Zur Hauptübersicht der Datenbank MAO
Kapitel
Jeder schien es zu spüren: mit dem RAKT und den Aktionen des „Schwarzen September“ veränderte sich die Republik zum Negativen. Und das nicht erst 1976, wie es vor allem die linke Geschichtsschreibung will. Zwar hatte der Blick ins Angesicht des Todes 1976 einen anderen Stellenwert als 1972, doch die Rivalen der Revolution rüsteten mit dem RAKT auf. Zwar nicht primär militärisch, aber eben doch nach deren innerer Logik politisch sanktionierend und verschärfend. Die Strafverfolgungsgesetzgebung wurde zentralisiert, der Staat setzte auf Abwehr- und Gegenwehrmaßnahmen, bei denen die GSG (Grenzschutzgruppe) unter Oberstleutnant Wegener eine wichtige Rolle spielen sollte, die ja ihre Geburtsstunde im Münchener Geiseldrama hatte. (1)
Das „Anti-Terrorpaketgesetz“, das am 20.12.1974 vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden war (2), hatte seinen Vorläufer in den drei verfassungsändernden Gesetzen zur inneren Sicherheit, dem bundeseinheitlichen Waffengesetz, der Bereitstellung des Bundesgrenzschutzes als Eingreifreserve der Länder zur „Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ und dem „Haftgrund bei Tatwiederholung“ (Vorbeugehaft), die allesamt am 22.6.1972 verabschiedet worden waren. Dem BKA und dem Verfassungsschutz kamen dabei eine besondere Funktion zu (3); denn sie erhielten „legale“ Möglichkeiten der Überwachung, Verfolgung und Bespitzelung.
Mit der zur Olympiade verabschiedeten Gesetzgebung, dem Verbot von Demonstrationen, Einkesselung von Demonstranten, vorübergehende Beugehaft und dem „Gesetz zum olympischen Frieden“ erteilte der Bundestag dem Staat weitgehende Vollmachten. Die „Verfolgung“ von Revolutionären durch den Staat, wie es später heißen sollte, dürfte m.E. hier einen gewissen Ursprung gehabt haben. Bereits kurz nach Beendigung der Olympischen Sommerspiele von München, sollten tatsächlich aktive Mitgliedern und Sympathisanten der Linken und der Marxisten-Leninisten in bisher ungeahnter Weise ins Visier geraten. Ein Schwerpunkt waren nach der Geiselnahme von München Übergriffe u.a. auf palästinensische Gruppen und Organisationen. Namentlich wurde ein Verbot der „Generalunion palästinensischer Arbeiter“ (GUPA) und „Generalunion palästinensischer Studenten“ (GUPS) in Erwägung gezogen. Auch die Gruppierungen „People’s Front for the Liberation of Palestine“ (kurz: PFLP) und „Front democratique et populaire de liberation de la Palestine“ (kurz: FDPLP) gerieten unter Verdacht, „linksextremistische Organisationen“ und „Terrororganisationen“ zu sein, von denen eine „Gefahr für den Staat ausgehe“.
Eine neue und damit gesetzlich verabschiedete Ausländergesetzgebung gab es indes 1972 nicht, aus der hätte gefolgert werden können, dass der Staat sie anwenden würde, um zu „Kriminalisierungen“ und (extremer) „politischer Unterdrückung“ zu greifen. Mit dem RAKT und teilweise schon weit davor, bildeten sich Komitees gegen „Ausländergesetze“ und „politische Unterdrückung“. Vorreiter dürften u.a. die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund gewesen sein. Die von den Komitees verbreitete Auffassung, dass sie sich „in besonderem Maße vor allem gegen die ausländischen Arbeiter und ihre Organisationen, die mit 2,24 Mio. 12% der arbeitenden Bevölkerung der BRD und Westberlins ausmachen (Februar 1972) und die vor allem aus den Ländern des Mittelmeerraums kommen“, richten würde, (4) war nur die halbe Wahrheit. Eine (direkte) Bedrohung für Leib und Leben ausländischer Mitbürger hatte keine Grundlage. Dass mit dem „Ausbau des staatlichen Unterdrückungsapparates und der Verschärfung der inneren Reaktion“ speziell „gegen alle fortschrittlichen Ausländer“ vorgegangen werden sollte, gehörte in den Bereich der Fabeln. Allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, dass eine Reihe von ausländischen ML-Organisationen vermutlich ab diesem Zeitpunkt einer gesonderten Beobachtung unterlagen.
Die ersten Dokumente zum „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze“ legten die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund mit der „Plattform für den Kampf gegen das Ausländergesetz und die politische Unterdrückung“ vermutlich zum 31.7.1972 vor. Als Begründung für die Schaffung einer eigenen Organisationsform wurde angegeben:
„Mit dem Ruf nach ‚innerer Sicherheit’ unter einem von ihr selbst geschaffenen Vorwand - der blutigen Jagd auf die Anarchisten der RAF - haben die westdeutschen Imperialisten in den vergangenen Wochen und Monaten den staatlichen Terror weiter verschärft. Dass Straßensperren von MP-bewaffneten Polizisten heute bereits zum ‚alltäglichen Bild’ auf den Straßen gehören, ist eine Seite dieser Maßnahmen. Die einmütige Verabschiedung von vier Gesetzen zur ‚inneren Sicherheit’ durch alle Parteien des Bonner Bundestages am 22.6.1972 eine andere.
Diese Gesetze,
Kampf dem reaktionären Ausländergesetz, Kampf der politischen Unterdrückung - das bedeutet deshalb, neben der umfassenden und tiefgehenden Enthüllung des wahren Charakters dieser Unterdrückungsmaßnahmen besonders den Kampf gegen die Ideologie vom kleineren Übel zu führen. Ist es doch gerade diese ‚fortschrittlichere’ SPD, die im trauten Verein mit der CDU/CSU die Gesetze zur ‚inneren Sicherheit’ verabschiedet hat. Eine Kampffront gegen das Ausländergesetz und die politische Unterdrückung muss deshalb auch gegen die Demagogen und Führer geschmiedet werden, die uns diese erwiesenen Feinde des Volkes als Verbündete anpreisen wollen.
