Juni 1970:
Die KPD/ML-ZK gibt die Nr. 6 ihres 'Roten Morgens' (vgl. 27.4.1970, Aug. 1970) heraus, in dem u.a. über den 1. Mai und die KP Belgiens/ML (vgl. 2.5.1970) berichtet wird.
Aus Bayern wird eine Austrittserklärung von 6 Genossen der ABG München, die sich nun der KPD/ML-ZK anschließen wollen, veröffentlicht (vgl. 28.5.1970).
Im Leitartikel "Gegen den Gründungsopportunismus" beschäftigt man sich vor allem mit der Gründung der KPD/Aufbauorganisation (KPD/AO) in Westberlin:"
In der Bundesrepublik und Westberlin ist das Gründungsfieber ausgebrochen. Diesen sogenannten marxistisch-leninistischen Organisationen ist eigen, daß
1. ihrer Gründung kein aktiver ideologischer Kampf mit der KPD/ML vorausgegangen ist,
2. die beiden Seiten ihres Gründungsopportunismus sich einerseits in Ökonomismus, andererseits in verbal radikalem Gebaren und putschistischen Tendenzen offenbaren. Statt die Vereinigung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung, sozial gesehen, die Vereinigung von Arbeitern und revolutionären Intellektuellen anzustreben, beschränkt sich dieser Opportunismus jeweils auf die eine oder andere Seite. … Aus der reichhaltigen Palette der Gruppierungen beschäftigen wir uns zuerst mit der KPD/AO, einer Gruppe von ca. 20 Westberliner Studenten, die den bescheidenen Anspruch stellt, die KPD im nationalen Rahmen aufzubauen. …
Jeder Marxist-Leninist in der Bundesrepublik und in Westberlin hat zur Zeit eine zentrale Aufgabe: die Schaffung der Kommunistischen Partei im nationalen Rahmen voranzutreiben. Das tut er nur, wenn er die bestehende Partei, die KPD/ML tatkräftig unterstützt und in ihr kommunistische Arbeit leistet. Er tut das keinesfalls, wenn er eine andere marxistisch-leninistische Organisation gründet, sei es eine Aufbau- oder eine Übergangsorganisation. Im Gegenteil, dadurch wird das bestehende Zentrum nicht gestärkt, sondern geschwächt, indem mehrere Zentren geschaffen werden, die angeblich alle eine zentrale Aufgabe wahrnehmen: den Aufbau der KP. …
Eine Gruppe früherer SDS-Häuptlinge in Berlin hat eine vorläufige 'Plattform der Aufbauorganisation für die Kommunistische Partei Deutschlands' (KPD-AO) veröffentlicht. Zeitlich fiel sie mit der endgültigen Auflösung des SDS-BV und des SDS als überregionaler studentischer Organisation zusammen. … Die KPD/ML wird in diesem Traktat, das die Aufbaukommunisten Plattform nennen, nicht einmal beim Namen genannt …, nur angedeutet. Als inhaltliche Abgrenzung von der KPD/ML nicht ernstzunehmende Floskeln sind sie Ausdruck der Hilflosigkeit. So sucht der eifrige Leser der 'Plattform' auch vergeblich nach der historischen Notwendigkeit der KPD/AO. … Den Argumenten der Aufbaukommunisten ist eigen, daß sie die Entwicklung der Partei in Etappen leugnen, daß sie die verschiedenen historisch notwendigen Aufgaben der Partei leugnen, die den verschiedenen Etappen entsprechen. Sie reduzieren in ihrem subjektivistischen Denken die Aufgaben der Partei auf die einer voll ausgereiften Massenpartei. … Der durchgängige Trick bei fast allen Argumenten der KPD/AO ist der, daß sie ihre subjektivistischen Absolutheitsansprüche an einer imaginären Partei mit der Wirklichkeit konfrontiert und aus dem negativen Erlebnis dann die Existenzberechtigung ihrer Aufbauorganisation ableiten. …
