Wolfsburg: Die Fahrpreiserhöhungen 1971

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Jürgen Schröder, Berlin, 7.7.2015

Die Datenbank MAO ist ein
vollständig selbstfinanziertes Projekt.
Unterstützen Sie uns durch:

Von den Fahrpreiserhöhungen in Wolfsburg können hier bisher nur wenige Dokumente und Hinweise erschlossen werden. Wir bitten um Ergänzungen.

Während der Kommunistische Bund Wolfsburg (KB WOB), einer der Vorläufer des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), einleitend für diese wie immer unvollständige Darstellung von den anstehenden Fahrpreiserhöhungen berichtet (vgl. 20.10.1971) und die Revolutionär Kommunistische Jugend (RKJ) der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM) versucht, die theoretischen Grundlagen der Roten-Punkt Aktion zu klären, kommt es in der Roten Punkt Aktion selbst offenbar bald zum Fraktionskampf zwischen der DKP und ihren Freunden einerseits und der radikalen Linken aus RKJ und KB sowie KAJB andererseits (vgl. 24.11.1971, 25.11.1971), die offenbar mit dem Ausschluß der Radikalen enden (vgl. Jan. 1972).

Auszug aus der Datenbank „Materialien zur Analyse von Opposition“ (MAO)

20.10.1971:
Der Kommunistische Bund Wolfsburg (KB WOB) berichtet:"
KAMPF DEN FAHRPREISERHÖHUNGEN!

Am 20. Oktober gab der Vorstand des kapitalistischen Unternehmens 'Stadtwerke AG' die Erhöhung der Busfahrpreise bekannt.
- Einzelfahrt für Arbeiter und Lehrlinge von bisher 50 Pf. auf 60 Pf. (Erhöhung um 20%)
- Mehrfahrkarte für Schüler von bisher 20 Pf. auf 37,5 Pf. (Erhöhung um 80%!)

Dazu ist noch hinzuzufügen, daß die Preise für Schülermehrfahrkarten bereits im vergangenen Jahr von 17,5 Pf. auf 20 Pf. pro Fahrt erhöht wurden. Die Schülermehrfahrkarte verteuerte sich also in einem Jahr um mehr als 100%. Im vorigen Jahr wurden die Preise für Mehrfahrkarten für Erwachsene ebenfalls erhöht!

Die Erhöhung soll am 1. Dezember in Kraft treten. Die von den Aufsichtsratsmitgliedern der Stadtwerke AG (das sind die vom Stadtrat gewählten Vertreter) beschlossenen Fahrpreiserhöhungen sind unzweifelhaft ein versteckter Lohnraub. Hier wird schon jetzt versucht die nicht einmal realisierten Lohnerhöhungen in der Metallindustrie von vornherein durch Lohnraub erfolglos zu machen. Die Fahrpreiserhöhungen richten sich gegen die Masse der Wolfsburger Bevölkerung. Sie stellen einen Angriff der Kapitalistenklasse, vertreten durch die Stadtbürokratie, gegen die Arbeiterklasse dar. Die ständig steigenden Preise der Lebensmittel, die in die Höhe getriebenen Mieten, die wachsenden Gebühren für Wasser und Elektrizität, das Anziehen der Benzin-, Tabak- und Branntweinsteuer durch die arbeiterfeindliche SPD/FDP-Regierung und jetzt noch die Fahrpreiserhöhungen, all das sind Angriffe auf die materiellen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und aller lohnabhängiger Schichten.

Berechnenderweise geben sich diese Herren nicht mit einer 20-prozentigen Erhöhung der Tarife für die Werktätigen zufrieden, nein mit der skrupellosen 80% Erhöhung der Schülertarife greift man gleich noch einmal in die Haushaltskassen der arbeitenden Bevölkerung, denn die Eltern bestreiten den Lebensunterhalt der Schüler.

Mit diesen preistreibenden Maßnahmen entlarven sich wieder einmal unsere sogenannten demokratischen Interessenvertreter im Rat der Stadt Wolfsburg als verlängerter Arm der Kapitalisten, somit also offensichtlich als Feinde der Arbeiterklasse. Den gewählten Vertretern des Stadtrates im Aufsichtsrat der Stadtwerke AG gilt es nicht zum Wohl der Bevölkerung zu handeln, sie nehmen keine Rücksicht auf die materielle Lage der Arbeiterklasse, bei ihnen geht es um 'automatenfreundliche' Tarifierung der Preise. In der bürgerlichen Presse (Wolfsburger Nachrichten) versuchen sie dann, uns mit einem 'monatelang ausgetüftelten Gesamtkonzept' diese Preistreiberei als Fortschritt hinzustellen.

