die die Notwendigkeit der politischen Organisation der Klasse begreifen, die erkennen, daß die Lage der Arbeiterklasse grundsätzlich nur geändert werden kann, wenn sie sich parteimäßig gegen die Kapitalisten und ihre Ausbeuterordnung stellt. Es ist aber im Interesse der gesamten Klasse, wenn die fortschrittlichsten Arbeiter sich heute zu politischen Organisationen zusammenschließen, die versuchen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus den Kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten auf eine höhere und bewußtere Stufe zu heben. Im Interesse der gesamten Klasse ist es, wenn diese Arbeiter die Auseinandersetzung um den Aufbau der revolutionären kommunistischen Partei in Westdeutschland führen, welche für unser ganzes Land die Kämpfe der Arbeiterklasse zusammenfassen und vorwärtstreiben kann. Darum rufen wir am 1.Mai nicht nur dazu auf, den gewerkschaftlichen Kampf und den demokratischen Kampf um die Rechte der Volksmassen entschiedener zu führen, wir fordern zugleich die Arbeiter auf, welche die Notwendigkeit einer selbständigen, organisierten Klassenpolitik erkannt haben, sich zu kommunistischen Zirkeln und Organisationen zusammenzuschließen und den Kampf für die revolutionäre kommunistische Partei der westdeutschen Arbeiterklasse aufzunehmen.

Gegen den verschärften Lohnabbau, gegen den wachsenden Polizeiterror, gegen die Verfolgung von Kommunisten und Demokraten gilt es, den Kampf immer fester und einheitlicher zu organisieren.

Am 1.Mai wird die Arbeiterklasse ihre Stärke und ihre Kampfentschlossenheit demonstrieren. Den politischen und ökonomischen Angriffen der herrschenden Klasse wird sie in Demonstrationen und auf Kundgebungen in allen Ländern der Welt ihre Macht entgegensetzen.

GEGEN DIE ANGRIFFE DER KAPITALISTENKLASSE DIE EINHEITLICHE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE!"

Enthalten ist auch auf den beiden Mittelseiten ein vermutlich für Wandzeitungen gedachtes Foto-Blatt, auf dem unter der großen Überschrift "Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt euch!" Fotos mit folgenden Beschreibungen zu finden sind:
- "Das vietnamesische Volk konnte unter der Führung der provisorischen Revolutionsregierung (PRR, d.Vf.) die Pläne des US-Imperialismus zur 'Vietnamisierung' des Krieges, d.h. zur Stärkung des Marionettenregimes zunichte machen. Mit seinem jahrzehntelangen Kampf um nationale Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus ist es an die Spitze der revolutionären Bewegung in der ganzen Welt geraten."
- "In den Massendemonstrationen, Barrikadenkämpfen und bewaffneten Einzelaktionen führt der katholische, am meisten ausgebeutete Teil des irischen Proletariats seinen Kampf für nationale Unabhängigkeit vom englischen (britischen, d.Vf.) Imperialismus, für Demokratie und Sozialismus in ganz Irland."
- "280 000 englische Bergarbeiter konnten mit einer glänzenden Streiktaktik und machtvollen Demonstrationen die Lohnstop-Politik des kapitalistischen Staates zerbrechen."
- "Die französischen Arbeiter haben mit Betriebsbesetzungen bei Renault und in anderen Werken auf die Verschärfung der kapitalistischen Widersprüche und die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen geantwortet. Hunderttausende von ihnen solidarisierten sich mit dem Protest gegen die Ermordung des Genossen Overney durch die Werkspolizei."
- "Bolivianische Grubenarbeiter setzten sich mit Dynamitpatronen gegen einen von den USA inszenierten Militärputsch zur Wehr. Ihre zeitweilige Niederlage wird sie lehren, daß sie ihre Lage nur verbessern und ihre Organisationen nur verteidigen können, wenn sie sich bewaffnen."
- "Die Völker Afrikas erwachen. Frelimokämpfer in Mozambique bringen der von Westdeutschland unterstützten portugiesischen Kolonialmacht immer neue Niederlagen bei."
- "Die Völker von Laos und Kambodscha haben den bewaffneten Kampf gegen den Überfall des US-Imperialismus auf ihre Länder und gegen die mit den USA paktierenden einheimischen Marionetten aufgenommen. Kambodscha ist bis auf die größeren Städte befreit, in Laos wurde die Ebene der Tonkrüge von der Volksbefreiungsarmee zurückerobert."
- "In der ganzen Welt treten die Frauen in die Politik. Afrikanische Frauen, die in der alten Stammes- und Kolonialgesellschaft wie Tiere gehalten wurden, demonstrieren in Tansania für ihre Rechte und für den Befreiungskampf der unterdrückten Völker gegen den Imperialismus."
- "Zum ersten Mal ist das schwarze Proletariat Afrikas in den Kampf gegen seine kapitalistischen Ausbeuter getreten: Ovamboarbeiter streikten in Namibia gegen die Sklavenhändlermethoden der südafrikanische (azanischen, d.Vf.) Kapitalisten."
- "Die italienische Arbeiterklasse führt seit Jahren den Kampf gegen Verschärfung der Akkordhetze, für höhere Stundenlöhne und kürzere Arbeitszeit. Sie lernt gegenwärtig nach den Betriebsbesetzungen vom Herbst 1969, daß sie ihre Kraft gegen den kapitalistischen Staat richten muß, wenn sie sich der bezahlten faschistischen Schlägertrupps erwehren will."
- "Alle Macht kommt aus den Gewehrläufen! Diese Lehre hat das Volk von Angola beherzigt und den bewaffneten Kampf gegen die portugiesischen Kolonialherren aufgenommen."

Geschildert wird auch:"
DER KAMPF DER WERKTÄTIGEN FRAUEN

Die werktätigen Frauen in unserem Land haben im vergangenen Jahr ihr Haupt erhoben. Sie haben verstärkt am ökonomischen Abwehrkampf der Arbeiterklasse in allen Teilen der großen Industrie teilgenommen und sie haben in vielen Städten der Bundesrepublik, ohne Rückhalt in den bürgerlichen Parteien, zahllose Versammlungen und Demonstrationen für die Abschaffung des reaktionären Abtreibungsparagraphen durchgeführt. Sie haben in diesen Aktionen eine solchen Mut und eine so hohe Kampfbereitschaft gezeigt, daß es ihnen gelungen ist, in wenigen Monaten viele tausende von Frauen und Männern zu einer großen Massenbewegung zusammenzuschmieden im Kampf gegen die reaktionäre und faschistische Ideologie der bürgerlichen Herren von der Justiz, der schwarzen Kirchenmänner und der hohen Herren im weißen Kittel, die auf dem Elend der Frauenmassen sich ihre Luxusvillen errichten.

Die Ursache für den vielfältigen Aufbruch der werktätigen Frauen in der Bundesrepublik liegt in der Stellung der Frauen in der kapitalistischen Klassengesellschaft. Von dem Augenblick an, wo die Frau im vergangenen Jahrhundert mit Beginn des Kapitalismus aus ihrer dumpfen Haussklaverei in der Familie heraustrat und an der gesellschaftlichen Produktion teilnahm, von diesem Augenblick an bekam sie ihre jahrtausendelange Rechtlosigkeit im öffentlichen Leben und ihre Isolierung von der Gesellschaft auf das brutalste zu spüren. Die kapitalistische Produktionsweise stürzte die alte Arbeitsteilung in der Familie der Bauern und der Handwerker völlig um. Die industrielle Massenproduktion von Konsumgütern drückte der alten Hauswirtschaft der Frauen den Stempel der Unproduktivität und der Rückständigkeit auf. Massenhaft strömten die Frauen des sich bildenden Proletariats und zu Anfang auch ihre Kinder in die Fabriken. Indem die große Industrie 'alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwerte daher seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in vier Arbeitskräfte z.B. parzellierten Familie kostet (den Kapitalisten) vielleicht mehr als früher der Ankauf der Arbeitskraft des Familienoberhauptes, aber dafür treten vier Arbeitstage an die Stelle von einem… Vier müssen nun nicht nur Arbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit eine Familie LEBE.' (Marx, Das Kapital, I. Band, S.414). Wirft also der Kapitalismus gleich zu Anfang die große Masse der Frauen wie die Männer in den gleichen Zustand des Proletariers, so ist doch die Lage der Proletarierin ungleich elender als die des Proletariers. Denn von Anfang an gesteht der Kapitalist den Frauen der Arbeiterklasse das Recht auf Arbeit nicht zu. Bis hinein in das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957 entlarvt die Kapitalistenklasse, welchen Nutzen sie immer neu aus der Jahrtausende alten Unterjochung der Frauen zieht. In diesem Gleichberechtigungsgesetz steht ausdrücklich drin: 'Es gehört zu den Funktionen des Mannes, daß er grundsätzlich der Erhalter und Ernährer der Familie ist, während es die Frau als ihre vornehmste Aufgabe ansehen muß, das Herz der Familie zu sein'. Diese Ideologie von der patriarchalischen Stellung des Mannes, die im totalen Widerspruch steht zum tatsächlichen Verhältnis der Frauen und Männer des Proletariats, versucht die Kapitalistenklasse geschickt sich dienstbar zu machen. Einerseits erlaubt der Paragraph 1 356 des arbeiterfeindlichen Gleichberechtigungsgesetzes den Frauen nur solange eine Erwerbstätigkeit, als dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist. Andererseits verpflichtet der Paragraph 1 360 der Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB, d.Vf.) die Frauen zur Arbeit, wenn der Verdienst des Mannes zum Unterhalt der Familie nicht ausreicht. Beide Paragraphen des frauen- und arbeiterfeindlichen Gleichberechtigungsgesetzes zementieren mit der patriarchalischen Stellung des Mannes gegenüber der Frau zugleich auch die Stellung der Arbeitskraft der Frauen in der Reservearmee der Kapitalisten, ihre Stellung als am meisten ausgebeutete Lohnarbeiter des Proletariats.

DIE FRAUEN SIND DIE BILLIGSTEN LOHNSKLAVEN

Etwa 30% aller Arbeiter sind Frauen. Ebenso hoch ist ihr Anteil an den Angestellten. 20% dieser Arbeiterinnen und anderen werktätigen Frauen verdienen monatlich weniger als 300 Mark, 70% verdienen weniger als 600 Mark, während die Männer der werktätigen Schichten durchschnittlich zwischen 800 Mark und 1 200 Mark im Monat nach Hause bringen (Frankfurter Rundschau (FR, d.Vf.) 7.3.1972). Das bedeutet, daß eine Arbeiterin, vor allem wenn sie Kinder hat, sich nur mit Hilfe ihres Mannes ernähren kann. Hat sie keinen Mann, so steht sie am Rande des Hungers.

90% aller Arbeiterinnen haben keine oder nur eine Anlernausbildung, genauso sieht es für die weiblichen Angestellten aus, die die unteren Positionen der Bürobetriebe ausfüllen. 60% der Arbeiterinnen arbeiten im Akkord. Fast 10% aller dieser Arbeiterinnen unter 30 Jahren sind kreislaufkrank. Das ist ein mehr als doppelt so hoher Anteil an Kreislauferkrankungen als bei den Arbeitern derselben Altersgruppe (Sozialenquete der Bundesregierung). Die großen nervlichen und psychischen Anspannungen, die die immer größere Rationalisierung gerade der Frauenarbeitsplätze mit sich bringt, untergräbt die Gesundheit der Frauen der Arbeiterklasse. Viele landen mit 30 Jahren in den sogenannten Schlafwagenabteilungen der großen Betriebe, weil sie rundum ausgepowert sind. Hier arbeiten sie dann den Rest ihres Lebens für den miesesten Stundenlohn.

Die Frau - das Herz der Familie - ist in Wahrheit der am meisten geschundene und billigste Lohnsklave in unserer Gesellschaft, aus dessen Knochen die Kapitalistenklasse Jahr für Jahr 7, 8 Milliarden Extraprofite herausholt, indem diesen Lohnsklaven die Lohngleichheit mit den anderen männlichen Lohnarbeitern verweigert wird.

Obwohl das Bundesarbeitsgericht (BAG - vgl. 1955, d.Vf.) im Rahmen der Entwicklung des sogenannten Gleichberechtigungsgesetzes bereits 1955 Frauenlohngruppen und Frauenabschlagsklauseln in Tarifverträgen verboten hat, verstehe es fast alle Kapitalisten bis heute in großem Maßstab die Lohngleichheit zu umgehen. An die Stelle der früheren Frauenlohngruppen sind die sogenannten Leichtlohngruppen getreten, die an Tätigkeitsmerkmale wie körperlich leichte Arbeit gebunden sind. Diese Merkmale werden aber fast ausschließlich auf Frauenarbeit angewendet.

'JAHR DER ARBEITNEHMERINNEN' BEGINNT MIT EINEM VERRAT

Die Fessel der Leichtlohngruppen, die die Frauen der Arbeiterklasse häufig bis an den Rand des ökonomischen Ruins bringt, muß gesprengt werden.

Der Aufschwung der Bewegung der werktätigen Frauen im vergangenen Jahr hat deshalb die Losung WEG MIT DEN LEICHTLOHNGRUPPEN an ihre Fahnen geheftet. In der Lohnrunde der Metaller (MTR der IGM, d.Vf.) im letzten Herbst waren der Druck und die Bereitschaft in den Betrieben sehr groß, den Kampf gegen die Leichtlohngruppen zusammen mit dem Kampf um die Erhöhung der Tariflöhne aufzunehmen. Für das Tarifgebiet Unterweser stand dieser Kampf auch schon deshalb ins Haus, weil im Herbst gleichzeitig mit dem Lohntarifvertrag der Lohnrahmentarifvertrag abgelaufen war, in dem die Leichtlohngruppen zementiert sind: Im Herbst wurde die Kampfbereitschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter, endlich Maßnahmen gegen die Leichtlohngruppen zu eröffnen, von der Gewerkschaftsspitze abgewiegelt. Wir können nicht gleichzeitig höheren Lohn und die Abschaffung der Leichtlohngruppen durchsetzen, denn dann werden die Kapitalisten unsere eine Forderung gegen die andere ausspielen, so war die Rede der Gewerkschaftsführung im Herbst. Und dies hat vielen Kollegen zunächst mal eingeleuchtet. Nun aber sind viele Monte vergangen, und auch in Hamburg ist seit Dezember (vgl. Dez. 1971, d.Vf.) der Lohnrahmentarifvertrag ausgelaufen, in beiden Gebieten herrscht tarifloser Zustand - und nichts geschieht. So jedenfalls sieht es für Kolleginnen und Kollegen aus, die nicht in der Tarifkommission der IG Metall für das Gebiet Unterweser sitzen.

