Rote Fahne, Zentralorgan der KPD, 3. Jg., Nr. 35, 28.1.1972

28.01.1972:
Die KPD gibt die Nr. 35 ihrer „Roten Fahne” heraus. Inhalt der Ausgabe ist:
- Bundesgrenzschutz. Militärapparat gegen die Arbeiterklasse
- Der KSV kämpft gegen die ‚Hamburger Beschlüsse’
- Lehren aus dem Streik der Stahlarbeiter. Bericht der Betriebszelle Hoesch
- Streikbericht
- Zweites Zwischenergebnis der Spendenaktion
- Untersuchungsbericht Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen. Zweck der Kommunalbetriebe: Sicherung der Monopolprofite
- Sieg fortschrittlicher Jugendvertreter bei Mannesmann-Lierenfeld
- Das Volk von Mocambique kämpft gegen Kolonialismus und Imperialismus
- Südwestafrika: Streik gegen moderne Sklaverei
- Zur Fusion der Stahlwerke Hoesch und Hoogovens
- Die ‚Hölle‘ von Hoogovens. Ein holländischer Genosse berichtet
- Arbeiterrunden der KPD
- Referat: Der sozialistische Aufbau in der DRV
- Vorwärts in der Solidaritätskampagne der Liga gegen den Imperialismus. Delegiertenkonferenz der Liga
- Ein Feind der Arbeiterklasse in Worten und Taten
- Ein Brief des Arbeiterfeindes
- Die Antwort des Jugendvertrauensleutekörpers Schering
- Kurzarbeit für 130.000 Ruhrkumpel
- Zentralisierung des staatlichen Unterdrückungsapparates.

Im Artikel „Ein Feind der Arbeiterklasse in Worten und Taten” wird aus der CPK Berlin berichtet: „Eduard Kolitsch ist seit 1969 Geschäftsführer der Westberliner Verwaltungsstelle der IG Chemie. Die klassenbewussten und fortschrittlichen Kollegen der Westberliner Chemischen Industrie, insbesondere die Kollegen von Schering, kennen Klitsch als kaltblütigen Karrieristen, als einen im Sinne der Gewerkschaftsführung funktionierenden Arbeiterbürokraten, der die Interessen der Kollegen mit Füßen tritt, wo immer er dazu Gelegenheit findet.

Angeblich selbst einmal Schichtarbeiter, rühmt sich Kolitsch als ‚Streikspezialist‘. Sein ‚mutiges‘, taktisch kurzfristig gegen die Gewerkschaftsführung gerichtetes Auftreten dient ausschließlich einem Ziel: sich bei der Gewerkschaftsführung durch ansteigende Mitgliederzahlen und Beiträge lieb Kind zu machen, um seine Beförderung zu beschleunigen.

Für Betrugsmanöver dieses Zuschnitts bietet sein Taktieren während der letzten Tarifrunde (CTR, d. Verf.) einen Beweis: Als die Funktionärsversammlung (der Vertrauensleute der Westberliner chemischen Industrie) sich mehrheitlich für eine einheitliche und gegen eine prozentuale Lohnerhöhung aussprach, versuchte Kolitsch zunächst, den Kollegen diese Haltung auszutreiben. Als ihm dies misslang, verfälschte er den Inhalt der Abstimmung: Er behauptete frech, die einheitliche Erhöhung sei getrennt für Arbeiter und Angestellte, und nicht, wie in Wirklichkeit, für beide gemeinsam gefordert worden. Den schändlichen Anschluss von 7, 8% hat Kolitsch voll mitzuverantworten.