In den letzten Jahren haben immer mehr ausländische und deutsche Arbeiter erkannt, dass diese Maßnahmen der Unterdrückung der gesamten Arbeiterklasse dienen, haben sie erkannt, dass es darum geht, den Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung solidarisch und in einer gemeinsamen Front aufzunehmen. Dies hat sich besonders deutlich in den vergangenen Streiks der Chemie- und Metallarbeiter gezeigt, in denen sich die ausländischen Kollegen nicht als Spaltungsinstrumente und Streikbrecher missbrauchen ließen, sondern stattdessen mit in der vordersten Front der kämpfenden Kollegen standen. Auch organisieren sich immer breitere Teile der ausländischen Arbeiter und auch Studenten in den revolutionären Organisationen ihrer Heimatländer und unterstützen die Befreiungsbewegungen ihrer Völker. Angesichts dessen verschärft die Monopolbourgeoisie und ihr Staatsapparat noch weiter die Unterdrückung aller fortschrittlichen Ausländer und ihrer Organisationen.“ (5)
In dem Papier „Prinzipien der Arbeit marxistisch-leninistischer Organisationen in den Komitees zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz und die politische Unterdrückung,“ das ca. Anfang bis Mitte August 1972 erschien, wurden von den Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund (6) erstmalig die Komitees (7) erwähnt, die den „Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz (auf) breitester Front gegen die sich verschärfende politische Unterdrückung“ führen müssten. Eine besondere Rolle käme hierbei den Marxisten-Leninisten zu, die sich zusammenschließen sollten, um „eine breite Kampffront gegen imperialistische Unterdrückung und revisionistischen Verrat „ aufzubauen. (8) Die Bedingungen der Arbeit der Komitees sollten sein: „die Erarbeitung der Grundlage einer gemeinsamen Plattform“, der Zusammenschluss der verschiedenen Organisationen“ auf einer „vereinheitlichten Grundlage“, um so den „einheitlichen Kampf gegen die politische Unterdrückung zu ermöglichen“. (9) Wichtig war, das dieses Papier bereits Prinzipien für die Arbeit in den Komitees festlegte:
„Keine der in den Komitees arbeitenden marxistisch-leninistischen Organisationen kann gegenüber anderen einen begründeten Führungsanspruch ableiten, noch können die verschiedenen örtlichen und regionalen Komitees von einem national führenden Zentrum ‚von oben’ aufgebaut werden ... . Jeder kommunistische Führungsanspruch kann sich nur in der Autorität des Programms für die Revolution und in der tatsächlichen Führung der Kämpfe der Arbeiterklasse ausdrücken. Gegenwärtig verfügt jedoch keine der in den Komitees arbeitenden marxistisch-leninistischen Organisationen über eine konkrete kommunistische Programmatik, die nachweisbar das Ergebnis historisch-materialistischer Analysen wäre, noch können sie in irgendeiner Weise als bewusster Ausdruck der spontanen Arbeiterbewegung angesehen werden. Ihre Fähigkeit, ein führendes Zentrum zu bilden, um eine solche Kampagne anzuleiten, existiert allenfalls als Absicht einzelner Organisationen. Eine zentrale Leitung unseres Kampfes gegen die politische Unterdrückung kann sich daher nur aus dem konkreten Kampf der örtlichen und regionalen Komitees entwickeln.“ (10)
Und: „Es widerspricht nicht dem Geiste der Plattform, wenn die in dem Komitee zusammengeschlossenen Organisationen eine eigenständige Politik bzw. Propaganda auch etwa in Veranstaltungen des Komitees entfalten, soweit sie nicht dem Inhalt der gemeinsamen Plattform entgegengesetzt ist.“ (11)
Diesem programmatischen Vorstoß lag die Absicht zugrunde, zu „den Massen“ zu gehen, um im Kampf gegen die „politische Unterdrückung“ sich auf breitester Ebene zusammenzuschließen und zusammenzuarbeiten. Im Grunde galt das für alle Strategien und Taktiken der marxistisch-leninistischen Bewegung. Allerdings stand diese Politik stets auf schwankendem Boden; denn selbst in sporadischen Aktionseinheiten war die Devise die: nach Möglichkeit den „Führungsanspruch“ herzustellen. Diese Hinweise sind notwendig, weil sonst die Politik des Zentralbüros, die dem Versuch entsprach, Einfluss in diesen Komitees zu erzielen, nicht verstanden werden kann. Denn die KPD/ML-ZB insistierte darauf, sich vom politischen Ketzertum zu trennen; denn auf riskante und oft unbestimmte politische Manöver der Gegenseite konnte sie sich nicht einlassen. Es ging somit darum, im Endergebnis die überlegene „taktische Beweglichkeit“ zu zeigen, um zu vermeiden, sich in irgendeiner Weise auf bestimmte „Verpflichtungen“ wie es in Interna hieß, festzulegen.
Mit der Herausgabe des Papiers „Prinzipien der Arbeit marxistisch-leninistischer Organisationen in den Komitees zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz und die politische Unterdrückung“, bestand die Aufgabe der Komitees wohl darin, ein „Vorbereitendes Komitee“ ins Leben zu rufen, das die „Deutschen und ausländischen Arbeiter in einer Kampffront“ sieht. (12) Vermutlich geschah das bereits schon am 4.9. mit dem „Aufruf zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz“, das nach dem 31.7. möglicherweise im Vorbereitenden Komitee Dortmund-Huckarde konkrete Gestalt annahm. Allerdings ist unklar, wie sich dieses Komitee zusammensetzte. Wahrscheinlich dürfte es sich um ein sogenanntes Grundkollektiv gehandelt haben, in dem es zunächst ein „Grund- und Schulungsprogramm“ durchgeführt wurde, um daraus einen „konkreten Kampf gegen die Verschärfung der politischen Unterdrückung“ abzuleiten. (13)
Die Schwerpunkte der Arbeit der Komitees (wohl zunächst sogenannte Agitations- und Propaganda Komitees, der Vf.) lagen allgemein in den Bereichen Kohle (RAG) und Stahl (IGM), die zunächst als Hauptschwerpunkte definiert wurden. Konkret benannt wurden zwei Stadtteile mit diesen Branchen: Nordmarkt und Huckarde. Hier waren die Betriebe Hoesch und die Zeche/Kokerei Hansa ansässig. Später sollte die Arbeit an der Uni und PH aufgenommen werden. (14) Vor beiden Betrieben waren auch beide KPD/ML Gruppen aktiv. Die KPD/ML-ZB u.a. durch die Flugblätter ihre RAG-Betriebsgruppen, die vor den Dortmunder Zechen und Kokereien Flugblätter und Betriebszeitungen verteilten. So bei der Absetzung der Urabstimmung des IGBE-Hauptvorstandes und ihrer eigenen verunglückten Urabstimmung zu den Tarifen im Bergbau zum 19.6.1972. (15)
Den Hoesch-Betriebe, die im Ruhrgebiet traditionelles Kampfgebiet aller Marxisten-Leninisten und linker Gruppierungen waren, fiel eine besondere Rolle zu. Eine der ersten Betriebszeitungen der Marxisten-Leninisten war die „Rote Westfalenwalze“ der KPD/ML-ZB. Auch das „Rote Schwungrad“ (Hoesch/Phoenix) wollte im Kampf um die „proletarischen Massen“ ihren betrieblichen Einfluss verstärken. Zu den Metalltarifrunden gab der LV NRW der KPD/ML-ZB auch Flugblätter ihrer überörtlichen Betriebsgruppen heraus, oder verfasste für alle Hoesch-Betriebe in Dortmund ein gleichlautendes. So am 11.4.1972 während der Metalltarifrunde in NRW („Flugblatt der Betriebsgruppen Hoesch/Phoenix/Union der KPD/ML-ZB“).
