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Kapitel
Die Kampagne gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik (später nur noch NAR) gehörte m.E. zu den wichtigsten Kampagnen des Zentralbüros der KPD/ML. Sie war allgemein eingebunden in den „Kampf gegen den Bonner Staat“ und insbesondere in den „Kampf gegen die SPD-Regierung“, gegen das Lohndiktat als „sozialfaschistischen“ Verwaltung der Arbeiterklasse, wie es im „Bolschewik“, Nr. 8/1971, der Ende September erschien, hieß. Es könnte auch gemutmaßt werden, dass sie das eigentliche zentrale Kettenglied war, um der Sozialdemokratie, „heftige Schläge“ (ZB-Jargon) zu versetzen.
Im Kampf gegen die Sozialdemokratie und deren „Neue Ostpolitik“ hatte sie den Stellenwert eines konstatierten Antagonismus. Ging es doch darum, die Sozialdemokratie endlich aufzubrechen, ihre Zerfallserscheinungen an ihrer aktuellen Politik zu verdeutlichen, ihre Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie zu geißeln. Wenn man so will, ging es um Sein oder Nichtsein. Als Gesamtsystem begriffen, wirkte sie wie ein internationaler Konkurrenzkampf, der alle Facetten der Verwertbarkeit möglicher praktischer Politik enthielt. Mit ihr stand das ZB am Scheideweg. Entweder gelang es ihm, der SPD ihre - so das ZB - nationalistische Politik und damit rechtslastige Positionen und Tendenzen nachzuweisen oder ihre Anhäufung von Anwürfen gegen Sozialdemokratie würden sich nur als Gelegenheitsreflexionen erweisen.
Mit den ersten „Thesen zur Sozialdemokratie“ (vgl. Juni/Juli 1970) hatte das ZB den Weg für die Kampagne gegen NAR bereitet, mit der Erarbeitung zur Sozialfaschismuslinie (vgl. u. a. „Bolschewik“, Nr. 5/1970 vom November), mit dem „Parteiarbeiter“ und mit den ersten Konferenzen zur Sozialdemokratie Ende des Jahres 1970 (Thematiken: „Die Entwicklung der SPD von einer sozialreformistischen zur sozialfaschistischen Partei“) die Organisation auf diese „soziale Hauptstütze der Bourgeoisie“ eingeschworen.
Der „Zerfall der Sozialdemokratie“ (so das ZB) würde weiter und weiter voranschreiten. Sie verliere mehr und mehr ihre Massenbasis in der Arbeiterschaft. Um die Arbeiterschaft niederzuhalten, müsse sie zu Knebelungsmaßnahmen greifen. Diese würden in vielfältiger Form wirken: über die IG-Metall und andere Industriegewerkschaften (Lohndiktat), über die sozialdemokratischen Betriebsräte in den Betrieben (sozialfaschistische Handlanger), über die Ausbeutung der Lohnarbeiter, die durch die innerbetrieblichen Gesetzgebung (vgl. Betriebsverfassungsgesetz) mit Staat und Politik auf Gedeih und Verderb unlösbar miteinander verwoben waren, über die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft und die Herausbildung eines konsequenten imperialistisch-faschistischen Flügels, der Sozialdemokratie. Das gesamte private Leben der Bürger und speziell der Arbeiterschaft, wurde so zu einer Durchsetzung von sozialstaatlicher Interventionspolitik.
Mit mathematischer Genauigkeit lassen sich also so die Stationen der Politik gegen NAR ableiten. Über fast 3 Jahre hinweg wurde sie zu einer eigenständigen Linie im Gesamtkontext zur Sozialdemokratie entwickelt, die mit dem Münchener Fiasko (2. September 1972), dem Kampf am „Roten Antikriegstag“, endgültig in die Sackgasse geriet. Die Münchener Aktionen waren unzweifelhaft der Höhepunkt der NAR-Politik. Sie waren gleichzeitig ein blinder Fleck der Bewusstlosigkeit, der es vermocht hatte, die schwere Organisationskrise, die nun eintreten sollte, ans Tageslicht treten zu lassen.
Woher die eigentliche Kampagne gegen NAR kam, ist nicht mehr eindeutig zu recherchieren. Vermutet werden könnte, dass sie zunächst in den Anti-Notstandskampagnen des SDS ihre Wurzeln hatte, wenn bedacht wird, dass dort der gesamte Bereich der Rüstungspolitik als Verschmelzung mit dem staatsmonopolistischen Kapitalismus interpretiert worden war, das „Hinüberwachsen“ der staatlichen Interventionspolitik in den Alltag, der durch den Einsatz von Polizei und Bundesgrenzschutz bei Demonstrationen und Aktionen zum „Terror gegen das Volk“ wurde, als eine Art „Ausnahmezustand“ definiert worden war. Die Notstandsvorbereitungen des „Bonner Staates“ wurden somit zu einem Teil der Aufrüstung, der Militarisierung und des Kriegsgerassels. Mit der Entwicklung der ZB-Programmatik im Jahr 1971 schien der Hang dieser zur kommenden angedachten Katastrophe immer deutlichere Züge anzunehmen. Die nationale Debatte war nun eröffnet.
Bereits vom Unikollektiv Bochum des KJVD lag schon früh ein beachtenswertes Dokument vor. Am 29.6.1970 schrieb es zum Verbot des Heidelberger SDS am 24.6.1970:
„VERBOT DES SDS-HEIDELBERG: VORBEREITENDER SCHLAG GEGEN DIE REVOLUTIONÄRE ORGANISATION DES PROLETARIATS!
Egal, ob das Verbot des SDS Heidelberg für das Innenministerium von Baden-Württemberg ein Testfall war, um an den Reaktionen zu prüfen, wie stark die Studentenbewegung noch ist, oder ob es sich bei dieser Terroraktion um einen Versuch der SPD handelt, sich angesichts der bevorstehenden Wahlen rechte Wählerstimmen zu sichern - wir Kommunisten müssen das objektiv als Ausdruck der zunehmenden Radikalisierung der Kapitalistenklasse werten.
Das Verbot des SDS Heidelberg steht in der Reihe: Notstandsgesetze (NSG, d. Vf.), kürzliche Verabschiedung des 'Handgranatengesetz' in Berlin (vgl. 11.6.1970, d. Vf.), seit den Septemberstreiks zunehmend mit den Methoden der politischen Polizei arbeitender Werkschutz in den Betrieben. Heute, wo die subjektiven Illusionen der kleinbürgerlichen Studentenbewegung klar werden, wo sie in sich zusammenfällt, wo andererseits aber auf nationaler und internationaler Ebene das Proletariat den Klassenkampf offensiver führt, wo sich in der Bundesrepublik die revolutionäre marxistisch-leninistische Partei herauszubilden beginnt, ist es für die Bourgeoisie überaus notwendig, sich auf den Schlag gegen die kommunistischen Organisationen vorzubereiten. Für uns Kommunisten ist es deshalb um so wichtiger, uns mit allen Kräften an den Aufbau dieser Partei zu begeben. Falsch wäre es jetzt - und ganz im Sinne der Bourgeoisie - auf das Verbot des SDS Heidelberg mit den Mitteln der Studentenbewegung, nämlich putschistisch, zu reagieren. Ziel der Bourgeoisie nämlich ist es ja gerade, im Proletariat systematisch entstehendes Klassenbewusstsein zu zerstören: Einerseits bedient sie sich der verschiedenen Varianten des Sozialdemokratismus (SPD, D'K'P (DKP, d. Vf.)), um die Arbeiterklasse zu fesseln, andererseits gelang es ihr mit unbewusster Hilfe der 'radikalen' Studenten der Arbeiterklasse die Gleichsetzung Sozialismus gleich SDS-Aktionen plus SDS-Schwärmereien zu verkaufen ...“ (1)
In diesen Aussagen war durchaus thesenartig die Kampfpolitik gegen NAR begründet: der Schlag gegen „revolutionäre Organisationen“ war ein Schlag der Sozialdemokratie gegen die Arbeiterklasse, die mit der Bourgeoisie damit auch den Angriff „gegen die kommunistischen Organisationen vorbereitete“. Die Auswirkungen von NAR waren apodiktisch zugespitzt, als „historische Notwendigkeit“ zu begreifen. In dem Maße, in dem der Bonner Staat seine Unterdrückungspolitik verschärfte, wurde die marxistisch-leninistische Organisation zum eigentlichen revolutionären Subjekt.
Auf einer Landes-Agitpropkonferenz NRW der KPD/ML-ZB vom 29.7.1970 unter Beteiligung des KJVD waren die besagten „Thesen zur Sozialdemokratie“ eingebunden in das Referat des Politleiters der KPD/ML „Die Entwicklung der Sozialdemokratie von einer sozialreformistischen zur sozialfaschistischen Partei“. Zur Entwicklung der SPD wurde ausgeführt:
„Dass die Sozialdemokratie im Zeitalter des Imperialismus an den parlamentarischen Formen des Klassenkampfes als einzige Form des Klassenkampfes festhielt, zeigt, dass sie sich auf dem Wege der Verständigung mit dem Imperialismus befindet. Und Lenin zeigt, dass die Sozialdemokratie eine Agentur der Bourgeoisie im Lager der Arbeiterklasse ist. Er zeigt, dass die soziale Basis der Sozialdemokratie die Arbeiteraristokratie ist. Diese entsteht aufgrund der Möglichkeit des imperialistischen Kapitals, Extraprofite in den Kolonien zu machen und eine kleine Schicht der Arbeiterklasse damit zu kaufen. Die Sozialdemokratie entwickelt sich immer mehr zu einer Stütze des Monopolkapitals ... Nun ist es sehr leicht, die einzelnen Verbrechen Der Sozialdemokratie an der Arbeiterklasse aufzuzählen. Aber sehr viel wichtiger ist, dass sich der Charakter der Sozialdemokratie völlig gewandelt hat. Anfänglich war die Sozialdemokratie Arbeiterbewegung, wenn eben auch bürgerliche Arbeiterbewegung. Die führende Schicht der Sozialdemokratie war aus der Arbeiteraristokratie und hatte sich der parlamentarischen Diktatur der Bourgeoisie völlig angepasst. Aber zwischen den beiden Weltkriegen änderte sich die Herrschaftsmethode der Bourgeoisie: der reaktionärste Teil der Monopolbourgeoisie, gestützt auf eine Massenbewegung deklassierter Kleinbürger begann eine faschistische Diktatur über das Volk auszuüben.
Dabei passten sich die nun selbst kleinbürgerlichen sozialdemokratischen Führer wiederum den veränderten Herrschaftsmethoden der Monopolbourgeoisie an und entwickelten ein System der faschistischen Verwaltung der Arbeiterklasse. Statt den gemeinsamen Kampf gegen die faschistische Herrschaft der Monopolbourgeoisie zu organisieren und eine geschlossene, antifaschistische Front mit den Kommunisten herzustellen, zitterten die Arbeiteraristokraten und die kleinbürgerliche Führungsschicht der Sozialdemokratie um ihre Privilegien, die ihnen die Faschisten streitig machten. Sie kämpfen deshalb nur gegen die faschistische Massenbewegung als antidemokratische Bewegung und nicht etwa gegen die faschistische Monopolbourgeoisie. Im Gegenteil: Gerade dieser reaktionärsten Schicht des Monopolkapitals passten sie sich an. Sie entwickelte sich zum Sozialfaschismus. Aber das bringt besondere Widersprüche für die Sozialdemokratie hervor. Die Arbeitermassen folgten zum Teil den sozialdemokratischen Phrasen der Sozialdemokraten. Hier handelt es sich also um bürgerliche Arbeiterbewegung. Die Führung der Sozialdemokratie wurde aber immer mehr zu einer völlig kleinbürgerlichen Clique, die in immer schärferen Gegensatz zur sozialreformistischen Anhängerschaft der Sozialdemokratie geriet. Außerdem war die alte arbeiteraristokratische soziale Basis der sozialreformistischen Sozialdemokratie durch die allgemeine Krise des Kapitalismus dahingeschmolzen.
Dieser Gegensatz zwischen den sozialdemokratischen Arbeitermassen und der sozialfaschistischen Führung der Sozialdemokratie führt zur Krise der Sozialdemokratie. Die Niederlage der Arbeiterklasse gegen den Faschismus führte bei großen Teilen der Sozialdemokratie zu einer gewissen Revolutionierung. Die Krise der Sozialdemokratie wurde beschleunigt. Sie zerbrach in einen antifaschistischen-sozialreformistischen Teil und in einen offenen faschistischen. Das hatte drei Ursachen:
Die Sozialdemokratie entwickelt, auch von ihrer Klassenbasis begünstigt, starke faschistische Züge. So sind ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse schlimmer als die der Bourgeoisie selbst. Die Sozialdemokratie ist die Stütze des aggressivsten Teils der Monopolbourgeoisie. Sie und die anwachsende faschistische Bewegung um Strauß herum kämpfen um die Gunst dieses Teils der Monopolbourgeoisie. Und da die SPD sich auf starke Gruppen des Kleinbürgertums stützen kann, sind ihre Verrätereien gegen die Arbeiterklasse übler denn je. Sie hat auch jeden Anschein von sozialreformistischer Ideologie verloren. Statt dessen ist sie nach innen reaktionär und nach außen imperialistisch. Nach innen versucht sie die Arbeiterklasse durch Lohnraub, durch den Ausbau der Bürgerkriegsarmee, durch Notstandsgesetze einzuschüchtern. Nach außen beherrscht sie die EWG-Staaten, beteiligt sich an den imperialistischen Kriegen und verfolgt mit raffinierteren Mitteln als die CDU, die Eroberung der DDR und die Revision der Grenzen in Europa. Ihr jüngster Streich, der im Rahmen der Konzertierten Aktion (der faschistischen Arbeitsgemeinschaft), nichts Ungewöhnliches ist, ist die systematische Ausplünderung der Arbeiterklasse. Die Sozialdemokratie entwickelt sich tatsächlich zum Sozialfaschismus. Die Sozialdemokratie ist tatsächlich imperialistisch. Sie ist immer weniger Arbeiterbewegung, bürgerliche Arbeiterbewegung, sondern sie ist immer noch mehr kleinbürgerliche Bewegung.
Dennoch hat die Sozialdemokratie nach wie vor starken Einfluss auf die Arbeiterklasse. Ihr direkter Einfluss ist zwar gering, aber über die Verquickung mit der Spitze der reformistischen Gewerkschaften kann sie die Arbeiterklasse verwalten. Die Spitze der Gewerkschaften ist ebenfalls durch und durch kleinbürgerlich; aber anders als die Spitze der Sozialdemokratie kann sie sich nicht auf die kleinbürgerlichen Massen stützen. Die Arbeitermassen folgen nach wie vor den sozialreformistischen Phrasen der Gewerkschaftsbonzen. Doch die Widersprüche zwischen den sozialdemokratischen Arbeitermassen und der sozial-faschistischen Führung der Gewerkschaften wachsen ständig. Weil die Gewerkschaftsführer kaum auf die Arbeitermassen verzichten können, müssen sie Konzessionen an die Arbeiterklasse machen, die direkt der sozialreaktionären Politik entgegengesetzt sind (Beispiel Lohnforderungen von 15% gegen die Lohnraubpolitik). Die Gewerkschaftsführer sind eine höchst unsichere Stütze für die Sozialdemokratie. Sie können auf die Dauer nicht den Einfluss auf die Arbeiterklasse sichern. Deshalb bereitete die SPD auch emsig den Notstand vor. Aber es gibt eine zweite Agentur in der Arbeiterklasse, die der SPD einen kurzfristigen Einfluss in der Arbeiterklasse sichert; die Revisionisten der DKP.
Die Revisionisten sichern der Sozialdemokratie die ideologische Herrschaft über die Arbeiterklasse. Die Revisionisten spielen jetzt schon ideologisch, bald wohl auch politisch (wie in Frankreich und Italien) ihre Rolle als sozialreformistische Parteien, als Agenten des Klassenfeindes, hervorragend. Es sind sozialreformistische Parteien geworden, die sich nur insofern von der alten Sozialdemokratie unterscheiden, als sie dem SU-Imperialismus huldigen. Gewerkschaftsführer und Revisionisten sichern die Sozialdemokratie davor ab, ihre proletarische Anhängerschaft total zu verlieren. So ist die Sozialdemokratie eine feste Stütze für die Herrschaft des Monopolkapitals und kann die Arbeiterklasse spalten und faschistisch verwalten. Solange die Arbeiterklasse keine revolutionäre Führerin, keine bolschewistische Partei hat, wird die Monopolbourgeoisie ihre parlamentarische Diktatur über das Volk ausüben, oder eine faschistische Diktatur. Die Sozialdemokratie wird ihr dabei helfen und die Revisionisten werden ihren Segen dazu geben. Was bedeutet das alles für unsere Partei, für ihre Taktik im Kampf gegen die Sozialdemokratie?
Die NAR-Politik speiste sich demnach aus der praktischen Haltung der SPD zur Monopolbourgeoisie (wichtige soziale Stütze), aus ihrem subjektiven Dasein, einer „gewordenen“ „kleinbürgerlichen Bewegung“, die einen „sozialfaschistischen und imperialistischen Charakter“ habe. In dem die Stützen der Sozialdemokratie, die „rechten Gewerkschaftsführer“ und „die Revisionisten“ (hier die DKP), besiegt werden, wird die „bolschewistische Partei“ aufgebaut.
Folglich beteilige sich die Sozialdemokratie an den imperialistischen Kriegen und verfolge mit viel raffinierteren Mitteln als die anderen bürgerlichen Parteien „die Eroberung der DDR und die Revision der Grenzen in Europa“. So entwickle sich die SPD „tatsächlich zum Sozialfaschismus“. Und sie ist als „imperialistisch“ einzustufen; denn in der Konzertierten Aktion, die eine „faschistische Arbeitsgemeinschaft“ sei, verselbständige sie sich. NAR war in gewisser Weise mit der „Neuen Ostpolitik“ gleichzusetzen. Es ging um die „Eroberung der DDR“ und die Revision der europäischen Grenzen. Die Notstandspolitik des Bonner Staates war die Voraussetzung für die Aufrüstung. Und diese gipfelte in der breiten Entfaltung der Revanchepolitik, der militaristischen Eroberung anderer Staaten.
Zu diesem Resultat gelangte auch die Erklärung der KPD/ML-ZB vom 1.9.1970: „Kampf der menschewistischen Verschwörung gegen die KPD/ML“, die im „KND“, Nr. 32 vom 12.9.1970 (3) veröffentlicht wurde. In der Agitation gegen einen internen „menschewistischen Block“ in der Partei, hieß es:
„In der letzten Zeit hat sich ein rechter Block zusammengerauft, der sich zur Aufgabe gestellt hat, als Agentur der Sozialdemokratie die KPD/ML zu zerschlagen. Mit dem Beginn einer sozialdemokratischen Offensive gegen die Arbeiterklasse haben diese rechten Elemente Morgenluft gewittert und wollten gegen die Partei von innen und außen losschlagen. Ihr erstes Ziel war, den Kampf der Arbeiterklasse gegen die Lohnraubpolitik, gegen die faschistische Politik nach innen und die imperialistische Politik nach außen, die die SPD-Regierung im Auftrage der Monopolbourgeoisie durchführt, mit revisionistischen Phrasen abzuwürgen und gleichzeitig die Partei von ihren Aufgaben in diesem Kampf abzuhalten.
Dieser sozialdemokratische Block vereinigt in sich die verschiedensten Elemente, die sich im Grunde nur in ihrer Feindschaft gegen die Errungenschaften der Partei einig sind und in ihrem üblen Opportunismus. Es handelt sich hierbei um eine Handvoll waschechter Revisionisten in der Partei, die notorischen Spalter vom Tübinger 'KAB' (KAB/ML, d. Vf.) und einige Berliner Intriganten (spätere KPD/ML-Neue Einheit (NE), d. Vf.). Auf der Grundlage eines gemeinsamen Plans haben diese Leute versucht, durch einen Putsch innerhalb des LV NRW der Partei und durch konzentrierte Diversantentätigkeit, den Landesverband sich einzuverleiben und das Zentralbüro in seiner Arbeit zu behindern. Diese Pläne sind nun kläglich gescheitert. Diese Agenten der Sozialdemokratie im Kommunismus sind aller Funktionen in der Partei enthoben worden und gehen außerhalb der Partei ebenfalls einer gründlichen Niederlage entgegen ... In demagogischer Weise wird davon abgelenkt, dass die Führer der Sozialdemokratie mit Hilfe der rechten Gewerkschaftsführer dazu übergegangen sind, die Arbeiterklasse faschistisch zu verwalten.
So führt dieser 'linke' Flügel der D'K'P keinen umfassenden politischen Kampf gegen die Sozialdemokratie, sondern empfiehlt den 'Tausenden von Arbeitern', die sie angeblich mobilisiert haben, sich von den Profiten der Kapitalisten 1 DM zu holen und die sozialdemokratische Regierung in Frieden zu lassen. Besteht nun die Gefahr des Faschismus? Diese Gefahr wird von den sozialdemokratischen Führern systematisch verstärkt. Sie sind Wegbereiter der faschistischen Diktatur der Monopolbourgeoisie. Sie sind Steigbügelhalter der faschistischen Banden um Strauß und Thadden. Das ist ihre historische Mission und deshalb verwalten sie die Arbeiterklasse immer mehr mit faschistischen Mitteln, spalten die Arbeiterklasse und verraten sie. Müssen wir diese Banditen nicht schonungslos bekämpfen? Sind nicht die sozialdemokratischen Führer die Hauptfeinde der Arbeiterklasse? Müssen wir nicht diejenigen, die diese sozialdemokratischen Führer unterstützen und die Wut der Arbeiterklasse von ihnen ablenken, aus der kommunistischen Partei vertreiben, weil sie eben Agenten der Sozialdemokratie und damit der Bourgeoisie sind?
Die sozialdemokratischen Führer versuchen die Arbeiterklasse immer weniger durch soziale Demagogie und immer mehr durch faschistische Verwaltungsmethoden vom Kampf gegen die Bourgeoisie und ihren Staatsapparat abzuhalten. Sie versuchen die revolutionären Organisationen der Arbeiterklasse zu zerschlagen, sie propagieren die Zusammenarbeit der Klassen, sie helfen durch Notstandsgesetze und Konzertierte Aktion die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse einzuschränken, sie verschaffen dem Monopolkapital immer bessere Möglichkeiten, die Kommandohöhen des Staatsapparats in den Griff zu bekommen. Diese Politik der sozialdemokratischen Führer hat durch die Einleitung eines Angriffs auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse einen neuen Höhepunkt gefunden. Diese Politik begünstigt die vorbeugende Konterrevolution: den Faschismus. Sie ist eine breite Vorbereitung, die mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Krise des Kapitalismus im Weltmaßstab immer intensiver wird. Aber der Faschismus ist eben nicht unvermeidbar.
GEGEN DIE SOZIALDEMOKRATISCHEN SPALTER DIE EINHEIT DER ARBEITERKLASSE HERSTELLEN!
Das ist unsere gegenwärtige Hauptaufgabe: Den SPD-Führern und ihrer Politik der faschistischen Verwaltung der Arbeiterklasse die Einheitsfront der Arbeiterklasse entgegenzusetzen. Natürlich werden wir auch gegen die faschistischen Banden um Strauß kämpfen. Aber unser wichtigster Kampf ist der Kampf gegen die verräterischen Führer der SPD. Dieser Kampf gegen die sozialdemokratischen Führer muss auch klar den imperialistischen Charakter dieser Politik zeigen. Die 'neue Ostpolitik' (Eroberung der DDR), die Unterstützung der US-Imperialisten bei ihrem Versuch die VR China einzukreisen, die Unterstützung der Zionisten und die eigenen ehrgeizigen Kolonialpläne sind Bestandteile davon. Das ist das wahre Gesicht der sozialdemokratischen Führer: zunehmende faschistische Verwaltung der Arbeiterklasse nach innen und imperialistische Politik nach außen. Mit diesen Verrätern der Arbeiterklasse hat sich der rechte Block objektiv verbündet. Die linken Phrasen, die die Tübinger KAB-Spalter und ihre nützlichen Idioten dreschen, können darüber nicht hinwegtäuschen. Dieser rechte Block ist eine Agentur der Sozialdemokratie im Kommunismus; sein Sieg in der Partei würde eine Stärkung der Sozialdemokratie und damit der Bourgeoisie, besonders der Monopolbourgeoisie bedeuten. Diesen Sieg werden wir vereiteln.“ (4)
NAR und „Neue Ostpolitik“ (vgl. Kapitel 21: Von der Bundeskontrolle zur Begründung der „Neuen Ostpolitik“ im Bolschewik) verschmelzen zur Normalität der Sozialdemokratie. Die bisherige soziale Demagogie wird ersetzt durch die „faschistischen Verwaltungsmethoden“. Notstandsgesetze und konzertierte Aktion, der Angriff auf die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse (Lohndiktat, Lohnleitlinien), treiben einem „neuen Höhepunkt“ entgegen, der sich in einer möglichen „vorbeugenden Konterrevolution“ niederschlagen könnte, „dem Faschismus“.
Der springende Punkt war der Doppelcharakter der Sozialdemokratie, der nach Auffassung des ZB seine zentralistischen und diktatorischen Machenschaften zeigen würde. Man könnte sie auch als Staat im Staat interpretieren; denn sie war mit allen Vollmachten der Staatsgewalt ausgestattet. Und die Unmittelbarkeit ihrer Praxis bestand als „kleinbürgerliche Bewegung“ darin, nach innen eine „faschistische Verwaltung der Arbeiterklasse“ durchzuführen und nach außen „eine imperialistische Politik“ zu betreiben.
Der Aufbau einer „Bürgerkriegsarmee“ (5), der Vorschlag von Genscher, ein „neues Grenzschutzgesetz“ (6) im Bundestag einzubringen und die „Notstandsgesetze“ weiter auszubauen (7) führten dazu, dass „am Ende die SPD-FDP-Regierung dem westdeutschen Monopolkapital eine voll funktionsfähige militärisch organisierte Polizeitruppe“ schaffen würde.(8)
Auch der KJVD vertrat stringent die These des „Ausbaus des Bundesgrenzschutzes zu einer Bürgerkriegsarmee“. (9) Im „Kampf der Arbeiterjugend“, Nr. 5/1970 (Oktoberausgabe) war zu lesen, wie sich Genscher (damaliger Innenminister, FDP) einen Ausbau des BGS vorstellte:
„BÜRGERKRIEGSARMEE!
Innenminister Genscher (FDP, d. Vf.) geht daran, einen alten Plan zu verwirklichen. Was seine Amtsvorgänger von der CDU/CSU nicht wagten, soll nun offen durchgesetzt werden: der Ausbau des Bundesgrenzschutzes zu einer Bürgerkriegsarmee. Was schon seit längerer Zeit praktiziert wurde, soll nun gesetzlich legitimiert werden: Der Einsatz des Bundesgrenzschutz (BGS) im Landesinneren, auch ohne einen militärischen Konfliktfall. Bisher war der 'normale' Polizeieinsatz immer im Zuständigkeitsbereich der Länder. Nach den Plänen des Innenministers soll der Bundesgrenzschutz 'Bundespolizeiliche Aufgaben übernehmen'. Nach dem alten Gesetz hat der BGS folgende Aufgaben: 'Das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte ... (und) gegen sonstige die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km' zu sichern. Über den Einsatz des BGS jenseits der 30 km Zone im Landesinneren findet man im BGS-Gesetz keine Regelung.
Die tatsächliche Praxis sieht aber seit Jahren ganz anders aus. Bundesgrenzschützer schützen die Bonner Villa Hammerschmidt (Bundespräsidialamt), das Bonner Palais Schaumburg (Bundeskanzleramt), die Bonner Villa des Bundeskanzlers, das Bundesinnenministerium und das Gebiet des Auswärtigen Amtes in Bonn. BGS-Piloten steuern Kanzler- und Ministerhubschrauber. Selbst bundesrepublikanische Botschaften im Ausland werden durch Grenzer des BGS bewacht. Der Einsatz des BGS auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen soll vor Attentaten schützen. Das ist aber noch nicht alles. Als 1969 in Hannover von der Bevölkerung eine Boykottkampagne gegen die Straßenbahnpreiserhöhung durchgeführt wurde, die mit verschiedenen Demonstrationen und Kundgebungen verbunden war, wurde eilfertig der Bundesgrenzschutz zur Hilfe gerufen.
Bereits seit mehr als einem Jahr ist bekannt, dass Einheiten des Bundesgrenzschutzes sogenannte Demonstrationsübungen und Übungen für den Einsatz gegen streikende Arbeiter machen. Der BGS, der militärähnlich ausgerüstet ist, soll nun durch ein Gesetz 'legal', wie man sich ausdrückt, 'Aufträge zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung' durchführen können. Nach den Notstandsgesetzen (NSG - vgl. 30.5.1968, d. Vf.), die die SPD mit durchgedrückt hat, schafft sich die SPD-Regierung jetzt auch noch eine besondere militärische Einheit unter dem Oberkommando des Innenministeriums, mit der sie hofft, die Arbeiterklasse einschüchtern und unterdrücken zu können.
Um den Bundesgrenzschutz (der Name GRENZ-Schutz ist im Zusammenhang mit den geplanten Aufgaben nur noch ein Hohn) zu einem wirklichen faschistischen Garderegiment gegen die Arbeiterklasse zu machen, soll auch die Ausbildungszeit von bisher zwei auf vier Jahre verdoppelt werden. Die SPD-Regierung versucht, durch die Hintertür den 20 000 Mann starken BGS zu ihrer Schutzstaffel (SS) auszubauen. Dadurch, dass das geplante Gesetz nicht etwa neue Aufgaben für den BGS enthält, sondern sozusagen nur die bisherige Praxis des BGS absichert; dadurch, dass der BGS als Bürgerkriegs-Armee klar gegen die Arbeiterklasse gerichtet ist, aus diesen Gründen ist aus dem Parlament gegen dieses Gesetz kein Widerstand zu erwarten ... Die SPD-Regierung vollendet das Werk der 'Großen Koalition', die Verfassung endgültig von allen Hemmnissen für die Kapitalistenklasse zu befreien und den Weg zum offenen Angriff auf die Arbeiterklasse zu ebnen.“ (10)
Vor allem führten diese Auffassungen zu einer Verdichtung von NAR. Auch wenn diese Positionierungen wie eine Gebetsmühle wiederholt wurden, sie sozusagen in eine Kreisbewegung einmündeten, war interessant zu sehen, wie das ZB die Auftritte der SPD interpretierte, die in frappante Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten mit der Weimarer SPD einmündeten, die auf die gleiche moderne Stufenleiter emporgehoben wurde.
Der KJVD, die „Stimme“ des Zentralbüros, nahm die SPD-Wehrreform zum Anlass zu kommentieren: „Alle sind jetzt Kanonenfutter.“ Im KDAJ, Nr.6/1970 (Dezemberausgabe) schrieben die Verfasser im November:
„Bundesverteidigungsminister Schmidt will jetzt noch mehr Jugendliche zum Wehrdienst heranziehen. Die SPD-Regierung rüstet immer weiter auf für einen gegen Krieg gegen die Länder in Osteuropa, sie bereitet sich mit dem Ausbau des Bundesgrenzschutzes (BGS, d. Vf.) auf einen Krieg im Inneren vor. (Mit den Notstandsgesetzen (NSG - vgl. 30.5.1968, d. Vf.) hat sie sich die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen.) Und Schmidt sorgt jetzt dafür, dass er dann, wenn die Zeit für den Krieg reif ist, genügend Soldaten hat. Das Wehrdienstalter ist von 23 ½ Jahren auf 25 Jahre erhöht worden. Von jetzt ab sollen auch Verheiratete und Familienväter zum Bund. Auch die Binnenschiffer und Bergarbeiter, die bisher freigestellt waren, werden jetzt eingezogen. Jetzt müssen wirklich alle dran glauben. Auch die beschränkt Tauglichen. Schmidt hat selbst gesagt, dass Seh- und Hörfehler kein Hinderungsgrund mehr sind. Die SPD sagt 'Wehrgerechtigkeit'. Aber was planen sie und ihre Generäle wirklich? Sie wollen eine perfekt ausgerüstete Berufsarmee aufbauen, die immer einsatzbereit ist. Diese Elitetruppe soll aber im Krieg davor geschützt werden, frühzeitig auszubluten. Deshalb sollen alle einfachen Soldaten die Kugeln der Gegner auffangen, weniger durch ihre Kampfkraft, als durch ihre Menge. Ein General meinte: 'Zum Kanonenfutter taugt jeder'. Das ist die 'Reform' der SPD, deshalb schreien sie nach mehr 'Wehrgerechtigkeit', denn kein einziger soll ihnen als Kanonenfutter verloren gehen.“ (11)
„Der Krieg gegen die Länder in Osteuropa“ wurde spätestens hier zur Systemkrise. Beweismaterial konnten weder der KJVD noch das ZB anführen. Die „Gewaltorgien“ des Staates waren gleichzusetzen mit einer Zusammenbruchstheorie. Er taumelte seiner eigenen Krise entgegen. Das hatte für die Mehrheit der Organisation eine paradoxe Ausstrahlungskraft: Ging es doch darum, über die formalen Spielregeln hinauszuschießen und die „Fratze“ der Barbarei offen zu legen. Vielleicht sollte eine neue Gesellschaftskritik formuliert werden? Doch indem die These der Totalisierung des Staates und seiner Büttel auf die Spitze getrieben wurde, musste sich auch die Widersinnigkeit dieses mehr abstrakten Universalismus zeigen. Die Prognose eines Beinahe-Untergangs war natürlich ideologisch-phantastisch. Im Spiel der politischen Kräfte betrat man die politische Bühne mit Inhaltsleere und Zurichtungsformulierungen allerdünnster Ausprägung.
Diese neurechte Weltsicht, der ideologische Rückbezug auf die Sozialdemokratie zur Zeit des 1.Weltkrieges, die Idee ihrer ungebrochenen Kontinuität und der unaufhaltsame Abstieg zum Stamm- und Sozialpartner des Kapitals waren treibende Motive, um den Abgrenzungswahn mit heftiger Unzufriedenheit zu beschreiben. Am 15.12. berichtete das ZB im „KND“, Nr.62/72:
„ABHÖRGESETZ GEBILLIGT.
Die Bundesregierung und die bürgerlichen Parteien haben am Dienstag, den 15.12., vom Bundesverfassungsgericht (BVG, d. Vf.) bescheinigt bekommen, dass ihre Notstandsvorbereitungen 'legal' sind. Der Teil der im Juni 1968 in Kraft getretenen Notstandsverfassung, der sich auf die Post- und Telefonüberwachung zum 'Zweck des vorbeugenden Staats- und Verfassungsschutzes' bezieht, ist vom Bundesverfassungsgericht für verfassungsgemäß erklärt worden.
Nach diesem Gesetz ist es dem Verfassungsschutz und der Politischen Polizei in der BRD jederzeit möglich, Telefone abzuhören und Briefe zu öffnen, wenn sie Gefahr für die kapitalistische Ordnung in der BRD wittern. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Verfassungsschutz die Überwachungsmethoden, die dieser schon seit langem anwendet, nun auch nach der Verfassung zugestanden. Es hat auch bestätigt, dass den Personen und Organisationen die Überwachung nicht mitgeteilt zu werden braucht.
Diese Personen können benachrichtigt werden, doch nur, wenn dies das Ziel und die Arbeit des Verfassungsschutzes, die Informationsbeschaffung über 'gefährliche' Personen, nicht beeinträchtigt (!).
Die Überwachungsmaßnahmen können auch vor Gericht nicht kontrolliert werden, denn 'das Prinzip der Gewaltenteilung erlaubt es, dass der Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Exekutive ausnahmsweise nicht durch Gerichte, sondern durch vom Parlament gebildete oder bestellte unabhängige Institutionen (z.B. den Abhörausschuss des Bundestages) gewahrt werden. Ein Verfassungsschutz kann nur wirksam arbeiten, wenn seine Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich geheim und deshalb auch einer Erörterung innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens entzogen bleiben.' Natürlich, so betonten die Herren Richter, dürfe eine Überwachung nur erfolgen, wenn konkrete Umstände den Verdacht eines verfassungsfeindlichen Verhaltens rechtfertigen.“ (12)
Und am 28.12. ebenfalls im „KND“:
„WESTDEUTSCHE MONOPOLE IM RÜSTUNGSGESCHÄFT.
Die westdeutschen Monopole werden immer stärker und aktiver im Rüstungsgeschäft, sowie in den Bereichen, die eng mit der Rüstung zusammenhängen, in der Weltraumforschung und -technik sowie auch in der zivilen Luftfahrt. Die SPD-Regierung treibt systematisch den Ausbau dieser Industrien, der von früheren CDU-Regierungen begonnen wurde, voran. Im Potsdamer Abkommen hatten die vier verbündeten Staaten der Anti-Hitler-Koalition festgelegt: 'Die Ziele der Besetzung Deutschlands sind: völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Ausschaltung der gesamten deutschen Industrie, welche für die Kriegsproduktion benutzt werden kann, oder deren Überwachung.' Durch die konsequente Spaltungs- und Militarisierungspolitik der USA wurden die Beschlüsse des Potsdamer Abkommens gegen den Willen der Sowjetunion (SU, d.Vf.) zunichte gemacht. ( ...) Die westdeutschen Monopole witterten wieder ihre alten Geschäfte. Die Bundeswehr wurde aufgebaut. Mommsen, Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und bis vor kurzem im Aufsichtsrat von Thyssen, schildert in einem Rückblick die Entwicklung so: 'Nach Überwindung zahlreicher psychologischer (!) Vorbehalte und Startschwierigkeiten und nach der erfolgreichen Einschaltung in die industrielle Betreuung von Waffensystemen der Bundeswehr zeigte auch die deutsche Industrie Interesse, die Bundeswehr zu beliefern und Risiken des Aufbaus von dazu notwendigen Kapazitäten (!) einzugehen.'
Anfangs wurde entsprechend der Kolonisierungspolitik der USA die Bundeswehr hauptsächlich aus US-Überschussmaterial und Lieferungen der anderen NATO-Länder versorgt. Mitte Februar 1967 erklärte F.J. Strauß (CSU, d. Vf.) auf dem Industrie- und Handelstag, auf dem Gebiet der Rüstungspolitik dürfe es nicht mehr bei der einseitigen Abhängigkeit bleiben, 'in die wir auf diesem Gebiet geraten sind.' Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie erklärte in seinem Jahresbericht 1967/68: 'Der Zustand, daß eine der größten Industrienationen sich den Hauptteil des Großgeräts für ihre Streitkräfte in anderen Ländern beschaffen muss, sollte überwunden werden.'
Mommsen stellte fest: 'Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich feststelle, dass die Bundeswehr ein sehr beliebter und umworbener Kunde ist.' Die westdeutschen Rüstungsmonopole verlangten energisch eine stärkere Berücksichtigung bei der Ausrüstung der Bundeswehr. Sie setzten es über ihre Regierungen durch, dass von 1957-69 der EINFUHRANTEIL an den Aufträgen der Bundeswehr von 60,6% auf 22,7% gesenkt wurde, wobei die gesamten Aufträge sich von 3,3 Mrd. DM auf 9,2 Mrd. DM ausweiteten. Die SPD setzt diese Aufrüstungspolitik verstärkt fort. Das Bundesverteidigungsministerium hat auf eine Anfrage im Bundestag bekannt gegeben, wie sich die SPD die Finanzplanung des Verteidigungshaushaltes von 1972 - 1974 vorstellt: 1972 1973 1974 Wehrerforschung, Wehrerprobung und Wehrentwicklung (ohne MRCA) 1,126 1,175 1,218 MRCA 0,42 0,32 - Betriebskosten 0,055 0,056 0,057 Materialerhaltung 1,877 1,916 1,953 Militär. Beschaffungen 5,138 5,417 6,438 Militär. Anlagen 1,140 1,100 0,990 (alles in Mrd. DM)
Die Steigerungsraten für die einzelnen Bereiche betragen (gerechnet jeweils gegenüber dem Vorjahresbetrag) Wehrforschung ... (Ohne MRCA) 3,6% 4,4% 3,7% Betriebskosten 2,2% 1,6% 1,8% Materialerhaltung 1,4% 2,1% 1,9% Militär. Beschaffungen 23,2% 5,4% 18,8% Militär. Anlagen 8,6% -3,6% -10,0%
Die Neubeschaffung von Kriegsmaterial, d.h. die weitere Aufrüstung und die wachsenden Aufträge für die westdeutschen Kriegsproduzenten, lassen sich an dieser Tabelle einigermaßen absehen.
Besonders deutlich wird die Aggressivität der SPD-Regierungspolitik, wenn man betrachtet, welches hauptsächlich die neuen Waffenarten sind, die beschafft werden sollen: Der Zuwachs an neuen Waffen und Geräten ist zum größten bei der Luftwaffe geplant, d.h. bei dem Teil der Armee, die am ehesten und am besten für einen Überraschungsüberfall gegen andere Länder geeignet ist. Die Zuwachsrate für die Beschaffungen der Luftwaffe liegt mit knapp 40% am höchsten, während sie in den anderen Bereichen höchstens 20% erreicht bzw. bei der Marine sogar sinkt. Diese hohe Zuwachsrate hängt damit zusammen, dass die Bundeswehr sich umrüsten muss vom Starfighter auf einen Nachfolgetyp, da die Luftwaffe mit Starfightern ihren aggressiven Auftrag nicht mehr erfüllen kann.
Das ist der Hintergrund der 'neuen Ostpolitik' der SPD-Regierung: nämlich eine raffinierte Doppeltaktik - einerseits Öffnung der osteuropäischen Märkte und verstärkte Infiltration und Expansion dorthin (vorerst mit friedlichen Mitteln) - andererseits verstärkte Militarisierung und Aufrüstung, um vor allem die DDR im geeigneten Augenblick, wenn die eigenen Märkte mal wieder zu klein sind, überfallen zu können. Die westdeutschen Monopole verdienen gut an dieser Doppeltaktik ... Einzig und allein den westdeutschen Monopolen dient die imperialistischeDoppeltaktik der SPD-Regierung.“ (13)
Es waren nicht nur jene Ausführungsgesetze (wie das „Abhörgesetz“), dass das Bild eines genuinen sozialdemokratischen Krisenprozesses verdeutlichen sollte, auch der Versuch des Nachweises der „besonderen Aggressivitätspolitik“ der SPD, die mit der „Neubeschaffung von Kriegsmaterial“ der „weiteren Aufrüstung“ einen immensen Schub verleihen würde, stand nun im Mittelpunkt der Kritik. Die deutsche Außenpolitik der SPD/FDP-Regierung würde somit dem gleichen Muster der SPD der Weltkriegszeit folgen: erst Vorherrschaft über Europa, dann Weltmachtsanspruch, dann die Verstrickung in den Krieg. Alles würde wie einst beginnen. Damit der deutsche Imperialismus in Ruhe seine Kräfte sammeln kann, leitet sie für ihn europäische Spannungen ein. Sie besinnt sich auf ihre ursprüngliche Ostorientierung. Ist das neue Deutschland militärisch endlich stark genug, wird das Interesse auch außerhalb Europas definiert. Dieser neudeutschen Bewegung aus Teilen des Militärs, der Wirtschaft und der politischen Rechtsextremisten wird eines Tages ohne Umschweife bereit sein, die Kriegsziele zu formulieren. Abgelesen werden kann diese Entwicklung - so das ZB - am Militär- und Rüstungshaushalt, am „Zuwachs neuer Waffen und Geräte“. Das sei der Hintergrund der „neuen Ostpolitik“. Sie gehe einher mit verstärkter Militarisierung und Aufrüstung, um die „osteuropäischen Märkte“ zu erschließen und um die „DDR überfallen“ zu können.