Den Kollegen ist Kolitsch überdies als militanter Bourgeois-Propagandist bekannt. Seine Anschläge auf fortschrittliche Kollegen und gewählte Arbeitervertreter, namentlich in den Vertrauensleutekörpern, kündigt er durch an alle Belegschafts- oder Gewerkschaftsmitglieder gerichtete Briefe an, deren Inhalt und deren Tonfall den Autor als jemanden charakterisieren, der mehr ist als Hysteriker. Für jemand, der fortschrittliche und zur Gewerkschaftsführung in berechtigter Opposition stehende, kämpferisch für die Arbeiterinteressen und für die Beseitigung des Systems der Lohnarbeit eintretende Kollegen als 'Gehirngeschädigte', ‚Drahtzieher‘, ‚Unterwanderer’ bezeichnet (‚Unser Wort’ - Mitteilungsblatt vom August 1971) trifft eine Charakterisierung zu, mit der unsere Partei mit Recht vorsichtig umgeht: Er ist ein Sozialfaschist. Schon die Suspendierung des VL-Körpers des Werks Schering Müllerstraße im Februar 1970 ‚begründete’ Kolitsch damit, dieses Gremium sei von ‚zersetzerischen Ideologien infiziert.’ Kolitsch hat sich im Gewerkschaftsapparat außerdem als Vorreiter in der Behinderung der gewerkschaftlichen Jugendarbeit eingeführt. Gegen den Protest der Jugendlichen - einschließlich des Jugendausschusses - half er mit, die Anzahl der örtlichen Jugendseminare zu kürzen, die Teilnehmerzahlen zu begrenzen und fortschrittlich eingestellten Jugendreferenten zu kündigen.

Eine über die Satzung der IG-Chemie hinausgehende Verschärfung stellt dar, dass auf Kolitschs Betreiben im Westberliner Verwaltungsstellenvorstand nichts mehr behandelt wird, was vorher in irgendeiner Form bereits veröffentlicht wurde. Kolitsch beabsichtigte damit, die Arbeit von Kollegen in gewählten Ebenen, die sich als klassenbewusste Arbeitervertreter erwiesen haben, zu behindern. Um den Lesern ein anschauliches Bild von Kolitschs Rolle als Feind der Arbeiterklasse zu geben, drucken wir seinen an den JVL Schering Müllerstraße gerichteten Brief und die beispielhafte Antwort der Kollegen des Jugendvertrauensleutekörpers ab.

Wieder einmal wurde Eduard Kolitsch, Geschäftsführer der IG Chemie/Papier/Keramik in Westberlin, lebendig. Wieder einmal schoss er in die falsche Richtung, nämlich gegen fortschrittliche Gewerkschafter und nicht gegen die Kapitalisten. Die KOMMUNISTISCHE ARBEITERPRESSE berichtete in ihrer letzten Nummer von einem Brief Kolitschs an die Jugendvertrauensleute bei Schering. Mit diesem Brief versuchte Kolitsch, einen Keil zwischen den Jugendvertrauensleutekörper und die Jugendlichen zu treiben. Die Jugendvertrauensleute hatten zwei Resolutionen verabschiedet. Zum einen hatten sie eine Straßendemonstration am 1.Mai, dem Kampftag der Arbeiterklasse, gefordert. Zum anderen verurteilten sie das gerade verabschiedete ‚neue’ Betriebsverfassungsgesetz.”

„EIN BRIEF DES ARBEITERFEINDES”:

‚Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Am 25.November 1971 wurden im Verwaltungsstellenbüro vom Kollegen Deutschmann zwei Resolutionen des Jugendvertrauensleutekörpers Schering I abgegeben. Obwohl beide Resolutionen keinen Adressaten haben, also auch an den lieben Gott gerichtet sein könnten, und obwohl berechtigte Zweifel über die Behauptung bestehen, dass diese Resolutionen vom gesamten Jugendvertrauensleutekörper EINSTIMMIG angenommen wurden, da der Verwaltungsstelle nichts über eine Versammlung der Jugendvertrauensleute am 18.November 1971 bekannt ist, möchte der Unterzeichner dazu Stellung nehmen.

Beide Resolutionen werden dem Verwaltungsstellenvorstand lediglich zur Kenntnis gebracht, ohne dass eine Abstimmung darüber erfolgt.

Selbst der Überbringer der Resolutionen, Kollege Deutschmann, weiß. dass der Verwaltungsstellenvorstand einen Beschluss hat, wonach kein Antrag und keine Resolution im Vorstand mehr behandelt wird, die bereits vorher in irgendeiner Form veröffentlicht wurde. Die Resolution zum BVG wurde in der kommunistischen Arbeiterpresse Nr. 20 vom 16.November 1971 auf Seite 3 veröffentlicht und stammt somit nicht vom Jugend-VL, sondern der Jugend-VL macht sich erneut zum Sprecher der KPD-AO. Die I.G. Chemie-Papier-Keramik ist jedoch weder ein Tummelplatz für Gewerkschaftsfeinde noch ein VOLLZUGSORGAN einer linksradikalen Gruppe. Sie wird es auch dann nicht, wenn einige Mitglieder sich als trojanisches Pferd von der KPD-AO dazu missbrauchen lassen, das verworrene Gedankengut dieser Gruppe, gepaart mit haltlosen Unterstellungen und Diffamierungen in unsere Reihen zu tragen.