Der Kampf der werktätigen Frauen in unserem Land ist der Gewerkschaftsführung nicht verborgen geblieben. Sie tarnt sich als Vorkämpferin für die Verbesserung der Lage der Frauen und erklärt das Jahr 1972 zum 'Jahr der Arbeitnehmerin'. Aber was geschieht wirklich? Kaum noch hat die Propaganda für das 'Jahr der Arbeitnehmerin' mit großem Getöse begonnen, da sind hinter dem Rücken der Arbeiterklasse die Würfel über den Kampf gegen die Leichtlohngruppen schon gefallen. Die Gewerkschaftsspitze hat sich mit den Kapitalisten geeinigt, daß der Kampf gegen die Leichtlohngruppen das ganze 'Jahr der Arbeitnehmerin', nämlich bis zum 31.Dezember 1972 NICHT geführt wird (jedenfalls im Tarifgebiet Unterweser). Abermals wird der Kampf verschoben um ein ganzes Jahr. Nur die große taktische Gebärde vom Herbst versteht die Gewerkschaftsführung nicht mehr zu entwickeln, um diese neuerliche Vertagung des Kampfes zu begründen. Deshalb konnten auch nur wenige Eingeweihte auf einem nüchternen Flugblatt erfahren, was die IG-Metallführung für diese Vertagung des Kampfes eingehandelt hat: Für den Verzicht auf den Kampf um die Abschaffung der Leichtlohngruppen erklären sich die Kapitalisten bereit, die Leistungszulage der Stundenlöhnerinnen bis 1974 stufenweise von 14 auf 20% zu erhöhen. DAS ist der Tropfen auf den heißen Stein, den die Gewerkschaft verständlicherweise nicht zu propagieren wagt. Im Gegensatz zu den Führungen der IG Metall werden wir uns nicht scheuen, diesen Verrat am Kampf der Arbeiterklasse den Arbeitermassen bekanntzugeben. Wir werden uns nicht scheuen, es lauthals zu entlarven, daß das Jahr der Arbeitnehmerin mit einem Verrat durch die Gewerkschaftsführung eingeläutet wurde, und daß nur der Kampf dieser Heuchelei ein Ende setzen kann. Deshalb fassen wir den Kampf der Arbeiterinnen und an ihrer Seite den Kampf aller männlichen Kollegen zum diesjährigen 1.Mai erneut unter der Losung zusammen:

WEG MIT DEN LEICHTLOHNGRUPPEN

GLEICHER LOHN FÜR MÄNNER UND FRAUEN

Indem die Gewerkschaftsführung die abermalige Vertagung des Kampfes gegen die Leichtlohngruppen nicht zu begründen weiß, zeigt sie, daß in ihren Köpfen sich die reaktionäre Ideologie der Bourgeoisie von der Minderwertigkeit der Frauen und ihrer Arbeitskraft immer neu durchsetzt. 'Das alte Herrenrecht lebt versteckt weiter' (Lenin), auch in den Köpfen der Gewerkschaftsspitze, die mit einem kurzen Kuhhandel die Einheit der Arbeiterklasse leichtfertig aufs Spiel setzt. Die bewußten Frauen und Männer der Arbeiterklasse wissen, daß die Ideologie von der Vorherrschaft des Mannes mit dem Kampf der Arbeiterklasse und mit ihren Zielen unvereinbar ist, daß diese Ideologie die Einheit der Klasse spaltet, und daß sie die Kampfkraft der gesamten Klasse schwächt. Nur wenn diese gefährliche Ideologie der Bourgeoisie in all ihren Erscheinungsformen offensiv bekämpft wird, wird die besonders scharfe Unterdrückung der werktätigen Frauen in unserer Gesellschaft ihren besonderen heroischen Kampfgeist entwickeln, den sie in allen Revolutionen gezeigt haben. Deshalb, sagt Lenin, schließt unsere Arbeit unter den Frauenmassen 'ein großes Stück Erziehungsarbeit unter den Männern in sich ein. Wir müssen den alten Herrenstandpunkt bis zur letzten, feinsten Wurzel ausrotten - in der Partei und bei den Massen'.

DIE HERRENIDEOLOGIE MUSS MIT STUMPF UND STIL AUSGEROTTET WERDEN

Die Bewegung der werktätigen Frauen gegen den Paragraphen 218 in unserem Land hat ihre Hauptstoßrichtung hin auf die Befreiung der Massen, insbesondere der Frauen aus den Fesseln der bürgerlichen Ideologie von der Überlegenheit des Mannes und von seiner von daher begründeten Vorherrschaft und Privilegierung in allen gesellschaftlichen Bereichen. In diesem Kampf der Aktionsgruppen 218, die sich in mehr als 50 Städten der Bundesrepublik gebildet haben, geht es um mehr als um die Streichung eines unmenschlichen Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch: hier wird an den Grundfesten der bürgerlichen Weltanschauung gerüttelt. Denn genauso wie im Jahre 1931 (vgl. 1931, d.Vf.), in der ersten großen Massenbewegung gegen den Paragraphen 218 unter Führung der Kommunistischen Partei, die hunderttausende von arbeitenden Menschen auf die Beine brachte, ringen die Weltanschauungen der beiden Hauptklassen unserer Gesellschaft miteinander. Damals wie heute wird die Forderung nach Gleichberechtigung der Frauen von der Bourgeoisie und ihren Lakaien in den Bischofskonferenzen, in den erlesenen wissenschaftlich-medizinischen Gremien, in der Drechselwerkstatt der Klassenjustiz und in den Redaktionsstuben der bürgerlichen Zeitungsschreiber als 'falsche Freiheit', als 'Verderbnis des weiblichen Empfindens und der Mutterwürde' demagogisch niedergemacht, was nur umso klarer die Hilflosigkeit der parasitären Bourgeoisie enthüllt. Heute wie damals greifen die werktätigen Frauen mit ihrer Forderung nach der Abschaffung des Paragraphen 218 mitten hinein in das verlotterte Chaos von reaktionären und faschistischen Ideologien, das die Bourgeoisie als untergehende Klasse einzig und allein noch zu produzieren vermag.

Die Existenz und die Anwendung des Paragraphen 218 zeigt besonders deutlich die entrechtete Lage der werktätigen Frauen in allen ihren Seiten auf. Die schwangere Frau ist der Willkür der Kapitalistenherrschaft wie kaum einer der Unterdrückten ausgeliefert. Bringt sie das Kind zur Welt, so kann sie es nicht ernähren, wenn sie schon zwei oder drei hat. Bringt sie das Kind zur Welt, so fällt der Akkordlohn in den letzten Monaten der Schwangerschaft weg, oder sie kann keine Überstunden mehr machen, und sie steht nach der Entbindung in der Gefahr, daß sie ihren Arbeitsplatz verliert oder einen schlechteren bekommt, wenn sie aus dem Krankenhaus zurückkehrt. Entscheidet sich die Frau, das Kind nicht zur Welt zu bringen, weil sie nicht weiß, wie sie dieses Kind auch noch hochbekommen soll, so setzt sie auf den Küchentischen der Kurpfuscher ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben aufs Spiel, denn sie kann keinen Tausender auf den Tisch eines ausgebildeten Arztes blättern. Diese Lage zeigt deutlich: die Frau hat in unserer Gesellschaft keine Möglichkeit, menschenwürdig mit ihren Kindern zu leben und zu arbeiten. Deshalb muß der Kampf der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frauen am 1.Mai unter die Losung gestellt werden:

ERSATZLOSE STREICHUNG DES PARAGRAPHEN 218!

DEN KAMPF DER FRAUEN STARK MACHEN!

Der Kampf der Frauen in unserem Land hat einen großen Aufschwung genommen - viele großartige Kämpferinnen für die Sache der Frauen und für die Sache der Arbeiterklasse sind gewonnen worden, und in vielen Orten schreitet die Organisierung der Frauen voran.

Dieser Aufschwung der Frauenbewegung darf uns aber nicht hinwegtäuschen über die Schwächen, die die Frauenbewegung im augenblicklichen Stadium des Kampfes noch zeigt. Wir müssen uns diese Schwächen klar vor Augen führen, um sie überwinden zu können.

Die noch sehr junge Frauenbewegung in der Bundesrepublik ist gespalten in den ökonomischen Kampf um die Lohngleichheit, den die Gewerkschaftsführung ständig zu knebeln und abzuwiegeln versucht, und in den ideologischen Kampf der Aktionsgruppen gegen den Paragraphen 218, der eine starke organisierende Kraft bisher noch nicht entfalten konnte, weil er noch nicht verbunden ist mit dem politischen Kampf der Arbeiterklasse.

Wohl haben die in den Gewerkschaften organisierten Frauen auf der DGB-Frauenkonferenz im Juni 1971 (vgl. 11.6.1971, d.Vf.) mit überwältigender Mehrheit für die Abschaffung des Paragraphen 218 gestimmt und dadurch den Kampf der Aktionsgruppen 218 entschieden gestützt, wohl gibt es ebenso auf der anderen Seite in den Aktionsgruppen 218 starke Bestrebungen, in eine enge Bindung mit den Gewerkschafterinnen zu kommen. Dies zeigte sich auch auf dem Bundeskongreß der Aktion 218 im März dieses Jahres (vgl. März 1972, d.Vf.) in Frankfurt, wo 500 Frauen aus 35 Städten zusammengekommen waren, um die nächsten Schritte im Kampf gegen den Paragraphen festzulegen.

Aber solange die werktätigen Frauen nicht massenhaft in den Gewerkschaften kämpfen, solange andererseits die Aktionsgruppen gegen den Paragraphen 218 nicht eindeutig den kleinbürgerlichen Feminismus in ihren eigenen Reihen bekämpft haben, der ja nur das Gegenstück zum Herrenstandpunkt darstellt, solange droht die Bewegung der Frauen wieder in der totalen Zersplitterung in vielen kleinen Rinnsalen zu versiegen.

Deshalb, werktätige Frauen, erkämpft euch in den Auseinandersetzungen in euren Gruppen die Perspektive des Sozialismus, gegen die Beschränktheit des reinen Frauenstandpunktes. Nur durch die Befreiung der gesamten Gesellschaft aus Ausbeutung und Unterdrückung unter Führung der Frauen und Männer der Arbeiterklasse wird die Befreiung der Frauen zum Siege geführt werden können.

Führt den Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse in den Gewerkschaften. Bekämpft dort den Herrenstandpunkt, der die Einheit der Klasse und der werktätigen Schichten spaltet. Organisiert euch in den Gewerkschaften.

FRAUEN! HERAUS ZUM 1.MAI!
REIHT EUCH EIN IN DIE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE!"

Von den Arbeitsunfällen wird berichtet in:"
KAPITALISTISCHE SCHLÄCHTEREI

Seit eh und je sucht das Kapital, wenn es auf Schwierigkeiten seiner Verwertung stößt, seinen Ausweg darin, aus der Arbeitskraft der Arbeitermassen noch mehr herauszupressen. 'Was es (dabei) interessiert, ist einzig und allein das Maximum von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann. Es erreicht sein Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeitskraft, wie ein habgieriger Landwirt gesteigerten Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht.' (kap. I, S.281)

Nach der Krise 1966/1967 setzt eine neue Welle von Rationalisierungen in der Industrie ein, die die Produktionskosten reduzieren sollen, um die Konkurrenzfähigkeit abzusichern. Diese Rationalisierungen bedeuten für die Arbeiterklasse zunehmende Akkordhetze, zunehmende Arbeitsintensivierung und damit: Mehr Unfälle, mehr Krankheiten, schnellerer Verschleiß!

Seit 1967 haben die Arbeitsunfälle um nicht weniger als 14% zugenommen, in der Metallindustrie sogar um 33%. Das bedeutet 2 496 865 gemeldete Unfälle im Betrieb und 254 801 Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit im Jahre 1970. In dieser Zahl sind die kleineren Verletzungen, die zu höchstens drei Tagen Arbeitsunfähigkeit führen, nicht einmal erfaßt, weil sie nicht meldepflichtig sind.

Die Statistik über die angezeigten Arbeitsunfälle zieht wie eine furchtbare Blutspur durch die Konjunkturbewegung des westdeutschen Kapitals nach dem 2.Weltkrieg. Von 1949 bis 1961 stiegen die Unfälle um 95%. Das sogenannte 'deutsche Wirtschaftswunder' ist buchstäblich über die Leichen der Kollegen hinweggestiegen. 1950 bis 1960 vernichtete das Kapital bei dem Geschäft der 'Einsaugung des Mehrwerts' in den Betrieben in 82 000 Fällen das Leben von Kollegen.

AUF 10 MILLIONEN TONNEN ROHSTAHL KOMMEN 44 TÖDLICHE UNFÄLLE

1961 schrieb 'Metall' (der IGM, d.Vf.): 'Wenn in den USA zehn Millionen t Rohstahl produziert werden, dann verunglücken dabei acht Menschen tödlich - in der Bundesrepublik kommen auf die gleiche Menge Stahl 44 tödliche Unfälle. Mit einem Rekord an Verletzten und Toten bezahlt die westdeutsche Eisen- und
Stahlindustrie ihre Produktionsrekorde.' (Metall, Nr. 15, 8.8.1961).

Noch deutlicher als die Gesamtzahl der Unfälle sind die Zahlen für die Industrie auf je 1 000 Vollarbeiter gerechnet. Für das Jahr 1969 fallen dabei auf den Bergbau (IGBE-Bereich, d.Vf.) 220, 3 Unfälle, für die Eisen- und Metallindustrie 162, 0 und für die Bauindustrie (BSE-Bereich, d.Vf.) 172, 9. Die Betriebskrankenkasse (BKK, d.Vf.) Rheinstahl-Hanomag verzeichnete 1970 bei 13 194 Mitgliedern 2 670 Arbeitsunfälle mit einer durchschnittlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit von 13, 4 Tagen, das sind also rund 200 Unfälle auf 1 000 Beschäftigte.

Der verschwenderische Umgang mit Nerven, Hirn, Fleisch und Blut der Arbeiter ereignet sich aber nicht nur da, wo die Maschinerie unmittelbar zuschlägt und den Arbeiter seiner Glieder, seiner Sinne oder seines Lebens beraubt; er ereignet sich in noch viel größerem Umfang bei den längerfristigen Auswirkungen des Produktionsprozesses, den Krankheiten und dem beschleunigten Verschleiß der Arbeitskraft.

