"Revolutionärer Weg - Probleme des Marxismus-Leninismus - Theoretisches Organ der KPD/ML", Nr. 5/1970: Über den Parteiaufbau

Materialien zur Analyse von Opposition

Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, 23.2.2022

Der "Revolutionäre Weg" 5/1970 kann als konsequente Fortsetzung des RW 4 eingeordnet werden. Er war im Wesentlichen gegen die Bildung des Zentralbüros, das sog. "4-Männer-Gremium" um den Politleiter, aus der Betriebsgruppe I kommend, gerichtet. Was darin an Schmähungen, Bösartigkeiten und Unterstellungen verbreitet wurde, war kein Ausrutscher, sondern System. Willi Dickhut war ja nicht zimperlich mit seinen Äußerungen. Aus der Frühzeit ist eine Kontroverse mit Günther Ackermann bekannt, den er öffentlich als "Schmierfink" titulierte. Auch wenn das nur ein Nebenschauplatz war, so war das Dokument "Über den Parteiaufbau" eines jener fragilen Gebilde, die an Diffamierungen kaum zu überbieten waren.

Im Vorwort des Verlags "Neuer Weg" zu den Ausgaben RW 4 und RW 5 heißt es: "Der Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei war darum dringend erforderlich und durch den Verrat der Revisionisten gerechtfertigt. Es bildeten sich Gruppen, die sich auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus den Parteiaufbau zur Aufgabe stellten. In diese Keime einer revolutionären Partei drangen die kleinbürgerlichen Studenten, um 'in allem die Führung zu übernehmen' und eine kleinbürgerliche politische Linie hineinzutragen. Sie gerieten in Widerspruch zu den klassenbewussten Arbeitern, die eine proletarische Linie vertraten.

Diese beiden Nummern des 'Revolutionären Wegs' zeigten auf, wie sich der proletarische Weg des Parteiaufbaus unter Führung der Arbeiter durchsetzen konnte gegen den Führungsanspruch der kleinbürgerlichen Studenten. Darin wird zu vielen Grundfragen des Parteiaufbaus Stellung genommen: die Orientierung auf die Arbeiterklasse, der demokratische Zentralismus als Organisationsprinzip oder das Verhältnis der marxistisch-leninistischen Partei gegenüber dem revolutionären Jugendverband".

Der "proletarische Weg", den der Verlag als Grundlage des "proletarischen Charakters" einer Arbeiterpartei vermitteln will, bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie zu Beginn der 1970er Jahre. "Unter der Führung der Arbeiter" gehört zu jenen Ammenmärchen, die sich bis heute gehalten haben. Die KPD/ML-Revolutionärer Weg und auch der KAB/ML, die sich Anfang August 1972 zum KABD zusammenschlossen, kamen aus der sog. "kleinbürgerlichen Studentenbewegung" und hatten mit Arbeitern rein gar nichts am Hut.

Aber dem RW war das egal. Er zog gegen die "Kleinbürgerlichkeit" des Zentralbüros als "zentrale Fraktion" und "fraktionelle Hausmacht" zu Felde, um im gleichen Atemzug die Basis für eine neue Fraktion zu schaffen. Nach Gesprächen wurde festgestellt, dass "keine wesentlichen Differenzen zwischen der Politik der KPD/ML und des KAB/ML vorhanden seien".

Das alles war im RW 5, gespickt mit Protokollen und Gesprächsnotizen, die niemandem bekannt gemacht worden waren und bar jeder Nachprüfbarkeit waren. So war auch dieser RW ein reines Eigenprodukt, das sich zudem aus windigen Quellen nährte und vielfach Dokumente der LKK NRW enthielt, die seinerzeit Dickhut als Leiter der Landeskontrollkommission unter Verschluss hielt.

Die Folge war die Abspaltung einer neuen Fraktion: der KPD/ML-Revolutionärer Weg. Der "proletarische Weg des Parteiaufbaus", den der Verlag "Neuer Weg" schon flammend zitierte, entpuppte sich also beim näheren Hinsehen als Schuss in den Ofen.

Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)

September 1970:
Vermutlich im September erscheint der "Revolutionäre Weg" Nr. 5. mit dem Titel: "Über den Parteiaufbau". Autor ist das "Redaktionskollektiv Revolutionärer Weg". Verantwortlich zeichnet Willi Dickhut, Solingen. Die Ausgabe hat 56 Seiten und beschäftigt sich vor allem mit der 2. Spaltung der KPD/ML NRW bzw. KPD/ML-ZB Juni-Ende August 1970. Das Redaktionskollektiv schildert unter dem Kapitel III "Aufbau der Partei auf nationaler Ebene und die Bildung eines vorbereitenden Zentrums" auch seine eigenen Vorstellungen über den Parteiaufbau: "Der Gründungsparteitag der KPD/ML wählte trotz der subjektiven politischen Unreife, trotz des Fehlens der ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen ein Zentralkomitee, das von vornherein nicht in der Lage war, die umfassenden Aufgaben eines ZK durchzuführen. Es war in Wirklichkeit keine echte Zentrale. (…)

Die Weinfurth-Gruppe hat einfach das ZK der Ezra/Aust-Gruppe durch ein ZB ersetzt, das sich aus selbsternannten Führern zusammensetzt, ein Zentralorgan herausgibt und den Parteiaufbau von oben nach unten verkündet, in Wirklichkeit, um ihre Herrschaft unkontrolliert und willkürlich ausüben zu können. In ihrem hektischen Arbeitsstil und dem Bestreben, möglichst viel Material herauszugeben, das ZO der Partei, die 'Rote Fahne', das Informationsblatt 'Kommunistischer Nachrichtendienst', das ZO der Jugend 'Der Kampf der Arbeiterjugend', 'Der junge Bolschewik', 'KJ-Inform', das Funktionärsorgan 'Der Parteiarbeiter', außerdem wollten sie das theoretische Organ 'Revolutionärer Weg' okkupieren - machen sie nicht nur Fehler, sondern verwirren auch die Mitglieder der Partei. (…)

Allein die Ezra-Gerhard-Gruppe in Westberlin ist in vier Teile gespalten, dazu kommen noch eine Reihe anderer Gruppen, die sich Marxisten-Leninisten nennen, und die Rote Garde wurde fast aufgerieben. In NRW gibt es jetzt drei Parteigruppen der KPD/ML. Was ist die Ursache? Es ist das Ergebnis der falschen Politik in Theorie und Praxis seitens des ZK der Ezra-Aust-Gruppe und des ZB der Weinfurth-Genger-Gruppe, die nicht die Vereinigung der marxistisch-leninistischen Gruppen anstreben, sondern ihre Aufsaugung, des Verlangens nach vollständiger Unterordnung unter ihre Führung. Obwohl sie noch nicht den Beweis einer echten, wirklichen Führung erbracht haben.

Sie verlangen die Anerkennung eines absoluten Zentralismus und einer bedingungslosen, blinden Disziplin; sie missachten die Gewährung der Demokratie und Freiheit: sie lehnen in Wirklichkeit den demokratischen Zentralismus als grundlegendes Organisationsprinzip einer Arbeiterpartei ab. (…) Wir müssen von der Tatsache ausgehen, dass es keine wirkliche Zentrale gibt und dass der Aufbau der Partei auf nationaler Ebene durch Vereinigung der bestehenden Gruppen und Organisationen noch vor uns steht. Die Vertreter des extremen Zentralismus mögen schreien, was sie wollen, diese Vereinigung kann zunächst nur auf regionaler Ebene durch Bildung von Landesverbänden durchgeführt werden, wobei ihnen Genossen mit größeren Erfahrungen aus anderen Landesverbänden behilflich seien können. (…) Daraus ist zu schließen:

1. Der regionale Parteiaufbau auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus muss durch Heranbildung von Funktionären auf unterer Ebene (Gruppen) und Weiterentwicklung dieser Funktionäre auf höherer Ebene (Bezirk und Land) bei gleichzeitiger Vereinigung der Gruppen und Stützpunkte zu einem Landesverband und der Schaffung einer arbeitsfähigen Landesleitung, zuerst als Provisorium, dann als gewähltes Organ, und durch konkrete Aufgabenstellung erfolgen.