Die KPD/ML-ZB versuchte in diesen Betrieben nicht nur dadurch Einfluss zu gewinnen, dass sie Streikaktionen beeinflussen wollte, sondern sie rief auch zu Vertrauensleute und Betriebsratswahlen dazu auf, ihre Kandidaten, falls vorhanden, zu wählen, oder sich in betriebliche Kampfkomitees zu organisieren. Sie wurden zu allen möglichen Ereignissen ins Leben gerufen. Irgendwo waren sie auch immer „Einheitsfrontkomitees“, die unter der Prämisse „Einheit der Aktion, Freiheit der Agitation und Propaganda“ (Freiheit der Losungen, d. Vf.) liefen. Allerdings dürfte diese Parole sehr verschwommen gewesen sein. Wie auch die propagierte Taktik der sog. „Einheitsfrontkomitees“.
Im wesentlichen ging es um die Führung in diesen Komitees. Deshalb dürfte sie nur ein Aushängeschild gewesen sein, um die wahren Absichten und Machenschaften zu verschleiern. Nicht ausgeschlossen werden sollte, dass die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund mit ihrer Aktionseinheit zu den Ausländergesetzen und der ständigen Wiederholung nach der „Vereinheitlichung des Kampfes“ ebenso einen, wenn auch verklausulierten, Führungsanspruch vertraten, der zwar distanziert andere ML-Gruppen betrachtete, sich aber im Grunde auf der gleichen Ebene bewegte. So sollte die Zeitung „Die Rote Front“ und „Klassenkampf und Programm“ in diesen Komitees als politisches und theoretisches Organ eine gewisse Führungsrolle haben.
„Die zentrale Leitung gibt ein politisches Zentralorgan und ein theoretisches Organ heraus (‚Die Rote Front’ und ‚Klassenkampf und Programm’ (KLAPRO, d. Vf.). In den Komitees arbeiten außerdem andere ML-Organisationen und Sympathisanten.“ (16)
Diese Formulierungen wiesen nun gar nicht daraufhin, dass neue Prinzipien eingeführt werden sollten. Jede Einheitsfrontpolitik zu dieser Zeit bestand aus Prinzipienreiterei. Und es ging keineswegs um engere Kontakte, oder um den Versuch, ein besseres Einvernehmen zu erreichen. (17) Die umlaufenden Papiere, Organe und Protokolle und Verhandlungen mussten bald in die Enge führen, da die „großen“ Organisationen keinen Millimeter zurückweichen konnten. Speziell in der Auseinandersetzung mit der KPD/ML-ZB sollte sich zeigen, das sie ohne bedeutsame Ergebnisse verliefen, in gemeinsamen Erklärungen keine wirklichen Konzessionen zu erkennen waren, und die recht ambitiösen Versuche kläglich scheiterten.
Ende August/Anfang September berichtete die KG (NRF) Mannheim/Heidelberg bzw. ihres Umfeldes über die ML-Dortmund und ihre Versuche, ihren Einfluss auch über Aktionen zu den Ausländergesetzen zu vergrößern. Dieser Bericht zeigte bereits an, dass zur geplanten Demonstranten keineswegs der gemeinsame Konsens erreicht werden sollte. Zur Situation im Ruhrgebiet wurde ausgeführt:
„Die ML-DO ist eine Intellektuellenorganisation, deren Praxis in ALLGEMEINER kommunistischer Propaganda besteht, und die nur zu einer Gruppe Kontakt hat, die noch an der HOCHSCHULE arbeitet ... Die Situation im Ruhrgebiet ist nach Schilderung der Genossen durch eine weitgehende Isolation der revolutionären Gruppen von der Arbeiterbewegung gekennzeichnet. Betriebsgruppen existieren bei Hoesch (IGM-Bereich in Dortmund, d. Vf.) (RM - früher die KJ-Informgruppe beim ZB) und bei Opel Bochum (IGM-Bereich, d. Vf.) (ZB). Die Position der AO (KPD, d. Vf.) wird als sehr schwach eingeschätzt, es handele sich weitgehend um die Verlagerung einer Berliner Gruppe ins Ruhrgebiet. (gerade das wird nachzuprüfen sein, da die verschiedenen ML-Gruppen sicher genügend Fehler machen, um im Raum der Sympathisanten Raum für die AO zu lassen.) An den Unis: in Bochum sind spontaneistische Fachbereichsgruppen am stärksten, an den PHs der Spartakus (MSB Spartakus der DKP, d. Vf.) und ansonsten herrscht Niemandsland. Das ZB ist durch den Austritt der KJ-Informgruppe geschwächt und nimmt den Parteianspruch zunehmend zurück. Der neue RM lebt durch einige Übertritte wieder auf und konzentriert seine Kräfte im Ruhrgebiet.“ (18)
In dieser Erklärung flammte der alte Streit, wer denn die Führung in den Kämpfen innehat, wieder auf. Die ML-Dortmund, die als „Intellektuellenorganisation“ bezeichnet worden war, müsste sich durchsetzen, um die „Isolation der revolutionären Gruppen von der Arbeiterbewegung“ zu sprengen. Das konnte sie nur dann, wenn es ihr gelingen sollte, alle Meinungsverschiedenheiten zu bereinigen. Das galt auch für die Gegenseite. Die KPD/ML-ZB sollte sich zunächst eher zurückhaltender und unverbindlicher verhalten.
Zum 4./5.9. schienen sich die Komitees bereits breitet organisiert zu haben. Es gab bereits eine Reihe von Stadtteil-, Betriebs- und Hochschulgruppen.