Der Krankenstand der Pflichtmitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung stieg von 1967 von 4, 33% auf 5, 57 im Jahr 1970 und liegt bei den Betriebskrankenkassen der Industrie sogar bei 7, 39%. Jeden Tag sind also in der BRD durchschnittlich fast eine Million der Pflichtversicherten krank! Auffällig ist dabei der enorme Anstieg der Abnutzungskrankheiten in den letzten Jahren. Also Erkrankungen von Kreislauf, Herz, Verdauungs- und Bewegungsapparat. Die Zahl der psychischen Leiden hat sich stark vergrößert, aber die amtlichen Zahlen geben den enormen Anstieg dieser Leiden nicht wirklich wieder, weil die heutige Medizin sich weigert, diese Erkrankungen überhaupt in vollem Umfang wahrzunehmen. Daß außerdem die Zahl der von den Krankenkassen angegebenen Erkrankungen über den wirklichen gesundheitlichen Zustand der Werktätigen keine verläßliche Auskunft gibt, zeigt eine interessante Untersuchung, die 1970 (vgl. 1970, d.Vf.) in Baden-Württemberg an 30 000 Arbeitern und Angestellten durchgeführt wurde. Davon arbeiteten 1/3 im Akkord und 2/3 unter 'betriebsbedingten Arbeitserschwernissen' (Lärm, Staub, chemische Luftverunreinigung, besondere Unfallgefährdung). Obwohl keiner der Untersuchten 'krank geschrieben' war, stuften die untersuchenden Ärzte 20, 8% als sanatoriumsreif ein. Bei 63, 9% der Männer und 71, 1% der Frauen wurde ärztliche Behandlung für erforderlich gehalten. Wie sehr die Arbeiter in der Industrie in den letzten Jahrzehnten 'bis zur Schrottreife ausgefahren' worden sind, zeigt die erschreckende Zunahme der Frühinvalidität. Von den 435 000 Neuzugängen an Renten im Jahre 1969 waren 218 000 Frühinvalide. Im Schnitt sind die Arbeiter mit 61 'rentenreif'.

Wenn das Kapital 'in seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit' sein 'System der Schweißauspressung nach allen Regeln der Wissenschaft' immer weiter vorantreibt, wird es doch sorgfältig darauf achten, daß ihm die Unschuldsmiene nicht zerkratzt wird, die es jedem zuwendet, der es wagt, als Ankläger aufzutreten. Ein ganzes Heer gedungener Schreiberlinge steht parat mit dem komplizierten Geschwätz der bürgerlichen Wissenschaft einen dichten Schleier über alle wirklichen Ursachen zu ziehen, die die Zerstörung und den Verschleiß der Arbeitskraft verschulden. So erklärte das Deutsche Industrieinstitut 1961 (DII - vgl. 1961, d.Vf.):
'Persönliche Mängel verursachten 77 Prozent der von der Gewerbeaufsicht näher untersuchten 64 295 Arbeitsunfälle… Besonders stark trugen die 10 287 Fälle von Unordnung, Nachlässigkeit und Nichtbeachtung von Verhaltensvorschriften zur Unfallhäufigkeit bei. Weitere 18 827 Unfälle beruhten auf Unachtsamkeit, Leichtsinn und Unfug… Es stimmt also nicht, wenn von den Gewerkschaften vielfach behauptet wird, die Unfälle nähmen durch das gesteigerte Arbeitstempo zu.'

KAPITALISTISCHE RATIONALISIERUNG AUF DEN KNOCHEN DER ARBEITERKLASSE

Von 1962 bis 1970 stieg die Arbeitsproduktivität je Arbeiterstunde in der Industrie um 66, 2 Prozent. Dieser Zuwachs an Produktivität geht zu einem Teil auf die Verbesserung der Maschinerie zurück, zu einem großen Teil aber auf die 'Kunst' der modernen Einpeitscher in Gestalt der Refa-Leute, Zeitstopper, MTM-Spezialisten. Dabei erzwingen in vielen Fällen gerade die technischen Veränderungen eine größere Arbeitshetze. Die Maschinen laufen schneller, es sind mehr Maschinen gleichzeitig zu überwachen usw. In vielen Bereichen der Industrie sind gerade in den letzten Jahren neue Verfahren mit vorbestimmten Zeiten eingeführt worden, die die Zeiten oft um 20 bis 30% gekürzt haben. Die Folge ist, daß sich der Arbeiter völlig auf den Arbeitsvorgang konzentrieren muß, will er die Zeiten schaffen. Er kann sich überhaupt nicht darum kümmern, was um ihn herum geschieht, ob alle Bedingungen an seinem Arbeitsplatz den Sicherheitsbestimmungen entsprechen. Bei Arbeiten mit vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen ist es oft so, daß ihn diese an einem schnellen Arbeitsvollzug hindern. Die Schutzkleidung ist unerträglich schweißfördernd, die Schutzvorrichtungen sind unhandlich usw. 'Die dichtgehäufte Maschinerie' rückt dem einzelnen Arbeiter immer mehr zu Leibe, die verschiedenen Arbeitsgänge überschneiden sich, Kabel und Leitungen liegen herum, Gerüste werden bei noch laufenden Arbeitsgängen schon abmontiert usw.

Viele Unfälle passieren bei dem Versuch, Störungen zu beseitigen, während die Maschine läuft. Dies gilt insbesondere für Walzwerke. Die Unternehmen geben bei solchen Maschinen dann in einigen Fällen schriftliche Sicherheitsanweisungen, , deren Empfang quittiert werden muß. So ist sichergestellt, daß die durch die Akkordhetze in die Maschinen hineingehetzten Arbeiter ihre Schuld an den Unfällen schon im voraus schwarz auf weiß zugegeben haben.

Besonders häufig geschehen Unfälle bei Überstunden und gegen Ende der Arbeitszeit, wenn die Arbeiter schon sehr abgespannt und müde sind.

Daß die Zahl der Unfälle bei Überstunden unmittelbar mit der Schwere und Gefährlichkeit der Arbeit zusammenhängt, sich ganz deutlich an den Zahlen über die ungelernten Arbeiter. Das gilt in besonderem Umfang von den Frauen, die im Akkord stehen und noch deutlicher von den ausländischen Arbeitern.

In der Metallindustrie kamen von 1964 bis 1969 auf 1 000 ausländische Arbeiter 250 Unfälle. Da es am Zustrom ausländischer Arbeitskräfte nicht mangelt und Kosten für die Ausbildung entfallen, sieht der einzelne Kapitalist keine Veranlassung, sich auch nur um die primitivsten Sicherheitsbedingungen zu kümmern. Allenfalls wird eine halbe Stunde ein Filmchen mit warnenden Beispielen gezeigt, aber selbst das nur auf freiwilliger Basis.

OFT FEHLEN DIE SIMPELSTEN SICHERHEITSVORRICHTUNGEN

Wenn sich so die behauptete 'Schuld' der Arbeiter entpuppt als Folge der äußersten Auspressung der Arbeitskraft, als eine unmittelbare Folge der immer raffinierter gesteigerten Ausbeutung, so bleibt zu untersuchen, warum andererseits bei der kapitalistischen Maschinerie oft auch die simpelsten Sicherheitsvorkehrungen fehlen. Wir stoßen dabei auf einen allgemeinen Zusammenhang, der für die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnend ist. Auf der Suche nach der höchsten Steigerung der Profite entwickelt der einzelne Kapitalist eine allgemeine 'Knauserei' in Bezug auf alle 'materiellen Bedingungen, unter denen die Fabrikarbeit verrichtet wird.' 'Die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird in der Hand des Kapitalisten zugleich zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen des Arbeiters während der Arbeit, an Raum, Luft, Licht und an persönlichen Schutzmitteln wider lebensgefährliche und gesundheitswidrige Umstände des Produktionsprozesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu sprechen.' (Marx, Kap. I, S. 448f.) Selbst wo die gesetzlich aufgezwungenen Vorkehrungen getroffen werden, wird mit knappsten Mitteln gearbeitet, ganz gleich, ob damit die Funktion des Gesetzes noch erfüllt ist oder nicht. Wo die Gesetze hinter der technischen Entwicklung zurückgeblieben sind, beutet man diese Lücken rücksichtslos aus. So gibt es Meßwerte für Lärm und Luftverschmutzung, die viel zu hoch sind und z.B. schleichende Vergiftungen, die sich erst nach Jahren voll auswirken, überhaupt nicht erfassen. Das Kapital hat da viel Bewegungsfreiheit, zumal die Arbeitsmedizin zu den unterentwickeltesten Zweigen der Medizin überhaupt gehört. Das zeigt sich an den dauernden Auseinandersetzungen um die Berufskrankheiten. Hier wendet die bürgerliche Wissenschaft ihre ganze Kunst auf, um den Zusammenhang zwischen Erkrankung und Arbeitsplatz zu leugnen. Wo auch nur eine zusätzliche Ursache der Erkrankung möglich sein könnte, wird die Anerkennung als Berufskrankheit verweigert. Bei Arbeitern, die häufiger ihren Arbeitsplatz gewechselt haben, ist die Situation fast aussichtslos.

MEDIZIN IM DIENST DES KAPITALS

Wenn der kapitalistische Staat sich auch gezwungen sieht, den einzelnen Kapitalisten gewisse Beschränkungen in ihrer Gier nach der Ausbeutung der Arbeitskraft aufzuerlegen, weil sonst die gesellschaftliche Gesamtarbeitskraft zu schnell verschlissen würde, so bleiben doch viele dieser Gesetze bloßes Papier. Die Gewerbeaufsicht in Bremen z.B. besteht aus gerade zwei Dutzend Personen. Von den rund 13 000 Betrieben wurde kaum die Hälfte in einem Jahr besichtigt. Wie 'scharf' die Kontrolle des Unfall- und Gesundheitsschutzes durchgeführt wird, ist daraus ersichtlich, daß es z.B. 1968 nur zu einer einzigen Strafanzeige gegen einen Betrieb gekommen ist.

Völlig unzureichend ist auch die betriebsärztliche Betreuung der Arbeiter. In der BRD gibt es insgesamt rund 500 hauptamtliche und etwas über 1 000 nebenamtliche Werkärzte, so daß insgesamt nur 12% der Betriebe mit über 200 Beschäftigten einen werkärztlichen Dienst haben. Das Durchschnittsalter dieser Ärzte liegt bei 50 Jahren, von einer besonderen arbeitsmedizinischen Ausbildung kann nicht die Rede sein. Die Werkärzte werden in der BRD von den Kapitalisten bezahlt und erhalten in einigen Betrieben sogar Prämien, wenn es ihnen gelingt, den 'Krankenstand' zu senken. Wenn es ihnen gelingt, die Leute bei Unfällen innerhalb von drei Tagen zurechtzuflicken, haben sie ihre Aufgabe im Sinne der Betriebsleitung richtig verstanden. Kein Wunder also, wenn sie 'Gesundschreiber' verschrien sind und die Arbeiter einen Bogen um sie machen. Von Unfallverhütung und vorbeugenden Maßnahmen gegen Erkrankungen kann bei dieser Dienstauffassung natürlich nicht die Rede sein. In den Großbetrieben gehört vor allem auch die Verteilung der Arbeitskräfte mit zu ihren Aufgaben. Frauen, die mehrere Jahre am Band gestanden haben, werden an anderer Stelle eingesetzt, weil man weiß, daß sie die volle Leistung nicht mehr bringen. Bein Unfallrentnern werden die Prozentsätze der Erwerbsunfähigkeit allmählich rauf begutachtet, damit man nicht soviel Rente bezahlen muß und noch ein Stück Mehrarbeit aus dem Mann herausholen kann. Dieser Vorgang nennt sich dann Rehabilitation. Allerdings ist es damit insgesamt nicht weit her. Die Unfallhäufung hat die Zahl der nur noch teilweise Erwerbsfähigen so hochgetrieben, daß kaum noch Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Die 'Karriere' eines Akkordarbeiters, der zehn Jahre das Letzte aus sich herausgeholt hat, dann dem Kapital einen Teil seiner Knochen, ein paar Finger oder einen ganzen Arm geopfert hat, und schließlich bei der WC-Reinigung des Betriebes landet, ist für dieses System der Ausbeutung eine beredte Lebensgeschichte.

DIE PROFITGIER DER KAPITALISTEN MACHT DEN ARBEITER KAPUTT

Dem einzelnen Kapitalisten sind die hohen 'Krankenstände' natürlich ein Dorn im Auge. Er interessiert sich nicht dafür, daß seine Profitgier die Arbeiter krank macht und ihnen die Knochen zerschlägt. Aber er sieht seinen Profit gefährdet, wenn die Produktion durch die hohen Ausfälle ins Stocken gerät. In seiner blinden Gier will er die Arbeiter zwingen, im Betrieb unter seiner Fuchtel zu bleiben. Er will ihnen verbieten, ihre Krankheiten auszukurieren. Er beschimpft sie wegen 'schlechter Arbeitsmoral', er läßt sie bespitzeln durch Hausbesuche, er droht ihnen mit Kündigung, er kürzt den häufig Kranken das Weihnachtsgeld, er gibt Prämien an die, die sich trotz Krankheit in den Betrieb schleppen, er läßt Listen anlegen und er schmeißt die Leute auf die Straße, wenn er es kann. Und er fühlt sich sogar bestätigt dadurch, daß sich die Arbeiter in der Krise weniger krank schreiben lassen, weil sie um ihren Arbeitsplatz bangen müssen.

Die Arbeiter bezahlen diese völlige Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Lebensbedingungen mit einem immer höheren Anteil ihres Lohnes für medizinische Versorgung. Nicht nur, daß dieses System sie kaputtmacht. Dieses System erlaubt auch noch denen, die für die Wiederherstellung der Arbeitskraft sorgen ollen, sich dabei aufs unverschämteste zu bereichern. Fast einen Monatslohn zahlen die Arbeiter im Jahr allein an Krankenkassenversicherungsbeiträgen, von dem vorenthaltenen Lohn, der als sogenannter Arbeitgeberanteil gezahlt wird, ganz abgesehen!