1 1/2 Monate nach dem Erscheinen der 'Plattform', nachdem die KPD/AO von der KPD/ML zur öffentlichen Stellungnahme gezwungen wurde, ist in der RPK Nr. 63 ein kläglich gescheiterter Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung der eigenen Organisationsgründung nachzulesen. Er enthält nur Plattheiten und Unwahrheiten. … Da wird also behauptet, die Organisationsform der KPD/ML sei sozialdemokratisch, weil die Ortsverbände ihre Grundeinheiten seien, und das ist natürlich kritikwürdig. Diesem inhaltsschweren Vorwurf ist wiederum eigen, daß er sich nur an der Form orientiert. Es gibt keine Form ohne Inhalt. … Da der Parteiaufbau sich nicht organisch von unten nach oben vollzieht, d.h. nicht von bereits vorhandenen Betriebs- und Stadtteilzellen ausgeht, ist es ein notwendiges Durchgangsstadium, daß z.B. einzelne Genossen vorerst in einem Ortsverband zusammengefaßt werden. … Das heißt, der Aufbau geht primär von oben nach unten. Was ist denn daran sozialdemokratisch? … Ein weiterer Fehler vieler Mechanisten ist, daß sie Theorie und Praxis auseinanderreißen und dann undialektisch gegenüberstellen. … Diese Leute begreifen nicht, daß es keine Theorie 'an sich' zu entwickeln gilt, sondern daß die Erarbeitung der revolutionären Theorie wiederum nur in der Einheit von Theorie und Praxis möglich ist. … Sämtliche bisher veröffentlichten Traktate des SDS-Altherrensyndikats zeigen …, daß diese Leute sich lieber um die konkrete Bestimmung der Widersprüche und den daraus resultierenden Aufgabenstellungen herumdrücken. Schwergewichtig rasseln sie mit dem Säbel und rennen überall mit ihrem 'Primat der Politik' durchs Gelände. Gerade das Studium der Widersprüche erlaubt es uns, das Verhältnis von politischem, theoretischem und ökonomischem Kampf zueinander zu bestimmen und jede dieser Formen des Klassenkampfes konkret inhaltlich zu füllen. … Es dürfte unseren SDS-Veteranen doch sehr schwer fallen, sich am eigenen Kragen aus dem Sumpf zu ziehen. Da nützt es gar nichts, sich selbst zu organisieren und umzubenennen. So laut sie es auch in die Welt posaunen mögen, daß sie es jetzt aber wirklich geschafft haben, ihre Vergangenheit zu überwinden, den praktischen Nachweis bleiben sie schuldig. Zum 1. Mai 1969 hat der damalige Infi-Stratege, heute Aufbaukommunist, Chr. Semler gegen die in Berlin auftretende, marxistisch-leninistische Rote Garde heftig polemisiert. … Dem Konzept der RG wurde entgegengetreten, damit, daß jede Avantgardeorganisation 'gleichzeitig die Transmissionsriemen aufzeigen' muß, 'wie das Gros der Mobilisierten einzubringen ist'. Vom selben Sprecher, heute natürlich aufrechter Marxist-Leninist, wurden dann noch einige gängige anarchosyndikalistische Thesen propagiert.