„Das vorläufige Komitee zum Kampf gegen die politische Unterdrückung und das reaktionäre Ausländergesetz, das sich neben den Komitees in verschiedenen Stadtteilen im Dortmunder Schul- und Hochschulbereich gegründet hat, sieht seine Aufgabe darin, den wahren Charakter dieser Gesetze und der SPD zu entlarven, um eine breite Kampffront gegen die sich verschärfende politische Unterdrückung aufzubauen. Dazu ist es notwendig, dass sich viele Studenten im Hochschulbereich zusammenschließen um den Kampf gegen diese Gesetze zu beginnen.“ (19)
Auch außerhalb Dortmunds gab es Gruppen, die sich an der Diskussion um eine „Plattform des nationalen Komitees: Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ beteiligten. Aus Köln wurde eine der KPD nahe stehende Gruppierung bekannt, die am 9.9. zum „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze“ aufrief. Als Aufgabe des „Nationalen Komitees: Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ wurde formuliert:
„1. Es bereitet Kampfaktionen gegen unmittelbare Angriffe der Kapitalistenklasse und ihres Staatsapparates vor. Es hat ferner die Aufgabe, bei direkten Angriffen der Konterrevolution alle unterzeichnenden Organisationen sofort zu einer Sitzung zusammenzurufen, auf der die Schritte der örtlichen, regionalen und nationalen Aktionen beraten und beschlossen werden. Alle unterzeichnenden Organisationen verpflichten sich, die Zentrale umgehend über Angriffe der Kapitalistenklasse und ihres Staatsapparates, die gegen die gemeinsame Kampffront der deutschen und ausländischen Arbeiter und Studenten, gegen fortschrittliche und kommunistische Ausländerorganisationen gerichtet sind, zu informieren.
2. Diese Aktionen sind Teil einer Kampagne, die ihren vorläufigen Höhepunkt in einer Zusammenfassung aller bisherigen Kampfaktionen zu einer Demonstration zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Querschnittsgesetze findet. Dazu übernimmt das nationale Komitee folgende Aufgaben:
a) Druck und Verbreitung dieses Aufrufs.
b) Auf der Grundlage dieses Aufrufs wird ein Flugblatt in allen notwendigen Sprachen erstellt und dessen Verteilung gesichert.
c) Die unterzeichnenden Organisationen übergeben der Zentrale Material über ihre Erfahrungen in diesem Kampf, Ausarbeitungen etc. Das Komitee hat die Aufgabe, diese Materialien für die Agitation und Propaganda nutzbar zu machen, d.h. evtl. eine Dokumentation herauszugeben, sonst die Materialien so zusammenzustellen, dass die einzelnen Organisationen sie benutzen können.
d) Das Komitee (sowie die regionalen Komitees) bereiten eine oder mehrere Veranstaltungen, nach Möglichkeit mehrsprachig und in Arbeitervierteln vor.
e) Das nationale Komitee hält ständig Kontakt zu den regionalen Komitees und nimmt den Erfahrungsaustausch auf. Alle Organisationen, die gemeinsam mit uns auf dieser Grundlage den Kampf gegen die Ausländergesetze führen wollen, sind aufgerufen, sich der Kampagne anzuschließen. Das nationale Komitee Kampf den reaktionären Ausländergesetzen, Köln, den 9.9.1972.“ (20)
Erstmalig griff die KPD/ML-ZB in diese Debatte vermutlich durch ihre „Rote Fahne“ ein. Nachdem das KPD-Nahe Nationale Komitee „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ am 10.9. gegründet worden war, das sich auf ein Komitee in Hamburg, ein regionales Komitee in NRW und einen Regionalausschuss in Berlin, der vermutlich aus Teilen des ursprünglichen Ausschuss entstand, stützen konnte, meinte die KPD/ML-ZB:
„Bei allen ehrlichen Kämpfern ist der Wunsch wach geworden, diesen Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze auf nationaler Ebene zusammenzufassen und dadurch bessere Kampfbedingungen zu schaffen. Indem bereits die Zahl der Aktionen und Kämpfe täglich wächst und auf der Grundlage dieser Kämpfe muss der nationale Zusammenschluss vorbereitet und erkämpft werden. Je breiter die Front wird, je mehr Nationalitäten und Organisationen sich darin einreihen, je größer die politische Klarheit und Einigkeit ist, desto besser kann eine solche Front, die Massen erfassen und mobilisieren. Gegen diese Wünsche aller revolutionären und fortschrittlichen Kräfte hat die ‚KPD’ ein heimtückisches, kleinbürgerliches Manöver gestartet, um sie ihrem Diktat und ihrem opportunistischen Kurs zu unterwerfen. Am 10. September berief sie eine ‚Konferenz’ ein, um dort ein ‚nationales Komitee zum Kampf gegen die Ausländergesetze’ aus dem Boden zu stampfen. Ihr Vorgehen dabei schlägt allen Erfordernissen eines wirklichen Zusammenschlusses zu diesem Kampf ins Gesicht:
Obwohl ein ‚nationales’ Komitee gebildet werden sollte, waren doch die Leitungen der meisten wichtigen aus- und inländischen Parteien und Gruppen, die den Kampf bereits führen, nicht eingeladen worden,
Obwohl die KPD heuchlerisch angab, sie wolle insbesondere die ausländischen Organisationen in ihrem Kampf unterstützen, hatte sie unter diesen doch nur eine kleine Auswahl eingeladen und die größten und politisch bedeutendsten von ihnen nicht informiert,
Obwohl selbst von den anwesenden ausländischen Organisationen lediglich drei: eine Absplitterung der Patriotischen Einheitsfront der Türkei, die griechische EKKE und die arabische Studentenorganisation TTIA (Irak, d. Vf.), welche nur kleine Teile der fortschrittlichen Kräfte ihrer Nationalitäten vertreten, überhaupt entscheidungsfähig und bereit waren, sofort ein nationales Komitee zu gründen, obwohl selbst die Mehrzahl der anwesenden ausländischen Gruppen dies nicht konnten oder wollten (die spanische F.R.A.P., die Griechischen Marxisten-Leninisten, der Vertreter der persischen (iranischen, d. Vf.) CISNU- Leitung und der Trikontinentale Studentenverein) - trotz dieser offenkundigen Tatsachen, peitschten die KPD-Führer die sofortige Gründung eines Komitees durch,