2. Der nationale Parteiaufbau auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus muss durch Vereinigung der Landesorganisationen erfolgen. Um das praktisch durchführen zu können - denn es handelt sich hier nicht um eine administrative Maßnahme, sondern um einen Prozess -, muss ein vorbereitendes nationales Büro geschaffen werden, das zur Koordinierung der Aufgaben ein Mitteilungsblatt herausgibt. Dieses nationale Büro, das nur vorbereitende Aufgaben hat, setzt sich aus Vertretern oder Beauftragten aus solchen Landesverbänden zusammen, die über genügende Erfahrungen verfügen. Der vorbereitende Charakter der Aufgaben kommt darin zum Ausdruck:

a) Hilfe beim Aufbau von Landesverbänden und Bildung von arbeitsfähigen Landesleitungen und
b) durch Vorbereitung einer Bundes-Delegierten-Konferenz (kein Parteitag), um bestimmte gemeinsame Aufgaben auf nationaler Ebene zu beschließen. Die zu beschließenden gemeinsamen Aufgaben sind:
1. Schaffung eines gemeinsamen Zentralorgans und Wahl der Redaktion nach vorheriger Vorbereitung.
2. Schaffung eines gemeinsamen theoretischen Organs für die vereinigte Jugendorganisation und Wahl der Redaktion.
3. Schaffung eines gemeinsamen theoretischen Organs und Wahl der Redaktion.
4. Schaffung einer gemeinsamen zentralen Studentenzeitung und Wahl der Redaktion.
5. Wahl eines nationalen Büros mit gebundenen Aufgaben (keine ZK-Befugnisse). Hauptaufgabe: Vorbereitung des Parteitages. Weitere Aufgaben: Koordinierung der Aufgaben der Landesverbände auf Bundesebene - zentraler Schulungsplan, zentrale Agitation, zentraler Literatur- und Zeitungsvertrieb.

Für die Vorbereitung der Bundesdelegierten-Konferenz werden in den Landesverbänden Landesdelegierten-Konferenzen durchgeführt, auf denen die Bundesdelegierten gewählt werden. Regionaler und nationaler Parteiaufbau sind nicht voneinander zu trennen. Es sind zwei Seiten einer dialektischen Einheit, wie Demokratie und Zentralismus, wie Freiheit und Disziplin. Der Aufbau vollzieht sich also als dialektischer Prozess, wobei in der jeweiligen Situation des Parteiaufbaus die eine oder andere Seite das Schwergewicht bekommt. Darum weder einseitiger Parteiaufbau von oben nach unten, noch von unten nach oben, darum weder übertriebener Zentralismus noch übertriebene Demokratie. Das wichtigste Merkmal ist die dialektische Einheit. Sobald die ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung eines Parteitags ausgereift sind, bereitet das nationale Büro unmittelbar den Parteitag vor, besonders einen Programmentwurf und einen Statutenentwurf, die mindestens vier Monate vor Beginn des Parteitages allen Mitgliedern zugestellt werden müssen, um eine gründliche Diskussion darüber zu gewährleisten. (…) Bei einer solchen Aufbauarbeit kommt der Schaffung einer zentralen Zeitung besondere Bedeutung zu. Diese Zeitung wird ihre zentralen Aufgaben nur dann erfüllen, wenn sie das Leben und den Kampf der Arbeiterklasse, die wichtigsten Erscheinungen in der Gesellschaft und die Tätigkeit der Partei widerspiegelt und die Arbeit der Partei auf allen Gebieten unterstützt und sie zentral anleitet."

Der RW gliedert sich in:
"I. ZWEI ANSICHTEN ÜBER DEN PARTEIAUFBAU
1. Der demokratische Zentralismus als dialektische Einheit
2. Die Lehren des Parteiaufbaus in Russland um die Jahrhundertwende

II. DIE KLEINBÜRGERLICHEN INTELLEKTUELLEN USURPIEREN MITTELS EINES 'ZENTRAL-BÜROS' DIE FÜHRUNG IN DER PARTEI
1. Die Bildung des "Zentral-Büros" als zentrale Fraktion
2. Die ultralinke Politik des Zentral-Büros (Einschätzung der SPD als sozialfaschistische Partei)
3. Die Tätigkeit des "Zentral-Büros" als fraktionelle Hausmacht
4.Die Haltung des "Zentral-Büros" gegenüber dem KAB/ML und anderen Gruppen

III. AUFBAU DER PARTEI AUF NATIONALER EBENE UND DIE BILDUNG EINES VORBEREITENDEN ZENTRUMS

ANHANG: Persönliche Erklärung des Genossen Willi Dickhut."
Quelle: Revolutionärer Weg - Probleme des Marxismus-Leninismus - Theoretisches Organ der KPD/ML, Nr. 5, Solingen, 1970.

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Letzte Änderung: 23.02.2022