Der gewerkschaftliche Kampf um die Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft kann nicht auf den Lohnabbau beschränkt bleiben. Wenn die Arbeiter ihre Lebensbedingungen sichern wollen, muß der Kampf vor allem auch gegen die Akkordhetze, gegen die Verfahren vorbestimmter Zeiten, gegen die Überstundenschinderei und für die Verbesserung der Arbeitssicherheit geführt werden. In allen Betrieben müssen Sicherheitsobleute gewählt werden, und diese müssen bei bezahlter Arbeitszeit die Möglichkeit haben, ihren Aufgaben nachzukommen. Auch in dieser Frage kann es keine 'vertrauensvolle Zusammenarbeit' mit der Betriebsleitung geben. Die Arbeiter werden, solange dieses kapitalistische Ausbeutersystem besteht, wahrlich jede zusätzliche Stunde ihres Lebens dem von Blut triefenden und nach Profit geifernden Kapital abtrotzen müssen.

Aber dieser Kampf ist bloß ein notwendiger Verteidigungskampf. Die Arbeiterklasse wird die vollste Klarheit darüber gewinnen müssen, daß sie von diesem System nichts zu erwarten hat.

Erst wenn die Arbeiterklasse selber die Verfügung über die Produktionsmittel erkämpft hat und den Sozialismus aufbaut, kann die Maschinerie ihr mörderisches Gesicht verlieren und ihr menschliches entwickeln. Erst dann können die Produktivkräfte dieser Gesellschaft ihren vollen Reichtum entfalten.

Erst wenn die Arbeiterklasse die Kapitalosten und ihre engste Anhängerschaft zum Teufel gejagt hat, werden sich ihre Lebensbedingungen und die aller arbeitenden Menschen grundlegend ändern."

Man berichtet von der Ostpolitik, wozu dokumentiert werden der Vertrag von Moskau mit der SU (vgl. 12.8.1970), das Kommunique vom Besuch Nixons in Peking (vgl. 24.2.1972) und ein Artikel Brezinskis (vgl. Jan. 1968):"
DIE OSTVERTRÄGE: EINE NEUE FRIEDENSPOLITIK?

Die Debatte um die Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau, die seit Wochen die Schlagzeilen der bürgerlichen Presse beherrscht, ist inzwischen zum Hebel des Machtkampfes der Parteien um die Regierungsgewalt geworden. Mit dem Vorwurf an die SPD/FDP, die Verträge beinhalteten den Verzicht auf die Wiedervereinigung und die Anerkennung des Gebietsverlustes jenseits der Oder-Neiße-Grenze versucht die CDU/CSU ihre alten Anhänger des Kalten Krieges zu mobilisieren.

Die SPD/FDP-Regierung dagegen verficht ihre Politik der Verträge mit der Sowjetunion und Polen unter den Parolen des Friedens, der Entspannung und der Verständigung zwischen Ost und West. 'Der Friede wird sicherer durch die Verträge', und es sei das offizielle Bemühen der sozialdemokratischen Regierung, nach den Wunden, die das faschistische Deutschland der Welt geschlagen habe, vor aller Welt zu zeigen, daß Deutschland den Frieden wolle. (Brandt in Stockholm anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises (vgl. S12*.197*, d.Vf.).) Hinter einer Politik des Friedens sucht die SPD/FDP in ihrer Kampagne um die Verträge die Teile des Volkes zu sammeln, die aus den Erfahrungen des Faschismus gelernt haben und die nicht mehr bereit sind, noch einmal eine abenteuerliche imperialistische Kriegspolitik zu unterstützen. Aus den Gewerkschaften mehren sich die Resolutionen, die diese Politik gegen die Politik des Kalten Krieges unterstützen. Die überwiegende Mehrheit des Volkes lehnt die Politik der Gewalt ab und ergreift Partei für eine Politik des Friedens und der Verständigung. Deshalb konnte die SPD sogar Neuwahlen vorschlagen, um der CDU/CSU in ihrem Versuch der parlamentarischen Verhinderung der Ratifizierung der Verträge entgegenzutreten.

Ist die Politik der SPD wirklich eine Friedenspolitik? Wodurch unterscheidet sie sich von der der CDU/CSU?

Bedeuten die Verträge von Moskau und Warschau wirklich einen Verzicht auf die von der CDU/CSU verfolgten außenpolitischen Ziele?

DIE BRD VERFOLGTE UNTER DER FÜHRUNG DER CDU/CSU VON ANFANG AN DIE ALTEN IMPERIALISTISCHEN ZIELE DER DEUTSCHEN KAPITALISTENKLASSE:

Mit der Zerschlagung des Faschismus hatte die deutsche Kapitalistenklasse zwar alle ihre gewaltsamen Eroberungen vor allem in Polen, in den Balkanstaaten und der Sowjet-Union verloren, aber die Herrschaft der Kapitalistenklasse war nicht gestürzt. Unter dem Schutz der westlichen Alliierten begann sie, sich zu restaurieren. Gleichzeitig formulierte sie öffentlich, daß sie nicht gewillt sei, sich mit den Verlusten ihres Einflußbereichs abzufinden. Gestützt auf das wirtschaftliche und militärische Bündnis der westlichen kapitalistischen Mächte, vor allem die USA, erklärte sie zum Hauptziel ihrer Außenpolitik, ein kapitalistisches Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherstellen zu wollen. Während die CDU-Regierungen unter Adenauer Schritt für Schritt nach Westen die Eingliederung in das imperialistische Bündnissystem der NATO und EWG betrieben, verfolgten sie damit nicht nur den Zweck, ihre kapitalistische Herrschaft im Innern gegen die Arbeiterbewegung abzusichern, sondern zugleich von einer machtpolitisch gestärkten Position aus die DDR und die Volksdemokratien für den kapitalistischen Herrschaftsbereich zurückzuerobern.

In seiner ersten Regierungserklärung von 1949 (vgl. Sept. 1949, d.Vf.) erklärte Adenauer die BRD 'als die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes', die allein befugt sei, 'für das ganze deutsche Volk zu sprechen.' Ziel seiner Regierung sei es, 'ganz Deutschland auf dem Boden der Bundesrepublik zu einen' und in eine 'europäische Ordnung hineinzuführen.'

Damit drückte die Regierung aus, daß sie den in den sowjetisch besetzten Zone entstehenden Arbeiter- und Bauernstaat nicht anerkenne, mehr noch, daß sie beabsichtige, diesen Staat zu beseitigen und der kapitalistischen Bundesrepublik und dem imperialistischen Bündnissystem einzugliedern. Gleichzeitig erklärte sie aber noch, daß ihre Eroberungspläne an der Ostgrenze der DDR nicht endeten, sondern wie unter dem Hitlerfaschismus auf Polen, die Tschechoslowakei (CSSR, d.Vf.), die Balkanländer und die Sowjetunion gerichtet seien. Diese alten imperialistischen Eroberungspläne wurden nun nicht mehr mit dem 'engen Lebensraum des deutschen Volkes' begründet, sondern mit der Parole von der 'Neuordnung Europas' ausgestattet.

Wörtlich Adenauer (vgl. S12*.19**, d.Vf.): 'Unser Ziel ist die Befreiung der 18 Millionen Brüder und Schwestern in den Ostgebieten. Bis jetzt hat man immer von der Wiedervereinigung gesprochen. Wir sollten lieber sagen: Befreiung. Es geht nicht nur um die Ostzone, es geht darum, ganz Europa östlich des Eisernen Vorhangs neu zu ordnen.'

Demagogisch nutzten die CDU-Regierungen die Forderungen des deutschen Volkes nach nationaler Einheit aus. Mit den Formeln von der Wiedervereinigung und der Selbstbestimmung des deutschen Volkes verfolgten sie jedoch in Wirklichkeit das Ziel der Vernichtung der gesellschaftlichen Revolutionen, die sich in der DDR und den Volksdemokratien vollzogen.

'Das Recht auf Wiedervereinigung und Selbstbestimmung des deutschen Volkes' bedeutet für die Regierung der BRD immer nur das Recht der Kapitalistenklasse, die Herrschaft des Kapitals in ganz Deutschland wiederherzustellen und damit seine Ausgangsposition für weitere imperialistische Ziele zu verstärken.

DIE SPD VERFOLGT DIE AUSSENPOLITISCHEN ZIELE DER CDU/CSU-REGIERUNGEN

Hat die SPD/FDP-Regierung diese Ziele der Kapitalistenklasse aufgegeben?

Hat sie sich damit abgefunden, daß die Arbeiterklasse der DDR nicht die Profite der westdeutschen Kapitalistenklasse vermehrt?

Keineswegs. Noch ein halbes Jahr vor Abschluß der Verträge, am 13.Januar 1970, legte Bundeskanzler Willy Brandt die Grundsätze und Ziele der Außenpolitik der Bundesregierung erneut dar: Zu diesen Grundsätzen gehört das 'Recht auf Selbstbestimmung' und 'das Streben nach nationaler Einheit und Freiheit im Rahmen einer europäischen Friedensordnung'. Mit diesen Grundsätzen wird der von den CDU-Regierungen formulierte Anspruch auf Annexion der DDR - offen bleibt, ob sich dieser Anspruch auch auf die gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze bezieht - und ihre Integration in das imperialistische westeuropäische Bündnissystem und in die NATO aufrechterhalten. Dieses Ziel westdeutscher Außenpolitik wurde gerade anläßlich der Verträge wiederholt und bekräftigt. Ausdrücklich erklärte Außenminister Scheel (FDP, d.Vf.) vor Unterzeichnung der Verträge in Moskau am 15.7.1970, daß mit den Gewaltverzichtsverträgen keine Anerkennung der DDR und der bestehenden Grenzen verbunden sei.

'Er (der Gewaltverzicht) geht von der Lage aus, wie sie ist. Er schreibt sie nicht fest, sondern beschreibt sie, ohne Werturteile damit zu verbinden. … Er respektiert und akzeptiert die Wirklichkeit. Er unternimmt nicht, sie völkerrechtlich anzuerkennen und damit zu legalisieren.' (Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, d.Vf.) vom 15.7.1970).

Ausdrücklich erklärt damit die Bundesregierung, daß sie weder die Grenzen noch den Staat DDR anzuerkennen bereit ist.

Wenn aber die SPD/FDP-Regierung an den Zielen der Außenpolitik der CDU/CSU-Regierungen festhält, die Herrschaft der westdeutschen Kapitalistenklasse in dem westeuropäischen Bündnis und der NATO weiter zu festigen und die DDR diesem Bündnissystem politisch und gesellschaftlich zu integrieren, worin besteht dann der Unterschied zur Politik der CDU/CSU.

Dieser Unterschied besteht nach dem Programm der SPD/FDP-Regierung darin, die Annexion nicht mit Gewalt, sondern mit friedlichen Mitteln zu erreichen. 'Es werden keine Ansprüche aufgegeben, nur auf ihre gewaltsame Durchsetzung wird verzichtet'. (Walter Scheel in der Frankf. Allg. a.a.O.) 'Der Vertrag fördert das Zusammenwachsen Europas, da er Unsicherheit in bezug auf bestehende Grenzen beseitigt, eine FRIEDLICHE AUFHEBUNG VON GRENZEN JEDOCH NICHT AUSSCHLIESST.' (Bulletin des Presse- und Informationsamtes (PIA, d.Vf.) der Bundesregierung Nr. 108 v. 14.8.1970).

DIE POLITIK DES WESTDEUTSCHEN IMPERIALISMUS BIS 1961 IST DIE POLITIK DES UNMITTELBAREN UND GEWALTSAMEN STURZES DES SOZIALISMUS

Der Unterschied zwischen der Politik der CDU-Regierungen und der neuen Ostpolitik besteht also nicht in den Zielen, sondern nur in den Mitteln und Methoden zur Durchsetzung dieser imperialistischen Ziele.

Wie sahen die Methoden imperialistischer Politik der CDU/CSU-Regierung aus?

Die Politik der CDU-Regierungen war darauf gerichtet, den Aufbau des Sozialismus, insbesondere in der DDR, mit allen Mitteln zu stören und gestützt auf die wachsende militärische Macht gewaltsam in aufbrechende Widersprüche in den sozialistischen Staaten einzugreifen.

Im Dienst der gewaltsamen Störung des Aufbaus der DDR stand der Propagandaapparat eines besonders für diese Aufgabe eingerichteten Gesamtdeutschen Ministeriums. Spionageorganisationen wirkten von Westberlin aus durch die zunächst noch offenen Grenzen in die DDR; das Mittel der Wirtschaftssabotage war an der Tagesordnung. Die gesamte ökonomische Politik war darauf gerichtet, den wirtschaftlichen Aufbau der DDR zu sabotieren. Alle für den Aufbau 'strategisch wichtigen Güter' wie Maschinen, chemische Produkte und andere Waren standen auf Embargolisten. Importe aus der DDR waren einer Vielzahl von Sonderbestimmungen und Genehmigungsverfahren und Kontingentierungen ausgesetzt. Gleichzeitig versuchte die Bundesregierung durch wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf andere Regierungen, die DDR wirtschaftlich und politisch zu isolieren. Handelsvertretungen im Ausland konnten häufig nicht eingerichtet werden oder erhielten nicht den normalen Status. Mit der Hallsteindoktrin von 1955 drohte die BRD jedem Land mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen, das die DDR als Staat anerkennen wollte.

Im September 1960 (vgl. Sept. 1960, d.Vf.) kündigte die BRD das Berliner Abkommen von 1951 (vgl. **.**.1951, d.Vf.), das den Warenaustausch zwischen der BRD und der DDR regelte. Der damit faktisch vollzogene Abbruch der Handelsbeziehungen stellte einen letzten Versuch dar, die DDR wirtschaftlich zu erschüttern. In den Versuchen der politischen und wirtschaftlichen Isolierung der DDR war die BRD auch bis 1961 erfolgreich, denn sie konnte ihre 'Politik der Stärke' in die Politik des 'Kalten Krieges' des US-Imperialismus einreihen.

DIE 'POLITIK DER STÄRKE' IST BESTANDTEIL DER GLOABLSTRATEGEI DES US-IMPERIALISMUS

Die USA, die aus dem Zweiten Weltkrieg als stärkste Macht unter den imperialistischen Staaten hervorgegangen war, hatte bereits im Zweiten Weltkrieg begonnen, die Welt nach ihren imperialistischen Vorstellungen neu zu ordnen. Nach den Plänen der US-Imperialisten sollte die gesamte Welt - von der sozialistischen Sowjet-Union zunächst abgesehen - in einem dreiseitigen Austausch den Kapitalinteressen der USA politisch und ökonomisch untergeordnet werden: Die USA besäßen nach diesen Plänen das Rohstoffmonopol in den industriell unterentwickelten Ländern. Diese, insbesondere China, waren für den amerikanischen Kapitalexport vorgesehen. - Kapitalexport bedeutet den Export von Industrien, um die billige Arbeitskraft auszubeuten und Extraprofite zu erzielen. - Die Industrieinvestitionen in China sollten den Warenexport aus den westeuropäischen Ländern ankurbeln. Der Warenexport der europäischen kapitalistischen Länder sollte wiederum die Nachfrage nach Produktionsmitteln hervorrufen, die von den USA nach Europa exportiert werden sollten. Dieser Weltherrschaftsplan des US-Kapitals, angepriesen als 'Politik der Offenen Tür' unter Präsident Roosevelt stieß jedoch auf den Widerstand der Befreiungsbewegungen in den industriell unterentwickelten Ländern, der Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern, in denen die Kapitalistenklasse überall infolge des Krieges geschwächt war.