Im Februar 1972 schrieb das ZB im Vorwort zur Broschüre „Die Januar-Revolution von Shanghai. Dokumente der Großen Proletarischen Kulturrevolution“ (14):
„Die KPD/ML bekämpft alle revisionistischen und neorevisionistischen Bestrebungen, die Gefährlichkeit des westdeutschen Militarismus und seiner sozialdemokratischen Vorkämpfer herunterzuspielen. Damit versucht man doch nur, den werktätigen Massen Augen und Ohren vor ihren gefährlichsten Feinden zu verschließen! Der westdeutsche Revanchismus war und ist aggressiv und auf Eroberung aus, er ist ein unersättlicher Räuber und ein Herd der Kriegsgefahr, eine Bedrohung für die Völker Europas. Wer das nicht wahrhaben will, begibt sich auf die schiefe Bahn, arbeitet der arroganten Großmachtpolitik der SPD-Regierung in die Hände, paktiert mit den Feinden des Volkes, - wie die Revisionisten. Jedes Gerede von einer 'realistischen Politik Brandts', vom 'Verzicht auf Weltmachtpläne', von einer 'Epoche friedlicher Ausdehnung unter sozialdemokratische Regierung', von der 'Hauptgefahr von 'ultrarechts' wie von der 'Hauptgefahr Revisionismus' ist eine Unterstützung der Bonner Revanchepolitik und des sozialdemokratischen Betrugs. Eine solche Politik geht eben den Weg des modernen Revisionismus, den Weg der 'friedlichen Koexistenz' mit dem imperialistischen Kriege, den Weg des Klassenfriedens und der schmählichen Kapitulation vor dem Feind. Unsere Partei wird diesen Weg nicht gehen. Sie wird unermüdlich die Schandtaten der verräterischen Sozialdemokratie und ihrer revisionistischen Werbetrommler geißeln und jederzeit unbeirrbar den revolutionären Ausweg aus dem Kreislauf von Hunger und Krieg, den Weg zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes zeigen. So reihen sich die KPD/ML, die westdeutsche und die Westberliner Arbeiterklasse und alle friedlichen Menschen in unserem Land fest in die antiimperialistische Weltfront des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus ein. Das großartige Bollwerk des Friedens ist die Volksrepublik China, und die Volksrepublik Albanien ist das Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa. Folglich stellt sich die KPD/ML auf den marxistisch-leninistischen Standpunkt in der Frage von Krieg und Frieden und hält an der führenden Rolle der revolutionären Theorie, an der führenden Rolle der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei im weltweiten Kampf zum Sturz des Imperialismus fest ...“ (15)
Damit war neben Notstand und Aufrüstung die 3. Säule definiert. Es ging um den „westdeutschen Revanchismus“, seine „unersättliche“ Raubgier und „Aggressivität“, der auf „Eroberung“ aus ist, ein „Herd der Kriegsgefahr“, und der die „Völker Europas“ bedroht. Es ist die Konstante seiner Außenpolitik: Grenzen nicht zu akzeptieren. Das Programm dieser Machtpolitik war einfach erklärt: zuerst Europa, dann die Welt, dann Krieg um zur europäischen Vormacht zu werden. Das Verblüffende war die Theorie, dass die deutschen Interessen über Jahre und Jahrhunderte stabil geblieben sind. Wieder ging es um die Eroberung bzw. Zurückeroberung der Ostgebiete versus DDR, um ein beherrschtes Europa.
Der Revanche kam eine besondere Bedeutung zu. Es ging nicht nur um gleichberechtigte Teilhabe, sondern um eine konfuse Ost- und Weltpolitik, konzeptlos, hastig, am Ende katastrophal. Die, die der neuen Weltmachtrolle entgegenstreben, sind hier im Kern erkennbar und genannt: Die neuen deutschen Imperialisten, die Sozialdemokratie, die auf Expansion und Zurückeroberung setzt. Die Wiederholung der deutschen Geschichtsschreibung der Weimarer Zeit kehrt somit zurück. Und mir ihr die Sprache der Macht, ohne die das gesamte ZB-Gebäude nicht zu verstehen wäre.
In der „Roten Fahne“, Nr.5/1972 vom 6.3.1972 (16) ging es u. a. auch um das Lohndiktat. Zum Lohndiktat führte das ZB aus:
„Das Lohndiktat ist eine staatliche Festsetzung der Löhne; an die Stelle des Widerstandes der Arbeiter gegen die Hungerlöhne der Kapitalisten tritt der Kampf der Arbeiterklasse gegen staatlichen Lohnraub. Haben wir uns mit dieser Feststellung begnügt? Keineswegs. Wir haben das Lohndiktat als eine Maßnahme der Plünderung und Unterdrückung unter vielen anderen gesehen. Wir haben diese Maßnahme in die gesamte Politik der SPD-Regierung eingeordnet. Deshalb beurteilen wir die Bedeutung des Lohndiktats folgendermaßen:
Die „Ruhe an der Heimatfont“ war wie eine Selbstbeschwörung. Eine mögliche gesellschaftspolitische Krise müsste einen solch großen Druck über das Lohndiktat erzeugen, dass der Expansionsgedanke zur Bedrohungskulisse wird. Damit die SPD im Verteilungskampf des Weltmarktes nicht zu spät zu kommen, musste das ZB für rasche Verbreitung dieses grenzüberschreitenden Gedanken eintreten. Welche Einflusssphären musste Deutschland reklamieren? Das waren die Großräume Russlands, die DDR, Orient, Schwarzafrika und China. An diesen Brennpunkten muss der deutsche Imperialismus expandieren.
„Bonn fordert Revanche“. „Arbeitereinheit gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ konnte die „Rote Westfalenwalze“ am 3.3.1972 (18) formulieren. Und auch bei der „Irland-Demonstration“ in Dortmund (19) war die Parole zu hören; denn auch das irische Volk musste unter der Knute einer Besatzungsmacht leiden. Die Ausgrenzung des Landes wirkte ebenfalls wie ein politischer Supergau und die verhärteten Beziehungen zu England ließen erkennen, so ein Redner, dass „gegen die Bedrohung (nach-)gerüstet“ werden müsse. (20)
Mit der „Beilage des Organisationsbüros“ in der „Roten Fahne“, Nr.6/1972 vom 20.3., „ARBEITEREINHEITSFRONT GEGEN NOTSTAND, AUFRÜSTUNG UND REVANCHEPOLITIK“ (21) waren die politischen Ziele dieser Kampagne eindeutig abgesteckt. Der Einkreisung begegnet man am besten durch eine starke Offensive, der „Arbeitereinheitsfront“, die allerdings keine antifaschistische Einheitsfront war. Sie war, wie hier, verknüpft mit den politischen Hauptaufgaben des ZB zum 1.Mai 1972. Das Organisationsbüro schrieb:
„DIE POLITISCHEN HAUPTAUFGABEN FÜR DEN ROTEN 1.MAI 1972.
In der Welt befindet sich ein großer Aufruhr und die Revolution schreitet überall voran. Gleichzeitig nehmen die Balgereien zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten um Weltherrschaft und die Neuaufteilung der Welt immer schärfere Formen an. So machen der westdeutsche und der japanische Imperialismus den beiden Supermächten ihre Vorherrschaft in der imperialistischen Welt streitig und kämpfen um neue Einflussgebiete. Das verstärkt die Gefahr eines neuen Weltkrieges. Die Völker der Welt, wie die westdeutsche und die Westberliner Arbeiterklasse müssen gegen diese Kriegsabenteuer ihren Kampf verstärken. Auch in Westdeutschland wachsen die Kräfte des Fortschritts und der Revolution. Die politischen und wirtschaftlichen Angriffe des Bonner Staates auf die breitesten Volksmassen rufen Widerstand hervor. Die Verschärfung der weltweiten und der allgemeinen Krise des Imperialismus und der Beginn der zyklischen Krise in Westdeutschland zeigen der Arbeiterklasse und den werktätigen Massen, dass sie entschlossen für ihre wirtschaftlichen Interessen kämpfen müssen gegen die kapitalistische Rationalisierung, gegen staatlich organisierten Lohnabbau, gegen Teuerung und Inflation, gegen den von der Sozialdemokratie aktiv betriebenen Lohnraub im Interesse der Monopolbourgeoisie. Der planmäßige Ruin Hunderttausender Bauern, die weitere Zentralisierung und Konzentration des Kapitals führt weitere Schichten des Volkes in Elend und ruft ihren entschlossenen Widerstand hervor. Der Konzentration und Zentralisation der politischen Macht in den Händen weniger Monopolkapitalisten entspricht die Konzentration und Zentralisation der politischen Macht dieser Blutsauger ... Der Kampf der Arbeiterklasse gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung erfasste Hunderttausende. Er richtete sich nicht nur gegen den staatlich organisierten Lohnraub, gegen die Verschlechterung der Lebenslage der Arbeiterklasse, sondern auch gegen die Einschränkung der politischen Freiheiten, gegen die Verstaatlichung der Gewerkschaften und gegen den Raub der Streikfreiheit. Deshalb war dieser Kampf für die Führer der Sozialdemokratie und ihre monopolkapitalistischen Auftraggeber ein Kampf, der sie in Angst und Schrecken versetzte. Die breiten Kämpfe der Arbeiterklasse gegen das Lohndiktat hoben in der Arbeiterklasse auch das Bewusstsein über ihre Lage. Der wachsende Einfluss des Marxismus-Leninismus in der Arbeiterklasse ist ein wesentliches Merkmal der beginnenden revolutionären Flut ...
Es müssen "die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen unter den Losungen des Kampfes gegen die Faschisierung und Militarisierung" demonstrieren: Träger dieser Faschisierung und Militarisierung ist die Sozialdemokratie. Sie organisiert die Angriffe auf die Arbeiterklasse. Sie führt die Offensive des Kapitals durch und baut die Rechte des Volkes ab. Sie ist der Steigbügelhalter und Zuhälter des Faschismus. Sie ist heute einfach nicht mehr eine Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse, sie nutzt ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse in den Gewerkschaften und durch ihre staatlichen Positionen nicht in erster Linie für die gesamte Bourgeoisie, sondern für die übelsten Elemente des Finanzkapitals. Die Sozialdemokratie ist heute die politische Kraft, die die meisten Schläge gegen die Volksmassen durchführt, die unter den heutigen Bedingungen möglich sind. Am 1.Mai muss die Arbeiterklasse einen entschiedenen Kampf gegen die Sozialdemokratie und ihre Helfershelfer führen. Weg mit dem KPD-Verbot! Was sind nun die entscheidenden Anschläge der Sozialdemokratie gegen die Arbeiterklasse und die breitesten Volksmassen. Die wichtigste politische Maßnahme der Sozialdemokratie, gegen die am 1.Mai der Kampf geführt werden muss, ist die direkte Vorbereitung des Verbots der marxistisch-leninistischen Organisationen ... Die Liquidierung des wachsenden Einflusses der Kommunisten in der Arbeiterklasse - das ist die gegenwärtige Hauptaufgabe der Sozialdemokratie und ihrer revisionistischen Helfer der DKP ... Gegen das KPD-Verbot! Für die Freiheit der kommunistischen Presse! Auflösung des Bundesgrenzschutzes; denn er ist eine faschistische Bürgerkriegstruppe! Auflösung aller Spezialeinheiten der Polizei zur Verfolgung und Terrorisierung von Kommunisten und fortschrittlichen Menschen. Freispruch für alle politischen Angeklagten! Wiedereinstellung entlassener kommunistischer Arbeiter!
Das müssen die Forderungen und Kampfziele sein, um die kommunistischen Organisationen und vor allem die KPD/ML zu verteidigen. Das Lohndiktat der SPD-Regierung ist im letzten Jahr gegen den breiten Widerstand der Arbeiterklasse durchgesetzt worden ... Das Lohndiktat ist also eine Maßnahme, um die Arbeiterklasse in Leibeigene der Monopolherren zu verwandeln und sie durch die Verstaatlichung der Gewerkschaften, die nur noch die Aufgabe haben, die staatlich beschlossenen Löhne durchzusetzen, völlig zu knebeln ... Die Arbeiterklasse muss einen entschlossenen Kampf gegen das Lohndiktat führen. Sie muss gegen die Verstaatlichung der Gewerkschaften durch die Sozialdemokratie einen breiten Kampf führen. Jede staatliche Schlichtung muss abgelehnt werden, jedes Lohndiktat muss durchbrochen werden. Nieder mit dem Bonner Staat! Ein weiterer wichtiger Bereich der Faschisierung des Bonner Staates, der weiteren Zentralisierung der politischen Macht in den Händen der Monopolbourgeoisie ist die Faschisierung der Betriebe durch das Arendt-Betriebsverfassungsgesetz ... Das BVG ist das Durchführungsgesetz der Notstandsgesetze für den Betrieb. Gerade in den Betriebsratswahlen muss die Arbeiterklasse allen Regierungsknechten im Betrieb eine Abfuhr erteilen und klassenkämpferische Betriebsräte wählen, um das Joch des Bonner Staates zu lockern. Mit dem BVG nimmt die politische Bespitzelung und der Betriebsterror zu. Bewaffneter Werksschutz zur Zerschlagung von Streiks, Arbeit von staatlichen Polizeispitzeln im Betrieb, Verbot politischer Diskussionen, Einschränkung der Belegschaftsversammlungen.
All das dient der Einschränkung politischer Freiheiten ... Eng mit der Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche sind die systematischen Maßnahmen der Ausplünderung der Arbeiterklasse und der Volksmassen durch den imperialistischen Staat verbunden ... All diese Maßnahmen müssen der Arbeiterklasse zeigen, dass nur der gewaltsame Sturz des Bonner Staates Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg beseitigt. Die weitere Beschleunigung der Faschisierung und Militarisierung dient direkt den aggressiven Plänen der westdeutschen Revanchisten. Kampf dem Kriegspakt Bonn - Moskau! ... Für die westdeutsche und Westberliner Arbeiterklasse kommt es darauf an, den Haupttreiber der Faschisierung und Militarisierung, der die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen heute vor allem in den Klauen der Monopolbourgeoisie festhält, zu bekämpfen ... Der Kampf gegen Faschisierung, Militarisierung und Kriegsvorbereitungen gegen die DDR, das sind die wichtigsten Aufgaben der westdeutschen Arbeiterklasse. Der 1.Mai muss im Zeichen dieser Aufgabe stehen. Die wichtigste Aufgabe des 1.Mai, in der auch der Kampf gegen Faschisierung und Militarisierung eingebettet werden muss, ist die Verbreitung der Losung des Arbeiter- und Bauernstaates und des Sozialismus ... Dem Kampf für dieses Ziel müssen sich alle anderen Aufgaben unterordnen. Wodurch gewinnen die Aufgaben des Kampfes gegen die Faschisierung, Militarisierung und Vorbereitung des Krieges gegen die DDR ihre besondere Bedeutung. Heute schart sich die gesamte Konterrevolution unter Führung der Sozialdemokratie um das Fähnchen der Bonner Demokratie ... Eine wirkliche Demokratie für die Massen und nicht für die Krupps und Thyssens ist die Diktatur des Proletariats. Deshalb müssen die Arbeiterklasse und die breiten werktätigen Massen für die wirkliche Demokratie der Massen kämpfen, für die Diktatur des Proletariats ... Der Klassenkampf, das wachsende Tempo der Faschisierung und Militarisierung erfordern gebieterisch, dass die Zersplitterung der Marxisten-Leninisten endgültig aufhört. Alle positiven Kräfte müssen sich in der KPD/ML zusammenschließen, um dem Kampf der Massen eine starke Führung zu geben. Das kann nur erreicht werden, wenn die Marxisten-Leninisten gemeinsam an der Spitze der Massen kämpfen und ein prinzipienfester Kampf gegen falsche Ansichten geführt wird. Der Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten ist eine aktuelle Aufgabe ... Der 1.Mai muss deshalb auch ein Kampftag für die Einheit der Marxisten-Leninisten sein. Die KPD/ML muss sich als führende Kraft dieses Kampfes für die Einheit herausstellen ... Der ganze 1.Mai 1972 muss unter der Losung stehen:
Die „aggressiven Pläne der westdeutschen Revanchisten“ werden demnach schnell (hier mit „direkt“ bezeichnet) in die Phase der Kriegsvorbereitungen eintauchen; denn Faschisierung und Militarisierung bedeuten die „Vorbereitung des Krieges gegen die DDR“. Diese „besondere Bedeutung“ nährt sich aus der „Faschisierung der Betriebe“, der „Zentralisierung der politischen Macht in den Händen der Monopolbourgeoisie“ und der „gesamten Konterrevolution unter der Führung der Sozialdemokratie“. „Kampf dem Kriegspakt Bonn - Moskau“ bedeutet das Absichern der vitalen deutschen Interessen. Die Öffnung der Märkte und die Liberalisierung des Welthandels, Währungs-, Öl- und Schuldenkrisen waren für das ZB natürlich keine politökonomischen Themen, auch nicht die Verteilungsgeschwindigkeit des postmodernen Kuchens, das eigentliche Zusammenspiel zwischen Staat und Wirtschaft auf den Märkten der Welt. Eigentlich ging es hier nur um die vorenthaltene Weltmachtstellung des westdeutschen Imperialismus, der jetzt Flagge zeigen müsste. Deswegen gab es auch immer wieder die aus der Not heraus geborenen Schachtelformulierungen wie „systematische Maßnahmen“, „gewaltsamer Sturz“, „Beschleunigung der Faschisierung“, „wachsendes Tempo der Militarisierung“ usw. In Wirklichkeit dürfte das ZB kein Interesse daran gehabt haben, das Krankheitsgebilde Nation zu untersuchen, oder jemanden aus seiner Parteilandschaft für diese Thematik zu sensibilisieren.
Neben vielen anderen Losungen zum 1. Mai 1972, tauchte hier erstmalig die Formulierung „Gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ auf. Bis zum Jahresende und darüber hinaus sollte sie zum bestimmenden Merkmal der kommenden Politik des ZB werden. (23) Der „KND“ schrieb einige Tage später über die Bonner „Staatskrise“:
„Im Volke gärt es - Bankrott der sozialdemokratischen Politik - Schiller bittet Kapitalisten um Hilfe. Die Meldungen über eine Regierungskrise haben sich in den letzten Tagen und Wochen immer mehr gehäuft: Die Regierungsmehrheit im Bundestag bröckelt langsam ab. Minister und Staatssekretäre treten zurück oder werden entlassen. Gerüchte über inneren Zwist und Hader gehen um. Zugleich mehren sich Skandale und Korruptionsaffären, Bestechung in und zwischen den Parteien nimmt zu ... Der Hader zwischen SPD und CDU entzündete sich an der Frage, ob die Ostverträge jetzt schon ratifiziert werden sollen oder ob man die Sozialimperialisten in Moskau erst noch weiter unter Druck setzen kann. Es gelang der CDU, den Vertriebenenführer der SPD, den Revanchisten Hupka, durch Auszahlung einer hohen Altersrente in ihre Reihen zu locken. Auch in den Reihen der FDP wackelt es schon. Der hessische Junker von Kühlmann-Stumm und der Abgeordnete Kienbaum besinnen sich ebenfalls auf dieses ihr 'Gewissen'. Ebenso steht es mit dem Abgeordneten Müller von der SPD. Um was geht es im Kern bei den Auseinandersetzungen über die Ratifizierung der Ostverträge? Es geht hier keinesfalls darum, dass die SPD für 'Frieden und Entspannung' ist, während die CDU dies strikt ablehnt ... Der Kern ihrer Gegensätze besteht lediglich darin, ob man die Verträge jetzt schon ratifizieren soll, wie es die SPD will, oder ob man nicht durch Hinauszögerung der Ratifizierung noch mehr herausholen kann, wie die CDU meint ... Die Regierungskrise erstreckt sich auch auf andere Gebiete. Im Inneren sehen sich die Herrschenden in Bonn wachsenden Schwierigkeiten gegenüber. Überall steht die Sozialdemokratie vor dem Bankrott ihrer Politik. Die Wirtschaftskrise schreitet voran, wachsende Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Durch die anhaltende Teuerung und den Lohnraub werden die werktätigen Massen immer mehr ausgepresst ... Wegen dieser inneren Schwierigkeiten soll die herausfordernde Revanchepolitik Bonns verschärft werden. Daher entzündet sich jetzt der Streit von CDU und SPD vor allem an der Taktik gegenüber den Sozialimperialisten ... Darum sind sie mit der Vertragspolitik der SPD-Regierung unzufrieden. Diese Verträge sind ihnen zuwenig, nicht zuviel. Die Ausdehnung des westdeutschen Kapitals nach ganz Europa und der Ausbau der westdeutschen Vormachtstellung in Europa sollen noch schneller vorangetrieben werden als es 'nur' durch die Ostverträge geschieht. Durch diese imperialistische Politik nach außen soll im inneren 'Ruhe an der Heimatfront' geschaffen werden. Die Regierungskrise ist auch ein Ausdruck der Uneinigkeit im Lager des Gegners, mit welcher Geschwindigkeit jetzt die innere Aufrüstung, die Niederschlagung aller fortschrittlichen Kräfte und das Verbot kommunistischer Tätigkeit jetzt weiter vorangetrieben werden soll. Bei der gegenwärtigen Regierungskrise geht es nicht nur um die Ostverträge oder um dieses oder jenes Reformprojekt oder diesen oder jenen Abgeordneten oder Staatssekretär. Die Krise ist vielmehr ein Ausdruck der tiefen Widersprüche des Bonner Systems, ein Ausdruck seiner Unfähigkeit, die tiefen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des BRD-Imperialismus zu lösen und zugleich seine Großmachtpläne als auch den umfassenden Feldzug zur Niederhaltung des eigenen Volkes und zur Verfolgung aller Revolutionäre im Rahmen der jetzigen bürgerlich-demokratischen Freiheit zu verwirklichen. Diese Regierungskrise ist ein Ausdruck der inneren Fäulnis und Überholtheit der kapitalistischen Ordnung.“ (24)
Von welchen Einkreisungsängsten und Präventivschlaggedanken das ZB getrieben war, lässt sich wohl nicht mehr aus seiner Geschichte herauslesen. Der westdeutsche Imperialismus wollte unter der Sozialdemokratie als Wegebereiter für eine Okkupation nicht nur wirtschaftliche Durchdringung, sondern die militärische Schlacht. Die „Revanchepolitik Bonns“ ist wie der Handel mit Kanonenbooten und Expeditionskorps gegen Aufständische. Deshalb mussten die „Ostverträge“ auch „Kriegsverträge“ sein. Hier wollte sich der „sowjetische Sozialimperialismus“ ebenso seine Pfründe und Einflusszonen sichern wie der westdeutsche Imperialismus. Den Weg in den mörderischen Konkurrenzkampf hatte das „westdeutsche Kapital“ längst beschritten.
Eine aggressive deutsche Außenpolitik war zu einer Machtfrage geworden. Das Kapital würde sich auf einen Alleingang versteifen. Es ging um die oder wir. Ganz oder gar nicht. Wie eine fixe Idee hatte sich dieser Gedanke in den Köpfen breit gemacht. Weltherrschaft oder Niedergang. Dazwischen war nichts. Denn die Ziele des Kapitals sind eben Kriegsziele. Und noch deutlicher in der Formulierung ausgedrückt: „Die Ausdehnung des westdeutschen Kapitals nach ganz Europa und der Ausbau der westdeutschen Vormachtstellung in Europa sollen noch schneller vorangetrieben werden als es 'nur' durch die Ostverträge geschieht.“ NAR war schon eine konzeptionelle Grundrichtung. In der Regel konnte sie auch für alle kommenden politischen Aufgaben eingesetzt werden, nämlich schnell Flagge zeigen und Präsenz und Entschlossenheit demonstrieren. Sie war daher nicht einfache Entscheidungsschlacht, sondern nationaler Impuls, der genährt wurde aus der doppelten deutschen Katastrophe.
Im „Extrablatt“ der „Roten Fahne“ zum 1.Mai 1972, das vermutlich Anfang April 1972 erschienen war, lautete die Titelüberschrift: „Heraus zum Roten 1. Mai! Für Sozialismus und Frieden! Gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik!“
"Aufruf des Zentralbüros der KPD/ML zum 1.Mai:
Der 1. Mai 1972 steht im Zeichen des großen, revolutionären Aufschwunges in der ganzen Welt. An der Spitze des Kampfes stehen heute die heldenhaften Völker von Vietnam, Laos und Kambodscha. Sie haben sich im bewaffneten Kampf, im Volkskrieg zusammengeschlossen, um ihre Heimat von der Unterdrückung und Ausplünderung durch den US-Imperialismus zu befreien. Ihre neue Offensive ist ein mächtiger Schritt zum revolutionären Endkampf, zum endgültigen Sieg der indochinesischen Völker. Die Siege der indochinesischen Völker beweisen: Ein schwaches Land kann ein starkes Land besiegen, ein kleines Land kann eine Großmacht besiegen ... Am 1. Mai demonstrieren wir unsere Solidarität mit dem revolutionären Befreiungskampf unter den Losungen: Für den Sieg der indochinesischen Völker! Für den sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Abzug der US-Aggressionstruppen aus Indochina! Die revolutionären Kämpfe der Völker der Welt haben die US-Imperialisten und ihre Lakaien in Schrecken versetzt. Gemeinsam versuchen die beiden Supermächte - der US-Imperialismus und der sowjetische Sozialimperialismus - diese Kämpfe zu ersticken. Sie wollen einen Einkreisungsring um das revolutionäre Bollwerk der Völker der Welt, die VR China, legen. ... Ermutigt durch die Schwierigkeiten der beiden Supermächte und getrieben durch die Klassenkämpfe im eigenen Land, versucht der Bonner Staat, die alten Revancheziele eines großdeutschen Reiches in die Tat umzusetzen. Das Bündnis mit den US-Imperialisten im aggressiven NATO-Pakt als Rückendeckung benutzend, haben die Herren in Bonn mit dem Moskauer-Vertrag ein Komplott mit den Neuen Zaren im Kreml geschlossen ...
Eroberung der DDR, Eingliederung der 'Ostprovinzen', das bedeutet: Vorbereitung neuer Kriege, Unterdrückung der europäischen Völker. Darum treibt die SPD-Regierung die Aufrüstungspolitik wahnwitzig voran: 32 Milliarden DM Rüstungsausgaben, Hineinpressen der Jugend in die Armee, Unterdrückung der Opposition in der Bundeswehr. Das ist das wahre Gesicht des Bonner Staates ... Die Arbeiterklasse und alle Werktätigen wollen den Frieden. Dazu müssen sie die Kriegstreiber und die Revanchehetzer und diejenigen, die mit Friedensphrasen die Massen täuschen wollen, davonjagen. Nur wenn die Arbeiterklasse entschlossen für den Sturz des Bonner Staates kämpft, kann sie den Krieg verhindern ... Die Arbeiterklasse und alle Werktätigen in Westdeutschland und Westberlin werden diesen Kurs der Kriegsvorbereitung nicht hinnehmen. Ihre Parolen am 1.Mai werden heißen: Krieg dem imperialistischen Krieg! Nieder mit dem Kriegspakt Bonn - Moskau! Hände weg von China! Kampf der Friedensheuchelei der SPD und DKP-Führer! Kriegspropaganda raus aus den Schulen und Betrieben! ... Zur Vorbereitung neuer Kriege wird die Wirtschaft auf Kriegsproduktion umgestellt, die kapitalistische Rationalisierung vorangetrieben und die Ausplünderung der Werktätigen verschärft. Die Arbeiterklasse in Westdeutschland und Westberlin hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie ihre wirtschaftlichen Interessen kämpferisch verteidigen kann. Darum wird sie am 1.Mai unter den Parolen marschieren: Kampf dem Lohnraub! Gegen Massenentlassungen, Kurzarbeit und verschärfte Arbeitshetze - Für den Sieben Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! ... Der Kampf gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung erfasste im letzten Jahr Hunderttausende.
Der Kampf der Werktätigen gegen die Ausplünderung durch staatlichen Preiswucher, der Kampf der Bauern gegen ihre Ausplünderung, der antimilitaristische Kampf der Jugend und der Kampf der studierenden Jugend gegen staatliches Berufsverbot für Kommunisten nahmen einen großen Aufschwung. Durch diese Kämpfe erschreckt und in die Enge getrieben, bereitet die SPD-Regierung neue Unterdrückungsmaßnahmen vor: Aufrüstung des Bundesgrenzschutzes und der Polizei als Bürgerkriegstruppen, Unterdrückung der Lohnkämpfe durch das Lohndiktat, Einschränkung der Kampffreiheiten der Arbeiterklasse im Betrieb durch das Betriebsverfassungsgesetz - das ist die Antwort der SPD-Regierung auf die anschwellenden Kämpfe. Mit diesen Notstandsmaßnahmen ist die Sozialdemokratie der Wegbereiter einer faschistischen Notstandsdiktatur. Darum wollen wir am 1.Mai unter den Losungen marschieren: Kampf der Notstandspolitik der SPD-Regierung! Weg mit dem KPD-Verbot! Freiheit für die Marxisten-Leninisten und ihre Presse! Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Weg mit dem Arendt-BVG - Weg mit den Regierungsknechten! ... Wo ist der Ausweg aus Unterdrückung, Ausbeutung und Verrat? Die revolutionären und siegreichen Kämpfe der Völker der Welt weisen uns den Weg: Der Sozialismus, die Diktatur des Proletariats - das ist die einzige Befreiung der Arbeiterklasse und aller Werktätigen von Not und Unterdrückung ... Darum kämpft die KPD/ML für die proletarische Revolution und die Errichtung der Diktatur des Proletariats ... Darum will die KPD/ML die Arbeiter und Werktätigen zum 1. Mai unter den Parolen vereinen: Es lebe die Diktatur des Proletariats! Nieder mit dem Bonner Staat! Für den Arbeiter- und Bauernstaat! Nieder mit dem Imperialismus - Für Sozialismus und Frieden! Es lebe der Marxismus-Leninismus und die Mao-Tse-Tung-Ideen! Arbeiter, Werktätige! Das sind Eure Parolen zum 1. Mai. Sie sind zusammengefasst in dem Aufruf: Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Das ist der Kampfruf gegen die verräterische Sozialdemokratie und ihre Lakaien, die D'K'P-Führer, gegen alle treuen Statthalter des Bonner Staates. Sie wollen die Kampftradition des 1. Mai verfälschen und ihn zu einem Tag des Aufmarsches für die Ostverträge machen, zu einem Aufmarsch für die Aufrüstungs- und Revanchepolitik. Sie wollen sich durch Saalveranstaltungen und Polizeistaffeln vor dem Protest des Volkes schützen.“ (25)
Was im Aufruf zum 1. Mai entwickelt wurde, glich schon einem paranoiden Weltbild. Die innere Logik dieser Geopolitik führte automatisch in den Krieg. In der ambivalenten geographischen Lage im Spannungsfeld zwischen der Supermacht USA und dem Sozialimperialismus liegt Deutschland. Hier reduziert sich das ganze Feindbild auf die stärkste Kontinentalmacht Russland, wobei Deutschland eine Schlüsselrolle zukommt. Überträgt man diese stillschweigend vorausgesetzten Identifikationen Deutschland/Russland auf dieses Krisenszenario um NAR, dann bleibt nur noch die DDR über. So erhält man eine ungefähre Vorstellung über ein zukünftiges militärisches Abenteuer des westdeutschen Imperialismus.
Das dürfte allerdings auch kein Zufall gewesen sein. Tatsächlich wurden die ZB-Theorien zu NAR zu einem Zeitpunkt populär, als die gesamte rechte politische Szene sich in einer gewissen Weise zu festigen begann und eine politische Tarnorganisation nach der anderen gründete. Und Einfluss erlangte. Möglich ist es durchaus, dass das ZB sich in seiner NAR-Politik jetzt nach rechts zu orientieren begann. Belege dafür gab es. Und es konnte nicht verwundern, dass sogar Beifall von der rechten Szene aufbrandete. Zum 1. Mai 1972 war es u. a. die Bochumer Ortsgruppe der Freiheitlichen Arbeiterpartei, die dem ZB ein Bündnisangebot unterbreitete, was damals gerne verschwiegen wurde. In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der postulierte „Ritt nach Osten“ des ZB bei Rechten, Nationalsozialisten und versteckten Patrioten durchaus etwas für sich hatte. Ging es nämlich um die alten Grenzen des Großdeutschen Reiches. Insofern, wie es später die MLD taten, war NAR durchaus auch eine negativ besetzte Revanche, die in der Haltung zur DDR und zur nationalen Frage eine eigentümliche Wendung bekam, die Nationalstaatlichkeit. Das ZB als hilflose Demokratiehelfer und gemäßigte Patrioten, die zwar den „Bonner Kuhhandel“ ständig kritisieren, sich aber durch ihre Parteinahme für die DDR und deren Verteidigung (später gab es die Rechtfertigung des Mauerbaus) zur rigorosen Ausschaltung andere oder potentieller Gegner formal verpflichteten.
Der 1. Mai 1972 stand indes ganz im Zeichen dieser Kampagne. Vor allem in Dortmund, dem zentralen Ort des ZB für Demonstrationen, ging es darum, im Kampf gegen NAR Flagge zu zeigen. In der Auseinandersetzung mit der KPD zum 1. Mai, die mit der Parole „Gegen Reformismus und Revisionismus“ antrat, (26) musste es allerdings auch Federn lassen. Der „KND“ berichtete am 10.5. über eine Veranstaltung der KPD vom 30.4. aus Dortmund:
„In Dortmund fand mit ca. 250 - 300 Menschen, fast nur Schülern und Studenten, eine zentrale Großveranstaltung der KPD zum 1. Mai statt. Anwesend sind neben der EKKE Griechenland auch Vertreter der KPD/ML-ZK und der KPD/ML-ZB, die in der Diskussion vornehmlich eine Verurteilung der Methoden vornimmt, die die KPD bei Bündnisverhandlungen und Veranstaltungen angewandt habe.“
Das ZB merkte weiter an:
„Stattdessen wäre es unsere Aufgabe gewesen, die Hauptparole der Partei zum 1. Mai: Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik der AO-Parole gegenüberzustellen und zu beweisen, dass in unserer Parole die Partei korrekt die Front bestimmt, an der die Haupttrennungslinie zwischen den Kräften der Revolution und dem Lager des Reformismus verläuft. Auf diesem Hintergrund ist die AO-Parole: 'Gegen Reformismus und Revisionismus' nichts als eine Phrase. Der Grund für unsere Fehler lag hauptsächlich darin, dass wir uns nicht zusammen für diese Veranstaltung vorbereitet hatten. Eine gemeinsame intensive Vorbereitung ist für solche Anlässe unbedingt notwendig, damit wir 1. politisch offensiv auftreten und 2. der Verschleppungs- und Abwürgetaktik solcher Organisationen wie der AO den Riegel vorschieben können.“ (27)
Über die eigene 1. Mai-Demonstration gegen NAR in Dortmund berichteten KPD/ML und KJVD wie folgt:
„Über 1.500 Kollegen und Genossen waren in Dortmund dem Ruf der betrieblichen und örtlichen Maikomitees gefolgt, am 1. Mai in der Arbeitereinheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik zu marschieren ... Trotz politischer Differenzen reichten sich an diesem Roten 1. Mai verschiedene marxistisch-leninistische Organisationen die Hand zum Kampfbündnis. Außer der KPD/ML war es die Gruppe Roter Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.) und die Gruppe Marxisten-Leninisten in Nordrhein-Westfalen. Griechische, palästinensische und spanische Marxisten-Leninisten marschierten mit und übermittelten die Kampfesgrüße ihrer Parteien.“ (28)
Der 1. Mai in Dortmund dürfte für das ZB das Startzeichen für die Verdichtung der Kampagne gegen NAR gewesen sein. KPD-ZK und KPD konnten nicht im entferntesten mit diesen Parolen konkurrieren. Stattdessen flüchteten sie sich in Parolen wie „Kampf dem westdeutschen Imperialismus“, „Kampf dem USA-Imperialismus“ oder dem „SU-Imperialismus“.
In der Nr.33 des „KND“ vom 5.5.1972 erschien der „Aufruf des Zentralbüros der KPD/ML-ZB und der Provisorischen Bundesleitung (PBL) des KJVD: „Aufruf des ZB der KPD/ML und der PBL des KJVD zu gemeinsamen Demonstrationen gegen den Kriegspakt Bonn - Moskau.“ Ausgeführt wurde:
„Über hunderttausend Werktätige gingen in den letzten Wochen auf die Straße: Sie verurteilen den korrupten Bonner Kuhhandel und demonstrierten ihren Wunsch nach Frieden. Trotz der spalterischen Tätigkeit der SPD- und DKP-Führer waren diese Streiks und Demonstrationen ein machtvoller Beweis für die Kampfbereitschaft der westdeutschen Arbeiterklasse im Kampf für den Frieden. Wenige Tage später - am 1. Mai - demonstrierten unter Führung der Marxisten-Leninisten und der KPD/ML Tausende von Arbeitern. Werktätigen, Jugendlichen und Soldaten entschlossen gegen den Kriegspakt Bonn - Moskau, gegen die Notstands- und Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung und zeigten ihren Willen für Sozialismus und Frieden zu kämpfen. Der Rote 1.Mai 1972 - das war ein großer Schritt voran in der Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik und zur Einheit der Marxisten-Leninisten. Diese Streiks und Demonstrationen haben die Bonner Herren in Panik versetzt. Konferenzen und Kommissionssitzungen lösen einander ab und immer offener zeigt sich, wie Brandt, Barzel und Strauß gemeinsam für die Durchsetzung des Kriegspaktes Bonn - Moskau kämpfen und wie ihr großes Schauspiel im Bundestag vor allem den Zweck hatte, das Volk über den wahren Charakter des Moskauer Vertrages zu täuschen ... Erschüttert durch die machtvoll anwachsenden Kämpfe der Völker der Welt, besonders die Siege der indochinesischen Völker, intensivieren die US-Imperialisten und die Sozialimperialisten ihre völkerfeindliche Zusammenarbeit und ziehen sich als neue Komplizen die alten Kriegstreiber des letzten Weltkriegs, die westdeutschen und japanischen Militaristen heran.
Der Pakt zwischen Bonn und Moskau soll zugleich den US-Imperialisten helfen, ihre Interessen in Europa zu sichern. Die großen Streitereien in Bonn, dass die Ratifizierung der Verträge bis zum Beginn von Nixons Moskaureise durchgesetzt sein soll, zeigt diesen Zusammenhang deutlich. Aber genau sowenig wie dies Komplott den Sieg der indochinesischen Völker verhindern kann, wird das Komplott der Imperialisten die europäischen Völker unterdrücken können. Weil die Imperialisten immer mehr in die Enge getrieben werden, greifen sie zu immer tollkühneren Mitteln, sind sie bereit, die Welt mit neuen Kriegen zu überziehen - im Irrglauben, dass sie damit ihre Herrschaft verlängern könnten. Das Gegenteil ist der Fall: Die Völker der Welt werden die Lehren aus den imperialistischen Kriegen ziehen und neue Kriege durch die politische Revolution verhindern, sie werden diese imperialistischen Kriege in Bürgerkriege verwandeln. Es ist die große Verantwortung der Marxisten-Leninisten, dass sie den Massen diesen richtigen Weg zeigen und sie dafür organisieren und aufklären. Gleichzeitig müssen die Marxisten-Leninisten jeden demokratischen Kampf gegen die Kriegsgefahr, die vom Komplott Bonn - Moskau ausgeht, unterstützen und organisieren
... Die Marxisten-Leninisten müssen ... solche Ansichten, dass es sich hier hauptsächlich um Handelsverträge handelt, dass hierdurch die Abgrenzung der imperialistischen Interessenssphären, der Frieden in Europa für einige Zeit gesichert wird (zurückweisen, d. Vf.). Sie lähmen den Kampf gegen die Kriegsgefahr. Warum denn die fieberhafte Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung? Wozu ihre ganzen Notstandsmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse und besonders gegen die Marxisten-Leninisten? ... Nur wenn die Marxisten-Leninisten diese Kriegsgefahr richtig aufdecken und wenn sie entschlossen den Frieden und die Souveränität der anderen europäischen Staaten verteidigen, kann die deutsche Frage so gelöst werden, dass kein imperialistischer Krieg mehr von deutschem Boden ausgeht: Die sozialistische Revolution in Westdeutschland, in Westberlin, die Wiederherstellung der Diktatur des Proletariats in der DDR machen den Weg frei für den Zusammenschluss der deutschen Staaten zu einem einigen, sozialistischen Deutschland, für Sozialismus und Frieden. Das ist der Weg, den die Marxisten-Leninisten dem deutschen Volk zeigen. Ein wichtiger Schritt in diesem Kampf war der Rote 1.Mai 1972, als Tausende gegen den Kriegspakt Bonn - Moskau auf die Straße gingen. Ein weiterer Schritt muss jetzt der Kampf gegen die Ratifizierung des Kriegspaktes Bonn - Moskau sein.