Obwohl die KPD-Führer keinerlei klare Aussagen über die Aufgaben und Rechte dieses Komitees machten ... sollte doch sofort ein solches leitendes Komitee gegründet werden ... Vertreter der KPD/ML und ihres Zentralbüros, die ohne genaue Kenntnis der Absichten der KPD-Führer gekommen waren ... warnten entschieden vor solch einem opportunistischen, putschistischen und usurpatorischen Schritt, welcher die Bewegung nur spalten kann. Sie schlugen vor, dass die Anwesenden eine Resolution zur Gründung eines Komitees auf einer weiteren Versammlung fassen, inzwischen wirklich alle Kräfte einladen und für die Unterstützung der Westberliner Plattform gewinnen, den Kampf in Betrieben, in Regionen weiter vorantreiben, sowie gründliche Vorschläge für die Aufgaben eines nationalen Komitees machen sollen. Diesem Vorschlag stimmten neben den Griechischen Marxisten-Leninisten, dem Trikontinentalen Studentenverband und der Initiativgruppe (der Fachhochschulen) zum Kampf gegen die Ausländergesetze noch die Kommunistische Gruppe Köln, die SSG Hamburg zu. Die Enthaltung der F.R.A.P. und des CISNU-Vertreters war auch eine Absage an die sofortige Gründung des Komitees auf dieser völlig unzureichenden Grundlage. Trotz dieser Tatsachen bestand die KPD auf sofortiger Gründung und sprach unverhüllt von ‚Fraktionierung’ der Front gegen die Ausländergesetze. So wurden sie ein weiteres Mal, nach ähnlichem Vorgehen in NRW, zu üblen Spaltern des Kampfes und kleinbürgerlichen Machtpolitikern.“ (21)
Mit der Behauptung, dass die Gründung eines „leitenden Komitees“ ein „opportunistischer, putschistischer und usurpatorische Schritt“ gewesen sei, versuchte das ZB, ihrer aktuellen taktischen Linie treu zu bleiben, den „üblen Spaltern“ und den „kleinbürgerlichen Machtpolitikern“ den Kampf anzusagen. Und gleichzeitig die Massen gegen sie aufzuwiegeln. Nichts anderes war der Hinweis darauf, die „Gründung eines Komitees“ ins Leben zu rufen, das den „Kampf in den Betrieben, und in Regionen“ weiter vorantreibt. Hingewiesen wurde darauf, das alle „ehrlichen Kämpfer“ auf „nationaler Ebene“ zusammengefasst werden müssten. Die KPD meinte wiederum, dass die KPD/ML-ZB die Kölner Plattform vom 9./10.9. in Hamburg und Berlin unterstützte, in NRW aber abgelehnt hätte. Und warf dem ZB ihrerseits „Spaltertum“ und „Opportunismus“ vor. (22)
Beide Gruppierungen befleißigten sich keiner verständigen Sprache. Sie wich der offenen Aufforderung, die Komitees der jeweils anderen Gruppierung mehr oder weniger zu boykottieren. Meinte doch das ZB:
„Gegen diese Wünsche aller revolutionären und fortschrittlichen Kräfte hat die ‚KPD’ ein heimtückisches, kleinbürgerliches Manöver gestartet, um sie ihrem Diktat und ihrem opportunistischen Kurs zu unterwerfen.“
In Anbetracht seiner eigenen Unabhängigkeit, schlachtete das ZB die „Manöver“ der KPD für ihre Propagandazwecke aus. Die KPD sollte als Verräterorganisation bloßgestellt und der Einfluss der KPD/ML-ZB in den Komitees gestärkt werden. Bis zur Frankfurter Konferenz vom 17.9. eröffnete die KPD/ML-ZB in ihren eigenen Reihen eine Propagandakampagne für den Kampf gegen die „reaktionären Ausländergesetze“. Nachdem sie bereits mit München herbe Rückschläge hatte hinnehmen müssen, musste das Image aufpoliert werden, um ein letztes Mal die Parteimassen hinter sich zu bringen. Obwohl die Mittel und Wege zur Lösung der internen Parteikrise immer katastrophaler wurde, sollten diese Aktionen die Partei noch einmal verpflichten.
Die KPD/ML-ZB war Mitunterzeichner der Resolution der Frankfurter Konferenz vom 17.9. In ihr hieß es:
„RESOLUTION DER AKTIONSEINHEIT GEGEN DAS REAKTIONÄRE AUSLÄNDERGESETZ UND DIE VERSCHÄRFUNG DER POLITISCHEN UNTERDRÜCKUNG.
Die anwesenden Organisationen haben sich auf eine Aktionseinheit geeinigt, um den Kampf gegen die Ausländergesetze und die zunehmende politische Reaktion in der BRD zu führen. Die Bundesregierung, die bürgerlichen Parteien, Presse, Rundfunk und Fernsehen haben unter dem Vorwand des Anschlags in München eine Kampagne entfesselt, die sich gegen die arabischen Völker, gegen die ausländischen Arbeiter und Studenten richtet, sowie gegen alle demokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Ausländer in der BRD, gegen alle fortschrittlichen Menschen und Organisationen, die den Kampf der Völker gegen den Imperialismus unterstützen. Die Bundesregierung bedient sich bei der Verfolgung und Entrechtung der Ausländer in der BRD der schon bestehenden Ausländergesetze, indem sie sie verschärft anwendet, und sie bereitet gleichzeitig neue Gesetze zur Entrechtung der Ausländer und zur Verfolgung aller demokratischen und kommunistischen Organisationen in der BRD vor.
Dabei richtet die Bourgeoisie ihren Angriff vor allem gegen die kommunistischen Organisationen, weil sie dem Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten die revolutionäre Führung nehmen will. So soll unter dem Vorwand der Zusammenarbeit deutscher kommunistischer Organisationen mit sogenannten ‚linksextremistischen’ Ausländerorganisationen das KPD-Verbot verschärft angewendet werden.
Alle diese Angriffe stehen in einer Reihe mit den reaktionären und volksfeindlichen Maßnahmen zur ‚inneren Sicherheit’, die von der Bundesregierung und von allen bürgerlichen Parteien zur Absicherung der Herrschaft der Bourgeoisie und zur politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Teile des Volkes durchgeführt werden.
Diesen Angriffen muss eine breite Kampfeinheit aller fortschrittlicher Menschen und Organisationen entgegengestellt werden. Die anwesenden Organisationen verpflichten sich, alles in ihren Möglichkeiten stehende zu tun, um diese breite Kampffront zu organisieren, örtliche Ausschüsse der Aktionseinheit aufzubauen, die bedrohten Ausländer zu schützen und die reaktionären Gesetze und Maßnahmen abzuwehren. Sie werden eine gemeinsame Demonstration in Dortmund am 8.Oktober durchführen und rufen alle fortschrittlichen Menschen, alle demokratischen, kommunistischen, gewerkschaftlichen Organisationen auf, sich diesem Kampf anzuschließen und sich an der Demonstration zu beteiligen. Die unterzeichnenden Organisationen beschlossen, unter folgenden gemeinsamen Parolen am 8. Oktober in Dortmund zu demonstrieren:
KAMPF DEN REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZEN! FREIE POLITISCHE UND GEWERKSCHAFTLICHE BETÄTIGUNG FÜR ALLE FORTSCHRITTLICHEN UND KOMMUNISTISCHEN AUSLÄNDER UND IHRE ORGANISATIONEN!
GLEICHE LEBENS- UND ARBEITSBEDINGUNGEN FÜR DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER!
GLEICHES RECHT UND GLEICHER LOHN FÜR DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER!
KAMPF JEDER ABSCHIEBUNG FORTSCHRITTLICHER AUSLÄNDER!