Der US-Imperialismus wechselte von der 'friedlichen Politik der Offenen Tür' zur Politik der roll-back-Strategie, der Drohung mit der atomaren Gewalt. Amerikanische Truppenstützpunkte breiteten sich um den ganzen Erdball aus, um die Sowjet-Union, damals noch Stütze der revolutionären Bewegungen, nach dem Sieg der chinesischen Revolution auch China, strategisch einzukreisen. Die BRD wurde strategische Hauptstütze des US-Imperialismus in Europa.

Eine weitere Bedingung für die aggressive Ostpolitik der CDU war die wirtschaftliche Schwächung der Sowjet-Union durch den zweiten Weltkrieg, die Zerstörungen in den industriell ohnehin rückständigen osteuropäischen Staaten, die industriell ungünstige Ausgangslage der DDR; diese war von den Grundstoff- und Investitionsgüterindustrien und den Rohstoffen des westlichen Deutschlands abgeschnitten.

Die Bundesregierung hoffte, daß unter den immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sozialismus diskreditiert und am Widersand der Bevölkerung zerbrechen würde.

Diesen Widerstand galt es mit allen Mitteln der Subversion von innen und der Propaganda von außen zu schüren.

Beide Bedingungen veränderten sich, und es veränderte sich die Ausgangsposition des westdeutschen Imperialismus.

DIE US-GLOBALSTRATEGIE DER 'POLITIK DER STÄRKE' SCHEITERT

Die Sowjetunion beantwortete die atomare Drohung mit der Entwicklung eigener Atombomben und entzog damit den US-Imperialisten zunehmend das Mittel der atomaren Erpressung. Die sozialistischen Staaten, insbesondere die DDR, konnten sich wirtschaftlich erholen und politisch festigen. Der US-Imperialismus als Hauptstütze des imperialistischen Systems verlor nicht nur den Kampf um die gewaltsame Beseitigung des Sozialismus; seine imperialistischen Pläne gegenüber China scheiterten an der siegreichen Revolution und der raschen Entwicklung des Sozialismus in China. Seine jahrelangen Kriege gegen die revolutionären Befreiungsbewegungen waren und sind erfolglos und verschärfen die gesellschaftlichen Widersprüche in den USA selbst. Zugleich schwand der Produktivitätsrückstand der westeuropäischen Länder. Diese wurden stärker und suchten im Rahmen der EWG eine von den USA unabhängigere imperialistische Politik zu entfalten. Die den imperialistischen Bündnissen weseneigenen Widersprüche traten stärker hervor. Sie verschärften sich Mitte der 60er Jahre durch das weltweite Abflauen der Nachkriegs-Weltmarkthochkonjunktur. Der Kampf um Märkte für Kapital und Waren, auch um die Märkte der sozialistischen Staaten begann an Bedeutung zu gewinnen und trat in Widerspruch zu den Wirtschaftsboykottmaßnahmen aus der Phase des Kalten Krieges.

Auf die veränderten Kräfteverhältnisse antwortete der US-Imperialismus mit dem Amtsantritt John F. Kennedys bereits Anfang der 60er Jahre mit einer neuen Taktik. Kennedy erklärte: 'Es hat sich gezeigt, daß wir nicht erwarten dürfen, daß die Freiheit (gemeint ist der Kapitalismus) dort (in den osteuropäischen Ländern) durch eine drastische, gewaltsame Revolution hergestellt wird.' (vgl. S13*.196*, d.Vf.). Er fordert daher 'unsere Regierung mit einer Reihe geschmeidiger wirtschaftlicher Vollmachten zur Unterstützung eines friedlichen Wandels hinter dem Eisernen Vorhang auszustatten.' Diese Äußerung Kennedys macht deutlich, daß der US-Imperialismus mit dem Wechsel von der Sabotagepolitik zur Politik des Handels, der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen den Zielen des US-Imperialismus, der Beseitigung des Sozialismus und der Eroberung für den Kapitalismus untergeordnet sind. Die wirtschaftlichen Beziehungen sollen die Eroberung von außen durch die Eroberung von innen ersetzen.

Diese von Kennedy formulierte neue Taktik der 'friedlichen Mittel', der Aufweichung durch wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen wurde bereits von der CDU-Regierung Erhard/Schröder aufgenommen. Diese hob die Fünfjahresfrist für Kredite an die Staaten des Ostblocks auf und intensivierte ihre Handelsbeziehungen mit allen Ländern des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe) außer mit der DDR und der Sowjetunion. Das Ziel dieser neuen Wirtschaftspolitik des BRD-Imperialismus war es, die nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Volksdemokratien von der Sowjetunion zu unterstützen und gleichzeitig die DDR zu isolieren.

DIE POLITIK DER SPD/FDP-REGIERUNG IST DIE TAKTIK DER IDEOLOGISCHEN AUFWEICHUNG UND EROBERUNG VON INNEN

Mit der Wirtschaftskrise von 1966 und der Ablösung der CDU-Regierung Erhard/Schröder durch die Große Koalition, in der die SPD das Außen- und Wirtschaftsministerium übernimmt, wird die neue Taktik der 'friedlichen Annäherung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit den Mitteln der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen' zum offiziellen Programm der Regierungspolitik erhoben.

Bereits im Januar 1965 (vgl. Jan. 1965, d.Vf.) hatte Brandt, damals noch Regierender Bürgermeister von Westberlin, die Linie der neuen Ostpolitik festgelegt. Er erklärte: 'Für die nächste Periode erscheint es wünschenswert und nicht aussichtslos, die osteuropäischen Staaten in möglichst zahlreiche Kommunikationen zu verweben… Es liegt im westlichen Interesse, die Eigenständigkeit der osteuropäischen Nationen zu unterstützen und es ihnen nicht schwerer zu machen, ihren Handlungsspielraum zu nutzen. 'Über konkrete bis auf weiteres zwangsläufig BGERENZT BLEIBENDE FORMEN DER WIRTSCHAFTLICHEN UND KULTURELLEN ZUSAMMENARBEIT HINAUS kommt es entscheidend darauf an, eine Perspektive gutnachbarlicher Beziehungen deutlich werden zu lassen. Gerade auf diesem Wege könnten KRÄFTE DER EVOLUTION ERMUTIGT UND GEFÖRDERT WERDEN.'
(zit. nach 'Der Osthandel', Unser Weg, S.5 (vgl. S13*.197*, d.Vf.).

Diese Taktik der Kapitalistenklasse, die von der Sozialdemokratie als Friedenspolitik propagiert wird, ist in Wirklichkeit der Versuch, durch wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen gesellschaftliche Veränderungen in den Ostblockstaaten zu fördern, die eine kapitalistische Unterwanderung und Eroberung von innen möglich machen. Auf dieser Basis der 'Annäherung der System' wäre dann die Hoffnung der Kapitalistenklasse auf ein wiedervereinigtes kapitalistisches Deutschland nicht so illusionär wie es zunächst erscheinen mag.

Diese Taktik der ideologischen Unterwanderung und Beeinflussung gesellschaftlicher Veränderungen durch Angebote wirtschaftlicher Unterstützung und Zusammenarbeit findet sich bei allen imperialistischen Strategen unabhängig von der Parteizugehörigkeit wieder.

So schreibt Franz Josef Strauß (FJS, CSU - vgl. 1968, d.Vf.) 1968 in seinem Buch 'Herausforderung und Antwort': 'Die kommunistische Welt befindet sich augenblicklich in einer internen Evolution… Zweifellos haben wirtschaftliche Mängel und Rückschläge sowie ein zunehmendes Nationalbewußtsein in einigen osteuropäischen Ländern schon für die heute lebende Generation die massive Forderung nach einem höheren Lebensstandard aufkommen lassen. Automation und Wachstum der industriellen Produktion haben soziologische Auswirkungen gehabt; es ist eine Mittelklasse von technischen Funktionären und Beamten, von Technikern und Automationsexperten entstanden. Sie haben eine neue Dynamik ausgelöst, die der Westen unterstützen sollte… DIE VERSTÄRKUNG DER KULTUR- UND HANDELSBEZIEHUNGEN MIT DIESEN STAATEN KÖNNTE SOLCHE TENDENZEN FÖRDERN.' (S. 121)

Der Amerikaner Zbigniewsk Brezinski, Direktor des Forschungsinstituts für kommunistische Angelegenheiten an der Columbia-Universität entwickelt für die amerikanische Regierung für die veränderte weltweite neue Taktik der 'Friedens- und Entspannungspolitik' einen konkreten Siebenjahresplan, der den ideologischen Zerfall und die Veränderung der Politik insbesondere der Sowjetunion bewußt in die Offensivstrategie des US-Imperialismus einkalkuliert. (Auszüge aus diesem Plan haben wir dokumentiert.)

In der Tat hängt der Erfolg dieser neuen Taktik des Imperialismus davon ab, wie sich die Führungen der kommunistischen Parteien der Ostblockstaaten auf diese Taktik einlassen.

DIE KPDSU REVIDIERT DIE REVOLUTIONÄREN PRINZIPIEN DER FRIEDLICHEN KOEXISTENZ

Die veränderte Taktik des US-Imperialismus und des BRD-Imperialismus entspringt nicht willkürlich den Köpfen der herrschenden Bourgeoisie, sondern sie ist Ausdruck veränderter Kräfteverhältnisse und wachsender Widersprüche zwischen den imperialistischen Ländern und in den imperialistischen Ländern selbst. Wie bereits gezeigt, hält der Imperialismus mit seinen veränderten Methoden aber an den aggressiven Zielen seiner Politik fest. Wenn die imperialistischen Regierungen gezwungen sind, infolge des Scheiterns der Politik der Stärke und infolge des wachsenden Widerstandes der Völker unter dem Mantel der Friedenspolitik ihre imperialistischen Ziele zu verstecken, wie es die Nixon-Regierung und wie es die derzeitige SPD/FDP-Regierung tun, so ist es ein Grundsatz revolutionärer Außenpolitik, die Angebote angeblicher Friedenspolitik zu ergreifen und die Regierungen vor ihren Völkern zu vertraglichen Zugeständnissen zu zwingen. Zugleich darf den Völkern aber nicht verschwiegen werden, daß sich der aggressive Charakter des Imperialismus durch Verträge nicht ändert und daß nur die bewaffnete Macht der sozialistischen Länder und der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse den Imperialismus an einer Gewaltpolitik hindern kann.

Wenn die imperialistischen Regierungen unter dem Druck des verschärften Konkurrenzkampfes um Absatzmärkte vom Handelsboykott zu offensiven Handelsbeziehungen übergehen, zugleich aber dieses Instrument der Wirtschaftsbeziehungen zur politischen und ideologischen Unterwanderung benutzen wollen, so muß es gleichfalls ein Grundsatz revolutionärer Außenpolitik sein, diesen Widerspruch imperialistischer Offensivpolitik und Intensivierung der Handelsbeziehungen zum Nutzen des sozialistischen Aufbaus aufzunehmen. Die Anteilnahme an dem Produktivitätsvorsprung der imperialistischen Länder ist für den Aufbau des Sozialismus solange von Nutzen, wie die Selbständigkeit der Produktion und die Kontrolle der Staatsmacht der Arbeiterklasse über den Handel gewährleistet ist.

Eine solche Politik der richtigen Behandlung der Widersprüche im imperialistischen Lager verfolgt die Volksrepublik China zur Zeit gegenüber dem US-Imperialismus.

DIE SOWJETUNION UNTER STALIN VERTRITT DAS RECHT DES DEUTSCHEN VOLKES AUF SELBSTBESTIMMUNG GEGEN DIE IMPERIALISTISCHE INTERVENTIONSPOLITIK DER WESTMÄCHTE, INSBESONDERE DER USA.

Die sowjetische Außenpolitik nach 1945 gegenüber den Westalliierten und der wiedererstarkenden BRD war in folgenden Hauptpositionen festgelegt:

Die Sowjetunion vertrat die Forderung nach einem einheitlichen deutschen Staat mit einer Zentralregierung. Durch die Bestrafung der Nazis und die Enteignung der wichtigsten Rüstungsbetriebe sollte der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft gewährleistet sein. Die Gesellschaftsordnung sollte Sache des deutschen Volkes selbst sein. Deshalb forderte die Sowjetunion den Abzug der alliierten Truppen, und die Nichteinmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes. Für die Anerkennung der neuen in Jalta und Potsdam festgelegten Grenzen forderte die Sowjetunion einen Friedensvertrag, der von einer deutschen Zentralregierung mit den vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Staaten abgeschlossen werden sollte.

Konsequent setzte die Sowjetunion in ihren Friedensnoten und auf allen Gipfeltreffen der Vier Mächte der schrittweisen Eingliederung der BRD in das westliche Bündnissystem die Forderung nach Paktfreiheit und Rückzug aller ausländischen Truppen und den Abschluß eines Friedensvertrages als Bedingungen für eine Vereinigung der beiden Teile Deutschlands entgegen.

Die Westmächte und die BRD forderten dagegen die Wiedervereinigung eines fest in das westliche kapitalistische Bündnissystem integrierten Deutschlands und danach den Friedensvertrag.

Diese einander entgegengesetzten außenpolitischen Positionen waren Ausdruck antagonistischer Klassenpositionen. Die Westmächte vertraten ihre und der BRD imperialistische Interessen der Ausweitung des kapitalistischen Einflußbereichs auf Osteuropa. Die Sowjetunion vertrat die Interessen des deutschen Volkes auf Selbstbestimmung ohne Einmischung einer ausländischen Macht. Sie setzte sich für die Schaffung von Bedingungen ein, die es der deutschen Arbeiterklasse erst ermöglicht hätten, den Kampf um den Sozialismus gegen die geschwächte Bourgeoisie nach 1945 erfolgreich zu führen.