Das ZB der KPD/ML und die PBL des KJVD schlagen daher allen revolutionären Organisationen in Westdeutschland und Westberlin und allen fortschrittlichen Kräften eine Aktionseinheit gegen den Pakt Bonn - Moskau vor. Sie fordern auf, zu gemeinsamen Demonstrationen und Versammlungen am Mittwoch, dem 10.5.1972, wenn die Verträge im Bundestag ratifiziert werden. KPD/ML und KJVD haben für diese Aktionseinheit eine politische Plattform erarbeitet, die den Kampf gegen die Kriegsgefahr durch den Pakt Bonn - Moskau zusammenfassen soll. Wir stellen diese Plattform hier zur Diskussion: Nieder mit dem Pakt der Kriegstreiber Bonn - Moskau! Kampf der Friedensheuchelei der SPD- und DKP-Führer! Das soll die Hauptparole sein, unter der wir am 10.Mai marschieren werden. Der Pakt Bonn - Moskau verschärft die Kriegsgefahr auf dem europäischen Kontinent und muss daher entschieden bekämpft werden. Dabei muss der schärfste Kampf gegen die Friedensdemagogen geführt werden, die die Arbeiterklasse in unserem Land täuschen wollen: Die SPD- und DKP-Führer. Die Kriegsgefahr wird erhöht, weil dieser Vertrag ein Teil des weltweiten Komplotts von US-Imperialismus und Sozialimperialismus und westdeutschem Revanchismus ist. Rechtzeitig zu Nixons Moskaubesuch soll das Komplott abgeschlossen werden, damit dort neue Schritte gegen die Völker der Welt, gegen den blühenden Sozialismus und die siegreichen Befreiungsbewegungen beraten werden können.
Darum: Nieder mit dem US-Imperialismus, dem sowjetischen Sozialimperialismus und dem westdeutschen Revanchismus! Hände weg von China! Hände weg von Albanien! Hoch der Kampf der indochinesischen Völker - Sieg im Volkskrieg! Die Kriegsgefahr in Europa, die durch das Komplott Washington - Bonn - Moskau verschärft wird, muss von allen europäischen Völkern entschieden bekämpft werden. Eine besondere Verantwortung trägt die Arbeiterklasse in Westdeutschland und Westberlin und ihre Vorhut, die Marxisten-Leninisten. Darum muss sie sich besonders entschieden für die Verteidigung des Friedens in Europa einsetzen. Darum: Für die sofortige und bedingungslose völkerrechtliche Anerkennung der DDR! Für die Annullierung des Münchener Abkommens von Anfang an! Gegen die imperialistische Aufteilung Europas durch das Komplott Washington - Bonn - Moskau! Für die Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa! Für den Abzug aller ausländischen Truppen - für die Auflösung aller ausländischen Militärstützpunkte auf fremden Territorien! Für die Auflösung des aggressiven NATO-Paktes! Für die Auflösung des aggressiven Warschauer-Paktes! Genauso muss das Volk in Westdeutschland und Westberlin den demokratischen Kampf gegen alle Kriegsvorbereitungen des Bonner Staates führen. Zu diesen Kriegsvorbereitungen gehören nicht nur die Ausplünderung der Werktätigen und die militärische Verhetzung der Jugend. Ein wichtiger Schritt bei den Kriegsvorbereitungen ist der Kampf der Bonner Herren zum Verbot der Kommunisten und zur Unterdrückung der Marxisten-Leninisten, weil sie die entschiedensten Gegner des imperialistischen Krieges sind. Das war der Sinn des KPD-Verbotes und das ist genauso ein Grund für die neuen Unterdrückungsmaßnahmen. Darum: Keine Mark und keinen Mann für den Bonner Aufrüstungsplan! Kampf der militaristischen Verhetzung der Jugend in Schule und Betrieb! Für die freie politische und gewerkschaftliche Betätigung der Soldaten in der Bundeswehr! Weg mit dem KPD-Verbot! Freiheit für die Marxisten-Leninisten und ihre Presse! Die Marxisten-Leninisten weisen dem Volk den richtigen Weg, wie die Kriegsgefahr und Unterdrückung und Ausbeutung endgültig ausgerottet werden: Durch die sozialistische Revolution, die Zersetzung der imperialistischen Armee und die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg ...
Darum: Krieg dem imperialistischen Krieg! Nieder mit dem Bonner Revanchistenstaat - für die Diktatur des Proletariats! Für Sozialismus und Frieden! Das ist die Plattform, die eine Aktionseinheit der Marxisten-Leninisten gegen den Pakt Bonn - Moskau zusammenschließen kann. Weiter muss festgelegt werden, dass bei den Aktionen keine Losungen geduldet werde können, die der sozialistischen Revolution und der Diktatur des Proletariats entgegengestellt werden. Darum kann es auch keine Aktionseinheit mit dem modernen Revisionismus und dem Trotzkismus geben. Es muss weiter garantiert werden, dass alle beteiligten Organisationen ihre Agitation und Propaganda für den Marxismus-Leninismus und gegen alle falschen und opportunistischen Anschauungen frei entfalten können, solange nicht die Aktionseinheit selber angegriffen wird. KPD/ML und KJVD fordern alle revolutionären Organisationen und alle fortschrittlichen Kräfte auf, diesen Aufruf eingehend zu diskutieren, sofort mit uns in Verhandlungen zu treten und den 10.Mai zu einem machtvollen Aktionstag gegen den Pakt der Kriegstreiber Bonn - Moskau zu machen.“ (29)
NAR, Moskauer-Vertrag, Ratifizierung der Ostverträge, der Pakt Bonn-Moskau, Kriegsvorbereitungen und die SPD als Friedensheuchler- das war die Zuordnung des Kraftfeldes zwischen Arbeiterbewegung und Imperialismus. Besonders hervorzuheben waren die Formulierungen:
„Darum muss sie sich besonders entschieden für die Verteidigung des Friedens in Europa einsetzen. Darum: Für die sofortige und bedingungslose völkerrechtliche Anerkennung der DDR! Für die Annullierung des Münchener Abkommens von Anfang an! Gegen die imperialistische Aufteilung Europas durch das Komplott Washington - Bonn - Moskau! Für die Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa! Für den Abzug aller ausländischen Truppen - für die Auflösung aller ausländischen Militärstützpunkte auf fremden Territorien! Für die Auflösung des aggressiven NATO-Paktes! Für die Auflösung des aggressiven Warschauer-Paktes!“
Hier wurde schon am ersten Widerspruch, der sich in der „Anerkennung der DDR“ niederschlug, sichtbar, dass ein Siegermodell empfohlen wurde, dass sich hinsichtlich der Nationalkultur und eines möglichen modernen Nationalismus in einem dumpfen Neo-Nationalismus breit machte. „Deutschland einig Vaterland“ mit sozialem Zerfall und perspektivlosen politischen Verteilungsideen. Dass die „völkerrechtliche Anerkennung“ nur in einem neuen Markterfolg gipfeln sollte, konnte das ZB natürlich nicht wissen. Erst recht nicht, dass sich die damalige BRD 1989 die DDR politisch und ökonomisch einverleiben sollte. Dass aber dieses Alternativprojekt die Schlacken der KPD nach 1945 mit sich herumschleppte, die noch die soziale Revolution einforderte, war nichts anderes als ein philosophischer Bückling vor der Illusion.
NAR war auch „Anerkennung der DDR“. Eine nationalpopulistische Parole. Das war kein Ausrutscher, sondern hochgradig politisch. Die Ungenießbarkeit dieses Manifestes, das zugleich Zweck- und Inhaltsleere war, war das Endstadium der ZB SPD-Politik. Der altväterlichen und verkniffenen Sozialdemokratie sollte mit einem Husarenstreich das letzte Stück unverdrossener Moralpredigt genommen werden. Und zugleich ein neues „Großdeutschland“ als offizielle Weltpolitik gekürt werden. Der Ruf des Zentralbüros war gefährlich. Ein dämonisches Erwachen, das sich unter aller Augen vollzog, um mit deplazierten Kreuzchen den Etablierten einen Denkzettel zu verpassen.
Diese sektiererische Sicht lieferte keine Hoffnung auf Besserung. Der bedauerliche Ist-Zustand konnte auch nicht behoben werden; denn der zweite Widerspruch war ebenso schal: Eine Politik ohne Feinde. Die angedachte Auflösung und Aufhebung aller Pakte hätte eine spezifische historische Konstellation voraussetzen müssen, die es weder in Deutschland noch in Europa gab. Durch die Paktbildung war jedes Anschlussdenken von vornherein ausgeschlossen. Und in diesem politischen Rahmen betrieb das ZB sogar gefährliche Sandkastenspiele, in dem es im gleichem Atemzug funktionalistische europäische Staatlichkeit mit diktatorischen Zwangsmaßnahmen gleichsetzte. Politik löst sich nicht einfach in Wohlgefallen auf. Mit dem Verblassen von ideologischen Feindschaften ist dennoch der totalitäre Gegner einer mit Reichweite und Tiefenwirkung.
„Die Rutsche“, Betriebszeitung der KPD/ML auf Minister Stein/Hardenberg in Dortmund, erklärte am 11.5.1972 jedem Naivling, was NAR zu bedeuten hätte:
„DORTMUNDS STRASSEN FREI FÜR DEN ROTEN 1. MAI!
Diesem Ruf der KPD/ML und anderer marxistisch-leninistischer Gruppen waren ca. 1.500 Werktätige und Jugendliche gefolgt. Ihre Parole EINHEITSFRONT GEGEN NOTSTAND, AUFRÜSTUNG UND REVANCHEPOLITIK war eine Kampfansage gegen die Politik der Bonner Herren und ihre Kriegspläne. Es war zugleich eine Kampfansage an die Jubelfeier von Brandt und Vetter im Westfalenpark. Die Demonstration des DGB war ein Staatsfeiertag für Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik - die Demonstrationen der Marxisten-Leninisten waren Demonstrationen für Sozialismus und Frieden, für die Diktatur des Proletariats, den Arbeiter- und Bauernstaat.“ (30)
In diesem Text (wovon es viele gab!) hatte man ein vernichtendes Urteil (aus-) gesprochen. Nur: gemäßigter, aber gleichzeitig mit Entrüstung vorgetragen. Der klassische Mechanismus des Parolismus schwappte hier ein. Ein moralisch verwahrloster Staat schickt den Herrn seiner Kriegspläne (Brandt) nach Dortmund. Damit war das endgültige Urteil gesprochen. Vermeintliche links besetzte Phrasen wurden zu platten konservativen Phrasen, die im Einklang mit der Besinnung auf der hehre Tugenden (Demonstration für Sozialismus und Frieden) zu einem ungenießbaren Brei eingerührt wurden. Die Botschaft erschöpfte sich schon in der Deskription von gesellschaftlichen Verfallserscheinungen des Bonner Staates, dem jetzt ein „wir wollen“ und „wir müssen“ gegenübergestellt wurde.
Mit der Nr. 10 der „Roten Fahne“ vom 15.5. gibt es endgültig die Krise des Politischen. Im Leitartikel: „Barzel und Brandt - Hand in Hand. Erhöhte Kriegsvorbereitungen - verschärfte Notstandspolitik“ führte das ZB aus:
„Hunderttausende von Arbeitern, Werktätigen, Hausfrauen, Schülern und Studenten gingen vor drei Wochen gegen den Kuhhandel der Bonner Parteien auf die Straße und demonstrierten ihren Willen nach Frieden. Sie demonstrierten gegen die Reaktion, gegen Aufrüstung und Revanchepolitik und gegen die Korruption des Bonner Schieber-Parlaments ... Schon am 29.April, keine 48 Stunden nach dem gescheiterten Misstrauensantrag von Barzel, trafen sich die Spitzen der CDU/CSU: Barzel, Strauß, Schröder, Stücklen, und der SPD/FDP: Brandt, Schmidt, Scheel, Wehner, Schiller, Mischnik und Genscher ... Die SPD-Führer wussten kaum mehr, wie sie die Geister, die sie gerufen hatten, wieder loswerden können ... Die Spitzengespräche zwischen den Parteiführern in Bonn und die geheimen Absprachen jagten sich in den letzten 14 Tagen nur so: Und das kam dabei heraus: Gemeinsam mit Barzel und Strauß werden die Ostverträge nun nach langem Feilschen mit den Sozialimperialisten und Verschaukelung der Arbeiterklasse im Bundestag verabschiedet. Eine gemeinsame Entschließung von SPD und CDU, die den neuen Zaren zugeleitet wird, betont offen die revanchistischen Ziele der westdeutschen Monopolherren und ihrer Regierung ... Und in der jetzigen Entschließung wird unumwunden erklärt, dass die Bonner Revanchisten um kein Jota von ihren alten Zielen abrücken und an eine wirkliche Anerkennung der Grenzen in Europa und der DDR überhaupt nicht denken ... Gemeinsam mit Barzel und Strauß soll nun auch nach innen 'Friede' hergestellt werden.
Eine Beschleunigung des Notstandskurses soll endlich 'Ruhe und Ordnung' schaffen, damit umso schneller und reibungsloser für den Krieg gerüstet werden kann ... Gemeinsam mit Barzel und Strauß sollen schließlich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des westdeutschen Imperialismus 'gelöst' werden ... So werden alle Parteien unter dem Fähnlein der Verteidigung dieser korrupten Schieber-'Demokratie' für den Notstands-und Aufrüstungskurs zusammengeschlossen, um die Regierungskrise zu überwinden und den Widerstand im Volk gegen diesen Kurs zu brechen. Aber der Unmut in der Arbeiterklasse wächst ... Der Kampf der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen und friedliebenden Kräfte wird aber noch stark von der Illusion gehemmt, dass Brandt und die SPD tatsächlich Friedenspolitik betreiben würden oder zumindest wollen ... Gerade die unverhüllte Kumpanei von Brandt, Schmidt, Strauß und Barzel in den letzten Wochen aber öffnete vielen Kollegen die Augen ... Kollegen, lasst Euch nicht länger auf das Gerede von der SPD-Regierung als dem kleineren Übel ein! Die Politik des
Notstandes, der Aufrüstung und Revanchepolitik wurde gerade von den SPD-Führern durchgeführt, wenngleich sie mit Friedens- und Reformphrasen Verschleierten ...
Daher sind die Kriegstreiber nicht ein 'kleineres Übel', sondern besonders gefährlich. Die sozialfaschistischen Führer der SPD haben nur ein Ziel: Den Kanonenkönigen an Rhein und Ruhr, den Herren der Banken und Konzerne den 'inneren Frieden' für ihre Eroberungspläne zu sichern. Und was das für uns heißt, haben wir in den letzten zwei Jahren zur Genüge erlebt: Lohnraub, Lohndiktat, Steuererhöhungen, Preistreiberei, verschärftes BVG, usw. ... Daher kann die Frage nicht heißen: SPD oder CDU, größeres oder kleineres Übel. Nur durch den entschlossenen Massenkampf gegen die Kriegstreiber, Ostlandreiter und Notstandsplaner und für unsere Forderungen können wir wirklich Sozialismus, Frieden und Demokratie für das werktätige Volk erreichen. Kämpfen wir daher gegen die Eroberungspläne der Krupp und Thyssen und ihrer Bonner Parteien. Kämpfen wir gegen die zunehmende Militarisierung, die
Aufrüstung und Ausrüstung des staatlichen Gewaltapparats.“ (31)
Der offene Revanchekurs, die Politik von NAR „wurde gerade von den SPD-Führern durchgeführt, wenngleich sie sie mit Friedens- und Reformphrasen verschleierten“, schrieb das ZB. Und noch deutlicher: „Die sozialfaschistischen Führer der SPD haben nur ein Ziel: Den Kanonenkönigen an Rhein und Ruhr, den Herren der Banken und Konzerne den 'inneren Frieden' für ihre Eroberungspläne zu sichern.“
Die Rede vom Versagen der Politik ist seit der Wiederkehr Carl Schmitts, Ernst Jüngers und anderen Protagonisten der (rechts-)konservativen Revolution bekannt. Seit den Frühschriften Max Webers, Friedrich Naumanns und anderen steht ein zu „forsches“ Deutschland oftmals im Blickpunkt feuilletonistischer Diskurse. Die Vorläufermodelle auf der links-orientierten Seite sind dagegen weniger bekannt. Vermutlich deshalb, weil sie kein leidenschaftliches Plädoyer für einen neuen Expansionismus vorgelegt hatten. Und doch schlummerte im linken Basislager gleich ein ganzes Arsenal von Begriffsverwirrungen, die sich wie hier im Leitartikel an Großraumversuchen rieben.
Der am 27. April 1972 gescheiterte Versuch des Misstrauensvotums der CDU/CSU unter Rainer Barzel gegen Willy Brandt, führte in der BRD zu einigen Streiks und Demonstrationen für die SPD-Regierung. Das ZB nahm diese Aktionen zum Anlass, den „Bonner Kuhhandel“ mit der Parole „Nein! Zur Revanche und Kriegspolitik“ zu geißeln. Die„Roten Fahne“ schrieb dazu:
„Was fehlte den Streiks gegen den Bonner Kuhhandel? Diesen Streiks fehlte die entschlossene revolutionäre Führung durch eine wahrhaft kommunistische Partei ... Diese Streiks waren aber auch ein wichtiger Prüfstein für die Stärke der Marxisten-Leninisten und der KPD/ML. Noch konnten sie die Streiks nicht führen und organisieren. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Marxisten-Leninisten in ihrem Wachstum hinter dem Anschwellen der Kämpfe der Arbeiterklasse zurück sind. Noch sind die sektiererischen Tendenzen und die Trennung von den Massen schwere Hindernisse, die die Marxisten-Leninisten zurückzerren.“ (32)
Die Widersprüche in diesen Zeilen waren eklatant. Denn bereits einige Tage später konnten die „Streiks gegen den Bonner Kuhhandel“ einfach umfunktioniert werden. In einer Erklärung vom 18.5.1972 („Nieder mit dem Kriegspakt Bonn-Moskau. Erklärung des Zentralbüros der KPD/ML zur Ratifizierung der Ostverträge“) wurde formuliert:
„Hunderttausende in den letzten Wochen haben gezeigt, dass sie keinen Ritt nach Osten wollen. Wir wollen weder kalten noch heißen Krieg für die Krupp und Thyssen, wir sind gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik. Seit über einer Woche haben sich Brandt, Barzel, Strauß und Co. - die ganze Revanchistenbrut von den rechten CDU-Faschisten bis zum linken SPD-Flügel daher zusammengerauft, um dennoch gemeinsam gegen den eindeutigen Willen des Volkes ihr Programm der Wiedervereinigung, das in Wirklichkeit ein Programm der Eroberung der DDR, der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung ist, durchzusetzen. Gestern Nachmittag wurden im Bundestag mit 248 Stimmen Mehrheit die Verträge von Moskau und Warschau und die gemeinsame Entschließung von SPD, FDP und CDU/CSU mit 491 Stimmen verabschiedet. Die Unionsparteien enthielten sich der Stimme bei den Verträgen, um den Schein der Opposition gegen Brandts-Friedenspolitik zu wahren. In Wirklichkeit wissen sie nur zu gut, dass der Kriegspakt mit Moskau völlig den Revancheforderungen Bonns und damit auch ihrer Politik entspricht. Deshalb halfen sie mit bei der Formulierung der gemeinsamen Entschließung zu den Verträgen. Deshalb die offene Zusammenarbeit von Brandt, Barzel und Strauß in den letzten Tagen ... Die Verträge schaffen keinerlei Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen. Das wurde gestern im Bundestag beschlossen ... Mit anderen Worten: Die Bonner Regierung lässt sich durch die Verträge nicht von ihren Eroberungsplänen abhalten. Das wurde gestern im Bundestag beschlossen. Die SPD-Führer haben diese Verträge von Anfang an in enger Zusammenarbeit mit den Unionsspitzen mit den neuen Zaren im Kreml ausgehandelt und erpresst. Diese Verträge waren von Anfang an ein Pakt der Kriegstreiber ... Kollegen, wenn die Imperialisten unter sich die Welt aufteilen und um ihre Einflusssphären schachern, bringt es den Völkern nicht Frieden, sondern Krieg.
Das Komplott zwischen Washington, Bonn und Moskau - um nichts anderes handelt es sich bei den Ostverträgen - soll den beiden Supermächten Frieden in Europa sichern, um den Krieg in Asien führen zu können. Der US-Bombenterror gegen die indochinesischen Völker und der gigantische Truppenaufmarsch von 44 sowjetischen Divisionen gegen das sozialistische Volkschina - das ist die Kehrseite des Kriegspaktes. Hände weg von China! Für den Sieg der indochinesischen Völker! und: Auflösung des aggressiven NATO- und des aggressiven Warschauer Paktes - das sind die Losungen, die wir dem Komplott der US und SU-Imperialisten mit den westdeutschen Revanchisten entgegensetzen müssen. Für die sofortige und bedingungslose völkerrechtliche Anerkennung der DDR und aller bestehenden Grenzen in Europa! Für eine freie entmilitarisierte Stadt Westberlin! Für die Annullierung des Münchener Abkommens von Anfang an! Diese Forderungen müssen wir den anmaßenden Revancheforderungen Bonns und seinen Friedensverträgen mit den Neuen Zaren entgegensetzen. Der Friede in Europa wird dauerhaft nur gesichert werden, wenn die Wurzeln des Krieges beseitigt: das raffgierige Monopolkapital mitsamt seinem Staatsapparat. Daher das Ziel der KPD/ML: Sturz der Kriegstreiber in Bonn. Nieder mit dem Revanchistenstaat! Für die Diktatur des Proletariats! Das ist unsere Losung.“ (33)
Hunderttausende hätten gezeigt, „dass sie keinen Ritt nach Osten wollen. Wir wollen weder kalten noch heißen Krieg für die Krupp und Thyssen, wir sind gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“. Einfache Demonstrationen für das Fortbestehen der Regierung unter Willy Brandt, die zudem mehrheitlich von SPD-Betriebsräten in ausgewählten Betrieben in NRW organisiert worden waren, wurden zum „Wir-Gefühl“ gemacht. Dass sich die politische Führung die Avantgarde selbst strickte, war nach den ersten Gehversuchen Anfang 1970 klar, dass aber eine politische Bereitschaft in Teilen der Arbeiterschaft „gesehen“ wurde, gegen „einen Ritt nach Osten“ und gegen NAR vorzugehen, kann nur als politisches Stümpertum beurteilt werden. Dass sich ein politischer Bruch unter aller Augen vollzieht, entsprach vielmehr der stillschweigenden Voraussetzung des Weiterwurstelns. Bestenfalls bei der nostalgischen Rückerinnerung an die früheren Jahre der Weimarer KPD kam etwas Emphase auf. Emotionen wurden bereits geweckt, wenn sich auch nur ein Arbeiter gegen Brandt aussprach. Das wurde schnell verallgemeinert und als Bewegungsmoment mit großen Auswirkungen gedeutet.
Die „Revanchepläne Bonns“ kamen in dieser Lesart durchaus einer Kriegserklärung in Worten an Europa gleich. Sie war unangenehm. Denn sie fiel jetzt aus einer einfachen Theorie heraus. Und wurde zur alles bestimmenden Argumentation. Er entspräche (der Kriegspakt) nun „völlig den Revancheforderungen Bonns und damit auch ihrer Politik ... Mit anderen Worten: Die Bonner Regierung lässt sich nicht durch die Verträge von ihren Eroberungsplänen abhalten.“
Dieser Schwenk, das ideologische Tamtam, das verlautete, der permanente Versuch, die Volksmassen auf diesen Kurs einzuschwören, um hehre Ziele in Bewegung setzen zu können, gehörte zur Kampf- und Durchsetzungspolitik der Hurra-Politiker des ZB. Sie waren mehr dem Gestern verpflichtet und hatten auf der historischen Etappe der 70er Jahre ihr Substrat vergossen. Natürlich hatte dieses Entwicklungsstadium, in dem sich das ZB jetzt befand, wesentliche Bedeutung für die kommenden Monate. Denn spätestens mit den Vorbereitungen auf den Roten Antikriegstag mussten die Parolen Menschen mobilisieren können. Das konnte nur gelingen, wenn ein schon bestehender Affront gegen ein politisches Vakuum erzeugt wurde. Da in Teilen der alten Linken und der modernisierten Mao-Ableger ein Feld bereitet war, konnte NAR durchaus bestehen und war ein Vexierbild aller kommenden Mao-Emanzipationsträume: wir können den Bonner Staat schlagen!
Auch die landesweite Demonstration am 27.5.1972 in Köln „Für den vollständigen Sieg der indochinesischen Völker“, zu der KPD/ML-ZB und KJVD aufgerufen hatten, stand nicht nur im Zeichen der Solidarität mit dem Befreiungskampf in Vietnam, für den „Sieg im Volkskrieg“, sondern auch im Zeichen der Politik gegen NAR. In einem Flugblatt, das während der Demonstration verteilt worden war, hieß es:
„Bedenkt ihr nicht, dass dieser Krieg auf Europa übergreifen kann? Der 'Vertrag' Moskaus mit Bonn schafft ja erst einmal die 'Ruhe in Europa', die die Supermächte brauchen, um gegen Volkschina gemeinsam zu marschieren. Für den aufstrebenden westdeutschen Revanchismus bedeutet das, er wird ebenso zum Feind aller Völker. Die Ostverträge sind ein wichtiger Schritt für die Kriegsgewinnler Krupp, Flick und Thyssen als Juniorpartner der Supermächte, die osteuropäischen Völker einzukassieren. Sie sind blutgieriger geworden und strecken ihre Klauen nach der DDR aus. Das ist kein Frieden, sondern sind Kriegsvorbereitungen ... Die KPD/ML führt die Arbeiterklasse und alle Werktätigen zum Sturz des Bonner Imperialistenstaates, der, solange er besteht, immer wieder die Ursache für neue verheerende Kriege bildet. Dagegen müssen wir den Arbeiter- und Bauernstaat aufbauen und allen Kriegstreibern ein Ende machen.
Unser Weg: EINHEITSFRONT GEGEN NOTSTAND, AUFRÜSTUNG UND REVANCHEPOLITIK! FÜR SOZIALISMUS UND FRIEDEN! GEGEN LOHNDIKTAT, LOHNRAUB, POLIZEIAUFRÜSTUNG UND UNTERDRÜCKUNG DER KOMMUNISTISCHEN PRESSE ...
Kollegen, helft mit diese Einheitsfront zu bilden. Sorgt dafür, dass niemand den Friedensheuchlern Brandt (SPD, d. Vf.) und Co. auf den Leim geht, die mit Washington und Moskau bereit sind, die Völker in neue Kriege für ihre Pläne zu stürzen. Kommt und unterstützt den Kampf gegen den imperialistischen Kriegspakt von Washington, Moskau und Bonn.“ (34)
Wiederum sind es die „Kriegsvorbereitungen“, die schon als ontologische Notwendigkeit bezeichnet werden und die zum gesellschaftlich übergreifenden (politischen) Pessimismus hochstilisiert werden. Die „Ostverträge“ sind hier zur blutigen Fratze geworden, unter der sich alle handfesten Konflikte festmachen lassen. Hier strecken die Kriegsgewinnler Krupp, Flick und Thyssen „ihre Klauen nach der DDR“ aus. Doch warum sollten sie das wirklich tun? Diese entscheidende Frage blieb unbeantwortet. Die DDR war ökonomisch ein Niemandsland. Sie konnte sich nur über antifaschistische Sonderstellung definieren und ihre rückhaltslose Parteinahme für die Sowjetunion. Eigentlich war sie damals schon gegenstandslos, nur ein „anderes Deutschland“, allerdings mit Sonderweg. Insofern war der Parolismus um die „völkerrechtliche Anerkennung der DDR“ vielleicht nur die Eingliederung eines fremden Systems in eine erstarkte Wirtschaftsdemokratie. Dieses Anerkennungsgerede gipfelte natürlich auch in die Sackgasse der Wiedervereinigung. Diese könne, so das ZB, nur über den Umweg der nachzuholenden „demokratischen Revolution“ erreicht werden, die überzugehen hätte in die „sozialistische Revolution“, die dann für beide Teile Deutschlands gelten würde.
In dieser aufsteigenden theoretischen Verzettelung sollte mitbedacht werden, dass dieser objektiv beschworene Kurs ein Anachronismus war, ein Rückfall in das Kommandodenken der Sowjetunion, die das Opfer, DDR, dann ausspielen konnten, wenn die Zeit dafür politisch reif war. Die DDR war Bittsteller. Und hing am Rockzipfel des „Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe“. (35) Die DDR war somit den ständigen wirtschaftlichen Zusammenbrüchen des „Ostens“ ausgesetzt und war keinesfalls ein Staat, an dem die Weltmarktgewinner kurzfristiges und mittelfristiges Interesse hatten. Allerdings sollte erst später die „Planwirtschaft“ unter die wirtschaftliche Kontrolle des Kapitals geraten. Und die Konkurrenzschlacht konnte begingen. So spann das ZB seinen Traum von der heimlichen Liberalität im antifaschistischen Bündnis zwischen den Linken und einem friedliebenden Osten mit vielen Fragezeichen, die auch die preußischen ostelbischen Junker betrafen, die noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts den Adel und das Militär dominierten, und die in der Weltkriegsepoche keineswegs zusammengebrochen waren.
Alle „antifaschistischen und friedliebenden Kräfte“ vereint zur „demokratischen Revolution“ wurde wie die Nationalhymne ein beschwörender Kausalzusammenhang. Doch die alte preußische Staats- und Militärmaschine ließ antikapitalistische Programme (einschließlich irgendeiner Bündnispolitik) erst gar nicht zu. Der deutsche Mythos der antikapitalistischen Politik war Wunschdenken. Die DDR war schon 1972 katastrophal in das Weltmarktdebakel mit hoffnungsloser Überschuldung hineingezogen worden. Niemand, vor allem nicht die anvisierte Arbeiter- und Bauernschaft, hatte ein ernsthaftes Interesse daran, irgendeinem Bündnis beizutreten, weil es einfach ums nackte Überleben ging.
Massenstimmungen ausloten konnte die KPD/ML-ZB nicht. Aber „von außen“ agieren, Solidarität bekunden. Und an das „unvermeidliche“ appellieren. Das führte zu weniger befriedigten Ergebnissen. Doch zu einer Reihe Irrationalitäten mit Opfergehabe.
In der „Roten Fahne“ Nr.11 vom 29.5.1972 lautete der Leitartikel: „Was jetzt? Die Bilanz der Ostverträge und die Aufgaben der Arbeiterklasse.“Ausgeführt wurde:
„Das große Bonner Spektakel über die Ostverträge endete am 17. Mai: An diesem Tag wurden durch die Stimmenthaltungen der CDU/CSU die Verträge von Moskau und Warschau vom Bundestag gebilligt. Zwei Tage später stimmte auch der Bundesrat zu, weil sich die CDU/CSU-Landesregierungen der Stimme enthielten. Damit sind diese Verträge völkerrechtlich gültig. Es ist jetzt an der Zeit für die Arbeiterklasse, für alle Menschen, die wirklichen Frieden wollen, Bilanz zu ziehen. Wie sieht die Situation nach der Verabschiedung aus? Als erstes ist festzustellen, dass die Ostverträge mit einer Friedenspolitik im Interesse des deutschen Volkes und der anderen Völker Europas nichts zu tun haben. Mit den Verträgen billigte der Bundestag fast einstimmig ... eine gemeinsame Entschließung aller Bonner Parteien, in der es heißt: 'Die Verträge nehmen eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorweg und schaffen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen'. Damit wird beispielsweise der Warschauer-Vertrag, der von der Oder-Neiße-Grenze als der 'Westgrenze der Volksrepublik Polen' spricht, ein Fetzen bedeutungsloses Papier ... Verbessern heißt für die Bonner Revanchisten noch offener ihre Ansprüche anzumelden, noch unverhüllter den Kriegskurs durchzuführen - auf der Grundlage der Verträge von Moskau und Warschau.
Das ist das wichtigste Ergebnis der Verabschiedung der Ostverträge: Freie Bahn für den verstärkten Bonner Revanche- und Kriegskurs! Brandt, Scheel. Schmidt, Barzel und Strauß - Kriegstreiber vom gleichen Schlag. Und die Folge ist weiteres zügelloses Aufrüsten! Der zweite Punkt in der Bilanz der Ostverträge ist der verstärkte Notstandskurs der SPD-Regierung und der Länderregierungen. Es ist ehernes Gesetz des Imperialismus, dass die Kriegsvorbereitungen mit verschärftem Terror gegen das Volk einhergehen, um das Hinterland zu sichern ... Nach der Verabschiedung der Ostverträge befinden sich die bürgerlichen Parteien in Nöten vor dem Volk. Deshalb lassen sie immer mehr die Maske des Betrugs fallen. Die Parole heißt jetzt: Terror, Notstandskurs ... Die Bilanz der Ostverträge ist eindeutig: Verschärfter Revanche-, Kriegs- und Notstandskurs. Das ist auch die Bilanz sozialdemokratischer Regierungspolitik. Die Ostverträge, das Herzstück der Politik Brandts bringen der Arbeiterklasse verstärkten Terror und Entrechtung. Und das ist auch kein Wunder; denn die Bonner Parteiführer sind allesamt Diener der Monopolkapitalisten ... Dem Bonner Revanchistenstaat eine klare Absage zu erteilen, den Kampf für Sozialismus und Frieden aufzunehmen, sich fest um die KPD/ML zusammenzuschließen und für die Erhaltung ihrer Legalität zu kämpfen - das sind die Aufgaben der Arbeiterklasse. Weg mit dem KPD-Verbot! Gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Sozialismus und Frieden.“ (36)
Am 17.Mai 1972 wurden der sog. „Moskauer und Warschauer Vertrag“ vom deutschen Bundestag ratifiziert. Die Mehrheit der CDU/CSU-Abgeordneten enthielt sich der Stimme. „Am 21. Dezember folgte schließlich der sog. Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR. Die Vertragspartner versicherten darin, die Unverletzlichkeit der gemeinsamen Grenze wie die Unabhängigkeit eines jeden der beiden Staaten zu achten, und sie bekundeten ihre Bereitschaft, beim Partner eine ‚Ständige Vertretung’ einzurichten.“ (37)
Dazwischen lag der Versuch, den Status quo, d. h. die Normalisierung des Verhältnisses zu Osteuropa, zu erreichen. Die Brandt/Scheel Regierung, die mit ihrem Amtsantritt vom 21.Oktober 1969 neue politische Wege gehen wollte, einigte sich zunächst mit der Sowjetunion am 12. April 1970 darauf, die Oder-Neiße Grenze wie die Grenze zwischen der DDR und BRD als „unverletzlich“ behandeln zu wollen. Das bedeutete den eigentlichen Verzicht auf die bisher verfochtenen ostpolitischen Forderungen. Und erstmals wurde in bindender Form ein Schwenk vollzogen. Am 7. Dezember 1970 unterzeichneten Brandt und Scheel den „Warschauer Vertrag“ mit Polen, der die Respektierung der Oder-Neiße Grenze bekräftigte. Am 3. Juni 1972 wurde zusammen mit dem „Moskauer und Warschauer Vertrag“ auch das „Vier-Mächte Abkommen“ über Berlin ausgehandelt, um die Sowjetunion ihrerseits zum Status quo zu verpflichten. Am 18. September 1973 konnten zwei deutsche Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen werden. Der Weg zur Liberalisierung und Entspannung war damit geebnet. Schließlich wurde im „Prager Vertrag“ vom 11. Dezember 1973 mit der Tschechoslowakei erklärt, dass das „Münchener Abkommen“ von 1938 als „null und nichtig“ zu bezeichnen ist. Am 31. Juli 1973 befand übrigens das Bundesverfassungsgericht, dass die DDR „als Teil des völkerrechtlich fortbestehenden Deutschen Reiches nach wie vor Inland sei“ „und jede Bundesregierung stehe unter dem Gebot zu einer Politik der Vereinigung dieses Inlands mit Westdeutschland“. (38)
Keineswegs war die „Neue Ostpolitik“ eine generelle Verzichtpolitik. Aber auch kein „verstärkter Revanche- und Kriegskurs“, wie das ZB schrieb. Die „Ostverträge“ waren auch kein „Notstandskurs“, wie es in der „Roten Fahne“ hieß, der mit „verschärftem Terror gegen das Volk einhergeht“, um „das Hinterland zu sichern“. Aber sie gebar die alten Wiedervereinigungsideen mit festgeschraubten politischen und ökonomischen Verträgen, die sich bis 1990 als „neue Marktwirtschaft“ unter „sozialistischen Bedingungen“ entpuppen sollten. Der Konstrukteur dieser „Neuen Ostpolitik“, Egon Bahr, sprach schon 1963 vom „Wandel zur Annäherung“. Damit konnte nur der Sprung auf den kapitalistischen Dampfer gemeint sein. Die „Lockerung der Blöcke“ war in der Tat so ein neuer „osteuropäischer Weg“ mit damals kaum vorstellbaren Änderungen, die eintreten sollten. Das Wirtschaftsabkommen vom 7.5.1978 zwischen der BRD und der UdSSR legte dann den endgültigen Grundstein für die Infiltration der Ostblockstaaten durch das westdeutsche Kapital. Und bot vielversprechende Zukunftsperspektiven.
Dass die „Revanchepolitik“ „Zechensterben“ bringen sollte, war albern und aus der Luft gegriffen. Naiv formulierte „Die Rutsche“, Betriebszeitung der KPD/ML-ZB für Minister Stein/Hardenberg in Dortmund, am 31.5.1972:
„REVANCHEPOLITIK BRINGT ZECHENSTERBEN.
(Und die SPD) steht für die westdeutschen Aufrüstungspläne und die westdeutsche Revanchepolitik - Für Kuhhandel mit Polen und anderen Ländern, um auch dort die Kumpel auszupressen - Für Notstandspolitik in den Betrieben, für die Durchsetzung des Lohndiktats in der Bergbautarifrunde! Kollegen, die SPD-Regierung und die IGBE-Bosse sind mit schlotternden Knien in die Bergbautarifrunde gegangen. Ihr Streikgetöse verdeckt die Vorbereitung zum Streikverbot und 'außer Kraft setzen der Tarifautonomie'. Wir Kumpel aber gehen in die Bergbautarifrunde mit erhobener Faust! Der Kampf, den die KPD/ML gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik führt, heißt in der Tarifrunde 1972:
DIE EINHEITSFRONT ALLER KUMPEL herstellen unter folgenden Forderungen: (Anmerkung zur 7-DM-Forderung: Warum ist die KPD/ML-Betriebsgruppe von ihrer ursprünglichen Forderung von 6 DM abgegangen? Weil die Konferenz der Bergbaubetriebsgruppen (vgl. NRW - 22.5.1972, d. Vf.) für alle Zechen eine einheitliche Forderung aufgestellt hat, um auch die Einheitsfront ALLER RUHRKUMPEL herzustellen)
GEGEN NOTSTANDSKURS UND STREIKVERBOT!
WEG MIT DEM LOHNDIKTAT DER SPD-REGIERUNG!
7-DM PRO SCHICHT FÜR ALLE AUF DEN EFFEKTIVLOHN!
MONATSMINDESTLOHN VON 1 000 DM NETTO FÜR ALLE!
13. MONATSLOHN VON 1 000 DM NETTO FÜR ALLE!
WEG MIT DER LOHNORDNUNG! SCHLUSS MIT DEN ABSTUFUNGEN!
KAMPF DEM BONNER STILLEGUNGSPLAN! SCHLUSS MIT DEM ZECHENSTERBEN!
7-STUNDENSCHICHT FÜR ALLE BEI VOLLEM LOHNAUSGLEICH!
EINHEITSFRONT GEGEN LOHNDIKTAT, LOHNORDNUNG UND BONNER STILLEGUNGSPLAN!“
Und:
„RUNTER MIT DER MASKE! KEIN FRIEDEN DURCH OSTVERTRÄGE!
Eine Reihe von Euch hat neulich (vgl. 27.4.1972, d. Vf.) bei der Abstimmung im Bundestag über den Regierungssturz an den Radios und Fernsehern gehangen und hat gehofft: 'Hoffentlich schafft es unser Willy!' Kollegen aus anderen Betrieben haben zu Tausenden die brocken hingeworfen und gefordert: 'Generalstreik!', weil sie von der Aussicht, die Reaktionäre Strauß und Barzel (CSU bzw. CDU, d. Vf.) an der Regierung zu wissen überhaupt nichts hielten. 'Wir sind für Friede und Völkerverständigung' sagen viele von euch, 'wir wollen endlich einen Ausgleich mit unseren Nachbarn im Osten. Schluss mit dem kalten Krieg! Diese Politik macht die SPD-Regierung. Auch wenn sie oft gegen uns Arbeiter handelt, wie wir das an den Feierschichten und am Lohndiktat sehen können, so macht sie doch in der Außenpolitik Friedenspolitik. Wenn schon, dann doch lieber SPD als CDU! Die SPD ist dann doch das kleinere Übel!' Nun, Kollegen, wir von der KPD/ML sagen euch: 'Ihr habt recht, wenn ihr bereit seid, aktiv für den Frieden zu kämpfen und auf die Straße zu gehen, wenn ihr politische Streiks führen wollt. Für dieses Ziel, den wirklichen Frieden kämpfen wir gemeinsam. Kampf für Friede bedeutet aber Kampf gegen alle Kriegstreiber, Militaristen und Revanchisten.'
Wie kommt dann aber die KPD/ML dazu, die Ostverträge abzulehnen und sie als Kriegspakt zu bezeichnen? Sind wir vielleicht die kalten Krieger auf der anderen Seite, die immer nur schüren und jede Annäherung verhindern wollen? Sind wir ein paar Wirrköpfe, die grundsätzlich gegen alles sind, die immer nur stänkern und gegen die Ostverträge sind, weil die SPD dafür ist? Macht die KPD/ML nicht mit den Reaktionären Strauß und Barzel gemeinsame Sache, die ja schließlich auch gegen die Ostverträge waren und von denen ja kaum jemand annimmt, dass sie übermäßig vom Friedenswillen geplagt werden? WELCHE VORAUSSETZUNGEN MÜSSEN FÜR DEN FRIEDEN IN EUROPA GESCHAFFEN WERDEN?
Kollegen, oben wurde erwähnt, dass Kampf für Friede Kampf gegen die Kriegstreiber, Militaristen und Revanchisten bedeutet. Umgekehrt muss man sehen, dass ihre Stärkung die Kriegsgefahr erhöht. Das leuchtet ein. Solange jemand offen erklärt, dass er andere überfallen will, und Ansprüche auf Gebiete erhebt, die ihm nicht gehören, solange kann es keinen gesicherten Frieden geben. Wirklichen Frieden kann man nur erhalten, wenn man diese Kriegstreiber in die Knie zwingt und sie an ihrer Kriegspolitik hindert. Solange die westdeutschen Imperialisten Anspruch auf Teile Polens und die DDR erheben, kann es keinen Frieden in Europa geben. Im Gegenteil, je mehr diese Revanchisten Morgenluft wittern, desto mehr wächst die Kriegsgefahr. Der Imperialismus ist wie ein reißendes Raubtier, je mehr man ihm anbietet, umso mehr steigert sich seine Habgier ins Unermessliche und er wird nicht eher Ruhe geben, als er nicht die ganze Welt unterjocht und versklavt hat. Friedensicherung in Europa, das heißt: VOLLE VÖLKERRECHTLICHE ANERKENNUNG DER DDR UND DER BESTEHENDEN GRENZEN IN EUROPA! ANNULLIERUNG DES MÜNCHNER ABKOMMENS VON ANFANG AN! SOFORTIGER ABZUG ALLER AUSLÄNDISCHEN TRUPPEN VON FREMDEN TERRITORIEN!