KAMPF DEM VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ - DEM NEUEN SPITZELGESETZ!
KEINE INFORMATIONEN VON BETRIEBEN, ÜBER AUSLÄNDISCHE ARBEITER AN AUSLÄNDERBEHÖRDEN, BOTSCHAFTEN, GEHEIMDIENSTE!
KEINE INFORMATIONEN VON HOCHSCHULEN ÜBER AUSLÄNDISCHE STUDENTEN AN AUSLÄNDERBEHÖRDEN, BOTSCHAFEN, GEHEINDIENSTE!
KAMPF DEM EINSATZ AUSLÄNDISCHER SPITZEL DURCH DEN WESTDEUTSCHEN VERFASSUNGSSCHUTZ!
AUSLÄNDISCHE GEHEIMDIENSTE RAUS AUS DER BRD UND WESTBERLIN!
WEG MIT DER MELDEPFLICHT AUSLÄNDISCHER ORGANISATIONEN!
ARBEITS- UND AUFENTHALTSERLAUBNIS FÜR ALLE ‚ILLEGALEN’ AUSLÄNDISCHEN ARBEITER!
SCHLUSS MIT DER KRIMINALISIERUNG UND BESPITZELUNG FORTSCHRITTLICHER AUSLÄNDISCHEN ARBEITER UND IHRER ORGANISATIONEN!
KAMPF DEN VERBOTSVORBEREITUNGEN GEGEN DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE DEMOKRATISCHE UND KOMMUNISTISCHE ORGANISATIONEN! WEG MIT DEM KPD-VERBOT!
KAMPF DEM AUSBAU UND DER MILITARISIERUNG DES STAATLICHEN UNTERDRÜCKUNGSAPPARATES!
KAMPF DER ZUNEHMENDEN POLITISCHEN REAKTION!
DEUTSCHE UND AUSLÄNDISCHE ARBEITER - EINE KAMPFFRONT!
NIEDER MIT DEM USA-IMPERIALISMUS, DEM HAUPTFEIND ALLER VÖLKER!
NIEDER MIT DEM WESTDEUTSCHEN IMPERIALISMUS!
TOD DEM FASCHISMUS IN DER TÜRKEI, GRIECHENLAND, SPANIEN, PORTUGAL UND PERSIEN.
SCHLUSS MIT DER FINANZIELLEN UND POLITISCHEN UNTERSTÜTZUNG FASCHISTISCHER STAATEN DURCH DIE BRD!
NIEDER MIT DEM ZIONISMUS UND DER ARABISCHEN REAKTION!
ES LEBE DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!
Die unterzeichnenden Organisationen vereinbarten, den Grundsatz Einheit der Aktion und Freiheit der Agitation und Propaganda zu wahren und alle Kräfte auf den gemeinsamen Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz und die zunehmende politische Reaktion auszurichten (Das Verhältnis zwischen gemeinsamer und eigenständiger Agitation und Propaganda wurde mit 80 zu 20 festgelegt). Nicht geduldet werden sollen Losungen, die dem Geist der Aktionseinheit widersprechen, die sich gegen die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats, die sich gegen die Befreiung der unterdrückten Völker wenden und die das sozialistische Lager mit der VR China an der Spitze verleumden.“ (23)
Laut „Rote Fahne“ der KPD/ML-ZB 19 und 20/1972 (18.9./4.10) haben sich die Organisationen in der Aktionseinheit vereinigt, „um den Kampf gegen die Ausländergesetze und die zunehmende politische Reaktion in der BRD zu führen“. Sie schrieb weiter:
„Die Bundesregierung, die bürgerlichen Parteien, Presse, Rundfunk und Fernsehen haben unter dem Vorwand des Anschlags in München eine Kampagne entfesselt, die sich gegen die arabischen Völker, gegen die ausländischen Arbeiter und Studenten richtet, sowie gegen alle demokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Ausländer in der BRD, gegen alle fortschrittlichen Menschen und Organisationen, die den Kampf der Völker gegen den Imperialismus unterstützen. Die Bundesregierung bedient sich bei der Verfolgung und Entrechtung der Ausländer in der BRD der schon bestehenden Ausländergesetze, indem sie sie verschärft anwendet, und sie bereitet gleichzeitig neue Gesetze zur Entrechtung der Ausländer und zur Verfolgung aller demokratischen und kommunistischen Organisationen in der BRD vor. Dabei richtet die Bourgeoisie ihren Angriff vor allem gegen die kommunistischen Organisationen, weil sie dem Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten die revolutionäre Führung nehmen will ... Alle diese Angriffe stehen in einer Reihe mit reaktionären und volksfeindlichen Maßnahmen zur inneren Sicherheit, die von der Bundesregierung und von allen bürgerlichen Parteien zur Absicherung der Herrschaft der Bourgeoisie und zur politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Teile des Volkes durchgeführt werden. Diesen Angriffen muss eine breite Kampfeinheit aller fortschrittlichen Menschen und Organisationen entgegengestellt werden ... Die anwesenden Organisationen werden eine gemeinsame Demonstration im Dortmund am 8.Oktober durchführen und rufen alle fortschrittlichen Menschen, alle demokratischen, kommunistischen, gewerkschaftlichen Organisationen auf, sich diesem Kampf anzuschließen und sich an der Demonstration zu beteiligen.“ (24)
Die „Resolution“ der „Aktionseinheit“ war keine bindende oder verbindliche Übereinkunft. Sie drückte nur den Wunsch danach aus, sich „diesem Kampf anzuschließen“. Und sich „an der Demonstration zu beteiligen“. Die KPD/ML-ZB dürfte auf der Konferenz gar nicht mehr stark genug gewesen sein, um entschieden auftreten, oder um Beschlüsse beeinflussen zu können. Ob sie letztlich die Resolution als „verpflichtend“ annahm, muss in Zweifel gezogen werden. Für das ZB war die Konferenz nur ein Vehikel. Hatte aber einen unleugbaren Propagandawert. Denn in der „Roten Fahne“ wurde erneut die „spalterische Rolle der Führer der KPD/AO“ (ehemals Aufbauorganisation, d. Vf.) missbilligt. Kritisiert wurde erneut „die Gründung ihres ‚Nationalen Komitees’, und die Aufforderung, sich diesen Komitees anzuschließen“.
Und auch der KJVD rief dazu auf, dem „spalterischen Vorgehen eine klare Absage zu erteile“, unterstützte jedoch gleichzeitig das „Vorbereitungskomitee für die Demonstration gegen die Ausländergesetze“.