Mit der militärischen und wirtschaftlichen Sicherung der Bourgeoisie durch das westliche Bündnissystem und der wachsenden Stärkung der Positionen der Bourgeoisie im Klassenkampf (BVG, Verbot der Kommunistischen Partei, Wiederaufrüstung usw.) konzentrierte sich die Sowjetunion darauf, den Aufbau des Sozialismus in einem Teil Deutschlands, in der DDR, zu sichern und die Interessen der DDR auch außenpolitisch zu vertreten. Sie forderte nun nicht mehr den Abschluß eines Friedensvertrags mit einem Deutschland, sondern mit beiden deutschen Staaten. Chruschtschow läßt bereits 1961 als Zugeständnis an die 'Friedensoffensive' Kennedys die Forderung nach einem Friedensvertrag mit beiden deutschen Staaten fallen.

Berlin, das zunächst als Kontrollratssitz und Sitz einer späteren zentralen deutschen Regierung vorgesehen war, durch die Spaltung aber in zwei Teile zerfiel, war nach Auffassung der Sowjetunion ein auf dem Territorium der DDR liegendes politisches Gebilde, das rechtmäßig nach der Souveränitätserklärung der DDR zur DDR gehörte. Konsequent übergab die Sowjetunion der DDR mit der Souveränitätserklärung die Kontrolle über die Zufahrtswege und behielt sich lediglich die Kontrolle der Truppen der drei Westmächte vor. Auf den Flugplätzen Westberlins durften nur die Flugzeuge der ehemaligen westlichen Alliierten landen, denen eine feste Flugroute vorgeschrieben war.

Die Sowjetunion unterstützte den Kampf der DDR gegen den Ausbau Westberlins als strategischen Vorposten des Imperialismus, gegen die ständig fortschreitende Integration Westberlins in die BRD und dessen Ansprüche, Westberlin zum Land der Bundesrepublik zu erklären.

In den mit der Sowjetunion eingeleiteten Verhandlungen um die Verträge zwischen BRD und der SU war das Berlinjunktim die Trumpfkarte der Bundesregierung. Als Bedingung ihrer Zustimmung forderte und erreichte sie die Defacto-Anerkennung der Zugehörigkeit Westberlins zum Bund, die Anerkennung der Präsenz von Bundesbehörden in Westberlin und die Erleichterung der Kontrollen auf den Zufahrtsstraßen nach Westberlin, d.h. faktisch eine Korridorlösung.

DIE SOWJETUNION VERRÄT DIE INTERESSEN DER DDR

Alle diese Zugeständnisse betrafen die Rechte und Interessen der DDR. Handelte die Sowjetunion dadurch, daß sie das Faustpfand Westberlin aus der Hand gab und Westberlin an die Bundesrepublik auslieferte, wenigstens die Anerkennung der DDR ein? Keineswegs. Die Sowjetunion setzte sich auch in der Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR über die Interessen der DDR hinweg und zwang sie zu sogenannten Erleichterungen in den menschlichen Beziehungen und weiteren Kommunikationen unterhalb der Ebene der staatlichen Anerkennung: so zur Freigabe des Reiseverkehrs der Westberliner nach Ostberlin und in die DDR, zur Ausweitung der Telefonverbindungen, zu Erleichterungen in der Abwicklung des Güterverkehrs nach Westberlin. Verhandlungen mit den DDR-Behörden auf der unteren Ebene ohne Anerkennung der DDR, die 'die Mauer durchlässiger machen sollten', demagogisch als 'Erleichterung der Lage der Menschen in Ost und West' gegen die unmenschliche Politik der DDR ausgespielt, waren immer ein Ziel der Bundesregierung und des Westberliner Senats gewesen. Sie stellten schon immer die Taktik des Einsickerns ohne politische Zugeständnisse in der Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR dar. Alle diese Wünsche hat die sowjetische Regierung der Bundesregierung praktisch geschenkt.

Aber mehr noch. Unmittelbar nach Abschluß der Verträge von Moskau (vgl. 17.8.1970, d.Vf.) stellte Außenminister Scheel der Sowjetregierung einen Brief zu, in dem er im Namen der Bundesregierung erklärte, daß diese mit den Verträgen in keiner Weise auf das Ziel der 'Wiedervereinigung in Freiheit' und auf das 'Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes', sprich Eingliederung der DDR in das imperialistische System verzichte und daß sie an der Möglichkeit 'der friedlichen Veränderung' der Grenzen festhalte. Die Sowjetunion hat durch Quittierung dieses Briefes und neuerdings auch durch die Zusage, diesen Brief dem Obersten Sowjet vorzutragen, die Annexionsansprüche der BRD auf die DDR völkerrechtlich anerkannt. Mehr noch: in den Gewaltverzichtsanträgen verzichtet die Sowjetunion ausdrücklich darauf, an den Vertragsbindungen der BRD zu rütteln. Die Gewaltverzichtsverträge berühren nicht die mit den imperialistischen Staaten eingegangenen Verträge, z.B. auch nicht den Deutschlandvertrag oder Generalvertrag, in dem festgelegt wird, daß ein wiedervereinigtes Deutschland der NATO und dem westlichen Bündnissystem integriert wird, ferner, daß bei inneren und äußeren Unruhen die Regierungsgewalt wieder an die westlichen Alliierten fällt und daß diese Bestimmung bei einer Wiedervereinigung auch für ganz Deutschland in Kraft tritt. Mit diesem Vertrag ist praktisch die NATO-Invasion im Falle einer Zuspitzung der Klassenkämpfe in der BRD vertraglich legalisiert. Unter der Stimmungsmache der CDU/CSU häufen sich die Zugeständnisse. Auf diplomatischem Wege hat die SU die EWG-Politik der BRD akzeptiert und angedeutet, daß sie auch zu einer Zusammenarbeit mit der EWG bereit wäre.

DIE SOWJETUNION VERBREITET ILLUSIONEN ÜBER DIE 'FRIEDENSPOLITIK' DER SOZIALDEMOKRATIE

Aber schlimmer noch. Nicht nur antwortet die Sowjetunion auf die neue Taktik der Aufweichung und Unterwanderung mit Zugeständnissen, verrät sie die Interessen der DDR, gibt sie Westberlin an die BRD preis, verzichtet sie auf die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung der DDR, auf die Forderung nach einem Friedensvertrag, auf die Forderung nach Austritt aus der NATO usw. Sie stellt zugleich den Völkern die sozialdemokratische Politik als neue Politik der Vernunft, des Realismus, als Politik der Friedenskräfte dar, die es mit allen Mitteln, auch denen der Zugeständnisse zu unterstützen gilt. Angeblich stehen der friedlichen Sozialdemokratie die revanchistischen Kräfte der CDU gegenüber, die derzeit die Hauptgefahr für die Erhaltung des Friedens und der Entspannung in Europa darstellen. Indem die KPdSU die demokratischen Friedenskräfte im deutschen Volk mit der sozialdemokratischen Regierung gleichsetzt, hilft sie der SPD-Regierung, die imperialistische Politik der westdeutschen Kapitalistenklasse als Friedenspolitik zu tarnen.

Auf der anderen Seite lenkt sie die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse vom Kampf gegen den BRD-Imperialismus ab, indem sie die CDU/CSU und die reaktionären Kräfte zur Hauptgefahr erklärt. In der Tat verkörpert die CDU/CSU die Taktik des Kalten Krieges des BRD-Imperialismus; doch bereits die CDU mußte unter Erhard/Schröder und erst recht in der Großen Koalition unter den veränderten Bedingungen des westdeutschen Imperialismus auf die neue Taktik einschwenken. Die Angriffe der CDU/CSU auf die SPD/FDP-Regierung stellen, untersucht man die Einwände der CDU genauer, ein Schattenboxen um die Regierungsgewalt dar. Zwar mobilisiert die CDU/CSU die Anhänger des Kalten Krieges in ihrer Ablehnungskampagne gegen die Ostverträge, profiliert sie sich ständig als Vertreterin der offen aggressiven Taktik des BRD-Imperialismus, tatsächlich jedoch würde sich die CDU/CSU, wäre sie an der Regierung, sowohl den Wirtschaftsinteressen der großen Konzerne als auch den Interessen der verbündeten imperialistischen Westmächte, den USA und Frankreich beugen müssen. Die Taktik der CDU/CSU reduziert sich darauf, die Ostverträge durch die EWG und nicht durch die Bundesregierung einzeln abschließen zu lassen oder angeblich bessere Verträge mit der Sowjetunion auszuhandeln.

Die KPdSU geht aber noch weiter. Sie ordnet die zwei Taktiken des westdeutschen Imperialismus zwei unterschiedlichen Fraktionen der Bourgeoisie zu, einem aggressiv militaristischen Rüstungsflügel und einem angeblich am friedlichen Handel und an friedlichen Beziehungen interessierten Verständigungsflügel.

Schon eine Aufzählung der am Osthandel am meisten engagierten und interessierten Konzerne straft eine derartige Interpretation Lügen. Es sind die großen Stahl- und Automobilkonzerne, die zugleich die wichtigsten Rüstungsindustrien darstellen, die ihre Geschäfte und Investitionen in der Sowjetunion und den Volksdemokratien tätigen und ausweiten möchten. So erklärte der Stahlboß Wolff von Amerongen (vgl. S15*.197*, d.Vf.), zugleich Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft: 'Die Nichtratifizierung wäre wohl ein gewisser Rückschlag für uns alle.'

Mit dem Versuch der Aufteilung der Bourgeoisie in zwei entgegengesetzte Flügel verwandelt diese Theorie mögliche innerhalb der Bourgeoisie auftretende Widersprüche in Gegensätze. Mit dem einen Teil der Bourgeoisie kann die Arbeiterklasse und können sozialistische Staaten zusammenarbeiten, den anderen müssen sie bekämpfen. Damit revidiert die KPdSU ie von Lenin entwickelten Erkenntnisse über das durch und durch aggressive Wesen des Imperialismus und verhindert so, daß die Arbeiterklasse lernt, die unterschiedliche Politik der Bourgeoisie als unterschiedliche Taktiken ein und desselben Imperialismus zu erkennen und zu bekämpfen; sie lenkt im Endeffekt vom Kampf gegen den Imperialismus überhaupt ab.

DIE DKP LENKT DEN KAMPF UM FRIEDEN AUF DIE MÜHLEN DER SOZIALDEMOKRATIE

Die DKP hat den diesjährigen 1.Mai unter die Losung 'Ratifiziert die Verträge von Moskau und Warschau jetzt' gestellt.

Den Kampf um die Ratifizierung erklärt sie zur 'Arbeitersache', denn nach Auffassung der DKP stellen die Verträge 'eine entscheidende Wende zu dauerhaftem Frieden und gesamteuropäischer Zusammenarbeit' dar. Damit schaffen 'die Verträge von Moskau und Warschau… bessere Voraussetzungen für den Kampf um mehr Demokratie und die Rechte der Arbeiter in unserem Land, um die Senkung der Rüstungsausgaben und die Verbesserung des Lebensstandards der arbeitenden Menschen' (Mai-Aufruf der DKP (vgl. S15*.1972, d.Vf.)).

In der Tat stellt eine derartige Interpretation des Friedenskampfes eine 'entscheidende Wende' in den Grundsätzen kommunistischer Friedenspolitik dar. Insbesondere die deutsche Arbeiterklasse hat mit der Dauerhaftigkeit imperialistischer Verträge bittere Erfahrungen gemacht.

1934 (vgl. 1934, d.Vf.) schloß der deutsche Imperialismus unter Hitler einen Gewaltverzichtsvertrag mit Polen, den er fünf Jahre später durch gewaltsamen Einmarsch brach; 1938 (vgl. 29.9.1938, d.Vf.) er zwang er Zugeständnisse in der Sudetenfrage mit der Zusage, daß damit seine Gebietsansprüche befriedigt seien, um ein Jahr später in die Tschechoslowakei einzufallen; 1939 (vgl. 23.8.1939, d.Vf.) schloß er einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion, den er zwei Jahre später brach.

Gerade die Erfahrungen mit dem deutschen Imperialismus lehren, daß Verträge mit imperialistischen Staaten für die herrschende Bourgeoisie ein Fetzen Papier sind, wenn sich die Bedingungen und Formen zur Durchsetzung imperialistischer Ziele verändern. Wie kommt es nach Meinung der Revisionisten zu dieser entscheidenden Wandlung des Imperialismus heute? Sehr einfach. Die DKP erweist sich als gelehriger Schüler der revisionistischen KPdSU: 'Auf Grund des neuen Kräfteverhältnisses in der Welt…' (aus der Prager Deklaration vom Ende Jan. 1972 (vgl. 24.1.1972, d.Vf.)).

In der Tat verändern sich die Kräfteverhältnisse, und sie verändern sich insgesamt zuungunsten des imperialistischen Systems mit jedem Stück Land, das dem Einflußbereich des Imperialismus entzogen wird. Aber verändert sich damit die Aggressivität des Imperialismus? Nein. Dieser sucht nur nach neuen Formen der Expansion. Während er jedoch seine aggressiven Ziele mit Friedensbeteuerungen tarnt, verstärkt er zugleich seine Aufrüstungen, setzt er auch, wie die USA in Ostasien, seine offene Gewaltpolitik fort. Gewiß ist das aggressive Bündnis der imperialistischen Staaten durch die Schwächung des US-Imperialismus brüchig geworden, schwächen die Widersprüche das unter amerikanischer Hegemonie zusammengehaltene imperialistische System. Andererseits aber baut gerade der westdeutsche Imperialismus in dieser Phase unter dem Friedensmantel der SPD-Regierung seine selbständigen imperialistischen Positionen erneut aus. Die Kapitaloffensive des westdeutschen Imperialismus wurde gerade unter der 'Friedenspolitik' der SPD/FDP-Regierung vorangetrieben.

Erst die SPD-Regierung verschärfte die Angriffe auf die Löhne der Arbeiterklasse, entwickle die Staatseingriffe in die Tarifauseinandersetzungen zugunsten der Kapitalistenklasse durch ein ausgeklügeltes Instrumentarium gesetzlicher und propagandistischer Maßnahmen. Zugleich ist es auch die SPD-Regierung, die ständig die Rüstungsausgaben erhöht, Berufsverbote (BV, d.Vf.) durchsetzt usw. Die DKP jedoch sucht ganz auf der Linie der KPdSU der Arbeiterklasse weiszumachen, daß sich mit der SPD-Regierung die 'realistischen Kräfte' durchgesetzt haben, die ein für allemal eingesehen haben, daß es keinen Zweck mehr hat, aufzumucken, aggressive Ziele zu verfolgen oder gar zu gewaltsamen Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele zu greifen. Offensichtlich war es nach Auffassung dieser angeblichen Arbeiterpolitiker schon immer nur die Bösartigkeit, die Expansionslüsternheit der Imperialisten, die sie zu unverantwortlichen Gewalttaten trieb. Jetzt aber sind sie endlich einsichtig geworden.