OSTVERTRÄGE - FRIEDENSVERTRÄGE?!
'Die Verträge bringen den Frieden', werden die Herren im Kreml und SPD-Regierung samt ihrem Troß, den DKP-Führern, nicht müde zu behaupten: 'Weil sie die Realität in Europa anerkennen.' 'So nicht!' tönt Barzel und half so seinen Spießgesellen in der SPD-Regierung, den SU-Imperialisten noch ein Zugeständnis abzutrotzen. Welche Realitäten werden hier eigentlich anerkannt? 'Die Grenzen in Europa!' werden jetzt viele von euch sagen. Was sollte man denn sonst von Friedensverträgen erwarten. 'Keineswegs!' beeilen sich die Herren SPD-Führer ihren Freunden Strauß und Barzel zu versichern. Und in der tat: Die einzige Realität, die in den Verträgen anerkannt wird, ist die Revancheforderung der westdeutschen Kriegstreiber. Im Vertrag selbst heißt es ausdrücklich , dass die von einer Seite vorher geschlossenen Verträge nicht berührt werden. Also auch nicht der Deutschlandvertrag, den die Adenauer-Regierung mit den Westalliierten schloss, In ihm wird ausdrücklich die Einverleibung der DDR und der ehemaligen Ostgebiete als Ziel der gemeinsamen Außenpolitik verankert. Es kommt aber noch besser: Die gemeinsame Entschließung von allen im Bundestag vertretenen Parteien wurde von den Kremlherren voll akzeptiert. In ihr heißt es: 'Die Verträge nehmen eine friedensvertragliche Regelung für Deutschland nicht vorweg und schaffen keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen.'
'Eingliederung der Bundesrepublik in den Westen, das Ende der deutschen Spaltung, den Zusammenschluss des freien westlichen mit dem vom Bolschewismus befreiten östlichen Europa - bis zum Ural.' So umriss Staatssekretär Hallstein 1954 die Ziele der westdeutschen Außenpolitik. Von 'Wiedervereinigung mit siegreichem Einzug der Bundeswehr durchs Brandenburger Tor unter klingendem Spiel' schwärmte 1961 die Hochfinanz im Industriekurier. Wer nun noch immer glaubt, die SPD-Regierung habe diese Ziele aufgegeben, der wird von Walter Scheel eines besseren belehrt: 'Weder werden materielle Lösungen ersetzt, noch werden die Gegebenheiten definitiv (endgültig) fixiert. Es werden keine Ansprüche aufgegeben.' 'Aber in dem Vertrag wird doch zugesichert, dass die bestehenden Grenzen nicht gewaltsam verändert werden, auch wenn sie noch nicht anerkannt werden, das ist doch immerhin besser als bisher', werden vielleicht jetzt einige einwenden. 'Nicht umsonst haben doch die CDU-Reaktionäre diese Verträge so bekämpft.' Nun, Kollegen, was soll man von den Friedensbeteuerungen einer imperialistischen Regierung halten, wenn sie die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz (BGS, d. Vf.) und die Polizei aufrüstet wie noch keine vor ihr? Was soll man von dem Friedenswillen dieser Regierung halten, wenn sie selbst erklärt, dass sich NATO- und Ostpolitik ergänzen? Warum probt die Bundeswehr im Manöver 'Brickstone' die Eroberung der DDR und warum werden heute von der SPD-Regierung in 1 1/2 Tagen soviel Gelder in Rüstung gesteckt wie noch vor einigen Jahren in einem ganzen Jahr, wenn man doch angeblich gar nicht daran denkt, andere Länder zu überfallen? Die DKP-Führer, die nicht müde werden, den SPD-Bonzen in den Hintern zu treten und die Ostverträge großartig als Friedensverträge zu verkaufen, sollten sich einmal klarmachen, dass es ihre vielgepriesene SPD-Regierung ist, die den bisher größten Rüstungsetat aller Regierungen hat, dass die Bundeswehr unter dieser Regierung zur drittstärksten Armee der Welt ausgebaut wurde, die die Schlagkraft der ehemaligen Wehrmacht vor Kriegsbeginn weit übertrifft.
Diese 'Friedensregierung' plant in diesem Herbst eine Mobilmachungsübung von noch nie da gewesenem Ausmaßen. Wer wie die DKP-Führer diese imperialistische Aggressionspolitik uns als Friedenspolitik aufschwätzen will - und dafür noch Unterschriften sammelt - der treibt die schmutzigen Geschäfte der Imperialisten und ist ein Feind des Friedens und der Arbeiterklasse. Wen wundert es da noch, wenn sie den Monopolherren die Verträge durch die Aussicht auf Höchstprofite schmackhaft machen wollen. Oder so zählten sie in der UZ. als Vorteil der Verträge auf: 'Unser Land braucht Handel und Wandel ... Der Moskauer Vertrag öffnet den Zugang zum krisenfreien sozialistischen Weltmarkt, zu einem Ozean des Absatzes. Das macht die Arbeitsplätze sicherer.' Das, Genossen von der DKP-Führung, ist allerdings neu in der Geschichte, dass eine imperialistische Eroberungspolitik die Arbeitsplätze sichert und ist ein Hohn auf die unzähligen Leiden der Völker Europas, mit denen sie für die Hitlersche Eroberungspolitik bluten mussten. Auch Hitler erklärte die Unantastbarkeit der Grenzen in Europa, bevor er die Völker Europas überfiel.
Volkschina an der Spitze der Weltrevolution wird für die Verräter am Kommunismus im Kreml zusehends zu einer ernsten Gefahr. Dort hat die Arbeiterklasse die Macht, die in der proletarischen Kulturrevolution die revisionistischen Agenten Moskaus vertrieben hat. Volkschina, das den konsequentesten Kampf gegen den USA- und SU-Imperialismus führt, ist ein leuchtendes Beispiel für die gesamte Arbeiterklasse: das fürchten gerade die SU-Imperialisten, an deren Fingern das Blut der tschechoslowakischen (CSSR, d. Vf.) und polnischen Arbeiter klebt. Sie zittern davor, dass die Arbeiterklasse der UdSSR und der übrigen osteuropäischen Länder sich an den chinesischen Brüdern ein Beispiel nehmen und die Kremlherren davonjagen. Deshalb werden auch immer mehr sowjetische Truppen an der Grenze zu Volkschina zusammengezogen (44 Divisionen, im Westen nur 31). Deshalb brauchen sie Rückendeckung im Westen und hierfür sind sie auch bereit, die Souveränität der DDR stückweise oder als Ganzes an die westdeutschen Imperialisten zu verkaufen und ihnen ein Zugeständnis nach dem anderen zu machen. Deshalb haben sie auf die Anerkennung der DDR und der bestehenden Grenzen verzichtet und haben die Friedensvertragsregelung, die der DDR zugesichert war, fallengelassen. Ihre Politik heißt: Ruhe im Westen - Krieg im Osten! Für dieses Ziel sind sie bereit, den größten Kriegstreibern Europas den Rücken zu stärken.
Kollegen, kämpfen wir gemeinsam für den Frieden, führen wir einen unerbittlichen Kampf gegen alle Kriegstreiber und ihre Lakaien. Unser Kampf kann sich deshalb nur gegen diesen Bonner Staat selbst richten, denn er ist das Machtinstrument, mit dem die Monopolherren die Arbeiterklasse ausplündern und knebeln, mit dem sie fortschrittlichen Menschen Berufsverbot (BV, d.Vf.) erteilen und die Marxisten-Leninisten mundtot machen wollen, mit dem sie letztlich andere Völker überfallen. Den wahren Frieden werden wir deshalb nur dann sichern können, wenn die Arbeiterklasse und die Volksmassen den Bonner Staat beseitigen, die Flick, Krupp und Thyssen enteignen und samt ihren politischen Führern vertreiben und auch in Westdeutschland den Sozialismus aufbauen.
FÜR SOFORTIGE UND BEDINGUNGSLOSE ANERKENNUNG DER DDR UND DER GRENZEN IN EUROPA!
KAMPF DER FRIEDENSHEUCHELEI DER SPD- UND DKP-FÜHRER!
KRIEG DEM IMPERIALISTISCHEN KRIEG!
SOFORTIGER ABZUG ALLER AUSLÄNDISCHEN TRUPPEN AUS FREMDEN TERRITORIEN!
NIEDER MIT DEM BONNER REVANCHISTENSTAAT - FÜR DIE DIKTATUR DES PROLETARIATS!
FÜR FRIEDEN UND SOZIALISMUS!“ (39)
Die Sowjetunion machte nach Kriegsende keinen ernsthaften Versuch, die Eingliederung Westdeutschland in die wirtschaftspolitische und militärische Allianz des Westens aufzuhalten. Selbst der Notenwechsel von 1952 (nach der Note Stalins vom 10. März) ließ sie relativ kalt. Interessiert war sie nur an der Sicherung ihrer Grenzen und der Beibehaltung ihrer Einflusssphären. Die DDR „zu opfern“ oder ihr zu gestatten, aus dem Sowjetblock auszuscheiden, war ausgeschlossen. Über einen Friedensvertrag für Gesamtdeutschland wurde nicht verhandelt. Stalin schob damit die Vertiefung der Spaltung Deutschlands der Bonner Regierung zu. Und die Note zeigte, dass die UdSSR nicht an der Oder-Neiße Grenze rütteln ließ. Den Notenwechsel nutzte Moskau jedoch dazu, die Konsolidierungen östlich der Elbe voranzutreiben. Nachdem die BRD die politische Souveränität erhalten hatte und Mitglied der NATO geworden war, zog die UdSSR nach. Am 14. Mai 1955 wurde der Warschauer Pakt als Verteidigungsorganisation des Sowjetblocks gegründet. Am 20. September folgte der “Moskauer Vertrag“, in dem sie der DDR ebenfalls die volle Souveränität zusprach.
Chruschtschow formulierte am 26. Juli 1955 die so genannte „Zwei-Staaten“-Theorie, mit deren Existenz man sich nun abzufinden habe. Die Wiedervereinigung müsse Sache der Deutschen sein, aber nicht auf Kosten der DDR. Die BRD kam nicht umhin, sich diesem Entspannungsprozess anzupassen. Das bekam Konrad Adenauer (damaliger Bundeskanzler) 1955 zu spüren. Als die Sowjets am 7. Juni1955 der Bundesregierung über die Pariser Botschaft mitteilten, dass sie ohne Vorbedingungen diplomatische Beziehungen zu Bonn aufnehmen wolle. Adenauer lehnte nicht ab. Es gelang ihm gleichzeitig unter Einschaltung hoher Diplomatie einen Rest von deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion zu holen. Adenauer traf am 8. September 1955 in Moskau ein. Tatsächlich waren am 14. September die Kriegsgefangenen „befreit“, die diplomatischen Beziehungen hergestellt. Und ein Schritt zur Normalisierung getan. Da die „Zwei-Staaten“-Theorie nicht ohne Reaktion bleiben durfte, formulierte Bonn den „Alleinvertretungsanspruch“. Anfang Dezember 1955 erläuterte v. Brentano die „Hallstein-Doktrin“, die „der Sowjetunion paradoxerweise gerade wegen ihrer Eigenschaft als wichtigster Garantin der DDR, eine privilegierte Sonderstellung zuerkannte, jeden anderen Staat aber, der diplomatische Beziehungen zur DDR unterhalte oder gar in Zukunft aufnehme, mit der Verweigerung bzw. dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bundesregierung bedrohte“. (40)
Die „Hallstein-Doktrin“ waren ein Machtfaktor. Die DDR wurde damit vom Rest der Welt bis zum Ende der 60er Jahre (diplomatisch) isoliert. Sie wurde m. E. auch zum Ballast der Westpolitik Bonns. Entspannung konnte durch sie nicht erreicht werden. Und sie taugte auch nicht dazu, Wiedervereinigungs- und Grenzfragen zu klären. Die Adenauer Politik, die zunehmend unter dieser Isolierung litt, schlug im März 1958 dem sowjetischen Botschafter in Bonn, Smirnow, vor, die DDR zwar nicht mit der BRD zu vereinigen, aber sie zunächst aus dem Sowjetblock zu „entlassen“. Damit konnte sich die SU nicht anfreunden, und unterstrich, dass die „Hallstein-Doktrin“ der eigentliche Pfahl im Fleisch war. Die ökonomische Auszehrung der DDR nahm bis 1961 ständig zu. Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 riegelte sie die Sektoren- und Zonengrenze ab und ließ keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, ihren Status quo zu verteidigen.
Dass die Adenauer-Regierung vor diesem Hintergrund „Revancheforderungen der westdeutschen Kriegstreiber“ vertrat, ist schlicht falsch. Mit der Errichtung von Handelsmissionen in Warschau, Prag, Budapest und Sofia unter Kanzler Kiesinger (1967ff.) nahm jedoch die raffinierte wirtschaftliche Durchdringung der ostdeutschen Industrie zu. Dadurch konnte sogar die DDR zum Teil im Sowjetblock isoliert werden. Und es gab genügend Spielraum für die nun sich ergänzende „Neue Ostpolitik“ unter Brandt/Scheel. Die „Einverleibung der DDR“ geschah also allenfalls rein ökonomisch und somit unter der Hand. Sie war mitnichten eine „militärische“ Offensive. Zwar rief Adenauer eine Bundeswehr ins Leben. Doch selbst das war auf politischer Ebene ein normaler Vorgang. Und war nur eine Station von vielen.
„Der Kampf der Arbeiterjugend“, Nr.5 vom Juni 1972, schrieb zu den „Ostverträgen“:
„Gegen Notstandspolitik und Polizeiterror. Ruhe an der Heimatfront? Ohne uns! Bieten Bombenattentate auf US-Kasernen, Springerverlagshaus und Gerichtsgebäude, den Politikern des Bonner Staates einen willkommenen Anlass, ihre Politik des inneren Notstands und Terrors, der Verfolgung von Kommunisten und Demokraten durchzupeitschen wie nie zuvor ... Die SPD-Regierung und der ganze Bonner Staat enthüllen sich immer mehr vor den Massen. Die Schiebereien im Parlament, die Bestechungen und gekauften Abstimmungsergebnisse haben die Arbeiter und Werktätigen spüren lassen, dass der Bonner Staat unter dem Kommando der Monopolkapitalisten steht. Gleichzeitig ist der Bonner Staat durch seine zügellose Rüstungspolitik in eine schwere Finanzkrise geraten: denn den Werktätigen sollen die Daumenschrauben des staatlichen Steuerraubs noch enger angelegt werden. Im Bundestag finden weder Brandt noch Barzel eine Mehrheit: das gesamte verrottete parlamentarische System steckt in der Krise. Das Volk kann immer weniger durch Betrug über das Treiben der Bonner Notstands- und Revanchepolitiker getäuscht werden ... Die letzten Wochen der Revanchevorbereitungen und des Notstandsterrors beweisen: Dieser Staat muss zerschlagen und der Arbeiter- und Bauernstaat errichtet werden; denn er bedeutet Sozialismus und Frieden. Die Arbeiterklasse und die werktätige Jugend werden ihre Ruhe an der Heimatfront erheblich stören. Sie werden die Legalität der KPD/ML, des KJVD und der gesamten marxistisch-leninistischen Bewegung entschlossen verteidigen.“ (41)
Das Wahnsystem NAR brach alle Tabus und Regeln. Laut „KDAJ“ steckte durch sie nun auch das „parlamentarische System in der Krise“. Und das Volk könne weniger und weniger „durch Betrug über das Treiben der Bonner Notstands- und Revanchepolitiker getäuscht werden“. Diese zum absurden Selbstzweck aufrecht erhaltene Politik war ein Abenteuer, die Entladung von diffusen Unzufriedenheiten, die später in der einfachen Aufforderung zum Gesetzesbruch (vgl. Roter Antikriegstag in München) gipfelte. Der schreckliche Irrtum saß locker. Das Kostüm brauchte nur gewendet zu werden.
Mit dem Rahmenplan „Die Aufgaben der KPD/ML zu den Neuwahlen“, der Ende Juni/Anfang Juli 1972 vom Polit- und Org.- Büro beim ZB der KPD/ML herausgegeben wurde, kippte auch endgültig das Verhältnis zur Gewalt. War NAR bisher immer nur eine Theorie ohne große praktische Konsequenz, so wurde sie wie die Neuwahlen (42) zur „zentralen Klassenschlacht“. Bedacht werden musste, dass dieser „Rahmenplan“ bereits illegal in der Organisation verbreitet worden war. Und dass er m. E. bereits der Vorbereitung auf den Roten-Antikriegstag in München diente. Dazu kam, dass vom Landesverband NRW ein Planspiel der Illegalität durchgeführt wurde. (43) Die „politische und taktische Geschicklichkeit“, die genannt worden war, war wie der „außerparlamentarische Massenkampf“ („Durchbrechung dieser Gesetze“) ein Hinweis auf die nun einsetzende Periode des Gewaltschubes RAKT. Dass die KPD/ML-ZB sich im November nicht an den Neuwahlen beteiligte, lag nicht an der Parteidiskussion, die darüber geführt wurde, und dem anvisierten Boykott, sondern schlicht an der Tatsache, dass die Parteikräfte auf den RAKT hin gebündelt werden mussten. So war die Diskussion um die Neuwahlen wie auch der „Kampf gegen das KPD-Verbot“ bestenfalls eine gut gemeinte Idee.
Im Rahmenplan „Die Aufgaben der KPD/ML zu den Neuwahlen“ wurde ausgeführt:
„Was können wir daraus für den politischen Inhalt der Neuwahlen lernen? Das Wachsen des Marxismus-Leninismus in der Arbeiterklasse und vor allem der Jugend, der spontane Drang der Massen zum Sozialismus werden die Grundlage dafür sein, dass sch der Staat der Monopolherren und die Kräfte des Proletariats hart gegenüberstehen und die Frage nach dem Sozialismus als der Alternative zum Bonner Staat einen entscheidenden Raum einnehmen wird. Vor allen Dingen wird für die Massen die Frage stehen, ob der Sozialismus die Demokratie für die Werktätigen sein kann, die sie erstreben und ihnen die SPD-Führer versprochen hatten. Die Massen lehnen nämlich den Notstandskurs des Bonner Staates ab und werden gerade im Wahlkampf bereit sein, gegen jede von ihnen als undemokratisch erfahrene Maßnahme der Faschisierung den Kampf aufnehmen. Im Mittelpunkt des Notstandskurses werden zunehmend die Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML stehen, weil die Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung durch die KPD/ML die größte Gefahr für die Monopolherren darstellt. Es wird von der politischen und taktischen Geschicklichkeit der KPD/ML abhängen, ob die Massen dabei in den Kampf gegen das KPD-Verbot und das reaktionäre Wahlgesetz geführt werden können ...
Für uns sind folgende Punkte von Bedeutung: Die Schwäche der Partei kann kein ausschlaggebender Grund für den Boykott sein. Die Beteiligung an den Wahlen ist eine Frage der Einschätzung der Klassenkräfte und besonders der Stimmung der Massen. Die Schwäche der Partei ist jedoch ein sehr wesentlicher Faktor für die Entscheidung, wie sich die Kommunisten am Wahlkampf beteiligen. Allgemein gilt, dass die Schwäche der Partei Wahlbündnisse besonders notwendig macht und einen schwerpunktmäßigen Einsatz der Kräfte erfordert. Dies entspricht übrigens auch den Erfahrungen der ML in Westeuropa. Die schwedischen ML haben sich 1970 an den Reichstagswahlen beteiligt, mit einer schwerpunktmäßigen Konzentration auf Göteborg, das proletarische Zentrum in Südschweden, das auch ein Zentrum der schwedischen Streiks Anfang 1970 war, die etwa unseren Septemberstreiks entsprachen ... Die KPD/ML sieht die Neuwahlen, ganz gleich, ob sie im Herbst oder im Frühjahr stattfinden, als die zentrale Klassenschlacht für den Bonner Staat im nächsten halben Jahr an, weil hier am klarsten dem Bonner Staat der Bourgeoisie die gesamte Politik des Marxismus-Leninismus gegenübergesetzt wird, weil hier die Massen anhand ihrer eigenen Erfahrungen sich am besten von der Verfaultheit des Bonner Staates und von der richtigen Politik und Taktik der KPD/ML überzeugen können ...
Der Inhalt dieser Wahlen wird der Kampf um die Politik von Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik sein ... Die KPD/ML wird den Wahlkampf und die Zeit der Vorbereitung dieses Wahlkampfes zu einer Schule für den Kommunismus machen. Dazu wird sie vor allem dem bürgerlichen Programm von Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik ihr Programm vom Sozialismus und Frieden entgegensetzen ... Die KPD/ML führt den Kampf gegen das Parteiverbot. Sie führt diesen Kampf weiter als einen Kampf zur Erweiterung der demokratischen Rechte der Werktätigen, deren außerparlamentarische Massenkampf und speziell deren antimilitaristischer Kampf mit dem KPD-Verbot unterdrückt werden sollte ... Die KPD/ML wird ihren Kampf gegen das Bonner Notstandsheer verstärken, vereinheitlichen und auf ein höheres politisches Niveau heben, wenn sie das klare Ziel sieht, das nur durch die proletarische Revolution erreicht werden kann: Sturz des Militarismus, Schaffung eines Arbeiter- und Bauernstaates, in dem die Armee eine Armee des Volkes darstellt, das ihm brüderlich verbunden ist ... Die KPD/ML muss die Taktik des grundsätzlichen Boykotts der Neuwahlen ablehnen, weil sie entweder auf einer schweren Fehleinschätzung der heutigen Situation beruht oder nichts anderes als die Widerspiegelung trotzkistischer Ansichten darstellt.
Die KPD/ML muss weiter alle Theorien verurteilen, die wegen des Standes des Parteiaufbaus einen grundsätzlichen Boykott der Wahlen fordern ... Die KPD/ML muss weiter die reaktionären Wahlgesetze und das antidemokratische Parteiengesetz, ein Durchführungsgesetz zum KPD-Verbot, genau prüfen und untersuchen, in welcher Weise ein Kampf zur Durchbrechung dieser Gesetze aufgenommen werden kann. Dieser Kampf hat das Ziel, den ML und der Arbeiterklasse größere politische Freiheiten und eine ungehinderte sozialistische Propaganda zu erkämpfen und ist direkt gegen Notstandskurs und KPD-Verbot gerichtet. Wir führen ihn mit dem ernsthaften Ziel einer möglichst freien und ungehinderten Wahlbeteiligung. Das ZB muss genau untersuchen, in welcher Situation ein Wahlboykott notwendig ist wegen der reaktionären Wahlgesetze und der Unterdrückung der ML ... Die wichtigsten Kampfaufgaben der ML in der Vorbereitung der Neuwahlen sind der Kampf gegen das Parteiverbot, der Antikriegstag und der Kampf gegen das Stillhalten bis 1973 im Lohnkampf ... Der Kampf zu den Neuwahlen und in der Vorbereitung der Neuwahlen, besonders der Kampf gegen das Verbot der KPD/ML, wird ein wichtiger Hebel zur Herstellung der Einheit der ML sein. Die Herstellung eines Wahlbündnisses der ML in Westdeutschland als eines ersten Schrittes zur einheitlichen ml-Partei wird die Chancen der Revolution in unserem Land erheblich verbessern.
Das wichtigste Mittel zum ideologischen Parteiaufbau muss in den nächsten Monaten die Diskussion um Programm und Taktik der KPD/ML darstellen. Dabei kommt die größte Bedeutung der Diskussion um das Programm zu, und zwar hier vor allem der Frage des demokratischen und sozialistischen Kampfes. Ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung des ideologischen Parteiaufbaus ist die ständige Schulungsarbeit mit der Roten Fahne und die Erziehungsarbeit mit Hilfe klassischer Texte, die direkt von der Zentrale angegeben werden ... Genauso wie im ideologischen Parteiaufbau sind uns erst recht im organisatorischen Parteiaufbau einige Lehren erteilt worden, die uns Ansporn sein müssen, die aufgetretenen Schwächen mutig zu analysieren und die richtigen Mittel der Korrektur zu untersuchen ... Die wichtigste Frage ist für den Zustand der Partei der ideologische Zusammenschluss um die richtige Linie, um das Programm, und um die Fähigkeit, dieses Programm auf die konkrete Situation der jeweiligen Parteieinheit richtig anwenden zu können. Weiter müssen bestimmte Org.-Aufgaben sorgfältig untersucht werden, vor allem unsere Fähigkeit, den legalen und illegalen Kampf miteinander verbinden zu können.“ (44)
Mit der Nr. 12 der „Roten Fahne“ gab die KPD/ML-ZB den Beschluss bekannt, den „KND“ einzustellen. (45) Auch das dürfte ein Hinweis darauf gewesen sein, die bisherige Parteinormalität umzugestalten. Obwohl sie pseudopolitisch war, lässt sich doch nun die zunehmende Gewaltbereitschaft herauslesen. Man könnte die Gewaltbereitschaft nun auch (wie die NAR) als neokonservativen Schub bezeichnen. Der Beginn dieser neuen Ära manifestierte sich ziemlich deutlich im Artikel: „Kampf dem Bonner Notstandskurs!“ Ausgeführt wurde:
„Bombenterror in westdeutschen Städten - das kommt der herrschenden Klasse wie gerufen. Jetzt kann sie endlich die Maßnahmen durchpeitschen, die schon seit der Verabschiedung der Notstandsgesetze (NSG - vgl. 30.5.1968, d. Vf.) in der Schublade liegen. Am 26.Mai jagten sich bei Brandt und Genscher die Konferenzen und folgende Maßnahmen zur 'inneren Sicherheit' sollen noch bis zur Sommerpause des Bundestages Gesetz werden: der polizeiliche Schnellrichter, die Vorbeugehaft, das Verbot 'einer Reihe von anarchistischen Organisationen', das Verbot jeder 'Aufforderung von Gewalt', noch größere Rechte für die staatlichen Spitzelorgane, beschleunigte Zentralisierung des Polizeiapparates und Ausbau des Bundeskriminalamtes und die gesetzliche Absicherung des Bundesgrenzschutzes (BGS, d. Vf.) als Bürgerkriegsarmee für den Einsatz im Innern. Die Umrüstung zum Polizeistaat, die nicht nur offen durch Gesetz und Polizeiterror, sondern vor allem durch eine ungeheure Kommunistenjagd in den Köpfen der Bevölkerung vorangetrieben werden soll, geht mit einer solchen Hast vor sich, die man nur verstehen kann, wenn man sich den Hintergrund vor Augen hält, vor dem die Bomben geplatzt sind: Der Kuhhandel um die Ostverträge und der gewaltige Aufschwung des Kampfes der Arbeiterklasse und der revolutionären Kräfte mit den Marxisten-Leninisten und der KPD/ML an der Spitze.
Mit den Ostverträgen, dem Abkommen über Westberlin und dem Verkehrsvertrag mit der DDR hat die SPD-Regierung das Tor nach Osten aufgestoßen: Nicht die DDR und die bestehenden Grenzen in Europa, sondern die anmaßenden Ansprüche der westdeutschen Monopolherren auf ihr altes Großdeutsches Reich sind völkerrechtlich anerkannt, Westberlin ist endgültig als Brückenkopf der Revanchestrategie dem Bonner Staatsapparat zuerkannt und mit dem Verkehrsvertrag ist die DDR für die wirtschaftliche Unterwanderung und die Wühlarbeit von Seiten der westdeutschen Kriegstreiber ein Stück weiter geöffnet worden. Damit ist das Vorfeld der Revanchepolitik abgesteckt: Jetzt haben sich Brandt, Schmidt und Scheel die nächste Hürde für ihren Schritt nach Osten vorgenommen die sogenannte Europäische Sicherheitskonferenz. Hier werden die Bonner Revanchisten alles daran setzen, den NATO-Block zur politischen und militärischen Rückendeckung ihrer Großmachtziele zu zwingen ... Doch gerade jetzt, wo Aufrüstung und Revanchepolitik auf Hochtouren laufen, hat die Bevölkerung mit der Arbeiterklasse an der Spitze allen Kriegsplänen ihr entschiedenes Nein entgegenzuschleudern. Gleichzeitig verloren die SPD-Führer durch ihr verlogenes Spiel mit dem Frieden ein Stück mehr an Boden in der Arbeiterklasse ... Jede Drohung und jeden Angriff der SPD-Führer und ihrer Polizei werden wir nutzen, um uns noch enger mit den Massen zu verbinden. Wir werden den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten zu einer einzigen kraftvollen Führung der Arbeiterklasse vorantreiben. Die KPD/ML wird den Kampf der Arbeiterklasse führen, geduldig den Massen den Weg weisen und ihre revolutionäre Gewalt organisieren zum Sturz des Bonner Revanchistenstaates, für die Diktatur des Proletariats.“
Vor dem Hintergrund der „Ostverträge“, der „Umrüstung zum Polizeistaat“ und „vor dem Hintergrund, vor dem die Bomben geplatzt sind“ (46), ging die „Kommunistenjagd“ um, „der gewaltige Aufschwung des Kampfes der Arbeiterklasse und der revolutionären Kräfte mit den Marxisten-Leninisten und der KPD/ML an der Spitze“. Die Revanchepolitik sei nun durch die „Ostverträge“ abgesteckt. „Jetzt haben sich Brandt, Schmidt und Scheel die nächste Hürde für ihren Schritt nach Osten vorgenommen die sogenannte Europäische Sicherheitskonferenz. Hier werden die Bonner Revanchisten alles daran setzen, den NATO-Block zur politischen und militärischen Rückendeckung ihrer Großmachtziele zwingen.“ (47)
Die Gewaltbereitschaft des ZB erfuhr eine ideologisch-pseudopolitische Wendung, die nicht nur die NAR betraf, einmal mehr auch ihr Verhältnis zur RAF. Das drückte der Artikel: „Die wahren Helden sind die Massen“ aus. Dieser ging auf die jüngsten Bombenattentate der RAF ein:
„Wir halten es allerdings nicht für richtig, solche sinnlosen Bombenattentate zu verüben ... Es gibt aber keinen Grund, sie moralisch zu verurteilen. Die Naziverbrecher und Massenmörder von der Sorte eines Flick sind es, die das Recht in Westdeutschland machen und moralische Urteile über die Anarchisten sprechen. Brandt und Strauß bezahlen Milliarden für die Abschlachtung des vietnamesischen Volkes an die amerikanischen Imperialisten. Welch hohe Moral! Welch Friedenswerk! Brandt und Strauß sind es, die die faschistischen Mörder in Spanien, Portugal und Griechenland und der Türkei mit Hilfe der NATO an der Macht halten, gegen das Volk. Sind sie nicht Komplizen und Helfershelfer von Managern und Banditen? Wo waren die Moralisten und Friedensengel, als Hitler im Auftrage seiner Auftraggeber wie Flick, Krupp und Thyssen Hunderttausende von Kommunisten und Demokraten im heldenhaften bewaffneten Kampf die Faschisten aus den europäischen Ländern vertrieben wurden? ... Diese Leute handhaben heute die Macht gegen das Volk. Die Anarchisten sind nicht die Verbrecher, sie sind politische Dummköpfe, Schlachtopfer des Bonner Staates. Sie werden auf offener Straße durch Polizistenkugeln hingemordet oder bei lebendigem Leibe in Zuchthäusern begraben. Moralisch kann man die Anarchisten nicht verurteilen; denn sie wollen dem Volk dienen. Die Mörder und Banditen sind andere. Die Anarchisten sind aber politische Dummköpfe und schaden der Arbeiterklasse.
Welches sind nun die Fehler und Dummheiten der Anarchisten, warum sind sie keine Kommunisten, sondern wildgewordene Kleinbürger, die ihr Leben umsonst aufs Spiel setzen? Der Hauptfehler der Anarchisten der RAF ist die Leugnung der führenden Rolle der Arbeiterklasse in der Revolution. Sie meinen, es genüge eine kleine Gruppe von bewaffneten Kämpfern, die im Zweikampf mit dem Bonner Staat die Arbeiterklasse aufrütteln müssen. Das ist eine unsinnige Vorstellung ... Die Anarchisten meinen, sie könnten ohne die Arbeiterklasse die Revolution machen bzw. - wie sie es ausdrücken - 'revolutionär intervenieren' und so die Massen in Bewegung bringen. Das ist aber Unsinn und führt im Gegenteil dazu, dass die Massen gebannt auf den Zweikampf zwischen Anarchisten und Bonner Staat sehen und ihre eigene Aktivität sinkt. Die Arbeiterklasse ist es, die die Revolution führen muss, und dazu hat sie ihre Partei, die marxistisch-leninistische Kampfpartei:
Ohne eine solche Partei ist an den Erfolg der Revolution gar nicht zu denken ... Die RAF meint, dass sie statt der Partei nur eine bewaffnete Gruppe braucht, die durch ihren Kampf die Massen mobilisieren und den Imperialismus stürzen kann. Hier kommandieren die Gewehre die Politik und nicht die Politik die Gewehre. Die RAF verschwendet keinen Gedanken daran, dass nur die Partei den bewaffneten Kampf leiten und dass nur die Partei entscheiden kann, wann der bewaffnete Kampf entfaltet werden muss, wann die Massen bereit sind zum bewaffneten Kampf, und wann die Bourgeoisie und ihr Machtapparat genügend zersetzt ist, um den Bürgerkrieg zu beginnen ... Die RAF meint, ihr Zweikampf mit dem Bonner Staat könne diesen desorganisieren und schwächen. Jeder, der Augen hat, kann sehen, dass nicht die Aktionen der RAF den Bonner Staat schwächen und desorganisieren, sondern die Aktionen der Massen gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik ...
Die heutigen Aktionen der RAF sind völlig nutzlos und schädlich. Schädlich, weil sie die Massen desorganisieren, zumal sehr schwer der Sinn der Aktionen der RAF zu verstehen ist. Nutzlos, weil die Massen noch nicht genügend organisiert, weil der Bonner Staat und seine bewaffneten Kräfte noch nicht genügend zersetzt sind, kurz, weil die Zeit noch nicht reif für den bewaffneten Kampf der Massen ist ... Die RAF versteht nicht, dass die wahren Helden die Massen sind, dass sie es sind, die die Geschichte machen ... Sie haben keinerlei Verbindung zur Arbeiterklasse, wie sie sich tagtäglich zeigt, deshalb sehen sie nicht, dass die wütenden Angriffe der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse Zeichen der Schwäche der westdeutschen Militaristen und Revanchisten sind. Stattdessen lösen sie sich völlig von den Massen und liefern dem Bonner Staat unter der Führung der Sozialdemokratie sinnlose Gefechte ... Das ist es, was wir den Anarchisten zu sagen haben. Wir sind dafür, dass die Volksmassen in einem bewaffneten Kampf den Bonner Staat zerschlagen und den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat errichten.“ (48)
Die Gewaltwelle der RAF (im übrigen verwechselte das ZB permanent Anarchisten mit der RAF) sei „moralisch nicht zu verurteilen“, weil die „wahren Helden die Massen“ sind, weil jeder sehen könne, dass „nicht die Aktionen der RAF den Bonner Staat schwächen und desorganisieren, sondern die Aktionen der Massen gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“, formulierte das ZB. Die Linke und nicht nur das ZB tat sich sehr schwer damit, den Aktionen der RAF eine eindeutige Abfuhr zu erteilen. Von Anerkennung ihrer „Taten“, über moralische Unterstützung“ bis zur direkten Ablehnung war alles dabei. Das ZB rechnete deren Bombenattentate einfach auf, mit den „Nazimördern“ und „Naziverbrechern“. Der Holocaust spielte keinerlei Rolle in der Argumentation. Eigentlich nie. Der „böse“ Einfluss des Imperialismus habe eben dazu geführt, dass „gebombt“ wurde. Und dieser faschistoide Imperialismus war Grund genug, um den Erklärungen auszuweichen. Und sich in Klischeebildung zu üben.
Parallel dazu war NAR wieder das eigentliche Kettenglied, das die „westdeutschen Militaristen“ vom Sockel stoßen würde. So verwunderte es nicht, wenn das ZB sich ständig in moralische Appelle ergoss. Und den kommunistischen Geist der KPD/ML beschwor. Ihre eigene kleinkrämerische Grundhaltung projizierte sie auf andere. Und beklagte die Bombenanschläge. Und hätte doch liebend gern selbst Bomben geworfen. Unterschwellig schwang immer dieser Solidaritätspathos mit. Der herbeigesehnte Exitus des Kapitalismus wäre die beruhigende Wirkung gewesen. Mit den Terroristen könnte getauscht werden. Das Unbehagen, nicht Fisch oder Fleisch sein zu wollen, wäre im Nu zerstoben. Am Ende hätte die Parteiführung sich auf die Schulter klopfen können. So schob das ZB eine Erklärung nach der anderen nach, die allesamt Synonyme für ihre eigene Untätigkeit waren. Die Betriebsgruppe des KJVD Minister Stein/Hardenberg in Dortmund schrieb im Juni 1972:
„ERKLÄRUNG DES KJVD-MINISTER STEIN/HARDENBERG ZU DEN BOMBENANSCHLÄGEN UND ZUR JAGD AUF BAADER/MEINHOF!
Die Jugendbetriebsgruppe Minister Stein/Hardenberg des KJVD verurteilt die Bombenanschläge der anarchistischen Gruppierung um Baader/Meinhof! Sie dienen keineswegs der Befreiung des westdeutschen Volkes von der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung. Den Sozialismus, den diese Gruppe vorgibt erkämpfen zu wollen, erreicht man nicht, indem man durch die Straßen schleicht und Bomben legt! Der Sozialismus, die Macht der Arbeiter und Bauern, der Jugend und des ganzen Volkes wird einzig und allein von uns allen, vom Volk, von den Massen der Arbeiter und Werktätigen erkämpft. Die Bombenanschläge erreichen aber eins:
DIE VERFOLGUNG UND ABSTEMPELUNG ZU KRIMINELLEN VON ALLEN FORTSCHRITTLICHEN MENSCHEN, BESONDERS ABER DER KOMMUNISTEN DER KPD/ML UND DES KJVD!
Die SPD/FDP Regierung sowie die erzreaktionäre CDU/CSU betonten schon immer, wie notwendig die Verfolgung aller revolutionären Kräfte sei, um die Macht der Monopolherren und ihres Bonner Staates zu erhalten. Heute sind die Bombenanschläge den bürgerlichen Parteien willkommener Anlass, um unter dem Vorwand der Jagd auf Baader-Meinhof die Polizei bis an die Zähne zu bewaffnen und neue Gesetze gegen den politischen Radikalismus zu erlassen!“ (49)
Diese simple Grundüberzeugung bestimmte im wesentlichen den Umgang mit den Terroristen. Man „schleicht durch die Straßen“ und wirft Bomben. Auf tiefergehende Gedanken wurde verzichtet. In der KPD/ML herrschte geistige Finsternis, wenn es darum ging, die ideologische Auseinandersetzung mit dem Terrorismus zu führen. Ihr planetarisches Vorhaben konnte nur durch ML-Parolen und stalinistische Lehrsätzen kritisiert und verurteilt werden. Denn die Terroristen standen der KPD/ML einfach „nur“ im Wege. Deshalb wird der Sozialismus eben auch nur durch „das Volk“ erkämpft. Damit folgte die KPD/ML der Traditionslinie der alten Arbeiterbewegung. Und setzte diese Widersprüchlichkeit mit den Terroristen gleich. Der Terrorist glich somit durchaus der Verkörperung des Abstrakten in der Arbeiterbewegung. Er stehe für Blutleere und das gesellschaftliche Chaos, das allerdings von Bonner Staat erst angerichtet wurde.
Das am 19.6. erschienene Extrablatt der „Roten Fahne“ verdrängte bereits wieder die Terroristendiskussion; denn die „Einheitsfront“ aller Demokraten und Kommunisten gegen den Bonner Notstandskurs stand auf der Tagesordnung. Unter dem Titel „An alle Kommunisten! An alle Demokraten! Einheitsfront gegen die neuen Terror-Gesetze“ hieß es:
„Die Bonner Parteien unter der Führung der Sozialdemokratie planen einen neuen Anschlag auf die demokratischen Rechte des Volkes. Bis zum 23. Juni wollen die Bonner Parteien - einig wie eine Allparteienregierung - verschiedene Durchführungsgesetze zu den Notstandsgesetzen verabschieden: Bundesgrenzschutz gegen die Volksmassen, faschistische Vorbeugehaft, Bespitzelung aller fortschrittlichen Menschen, Streik- und Demonstrationsverbot während der olympischen Spiele. Arbeiter, Werktätige seid wachsam - dem Bonner Notstandskurs ein machtvolles 'Nein'! entgegen ... Die mächtige Front muss zusammengeschlossen werden. Die KPD/ML und alle Marxisten-Leninisten kämpfen dafür. Weil sie für die Interessen des Volkes kämpfen, weil sie den Massen den Sturz des Bonner Staates als den Weg zum Arbeiter- und Bauernstaat zeigen, als Weg zu Sozialismus und Frieden werden sie besonders verfolgt, sollen sie vor allem vernichtet werden. Die Bonner Parteien verschärfen den Notstandskurs. Sie fürchten die Massenbewegung und das umso mehr als sie fieberhaft aufrüsten, um die Eroberung der DDR vorzubereiten.