Das Vorpreschen der KPD ließ sie schnell zu „Verrätern der Arbeiterklasse“ werden. So würde die Bewegung auf einen „Opportunismus“ heruntergedrückt und geschwächt. Somit dürfte die Fortsetzung dieser Kampfeinheit für das ZB keinerlei Gültigkeit mehr besessen haben. Mit derartigen Demagogen ließe sich keine Politik machen. Stringent dürfte sich das ZB an den IV. Weltkongress der Komintern gehalten haben, wonach das „Vorangehen der kommunistischen Avantgarde in den täglichen Kämpfen der breiten Arbeitermassen um ihre notwenigen Lebensinteressen“ primär sei. (25)
Mit diesen Thesen im Rücken, die sich ja nahezu auf jede mögliche Situation anwenden ließen, und als Endprodukt im Resultat immer Kombinationsmöglichkeiten beinhaltete, bemühte sich das ZB, seine Politik zur Geltung zu bringen. München, zur Zeit der Verhandlungen über eine Aktionseinheit in aller Munde, wurde für die KPD/ML sogar zum unerhofften Aufhänger. In der „Roten Fahne“ Nr. 19 vom 18.9.1972 hieß es kurz und knapp:
„Arbeiter! Werktätige! Handeln wir genauso! Niemand darf der neuen Terrorwelle, der Anwendung von Vorbeugehaft und Terrorgesetzen tatenlos zusehen! Niemand darf sich durch das Friedensgeklingel von Genscher, Barzel, Strauß und Brandt einlullen lassen ... Schließen wir uns zusammen unter den Losungen: Weg mit dem reaktionären Ausländergesetz! Freiheit für die politischen Gefangenen!“ (26)
Der Zusammenschluss, den das ZB hier noch vollmundig verkündete, schien nicht lange zu halten. Spätestens zum 26.9. berichtete die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund in ihrem heutigen „Rundbrief an die Mitglieder der Aktionseinheit gegen die reaktionären Ausländergesetze“ darüber, dass sie durch die „beiden KPD/ML’s aus dem Organisationsausschuss“ herausgeworfen worden seien. Dazu gaben sie „eine Erklärung zum Vorgehen der KPD/ML“ heraus. (27)
Einige Tage später (am 1.10.1972, d. Vf.), so die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund, erschienen zu einer Sitzung des „Vorbereitenden Komitees Dortmund: Kampf dem reaktionären Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung“ Vertreter der KPD/ML-ZK und der KPD/ML-ZB. Die ML-Dortmund erklärten dazu:
„Sie versuchten die Sitzung, in der Vertreter der Vorbereitenden Komitees HOESCHBETRIEBE/NORDSTADT, ZECHE HANSA/HUCKARDE, DORTMUNDER HOCHSCHULEN gemeinsam mit Vertretern der KPD/ML-Rote Fahne (KPD/ML-ZB, d. Vf.) und einigen fortschrittlichen Menschen ihre Erfahrungen der bisherigen Komiteearbeit zusammenfassen und sich auf die zentrale Demonstration vorbereiten wollten, in ein Tribunal gegen die ML DO zu verwandeln und damit die Komiteesitzung zu sprengen ... Unserem Angebot, die Polemik zwischen der KPD/ML-Roter Morgen und den ML DO zu einem anderen Termin und in einer anderen Form zu führen, wichen sie aus. Sie begannen damit, die von den ML DO und der PGH und dem AStA PH seit fünf Wochen an den Hochschulen, Betrieben und Stadtteilen aufgebaute Komiteearbeit als ‚Spaltung der nationalen Aktionseinheit und Hausmachtpolitik der ML DO’ zu diffamieren. Sie erklärten sich einfach ohne jede Klärung der gemeinsamen politischen Grundlage zum Mitglied des örtlichen Komitees und beantragten, den Ausschluss der ML DO aus dem Dortmunder Komitee.“ (28)
Der genaue Streit lässt sich m.E. nicht mehr genau rekonstruieren. Festgehalten werden kann, dass sich offenbar beide Gruppen der KPD/ML für ein Bündnis nicht interessierten. Dortmund, die Hausmachtbasis war, konnte unter keinen Umständen aufgegeben werden, zumal auch mit den ML-Dortmund eine ernstzunehmende Konkurrenz herangewachsen war. Wurde noch das „gemeinsame Interesse aller ausländischen Arbeiter und Studenten“ in der „Frankfurter Resolution“ unterstrichen die Einheit „aller demokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Ausländer in der BRD“ gefordert, so wurde nun ein geeigneter Moment abgewartet, um sich von den „opportunistischen Elementen“ und den „Spaltern der Aktionseinheit“ zu reinigen, um selbst nach der Führung zu schielen. Das entsprach der genuinen Politik dieser Organisationen, die neben dem „Erstgeburtsrecht“ und der „wahren Vertretung der Interessen der Arbeiterklasse“, auch die sklavische Gefolgschaft verlangten.
Vermutlich am 2.10. 1972 führten die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund in einem erneuten „Rundbrief an alle Organisationen und Gruppen der Aktionseinheit gegen die reaktionären Ausländergesetze“ zum Verhalten der beiden KPD/ML-Gruppen aus:
„In der letzten Sitzung des Gesamt-Ausschusses der die Reden und den Aufruf ausgearbeitet hat) konnte keine Einheit erreicht werden. Vielmehr begannen die Vertreter des Roten Morgen mit Lügen und Verdrehungen die Tatsache zu bemänteln, dass sie sich gemeinsam mit der KPD/ML-ZB durch den Rauswurf der ML DO über die Beschlüsse der nationalen Konferenz hinweggesetzt hatten. Dadurch wurde die gemeinsame Absicht der nationalen Konferenz, eine machtvolle Demonstration gegen die reaktionären Ausländergesetze durchzuführen, mit Füßen getreten. Denn was bedeutete es anderes, die Unterstützung und Organisierung dieser Demonstration abhängig von der Anerkennung der politischen Linie der KPD/ML’s zu machen, die diese Organisationen geschickt als politische Linie der nationalen Aktionseinheit ausgaben.
Auf dieser Grundlage war es nicht mehr möglich, ohne eine erneute Zirkelkonferenz vor der Demonstration zu einer einheitlich durchgeführten Aktion gegen das Ausländergesetz zu kommen. Deshalb begrüßen wir, dass eine solche Konferenz noch vor der Demonstration organisiert wird. Wir werden uns ihren Beschlüssen unterordnen. Zur Vorbereitung der Demonstration konnten sich die beteiligten Organisationen des Gesamt-Ausschusses auf einen gemeinsamen Aufstellungsplan und ein Ordnerkonzept einigen. Diese Beschlüsse werden von der Bochumer Adresse den Organisationen zugestellt. Sie machen den Organisationsvorschlag, den wir in unserem Rundbrief propagiert haben, hinfällig. Wir machen in diesem Rundschreiben besonders darauf aufmerksam, dass die beiden KPD/ML’s eine entsprechende Darstellung in dem von ihnen vertriebenen Schreiben ablehnten. Auch in einem weiteren Punkt ist dies Org.-Schreiben ein Ausdruck der Taktik der KPD/ML’s, die politische Stoßrichtung der nationalen Aktionseinheit in ihrem Sinne zu interpretieren und diese Interpretation als politische Absicht der Aktionseinheit hinzustellen.