- Betriebskonflikte politisieren, damit die Staatsgewalt in die Fabriken zwingen,
- Die kapitalistischen Ausbildungsinstitutionen müssen paralysiert werden,
- Für eine Universität des ganzen Volkes. …
Dem Transmissionsriemenargument liegen 2 Fehler zugrunde. Erstens wird die politische Situation der studentischen Linken als einziges Kriterium dafür angesehen, was eine Avantgarde ist und was nicht. … Zweitens handelt es sich um ein opportunistisches Anknüpfen an wild mobilisierte studentische Massen in der Organisationsfrage. Hier liege die zentristischen Organisationsansätze und Vorstellungen der nächsten Monate, nach dem Mai 69 im Kern begründet. … Genau diesen Fehler, nämlich sich opportunistisch an den wild Mobilisierten zu orientieren, das Überbewerten der politischen Situation der studentischen Linken als Kriterium für die Avantgarde des Proletariats, für ihre Praxis, wiederholen die Aufbaukommunisten heute aufs neue. … In den Thesen der KPD/AO zur Arbeit an den Hochschulen heißt es, daß man die 'Verantwortung gegenüber dem Proletariat' klar erkennt und deshalb die 'Wichtigkeit von Massenbewegungen wie der Studentenbewegung' für den Kommunisten erkennt und ernst nimmt. Die Funktion des Kleinbürgertums als 'potentiellem Bündnispartner' des Proletariats wird anhand eines Lenin-Zitats aus 'Was tun' illustriert. … Die Fragen des Bündnisses mit Fraktionen des Kleinbürgertums hat für das Proletariat erst aktuelle Bedeutung, wenn es selbst erwacht ist, selbst kämpft und in diesem Kampf Bündnisse eingeht. Genauso sind allseitige politische Enthüllungen und Arbeit in allen Klassen der Gesellschaft erst dann politisch sinnvoll, wenn die Kommunisten in der Arbeiterklasse fest verankert sind, Fuß gefaßt haben. … Was soll es also heißen, wenn die AO von der 'Verantwortung gegenüber dem Proletariat' redet und in diesem Zusammenhang jetzt die Bedeutung von Massenbewegungen wie der Studentenrevolte hervorhebt? Da auch aus der Plattform nichts hervorgeht, heißt es, daß sie die Hauptaufgaben der jetzigen Etappe nicht bestimmen, nicht bestimmen können, weil sie die verschiedenen Widersprüche nicht studieren. Also auch in dieser Frage kommen sie über ihren eigenen bornierten Gesichtskreis der Studentenbeweung nicht hinaus. … Auf der Grundlage des bornierten Verständnisses vom 'Primat der Politik' schwätzen die Spaltergenossen von einer 'bloß proklamativ bleibenden Wiederholung des Führungsanspruches der Partei'. … Dieses Argument ist falsch, weil erstens Massenaktionen, Kämpfe, praktisches Eingreifen in die Politik der Bewegung als einziges Kriterium für die Avantgarde angesehen werden. Zweitens werden die Formen des Klassenkampfes auf eine reduziert, und diese eine wird nicht einmal richtig inhaltlich gefüllt. Drittens hat die Spalterorganisation es bisher konsequent unterlassen, die für die jetzige Etappe historisch notwendigen Aufgaben konkret zu formulieren. … Das Zaubermittel, mit dem die Aufbaukommunisten die inzwischen weitgehend anerkannte Aufgabe - den Aufbau der proletarischen Partei - in Angriff nehmen wollen, ist die strategische Forderung nach der Verkürzung des Arbeitstages. Während für die Bourgeoisie die ökonomische Macht immer schon das entscheidendste war, d.h. es war für sie von zweitrangiger Bedeutung, mit welcher Staatsform sie ihre ökonomiche Herrschaft ausübt, ist für das Proletariat der Kampf um die politische Macht das absolute Kriterium. Das bedeutet, daß der ökonomische Kampf, der Kampf um ökonomische Reformen wie Lohnverbesserungen, Verkürzung des Arbeitstages etc. immer dem politischen Kampf, dem Kampf für die sozialistische Revolution untergeordnet sein muß. … Damit stellt die AO das ABC des Marxismus-Leninismus