Wie die SPD-Führer in Bonn mit Lohnleitlinien und konzertierter Aktion so versuchen die SPD-Führer in Wolfsburg arbeiterfeindliche Politik durchzusetzen.

Was heißt das für uns Arbeiter?

Wir müssen hier einen exemplarischen Kampf gegen Lohnraub und Preistreiberei führen. Das heißt wir müssen sowohl in der Tarifrunde mit unseren wirtschaftlichen Abwehrmaßnahmen (Lohnerhöhung) als auch im Kampf gegen die Fahrpreiserhöhungen unsere Interessen durchsetzen.

Um diesen Angriff der Kapitalisten auf die Lebensbedingungen der Wolfsburger Werktätigen entschieden entgegenzutreten, werden der KB und der KAJB WOB versuchen mit allen anderen antikapitalistischen und demokratischen Gruppen, die bereit sind diesen Kampf zu führen, zusammenarbeiten um so einen wirksamen Kampf mit Arbeitern, Lehrlingen und Schülern zu organisieren und zu führen.

Der KB und der KAJB, die kommunistischen Organisationen der Wolfsburger Arbeiterschaft geben mit der heiraus abgeleiteten Plattform und den daraus entwickelten Forderungen dem Kampf eine einheitliche Stoßrichtung.

WIR FORDERN:
1. ZURÜCKNAHME DER FAHRPREISERHÖHUNG!

An die beschlossene Fahrpreiserhöhung müssen wir unsere erste Forderung anknüpfen. Diese Forderung richtet sich an die gesamte Bevölkerung, die nicht nur unter der Fahrpreiserhöhung sondern unter der allgemeinen Steigerung der Lebenshaltungskosten zu leiden hat. Deshalb stellen wir diese Forderung, die die Massen zusammenschließt und für die wir in Aktionen kämpfen werden, an den Anfang. Ein weitere Forderung im Rahmen der sofortigen Zurücknahme der Fahrpreiserhöhung muß sein, daß ein Sozialtarif (ähnlich dem der Schüler) für Lehrlinge geschaffen wird.

2. FREIE FAHRT ZU ARBEITSPLATZ UND SCHULE!

Diese Forderung stellt klar, daß die Fahrt zum Arbeitsplatz Bestandteil der Arbeitszeit ist und somit nicht von Arbeitern und Lehrlingen getragen werden darf. Diese Forderung muß jedoch spezifiziert werden:

3. BEZAHLT DIE FAHRT ZUM ARBEITSPLATZ AUS UNTERNEHMERPROFITEN!

Diese Forderung muß von der gesamten werktätigen Bevölkerung Wolfsburgs erkämpft werdem, um so zu sichern, daß die Fahrt zum Arbeitsplatz nicht aus den Steuern der Werktätigen bezahlt wird.

Das heißt konkret für Wolfsburg, daß das VW Werk nicht nur die Fahrten der Arbeiter und Lehrlinge mit den Bussen der Stadtwerke AG bezahlt, sondern auch die Fahrten mit anderen Busunternehmen und den blauen Werksbussen bezahlt. Alle anderen Firmen außerhalb des VW Werkes betrifft diese Forderung im gleichen Maße, was es erst ermöglicht eine geschlossene Kampffront der gesamten Werktätigen Wolfsburgs zu bilden, die dann um so stärker den Kapitalisten und ihren Vertretern im Stadtrat entgegentreten kann.

Die Fahrten zur Schule müssen ebenfalls aus Unternehmerprofiten gezahlt werden, denn die Ausbildung in der Schule dient der Qualifizierung der Arbeitskraft für den Betrieb!

KAMPF DER FAHRPREISERHÖHUNG IM BÜNDNIS MIT ALLEN ANTIKAPITALISTISCHEN UND DEMOKRATISCHEN KRÄFTEN!"
Quelle: Klassenkampf Nr. 1, Wolfsburg Okt. 1971

01.11.1971:
In Wolfsburg gibt die RKJ der GIM vermutlich Anfang November die Broschüre "Was tun bei Fahrpreiserhöhungen" heraus mit ihrer Plattform zur Roten Punkt Aktion (RPA), in der bisher vor allem Schüler aktiv seien. Die RPA solle sich offene Ableger an Schulen usw. schaffen.
Q: RKJ: Was tun bei Fahrpreiserhöhungen, Wolfsburg o. J. (1971)

Wolfsburg_GIM001

Wolfsburg_GIM002

Wolfsburg_GIM003

Wolfsburg_GIM004

Wolfsburg_GIM005

Wolfsburg_GIM006

Wolfsburg_GIM007


08.11.1971:
In Wolfsburg gibt Roter Punkt Initiativausschuss, dem angehören DKP, SDAJ, MSA Spartakus, KB, KAJB, Jungsozialisten, SMV THG, SMV-AG Ratsgymnasium, Unabhängiger politischer Arbeitskreis und die RKJ der GIM, vermutlich in dieser Woche das Flugblatt "Wolfsburger!" heraus.
Q: Roter Punkt Initiativausschuss: Wolfsburger!, Wolfsburg o. J. (1971)