Gerade der erfolgreiche Abschluss des Kriegspaktes Bonn - Moskau hat den Appetit der Bonner Parteien angeregt. Nur der Widerstand der Massen kann sie noch aufhalten, Großdeutschland mit Krieg wiederherzustellen, um von Neuem fürchterliches Elend, Tod und Verderben über die Völker Europas zu bringen. Die Notstandsmaßnahmen, die nun geplant sind, verfolgen die Absicht, diesen Widerstand zu brechen. Das neue Bundesgrenzschutzgesetz ist ein Gesetz zur weiteren Bewaffnung des Bonner Staates gegen die Volksmassen. Der Bundesgrenzschutz soll die SA des Bonner Staates werden. Das faschistischer Tradition entstammende Vorbeugehaftgesetz, öffnet dem Bonner Staat alle Möglichkeiten der Willkür ... Das Gesetz zum olympischen Frieden schließlich verbietet während der Olympiade jede Demonstration in den Städten der Veranstaltungen. Das ist die große Notstandsübung des Bonner Staates. Gleichzeitig soll noch vor der Sommerpause vom Bonner Schieberparlament die fieberhafte Aufrüstung vorangetrieben werden ... Alle diese Gesetze schränken die politische Freiheit der Massen ein, sollen sie entwaffnen und die Bourgeoisie bewaffnen, sollen den Krieg vorbereiten ... Dagegen muss die Arbeiterklasse, müssen die werktätigen Massen ihre Kräfte zusammenschließen. Sie müssen - geführt durch die KPD/ML und die Marxisten-Leninisten gegen den Bonner Notstandskurs antreten. Sie dürfen es nicht dulden, weiter geknebelt zu werden, sie müssen entschlossen ihre demokratischen Rechte verteidigen. Kämpft gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Schlagt Genscher, Barzel, Strauß und Brandt den Notstandsknüppel aus der Hand! Weg mit dem Bundesgrenzschutzgesetz! Weg mit den Bürgerkriegstruppen des Großkapitals! Weg mit der faschistischen Vorbeugehaft! Weg mit dem Verfassungsschutzgesetz - Dem neuen Spitzelgesetz! Weg mit dem Demonstrationsverbot zu den olympischen Spielen! Weg mit dem KPD-Verbot! Nieder mit dem Bonner Staat! Für den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat!“ (50)
Die Notstandsübung des Bonner Staates sei nun in vollem Gange. Der „Kriegspakt Bonn-Moskau“ biete dem „Bonner Staat alle Möglichkeiten der Willkür“. Alle weiteren Gesetze, die verabschiedet werden, darunter auch das „Gesetz zum olympischen Frieden“, sollen „den Krieg (gegen die DDR, d. Vf.) vorbereiten“. NAR war damit Direktive für die Parteibasis, die nun an die Vorbereitungen für den Roten Antikriegstag herangeführt wurden, der überwältigendsten Aufgabe, die die Partei nun in Angriff zu nehmen hätte. Mit Nr. 14 der „Roten Fahne“ ließ das ZB die Aktionswoche gegen den „Notstandskurs und Militarisierung“ Revue passieren. Und führte am 10.7. aus:
„Nachdem durch die Ostverträge die Bonner Herren ihren Revanchezielen ein erhebliches Stück näher gekommen waren, versuchten sie jetzt, die Instrumente zu schmieden, die sie zur Niederhaltung des Volkes, zur Herstellung der 'Ruhe an der Heimatfront' benötigen: Polizeiterror, Arbeitsdienst und Streikverbot. Aus Angst vor dem Widerstand der Volksmassen haben sich die Bonner Notstandsparteien eng zusammengeschlossen: Nur eine FDP-Abgeordnete stimmte gegen die Terrorgesetze, kein SPD-Abgeordneter. Noch vor 4 Jahren, bei der Verabschiedung der Notstandsgesetze, hatten 'linke' SPD-Abgeordnete und Gewerkschaftsführer sich an die Spitze der Bewegung der Volksmassen setzen können - doch diesmal konnten sie keinen 'Marsch auf Bonn' wagen. Heimlich sollten die Gesetze durchgepeitscht werden, ohne dass die Massen vorher den genauen Inhalt der Maßnahmen erfahren sollten.
Eine besonders schädliche Rolle spielten die DKP-Führer. Sie, die so groß von der 'aktiven Verteidigung der demokratischen Rechte' reden, haben nichts getan, um die Massen umfassend aufzuklären über die neuen Notstandsgesetze und über die Verrätereien der Sozialdemokratie. Sie haben keine einzige Massenaktion gegen den Bonner Notstandskurs durchgeführt ... Es ist also das erste politische Ergebnis der Kampfwoche gegen den Bonner Notstandskurs: Das Bonner Notstandskomplott - die Führer der CDU und FDP, der SPD und DKP? ist näher zusammengerückt, sie haben gemeinsam den Notstandskurs gegen die Massen des Volkes in verschiedenen Formen verteidigt und durchgepeitscht ...
Zugleich aber gab es eine starke Volksbewegung gegen die Polizeistaatsmethoden: Nach den Polizeiüberfällen wurden Protestdemonstrationen z.B. in Bochum und Stuttgart durchgeführt, an denen sich spontan viele Arbeiter und Werktätige, Jugendliche und Studenten beteiligten. Überall, wo KPD/ML und KJVD die Massen über den Inhalt der neuen Notstandsmaßnahmen aufklärten, herrschte eine große Empörung über den neuen Verrat der Sozialdemokratie, wurden zahlreiche Fragen gestellt, wie der Sozialismus errichtet werden soll, damit er nicht entartet, sondern zu einer wirklichen Demokratie für die Werktätigen wird. Eine breite Mobilisierung der Massen gegen die neuen Notstandsgesetze konnte noch nicht erreicht werden, weil die Zeit zur umfassenden Aufklärung zu kurz war, die KPD/ML bisher den demokratischen Kampf noch nicht kontinuierlich führte und der Kampf gegen die Gesetze noch wenig mit konkreten Kampfaufgaben verbunden war. In Bochum wurde im Kampf gegen das Berufsverbot (BV, d. Vf.) eine klare Kampfaufgabe gestellt: Kampf für die Wiedereinstellung des Lehrers O. (Norbert Osswald, d. Vf.)? und hier wurde der Kampf erfolgreich unter der Führung der Arbeiterjugend geführt. Genauso entfaltete sich der demokratische Kampf gegen Polizeieinsatz, staatliches Streikverbot und Bruch der Gewerkschaftsdemokratie, besonders schwungvoll auf der Grundlage starker wirtschaftlicher Kämpfe und Bewegungen, die in den letzten Wochen besonders bei Hanomag, an der Wasserkante und im Ruhrbergbau einen großen Aufschwung erlebten.
Das ist das zweite Ergebnis der Kampfwoche: Unter den Volksmassen ist die Bereitschaft gewachsen, den demokratischen Kampf aktiv gegen die Maßnahmen der SPD-Regierung zu führen. Die Arbeiterklasse und besonders die Arbeiterjugend erweist sich als die stärkste Waffe im demokratischen Kampf ... Wer kann diesen Kampf führen, wer kann ihm die richtige politische Richtung geben und den Bonner Notstandskurs durchkreuzen? ... Die Arbeiterklasse und alle Teile des werktätigen Volkes müssen im demokratischen Kampf zusammengefasst werden. Die Marxisten-Leninisten müssen diesen demokratischen Kampf führen, um den Bonner Notstandsstaat zu schwächen und zu zersetzen ... Nur durch die enge Verbindung des demokratischen und des sozialistischen Kampfes kann die strategische Aufgabe 'Entwaffnung der Bourgeoisie, Bewaffnung der Arbeiterklasse' angepackt werden. Nur auf diese Weise kann die sozialistische Revolution in Westdeutschland und Westberlin heranreifen. Das ist ein drittes Ergebnis der Aktionswoche gegen den Bonner Notstandskurs. Die meisten marxistisch-leninistischen Organisationen haben in dieser Frage einen falschen, einen Sektiererstandpunkt eingenommen. Für sie ist der demokratische Kampf nur ein 'Abwehrkampf' oder gar ein 'Almosen', sie sehen nicht, dass der demokratische Kampf notwendig ist zur Vorbereitung der Revolution, dass wir ohne diesen Kampf nicht die Mehrheit des Volkes zusammenschließen können.
Das Zentralbüro der KPD/ML hat an die Führungen der Gruppe Roter Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.), des KAB (KAB/ML, d. Vf.) und der KPD/AO Briefe gerichtet und ihnen den Aufruf zur Aktionswoche geschickt. Keine einzige Organisation hielt es überhaupt für nötig, zu antworten. In den örtlichen Verhandlungen konnten einige marxistisch-leninistische Organisationen für den gemeinsamen Kampf gewonnen werden ... Wie gewinnt man die fortschrittlichsten Arbeiter für den Kommunismus? In erster Linie durch den gemeinsamen Kampf mit den Massen gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Gerade im demokratischen Kampf haben wir fortschrittliche Kollegen gewonnen, die bereit sind, mit uns für den Sturz des Bonner Staates zu kämpfen. Während also große Teile der westdeutschen Marxisten-Leninisten sich hartnäckig weigerten, diesen Kampf richtig zu führen, haben sich die ausländischen Marxisten-Leninisten als eine besonders feste und revolutionäre Kraft erwiesen, die aktiv den Kampf führte und solidarisch bestimmte Fehler unserer Organisation kritisierte ... Unsere vierte Lehre der Aktionswoche ist daher: Die Einheit der Marxisten-Leninisten im Massenkampf kann nur vorankommen, wenn wir dem Sektierertum in der marxistisch-leninistischen Bewegung eine entschiedene Absage erteilen. Das sind die ersten politischen Lehren aus der Aktionswoche gegen den Bonner Notstandskurs. Sie ergänzen die Lehren, die unsere Partei aus den Aprilstreiks und dem 1. Mai gezogen hat.
Sie zeigen, dass die Schmiedung der Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik tatsächlich eine zentrale Aufgabe darstellt. Besonders wichtig wird es sein, zwei entscheidende Fragen der Taktik - nämlich das genaue Verhältnis von demokratischem und sozialistischem Kampf und von wirtschaftlichem und politischem Kampf - zu untersuchen und zu lernen, wie die allgemeinen Lehren konkret angewandt werden können ... So haben wir eine Zeitlang den demokratischen Kampf vernachlässigt, dieser Fehler wird jetzt korrigiert. Doch gerieten wir dabei in Gefahr, im demokratischen Kampf 'aufzugehen' und den sozialistischen Kampf nur an untergeordneter Stelle zu führen ... In der mündlichen Agitation vor den Betrieben, während der Kundgebungen des Kampfkomitees zeigte sich, dass die Diskussion mit den Kollegen sich meist gerade um diesen Punkt drehte: Was können wir tun? Wo führt das hin? Was wollt ihr denn machen? ... Unter Führung der Beteiligten der KPD/ML und des KJVD sind eine Vielzahl von Aktionen gegen Notstandskurs und Militarisierung durchgeführt worden: Demonstrationen in Westberlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Bochum, Bonn, Rüsselsheim, Mannheim, Stuttgart, Freiburg, Konstanz, München; Kundgebungen und Versammlungen an vielen Orten, Aktionen im wirtschaftlichen Kampf an der Wasserkante und im Ruhrbergbau. Es wurden Aktionseinheiten mit marxistisch-leninistischen, revolutionären und demokratischen Kräften geschmiedet, an einigen Orten wurde die proletarische Einheitsfront gestärkt ... Das sind Zeichen für die gewachsene Kraft von KPD/ML und KJVD, für unsere korrekte Politik, für unsere taktische Beweglichkeit, für den großen Einsatzwillen der Mitglieder und Sympathisanten. Genau aber diese Erfahrungen sind das feste Fundament, auf dem wir unsere Politik gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik jetzt aktiv fortsetzen werden.“ (51)
Die „Volksbewegung gegen die Polizeistaatsmethoden“ sei gewachsen. Und die „Volksmassen“ seien dazu bereit, jetzt den „demokratischen Kampf aktiv gegen „die Maßnahmen der SPD-Regierung zu führen“. Und: „Sie zeigen, dass die Schmiedung der Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik tatsächlich eine zentrale Aufgabe darstellt.“
Der Kontrast zwischen den realen Verhältnissen und den parteioffiziellen Verlautbarungen konnte nicht krasser sein. Da es ein Vorzeigevolk nicht gab, log man es sich in die Tasche. Die Crux bestand darin, dass diese ganze Misere mit keinem Wort angesprochen wurde. Es wäre auch zu spät gewesen; denn mit der Veröffentlichung der Broschüre der provisorischen Bundesleitung des KJVD „Straße frei zum roten Antikriegstag“ (Anfang August 1972) war NAR ohne das „Volk“, aber mit der Vorhut, der KPD/ML, von München nicht mehr weit entfernt. Die Mosaiksteine waren nun zusammengefügt, die Brüche klar, der Parolismus ausgearbeitet, die Parteibasis auf die Aktionen vorbereitet. Die Konstellation um NAR hatte Tiefenwirkung gezeigt. Das abgeschlossene Durchsetzungssystem konnte nicht mehr demontiert werden.
Bereits im Papier des Zentralbüros zum 1. Mai 1972 „Die organisatorischen Aufgaben der KPD/ML bis zum 1. Mai 1972“ (1) wurde die Konspiration als „Sicherung der Partei gegen ihre Feinde“ (2) zur wichtigsten Grundlage der weiteren Arbeit. Hier bezeichnete sich die KPD/ML-ZB erstmalig als „halblegale Partei“, die zwar nicht „verboten“ sei, aber zu jeder Zeit von der „politischen Zerschlagung bedroht“ sei. Ziel der Konspiration sei es, „präventive politische Schläge des Feindes und gegnerische Organisationen möglichst unmöglich zu machen“. (3)
Was das ZB hier zum Ausdruck brachte, war bereits die bevorstehende Absicherung der Partei, des Kaderbestandes, letztlich, der Aufbau eines illegalen Parteiapparates. „Der systematische Beginn der Schaffung eines illegalen Parteiapparates ist in der vor uns liegenden Periode des Parteiaufbaus und unter den objektiven Bedingungen der revolutionären Flut der Arbeiterbewegung in Westdeutschland ganz besonders dringlich und bedeutsam ... In dem Maße, wie wir unsere politische Arbeit vorantreiben, unsere Taktik entfalten, die Partei mit proletarischen Kadern auffüllen und unseren Einfluss in den proletarischen Massen konzentriert erweitern, in demselben Maße wird auch die Bourgeoisie ihre Anstrengungen vervielfachen, uns mit versteckten und offenen terroristischen Mitteln zu zerschlagen.“ (4)
Die Perspektive einer bevorstehenden Zerschlagung musste sich vehement auf die Politik des ZB niederschlagen; denn sie konnte bereits hier nur in der Halblegalität praktiziert werden. Der 1. Mai 1972 machte bereits die immensen Widersprüche deutlich, unter denen diese Demonstration durchgeführt wurde. Michael Schulte (verantwortlich für das Zentralorgan und zahlreiche Flugblätter), hatte sich im sog. „Rote-Fahne-Prozess“ (er soll den CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß einen „Oberfaschisten“ und „Faschistenhäuptling“ genannt haben) am 27.4. in Herne zu verantworten. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits Monate vorher wegen „Beleidigung“ ermittelt. Die KPD/Ml warf bereits seit Anfang des Jahres dem Bonner Staat, dem Verfassungsschutz und speziell auch Strauß vor, die „Verfolgung der Kommunistischen Presse“ zu betreiben und ein Verbot „der KPD/ML und der revolutionären Bewegung“ anzustreben. (5)
Das „Extrablatt“ der „Roten Fahne“ zum 1. Mai 1972, das wenige Tage vor der Mai-Demonstration erschienen war, sprach bereits deutlich von den „Einschränkungen der Kampffreiheiten“. Mit diesen „Notstandsmaßnahmen“ sei die „SPD der Wegbereiter einer faschistischen Notstandsdiktatur“. (6) Der 1.Mai 1972 stand unter keinem guten Stern. „Repressalien“, so das ZB, gab es überall in den Wochen vor dem 1. Mai. Behinderung beim Verteilen der Parteipublikationen, Entlassungen von „fortschrittlichen Arbeitern“ aus den Betrieben, „Ausschlussterror“ gegen junge Kommunisten, Gewerkschaftsvertreter, Überfall von Jugendzentren durch die Polizei Beobachtungen durch den Verfassungsschutz usw. All diese Maßnahmen seien „Einschüchterungsversuche“ (7), um der Partei „empfindliche Schläge“ (8) zuzufügen.
Daneben sorgte die sog. KJ-Informfraktion des Jugendverbandes KJVD weiterhin für Aufregung. Selbige, die zur Jahreswende aus der nationalen Leitung des JV ausgeschlossen worden war, hätte sich „mittlerweile (nun) mit der KPD/ML-ZK vereinigt“ und würde wie die Bourgeoisie versuchen, „die Partei und die marxistisch-leninistische Bewegung zu zerschlagen“. (9) Das erhöhe die Notwendigkeit der „Aufmerksamkeit“ und „Wachsamkeit“. (10)
In der Nr. 30/1972 des „KND“ vom 22.4. wandte sich der KJVD entschieden gegen ein „Zurückzerren“ des politischen Kampfes durch „politische Entlassungen“. Und formulierte: „Dort, wo politische Entlassungen vorgekommen sind - aber auch in anderen Betrieben zur Erziehung der Arbeiterjugend dort - muss der Arbeiterjugend klar gezeigt werden, dass hier der Angriff sich gegen die revolutionäre Führung der Arbeiterklasse, die Kommunisten richtet. Und die Arbeiterjugend muss wirklich zum Kampf (bereit sein).“ Am 1. Mai müsse der Jugendverband die Schikanen bei den Jugendvertreterwahlen auch als Teil der „Klassenauseinandersetzungen“ begreifen, und die Arbeiterjugend müsse gegen den „Bonner Staat“ und seine „Stützen in den Betrieben“ zum 1. Mai mobilisiert werden. (11)
Daran war nichts mißzuverstehen. Der 1.Mai müsse der Bourgeoisie die „wachsende Stärke der Partei“ zeigen. Doch die „Bourgeoisie“ war schon lange über die Schwierigkeiten der Parteiführung informiert, ihren Widerstand gegen die „Bonner Notstandsdiktatur“ zu organisieren. Der nicht mehr legale, sondern „halblegale Kampf“ musste die Mobilisierung nachteilig beeinflussen, die Handlungsfähigkeit und Disziplin beeinflussen. Die imaginäre Bedrohung (12), die mehr und mehr einem Realitätsverlust glich, schlug sich teilweise in dem verdeckten Auftreten der wenigen proletarischen Betriebsarbeiter und der illegalen Verbreitung von Org.-Instruktionen zum „Kampftag der Arbeiterklasse“ wieder. Die politische Abteilung des ZB war auf der 1.-Mai-Demonstration gar nicht zu sehen. Die Org.-Abteilung schickte ihre Unterorganisationen, „Späher“ sahen sich in anderen Landesverbänden Demonstrationen linker Gruppen an oder besuchten die schon traditionell gewordenen Rock-Veranstaltungen. Der Demonstrationszug der KPD/ML-ZB war trotz seiner zentralen Bedeutung nicht wegweisend. Und ein Schlag ins Kontor.
Strotzte der Aufruf in der „Roten Fahne“ vom 20.3.1972 „Arbeitereinheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ (13) nur so von möglichen Erfolgaussichten zum 1. Mai, so zeigte sich hier auch die Aufgabe der Generallinie des ZB.
„Die Sozialdemokratie ist heute die politische Kraft, die die meisten Schläge gegen die Volksmassen durchführt, die unter den heutigen Bedingungen möglich sind. Am 1.Mai muss die Arbeiterklasse einen entschiedenen Kampf gegen die Sozialdemokratie und ihre Helfershelfer führen. Weg mit dem KPD-Verbot! Was sind nun die entscheidenden Anschläge der Sozialdemokratie gegen die Arbeiterklasse und die breitesten Volksmassen. Die wichtigste politische Maßnahme der Sozialdemokratie, gegen die am 1.Mai der Kampf geführt werden muss, ist die direkte Vorbereitung des Verbots der marxistisch-leninistischen Organisationen ... Die Liquidierung des wachsenden Einflusses der Kommunisten in der Arbeiterklasse - das ist die gegenwärtige Hauptaufgabe der Sozialdemokratie und ihrer revisionistischen Helfer der DKP ... Gegen das KPD-Verbot! Für die Freiheit der kommunistischen Presse! Auflösung des Bundesgrenzschutzes; denn er ist eine faschistische Bürgerkriegstruppe! Auflösung aller Spezialeinheiten der Polizei zur Verfolgung und Terrorisierung von Kommunisten und fortschrittlichen Menschen. Freispruch für alle politischen Angeklagten! Wiedereinstellung entlassener kommunistischer Arbeiter! Das müssen die Forderungen und Kampfziele sein, um die kommunistischen Organisationen und vor allem die KPD/ML zu verteidigen.“ (14)
Der 1. Mai stand somit unter einer Rechtfertigungspolitik; denn neben den groß herausgestellten Aufgaben war doch deutlich, dass das „direkte Verbot“, schon eschatologisch erwartet, wie ein Damoklesschwert über allem hing. Die angestrebte politische Offensive war keine. Seit dem Januar war die Revolutionsschlacht des ZB zu einer zurechtgemachten Politshow geworden. Die Krise der Partei war scheinbar mit dem „Kampf zweier Linien“ ausgebrochen, die Widersprüche schienen antagonistisch zu sein. Zwar setzte das Zentralbüro alles daran, den Kern der Partei zu erhalten und ihn in die erste Parteikonferenz zu überführen. In der Broschüre der KPD/ML-Zentralbüro „Vorwärts zur 1. Parteikonferenz“ schrieb das ZB daher auch, dass es um die „Überwindung der Krise der Partei“ gehen würde und dass jetzt die „Schaffung der Voraussetzungen für die illegale Parteitätigkeit- und Organisation zur entscheidenden Frage“ werden würde. (15)
Mit der Illegalität, die von dem Wunschdenken genährt war, sich eine Zukunft vorzustellen, die die Vergangenheit der Parteiarbeit nur noch als Relikt betrachten sollte, war der Rückzug des Zentralbüros mit dem 1. Mai aus der Öffentlichkeit eigentlich Fakt geworden. Und zwar schon zu einem Zeitpunkt, der lange vor dem Roten Antikriegstag lag und der die Organisation total in die Versenkung bringen sollte. Die Krise der Nationalen Leitung des KJVD, die eigentlich mehr die gesamte Polit- und Organisationsabteilungen umfasste, enthüllte, dass das ZB niemals nach Ursachen suchte, um ihre befremdlich gewordenen Ideen zu hinterfragen.
Die bolschewistische Partei musste sich nun in einem neuen illegalen Kleid bewegen. Vermutlich allein aus diesem Grunde legte das ZB mit seinen „Organisatorischen Aufgaben“ schon einen zukünftigen Plan der Absicherung vor. Die gestellten Aufgaben in der Zeit bis zum 1. Mai und danach, die in der Vorstellung von der „Verbesserung der sozialen Zusammensetzung“ und der „Schaffung neuer Betriebszellen in den wichtigsten 20 bis 30 Betrieben“ ihren Niederschlag fanden, waren zu einer Frage des Überlebens geworden, wenn bedacht wird, dass die Kader der Betriebszellen niemals den Ansprüchen einer bolschewistischen Partei entsprachen. (16)
Ein inspirierter Artikel im „KND“ Nr. 39/1972 vom 31.5., der offenbar von Mitgliedern des Politbüros verfasst worden war, verriet, dass der Leninsche Plan des Parteiaufbaus um ein Zentralorgan herum zurückgeworfen worden war und dass es nicht „als ideologischer Führer von Partei und Massen begriffen wurde“. (17) Der Hintergrund für diese seltsame Wendung, war nicht die These, dass der „KND“ das Zentralorgan „ersetzt habe“ und zum „Konkurrenzorgan“ wurde, sondern dass die Ermüdungserscheinungen der Organisation und der tief sitzende Pessimismus parteioffiziell abgesegnet werden sollte. So formulierte das ZB:
“Das ZB hat lange Zeit dieses hervorragende Instrument (RF als ideologischer und organisatorischer Mittler, d. Vf.) nicht genügend gehandhabt. Stattdessen bediente es sich der verschiedenartigsten, in ihrer Funktion nicht klar genug bestimmten und voneinander abgegrenzten Leitungsinstrumente (das trifft vor allem für das Verhältnis Bolschewik, Rote Fahne, KND zu). Dadurch wurde lange Zeit das Niveau der RF nicht ihren tatsächlichen Aufgaben angepasst: programmatische Fragen wurden nicht im ZO und somit vor und mit der Arbeiterklasse diskutiert. Teilweise hinkte die RF sogar hinter der Entwicklung des Programms und der politischen Entwicklung her.“ (18)
Besonders gefährdet schien die „Rote Fahne“ hier schon zu sein. Eigentlich war sie von Anfang an neben dem „Bolschewik“ nichts anderes als ein Modell der faktischen Machterhaltung. Und somit äußerst reaktionär. Als Autorität war sie nicht brauchbar, als Organisator war ihr die undankbare Aufgabe zugefallen, die „Arbeiterklasse zu organisieren“, was sie nie einlöste, und als zentraler Agitator konnte sie nicht überzeugen. Sie war auch nie ein Mobilisierungsorgan. Die Organisation wurde durch sie entmündigt. Auf dem Gebiet der Schaffung von Korrespondentennetzen und Redakteuren, die die politische Enthüllung als vorrangigste Aufgabe ansehen sollten, versagte sie vollkommen. Die „Reorganisation der Partei“, die mit der „Roten Fahne“ nach dem Münchener Antikriegstag in Angriff genommen werden sollte (Rekonstruktion), wurde zum ohnmächtigen Vorhaben. Trotz der späteren Tagung des ZB mit der PBL des KJVD vom 14. bis 18. Oktober 1972 und der Sonderausgabe einer Roten Fahne „Die Lage der Partei und die Reorganisation“ (19) blieb sie ohne wesentliche politische und organisatorische Durchsetzungskraft.
Dass das ZB sich seit dem 1. Mai und in den folgenden Monaten nur durch Selbstkritik gegenüber der Parteibasis retten konnte, zeigte, dass es zur selbstgefälligen Partei geworden war. Die bürokratischen Eliten wurden zu ihrer eigenen Karikatur. Die Rekonstruktionsphase, die ursprünglich dazu gedacht war, auftretende bürokratische Tendenzen über die Rote Fahne auszumerzen, wurde allerdings aufgeweicht und sogar zur „inneren Säuberung“ missbraucht; denn missbeliebige Kader (erinnert sei an Ackermann, Dickhut, Weinfurt u. a.) wurden dort in aller Öffentlichkeit an den Pranger gestellt. Der Parteidogmatismus hatte bereits soweit um sich gegriffen, dass er durch populistische Parolen ersetzt wurde.
Der permanente Klassenkampf des ZB und die ausgesprochenen Absicherungen der Partei, die zwar noch intern kursierten, doch durch Direktiven an die Parteiöffentlichkeit gelangten, wirkten zwar noch massenliniestisch, doch eine politisch Mobilisierung war ausgeschlossen. Wer sollte auch noch gegen was mobilisiert werden? Eine neue Version von Massenlinie ohne Massen brachte der KDAJ aus dem Juni 1972 in seiner Nr. 5 zum Ausdruck. Der Leitartikel „Gegen Notstandspolitik und Polizeiterror“ meinte:
„Gegen Notstandspolitik und Polizeiterror. Ruhe an der Heimatfront? Ohne uns! Bieten Bombenattentate auf US-Kasernen, Springerverlagshaus und Gerichtsgebäude, den Politikern des Bonner Staates "einen willkommenen Anlass, ihre Politik des inneren Notstands und Terrors, der Verfolgung von Kommunisten und Demokraten durchzupeitschen wie nie zuvor ... Die SPD-Regierung und der ganze Bonner Staat enthüllen sich immer mehr vor den Massen. Die Schiebereien im Parlament, die Bestechungen und gekauften Abstimmungsergebnisse haben die Arbeiter und Werktätigen spüren lassen, dass der Bonner Staat unter dem Kommando der Monopolkapitalisten steht. Gleichzeitig ist der Bonner Staat durch seine zügellose Rüstungspolitik in eine schwere Finanzkrise geraten: denn den Werktätigen sollen die Daumenschrauben des staatlichen Steuerraubs noch enger angelegt werden. Im Bundestag finden weder Brandt noch Barzel eine Mehrheit: das gesamte verrottete parlamentarische System steckt in der Krise. Das Volk kann immer weniger durch Betrug über das Treiben der Bonner Notstands- und Revanchepolitiker getäuscht werden ... Die letzten Wochen der Revanchevorbereitungen und des Notstandsterrors beweisen: Dieser Staat muss zerschlagen und der Arbeiter- und Bauernstaat errichtet werden; denn er bedeutet Sozialismus und Frieden. Die Arbeiterklasse und die werktätige Jugend werden ihre Ruhe an der Heimatfront erheblich stören. Sie werden die Legalität der KPD/ML, des KJVD und der gesamten marxistisch-leninistischen Bewegung entschlossen verteidigen.“ (20)
Damit schlug der KDAJ ein Heilmittel vor, wie der Krise um die RF, um die Partei und um die Massenlinie begegnet werden könne. Die „Politik des inneren Notstandes und Terrors“ müsse durch den Kampf der „Arbeiterklasse und der werktätigen Jugend“ aufgefangen werden, um dadurch die „Legalität der KPD/ML und des KJVD“ zu verteidigen. Es war wie hier ein leichtes, politische Willenserklärungen einfach weiterzureichen, um auf operative Umsetzung zu hoffen. Die Verwässerung der ehemals angedachten Ideen war den ZB-Politikern egal. Es ging um Proklamationen, die zudem gefährlich wurden; denn die ständige Betonung des subjektiven Faktors drohte jede objektive Rekonstruktion unmöglich zu machen.
Das Instrument der Korrektur sollte der Antikriegstag in München werden. Vermutlich erreichte die Parteibasis der Ruf „Auf nach München“ erstmals im „Rahmenplan“ vom Juni 1972. Hieß es dort doch:
„Die KPD/ML muss weiter die reaktionären Wahlgesetze und das antidemokratische Parteiengesetz, ein Durchführungsgesetz zum KPD-Verbot, genau prüfen und untersuchen, in welcher Weise ein Kampf zur Durchbrechung dieser Gesetze aufgenommen werden kann. Dieser Kampf hat das Ziel, den ML und der Arbeiterklasse größere politische Freiheiten und eine ungehinderte sozialistische Propaganda zu erkämpfen und ist direkt gegen Notstandskurs und KPD-Verbot gerichtet. Wir führen ihn mit dem ernsthaften Ziel einer möglichst freien und ungehinderten Wahlbeteiligung. Das ZB muss genau untersuchen, in welcher Situation ein Wahlboykott notwendig ist wegen der reaktionären Wahlgesetze und der Unterdrückung der ML ... Die wichtigsten Kampfaufgaben der ML in der Vorbereitung der Neuwahlen sind der Kampf gegen das Parteiverbot, der Antikriegstag und der Kampf gegen das Stillhalten bis 1973 im Lohnkampf ... Der Kampf zu den Neuwahlen und in der Vorbereitung der Neuwahlen, besonders der Kampf gegen das Verbot der KPD/ML, wird ein wichtiger Hebel zur Herstellung der Einheit der ML sein. Die Herstellung eines Wahlbündnisses der ML in Westdeutschland als eines ersten Schrittes zur einheitlichen ml-Partei wird die Chancen der Revolution in unserem Land erheblich verbessern.“ (21)
Als wichtigste Kampaufgaben wurden genannt: „Kampf gegen das Parteiverbot“, „Der Antikriegstag“ und der „Kampf gegen das Stillhalten bis 1973 im Lohnkampf“. Die Kämpfe gegen das Verbot und der Antikriegstag, so unglaubwürdig sie waren, standen im Mittelpunkt, wobei Lohnkämpfe (22) keine entscheidende Rolle mehr spielten, da sie die lokalen Kader permanent desorientierten. Zur neuen Kampagne gab es keinerlei Diskussion. Der Rote Antikriegstag (später nur noch RAKT) wurde einfach gesetzt. Dass am 1. September 1939 die deutsche Armee in Polen einmarschiert war, war eine politische Binsenweisheit. Auch, dass nach 1945 dieser Tag des Kriegsbeginns als „Antikriegstag“ begangen wurde, war Fakt. Es gab keinen besonderen und hinreichenden Grund, in München zu demonstrieren. Vermutet werden könnte, dass das ZB ihn als Grund für ein insistiertes Parteiverbot nachschob. Letzteres hätte die erahnten Gefahren bestätigen können. Für den RAKT gab es somit keinen politischen Handlungsbedarf.
Der „Kampf gegen den Bonner Notstandskurs“ lief zur Mitte des Jahres auf Hochtouren. Gerade jetzt, schrieb das ZB in der „Roten Fahne“ Nr. 12 vom 12.6.1972:
„Hat die Bevölkerung mit der Arbeiterklasse an der Spitze allen Kriegsplänen ihr entschiedenes Nein entgegenzuschleudern. Gleichzeitig verloren die SPD-Führer durch ihr verlogenes Spiel mit dem Frieden ein Stück mehr an Boden in der Arbeiterklasse ... Jede Drohung und jeden Angriff der SPD-Führer und ihrer Polizei werden wir nutzen, um uns noch enger mit den Massen zu verbinden. Wir werden den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten zu einer einzigen kraftvollen Führung der Arbeiterklasse vorantreiben. Die KPD/ML wird den Kampf der Arbeiterklasse führen, geduldig den Massen den Weg weisen und ihre revolutionäre Gewalt organisieren zum Sturz des Bonner Revanchistenstaates, für die Diktatur des Proletariats.“ (23)
Das war nicht mehr misszuverstehen. Sollte die KPD/ML tatsächlich gemeint haben, dass die Arbeiterklasse ihre präsumtive Nachfolge antreten sollte? Ihnen „geduldig den Weg weisen“ drängte ihnen das Schicksal auf, dass es nun selbst erfahren sollte. Das ZB brach sich selbst das politische Rückgrat. Und damit ihr Ansehen in der Parteibasis. Der harte Leistungsdruck, der das politische Experiment in München wagen sollte, vertiefte sich zusehends mit der „Kampfwoche gegen den Bonner Notstandskurs“ (24), der ab dem 19.6. zum pädagogischen Unterbau für die Organisation wurde, um daraus den Großen Sprung ableiten zu können. Zumeist wurde die Lage in dieser „Kampfwoche“ dadurch erschwert, dass die lokalen Parteimassen ohne Führung blieben. Sie waren auf sich allein angewiesen. Die Bewegung gegen den Bonner Notstandskurs mit der entfremdeten Parole „Schlagt Genscher, Barzel, Strauß und Brandt, den Notstandsknüppel aus der Hand“ wurde zum propagandistischen Rammbock, der nach Belieben alle Übertreibungen aufbieten konnte. Hier:
„Die KPD/ML hat sich aktiv an die Spitze der Bewegung des Volkes gestellt, hat aufgerufen, die Kämpfe zusammenzufassen und gegen den Bonner Notstandsstaat und seine neuerlichen Versuche, die demokratischen Rechte der Werktätigen einzuschränken, zu richten ... Das Vorbeugehaftgesetz - unter den NAZIS als Schutzhaft bekannt - zielt ab auf die direkte Verfolgung und Einkerkerung der Revolutionäre, der Marxisten-Leninisten, der KPD/ML ... Das Verfassungsschutzgesetz beauftragt den Spitzeldienst, jetzt 'legal' für die 'Sicherheit des Bundes oder eines Landes' aktiv zu werden ... Das Bundesgrenzschutzgesetz gibt den Weg zu einer Ausbildung des Bundesgrenzschutzes (BGS) zur 'Sonderpolizei' - zur SS des Bonner Staates! ... Das sind die drei wichtigsten Gesetze, die am Donnerstag einmütig durch den Bundestag gepeitscht wurden!“ (25)
Im Juni/Juli wurde offensichtlich, dass das ZB sich mit seiner hier schon reifenden abenteuerlich-putschistische Politik ins politische Abseits zu stellen begann. Die „SS des Bonner Staates“ ging weit über die bisherigen politischen Ansätze des ZB hinaus. Das spektakuläre Bild begann sich zu verdichten, auch die Gewaltfrage, die im Licht von München nun eine entscheidende Wendung nahm. In der „Roten Fahne“, Nr.14 vom 10.7.1972, erklärte das ZB:
„Diesem System muss ein Ende bereitet werden, es muss gestürzt werden! Der Sozialismus - die Freiheit und Demokratie der Massen der Werktätigen und ihre Diktatur über die gestürzten Schmarotzer - das muss die Perspektive der Arbeiterklasse und des Volkes sein. Sie steht der Perspektive der Brandt und Strauß direkt entgegen. Die Neuwahlen müssen eine Zeit der Abrechnung mit der 'Demokratie' Brandts werden, die auch die 'Demokratie' der Barzel, Strauß und Genscher ist? die Diktatur der Geldsäcke. Vorwärts im Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Für Sozialismus und Frieden!“ (26)
Die „Abrechnung mit der Demokratie“ sanktionierte den „Sturz des Bonner Staates“, der ausdrücklich als „Perspektive der Arbeiterklasse“ genannt wurde. Schon kurz nach der Beendigung der Kampagne gegen den Bonner Notstandskurs und der Aktionswoche wurde mit ihr die endgültige Weiche für den RAKT gestellt.
Vermutlich Anfang August veröffentlichte die provisorische Bundesleitung des KJVD die Broschüre „Straße frei zum roten Antikriegstag“, die u.a. antimilitaristische Artikel aus Publikationen des KJVD und der KPD/ML-ZB enthielt. Im Vorwort erklärt die PBL:
„Der KJVD hat zum Roten Antikriegstag 1972 aufgerufen. 'Jugend gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg' ist die Losung, unter der der KJVD die werktätige Jugend versammeln will. Dem Kriegskurs des westdeutschen Revanchismus in den Arm zu fallen, das ist eine äußerst wichtige Aufgabe der Jugend in Westdeutschland. Denn an der Spitze des Bonner Kriegstreiberstaates hat die SPD-Regierung in den letzten Jahren unter dem Deckmantel des Friedens und der Entspannung durch Verträge und Abkommen den militärischen Einmarsch in die DDR vorbereitet. Gegen diesen Kriegskurs ruft der KJVD zum Kampf auf. Die werktätigen Jugendlichen haben eine besondere Aufgabe in diesem Kampf. Während die Sozialdemokratie ihr Kriegsprogramm sehr geschickt als Friedenswerk tarnt, spüren die Jugendlichen die Wahrheit am eigenen Leib: als Soldaten in der Armee des westdeutschen Revanchismus. In diese Armee und in die Notstandstruppen soll jetzt die gesamte männliche Jugend hineingepresst werden. Die allgemeine militärische Dienstpflicht ist mit der 'Wehrreform' der SPD-Regierung eingeführt worden. Selbst die Kriegsdienstverweigerer (KDV, d. Vf.) finden ihren Platz im militärischen Apparat. So will die SPD-Regierung die Millionenarmee schaffen, die sie für ihre Revanchefeldzüge braucht ...
Darum hat der KJVD aufgerufen, am Roten Antikriegstag zu demonstrieren: Gegen allgemeine Dienstpflicht! Keine Einführung des militärischen Arbeitsdienstes! Hände weg vom Recht auf Kriegsdienstverweigerung! Krieg dem imperialistischen Krieg! Straße frei für den Roten Antikriegstag! Und weil im revolutionären antimilitaristischen Kampf die Kommunisten die Führer der Jugend sind, weil sie die Jugend und alle Werktätigen hin zu wirklicher Friedenspolitik und Demokratie durch die proletarische Revolution führen, deshalb kämpfen wir auch gegen alle Angriffe der revanchistischen Sozialdemokratie auf die Marxisten-Leninisten. Weg mit dem KPD-Verbot! Der KJVD hat aufgerufen, den Kampf gegen die Massenmilitarisierung der Jugend, gegen Revanchepolitik und Aufrüstungskurs am Roten Antikriegstag in München zu führen.
Aufgabe der Broschüre sei es, aufzuzeigen,
Erstmalig wurden die lange geheim gehaltenen Pläne nun in der Broschüre öffentlich gemacht. Diese erste offizielle Äußerung zum RAKT ließ erkennen, dass der Kampf in München mitnichten den Charakter einer spontanen Demonstration haben würde. Es war klar, dass sie „schlagkräftig“ sein müsste; denn „das Gesetz zum Schutz des olympischen Friedens“ vom 31.Mai 1972 mit den „Einschränkungen der Versammlungsfreiheit“ (dem „zeitlich begrenzten Flächenverbot“ mit „präventiven Festnahmen“ in der Münchener Innenstadt) ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Olympiade besonders durch eine „Bannmeile“ geschützt werden sollte.
Das Band zu München, dass den Entschluss erleichtern sollte, sich demonstrationsgewappnet zu zeigen, war wohl die Demonstration gegen das KPD-Verbot am 17.8.1972 in Bochum vor der Parteizentrale in der Goldhammerstraße. Die Rezeptur war einfach: die Dynamik der Demonstrationsbewegung sollte aufrechterhalten werden. Vielleicht war sie sogar ein Repressionsmittel, um ein abweichendes Verhalten zu verhindern? Das „Rote Schwungrad“ (Phoenix) und die „Rote Westfalenwalze“ (Westfalenhütte) erklärten jedenfalls gleichlautend am 14.8.:
„17 JAHRE KPD-VERBOT - 17 JAHRE UNTERDRÜCKUNG.
Am Donnerstag, dem 17. Aug., jährt sich das KPD-Verbot zum 17.mal. Dieses Verbot der KPD von Seiten Adenauer unter aktiver Mithilfe der rechten SPD-Führer war ein schwerer Schlag gegen die westdeutsche Arbeiterbewegung. Denn durch das Verbot der KPD wollten Adenauer und Schumacher erreichen, dass der Kampf der westdeutschen Arbeiter gegen Aufrüstung, für mehr Demokratie und für mehr Lohn unterdrückt wird. Dies wird aus folgendem Zitat aus der Gerichtsverhandlung gegen die KPD deutlich: 'Nach dem Grundgesetz beschränkt sich die Willensbildung des Volkes darauf, Abgeordnete zu wählen ... sobald durch außerparlamentarische Aktionen unmittelbar und fortgesetzt Einfluss auf das Parlament ausgeübt wird, ist die ... freiheitliche Demokratie gefährdet ... wir betrachten es als eine schwere Verletzung der freiheitlich demokratischen Grundordnung den wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich auf dem unfreiheitlichen Wege des revolutionären Klassenkampfes erzwingen zu wollen.' Das sagte der Vertreter der Regierung. Die KPD wurde also verboten, weil sie es war, die breite Teile der werktätigen Bevölkerung zum Kampf führte.
Das Verbot hatte dann auch zur Folge, dass diese Kämpfe unterdrückt wurden. Denken wir nur an unseren alten Betriebsrat. Das waren keine Leute wie Pfeiffer, sondern Kommunisten, die mit gekämpft haben. Nach dem Verbot konnten sie entlassen werden. Viele Kommunisten und andere fortschrittliche Arbeiter wurden aus der Gewerkschaft entlassen. All das ist keine ferne Geschichte, noch immer existiert das KPD-Verbot und die SPD-Regierung, deren führende Leute immer schon das KPD-Verbot unterstützt haben, bereiten vor, jetzt die KPD/ML und weitere fortschrittliche Organisationen zu verbieten. Das KPD-Verbot soll auf die KPD/ML angewandt werden. Das sind die Taten der SPD-Regierung. Kommunisten werden unterdrückt, und die Faschisten werden mit Staatsgeldern unterstützt. Ungehindert dürfen die Faschisten ihre schmutzigen Blätter in Westdeutschland verkaufen, aber die kommunistische Presse wird unterdrückt. So steht der Verantwortliche der RF ('Rote Fahne' der KPD/ML-ZB, d. Vf.), Michael Schulte, am 25. Aug. zum zweiten Mal vor Gericht (in Bochum, d. Vf.). Kläger ist F.J. Strauß (FJS - CSU, d. Vf.). So werden Kommunisten, welche sich für die Rechte der Werktätigen eingesetzt haben, mit Zuchthaus bestraft.