Zum Text dieser Resolution selbst etwas zu sagen, ist müßig, da er weder von Kenntnis noch Sachverstand getrübt, nur von böswilligen Unterstellungen und unwahren Behauptungen diktiert ist. Die Satzung unserer Gewerkschaft bestimmt im Paragraphen 3, dass wir uns zu den Grundsätzen der Demokratie in Staat und Wirtschaft bekennen. Das BVG ist nach demokratischen Grundsätzen von der Mehrheit der Volksvertretung, die in freien Wahlen vom gesamten Volk gewählt wurde, beschlossen worden. Dass die Gewerkschaften an ein solches Gesetz noch höhere Anforderungen stellen, als sie in der vorliegenden Fassung verankert sind, haben sie gesagt und gefordert.

Die Gewerkschaften verkennen jedoch nicht die zur Zeit bestehenden politischen Kräfteverhältnisse und die damit zusammenhängenden Möglichkeiten. Trotz der einzelnen Mängel, die das neue BVG noch hat, ist dieses Gesetz bereits ein erheblicher Schritt nach vorn und wesentlich besser als das alte BVG. Diese Verbesserung kann man natürlich nur erkennen und anerkennen, wenn man objektiv den Vergleich anstellt und nicht aus Böswilligkeit von vornherein, oder, was noch schlimmer ist, als gedanklicher Wurmfortsatz der KPD-AO Gedankengut von Leuten übernimmt, denen an einer demokratischen Mitwirkung und Mitbestimmung des Arbeitnehmers in den Betrieben schon deshalb nicht liegen kann, weil dadurch ihr Ziel, die Aufrichtung einer Diktatur, unter dem fadenscheinigen Mäntelchen der ‚Diktatur der Arbeiterklasse’ kommunistischer Prägung nicht mehr erreicht werden kann. Wenn von der KPD-AO und nun als dessen Sprecher bei uns auch von Euch die Behauptung aufgestellt wird, dass das im neuen BVG verankerte Beschwerderecht des einzelnen Arbeitnehmers ein Rückschritt gegenüber dem alten BVG wäre, dann sieht man angesichts solchen Demokratieverständnisses ja, was Ihr von den Rechten des Einzelnen und von Demokratie insgesamt haltet.

Demokratie ist für Euch nur solange eine Forderung, wie sie Euch ermöglicht, als eine Minderheit eine Mehrheit zu vergewaltigen. Das zeigt sich auch in der zweiten Resolution, die eine Demonstration zum 1.Mai auf der Straße fordert. Nicht die Entscheidung der Mehrheit unserer Mitglieder, bei der sich jedes einzelne Mitglied ohne Druck zu Hause für die eine oder andere Form des 1.Mai entscheiden konnte, ist für Euch verbindlich, sondern Ihr bildet Euch ein, diejenigen zu sein, die allein, selbst gegen den Willen einer überwältigenden Mehrheit, das Geschehen bestimmen können. Auch hier zeigt sich wieder ganz offen, daß Ihr nichts Anderes tun könnt, als die Forderungen der KPD-AO, wie sie ebenfalls in der Ausgabe dieses gewerkschaftsfeindlichen Häufleins vom 20.November 1971 abgedruckt sind, bei uns als Resolution einzubringen. Das gilt sowohl für den Antrag in dieser Resolution als auch für die Kritik am Text der Umfrage. Ihr verwendet sogar die gleichen Worte.

Für uns jedenfalls gilt die Meinung einer Mehrheit und dieser Meinung entsprechend werden wir auch bei der Festsetzung der Form des 1.Mai 1972 stimmen. Im übrigen möchten wir Euch empfehlen, bei der Einreichung von Anträgen und Resolutionen, auch die Zahl der Anwesenden mitzuteilen. Einstimmige Anträge oder Resolutionen sind auch dann einstimmig, wenn nur drei Anwesende da waren und zugestimmt haben. Das sagt dann aber nichts aus über die Meinung der ganzen Mitglieder oder Vertrauensleute. Mit freundlichen Grüßen
Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik. Verwaltungsstelle Berlin
E. Kolitsch’”
Q: Rote Fahne, Nr. 35, Berlin, 28.1.1972.

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