Wolfsburg_GIM010


19.11.1971:
In Wolfsburg beteiligen sich, laut KB Wolfsburg, 300 Schüler und Lehrlinge an der ersten Fahrpreisdemonstration (vgl. 20.10.1971). Der KAJB Wolfsburg sah auch Arbeiter. Der Roter Punkt Initiativausschuss, dem angehören DKP, KAJB, KB, MSA Spartakus, SMV Kreuzheide, SMV THG, SDAJ, RKJ, Unabhängiger politischer Arbeitskreis und Unorganisierte, rief mit einem Flugblatt auf.
Q: Klassenkampf Nr. 2, Wolfsburg Jan. 1972; Solidarischer Kampf Nr. 8, Wolfsburg 25.11.1971;Roter Punkt Initiativausschuss: Wolfsburger!, Wolfsburg o. J. (1971)

Wolfsburg_GIM011

Wolfsburg_GIM012


24.11.1971:
In Wolfsburg geben KB, KAJB und die RKJ der GIM vermutlich Mitte dieser Woche ein Flugblatt "Roter Punkt" heraus, in dem sie von der Sitzung des Initiativausschusses der Roten Punkt Aktion (RPA) am 22.11.1971, auf der ein Mitglied von DKP, MSA und SDAJ ihren Ausschluß verlangt habe. U.a. heißt es:"
Da die DKP und ihre Satelliten (MSA, SDAJ und paar SMVs) beabsichtigten, uns wieder ein Beispiel ihres Verständnisses von Arbeiterdemokratie zu geben, zogen es die drei Organisationen und weitere Unabhängige vor den Raum zu verlassen. …
Auf der nächsten Vollversammlung werden wir diese spalterische Politik der DKP entlarven.
Plötzlich sagt die DKP alle Vollversammlungen ab. Klar, muß sie doch fürchten, daß sie auf der Vollversammlung zur Rechenschaft gezogen wird und ihrer Spalterpolitik eine klare Absage erteilt wird.

WEIST DIE SPALTERISCHEN ABSICHTEN DER DKP ZURÜCK!
UNTERSTÜTZT DIE AKTION ROTER PUNKT!
BETEILIGT EUCH AN DEN AKTIONEN DES KB, KAJB UND DER RKJ!"
Q: KB, KAJB, RKJ: Roter Punkt, Wolfsburg o. J. (1971)

Wolfsburg_GIM008

Wolfsburg_GIM009


25.11.1971:
Der KAJB Wolfsburg gibt seinen 'Solidarischen Kampf' Nr. 8 (vgl. 14.10.1971, Jan. 1972) heraus. Eingegangen wird auch auf die Fahrpreiskampagne (vgl. 19.11.1971). Der Verbund von DKP, SDAJ und Marxistischer Schüler-Assoziation, der in Wolfsburg hauptsächlich von Oberschülern getragen werde, habe im Initiativkomitee gegen die Fahrpreiserhöhungen einen Antrag auf Ausschluß von KB, KAJB und RKJ gestellt, woraufhin diese die Sitzung verlassen hätten.
Q: Solidarischer Kampf Nr. 8, Wolfsburg 25.11.1971

Januar 1972:
Der KB Wolfsburg gibt die Nr. 2 seines 'Klassenkampfes' (vgl. Okt. 1971, März 1972) heraus, in der er sich auch mit den Fahrpreiserhöhungen in Wolfsburg befaßt. Gegen diese wurden bisher 2 000 Unterschriften gesammelt. Aus dem Initiativkomitee seien KB und KAJB Wolfsburg von der DKP ausgeschlossen worden. An einer Demonstration nahm man aber trotzdem teil (vgl. 19.11.1971).
Q: Klassenkampf Nr. 2, Wolfsburg Jan. 1972

März 1972:
Der KB Wolfsburg berichtet in der Nr. 3 seines 'Klassenkampfes' (vgl. Jan. 1972, Apr. 1972) u.a. über die Fahrpreiserhöhungen und deren Ablehnung bei VW.
Q: Klassenkampf Nr. 3, Wolfsburg März 1972; Arbeiterkampf Nr. 17, Hamburg Apr. 1972

Letzte Änderung: 04.11.2019

   Valid HTML 4.01 Transitional   Valid CSS

[ Zum Seitenanfang ]   [ geographische Zwischenübersicht ]   [ thematische Zwischenübersicht ]   [ Hauptübersicht ]