So steht Klaus Dillmann am 9. Sept. vor Gericht. Kläger ist die Stadt Dortmund, weil Genosse Dillmann sich als Rädelsführer bei den Rote-Punkt-Aktionen betätigt hätte (Vgl. Dietmar Kesten: „Der Rote Punkt in Dortmund“). So wurden auf den letzten DGB und IGM Tagen Verbotsanträge gegen 'Maoisten' (sprich KPD/ML) beschlossen. Auch die Ortsverwaltung Dortmund legte einen solchen Antrag vor. Weiterhin werden Kommunisten wie früher aus der Gewerkschaft geschmissen, so bei Opel Bochum), wo 40 Kollegen, darunter Kommunisten, auf Gegenlisten kandidiert haben (zur Betriebsratswahl, d. Vf.). Weiterhin liegt ein Antrag im Jugendausschuss der IGM Dortmund) vor, dass KJVD Mitglieder nicht in der IGM sein dürften.
DIE REAKTION WILL DIE ARBEITERBEWEGUNG UNTERDRÜCKEN!
Wozu alle diese Maßnahmen, muss man sich doch fragen?
Die KPD wurde deswegen verboten, weil die Kämpfe der Arbeiterklasse unterdrückt werden sollten und das gleiche hat die Regierung und haben die Kapitalisten auch jetzt wieder vor. Denn immer mehr Kollegen sehen, dass man ohne Kampf keinen Schritt weiter kommt, dass der Lohn dann aber sinkt, statt zu steigen. Deswegen gehen immer mehr auf die Straße. So streikten in den letzten 4 Wochen folgende Stahlwerke an der Ruhr: Westfalenhütte, Krupp-Rheinhausen, Thyssen-Hoag, Hasper Hütte Hagen, Mannesmann Duisburg, Krupp Bochumer Verein vor 2 Wochen und nun bereits wieder seit Freitag. Alle diese Streiks gingen gegen Stillegung und für mehr Lohn. Diese Bewegung fürchten die Kapitalisten, denn wir halten nicht mehr still und es wird immer schwerer zu verhindern, dass die Stahlarbeiter bis 1973 nicht stillhalten ...
Sie unterdrücken unsere Kämpfe deswegen, weil sie Ruhe in Westdeutschland brauchen. Sie wollen in aller Ruhe die Bundeswehr aufrüsten und die Arbeiterjugend in die Bundeswehr pressen. Immer schon wurden die Kommunisten und die Kämpfe der Arbeiter deswegen unterdrückt, damit die Kapitalisten ihren Staat in Ruhe aufrüsten können und damit neue Kriege vorbereitet werden können.
So 1914 vor dem 1. Weltkrieg, Karl Liebknecht kam in das Zuchthaus – Streiks wurden zerschlagen. So 1933 Kommunisten verboten, die Gewerkschaften zerschlagen, Thälmann ermordet, das Ziel war der 2. Weltkrieg. So 1956 FDJ und KPD wurden verboten, Adenauers Ziel, die Bundeswehr wieder aufbauen, die Notstandsgesetze (NSG, d. Vf.) durchzusetzen. So auch jetzt, wieder sollen die Kommunisten verboten werden, wieder werden Gesetze bereit gehalten (NS-Gesetze), nach denen Streiks zerschlagen werden können, wieder ist das Ziel Ruhe im Land, für Aufrüstung und verschärfte Ausbeutung.
In all diesen Jahren, wie auch jetzt, waren es die Kommunisten, die an der Spitze der Arbeiterbewegung gegen Aufrüstung, Revanchepolitik und für mehr Demokratie und mehr Lohn gekämpft haben. So auch die KPD/ML, sie ist die einzige Partei, die ohne Verrat die Aufrüstung bekämpft, die versucht, die Hoesch-Arbeiter zusammenzuschließen zum Kampf für die Belegschaftsversammlung, zum Kampf gegen Stillegung und für mehr Lohn. Deswegen soll die KPD/ML verboten werden. Machen wir den Reaktionären einen Strich durch die Rechnung. Demonstriert mit der KPD/ML und anderen demokratischen Organisationen gegen das KPD-Verbot am Donnerstag in Bochum. Kämpfen wir weiter unter der Parole
KEIN STILLHALTEN BIS 1973
LEGT DORT RESOLUTIONEN GEGEN DAS KPD-VERBOT VOR!
WEG MIT DEM KPD-VERBOT
KEIN STILLHALTEN BIS 1973
FÜR VOLL-BELEGSCHAFTSVERSAMMLUNGEN
MEHR LOHN! KEINE STILLEGUNG! KEINE ENTLASSUNGEN! VERSETZUNGEN
NUR OHNE LOHNEINBUSSEN!
BOYKOTT DER ARBEITSHETZE!“ (28)
Eine derartige Diskrepanz zwischen dem Verbot der KPD vom 17.August 1956 und einem möglichen Verbot der KPD/ML musste beunruhigend wirken; denn das Beweismaterial, dass das ZB vorlegte, war, wie gezeigt, nicht erdrückend. Und neue, gar unheilsschwangere Entdeckungen gab es nicht. Die Dokumente, auf die man sich stützte, waren die der früheren örtlichen KPD-Parteiorganisationen.
Kommunistische Verschwörermethoden wähnte auch die „Rutsche“, die Betriebszeitung der KPD/ML-ZB auf Minister Stein in Dortmund, am 14.8. Unter der Titelüberschrift „16 JAHRE KPD-VERBOT - 17.Aug. 1956. KPD-VERBOT MUSS WEG“ hieß es:
„Viele ältere Kollegen werden sich noch daran erinnern: Am 17.August vor 16 Jahren wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht (BVG, d. Vf.) in Karlsruhe die KPD verboten. Viele werden sich auch daran erinnern, dass in der Folgezeit eine Welle von Verhaftungen und Prozessen begann, kurz der Polizeiterror wieder aufglühte ... Heute hat das KPD-Verbot wieder besondere Aktualität gewonnen. Warum? Ungeheure Rüstungsanstrengungen, Mobilmachungsübungen zur Wiedereroberung der DDR und die restlose Einbeziehung der Jugendlichen sprechen eine deutliche Sprache ... Der Widerstand gegen die Rüstung und Revanchepolitik wächst. KPD/ML und KJVD und andere Marxisten-Leninisten kämpfen entschlossen in der antimilitaristischen Front. Genau wie die KPD und die FDJ gegen die Wiederaufrüstung unter Adenauer. Und genau wie mit KPD- und FDJ-Verbot jeglicher Widerstand gegen die Wiederaufrüstung zerschlagen werden sollte, so versucht der Bonner Staat heute mit Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML und den KJVD den Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik im Keim zu ersticken ... ALLE FORTSCHRITTLICH GESINNTEN KRÄFTE IN EINE KAMPFFRONT GEGEN DIE REAKTIONÄRE POLITIK DES BONNER STAATES!
KAMPF GEGEN NOTSTAND, AUFRÜSTUNG UND REVANCHEPOLITIK!
FÜR FRIEDEN UND SOZIALISMUS! FREIHEIT FÜR DIE KOMMUNISTISCHE PRESSE! KPD-VERBOT MUSS WEG!“ (29)
Das las sich so, als ob der gesamte BRD-Staat die KPD/ML ständig überwachte und Präventivmaßnahmen ergriff, um sie dann polizeilichen Eingriffen und Übergriffen auszusetzen. Es mutet ironisch an, dass die „antimilitaristische Front“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit genannt wurde, obwohl niemals konkrete Maßnahmen erfolgten. Trotzdem bewerte das ZB sie als „Erfolg“; denn „antimilitaristische Front“ dürfte auch die Demonstration gegen das KPD-Verbot in Bochum gewesen sein. Sie versetze die Partei in Alarmbereitschaft, obwohl sie nebulös war. Der vorgeschlagene Aktionsplan zu München wurde indes noch zögerlich und unentschlossen vom ZB in der „Roten Fahne“ vorgetragen. „Straße frei für München“ hieß es ohne große Erklärungen in der Ausgabe 17 vom 21.8.1972.
„Trotz verschiedener politischer Differenzen (zwischen Roter Garde und KJVD, d. Vf.) wird zwischen beiden Organisationen mit dem klaren Willen zur Einheit für den Kampf in München verhandelt. Die RJ/ML hat sich trotz zweifacher Aufforderung nicht gemeldet ... Während die RJ-Führer sich bisher nicht gemeldet haben, haben sich die Führer der KPD/AO den Gipfel des Spaltertums geleistet ... (Sie) lehnten wegen zu großer politischer Differenzen ab ... Zur gleichen Zeit als an den KJV ein Bündnisangebot gemacht wurde, erhielt auch das nationale Vietnamkomitee einen Brief. Dieses Komitee ist von der KPD/AO ins Leben gerufen worden. Das nationale Vietnamkomitee rührte sich überhaupt nicht. Plötzlich am 11. 8. erschien in der Zeitung der KPD/AO ein Artikel, dass das Vietnamkomitee in München am 26. 8. eine zentrale Demonstration durchführt, alle anderen Organisationen werden aufgefordert, sich dieser Demonstration anzuschließen. Die Bundesleitung des KJVD ist der Auffassung, dass die Führer der KPD/AO hier einen weiteren Beweis ihres Spaltertums liefern.“ (30)
Das ZB wollte mit München die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML erreichen. Es wollte die führende Organisation werden, sich möglichst mit einem Sieg von der revolutionären Bühne verabschieden; denn sobald die Verknüpfung der selbstgestrickten Krisenatmosphäre mit jener kommunistischen Agitation, die alle bestehenden politischen Spannungen verschärfen musste, eintreten sollte, war das ZB nicht mehr zu halten. Die Entscheidung war gefallen. Die Pläne waren fertig. Die „Jugend Rutsche“ der Jugendbetriebsgruppe des KJVD Minister Stein/Hardenberg meinte in ihrer Ausgabe vom 21.8. zum RAKT:
„ANTIKRIEGSTAG! KOMMT MIT NACH MÜNCHEN!
Jungarbeiter, Lehrling!
Olympiade - das liegt in der Luft! In jeder Zeitung, im Fernsehen, auf Reklamesäulen, im Schaufenster, überall: Olympiade! Die 'Jugend der Welt' wird mobilisiert. Sportlichkeit, Fairness, Freude und ehrlicher Wettstreit - das soll die Olympiade zeigen. Womit? Mit 'Doping', getricksten Aufputschmitteln, mit nahezu grausamem Training bis zur körperlichen totalen Erschöpfung? 'Olympischer Friede?' - wo Rhodesien (Zimbabwe, d. Vf.) zugelassen wird, ein Land, in dem an die 400 000 Rassisten das 4 Millionen Negervolk blutig unterdrücken und ausplündern? Wo den amerikanischen schwarzen Sportlern, die aus Solidarität mit ihren afrikanischen unterdrückten Brüdern, den Start verweigern, angedroht wird: sie sollten gut überlegen - sonst müssten sie nach Vietnam. Wo 2 Milliarden verschleudert werden für 16 Tage 'Olympische Spiele', besser: 'Propaganda'? 2 Milliarden - wo Kindergärten, Schulen und Parkplätze für büßen müssen?
DAS IST KEIN FEST DER FREUDE FÜR DAS BREITE VOLK
Aber, 'die Olympiade ist ein Fest der Völkerverständigung!' rufen die bürgerlichen Parteien und laden den Völkermörder NIXON (USA, d. Vf.) herzlich ein. Verständigung mit dem, der die Befehle gibt, mit Millionen Tonnen Bomben das vietnamesische Volk zu meucheln, ihr Land zu einzigen Kratern zu machen?
DAS IST KEIN FEST DER VÖLKERVERSTÄNDIGUNG
Aber, 'die Olympiade ist das Fest der Entspannung', ruft die SPD-Regierung. Entspannung? - wo sie gerade in herrlichster Eintracht mit FDP und CDU/CSU die 'Gesetze zur Inneren Sicherheit' verabschiedet hat?
GESETZE, DIE
GIFTGAS 'ENTSPANNUNG' - DAMIT DIE VÖLKER DER WELT VERNEBELT WERDEN UND DIE TATEN DER WESTDEUTSCHEN REGIERUNG VERGESSEN.
Aber, 'Die Olympiade ist das Fest des Friedens', 'sie ist nur durch die Unterstützung der Bundeswehr möglich', erzählen uns Brandt, Schmidt, Leber und wie sie alle heißen. OLYMPIADE - TEST DER STÄRKE UND DISZIPLIN DER TRUPPEN! 24 000 Mann von der Bundeswehr, Bundesgrenzschutzstaffeln und sorgsam ausgewählte Elitetruppen der Polizei stehen während der Olympiade bereit! Sie werden dargestellt als 'freundliche Helfer', die stets sprungbereit sind, wenn's darum geht, Siegerehrung abzuhalten, Erbsensuppe zu kochen oder Chauffeur zu spielen. ABER KEINE ZEITUNG, KEIN FERNSEHEN SPRICHT DAVON, DASS DIE SPD/FDP-REGIERUNG STREIKS UND DEMONSTRATIONEN WÄHREND DER OLYMPIADE GESETZLICH VERBOTEN HAT, DASS DIESES GESETZ BIS ZUM 31.12. GILT, WO ZWAR KEINE OLYMPIADE MEHR STATTFINDET, WO ABER DIE METALLTARIFRUNDE (MTR, d. Vf.) BEGINNT!!!
STRASSE FREI FÜR MÜNCHEN!
VERTEIDIGEN WIR UNSER RECHT AUF DIE STRASSE!
Das ist ein Vorstoß der herrschenden Klasse und ihrer SPD/FDP-Regierung gegen die Arbeiterklasse, ein Angriff auf die werktätige und lernende Jugend. Die herrschende Klasse weiß genau: 'Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft'! Und IHRE Zukunft, die heißt KRIEG nach außen: Unterdrückung und Ausplünderung anderer Völker, um ihren Reichtum und Profit zu mehren, heißt für uns: eine Kugel durch den Kopf, die Lungen voll Giftgas, heißt sterben und vermodern für die Profitinteressen des westdeutschen Kapitals - denken wir nur an die Tausenden von amerikanischen Soldaten in Vietnam! - IHRE Zukunft heißt: KRIEG nach innen, um sich zu schützen gegen den Ansturm der Kollegen, wenn sie sich nicht länger Arbeitshetze, Rationalisierung Lohnraub, Abbau aller erkämpften demokratischen Rechte gefallen lassen.
Für diese Zukunft braucht sie UNS, die JUGEND. Wer soll sonst die Gewehre tragen, die Panzer fahren? - DESHALB DIE 'GESETZE ZUR INNEREN SICHERHEIT'!
NEIN! UNSERE ZUKUNFT heißt: auf der Seite der kämpfenden Arbeiterklasse stehen, gegen die Angriffe der herrschenden Klasse und ihres Staates. Und wenn sie die Arbeiter mit GEWALT zum Stillhalten zwingen wollen, wenn sie uns, die Jugendlichen losschicken wollen, um einen Streik zu zerschlagen: DREHEN WIR DIE GEWEHRE UM! SCHLAGEN WIR DIE HERRSCHENDE KLASSE MIT IHREN EIGENEN WAFFEN! LERNEN WIR DAS WAFFENAHNDWERK IN DER BUNDESWEHR! NUR ZU! ABER KÄMPFEN WIR AUF DER EINZIG RICHTIGEN SEITE: DER SEITE DER ARBEITERKLASSE UND DES WERKTÄTIGEN VOLKES GEGEN DIE HERRSCHENDE KLASSE! KÄMPFEN WIR FÜR UNSEREN STAAT: DEN SOZIALISTISCHEN ARBEITER- UND BAUERNSTAAT!
KRIEG DEM IMPERIALISTISCHEN KRIEG!
ENTWAFFNUNG DER BOURGEOISIE - BEWAFFNUNG DER ARBEITERKLASSE!
GEGEN NOTSTAND, AUFRÜSTUNG UND REVANCHEPOLITIK - FÜR SOZIALISMUS UND FRIEDEN!
Wir, die westdeutsche Jugend, haben eine VERANTWORTUNG vor den Völkern der Welt! Wir müssen verhindern, dass ein drittes Mal von westdeutschem Boden ein blutiger und mörderischer Krieg ausgeht. Lassen wir uns nicht vor den Todeskarren der herrschenden Klasse spannen, bekämpfen wir das Wiedererstarken der westdeutschen militärischen Macht - das die Völker der Welt mit Besorgnis beobachten!
ZIEHEN WIR IN SCHAREN NACH MÜNCHEN!
Schwören wir vor den Völkern der Welt:
WIR, DIE JUGEND, KÄMPFEN GEGEN AUFRÜSTUNG UND IMPERIALISTISCHEN KRIEG! Gegen den Militarismus, den Würgeengel aller Kultur, der - das Volk aussaugend - alle Mittel frisst, die einem wahren Fortschritt dienen könnten. Gegen den Militarismus, der die werktätige und lernende Jugend in Scharen aufsaugt, der ihre Köpfe mit kriegslüsternen Gedanken verseuchen will.
KÄMPFT GEGEN DIE ALLGEMEINE DIENSTPFLICHT!
KEINE EINFÜHRUNG DES MILITÄRISCHEN ARBEITSDIENSTES!
HÄNDE WEG VOM RECHT AUF KRIEGSDIENSTVERWEIGERUNG!
FREIE POLITISCHE UND GEWERKSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG DER SOLDATEN!
AUF NACH MÜNCHEN! (31)
Die Revolution operiert eben nicht aus freien Stücken (heraus), in einem offenen Brachfeld, sondern nach einem schlau von Strategen zurecht gelegten Plan. Dieser schien zum 26.8. ausgearbeitet. Die zweitätige Konferenz der Landeskomitees der KPD/ML und der Politleiter der Landeskomitees des KJVD, die in Bochum stattfand, beriet u.a. über die „Besonderen Aufgaben der Partei beim Antikriegstag am 2.September“. (32)
Die „Besonderen Aufgaben der Partei beim Antikriegstag“ waren als Text konspirativ verbreitet worden. Ein Zugriff der Polizei sollte vor München möglichst verhindert werden. Das bezog sich auf die Aufmarschpläne, taktische Anweisungen und Richtlinien, vor allem auf das mitzuführende „Schlagwerkzeug“. Auf einer der letzten Sitzungen vor dem RAKT beschloss das ZB, „organisatorisch und ideologisch geschlossen“ in den Kampf zu ziehen, um für den „kommenden Kampf gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren“. (33)
So zogen ZB und der KJVD nach München, teilweise auf abenteuerlichen Wegen, mit dem Zug, der öfter gewechselt wurde, mit angemieteten Bussen, in Verkleidungen, aber auch mit PKWs. Viele Parteigenossen und Sympathisanten nahmen bereits an einer „antiimperialistischen Demonstration“ in München (26.8.) teil, zu der eine Reihe von Organisationen aufgerufen hatte. (34) Zum 2. September erschien die „Rote Fahne“ Nr.18/1972 mit einem Leitartikel zum RAKT in München und einem „Extrablatt“. In der RF wurde unter der Überschrift „Kanonenfutter für die Krupps und Abs - Niemals!“ ausgeführt:
„Vor 33 Jahren, am 1. September 1939, überfielen die Hitlertruppen Polen und begannen damit den II. Weltkrieg. Sechs Jahre lang brachte das schwarze Balkenkreuz mit den weißen Rändern auf Panzern und Flugzeugen Tod und Verderben über die Völker Europas und der ganzen Welt, bis es vom Hammer der Roten Armee unter dem Kommando Stalins vernichtet wurde. Drei Jahre zuvor hatten in Berlin unter dem Hakenkreuz Olympische Spiele stattgefunden, während gleichzeitig die Hitlertruppen in der Legion Condor das spanische Volk mit Bomben terrorisierten ... Heute, 33 Jahre später, finden in München zum zweiten Mal Olympische Spiele auf deutschem Boden statt. Wie 1936 in Berlin stehen wieder Soldaten bereit, um die Olympiade zu 'retten', wie die Westdeutsche Allgemeine am 13. August schrieb. 31 000 Mann Olympia-Heer - mehr als 1936 ... Heute ist die Bundesrepublik der einzige Staat in Europa, der offen die Revision der Grenzen in Europa fordert. Mit der sogenannten 'Wiedervereinigung' haben die Bonner Politiker seit 1945 die Einverleibung der DDR gemeint und die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkannt. Heute heißt die Formel: 'Wiederkehr Deutschlands in seinen historischen und natürlichen Grenzen'. Das bedeutet: Sie erhoben und erheben den Anspruch auf das Staatsgebiet der DDR und Teile Polens ...
Die sogenannten 'Ostverträge' haben diese Ansprüche nur noch verschärft ... Im Herbst beginnen die ersten Verhandlungen zur Vorbereitung einer sogenannten 'Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa' (KSZE, d. Vf.), an der neben den europäischen Staaten auch die USA und Kanada teilnehmen sollen. Diese Sicherheitskonferenz ist ein ungeheurer Betrug, ein neues München. Denn zum Hauptgaranten dieser europäischen Sicherheit soll die Bundesrepublik werden. Olympia 1972 steht wie Olympia von 1936 im Zeichen neuer Kriegsvorbereitungen. Die Münchener Olympiade spielt in den finsteren Plänen Bonns eine wichtige Rolle. Den Völkern der Welt soll hier ein angeblich strahlendes, mächtiges, aber friedliebendes Westdeutschland vorgegaukelt werden. Es soll der Eindruck erweckt werden, als sei der Militarismus in Westdeutschland gezähmt. Der friedliche Einsatz der 31 000 Bundeswehr-Soldaten in München soll das Balkenkreuz vergessen machen ... Diese Absichten der Bonner Revanchisten müssen entschieden durchkreuzt werden ... Deshalb hat der KJVD am 2. September die westdeutsche Jugend zum Roten Antikriegstag nach München gerufen. Der Rote Antikriegstag wird die Wahrheit über den westdeutschen Revanchismus ans Licht zerren ... Straße frei für den Roten Antikriegstag.“ (35)
Noch einmal wurde eine Begründung der nun stattfindenden heiklen Mission nachgeschoben. Das Tempo war rasant. Beschleunigt wurde es noch, durch den Hinweis des ZB, dass nun „die Absichten der Bonner Revanchisten“ durchkreuzt „werden müssten“. Das ZB ließ keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass es gelte, entschlossen zu handeln, die entwickelten Pläne durchzusetzen, alle Operationsziele zu erreichen, um die „Schlacht zu schlagen“.
„Straße frei, Straße frei, für die Kommunistische Partei!“ hallte es am 2. September 1972 durch die Münchener Innenstadt. „Der Kampf der Arbeiterjugend“, das ZO des KJVD, hatte noch in einem Extrablatt, das Ende August verbreitet worden war, gefordert:
„Die Münchener Notstandsplaner setzen alles daran, das Bild der Friedensliebe und der Demokratie aufrechtzuerhalten. Darum wollen sie die Rote-Antikriegstagsdemonstration verbieten und behindern. Die Anmeldung für die Demonstrationsroute aus den Arbeiterwohnvierteln Münchens zur Innenstadt, landete sofort beim bayerischen Innenminister Merck. Er erwog ein generelles Demonstrationsverbot. Das konnte er aber nicht wagen. So groß ist der Unmut der Bevölkerung über die Belagerung der Stadt durch Polizei und Armee. Trotzdem soll der Demonstrationszug nicht bis zur Innenstadt gehen. Der Marienplatz soll von Antikriegstagsdemonstranten freigehalten werden. Das würde den Notstandsplanern so passen! Der Kampfdemonstration gegen die allgemeine Dienstpflicht soll die Straße verboten werden, während der DGB einen Tag vorher auf dem Marienplatz mit einem harmlosen Fackelzug Reklame für die Kriegspolitik der SPD-Regierung machen dürfen.
Wir dürfen diese Behinderung der Roten Antikriegstagsdemonstration nicht zulassen. Massenhaft muss die westdeutsche und Westberliner werktätige Jugend nach München kommen. Zusammengeschlossen um die KPD/ML und den KJVD und die Marxisten-Leninisten muss die Arbeiterklasse und die werktätige Jugend die Demonstrationsfreiheit erkämpfen. ‚Entweder hauen sie uns alle tot oder wir wandern in den Knast, aber denen nachgeben, kommt nicht in Frage’, sagte ein MAN-Arbeiter ... Die Arbeiterklasse hat München gebaut, meine Straßen, seine Plätze und seine Sportstätten. Sie hat das Hausrecht in München, nicht die Kronawitter, die Schreiber, die Daume, die Beitz und Konsorten. Genauso in Kiel. Die Arbeiterklasse in München und Kiel ist gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg, gegen die Notstandsolympiade! Sie begrüßt und unterstützt die Demonstration zum Roten Antikriegstag.“ (1)
Die schwülstigen Worte des „KDAJ“ konnten als Einstimmung auf die Aktionen am 2. September (2) bezeichnet werden. Der Artikel spiegelte auch die grundsätzliche Haltung der Demonstranten am RAKT wider. Wird davon ausgegangen, dass ihm ein erstaunlicher Mangel an Wirklichkeitssinn abhanden gekommen war, so gab er doch die Einstellung wieder, mit der sie durch München zogen. Beabsichtigt war, die „Bannmeile“ am Karlstor zu durchbrechen.
Zu diesem Zweck hatte das ZB eine regelrechte Kontrolle über das Fußvolk ausgeübt. Die Bekanntgabe über den Durchbruch der Sperren wurde illegal und legal verbreitet (vgl. „Auf dem Weg nach München“). U.a. im „Roten Antikriegstagskurier“, der in seiner ersten Ausgabe vermutlich um den 10.8. herum erschien.(3) In der zweiten Ausgabe des Organs vom 20.8. wurde es noch einmal deutlicher:
„Die bewaffnete Revolution kommt nicht an einem Tag, ihr werden Hunderte, Tausende von Teilschlachten vorausgehen. Schlachten, in denen die Arbeiterklasse im revolutionären Kampf Niederlagen einstecken und Siege erringen wird. Alle diese Teilschlachten werden Schritte zur Revolution sein, in ihnen wird die Arbeiterklasse den revolutionären Klassenkampf lernen. Und deshalb müssen die Massen heute erzogen werden in Teilkämpfen die Gewalt anzuwenden direkt gegen den bürgerlichen Staat zu kämpfen. Deshalb muss das Ziel der Antikriegstagsdemonstration die Erkämpfung der freien Straße sein.“ (4)
Der Kern des Ausführungsplans war kein vorsichtiges Taktieren mehr. Der Parteikurs war deutlich: „In Teilkämpfen die Gewalt anzuwenden“ und „direkt gegen den bürgerlichen Staat zu kämpfen“, war der durch viele Irrungen und Wendungen hindurch unvermeidlich gewordene Aufruf zur Gewalt am Roten Antikriegstag. „Rote Fahne“ und KDAJ“ hatten dazu die theoretische Untermauerung geliefert. Im Juli schrieb der „KDAJ“ noch:
„Der KJVD hat aufgerufen zum Antikriegstag in München ... In München finden die olympischen Spiele statt. Der westdeutsche Kriegstreiberstaat ruft die Jugend der Welt und spielt sich als friedliebender Völkerfreund auf. Nach München kommt alles, was Rang und Namen hat in den Reihen der internationalen Konterrevolution. Von Prinzessin Beatrix bis zum Schah von Persien. Nach München kommt auch der US-Häuptling Nixon. Allein, um diesem Mörder des vietnamesischen Volkes den gebührenden Empfang zu bereiten, lohnt es sich nach München aufzubrechen. ... In München ist die Stadt der Kriegskonzerne. Messerschmidt, Bölkow-Blohm, Krauss-Maffei, Maschinen-Turbinen-Union, Siemens ... In und um München wimmelt es von Bundeswehrkasernen mit Elitetruppen: Fliegerhorste, Gebirgsjäger usw. Dazu gesellen sich Stützpunkte der US-Truppen. Was haben die in München, was haben sie überhaupt in Europa verloren? Schließlich ist München die Stadt Philipp Müllers. Der KJVD meint: Das sind Gründe genug, am Antikriegstag, genauer, am Wochenende des 2./3. September in München zu demonstrieren.“ (5)
Und in der „Roten Fahne“ vom 7.8. hieß es:
„Denjenigen, die sich als friedliebende Völkerfreunde aufspielen, muss die Wahrheit von Aufrüstung und imperialistischem Krieg entgegengesetzt werden. Der versammelten in- und ausländischen Reaktion, vom Schah von Persien bis zum Völkermörder Nixon, müssen alle friedliebenden Kräfte und Demokraten entgegentreten ... Olympische Spiele - Fest der Freundschaft der Völker und des friedlichen Sportwettkampfes der Jugend? Die Fassade bröckelt ab. Die Spiele sind fest in den Händen der westdeutschen Monopolherren - im Dienste ihrer Profite und im Dienste des Militarismus und der Unterdrückung des Klassenkampfes. Das sind die 'Spiele', die außer der Bundeswehr von 5 000 Mann Polizei aus allen Bundesländern, von 1 000 Mann Bundesgrenzschutz und weiteren Spezialeinheiten bewacht und durch ein Gesetz zum 'Schutz des Olympischen Friedens', das Streiks und Demonstrationen verbietet, geschützt werden sollen. Mobilisierungs- und Notstandsübungen sollen die Spiele München 1972 werden ... Heraus zum Antikriegstag 1972 in München! Jugend gegen Aufrüstung und Krieg! Für Sozialismus und Frieden!“ (6)
Diese entwaffnende Offenheit, mit der delikate politische Fragen behandelt wurden, grenzte an jene Kuriosität, die in den Propagandaaufrufen zu lesen war. Um der isolierten Lage Heer zu werden, verzichtete das ZB darauf, seinen Standpunkt in eine konkrete theoretisch-programmatische Fassung zu bringen. Zumindest sind keine weitergehenden Dokumente aus diesem Zeitraum bekannt, die belegen könnten, wie das ZB gedachte, seine Isolierung zu überwinden. Gerade der „Rote Antikriegstagskurier“ verdeutlichte, dass die Einschätzung der Lage katastrophal war und dass die Demonstration einem doppelten Zweck dienen sollte. Zum einen sollte sie das Ansehen des ZB in der ML-Bewegung verbessern, zum anderen den universellen Klassenkampf am 2.9. praktizieren.
Es sollte ein erfolgreicher Gegenangriff gegen wen und was auch immer gestartet werden. Vor diesem Hintergrund war nicht uninteressant, dass das ZB sich am 30.7. auf seiner „erste(n) Soldatenkonferenz“, die zusammen mit dem KJVD durchgeführt wurde (7), darüber Gedanken machte, wie der „Kampf in der Bundeswehr“ als „organisierter Kampf in der Armee“ geführt werden könne, und ob sich Soldaten am RAKT beteiligen sollten. Der Aufruf an die Soldatenkomitees lautete: „Auf zum Kampf gegen die Notstandsübung in München! Jugend gegen Militarismus und imperialistischen Krieg - Für Sozialismus und Frieden! Krieg dem imperialistischen Krieg.“ (8)
Die Diskussion darüber, ob sie in Uniform an der Demonstration teilnehmen sollten, wurde zwar nicht öffentlich geführt, sie war jedoch in der Zielsetzung und Terminologie eindeutig. Der Widerstand sollte zunächst außerhalb der Kasernen stattfinden. Die Soldaten wurden angehalten, nicht in ihren Uniformen zu demonstrieren. Die Haltung des ZB gegenüber den Soldaten bestand aus einer etwas undurchsichtigen Mischung von Gegnerschaft zur Armee und missionarischem Eifer. Offiziell war die Arbeit in den wenigen Soldatenkomitees illegal, inoffiziell wurden die Soldaten angehalten, die Partei in der Armee bekannt zu machen und sich vertrauensvoll auf die loyale Unterstützung von Vorgesetzen zu verlassen.
Das Problem, aus dieser politischen Zwickmühle einen Ausweg zu finden, sollte im übrigen alle Soldaten- und Reservistenkomitees der Nach-ZB-Zeit (Vgl. Jürgen Schröder: „Der 1.Mai 1971 und die Disziplinierung des mit roter Fahne in Uniform demonstrierenden Bundeswehrsoldaten Rüdiger Raguse“) betreffen. Hier wurde es in dem Sinne gelöst, dass trotz „opportunistischer“ und „reformistischer“ Abweichungen die „spontane Aktivität“ den Vorrang haben sollte, was nichts anderes hieß, als sich an der Demonstration in Zivil zu beteiligen.
Zum 14.8. berichtete die Druck-Betriebsgruppe der Arbeiter-Basis Gruppen im „Roten Widerdruck“ darüber, dass eine Demonstration am 1.9. in München, bei der u. a. den „Opfern des Faschismus“ gedacht werden solle, im Vorfeld verboten worden sei. (9) Und rief dazu auf, sich an den Gegendemonstrationen zu beteiligen. Aufgerufen hatte auch die „Stählerne Faust“ der KPD/ML-ZK, Betriebszeitung für Hoesch (Dortmund), die am 14.8. die bisherige Zeitung „Rotfront“ durch die Abspaltung der Bolschewistischen Linie (BL) aufgeben musste. (10)
Die Bemühungen von KPD/ML-ZB und KPD/ML-ZK (den Hauptträgern der Münchener Antikriegstagsdemonstration), eine gemeinsame Aktion zu vereinbaren, waren trotz weitgehender politischer und ideologischer Differenzen von Erfolg gekrönt. Zum 17.8. konnte das ZB der Parteibasis vermelden, dass eine „Gemeinsame Erklärung“ zustande gekommen sei. In der RF, Nr. 17/1972, hieß es dazu kurz und knapp:
„Die KPD/ML (Roter Morgen) und der KJVD, Jugendorganisation der KPD/ML (Rote Fahne), rufen Euch auf, am Roten Antikriegstag in München und Kiel in den Kampf zu treten gegen die Massenmilitarisierung der werktätigen Jugend und gegen die Kriegspolitik des westdeutschen Revanchismus. Macht den Roten Antikriegstag zu einem mächtigen Faustschlag gegen die Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht für die werktätige Jugend und gegen das Kriegskomplott Washington - Bonn - Moskau, die sogenannte Europäische Sicherheitskonferenz! In München und Kiel, wo der westdeutsche Revanchismus versucht, mit Friedensschleiern seine Kriegs- und Notstandspolitik zu verdecken, muss ihm die Friedensmaske vom Gesicht gerissen werden. Am Roten Antikriegstag muss in München und Kiel den Völkern der Welt gezeigt werden, dass die revolutionäre Arbeiterklasse und die werktätige Jugend aufgestanden sind, um den völkerfeindlichen westdeutschen Revanchismus und Militarismus, den Bonner Staat, zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten.“ (11)
Eine gemeinsame Veranstaltung zum RAKT, von Betriebsgruppen der KPD/ML-ZK und der Roten Garde sowie KPD/ML-ZB und KJVD, fand am 29.8. in Dortmund statt. Dort soll der Film „Nie wieder Krieg“ gezeigt worden sein. (12) Eine gemeinsame Erklärung veröffentlichte auch der „Rote Morgen“ (Nr. 17) in seiner Augustausgabe. (13)
Am 30.8. entschlossen sich ZB und KJVD dazu, noch einmal die Parteiöffentlichkeit über den RAKT zu informieren und zum Kampf für das „Recht auf die freie Straße“ aufzurufen. Dazu erschien noch die Broschüre „Dem Volk das Recht auf die freie Straße. Warum die Münchener Bannmeile durchbrochen werden muss“. (14) Berichte über die Vorbereitungen auf den Antikriegstag (RAKT) fanden sich auch in Berichten aus Baden-Württemberg aus Friedrichshafen und Stuttgart, aus Bayern aus München und Dachau, aus Hessen aus Wetzlar wieder, aus Hamburg und aus Schleswig-Holstein, aus Kiel, wo sich der gesamte Landesverband Wasserkante an Demonstrationen beteiligen wollten. (15)
Das Gebiet um den Münchener Marienplatz (Karlstor) war am 2.9. von Polizeieinheiten weitgehend abgesperrt. Eine „Bannmeile“ sollte verhindern, dass Demonstranten in den Bereich der Innenstadt strömten. Dazu hatten seinerzeit Polizeipräsident Manfred Schreiber und der bayerische Innenminister Bruno Merk die gesetzlichen Bedingungen geschaffen. Es ging um strenge Überwachung und darum, im „Unruhegebiet“ für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Außerdem war die Münchener Bevölkerung in Tageszeitungen und Extrablättern dazu aufgerufen worden, das Gebiet um den Marienplatz zu meiden. Man rechnete also von Seiten der Polizei mit erheblichen Gewaltaktionen. Aus dem gesamten Bundesgebiet waren „Spezialkräfte“ nach München beordert worden, dazu auch BGS-Einheiten und Polizeikräfte aus der Polizeischule Bork, allerdings nicht (16) die „25.000 Soldaten“, die das ZB nennen sollte.
Die KPD/ML hatte sich auf gewalttätige Auseinandersetzungen vorbereitet. Zwar wurde nicht, wie bei späteren Demonstrationen (etwa in den Auseinandersetzungen um die Atomkraft-Werke), von den Demonstranten gleich ein ganzes „Waffenarsenal“ mitgeführt, aber intern kursierende Kassiber ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Bannmeile um das Karlstor mit Fahnenstangen, Schlagstöcken und Helmen durchbrochen werden sollte. Die Demonstration verlief chaotisch und war ein undisziplinierter Übergriff, weil die Direktiven für den Durchbruch die Ordner nicht erreichten und der Zeitpunkt öfter geändert wurde. Deshalb waren die Scharmützel mit der Polizei ein Misserfolg. Von einem „großartigen Erfolg“, dem „Durchbrechen der Sperrgitter“, wie es später in den ZB- und RM-Publikationen hieß, konnte nicht gesprochen werden. Da die Polizeieinheiten gut organisiert waren, gelang es versprengten Grüppchen nur teilweise, den Kordon zu durchbrechen.
Die Aktion war putschistisch, provokativ und von nicht vertretbarer Militanz. Sie war natürlich auch konsequenterweise der Höhepunkt der NAR-Kampagnenpolitik. Der Aufruf, diesen Aufstand „vorzubereiten“ und „durchzuführen“, war beabsichtigt. Das ZB wollte es auf eine Machtprobe mit der Staatsgewalt ankommen lassen, insistierte auf eine relative Schwäche der Ordnungshüter, weil davon ausgegangen wurde, sie taktisch zu überraschen. Zudem war die Münchener Aktion eine ausgezeichnete Gelegenheit, einen Teil ihres Revolutionsgehabes einzulösen. Das war illusionistisch, fahrlässig und leitete die Demonstranten in die Irre, die sich gegen den heranstürmenden Polizeiapparat auch gar nicht wehren konnten; denn er war übermächtig. So zerstoben die meisten Demonstranten nach den ersten Attacken der Polizei in alle Winde. Das Hauptquartier war erst gar nicht nach München angereist. Man wartete ab, ob die Störaktionen Erfolge nach sich zogen. Um sich erst dann zu erklären. Die Landesleitungen der KPD/ML NRW versuchten kurz vor Erreichen der Barrikaden, die von der Polizei errichtet worden waren, die Demonstrationsteilnehmer zu puschen. Diese reagierten äußerst zurückhaltend, um dann doch, meist zögerlich, ihre Fahnenstangen empor zurichten. Die Polizei ging nicht zimperlich mit den Demonstranten um, schnitt ihnen auf dem Weg zur Innenstadt den Weg ab und verhaftete sog. „Rädelsführer“.
Diese unsinnige und inszenierte ZB-Aktion wurde nachträglich mit Märchen über den Verlauf der Demonstration angereichert. U.a. sollte das ZB später erklären, dass „am Rande der Innenstadt 5 Panzer auffuhren“, dass „Tausende von Polizisten, Hunderte von Polizeispitzeln und Provokateuren, die unter der Jacke MPs trugen,“ eingesetzt worden seien, dass München in „ein Heerlager“ verwandelt worden sei. Politisch sei die „Zerstörung der Friedensmaske des SPD-Staates“ erreicht worden, oder das es gelungen sei, den „Massen die Olympiade als NS-Übung“ zu verdeutlichen. Die Sorglosigkeit, mit der die KPD/ML den 2. September anging, war nicht mehr zu toppen. Die übersteigerte Gewalttätigkeit konnte auch nur zu besagten Verhaftungen von Mitgliedern und Sympathisanten führen, und die vergeblichen Bemühungen der KPD/ML, mit München Einfluss zu erzielen, mussten als gleich Null bezeichnet werden. Selbst die Verhafteten dienten dem ZB nachträglich als Rechtfertigung für ihr Vorgehen. Man könnte auch sagen, dass sie „geopfert“ wurden, um den Belagerungszustand (Verbot) um die KPD/ML herum beschreiben zu können.
In den offiziellen Parteipublikationen las sich der 2. September jedoch ganz anders. Die „Rote Fahne“ (Nr. 18) berichtete zum RAKT am 2.9.:
„Vor 33 Jahren, am 1. September 1939, überfielen die Hitlertruppen Polen und begannen damit den II. Weltkrieg. Sechs Jahre lang brachte das schwarze Balkenkreuz mit den weißen Rändern auf Panzern und Flugzeugen Tod und Verderben über die Völker Europas und der ganzen Welt, bis es vom Hammer der Roten Armee unter dem Kommando Stalins vernichtet wurde. Drei Jahre zuvor hatten in Berlin unter dem Hakenkreuz Olympische Spiele stattgefunden, während gleichzeitig die Hitlertruppen in der Legion Condor das spanische Volk mit Bomben terrorisierten ... Heute, 33 Jahre später, finden in München zum zweiten Mal Olympische Spiele auf deutschem Boden statt. Wie 1936 in Berlin stehen wieder Soldaten bereit, um die Olympiade zu 'retten', wie die Westdeutsche Allgemeine am 13. August schrieb. 31 000 Mann Olympia-Heer - mehr als 1936 ... Heute ist die Bundesrepublik der einzige Staat in Europa, der offen die Revision der Grenzen in Europa fordert. Mit der sogenannten 'Wiedervereinigung' haben die Bonner Politiker seit 1945 die Einverleibung der DDR gemeint und die Oder-Neiße-Grenze nicht anerkannt. Heute heißt die Formel: 'Wiederkehr Deutschlands in seinen historischen und natürlichen Grenzen'.