Nun kann selbst die DKP nicht übersehen, daß der Staat seine Angriffe auf die Arbeiterklasse und die demokratischen Rechte verschärft, daß weiter aufgerüstet wird, daß die SPD sich nach wie vor weigert, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen und daß die CDU/CSU die Kräfte des Kalten Krieges mobilisiert. All' das trübt das Bild des Realismus und der Vernunft. Was tun, damit die Theorie von der neuen Qualität der herrschenden Klasse und ihres Staates auch stimmt? Diese Kapitalistenklasse als Klasse gibt es gar nicht mehr, und der Staat ist auch gar nicht mehr der Staat dieser Klasse. Die Kapitalistenklasse zerfällt vielmehr in 'die ultrarechten Kräfte' des Rüstungskapitals und in die 'realistischen Kräfte' des Kapitals, die den friedlichen Handel suchen. Die CDU/CSU ist danach die Partei des Rüstungskapitals, die SPD die Partei der realistischen Kräfte des Kapitals. Dann braucht sich das Volk also nur als Stütze der SPD-Regierung mit dem realistischen Flügel zusammentun und diesen zu einem konsequenteren Kampf gegen den reaktionären Teil des Großkapitals zu zwingen. Ist 'der Widerstand der Entspannungsgegner erst einmal überwunden' (Prager Deklaration, UZ v. 3.3.1972), dann bricht für die Arbeiterklasse im Kapitalismus das Paradies aus: jetzt kann die regierung die Rüstungsausgaben drastisch reduzieren und zum Wohle des Volkes einsetzen; die Kriegsgefahr ist ein für alle mal aus der Welt geschafft.

DIE DKP VERSCHLEIERT DEN IMPERIALISTISCHEN CHARAKTER DES KAPITALISMUS

Welche Aufgabe hat dann die Arbeiterklasse, haben dann die Kommunisten in diesem Kampf gegen die 'reaktionären Kräfte des Kapitals um Barzel und Strauß'? Sie sind konsequenter als die SPD. SPD und FDP 'verzichten in der öffentlichen Debatte auf die unzweideutige Zurückweisung der scharfmacherischen Hetze der CDU/CSU' (Hermann Gautier in der UZ v. 25.2.1972). Die SPD verbreitet auch immer noch 'Illusionen' z.B. über die Wiedervereinigung. Sie läßt sich zu sehr von den reaktionären Kräften unter Druck setzen, sie mobilisiert nicht genug das Volk und verläßt sich zu sehr auf das Parlament. Für den konsequenten Kampf braucht die SPD-Regierung die Kommunisten. In der Tat, eine bessere Propaganda kann sich die Kapitalistenklasse für ihre imperialistische Taktik nicht wünschen. Besser kann auch die SPD die Arbeiterklasse nicht einlullen und den heuchlerischen Friedensschalmereien der Kapitalistenklasse, derzeit unter Führung der SPD/FDP, kaum wirksamer ausliefern. Die SPD kann diesen Kommunisten fürwahr dankbar sein, wenn sie es auch nicht lohnen wird.

Warum ist diese These von den zwei Fraktionen des Kapitals falsch?

Das Kapitalismus in dem entwickelten Stadium des Imperialismus weitet seinen Kampf um Rohstoffe und Märkte über den nationlen Rahmen aus. Weil der Expansionsraum begrenzt ist, suchen die imperialistischen Länder im Konkurrenzkampf um Rohstoffe und Märkte Einflußsphären mit politischer und militärischer Gewalt zu erobern und zu sichern. Damit erzielen sie einmal den Absatz von Produktionsmitteln durch Kapitalinvestitionen, zum anderen zusätzliche profite durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse der eroberten Länder. Diese zusätzlichen Profite sichern den Imperialisten den Machtzuwachs und den Vorsprung im Konkurrenzkampf. Deshalb stillt auch der Handel mit den sozialistischen Ländern nicht den Appetit der Imperialisten, wie die DKP glaubhaft zu machen sucht.

Die Eroberung von Einflußsphären muß das Kapital sowohl gegen die ausgebeuteten Völker als auch gegen die Ansprüche der anderen imperialistischen Länder absichern. Weil unter dem Imperialismus die Profite nicht nur gegen die eigene Arbeiterklasse, sondern gegen die Völker der ausgebeuteten Länder und gegen die Angriffe der übrigen kapitalistischen Länder gewaltsam verteidigt und ausgeweitet werden müssen, bewaffnet sich die Kapitalistenklasse wie niemals zuvor eine herrschende Klasse in der Geschichte der Menschheit. Der Staat preßt die Mittel für die Rüstungen über Steuern aus der Arbeiterklasse heraus. Natürlich profitiert von der Rüstungsproduktion der Teil der Industrie, der Rüstungen produziert. Andererseits gibt es wegen der Sicherheit des Absatzes und der Profite keinen größeren Konzern, der nicht an der Rüstungsproduktion beteiligt ist. Einmal also, weil die Rüstung und die Armee die Interessen der gesamten Kapitalistenklasse schützen, zum zweiten, weil es faktisch keine Trennung zwischen Rüstungsproduktion und friedlicher Produktion gibt, kann es auch keinen Gegensatz zwischen Rüstungskapital und Nichtrüstungskapital geben. Wer einen derartigen Gegensatz konstruiert, täuscht über die aggressiven Expansionsziele der gesamten Kapitalistenklasse hinweg, leugnet das einheitliche Ziel der Kapitalistenklasse. Wer auf diese Weise die Herrschaft der Kapitalistenklasse aufzubrechen versucht, lenkt die Arbeiterklasse vom Kampf gegen die gesamte Klasse ab. Weil aber auch der Staat in dieser 'Theorie' bei einer derartig zerfallenen Kapitalistenklasse kein sicheres Instrument dieser Klasse mehr sein kann, braucht nach Meinung dieser Revisionisten die Arbeiterklasse diesen Staat auch nicht mehr zu stürzen, sondern nur im Bündnis mit den 'realistischen Kräften' an dem bürgerlichen Staat teilzuhaben.

Ein solches Paket von Lug und Trug gegenüber der Arbeiterklasse verbirgt sich also hinter der Kampagne für die Ratifizierung der Verträge gegen die entspannungsfeindliche Kräfte des Rechtskartells.

DIE ARBEITERKLASSE MUSS DEN KAMPF UM DEN FRIEDEN GEGEN DIE IMPERIALISTISCHE POLITIK DER KAPITALISTENKLASSE SELBSTÄNDIG FÜHREN

Wenn die Kapitalistenklasse unter Führung der SPD/FDP nicht weniger aggressiv ist als unter der CDU/CSU, an ihren Expansionszielen erklärtermaßen und eben nicht auf Grund irgendwelcher 'Illusionen' festhält, so muß doch festgehalten werden, daß die Parteien nicht zwei Fraktionen, aber zwei Taktiken der Offensive vertreten.

Für beide Formen der Offensive braucht die Kapitalistenklasse im Rahmen der bürgerlichen Demokratie die Unterstützung großer Teile des Volkes. In der Tat sucht die CDU/CSU die friedensfeindlichen, reaktionären Kräfte im Volke zu sammeln und ständig für die gewaltsame Taktik der Kapitalistenklasse zu mobilisieren. Unabhängig davon, ob diese Politik im Augenblick 'realistisch', d.h. den Kräfteverhältnissen angemessen ist oder nicht, ob sie, wäre sie an der Regierung, sie durchführen würde oder nicht, ist sie als Organisator und Propagandist der gewaltsamen Methoden gegen die Arbeiterklasse und ihre Organisationen und für gewaltsame Gebietsannexionen unentbehrliche Partei der Kapitalistenklasse. Deshalb muß auch die Arbeiterklasse den Kampf gegen die CDU/CSU, gegen Strauß und Barzel führen. Aber sie darf und kann ihn nicht erfolgreich als Anhängsel der SPD-Regierung führen.

Weil die SPD die aggressiven Ziele des Imperialismus unter den Friedens- und Entspannungsbeteuerungen verschleiert und auf diese Weise gerade die Arbeiterklasse und die fortschrittlichen Kräfte für die erneute Expansion des deutschen Imperialismus zu gewinnen versucht, ist es umso notwendiger, der Arbeiterklasse das wirkliche Wesen dieser Politik klar zu machen, sie selbständig in dem Kampf um den Frieden und gegen die Aggressionspolitik der Kapitalistenklasse zu organisieren. Weil allein die Arbeiterklasse den Frieden wirklich will und allein der geschlossene und einheitliche Kampf der Arbeiterklasse zusammen mit allen demokratischen Kräften die Kapitalistenklasse an den gewaltsamen Mitteln ihrer Expansionspolitik hindern kann, verbreitet eine Arbeiterpartei, die auf die SPD-Regierung setzt, nicht nur die sozialdemokratischen Illusionen vom friedlichen Charakter des westdeutschen Imperialismus, sie verhindert zugleich, daß sich die Arbeiterklasse auf die gewaltsamen Kämpfe der Kapitalistenklasse vorbereitet. Ihre 'Friedenspolitik' lähmt die Arbeiterklasse und dient indirekt der Gewaltpolitik der Kapitalistenklasse.

Um welche Forderungen muß der Kampf geführt werden?

Kommunisten und fortschrittliche Arbeiter und Demokraten müssen den Kampf jetzt gegen die verschärfte Reaktion des bürgerlichen Staates, also auch gegen die SPD-Regierung führen. Die Angriffe des Staates unter Führung der SPD/FDP auf die Löhne und demokratischen Rechte dienen ja gerade dazu, die verstärkte Kapitalexpansion im Konkurrenzkampf mit den übrigen imperialistischen Staaten durchzusetzen. Zugleich müssen sie die Kapitalistenklasse zum Verzicht auf ihre Expansionsziele zwingen.

In den Verträgen von Moskau und Warschau hat die Sowjetunion weder einen klaren Standpunkt zur Friedenspolitik vertreten noch die BRD öffentlich zum Bekenntnis einer Friedenspolitik gezwungen. Sie verzichtet darauf, die Regierung der BRD zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR zu zwingen. Sie hat stillschweigend auf die Forderung nach einem völkerrechtlich verbindlichen Friedensvertrag fallengelassen. Sie hat die militärische und wirtschaftliche Integration der BRD in das imperialistische Bündnissystem akzeptiert. Sie hat Westberlin praktisch an die BRD verschenkt. Die Verträge von Moskau und Warschau bedeuten deshalb keinen Fortschritt, sondern unter dem Mantel der Entspannung und des Friedens eine Politik der Zugeständnisse an die westdeutsche Kapitalistenklasse, eine Unterstützung der SPD-Regierung und damit einen Sieg der 'friedlichen' Expansionstaktik der westdeutschen Kapitalistenklasse.

Deshalb können sich die Kommunisten, fortschrittlichen Arbeiter und Demokraten nicht an die Kampagne um die Ratifizierung der Verträge anschließen.

Solange, wie die Wiedervereinigung Deutschlands nur die Angliederung an das kapitalistische Westdeutschland bedeutet, müssen die Kommunisten die völkerrechtliche Anerkennung der DDR fordern.

Sie müssen an der Forderung nach einem Friedensvertrag, in dem die bestehenden Grenzen völkerrechtlich von beiden deutschen Staaten anerkannt werden, festhalten.

Den Kampf gegen den Militarismus müssen sie mit der Forderung nach Abzug aller Besatzungstruppen und dem Austritt der BRD aus der NATO verbinden.

FÜR DIE VÖLKERRECHTLICHE ANERKENNUNG DER DDR!
FÜR DIE VÖLKERRECHTLICHE ANERKENNUNG DER GRENZEN DURCH DEN ABSCHLUSS EINES FRIEDENSVERTRAGES MIT BEIDEN DEUTSCHEN STAATEN!
GEGEN MILITARISMUS UND FÜR ABZUG ALLER FREMDEN TRUPPEN!
FÜR DEN AUSTRITT DER BRD AUS DER NATO!"
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972; Neues Rotes Forum Nr. 6, Heidelberg 1972, S.50

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26.04.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtete:"
VERSAMMLUNGSFREIHEIT?

Der KBB plant, am 26.April eine größere Veranstaltung durchzuführen, auf der wir unsere Linie zum 1.Mai vorstellen wollen und die aktuellen Fragen der westdeutschen Arbeiterbewegung diskutiert werden können. Für diese Veranstaltung haben wir bisher vergeblich einen größeren Raum zu mieten versucht. Absagen erhielten wir:
- in der 'Glocke', wo man uns sagte, für politische Veranstaltungen gäben sie ihren Raum nur an im Bundestag vertretene Parteien und auch da künftig nur für parteiinterne Veranstaltungen;
- im 'Niederdeutschen Theater', wo es hieß, an linksradikale Organisationen würde nicht vermietet wegen Krawallgefahr. Selbst als wir anboten, die Versicherungssumme für den Saal zu erhöhen, bekamen wir zur Antwort: Man vermiete nur an 'seriöse' Parteien wie SPD, CDU und DKP, die dem Haus keinen Schaden brächten;
- im 'Volkshaus', wo der zuständige Mann seine Ablehnung zunächst damit begründete, daß er Sozialdemokrat sei und grundsätzlich nicht an Kommunisten vermiete, um dann terminliche Gründe zu nennen;
- in den 'Weserterrassen', wo während des Wahlkampfes SPD und CDU-Veranstaltungen stattfanden, uns aber die Auskunft erteilt wurde, politische Parteien erhielten den Saal grundsätzlich nicht;
- in der 'Stadthalle', wo Termingründe angegeben wurden.