auf den Kopf, ordnet den politischen Kampf dem ökoomischen Kampf unter. Zu Lenins Zeiten hieß das Ökonomismus. Wenn die Spalterorganisation dann auch noch behauptet, der Kampf um Verkürzung des Arbeitstages sei der Kampf um die Einheit der Arbeiterklasse, sei der beginnende Kampf um die Macht, so reihen sich diese Genossen ein in die Tradition von Bernstein, Martow, Chruschtschow und Liu Schao-tschi, die ja allesamt das Proletariat irrezuführen versuchten. … Wenn die AO meint, die Forderung nach Verkürzung des Arbeitstages sei die strategische Forderung, um die Arbeiterklasse zu einen, so geht man doch offensichtlich von der Einschätzung aus, daß die ökonomische Front in dieser Etappe die Hauptfront des proletarischen Kampfes ist. … Da der ökonomische Kampf bisher jedoch nur in Zeiten der totalen Defensive des Proletariats die Hauptfront des proletarischen Klassenkampfes darstellte, so muß man zu dem Schluß kommen, daß das Proletariat auch weiterhin in dieser totalen Defensive zu bleiben habe, nicht offensiv vormarschieren darf. … Sie mögen noch so sehr marxistisch-leninistisch tönen und sich als die ideologischen und theoretischen Führer des Proletariats aufspielen: Ihre wahre Haltung gegenüber dem Proletariat kommt schon darin zum Ausdruck, daß sie ihre strategische Forderung, d.h. die Forderung, die sie für die wichtigste halten, am 1. Mai noch nicht einmal in den Mittelpunkt ihrer Agitation und Propaganda stellten. Ihre zentrale Forderung war als zentrale Forderung noch ökonomistischer, noch reformistischer: Die Vorbedingungen für den Kampf für die Verkürzung des Arbeitstages - die Forderung, über die sie die Partei aufbauen wollen - sei der Kampf gegen die weitere Spaltung und Diskriminierung der Arbeiter. Der politische Kampf ist damit noch weiter in den Hintergrund getreten, die Notwendigkeit und Möglichkeit des sofortigen Aufbaus der Partei geleugnet. … Das SDS-Altherrensyndikat glaubte also, wegen des politisch recht belanglosen Umstandes, daß sich - ihrer Meinung nach - gegenwärtig keine revolutionäre Organisation KPD 'nennen' kann, eine eigene Organisation gründen zu müssen. Diese Apostel des Marxismus-Leninismus haben es unterlassen, den Aufbau einer weiteren kommunistischen Organisation in öffentlichen Auseinandersetzungen mit der KPD/ML zu begründen und haben es vielmehr vorgezogen, einem aktiven ideologischen Kampf aus dem Wege zu gehen. Diese Taktik des prinzipienlosen Friedens ist eine Erscheinungsform des KPD/AO-Liberalismus. … Bei alledem haben es die Aufbaustrategen wohlweislich unterlassen, für oder gegen die Fraktionisten innerhalb der KPD/ML Partei zu ergreifen. Und das bedeutet eben: prinzipienloser Kampf gegen die KPD/ML, prinzipienloser Frieden mit allen Fraktionisten. Das ist das Primat des KPD/AO-Liberalismus. Prinzipienloses Taktieren und effektheischerisches Wortgerassel einerseits, ökonomistische Praxis andererseits, das sind die beiden Seiten des Primats des KPD/AO-Ökonomismus. … Das Scheitern der AO ist also jetzt schon in ihrer durch und durch opportunistischen Linie 'im Kern begründet'. Hier und heute verdammen sie sich für kommende offene Klassenschlachten zur völligen Bedeutungslosigkeit."
Die OG Würzburg der KPD/ML-ZK (vgl. Sept. 1970) zitiert den folgenden Satz:"
Jeder, der eine weitere kommunistische Partei gründet und behauptet, Marxist-Leninist zu sein, muß nachweisen, daß die bestehende KPD/ML revisionistisch ist und eine grundsätzlich falsche Linie verfolgt, sodaß eine Korrektur dieser Linie mit der Methode der Kritik und Selbstkritik innerhalb dieser Partei unmöglich ist."
Quellen: KPD/ML-ZK-OG Würzburg: Rote Front Nr. 6, Würzburg Sept. 1970, S. 1; Roter Morgen Nr. 6, Hamburg Juni 1970