Das bedeutet: Sie erhoben und erheben den Anspruch auf das Staatsgebiet der DDR und Teile Polens ... Die sogenannten 'Ostverträge' haben diese Ansprüche nur noch verschärft ... Im Herbst beginnen die ersten Verhandlungen zur Vorbereitung einer sogenannten 'Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa' (KSZE, d.Vf.), an der neben den europäischen Staaten auch die USA und Kanada teilnehmen sollen. Diese Sicherheitskonferenz ist ein ungeheurer Betrug, ein neues München. Denn zum Hauptgaranten dieser europäischen Sicherheit soll die Bundesrepublik werden ... Olympia 1972 steht wie Olympia von 1936 im Zeichen neuer Kriegsvorbereitungen ... Die Münchener Olympiade spielt in den finsteren Plänen Bonns eine wichtige Rolle. Den Völkern der Welt soll hier ein angeblich strahlendes, mächtiges, aber friedliebendes Westdeutschland vorgegaukelt werden. Es soll der Eindruck erweckt werden, als sei der Militarismus in Westdeutschland gezähmt. Der friedliche Einsatz der 31 000 Bundeswehr-Soldaten in München soll das Balkenkreuz vergessen machen ... Diese Absichten der Bonner Revanchisten müssen entschieden durchkreuzt werden ... Deshalb hat der KJVD am 2. September die westdeutsche Jugend zum Roten Antikriegstag nach München gerufen. Der Rote Antikriegstag wird die Wahrheit über den westdeutschen Revanchismus ans Licht zerren ... Straße frei für den Roten Antikriegstag.“ (17)
Die „Wahrheit über den westdeutschen Revanchismus“ war, dass es ihn, wie vom ZB angedacht war, nie gab. Doch mit diesen kollektiven Manipulationen und wirkungslosen Losungen konnte die Parteibasis in die Irre geführt werden. Die verheerenden Folgen dieser Phrasen gipfelten in den Münchener Aktionen, die vielleicht seit der „Schlacht am Tegeler Weg“ vom 4.November 1968 (18) die militanteste war. In einer Erklärung des Zentralbüros und der Provisorischen Bundesleitung des KJVD zum Antikriegstag hieß es:
„Arbeiter! Werktätige! Für das Recht auf die freie Straße wurde die Bannmeile durchbrochen. Arbeiter! Werktätige! KPD/ML und KJVD, die Gruppe Roter Morgen und andere marxistisch-leninistische und fortschrittliche Organisationen hatten am Wochenende zum Roten Antikriegstag zu Demonstrationen in den Olympiastädten München und Kiel aufgerufen. Tausende von Arbeitern und werktätigen Jugendlichen sind diesem Aufruf gefolgt. In machtvollen Demonstrationen haben sie die Verbote des Bonner Staates durchbrochen und gegen die Bonner Notstands- und Aufrüstungspolitik gekämpft. Die Bonner Herren antworteten mit neuen Unterdrückungsmaßnahmen, die sich gegen alle Arbeiter und Werktätige richten. Zum ersten Mal wurden in Westdeutschland konzentriert Bundesgrenzschutz (BGS, d. Vf.) und alle Länderpolizeien gegen eine Massendemonstration eingesetzt. Unter direktem Oberbefehl von Genscher, SPD-Vogel und SPD-Polizeipräsident Schreiber wurde die Vorbeugehaft praktiziert. Mit einer unglaublichen Hetze in Presse, Funk und Fernsehen wollen Genscher und CSU-Polizeiminister Merck den antimilitaristischen Kampf der Jugend unterdrücken und das Verbot der KPD/ML und aller Marxisten-Leninisten vorbereiten.
Glaubt den Bonner Notstandspolitikern kein Wort. Hier sind die Tatsachen: Seit Monaten haben KPD/ML und KJVD den Roten Antikriegstag 1972 vorbereitet: in Betrieben, Schulen und Kasernen wurden die Pläne der Bonner Kriegstreiber enthüllt und für die Demonstration mobilisiert. Die Bonner Herren haben in der Zeit München in ein Heerlager ihrer Notstandstruppen verwandelt. Im Juni wurden die neuen Notstandsgesetze (NSG - vgl. 22.6.1972, d. Vf.) und das 'Gesetz zum Schutz des olympischen Friedens' von Brandt, Genscher und Strauß durchgepeitscht. 25 000 Soldaten, 10 000 Polizisten und Bundesgrenzschutztruppen wurden nach München verlegt. Durch willkürliche Verhaftungen in München und bei einer antifaschistischen Kundgebung in Dachau sollten wir eingeschüchtert werden. Die Abschlusskundgebung am Samstag in der Innenstadt wurde verboten. Tausende von Polizisten, Hunderte von Polizeispitzeln und Provokateuren, die unter der Jacke MPs trugen, waren eingesetzt.
Am Rande der Innenstadt fuhren fünf Panzer auf. Aber der Rote Antikriegstag hat das Recht der Arbeiterklasse auf die Straße verteidigt. Hunderte durchbrachen die Polizeiketten und führten eine Kundgebung in der Innenstadt durch. Zur gleichen Zeit verteidigten auch die Demonstranten in Kiel die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse ... Dieser Rote Antikriegstag versetzte die Bonner Herren in Schrecken: Genscher selbst eilte nach München: unter seinem Oberbefehl wurde am Sonntagmorgen eine legal angemeldete Demonstration der Gruppe 'Rote Morgen' (KPD/ML-ZK, d. Vf.), der KPD/ML und des KJVD für die Freilassung der am Samstag verhafteten Genossen durch Bundesgrenzschutz und Polizei eingekesselt und aufgelöst. Demonstranten wurden willkürlich verhaftet ... Der Rote Antikriegstag hat ihr wahres Gesicht gezeigt: Kriegstreiber gegen die Völker Europas und Notstandsstrategen gegen das eigene Volk ...
Der Rote Antikriegstag hat den Bonner Staat an seiner schwächsten Stelle getroffen Die Notstandstruppen des Bonner Staates konnten in München und Kiel die Tausende Arbeiter und revolutionäre Jugendlichen, die von ihrem Kampfstab, der KPD/ML, dem KJVD und anderen marxistisch-leninistischen Organisationen geführt wurden, nicht von ihrem berechtigten Kampf abhalten. Die Kampffront des Roten Antikriegstages muss jetzt entschlossener gefestigt und verbreitert werden ... Die gegen eure Forderungen nach Frieden, Sozialismus und wirklicher Demokratie aufgerichteten Bannmeilen konnten durchbrochen werden. Für Eure Forderungen sind in München Kommunisten und Demokraten verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden ... Freiheit für die politischen Gefangenen! Freiheit für die KPD/ML, den KJVD - Weg mit dem KPD-Verbot! Nieder mit dem Bonner Notstands- und Kriegstreiberstaat! Für Sozialismus und Frieden!“ (19)
Das Parteiorgan „Rote Fahne“ verkündete so etwas wie einen Ausnahmezustand. Der Bericht lief darauf hinaus, dem Staat die Stirn zu bieten. Und ihm einen entsprechenden Rückhalt in der Arbeiterschaft vorzugaukeln.
„Die gegen eure Forderungen nach Frieden, Sozialismus und wirklicher Demokratie aufgerichteten Bannmeilen konnten durchbrochen werden. Für Eure Forderungen sind in München Kommunisten und Demokraten verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden.“ Die Bewegung sollte möglichst mit diesen kernigen Worten aufrechterhalten werden. Angesichts der faktischen Münchener Tatsachen waren diese unsinnigen Durchhalteparolen gelinde ausgedrückt unangebracht, rücksichtslos, verantwortungslos. Und gipfelten in selbstgerechte Haltung, die allerdings, wie hier, den Parteiaktivisten zusätzlich noch schmackhaft gemacht worden war: „Die Kampffront des Roten Antikriegstages muss jetzt entschlossener gefestigt und verbreitert werden ... “
Da die KPD/ML darauf setzte, ihren Leichtsinn nun zu sanktionieren, konnte sie auch nur die wirkliche politische Lage und den Grad des Wagnisses, auf das man sich einließ, verschleiern. Weder Arbeiter noch die Münchener Bevölkerung waren dazu bereit, sich den kommunistischen Gruppierungen am 2.9. anzuschließen. Jegliche Unterstützung „der Massen“ blieb aus. Und wann immer die KPD/ML versuchte, eine solche Situation herbeizureden, konnte sie nur auf Ablehnung stoßen. So endete der 2. September 1972 von Anfang an mit einem unbestreitbaren Fiasko, dessen Nachwirkungen jetzt erst erfolgen mussten.
An den Münchener Aktionen nahmen nach bisher bekannt gewordenen Berichten, eine Reihe weiterer ML-Organisationen teil. Neben KPD/ML-ZB, dem KJVD, der KPD/ML-ZK, der Roten Garde, auch der Frankfurter Kampfbund/ML, Marxisten-Leninisten aus Stuttgart, Bielefeld, Münchener Marxisten-Leninisten, Ortsgruppen der Falken, Jusos, SDAJ, Gewerkschaftsjugendgruppen, Ortsgruppen des Verbands der Kriegsdienstverweigerer, die Türkische Studentenkonföderation, Delegierte antimilitaristischer Komitees in der Bundeswehr. An den Aktionen sollten zwischen 2.000 und 6.000 Menschen teilgenommen haben. Das ZB sprach von „6.000“.
Die KPD/ML-ZB berichtete in der „Roten Fahne“:
„Der Rote Antikriegstag, das war der Höhepunkt der Einheitsfront aller revolutionären, antifaschistischen und friedliebenden Kräfte aus Betrieb, Schule und Armee. Der machtvolle Ausdruck monatelanger Überzeugungsarbeit, mit der der KJVD, geführt von der Partei, die werktätige Jugend zum Roten Antikriegstag mobilisiert hat. Nicht nur die Marxisten-Leninisten wurden in der Aktionseinheit zusammengeschlossen, sondern auch die breitesten demokratischen Kräfte aus Falken, Jusos, SDAJ, Gewerkschaftsjugendgruppen, Verband der Ingenieurstudenten und eine Reihe der Organisationen der Kriegsdienstverweigerer waren zum gemeinsamen Kampf gegen den westdeutschen Militarismus angetreten. Das Bündnis mit den Freunden der Türkischen Studentenkonföderation stärkte die Kampffront der Völker gegen den westdeutschen Revanchismus. Die Delegierten der antimilitaristischen Komitees in der Bundeswehr, die werktätige Jugend aus Betrieb und Schule - alle waren sie dem Aufruf des KJVD nach München gefolgt! ... 1 500 Demonstranten hatten am Nachmittag des 2. September am Edlinger Platz Aufstellung genommen. Voran das Transparent der Einheitsfront 'Roter Antikriegstag '72' und 'Jugend gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg' bewegte sich der Zug auf die Münchener Innenstadt zu. ... Ein wie noch nie da gewesener Absatz unserer Flugblätter, an ROTEN FAHNEN, an KAMPF DER ARBEITERJUGEND und einer Antikriegstag-Broschüre - all das zeigte die Solidarität der Massen mit dem Zug der Demonstranten, die unter der revolutionären Losung 'Krieg dem imperialistischen Krieg' durch die Straßen zog. Vor allem ausländische Kollegen und Jugendliche, aber auch ganze Familien, Mütter mit ihren Kindern, die sich einreihten ... sie alle machen für Hunderte deutlich: Unsere Sympathie gilt den antimilitaristischen Kämpfern, die den Frieden erringen können, weil sie für den Sozialismus kämpfen ...
Als unsere Demonstration am Marienplatz einbog, - da plötzlich am anderen Ende des Platzes ein riesiges rotes Transparent, rote Fahnen, Hunderte von Demonstranten biegen auf den Platz ein. Mit donnerndem ROTFRONT, fünfmal, zehnmal, begrüßen wir die Demonstration des ROTEN MORGEN mit seinem Jugendverband ROTE GARDE, die vom Pariserplatz losmarschiert waren. Die Demonstration zum Roten Antikriegstag einigte die Marxisten-Leninisten nun in einer gemeinsamen Kampffront. Ein machtvoller Zug von bald zweieinhalbtausend entschlossenen Kämpfern trug jetzt die Parolen gegen Massenmilitarisierung, Aufrüstung und imperialistischen Krieg in die dicht belebten Straßen der Münchener Innenstadt ... Mit einem Schlag wurde deutlich, warum die herrschende Klasse mit 40 000 Soldaten, Grenzschützern, Bereitschaftspolizei aus allen Ländern, Spitzel, Kripo, Provokateuren, politischer Polizei: einem Heer von uniformierten und zivilen Bürgerkriegstruppen die Stadt der 'heiteren Spiele' in ein Heerlager verwandelt hat ... Deshalb sind wir auch mit dem klaren taktischen Plan nach München gekommen ... gegen den Terror der Knüppelgarden die Straße frei zu kämpfen.
Das Karlstor ist der Durchbruch durch die Bannmeile. Mit unseren organisierten Kampftrupps an der Spitze, die mit Helmen bewehrt und mit Schlagstöcken bewaffnet waren, hielt unsere Demonstration am Stachus, in unmittelbarer Nähe des Tores. 'Das Demonstrationsverbot muss durchbrochen werden, das Karlstor genommen werden', das war der Auftrag, den der Redner der KPD/ML allen Demonstranten gab. Unsere Kampftrupps stürmten vor, gefolgt von den Reihen der Demonstranten, auf das Karlstor zu und forderten von den hinter spanischen Reitern verschanzten Polizisten 'Strasse frei'. Wie wild prügelten die Polizisten auf uns ein, in der Hoffnung unsere Demonstration auseinander treiben zu können. Aber wie hatten sie sich verrechnet. Denn hier hatten sie es mit dem Kampftrupp der Kommunistischen Partei zu tun. In dem Bewusstsein, das Recht und den Willen des Volkes auf unserer Seite zu haben, hielten wir ihren Knüppeltiraden stand, rissen die Gitter auseinander und schlugen dem Kampf des Volkes die Straße frei. Unter dem Beifall der Passanten, die zum Teil selbst mit unseren Transparentstangen auf die Polizisten einschlugen, hoben die Genossen einen der Redner der KPD/ML auf ihre Schultern, der zu den Umstehenden sprach.
Der breite Schutz der Demonstranten durch die Massen, die erschrockene und völlig verwirrte Reaktion der Polizei auf unseren organisierten Gegenangriff, das beweist, dass der erfolgreiche Widerstand gegen den Bonner Notstandskurs möglich ist ... Wenn auch die Demonstranten von Hunderten von Polizeihorden umzingelt wurden, wenn auch der Bundesgrenzschutz in unmittelbarer Nähe des Tores bereit stand, wenn auch Dutzende von Genossen von den faschistischen Greifern der Politischen Polizei gepackt wurden, wenn wir auch mit der Demonstration nach dem Durchbruch wegen der Übermacht der Polizei den organisierten Rückzug antreten mussten - so hat doch das Brechen der Bannmeile gezeigt: Das Volk kann unter der Führung der KPD/ML die reaktionäre Gewalt des Bonner Staates gegen die friedliebenden Massen zerschlagen ... Der Sieg am Nachmittag, die Erkämpfung des Rechtes auf die freie Straße - in diesem Zeichen fand am Abend unter freiem Himmel auf der Postwiese in der Nähe des Münchener Ostbahnhofs die Abschlusskundgebung des Roten Antikriegstages statt ...
Rund 600 Demonstranten versammelten sich mit Fackeln auf der Postwiese, um die Bilanz des Tages zu ziehen und die neuen Kampfaufgaben zu bestimmen. Anwesende Genossen, die in der vordersten Front beim Durchbruch gestanden hatten, berichteten über den brutalen Polizeieinsatz und die Angst der Bonner Knüppelgarde, als sie merkten, dass die Kommunisten nicht vor den Polizeihieben zurückwichen. Kein Genosse wird vergessen, dass die organisierte Gewalt der Arbeiterklasse fähig ist, den Herrschenden Machtpositionen zu entreißen ... Zu Beginn hielt ein Vertreter der Provisorischen Bundesleitung des KJVD eine Rede, die die weitere Perspektive des Kampfes aufzeigte. Der Nachmittag hat dem Bonner Polizeistaat die Maske heruntergerissen, die er vor allem zu den Olympischen Spielen angelegt hatte ... An der Veranstaltung nahmen auch Mitglieder der Gruppe Roter Morgen teil.“ (20)
Die Schlacht war beendet. Die KPD/ML-ZB zählte die Verluste. Und die „Sieger“ gingen daran, die Besiegten, wie in diesem Bericht, abzustrafen. Denn „das Volk kann unter der Führung der KPD/ML die reaktionäre Gewalt des Bonner Staates gegen die friedliebenden Massen zerschlagen.“ München zerschlug nichts. Die extremen und unrealistischen politischen Losungen, die der Öffentlichkeit glaubhaft machen sollten, dass nun die „revolutionäre Offensive“ beginnen würde, dass der „kämpferische Geist“ des RAKT nun das „stetige Handeln“ der Partei bestimmen werde, war von jener rechtfertigenden trügerischen Tonart geprägt, die blendend und peinlich war. Dabei war der strategische Rückzug längst beschlossene Sache.
Da die Niederlage des Bonner Staates unumgänglich sei und das Volk die „reaktionäre Gewalt“ zerschlagen könne, stehe es, so das ZB, vor „großen Kämpfen“. Das Losungswort, wie hier angedeutet, müsse heißen: „In erster Linie an die Massen heran, mit allen Mitteln!“ Die Marxisten-Leninisten müssten die Massen durch Propaganda und Agitation auf die (weiteren) kommenden Kämpfe vorbereiten. Die entscheidende Wende dazu seien der „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze“ am 8. Oktober in Dortmund und die Neuwahlen.
Das ZB konnte natürlich nicht ahnen, dass die Aktionen am 2.9., die in der breiten Öffentlichkeit zu scharfen Kontroversen führten (21), von einem Ereignis überschattet wurden, das der „revolutionären Offensive“ von selbst ein Ende bereitete. Am 5.9 nahm ein Kommando des palästinensischen „Schwarzen September“ während der Olympischen Spiele israelische Olympiateilnehmer als Geiseln, um bis zu 250 Gesinnungsgenossen frei zu pressen. Am 6.9. erschien dazu die „Erklärung des Zentralbüros: Nieder mit der Kumpanei zwischen dem westdeutschen Revanchismus und dem israelischen Imperialismus“ (22), die mit keinem Wort den Terrorakt zu verurteilen gedachte. Das beschleunigte nicht nur die krisenhafte Entwicklung der Partei, sondern stieß vor allem bei den Mitgliedern und Sympathisanten auf heftigen Widerstand, der so weit ging, dass viele Ortsgruppen sich weigerten, die „Erklärung“ vor den Betrieben zu verteilen. Was als Schlachtruf begann („Kampf dem Bonner Staat“), musste vor diesem Hintergrund wie ein Hohn wirken und in der kläglichen Kapitulation enden.
München 1972: Die Welt feiert die Olympischen Spiele. Am 2. September zogen KPD/ML-ZB, KPD/ML-ZK und andere marxistisch-leninistische Gruppen durch die Münchener Innenstadt, um am Antikriegstag (vgl. Kapitel 25: „Der Rote Antikriegstag“) in einer vom Münchener Ordnungsamt verhängten Bannmeile rund um den Marienplatz (Karlstor) zu demonstrieren. Die Demonstration zum Roten Antikriegstag war verboten worden. Trotzdem gelang es ihnen, eine Antikriegstagsdemonstration mit mehreren tausend Teilnehmern auf die Beine zu stellen. Die Demonstration, die unter den Parolen „Gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“, „Straße frei, Straße frei, für die Kommunistische Partei“, „Gegen den Olympiabetrug“ stand, war der unvergleichbare Höhepunkt der ZB-Kampagnenpolitik, wie sie mit NAR eingeleitet und mit immer schärfer werdenden Tönen gegenüber der Sozialdemokratie („Olympiade als NS-Übung“, „Die Friedensmaske der SPD-Regierung herunterreißen“) zu Ende geführt wurde.
Das „Gesetz zum Schutz des olympischen Friedens“ sorgte seinerzeit für heftigen Zündstoff. Es sollte, vom damaligen Bundestag beschlossen, die Olympischen Spiele vor Terror und Demonstrationen schützen. Dafür waren Polizeihundertschaften und BGS-Einheiten nach München verlegt worden.
In der Zeit zwischen dem 2. September und den Anschlägen einer Fraktion des Kommandos „Schwarzer September“ (5. September) fanden in München eine Reihe weiterer (antifaschistischer) Aktionen statt, die unter der Parole „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze“ geführt wurden, gegen „verschärfte Unterdrückungsmaßnahmen in der Türkei“, gegen „die Aufrüstung von Polizei und Bundeswehr“. Es bildeten sich Aktionseinheiten und Komitees gegen einen „Olympiabetrug durch die Olympischen Spiele“. Mit den Olympischen Spielen wollte sich 36 Jahre nach den Nazi-Propagandaspielen in Berlin München von seiner besten Seite zeigen. Am 5. September, morgens, drang ein Kommando des „Schwarzen September“ (1) in das Haus der israelischen Gewichtheber und Ringer ein, erschoss zunächst drei Sportler und nahm neun Athleten als Geiseln. Das Kommando wollte damit die Freilassung von vielleicht 200 bis 250 inhaftierten Gesinnungsgenossen in Israel freipressen und mit einer Chartermaschine die Bundesrepublik verlassen. Ob zusätzliches Lösegeld eine Rolle spielte, ist nicht bekannt, oder zumindest umstritten. Drahtzieher der Anschläge soll der Palästinenser Abu Daud gewesen sein. Inwieweit ein möglicherweise schon bestehendes internationales Terrornetzwerk an den Anschlägen beteiligt war, lässt sich vermutlich nicht mehr klären, auch nicht, welche Rolle der Pate dieses Netzwerkes, Wadi Haddat (alias Abu Hani), spielte, der damalige Militärchef der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP). Man sollte sich auch daran erinnern, dass vom damaligen sowjetischen Block eine regelrechte Kampagne gegen den „weltweiten Zionismus“ lief, der als Weltfeind schlechthin betrachtet wurde („Der Zionismus ist eine klassenfeindliche Kraft, die den Interessen der Werktätigen aller Nationalitäten gegenübersteht“, heißt es im Parteiprogramm der KPdSU, 1971).
Israel lehnte die Forderungen kategorisch ab und folgte damit ihrem Prinzip, sich von Terroristen nicht erpressen zu lassen. Verhandlungen waren ausgeschlossen. Lange Gespräche begannen, an denen vermutlich hohe israelische politische Vertreter und Militärs, Franz Josef Strauß (damaliger CSU-Parteivorsitzender), Hans-Dietrich Genscher (Innenminister), Willi Brandt (Bundeskanzler), hohe israelische Geheimdienstvertreter des Mossad, Geheimnisträger des Deutschen Bundesgrenzschutzes (BGS) und des Bundeskriminalamtes (BKA) teilnahmen. Das Verhandlungskonzept zielte auf Zeitgewinn ab. Die Terroristen, die fast stündlich per Ultimatum damit drohten, die Geiseln töten zu wollen, wollten sich nicht auf dieses Ansinnen einlassen. Trotzdem wurde ihnen unter immer neuen Begründungen eine Verlängerung der Fristen abgetrotzt. Unter anderem wollte die israelische Regierung die Namenslisten der Geiseln prüfen. Auf deutscher Seite wurde in Erwägung gezogen, dass die BRD-Regierung einen innerinternen Meinungsbildungsprozess abschließen müsse und dass für sie die Gewinnung eigener Erkenntnisse im Fordergrund stehen würde. Der bayerische Innenminister Bruno Merk und Innenminister Genscher verhandelten Nachmittags mit einem Führer des Kommandos, der nach bekannt gewordenen Aussagen eine abzugsbereite Handgranate in der Hand gehalten haben soll.
Die Palästinenser lehnten Genschers Angebot ab, sich als Austauschgeisel zur Verfügung zu stellen. Später wurde ihm gestattet, das Haus der israelischen Mannschaft zu betreten, während ein vermummter und bewaffneter Terrorist auf einem Balkon zu sehen war (das Foto ging um die Welt). Genscher berichtete, dass die Sportler an Händen und Füßen gefesselt auf dem Boden lagen. Die Mitglieder des „Schwarzen September“, die zu keinerlei Konzession bereit waren, weigerten sich, sich nach Ägypten (Kairo) ausfliegen zu lassen. Abends stand fest: alle diplomatischen Bemühungen waren gescheitert. Für die Bundesregierung und der hochrangigen israelische Diplomatie war klar, dass nur eine gewaltsame Befreiung der Geiseln in Frage käme. Zum Verlassen des Gebäudes verlangten die Terroristen einen Bus, der sie bis zur Ausfahrt, in die Nähe von zwei startbereiten Helikoptern, bringen sollte. Von dort aus flogen sie zum damaligen Nato-Flughafen Fürstenfeldbruck. Ein dritter Hubschrauber mit dem Krisenstab, Strauß, dem israelischen Geheimdienstchef (General Zamir) folgte ihnen. Dort eröffnete vermutlich die bayerische Polizei am 6. September nach Mitternacht das Feuer. Dabei wurden dann acht israelische Sportler und fünf Palästinenser getötet.
Bis heute ist ungeklärt, wie der wahre Ablauf der Katastrophe verlief. Nie ist rekonstruiert worden, wer die ersten Schüsse abgab, ob sie von Palästinensern stammten oder von deutschen Scharfschützen. Angeblich sollen bei den ersten Schüssen die Terroristen ihre Waffen gegen die Geiseln gerichtet haben, andere Quellen behaupten, dass ein Terrorist während eines Feuergefechts eine Handgranate in den bereit stehenden Hubschrauber geschleudert haben soll. (2) Wieder andere Quellen besagen, dass der Hubschrauber mit Sprengstoff präpariert gewesen sein soll. Nach Informationen, die 1992 auftauchten, sollen die Sportler im Kugelhagel durch Geschosse aus deutschen Polizeiwaffen ums Leben gekommen sein. Akten, die das belegen und die erst zwanzig Jahre nach dem Attentat für die Öffentlichkeit hätten zugänglich gemacht werden können, wurden am 5. September 1992, 20 Jahre nach der Erschießung der Geiseln und der Terroristen von der damaligen bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner vernichtet.
Dem Anspruch von Anwälten und Angehörigen auf Akteneinsicht wurde nicht stattgegeben. Ebenso wurde eine Schadensersatzklage abgeschmettert. Der damalige Regierungssprecher Conrad Ahlers berichtete in der Nacht vom 5. auf den 6. September, dass die Befreiung der Geiseln „glücklich abgeschlossen“ worden sei. Allerdings gab er keinen Kommentar zum (dilettantischen) Verhalten der deutschen Polizei ab. 1996 wurde noch einmal von rund 30 Angehörigen der Opfer der Versuch unternommen, 40 Millionen Mark Schadensersatz einzuklagen. Vergeblich! Unterdessen gingen die Spiele in München weiter. Avery Brundage weigerte sich, die Spiele abzusagen. Sein Satz „The Show must go on“ ist in bleibender Erinnerung. Genscher sollte direkt nach den Anschlägen die Anti-Terroreinheit GSG 9 ins Leben rufen, später noch die speziellen Einsatzkommandos MEK und SEK. Als Reaktion auf die Münchener Ereignisse verbot die Brandt-Regierung (3. Oktober 1972) die „Generalunion Palästinensischer Arbeiter“ (GUPA) sowie die „Generalunion der Palästinensischen Studenten“ (GUPS). In der BRD kam es daraufhin zu bundesweiten Solidaritätswochen. (3)
Mit dem fehlgeschlagenen Terrorakt in München und kurz nach der „Schlacht am Karlstor“ stand die Zentrale des ZB unter Zugzwang. Mit dem Erscheinen des Gespenstes „Schwarzer September“, vom dem das ZB gar nichts wusste (4), brachen heftige Kontroversen los, die andauernde Kritik der Parteibasis, der Orts- und Betriebsgruppen, von denen sich eine erhebliche Anzahl weigerte, Flugblätter und Betriebszeitungen mit mehr oder weniger Befürwortung der Aktionen zu verteilen (5). Diese Kritiken dürften die KPD/ML-ZB in die entscheidende Krise gestoßen haben, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Es ging nun nicht mehr um politisches Geplänkel, taktische Finessen oder Memoranden, sondern um klare und deutliche Stellungnahmen.
Wann die ersten öffentlichen Verlautbarungen des ZB zu den Anschlägen erschienen, ist nicht mehr genau zu recherchieren. Vermutlich datierte die erste Erklärung aus der Nacht vom 5. auf den 6.9.: „Erklärung des Zentralbüros zu den Terroranschlägen“. Das ZB schrieb: „Die KPD/ML ist der Meinung, dass der individuelle Terror, wie ihn die palästinensischen Kämpfer anwenden, dann ein richtiges Mittel ist, wenn es den Kampf der Massen um die Befreiung Palästinas vom zionistischen Joch vorantreibt.“ (6) Vermutlich wurde das nachstehende Flugblatt noch am 5.9. verbreitet. Darin hieß es weiter:
„Der Staat Israel ist ein Mordstaat. Er wurde errichtet durch die Ermordung der arabischen Bevölkerung in Palästina. In einer einzigen Nacht wurde von der israelischen Terrororganisation Irgun die Einwohnerschaft mehrerer hundert arabischer Dörfer umgebracht. Die übrigen Araber flohen in panischem Schrecken über den Jordan in das Gebiet, das bis zum Junikrieg 1967 noch zu Jordanien gehört hatte und heute ebenfalls von Israel beherrscht wird. Dort lebten diese Araber und ihre Familien von 1948 bis 1967 in Elendsquartieren und mussten hungern, denn weder Israel noch Jordanien fühlten sich hier zuständig. Die große Mehrheit hat bis heute keine Arbeit, sie wird systematisch als industrielle Reservearmee gehalten, um den Lohn der übrigen Araber zu drücken. Der Staat Israel umfasst heute mehr Araber als Israelis, aber die Araber werden als Menschen zweiter Klasse behandelt, haben keine staatsbürgerlichen Rechte, werden zu Hungerlöhnen teilweise beschäftigt. Nachdem Israel im Juni 1967 unter der Leitung des Faschisten Moshe Dayan, der seine militärische Qualifikation in der französischen Kolonialarmee in Vietnam erwarb und seither eine Augenklappe trägt, Ägypten und Jordanien überfallen hatte, war der größte Teil der palästinensischen Bevölkerung aus Angst vor erneuter Ermordung noch weiter nach Jordanien geflüchtet. Sie stellt für den jordanischen Staat einen ständigen Unruhkeim dar. Seit dem Juni 1967 haben die Palästinenser immer klarer erkannt, dass sie nur überleben können, wenn sie sich bewaffnet zur Wehr setzen.
Seither gibt es eine große Zahl von Guerillaorganisationen, deren Ziel die Herstellung eines unabhängigen Palästina ist, in dem alle Menschen, gleich welcher Herkunft, gleiche Rechte haben sollen. Im September 1970 überfiel die jordanische Armee, unterstützt von den USA, die palästinensischen Dörfer und schickte Mordkommandos los, um die zurückbleibenden verwundeten Menschen umzubringen. Guerilleros und jordanische Armee lieferten sich erbarmungslose Gefechte, die israelische Armee stand an der Grenze und sorgte dafür, dass niemand entfliehen konnte. Bilanz dieses schwarzen September: über 60 000 Tote. Unter dem Eindruck dieser Geschehnisse radikalisierte sich die palästinensische Widerstandsbewegung. Es bildete sich unter anderem die anarchistische Terrorgruppe 'Schwarzer September'. Es handelt sich um technisch hochqualifizierte Kräfte, die die Entführung von Flugzeugen ebenso beherrschen wie mehrere europäische Sprachen - und die wissen, wie sie sich die notwendigen Waffen besorgen müssen, vom Feind! Israel hat inzwischen mehrere hundert Guerilleros gefangengenommen, z.t. für Schauprozesse präpariert und möglicherweise anschließend ermordet. Von daher wäre die unnachgiebige Haltung der israelischen Regierung zur Freilassungsforderung begreiflich, sie konnten nicht zugeben, dass die Guerilleros bereits nicht mehr leben.
Welche Rolle spielt Westdeutschland in der Israelfrage? Wie andere imperialistische Staaten ist auch Westdeutschland daran interessiert, dass die Araber sich nicht befreien können. Denn damit wäre die Ausbeutung der arabischen Erdölquellen zugunsten der Imperialisten unmöglich. Die Imperialisten sind daher am Vorposten Israel interessieret, der die arabische Welt in Schach hält und aus diesem Grunde von den Imperialisten einschließlich Westdeutschlands mit hochmodernen Waffen ausgerüstet wird. Die westdeutschen Imperialisten begründen diese 'Entwicklungshilfe' für den Mordstaat Israel mit der Kollektivschuld des deutschen Volkes und der Ermordung von 6 Millionen Juden. In Wirklichkeit jedoch ist die Hitlerregierung ein Produkt der deutschen Imperialisten gewesen und hat in deren Interesse gehandelt. Sie hat den größten Teil der Juden auch nicht einfach umgebracht, sondern als billige Arbeitskraft in den KZs (z.B. Ausschwitz-Monowitz) für die Profitinteressen der Stahl- und Chemiekonzerne verheizt. Die israelischen Menschen lassen sich heute ebenfalls für die Profitinteressen der Erdölkonzerne im Kampf gegen das arabische Volk verheizen. Wenn arabische Terroristen Bürger des Staates Israel umbringen, dann rümpfen diese Herrschaften vornehm die Nase und wagen es, von Unmenschlichkeit und Verbrechen zu reden. Zugleich jedoch sind sie eifrig bestrebt, ihre 'Sicherheitsvorkehrungen', die angeblich vor solchen Taten schützen sollen, aber offensichtlich dazu völlig untauglich sind, auf alle Kräfte des Volkes auszudehnen, die bereit sind, gegen ihre Unterdrückungsmaßnahmen den Kampf aufzunehmen. Das Volk von Palästina, aus dessen Mitte heute so viele Terroristen hervortreten, will - wie alle Völker der Welt - in Frieden leben. Das aber machen die Profithaie unmöglich.
Die Hauptverantwortung für die Erschießung der israelischen Geiseln trifft sie. Und das auch ganz konkret: wer hat denn das Feuer eröffnet? Die Genscher, Merck und Schreiber müssen zugeben, es war die Polizei, die nach ihrem Plan handelte. Man wird deutlich erinnert an jene Polizeiaktion gegen den Banditen Rammelmayer (in München in Bayern, bei der man einfach die Geisel mit über den Haufen schoss. Den Imperialisten ist die Wahrung ihres Prestiges kostbarer als das Leben von Menschen; denn wenn ihnen die Maske vom Gesicht gerissen ist, dann ist ihre Existenz keinen Pfifferling mehr wert. Das wissen sie, und nach diesem Gesetz handeln sie. Es ist das Gesetz des Mordes - und daran kann alles krampfhafte Gerede vom olympischen Frieden oder der olympischen Idee nicht vorbeitäuschen. Nicht Ideen bestimmen die Geschichte, sondern die materiellen Verhältnisse. Und die materiellen Verhältnisse, die der Imperialismus schafft, enden in Mord und Krieg. Die Heuchelei der für den Polizeieinsatz in München Verantwortlichen entlarvt sich selbst: die Herren Genscher und Co. begaben sich selbst in die Hände von 'Verbrechern, denen alles zuzutrauen' sei. Ihr freundliches 'Opfer' wurde von den arabischen Terroristen verweigert, denn ihnen ging es darum, die israelische Regierung zum Offenbarungseid zu zwingen.
Während es in der Nacht zum 6. September hieß, Ägypten habe eine Landung abgelehnt, konnte man am Morgen hören, die Landung in Ägypten wäre das Todesurteil für die israelischen Sportler gewesen. Das konnte doch nur dann der Fall sein, wenn der Staat Israel nicht zum Einlenken bereit war. Die Genscher, Merck und Schreiber mussten also wissen, dass die Forderung der Guerilleros unerfüllbar war, weil die in Israel Gefangenen nicht mehr leben. Die Terroristen und ihre Geiseln mussten sterben, weil die westdeutsche Regierung nicht wollte, dass ihr Vorposten Israel den Offenbarungseid leistete. Jetzt lauthals zu wehklagen, dass hier unschuldige Menschen sterben mussten, steht diesen Herrschaften nicht zu, die ohne weiteres bereit sind, ganze Völker ihren Sonderinteressen zu opfern.“ (7)
Natürlich war das Flugblatt durchtränkt von einem Antizionismus und einem Antiisraelismus, der kategorisch das Gesamt-System Israel an den Pranger stellte und polemisch, schon rückwärtsgewandt, die wahren Schuldigen für jedes Massaker benannte. Die „Hauptverantwortlichen“ sind die „Imperialisten“, die „deutsche Polizei“, der „SPD-Staat“, „Merk, Schreiber, Genscher“. Phantastisch verschwamm jeder Bezug zur Realität, unterlegt mit dem eigentümlichen politischen Irrationalismus, der durch die ZB-Politik erst nach und nach an Gestalt gewonnen hatte, wiewohl er sich hier in seiner ausgeprägtesten Form niederschlug. Die moralische Selbstgerechtigkeit, mit der die KPD/ML-ZB auftrat, ist in der Rückschau nicht mehr aufzulösen.
Die Konfusion begann mit der unhistorischen Gleichsetzung von 1936 mit 1972, zog sich durch die Einöde NAR, in der unverhohlen die BRD als „Nachfolgestaat“ des Hitler-Regimes, wenn auch nicht in der Formulierung, aber doch in der Idee bezeichnet wurde, und lobhudelte letztlich in einer nicht mehr zu überbietenden Zynik die Taten des „Schwarzen September“ wie in der „Erklärung des Zentralbüros der KPD/ML. Nieder mit der Kumpanei zwischen dem westdeutschen Revanchismus und dem israelischen Imperialismus“, wo es heißt: „Die Antwort ist: Schuldig sind diejenigen, die 1,2 Millionen Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben haben. Schuldig sind die israelischen Imperialisten, die den Stoßtrupp des amerikanischen Imperialismus gegen die arabischen Völker bilden ... Dagegen hat das palästinensische Volk zu den Waffen und die Völker Arabiens zu den Waffen gegriffen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern ihre Pflicht ... Aber der westdeutsche Revanchismus trägt auch die direkte Schuld für den Tod dieser 16 Menschen ... Nieder mit dem Bonner Staat! Nieder mit dem israelischen Zionismus! Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes.“ (8)
Man könnte sagen, dass der moderne Antiisraelismus programmatisch war; denn die Flugblätter suggerierten eine revisionistische Geschichtsschreibung besonderer Art: Neben dem „israelischen Imperialismus“, der „vernichtet werden muss“, und dem „sowjetischen Imperialismus“, der zusammen mit dem „amerikanischen Imperialismus „vertrieben werden muss“, war es der „westdeutsche Revanchismus“, der die „direkte Schuld“ tragen würde. Die „Vernichtung“ Israels kam hier schon nahe an den Holocaust heran. Und man muss sich fragen, ob das ZB hier nicht unverhohlen einem Antisemitismus und Rassismus besonderer Art frönte? Selbst bei viel good will bleibt die Formulierung: „Die israelischen Zionisten versuchen wie einst Hitler in Europa die arabischen Völker zu versklaven“.
Es waren nicht nur die einzelnen Formulierungen der Flugblätter, die für Unruhe sorgen mussten, es war die ganze obligatorische Propaganda, die blutrünstig nach allerlei Feinden suchte, die „vernichtet“ oder „geschlagen“ werden müssten. Das ZB fand sie abermals in den „Notstandspolitikern des Bonner Staates“. Doch das zweite, viel wichtigere Flugblatt erschien am 6.9., morgens. Das ZB drängte darauf, dass es vor den Betrieben und in den Fußgängerzonen der großen Städte in der BRD verteilt würde. Das Flugblatt des Zentralbüros „Nieder mit der Kumpanei zwischen dem westdeutschen Revanchismus und dem israelischen Imperialismus“, das u. a. auch vom Heidenheimer Amtsgericht mit der Begründung „verfassungswidrig“ beschlagnahmt wurde, hatte folgenden Wortlaut:
„Nieder mit der Kumpanei zwischen dem westdeutschen Revanchismus und dem israelischen Imperialismus. Erklärung des Zentralbüros der KPD/ML. Das Massaker in München hat 16 Tote gekostet. Die Arbeiter und Werktätigen fragen sich wie das geschehen konnte. Und wer die Schuld an diesem Blutbad trägt. Sie fragen das umso mehr als die Idee der Olympischen Spiele die Freundschaft zwischen den Völkern anstrebt. Wer ist der Schuldige an diesem Massaker? Die Antwort ist: Schuldig sind diejenigen, die 1,2 Millionen Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben haben. Schuldig sind die israelischen Imperialisten, die den Stoßtrupp des amerikanischen Imperialismus gegen die arabischen Völker bilden. In ihrer Jagd nach dem Erdöl des Nahen Ostens wollen diese Blutsauger den arabischen Völkern ihre Heimat entreißen und haben es in Palästina mit einer blutigen Reihe von Eroberungskriegen bereits getan. Die israelischen Zionisten versuchen wie einst Hitler in Europa die arabischen Völker zu versklaven.
Dagegen hat das palästinensische Volk und die Völker Arabiens zu den Waffen gegriffen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern ihre Pflicht. Im Nahen Osten kann es nur Frieden geben, wenn die israelischen Imperialisten vernichtet und der amerikanische und sowjetische Imperialismus vertrieben werden. Die Völker der arabischen Staaten und Israels sind nicht die Feinde, sondern die Völker des Nahen Ostens einschließlich Israels sind Verbündete im Kampf gegen die Handvoll Kriegstreiber, die Israel beherrschen. Der zweite Schuldige an diesem Massaker das ist der westdeutsche Revanchismus, der mit riesigen Geldsummen getarnt als Wiedergutmachung für die Verbrechen des faschistischen Deutschlands die Eroberungskriege Israels finanziert. Die DGB-eigene Bank für Gemeinwirtschaft steht dabei an vorderster Front. Aber der westdeutsche Revanchismus trägt auch die direkte Schuld für den Tod dieser 16 Menschen. Entsprechend seiner Komplizenschaft zu den Verbrechen der Zionisten an den arabischen Völkern weigerte er sich, die Forderungen der palästinensischen Revolutionäre zu erfüllen. Ebenso wie die israelischen Regierung weigerten sich die Bonner Notstandspolitiker für die Freilassung von 200 Gefangenen des palästinensischen Volkes sich einzusetzen Stattdessen führten sie eine weitere Notstandsübung durch und töteten so 5 palästinensische Kämpfer und- wenn sie es nicht selber waren - mussten den Tod von 9 israelischen Sportlern verantworten.