Natürlich werden wir weitersuchen und vermutlich wohl auch noch einen kleineren, weniger geeigneten Raum finden, um die Bremer Arbeiter zu einer Versammlung einladen zu können. Eine wichtige Lehre kann aber heute schon aus diesen Vorgängen gezogen werden, die Lehre nämlich, wie wenig die 'Versammlungsfreiheit' der Arbeiterklasse nutzt, wenn sie keine Gelegenheit findet, sie wahrzunehmen. In Wirklichkeit haben die Kapitalisten, die Ausbeuter und ihre Parteien alle für Versammlungen geeigneten Räume in der Hand. Die Arbeiter, die sich zur selbständigen Politik ihrer Klasse gegen die Bourgeoisie zusammenschließen, sie sind durch das Eigentumsrecht, durch den bürgerlichen Staatsapparat, durch seine Beamten und Richter in Wirklichkeit von der Demokratie ausgeschaltet. Die jetzige 'Versammlungsfreiheit', welche die bürgerliche Demokratie in Westdeutschland gewährt, ist Lug und Trug. In Wahrheit bedeutet sie die Freiheit für die Kapitalisten und ihre Lakaien, die Herrensitze, die besten Gebäude, die von den Werktätigen geschaffen worden sind, als ihr 'Eigentum' fest in der Hand zu halten.

Es kann nicht darum gehen, sich bei der herrschenden Klasse in Westdeutschland darüber zu beklagen, daß sie die Rechte, die sie im Grundgesetz (GG, d.Vf.) proklamiert hat, nicht auch wirklich gewährt. Es kommt darauf an, daß die Arbeiterklasse aus ihren Erfahrungen lernt, daß die Kapitalistenherrschaft und der bürgerliche Staat von ihr gestürzt werden muß. Die tatsächliche Diktatur der Bourgeoisie, die heute heuchlerisch unter der Form der demokratischen bürgerlichen Republik getarnt wird, sie muß ersetzt werden durch die Diktatur des Proletariats; durch einen Staat, in dem die herrschende Arbeiterklasse den Kapitalisten die Herrensitze, die besten Gebäude, aber auch die Zeitungsdruckereien, die Rundfunk- und Fernsehstationen WEGNIMMT. Das bedeutet, die Demokratie für die Reichen durch die Demokratie für die Armen zu ersetzen."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S. 18

01.05.1972:
Der Kommunistische Bund Bremen (KBB - vgl. 3.4.1972) berichtet über die JVW die zwischen heute und dem 30.6.1972 stattfinden sollen:"
ZU DEN JUGENDVERTRETERWAHLEN

In der Zeit vom 1.Mai bis zum 30.Juni werden in den westdeutschen Betrieben die Jugendvertreter gewählt. Festgelegt ist dieser Zeitraum im neuen Betriebsverfassungsgesetz (BVG - vgl. 19.1.1972, d.Vf.). Das bedeutet, daß von nun an regelmäßig alle zwei Jahre, wenn die Arbeiterjugend ihre Sprecher wählt, die politische Auseinandersetzung um den Weg der Arbeiterjugend verschärft und öffentlich geführt werden muß.

Gegenwärtig sind die Kapitalisten und ihre 'Sozialpartner' in den sozialdemokratischen Gewerkschaftsvorständen bemüht, den Kampf der Jugendlichen in den Betrieben auf ihre Reformmühlen zu lenken. Als Haupthebel dient ihnen dazu das Lob des neuen Betriebsverfassungsgesetzes, das als bedeutsamer Fortschritt hingestellt wird. Und dieses Gesetz, das die kollektiven Rechte der Arbeiter und Angestellten im Betrieb weiter einschränkt, das die Betriebsräte (BR, d.Vf.) weiterhin an die Fessel der Friedenspflicht legt und ihnen den Knebel der Schweigepflicht verpaßt, dieses selbe Gesetz räumt der Arbeiterjugend in der Tat einige Rechte ein.

WELCHE RECHTE HAT SICH DIE ARBEITERJUGEND IM NEUEN BETRIEBSVERFASSUNGSGESETZ
ERKÄMPFT?
- Die Jugendvertreter sind künftig durch einen eingeschränkten Kündigungsschutz gegen Schikanen der Kapitalisten besser gesichert. Die Einschränkung liegt darin, daß gewählte Jugendvertreter auch weiterhin entlassen werden können, wenn ihr Lehrvertrag ausläuft.
- Jugendvertreter sind künftig zu allen Betriebsratssitzungen zugelassen.
- Die Jugendvertreter in größeren Betrieben dürfen Sprechstunden während der Arbeitszeit abhalten.
- Das Recht auf vier Jugendversammlungen im Jahr wird zugestanden.
- Jugendvertreter verschiedener Betriebe eines Konzerns dürfen sich zu einer Gesamtjugendvertretung (GJV, d.Vf.) zusammenschließen.

Die Sprecher der Arbeiterjugend in den Betrieben bleiben jedoch trotz dieser Rechte ebenso gefesselt wie die Betriebsräte. Auch sie sind zur 'vertrauensvollen Zusammenarbeit' mit den Kapitalisten verpflichtet und unterliegen der Friedenspflicht. Verstärkt wird diese Fessel noch dadurch, daß die Lehrlinge nach wie vor kein Streikrecht haben. Das neue Betriebsverfassungsgesetz hat also lediglich die Fesseln ein wenig gelockert, die bei der Arbeiterjugend im Betrieb vorher wesentlich fester gespannt waren, als bei den älteren Kollegen.

Warum ist aber für die Arbeiterjugend die Fessel ein Stück gelockert worden? Es gibt dafür nur einen einzigen Grund: Weil die Arbeiterjugend gegen die Fesseln gekämpft hat! Genauer gesagt: wegen der Art, in der sie den Kampf gegen die Fesseln geführt hat. An der Spitze der Arbeiterklasse hat sie den Kampf gegen das ganze arbeiterfeindliche Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen. Sie hat sich von vornherein nicht mit speziellen Jugendrechten abspeisen lassen, sondern im Kampf für die Interessen der gesamten Klasse gestanden. Weil die Arbeiterjugend den Kampf gegen das Betriebsverfassungsgesetz klassenbewußt und nicht jugendborniert geführt hat, darum hat sie den politischen Vertretern der Kapitalistenklasse im Bundestag einige Zugeständnisse abringen können. Diese Zugeständnisse sind eine taktische Maßnahme, dazu gedacht, die Arbeiterjugend vom Kampf der Klasse wieder abzuspalten und in die Isolierung einer Jugendpolitik zurückzudrängen. Sie stellen den Versuch der Kapitalisten dar, gerade bei denen, die an der Spitze des Kampfes gegen das Betriebsverfassungsgesetz gestanden haben, die Illusion zu verbreiten, die 'Reform' sei gelungen.

DER KAMPF DER ARBEITERJUGEND IST UNTRENNBAR VERBUNDEN MIT DEM KAMPF DER GESAMTEN KLASSE

Aber damit haben die politischen Agenten des Kapitals in den bürgerlichen Parteien das Klassenbewußtsein der Arbeiterjugend unterschätzt. Seinen Ausdruck fand dieses Bewußtsein in Entschließungen, welche die 8.Bundesjugendkonferenz des DGB (vgl. 18.11.1971, d.Vf.) faßte. …

Dieser Linie der Gewerkschaftsjugend, das BVG nach seiner Bedeutung für den Kampf der ganzen Klasse zu bewerten, steht die Politik der Sozialpartnerschaftsideologen in den Vorständen der Gewerkschaften radikal entgegen. Während die Arbeiterjugend gegen das Gesetz vorging, weil es die Kampfpositionen der Klasse im Betrieb einschränkt, antwortet ihr die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung: Aber Eure Rechte sind doch erweitert worden! Es kommt jetzt nur darauf an, daß ihr sie richtig nutzt! Im Aufruf des DGB zur Jugendvertreterwahl heißt es: 'Es ist dem DGB, insbesondere den Initiativen und Aktivitäten der Gewerkschaftsjugend im 'Jahr des jungen Arbeitnehmers' zu verdanken, daß im neuen Betriebsverfassungsgesetz die Forderungen nach verstärkten Jugendvertreterrechten weitgehend berücksichtigt wurden. Jetzt gilt es, diese neuen Rechte zu nutzen und auszuschöpfen.'

Ja, es gilt in der Tat, die neuen Rechte zu nutzen! Aber hauptsächlich zu dem Zweck, das arbeiterfeindliche BVG zu zerreißen, die Fessel abzustreifen und gemeinsam mit der ganzen Klasse gegen die Kapitalisten und ihren Staat Front zu machen. Darum muß bei den Jugendvertreterwahlen besonders deutlich die Erkenntnis in die Arbeiterjugend getragen werden, daß die Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiterjugend ein Teil der Ausbeutung der gesamten Arbeiterklasse ist. Daß der Schlüssel zur Befreiung der Arbeiterjugend nur in der Aufhebung der Ausbeutung insgesamt und im Sturz der Kapitalistenherrschaft zu suchen ist.

DIE BESONDERE LAGE DER ARBEITERJUGEND - EIN HEBEL ZUR KLASSENSPALTUNG

Der Kampf der Arbeiterjugend wird unter der besonderen Bedingung geführt, daß Lehrlinge und Jugendliche in den Betrieben unter dem Wert ihrer Arbeitskraft entlohnt werden, das heißt, daß ihr Lohn nicht ausreicht, um davon zu leben, wie das ebenfalls bei den Frauen in vielen Bereichen der Produktion der Fall ist. Eine weitere besondere Bedingung der Arbeiterjugend besteht darin, daß die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und Ausbildung miteinander gekoppelt sind. An diesen besonderen Bedingungen, an der unterschiedlichen Schärfe und der unterschiedlichen Form der Ausbeutung versuchen die 'Reformpolitiker' die Hebel der Klassenspaltung anzusetzen. Ihren Ausdruck findet diese Politik etwa in Parolen der Jungsozialisten (Jusos der SPD, d.Vf.) zur Berufsausbildung: 'Ausbildung statt Ausbeutung'. Die Jungsozialisten schlagen damit vor, die Ausbeutung für die Arbeiterjugend dadurch zu beseitigen, daß man sie aus den Betrieben herausholt und auf Schulen setzt. Befreiung von der Ausbeutung ist für sie nur vorstellbar als Verlassen der Produktion, nicht als Beteiligung am revolutionären Kampf gegen die KAPITALISTISCHE Produktion und gegen den Staat, der sie schützt. So versuchen die Jungsozialisten, die Arbeiterjugend vom Klassenkampf abzulenken und auf Bildungspolitik und Chancengleichheit im Kapitalismus zu orientieren: 'Die besondere Kritik der bisherigen Lehrausbildung dient der Aufhebung der Benachteiligung dieser Gruppe im Bildungswesen und in der Gesellschaft überhaupt'. (Vorschläge zur Veränderung der beruflichen Bildung, Aktionsmodell, Materialien, 1970 (vgl. S5.**.1970, d.Vf.). Die Vorstellungen der Jungsozialisten laufen darauf hinaus: 'Wenn die Benachteiligung der Lehrlinge in der Ausbildung beseitigt wird, dann hört auch die Benachteiligung als Arbeiter in der Gesellschaft auf', was vielleicht gut gemeint, aber dennoch Unsinn ist. Solange der Kapitalismus besteht, bleiben die Arbeiter die vom Kapital ausgebeutete Klasse. Daran kann auch eine andere Lehrlingsausbildung nichts ändern. So hat die Betonung der Bildungspolitik durch die Jusos keine andere Bedeutung als die Vorstellung vom individuellen Aufstieg durch Bildung in der Arbeiterjugend zu verbreiten und die jungen Arbeiter dem Kampf ihrer Klasse zu entfremden.

Keine Alternative zu diesen Versuchen, den Kampf der Arbeiterjugend auf illusionäre bürgerliche Reformstrategien zu reduzieren, bietet die Politik der 'Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend' (SDAJ (der DKP, d.Vf.)). Ihre Parolen und Forderungen lösen den Kampf der Arbeiterjugend ebenfalls ab von den Interessen der Arbeiterklasse und führen in der Konsequenz nicht über 'Mißstände-Motzerei' hinaus. Der Widerspruch zwischen den Interessen der Arbeiterjugend und denen der Kapitalisten wird von ihr zum 'Kampf der jungen Generation gegen autoritäre Bosse' degradiert, womit sie sich an den auch in der Arbeiterjugend verbreiteten falschen Widerspruch zwischen Jung und Alt opportunistisch anhängt und damit objektiv die Politik der Klassenspaltung unterstützt.

Für die Arbeiterjugend gibt es gegenüber allen oft wortradikal auftretenden auftretenden Verdrehungen der Klassenwirklichkeit nur eine Alternative: den entschiedenen Kampf gegen verschärfte Ausbeutung durch die Kapitalisten als bewußter Bestandteil der gesamten Arbeiterklasse in ihrem Kampf für den Sozialismus.

WAS IST ZU TUN?

Ein organisatorischer Hebel für den Zusammenschluß von jüngeren und älteren Arbeitern zum gemeinsamen Kampf ist die aktive Betätigung in den Gewerkschaften, um die organisierten Massen vom Einfluß der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer zu befreien und die Gewerkschaften schließlich zu Kampforganisationen der Klasse zu machen. An dieser Arbeit in den Gewerkschaften führt kein Weg vorbei, wenn ein Jugendvertreter wirklich seine Arbeit im Interesse der Einheit der ganzen Klasse anpacken will. Darum rufen wir auf, nur solche Kollegen zu Jugendsprechern zu wählen, die Gewerkschaftsmitglieder sind und sich in gewerkschaftlichen Jugendgruppen aktiv am Kampf ihrer Klasse beteiligen.

Wir rufen dazu auf, bei den Jugendvertreterwahlen über die verschiedenen politischen Linien in der Arbeiterjugend ernsthaft zu diskutieren und diejenigen zur Wahl vorzuschlagen, die die Interessen der jungen Arbeiter und Angestellten vom Standpunkt der ganzen Arbeiterklasse her vertreten.

Wir rufen auf, durch die Wahlen die Einheit voranzutreiben zwischen Lehrlingen und jungen Kollegen in der Produktion, die als Hilfsarbeiter ausgebeutet werden. Diese Einheit ist keine Sache von Erklärungen, sondern eine Frage des Handelns. Darum sollten in größeren Betrieben Kollegen aus beiden Bereichen in die Jugendvertretung gewählt werden.

Wir rufen auf, Jugendversammlungen vor der Wahl durchzuführen und die Kandidaten auf diesen Versammlungen genau zu befragen, wie sie sich ihre Arbeit als Jugendsprecher vorstellen.

Die Arbeiterjugend braucht Jugendvertretungen, die in der Lage sind, ihren Kampf in den Betrieben mit der richtigen Perspektive zu organisieren und anzuleiten. Die bevorstehenden Wahlen müssen ein Schritt in dieser Richtung werden."
Q: Wahrheit Nr. 3, Bremen Apr. 1972, S. 5


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