Die israelischen Zionisten und die westdeutschen Revanchisten, die das Blut von zahllosen Völkern vergossen haben, das sind die wahren Mörder! Die Olympischen Spiele haben nun endgültig ihre Funktion als Friedensmantel verloren unter dem sich die Kriegstreiber in Westdeutschland verbergen konnten. Sie haben ihren Notstandsapparat in Bewegung gesetzt und 16 Menschen getötet. Die Mörder sitzen in Bonn und Tel-Aviv. Die KPD/ML ist der Meinung, dass der individuelle Terror wie ihn die palästinensischen Kämpfer anwenden, dann ein richtiges Mittel ist, wenn es den Kampf der Massen um die Befreiung Palästinas vom zionistischen Joch voran treibt. Brandt, Genscher, Barzel und Strauß vergießen nun heuchlerisch Tränen, um das von ihnen selbst vergossene Blut. Sie wettern gegen die Gewalt und gegen den Hass und meinen nicht etwa ihre Gewalt und ihren Hass gegen das Volk, sondern den gerechten Kampf der Völker um ihre Befreiung. Genscher und Brandt wollen ihr eigenes Verbrechen dazu ausnutzen um die revolutionären Kräfte und vor allem die Marxisten-Leninisten durch Vorbeugehaft, Ausländergesetz und blutigen Terror, zu vernichten. So wie am ROTEN ANTIKRIEGSTAG Kommunisten, Demokraten und ausländische Arbeiter, die gegen den Militarismus und die Kriegsvorbereitungen des Bonner Staates gekämpft haben, eingekerkert wurden, weil. sie für de Rechte der werktätigen Kassen eingetreten sind, so soll es allen ergehen, die für die Befreiung ihrer Völker kämpfen. Das wird aber weder unseren Kampf noch den des palästinensischen Volkes ersticken können. Die KPD/ML tritt für den Frieden und die Völkerverständigung ein. Es kann aber keinen Frieden mit den Mördern und Kriegstreibern vom Schlage eines Nixon oder Brandt geben. Vielmehr müssen sich die Völker zusammenschließen und, wie jedes in seinem Lande für den Frieden und die Freiheit im Massenkampf im Streik und mit der Waffe in der Hand kämpfen. Die Olympischen Spiele können der Völkerverständigung dienen, wenn sie in den Händen der Völker und nicht der Imperialisten liegen. Das Massaker von München muss uns ein Ansporn sein für den Sturz des Bonner Staates, der so viele Verbrechen am Volk begeht, noch entschlossener und machtvoller zu kämpfen. Nieder mit dem Bonner Staat! Nieder mit dem israelischen Zionismus. Es lebe der Kampf des palästinensischen Volkes.“ (9)
Dass die mal versteckten, mal offenen Sympathiekundgebungen für den Terror des „Schwarzen September“ publizistisch missbraucht wurden, soll nur am Rande interessieren. Viel wichtiger war, dass die „Bonner Notstandspolitiker“ vom ZB nun als übergreifende Weltgefahr betrachtet wurden, die sich weigerten, „sich für die Freilassung von 200 Gefangenen des palästinensischen Volkes einzusetzen“. Der „Schwarze September“ konnte so, wie zum Hohn, hoffähig gemacht werden. Die vom blinden politischen Wiederholungszwang getriebenen ZB-Politiker begriffen nicht, dass der Terror, wie ihn der „Schwarze September“ auszuüben gedachte, die Republik noch mehr polarisieren sollte.
Die ungenügenden Recherchen des ZB über den „Schwarzen September“, die Tatsache, dass hier schwärmerisch und klammheimlich seine Ideen gefeiert wurden und dass der „individuelle Terror“ zu begrüßen sei, wenn er den „Kampf der Massen um die Befreiung Palästinas vom zionistischen Joch vorantreibt“, erklären zwar nicht das gedankliche Chaos und die Orientierungslosigkeit, sind aber Hinweise darauf, dass die Verstrickung in einen möglichen finalen Zusammenstoß mit der Staatsmacht etwas für sich hatte. Schließlich konnte der Propaganda entnommen werden, dass die Gewaltidee weiter lebte.
„Vielmehr müssen sich die Völker zusammenschließen und, wie jedes in seinem Lande für den Frieden und die Freiheit im Massenkampf im Streik und mit der Waffe in der Hand kämpfen. Die Olympischen Spiele können der Völkerverständigung dienen, wenn sie in den Händen der Völker und nicht der Imperialisten liegen. Das Massaker von München muss uns ein Ansporn sein für den Sturz des Sturz des Bonner Staates ... zu kämpfen.“
Die Torschlusspanik blieb erhalten. Schon ziemlich bald müsse nun „mit der Waffe in der Hand gekämpft werden“. Hauptsächlich sagte das doch aus, dass die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, nicht mehr aus der ZB-Politik wegzudenken war. Die rote Linie aus der Gründungszeit der KPD/ML-ZB blieb somit erhalten: „Für die Feinde der Partei richtet das ZB einen N-Apparat ein“, hieß es in einem damals kursierenden Politleiterrundschreiben.“ (10) Endgültig war das Krisenszenario gelegt. Ebenso die Selbsteinschließung, die nicht mehr in einer Selbstbefreiung gipfelte. (11)
Das Datum 5./6.9. veränderte die Geschichte der Bundesrepublik nachhaltig. Der Staat sollte sich nach München rüsten. Die Terroristen des „Schwarzen September“ lieferten u. a. dafür Munition genug. Durch eine Reihe sog. „Terrorgesetze“ (12) versuchte er, sich zu schützen oder zumindest zu vermeiden, dass es in Zukunft zu ähnlichen Gewalttaten kommt. Im Zuge der Baader-Meinhof-Fahndung wurde die Terrorfahndung ausgebaut. Unter der Leitung von BKA-Chef Horst Herold konnten der technische und personelle Ausbau des Polizeiapparates vorangetrieben, die Kriminalpolizei zentralisiert, die Rasterfahndung eingeführt werden. Auf Herold ging auch die Speicherung von „Terrorverdächtigen“ in der ersten Computerdatenbank zurück. Die KPD/ML stand unterdessen immer stärker unter Druck, zumal nach München sich auch die Fernsehöffentlichkeit für sie interessierte.
Das ZDF-Magazin unter der Leitung von Richard Löwenthal nahm am 6.9. abends zu München und zur KPD/ML-ZB Stellung. Dort soll er wie folgt Position bezogen haben: „Die KPD/ML habe die Aktionen des Schwarzen Septembers begrüßt“. Und eine Erklärung verlesen, aus der hervorgehen solle, dass die „eigentlichen Drahtzieher die Maoisten“ seien. Besonders sollen das „Neue Rote Form“ (KG NRF Mannheim/Heidelberg, d. Vf.), die KPD/ML-Roter Morgen und die KPD/ML-Rote Fahne erwähnt worden sein. Diese seien „besonders gefährlich“, weil sie „eine organisierte Partei im Untergrund“ bildeten. (13)
Werden alle verfügbaren Informationen zusammen genommen, dann kommt Licht in diese Düsternis. Das ZB versuchte sich in Krisenbewältigung, die zum einen durch seine entstandnen Provokationen zustande gekommen waren, die inzwischen auch von der bundesdeutschen Presse ausgeschlachtet wurden, und die zum anderen nun auch die Parteibasis stark verunsichern mussten.
Die Kritiken zum Roten Antikriegstag waren in etwa mit denen zu den Aktionen des „Schwarzen September“ gleichzusetzen. Es ging neben dem allgemeinen Unverständnis über den Anschlag darum, dass das ZB seine Haltung zur Gewalt nie verdeutlichen konnte, das es vor allem keine deutliche Position zum individuellen Terror bezog, dass es weder dazu in der Lage war, antiimperialistisch und antifaschistisch zu agieren, und dass es ihm nicht gelang, die „Notstands- und Kriegsolympiade“ zu entlarven. Der KJVD Hamburg und der Aktionsausschuss Hamburger Marxisten-Leninisten (Ex-KPD/ML-ZK, d. Vf.) gehörten wohl mit zu den ersten, die öffentliche Kritik äußerten. (14)
Eine weitere Erklärung der KPD/ML-ZB zum Anschlag des Schwarzen September datiert vom 12.9.1972. Unter dem Kopf der „Roten Fahne“ wurde ausgeführt:
„EINIGKEIT IST UNSERE STÄRKE! ERHEBEN WIR UNSERE STIMME GEGEN DEN POLIZEITERROR! ERKLÄRUNG DES ZENTRALBÜROS DER KPD/ML
Arbeiter, Werktätige!
Vor wenigen Tagen sind die Olympischen Spiele zuende gegangen. Die Völker wollen Verständigung und Frieden. Millionen Menschen blicken in den letzten Wochen nach München, in der Hoffnung, dass diese Spiele dazu beitragen. Deshalb ist die Empörung der Völker über das Massaker von München besonders groß. Das Zentralbüro der KPD/ML hatte zu diesen Ereignissen eine erste Stellungnahme herausgegeben, die einige Schwächen hatte. 'Warum hat die israelische Regierung die Forderungen nicht erfüllt?' - 'Warum verschweigen Brandt, Genscher und Strauß die Hintergründe des Polizeimassakers vom Flughafen?', so und ähnlich sind die Fragen der Volksmassen. Es ist an der Zeit darauf eine Antwort zu geben!
NACH KROKODILSTRÄNEN – BOMBENTERROR!
Arbeiter, Werktätige,
die Völker der Welt wollen den Frieden, wollen Völkerfreundschaft und internationale Solidarität. Es ist die kleine Handvoll Kriegstreiber und Imperialisten, die die Völker verhetzen und unterjochen wollen für ihre Ausbeuterziele. Wenn diese Herren von Frieden und Freundschaft reden - glaubt ihnen nicht! Nixon und Dayan, Strauß und Brandt - am letzten Mittwoch vergossen sie Tränen und beteuerten ihre Friedensliebe. Aber was sind die Taten? Bombenterror über Vietnam, Rassendiskriminierung in den USA! Das ist das wahre Gesicht des US-Imperialismus, des Hauptfeinds der Menschheit. Die israelischen Zionisten sind seine Lakaien, die nach seinem Vorbild die Völker des Nahen Ostens unterjochen wollen. Kaum hatten Dayan und Meir ihre Krokodilstränen vergossen, da starteten sie am Freitag den Bombenterror gegen das palästinensische Volk - über 200 Zivilisten, zum größten Teil Frauen und Kinder, wurden getötet! Das ist nur das letzte Glied in der Kette der Aggressionsakte des Zionismus gegen die arabischen Völker.
Von Anfang an ist der israelische Staat auf Gewalt und Unterdrückung errichtet: 1,2 Mio. Palästinenser wurden 1948 vertrieben, als auf Befehl der US-Imperialisten der Staat Israel gebildet wurde; weitere 350 000 wurden 1967 durch den israelischen Raubkrieg vertrieben, der nach dem Muster der Hitlerschen Blitzkriege angelegt war. In Israel herrscht eine blutige Militärdiktatur: allein 10 000 Araber sind ohne ein Gerichtsverfahren eingekerkert nach dem Muster der faschistischen Vorbeugehaft. Unterdrückung und Raubkriege - das ist das Lebensgesetz dieses Staates, der im Auftrage der Imperialisten die arabischen Völker unterjochen und die arabischen Erdölquellen ausplündern soll. Ein solcher Kriegstreiberstaat muss gestürzt werden, sonst kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben. Die Palästinenser und alle arabischen Völker haben den bewaffneten Kampf gegen die Dayan-Clique und ihre imperialistischen Hintermänner aufgenommen und sie werden diesen Kampf führen, bis das Ziel erreicht ist, das den Frieden sichert: ein Arbeiter- und Bauernstaat in Palästina, in dem Juden und Araber gemeinsam leben. Das ist das revolutionäre Ziel der PLO, der palästinensischen Befreiungsorganisation. Das ist ein gerechtes Ziel und alle Völker werden diesen Kampf unterstützen, weil er den Kriegstreibern in den Arm fällt. Die KPD/ML steht daher voll und ganz hinter dem Befreiungskampf der PLO.
Aber wer steht auf Seiten der Kriegstreiber? Es sind die Leute, die letzte Woche große Krokodilstränen vergossen haben: Nixon und Co, Strauß und Brandt. Die SPD-Regierung ist es, die die Panzer und Kanonen für Dayans Terrorangriffe finanziert, die SPD-Regierung ist es, die alle Verbrechen der Handvoll israelischer Zionisten deckt und sich damit als Komplice der Kriegstreiber erweist.
SCHLAGT GENSCHER, BARZEL, STRAUSS UND BRANDT DIE FRIEDENSMASKE AUS DER HAND!
Arbeiter, Werktätige,
die Bonner Militaristen unterstützen den Bombenterror der Dayan-Clique - aber gleichzeitig geben sich Brandt, Genscher, Strauß als Friedensengel aus! Was soll diese Heuchelei? Es soll verheimlicht werden, dass unter Adenauer, Strauß und Brandt der westdeutsche Militarismus wieder aufgepäppelt worden ist, für den die Werktätigen in Deutschland schon zweimal als Kanonenfutter herhalten mussten. Es soll verdeckt werden, dass diese Militaristen zusammen mit den israelischen Zionisten die Hauptschuldigen für das Massaker von München sind. Die Tatsachen sind eindeutig:
Arbeiter, Werktätige,
die Brandt, Genscher und Strauß, die Komplizen von Nixon und Dayan, wollen Eure Empörung über das Massaker ausnutzen: mit der Maske des Friedensengels soll der Polizeiterror fortgeführt werden. Hier sind die Tatsachen:
Arbeiter, Werktätige,
gegen wen richten sich diese Maßnahmen? Sind es Maßnahmen gegen die Schuldigen des Massakers? Nein - Genscher und Co. sollen durch diese Maßnahmen noch mehr Macht erhalten, die Einheit der Werktätigen soll geschwächt werden: die ausländischen Kollegen, die in allen Streiks der letzten Zeit voll ihren Mann standen, sollen unterdrückt werden; die Marxisten-Leninisten, die in den Kämpfen gegen Notstandskurs, gegen Militarismus und Revanche und für den Frieden, gegen die wirtschaftliche Ausplünderung standhaft für die Interessen des Volkes eingetreten sind, sollen geknebelt werden. Das soll die Kraft der gesamten Arbeiterklasse lähmen!
Warum haben die Bonner Herren eine solche Angst vor der Kraft der Arbeiterklasse und der Werktätigen? Weil die Arbeiterklasse die einzige Kraft ist, die den Bonner Notstandskurs durchkreuzen kann. Sie haben Angst, dass die Arbeiterklasse - wie 1969 mit den Septemberstreiks - durch ihre Massenaktionen den Wahlkampf in die Hand nimmt, ihre eigenen Forderungen nach Sozialismus, wahrer Demokratie und Frieden aufstellt und den Bonner Herren die Rechnung präsentiert. Die Bedingungen sind günstig: Die Massenkämpfe der Arbeiter und Bauern, der werktätigen und studierenden Jugend, der Soldaten und der Kriegsdienstverweigerer (KDV, d. Vf.) sind mächtig angewachsen. Diese Massenkämpfe sind es, die die Aufrüstungs- und Mobilmachungspläne unterhöhlen. Der letzte Höhepunkt war der ROTE ANTIKRIEGSTAG: in Betrieben, Kasernen und Schulen hatten sich Komitees gegen die Massenmilitarisierung gebildet. Der SPD-Stadtrat von München wollte den antimilitaristischen Kampf unterdrücken - aber der ROTE ANTIKRIEGSTAG hat die Polizeiketten durchbrochen und sich die Demonstrationsfreiheit erkämpft. Das ist der richtige Weg, um dem Militarismus die Faust der Arbeiterklasse entgegenzusetzen: wir dürfen uns nicht durch volksfeindliche Gesetze einschüchtern lassen, aber genauso klar sagen wir: Nur Massenbewegungen, die wirklich die Aktivität und das Bewusstsein der Arbeitermassen anspornen, sind wirklich revolutionäre Aktionen. In der ROTEN FAHNE 12/72 (vgl. 12.6.1972, d. Vf.) haben wir dazu deutlich gesagt: 'Die Anarchisten meinen, sie könnten ohne die Arbeiterklasse die Revolution machen und so die Massen in Bewegung bringen. Wir aber sagen: Massenaufklärung, Massenwiderstand, Massenkampf, Einheitsfront und keine Abenteuer das ist die Parole der Kommunisten.'
SELBSTKRITIK DES ZENTRALBÜROS DER KPD/ML
Das ZB der KPD/ML übt entschieden Selbstkritik, dass es in der letzten Erklärung vom 6.9. diesen klaren Standpunkt nicht entschieden vertreten hat. Wir haben nicht klar beantwortet: Wie stehen wir zur Aktion der Palästinenser? Die Kollegen fragen: ist eine solche Aktion gegen Sportler bei der Olympiade berechtigt?
Unsere Antworten sind klar: Für die Massen in aller Welt sind die Olympischen Spiele ein Zeichen für die Völkerverständigung, für die große Einheit der Völker der Welt. Darum ist ja die rhodesische Mannschaft (aus Zimbabwe, d. Vf.) ausgeschlossen worden, weil die rhodesischen Rassisten die Gleichberechtigung der Völker und der Rassen mit Füßen treten. Gerade die Spiele in München waren ein Beweis dafür, dass die kleinen und mittleren Länder in der Welt sich zusammenschließen und die Völkerfreundschaft gegen Kriegshetzer und Rassisten stärken. Darum war die Olympiade der falsche Ort und die Sportler die falschen Geiseln. Weiter. Diese Aktion hat nicht dazu beigetragen, dass die Volksmassen in Palästina und in Westdeutschland sich enger miteinander verbunden haben gegen die Kumpanei von Dayan, Brandt und Strauß.
Darum war diese Aktion schädlich für die Revolution. Darum heißt es für uns erst recht: knüpft das Band zwischen dem palästinensischen Volk und den Werktätigen Westdeutschlands fester! Entschlossene Unterstützung der legitimierten Widerstandsorganisation des palästinensischen Volkes, der PLO! Entschlossene Unterstützung der berechtigten Forderung: Freiheit für die politischen Gefangenen in Israel! Entschlossener Kampf gegen die Drohungen der SPD-Führer KÜHN und Wischnewski, die palästinensischen Organisationen in Westdeutschland zu unterdrücken! Das ZB der KPD/ML übt entschiedene Selbstkritik, weil es in seiner Erklärung vom 6.9. zum Polizeimassaker in München die Krokodilstränen von Nixon, Strauß und Brandt nicht nachdrücklich und anschaulich entlarvt hat. Es übt weiter entschiedene Selbstkritik, weil es in dieser Erklärung den Werktätigen nicht gezeigt hat, was jetzt getan werden muss. In den Betriebsgruppen ist unsere Erklärung heftig diskutiert worden und viele Kollegen haben uns kritisiert, weil wir eine unklare Stellung zum individuellen Terror eingenommen haben und weil wir nicht klar gesagt haben, was jetzt zu tun ist. Durch eine rege Diskussion vieler Parteibetriebsgruppen wurden die Fehler festgestellt. Auf dieser Grundlage hat das ZB der KPD/ML jetzt diese neue Erklärung und diese Selbstkritik verfasst. In der nächsten Ausgabe der ROTEN FAHNE werden Kritiken und Stellungnahmen aus der Diskussion in der Partei genauso abgedruckt werden wie ausführliche Artikel über den Zionismus und den Bonner Militarismus.
GEMEINSAM VORWÄRTS GEGEN DEN POLIZEITERROR!
Was ist jetzt zu tun? Hamburger Genossen der KPD/ML und andere Marxisten-Leninisten haben auf einer Veranstaltung (vgl. 7.9.1972, d. Vf.) die erste Erklärung des ZB wegen ihres Sektierertums entschieden kritisiert. Sie sind aber dabei nicht stehen geblieben. Sie haben eine Aktionseinheit gebildet, die die Aufgabe hat, alle Demokraten, Antifaschisten und Antimilitaristen zusammenzuschließen im Kampf gegen die neue Terrorwelle. Als ersten Beweis haben sie gleich 43 DM an Spenden gesammelt zur Unterstützung der politischen Gefangenen von München.
Arbeiter! Werktätige, handeln wir genauso! Niemand darf der neuen Terrorwelle, der Anwendung von Vorbeugehaft und Terrorgesetzen tatenlos zusehen! Niemand darf sich durch das Friedensgeklingel von Genscher, Barzel, Strauß und Brandt einlullen lassen! Ein Dutzend politischer Gefangener sitzen seit dem ROTEN ANTIKRIEGSTAG in Haft. Der KPD/ML soll das Demonstrationsrecht geraubt werden, unsere Flugblätter werden beschlagnahmt, unsere Büros überfallen. Das sind die Tatsachen des Bonner Polizeistaates, das sind die Zeichen der neuen Terrorwelle, die gegen Kommunisten und Demokraten, gegen Arbeiter und Werktätige gerichtet wird.
Arbeiter, Werktätiger,
schließen wir uns zusammen unter den Losungen:
WEG MIT DEM REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZ!
FREIHEIT FÜR DIE POLITISCHEN GEFANGENEN!
WEG MIT DEM DEMONSTRATIONSVERBOT - STRASSE FREI FÜR DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI!
WEG MIT DEM KPD-VERBOT!
Arbeiter, Werktätige!
Übt praktische Solidarität: Lest die ROTE FAHNE. Führt Spendensammlungen durch für die politischen Gefangenen in München! Bildet starke Komitees gegen die Terrormaßnahmen!“ (15)
Im Grunde ist der Pfad von der Befürwortung einer Aktion zur scheinbaren Selbstkritik mit tausend Lianen verwoben. Und letztere muss dorthin zurückgetragen werden, wo sie ihren Ursprung hatte: in der Verfolgung der Revolutionäre durch den „Bonner Polizeistaat“, der seine „Terrorwelle“ gegen die „Kommunisten und Demokraten, gegen Arbeiter und Werktätige“ richtet. Diese Aktion sei „schädlich für die Revolution“ gewesen, meinte das ZB, um im gleichen Atemzug zur „entschlossenen Unterstützung der legitimierten Widerstandsorganisation des palästinensischen Volkes, der PLO“ aufzurufen. Wie der Informationsfluss des ZB hier ausgesehen hatte, ist unklar. Und ob die Informationen der ZB-Auslandsabteilung (16) tatsächlich den Stand der Dinge wiedergab, muss ungeklärt bleiben.
Dass die Bande zwischen der PLO und einer ihrer damaligen Fraktionen, dem „Schwarzer September“, eng geknüpft waren, daran bestand schon damals kein Zweifel. Ob er im Auftrag der Al Fatah/PLO gehandelt hatte, kann nicht beurteilt werden. Jedenfalls hatte Abu Daud in verschiedenen Interviews der jüngsten Zeit keinen Zweifel daran gelassen, dass es um die „Sache der Palästinenser“ ging, um die „Erzielung von weltweiter Aufmerksamkeit“, was eine Rechtfertigung der Ereignisse nach sich zieht. Zwar hatte Al Fatah/PLO sich direkt nach bekannt werden von dem Attentat distanziert, doch die Taten anderer Terrorkommandos aus ihrem Umfeld, die weiterhin weltweit agierten, nie vereitelt.
Kurz nach dem Münchener Attentat machte vor allem der israelische Mossad Jagd auf die überlebenden Terroristen des Schwarzen September, jagte sie auf der ganzen Welt und liquidierte sie. Drahtzieherin für die sog. „Ausschreibung“ der besten „Terroristenjäger“ war die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (März 1969 bis März 1974). Sie soll, dem Buch des Kanadiers George Jonas „Der schwarze September. Der Mossad im Einsatz“ (17) folgend, die Agenten des Mossad oder deren Handlanger „persönlich“ ausgewählt haben.
Angesichts der allgemeinen Verunsicherung, die sowieso schon vorherrschte, tat das ZB dennoch so, als ob es über Informationen verfügte, mit denen sich der wahre Hergang beschreiben ließ. Es deutete in dem Flugblatt ja an, dass die „legitime PLO“ eine „Widerstandsorganisation“ sei, die das palästinensische Volk“ führe, und dass man wohl deren „berechtigte Forderungen unterstützt“. Klar war, dass von den eigentlichen Ereignissen abgelenkt wurde und stattdessen die „neue Terrorwelle“, die nun auf Kommunisten zukäme, gebrandmarkt wurde. Die Flugblattaussagen waren eindeutig:
„Freiheit für die politischen Gefangenen in Israel! Entschlossener Kampf gegen die Drohungen der SPD-Führer KÜHN und Wischnewski, die palästinensischen Organisationen in Westdeutschland zu unterdrücken! Das ZB der KPD/ML übt entschiedene Selbstkritik, weil es in seiner Erklärung vom 6.9. zum Polizeimassaker in München die Krokodilstränen von Nixon, Strauß und Brandt nicht nachdrücklich und anschaulich entlarvt hat. Es übt weiter entschiedene Selbstkritik, weil es in dieser Erklärung den Werktätigen nicht gezeigt hat, was jetzt getan werden muss. In den Betriebsgruppen ist unsere Erklärung heftig diskutiert worden und viele Kollegen haben uns kritisiert, weil wir eine unklare Stellung zum individuellen Terror eingenommen haben ... “
Die „Notstandsknüppel“ Genscher, Barzel, Strauß und Brandt „wurden nicht nachdrücklich und anschaulich entlarvt“. Und es gab ein „Polizeimassaker“, was vom ZB nachträglich in ihre Konzeption eingeschoben wurde. Das war die Methode: Haltet den Dieb, ein Ablenkungsmanöver der schlimmsten Sorte, weil es immer noch darauf insistierte, bloße Binnen-Allgemeinheiten von sich zu geben, ohne ihren totalen (fast schon: totalitären) politischen Standort aufzugeben.
Es folgte die „Rote Fahne“ (Nr.19/1972) vom 18.9.1972 mit dem Leitartikel: „Einigkeit ist unsere Stärke. Wer sind die wirklichen Mörder von München? Verfolgung deutscher und ausländischer Kommunisten, Antifaschisten und Demokraten!“ Ausgeführt wurde darin:
„Die Olympiade in München ist vorbei. Aber die politischen Folgen dieser Spiele werden immer sichtbarer. Am 13. September tagte die Konferenz der Polizeiminister des Bundes und der Länder. Sie beschloss: Mehr Geld und weiterer Ausbau des Verfassungsschutzes; eine besondere Killertruppe der Polizei wird gebildet: die ausländischen Arbeiter unterliegen verschärftem Visumzwang. Weiter sollen die Neuwahlen früher als geplant bereits am 19. November stattfinden. Mit einem Wort: Die Angst der Bonner Politiker vor dem Volk ist gewachsen. Deswegen wird jetzt der Polizeiterror verschärft und die Wahlen blitzschnell über die Bühne gezogen. Warum diese Angst und Eile? Die Olympiade ist nicht so verlaufen, wie die SPD-Regierung es erhofft hat ... Die Kriegstreiber sollten als 'Friedensengel' erscheinen. München sollte eine Olympiade der 'heiteren Spiele' sein - so sahen die Pläne der SPD-Regierung aus. Diese Pläne sind gründlich gescheitert. Sie scheiterten, weil die Untaten sich nicht verbergen lassen. Auch durch das Aufgebot von 35 000 Mann Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS, d.Vf.) nicht. Sie scheiterten, weil auch die Bundesrepublik ein Kriegstreiberstaat ist ...
Gegen diese Politik und für Sozialismus und Frieden demonstrierten am Roten Antikriegstag die KPD/ML und der KJVD zusammen mit anderen marxistisch-leninistischen Organisationen, Demokraten und Antifaschisten. Und was geschah. Zuerst verbot die SPD-Stadtverwaltung die Innenstadt für die Demonstration, deren Ziele durchaus den olympischen Ideen entsprachen. Als die KPD/ML diesen Raub der Demonstrationsfreiheit nicht hinnahm und mit organisierter Gewalt die Bannmeile am Karlstor in München durchbrach, schlugen die Knüppelhorden der Polizei die Demonstranten zusammen. Am nächsten Tag wurde unter der direkten Beobachtung von Genscher eine legal angemeldete Demonstration durch den Bundesgrenzschutz aufgelöst. 11 Demonstranten sitzen seitdem in Vorbeugehaft. So sieht der 'olympische Friede' aus ... Noch mehr wurde der falsche Schein einer 'heiteren Olympiade unter der Oberaufsicht Bonns' zerstört, als am 5. September ein Kommando der palästinensischen Organisation 'Schwarzer September' in das olympische Dorf eindrang und die israelischen Sportler zu Geiseln erklärte, die im Austausch gegen 200 Gefangene aus Israel ausgetauscht werden sollten.
Der Ausgang der Aktion ist bekannt. Hinterher wurde der Tod der Geiseln ausgenutzt, um gegen 'Gewalt und Terror' zu hetzen ... Tel Aviv und Bonn sind die wirklichen Mörder ... Denn schon wenige Tage nach dem Massaker überfallen zionistische Flugzeuge Flüchtlingslager der Palästinenser und töten 200 Menschen. Die SPD-Regierung hat in Kumpanei mit der israelischen Regierung gehandelt, weil die westdeutschen Monopolherren das Öl des Nahen Ostens unter ihre Kontrolle bringen wollen ... Jetzt, nachdem die Verfälschung der olympischen Spiele durch die SPD-Regierung 'kaputtgegangen' ist, verstärkt die Brandt-Regierung den Polizeiterror. Er richtet sich vor allem gegen die Ausländer ... Besonders der ROTE ANTIKRIEGSTAG hat die Herren in Bonn in Angst und Schrecken versetzt, weil mit organisierter revolutionärer Gewalt ein Recht erkämpft wurde, das Recht auf die freie Straße ... Jetzt soll das Verbot der KPD/ML und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen vorbereitet werden. Außerdem soll die Wahl deshalb so schnell über die Bühne gehen, damit durch eine Wahlbeteiligung der KPD/ML nicht die Bevölkerung breit über die Politik der Bonner Parteien aufgeklärt und für die Ziele der KPD/ML gewonnen wird ... Der zweite Mörder ist die SPD-Regierung, die von Anfang an in enger Verbindung zur zionistischen Regierung stand ... Auf dem Flughafen wurde den Palästinensern eine Falle gestellt und unter der Oberaufsicht zweier israelischer Geheimdienstoffiziere, die extra nach München gereist kamen ...
Was ist jetzt zu tun? Hamburger Genossen der KPD/ML und anderer Marxisten-Leninisten haben eine Aktionseinheit gebildet, die die Aufgabe hat, alle Demokraten, Antifaschisten und Antimilitaristen zusammenzuschließen im Kampf gegen die neue Terrorwelle. Arbeiter! Werktätige! Handeln wir genauso! Niemand darf der neuen Terrorwelle, der Anwendung von Vorbeugehaft und Terrorgesetzen tatenlos zusehen! Niemand darf sich durch das Friedensgeklingel von Genscher, Barzel, Strauß und Brandt einlullen lassen ... Schließen wir uns zusammen unter den Losungen: Weg mit dem reaktionären Ausländergesetz! Freiheit für die politischen Gefangenen!“ (18)
In der gleichen Ausgabe hieß es in einer „Gemeinsamen Erklärung des ZB der KPD/ML (Rote Fahne) und des ZK der KPD/ML (Roter Morgen) - Die Fortführung des Kampfes im Geiste des Roten Antikriegstages":
„München hat auch gezeigt, dass die Monopolbourgeoisie, diesem gerechten Kampf des deutschen Volkes ihren brutalen Terror gegenüberstellt, immer offenere faschistische Unterdrückung ausübt. Die Bourgeoisie und ihre Staatsbüttel haben in München gegen die Antiimperialisten die Notstandsgesetze (NSG, d. Vf.) angewandt. Sie haben mit Tausenden Polizeitruppen aus ganz Westdeutschland und vor allem mit der Bonner SS, dem Bundesgrenzschutz das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf die Straße, außer Kraft setzen wollen. Sie haben Kommunisten, Antimilitaristen und fortschrittliche ausländische Arbeiter verhaftet und die Vorbeugehaft angewandt. Sie haben eine Bannmeile in München errichtet, um die Wahrheit über ihre Kriegsvorbereitungen, die Wahrheit über ihren Notstandsterror vom Volk fernzuhalten. Dagegen haben die Antimilitaristen in München gekämpft und dieser Kampf muss weitergeführt werden.
In München wurde ein generelles Demonstrationsverbot gegen Kommunisten erlassen ... Weg mit dem Demonstrationsverbot! Straße frei für die Kommunistische Partei! Die Bourgeoisie und ihre Staatsbüttel haben ihren ganzen gewaltsamen Unterdrückungsapparat nach München zitiert, um die gewaltsame Aufrechterhaltung ihrer Klassenordnung zu demonstrieren. Polizei, Bundesgrenzschutz und Militär wurden zum Schutz, der versammelten Reaktion, von allem was verfault und abstirbt, zusammengezogen. Kampf dem Notstands- und Polizeiterror! Den Notstandsbütteln die Faust ins Gesicht! Olympia in München hat gezeigt ... . Verschärfter Polizeiterror gegen Ausländer, Ausweisung und Auslieferung ausländischer Patrioten und Revolutionäre an Henkerregime in ihrer Heimat. Unser Kampf gilt dem Rassismus und Chauvinismus der westdeutschen Bourgeoisie. Weg mit den reaktionären Ausländergesetzen!
Wir kämpfen: Gegen das KPD-Verbot, gegen die Kriminalisierung, die Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML! Schluss mit dem Terror gegen Marxisten-Leninisten! Wir fordern alle marxistisch-leninistischen Organisationen und alle demokratischen und fortschrittlichen Menschen in Westdeutschland und Westberlin auf: Beteiligt Euch an der Bildung eines Solidaritätskomitees zur Befreiung der gefangenen Antimilitaristen, beteiligt euch an dem Kampf gegen den Bonner Notstandskurs! Es ist notwendig, dass überall in Westdeutschland und Westberlin Versammlungen stattfinden, Komitees gebildet werden, Spendensammlungen durchgeführt werden. Es ist notwendig, diesen breiten Strom des Kampfes in eine machtvolle Demonstration münden zu lassen.“ (19)
Die „Mörder“ sitzen in „Tel Aviv und Bonn“. Nachdenklicher, vorsichtiger, gar skeptischer war die KPD/ML-ZB nicht geworden. Tatsächlich zog sie keinerlei Lehren aus den Münchener Ereignissen. Ihre „Selbstkritik“ klang nicht nur wie ein Hohn, sondern sie war vielmehr das Ergebnis eines verglühenden Feuerwerkes. Ist die letzte Rakete erst verbrannt, steigt die nächste in den Nachthimmel. In der „Roten Fahne“ (Nr. 19) war alles von gestern. Schall und Rauch. Wen kümmerte das Geschwätz von gestern noch? Es blieb das Gefühl des Unheimlichen und der Derealisierung bestehen. Das ZB sah sich nun selbst als Opfer, als gejagte Partei. Und der „Bonner Mörderstaat“ würde nun alles unternehmen, um das „Verbot der KPD/ML“ vorzubereiten. Die Klassenkämpfe mussten sich ob dieser ideologischen Unbeweglichkeit zuspitzen, die Waffe der Kritik wurde zu einem materiellen Schwert, mit dem die Demonstrationsfreiheit erkämpft wurde. Mit dieser Ausgabe der „Roten Fahne“ war die linksradikale ZB-Avantgarde zum faktischen Gewaltadepten geworden. Der dilettantische Aufguss aus klassischer KPD-Terminologie und neumodernen RAF-Ergüssen war in Wahrheit das Produkt ihrer brutalen SPD-Politik.
„Tel Aviv und Bonn sind die wirklichen Mörder ... Denn schon wenige Tage nach dem Massaker überfallen zionistische Flugzeuge Flüchtlingslager der Palästinenser und töten 200 Menschen. Die SPD-Regierung hat in Kumpanei mit der israelischen Regierung gehandelt, weil die westdeutschen Monopolherren das Öl des Nahen Ostens unter ihre Kontrolle bringen wollen ... Jetzt, nachdem die Verfälschung der olympischen Spiele durch die SPD-Regierung 'kaputtgegangen' ist, verstärkt die Brandt-Regierung den Polizeiterror.“
Im Grunde genommen ließ sich das ZB auf keinerlei Konzessionen gegenüber seiner eingeleiteten Politik ein. Wenn irgendetwas gegen den Staat aufgewiegelt werden konnte, dann wurde es auch getan. Das SPD-Projekt war somit das Ergebnis der politischen Irritationen, die sich in vorübergehende Bemühungen einer Einflussnahme auf die Massen niederschlugen. Da die eigentliche Diskrepanz zwischen den Zielen und Methoden lag, zwischen dem Wunsch und der Realität, musste sie stets in der Vormundschaft enden. Die „größten Verräter an der Arbeiterklasse“, die SPD, brachten dem ZB taktisch und strategisch keinerlei Spielraum. Es war gezwungen, sich auf riskante und unbestimmbare politische Manöver einzulassen. Diese völlige Verschwommenheit gebar das Feindbild des Global Player, der mit München ein Weltendrama vom Zaun brach. Die SPD war Vorkämpfer „der Kumpanei“ geworden, die zusammen mit der „israelischen Regierung“ gehandelt habe, „weil die westdeutschen Monopolherren das Öl des Nahen Ostens unter ihre Kontrolle bringen wollen“.
Indem die SPD der Welt den (politischen) Krieg erkläre, unterliege sie jenem blinden Wiederholungszwang, der aus der Weimarer Zeit bekannt sei. Das könnte m.E. auch die (nationale) Hauptableitung für das Zustandekommen der „Linie zur Sozialdemokratie“ überhaupt gewesen sein. Die BRD war nach München von Feinden umgeben. Diese kollektive Replik rief die SPD zum überdimensionalen „Volksverräter“ aus. Die Bedrohung des Staates wurde durch sie bis ins Unerträgliche aufgeblasen. Der universelle Verdacht des ZB gegen die überall vermuteten Staatssympathisanten, den Feinden aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften, Kultur usw., erhärtete sich mit München. München war das Ergebnis der Ostverträge, des Notstandes, des Machtwechsels, der Aufrüstung, der Neuwahlen (20) und der Revanchepolitik
Die SPD war mit München sozusagen zur Speerspitze der Konterrevolution und der politischen Restauration geworden, eben „Mörder“. Als solche dazu bereit, physischen und psychischen „Polizeiterror“ auszuüben. Hassgeladen war die Atmosphäre, in der das ZB die Bedingungen und Fortführung des Kampfes beschrieb. „Noch mehr wurde der falsche Schein einer 'heiteren Olympiade unter der Oberaufsicht Bonns' zerstört, als am 5. September ein Kommando der palästinensischen Organisation 'Schwarzer September' in das olympische Dorf eindrang und die israelischen Sportler zu Geiseln erklärte, die im Austausch gegen 200 Gefangene aus Israel ausgetauscht werden sollten. Der Ausgang der Aktion ist bekannt. Hinterher wurde der Tod der Geiseln ausgenutzt, um gegen 'Gewalt und Terror' zu hetzen ... “
Im Geflecht der Anwürfe und Bezichtigungen ragte die „Oberaufsicht Bonns“ heraus, das sich an der militärischen Operation gegen die Palästinenser beteiligt habe. Innenminister Genscher war sozusagen die Hauptattraktion, ein geniales Spielzeug, mit dem sich alles machen ließ. Genscher war eine ausgetüftelte Mixtur aus organisiertem Widerstand gegen die KPD/ML und der Apparatur des Polizeiapparates. Die Rolle Genschers während der Aktionen in München ist indes bekannt. Dass er eine besondere Rolle im „Kampf gegen die KPD/ML“ einnahm dagegen weniger. Dass er, wie von der KPD/ML immer ins Spiel gebracht, die „Oberaufsicht“ am Roten-Antikriegstag hatte und direkt den Polizeiapparat anleitete, mit Gewalt die „Bannmeile“ zu schützen, war pure Phantasie.
Doch anders konnte die SPD-Politik des ZB nicht mehr erklärt werden. Sie musste sich nur zu diesem Extrem zuspitzen:
„Besonders der ROTE ANTIKRIEGSTAG hat die Herren in Bonn in Angst und Schrecken versetzt, weil mit organisierter revolutionärer Gewalt ein Recht erkämpft wurde, das Recht auf die freie Straße ... Jetzt soll das Verbot der KPD/ML und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen vorbereitet werden. Außerdem soll die Wahl deshalb so schnell über die Bühne gehen, damit durch eine Wahlbeteiligung der KPD/ML nicht die Bevölkerung breit über die Politik der Bonner Parteien aufgeklärt und für die Ziele der KPD/ML gewonnen wird ... Der zweite Mörder ist die SPD-Regierung, die von Anfang an in enger Verbindung zur zionistischen Regierung stand ... Auf dem Flughafen wurde den Palästinensern eine Falle gestellt und unter der Oberaufsicht zweier israelischer Geheimdienstoffiziere, die extra nach München gereist kamen ... “
Was der bloße Blick nicht freigab, musste die Übertreibung ersetzen. Eine besondere elementare Beweisführung gipfelte in der Aussage, dass die Neuwahlen nun „schnell über die Bühne gehen“, damit „durch eine Wahlbeteiligung der KPD/ML nicht die Bevölkerung breit über die Politik der Bonner Parteien aufgeklärt und für die Ziele der KPD/ML gewonnen wird“. Nach dieser Lagebeschreibung bestand kein Zweifel daran, dass die Verschanzung das wichtigste Thema wurde, das es anzupacken galt. Einerseits war das Verbot der Organisation nicht mehr abzuwenden, andererseits sollte ein letztes Mal die sozialdemokratische Regierung mit gewohnter Überheblichkeit abgestraft werden. Der imaginäre Bezugspunkt las sich wie eine Apokalypse, die einen Auslöser beschrieb, der sich überall anzuwenden schien. Alle politischen Unheilsverhalten lagen wie unter einer großen Glocke bereit. Es galt, fündig zu werden, um daraus die Angriffe gegen die SPD zu führen.
Das ZB lebte von der Halluzination und vom geschichtlichen Augenblick des anstehenden Verbots der KPD/ML. Alle Erklärungsversuche bündelten sich in jenen Destruktivkräften, die in der SPD bestanden und die sie abzusondern begann, indem sie die Steuerung und die Gesamtkontrolle über den Staat übernahmen. Die Rückkehr der Geschichte brach wie ein Geschwür über alles herein. Im völligen Vakuum zwischen Nazitum und Faschismus, zwischen NAR und Bundesgrenzschutz, Mördern und Kumpanei gefangen, bekam die unheilschwangere Idee, nun in den Untergrund zu gehen, ein fratzenhaftes Spiegelbild, das einmal an die Wand geworfen, einer Selbstermächtigung gleichkam.
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