So behaupten die beiden KPD/ML’s in dem Org.-Schreiben, dass es notwendig sei, für die Demonstration einen Selbstschutz zu organisieren. Sie nennen ihre Münchener Erfahrungen (gemeint ist der RAKT vom 2.9.1972, d. Vf.) als wichtigsten Hintergrund dazu. Keinesfalls ist dagegen aber auf der Frankfurter Konferenz diese Taktik zur gemeinsamen Linie erklärt worden. Vielmehr besteht nach der politischen Linie der meisten Organisationen berechtigter Zweifel daran, dass die Auffassungen der KPD/ML’s von der ‚Anwendung revolutionärer Gewalt’ gegen die Provokationen der Bourgeoisie geteilt werden. Es wird daher ein wichtiger Punkt der nationalen Konferenz vor der Demonstration sein, die gemeinsamen Auffassungen der Aktionseinheit zur Richtlinie für die Abwehr von Provokationen während der Demonstration zu machen.“ (29)
Der Hinweis der Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund, dass „die politische Stoßrichtung der nationalen Aktionseinheit in ihrem Sinne interpretiert“ wurde, um diese als politische Absichtserklärung der Aktionseinheit voranzustellen, hatte etwas für sich: sie kam nämlich einer politischen Kommandoerklärung gleich, die gleich die ganze Übernahme der Aktionseinheit beinhaltete.
Dass die ML-Dortmund ihre Erfahrungen mit der KPD/ML öffentlich und kontrovers austrugen, hatte den Hintergrund, dass dieser Zirkel aus der KPD/ML-ZK auf dem Außerordentlichen Parteitag vom Dezember 1971 heraus entstanden war, und er sich vermutlich zunächst nicht noch einmal in einer großen ML-Organisation integrieren lassen wollte. Die KPD/ML-ZB hingegen musste, gebeutelt von den Münchener Aktionen und der beginnenden tiefen Parteikrise, dagegen den Eindruck erwecken, dass es ihr nur um die organisatorische Absicherung der Demonstration gehe. Der Ruf nach dem „Selbstschutz“ entsprach dem völlig. (30)
In Anbetracht der grellen Schlagzeilen, in die die KPD/ML geraten war, und die über dem Manifest prangerten, konnte die Bedeutung nachfolgender Erklärung eines Büros der Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund nur als Warnung verstanden werden. Das Büro schrieb am 3.10.1972:
„Erklärung der ML DO zum Vorgehen der KPD/ML Roter Morgen im örtlichen Komitee Dortmund. Der Zweck dieses ganzen Geschreis, das die KPD/ML-Roter Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.) über die angebliche Spaltung der Aktionseinheit durch die ML DO veranstaltet, ist völlig klar. Mit diesem Geschrei soll genau von dem Punkt abgelenkt werden, den wir nach unserem Rauswurf aus dem Organisationsausschuss durch die beiden KPD/ML’s (auch KPD/ML-ZB, d. Vf.) in unserem Rundbrief (vgl. 26.9.1973, d. Vf.) aufgezeigt hatten. Wir hatten dort aufgezeigt, dass die beiden KPD/ML’s, voran der Rote Morgen, aus den Durchführungsausschüssen, die die nationale Konferenz aus nur pragmatischen Gesichtspunkten eingesetzt hatte zur Vorbereitung und Durchführung der gemeinsamen Demonstration, politisch führende Gremien machten, deren politische Linie dann von ihnen aufgrund ihrer Mehrheit bestimmt wurde. Wir entwickelten dagegen die Auffassung, dass die Ausschüsse der nationalen Konferenz nicht in der Lage sind, selbständig Beschlüsse zu fassen, die über die klar festgelegten Aufgaben der Frankfurter Konferenz hinausgehen. Denn die eingesetzten Ausschüsse wurden nicht politisch gewählt. Sie repräsentieren keinesfalls die mehrheitliche politische Meinung dieser Konferenz. Die Ausschüsse nicht nach den gemeinsamen Auffassungen politisch gewählt zu haben, ist ein schwerer Fehler der nationalen Konferenz, der aber kaum vermeidbar war, da die Auffassungen über das wie und was des Kampfes gegen die reaktionären Ausländergesetze noch sehr weit auseinander gingen. Das zeigte sich besonders daran, dass beispielsweise die Erfahrungen der Komiteearbeit in NRW nicht zur Grundlage der nationalen Aktionseinheit gemacht werden konnten.
Es wird die Aufgabe der nach der Demonstration einberufenen nationalen Konferenz sein, die betriebliche, örtlichen und regionalen Erfahrungen der Komiteearbeit zusammenzufassen, weiterführende Konzeptionen vorzulegen und die Frage einer gemeinsamen Plattform auf der Grundlage dieser praktischen Erfahrungen weiterzudiskutieren. Die KPD/ML-Roter Morgen glaubt unseren Kampf um die erweiterte Plattform, unsere Arbeit in betrieblichen, örtlichen und regionalen Zusammenschlüssen mit kommunistischen und demokratischen Organisationen und Menschen als ‚Hausmachtpolitik’ diffamieren zu können. Sie spekuliert dabei auf den Widerwillen, den viele fortschrittliche Menschen gegen den Sektenstreit der ML-Gruppierungen völlig zurecht empfinden. Denn in der Regel wird diese Auseinandersetzung unvermittelt mit den konkreten Erfahrungen geführt, die fortschrittliche Menschen dazu machen konnten.
Genauso verhält es sich bei dieser Polemik des Roten Morgen. In NRW wurde wochenlang ein Kampf geführt gegen den falschen Anspruch der KPD/AO, die Zirkel auf ihre vorformulierte Grundlage dazu zwingen. In dieser Polemik wurde insbesondere von den ML DO ihr grundlegendes Verständnis von der Komiteearbeit und der dazu notwendigen Plattform herausgestellt. Wir hoben die zentrale Bedeutung der betrieblichen und örtlichen Komiteearbeit für die Schaffung regionaler und nationaler Zusammenfassungen dieser Arbeit hervor. Unsere Polemik wandte sich gegen den Plan der KPD/AO, in wenigen Wochen auf der Grundlage regionaler und nationaler Absichtserklärungen eine Kampagne durchzuführen. Wir wiesen nach, dass es eine solche regionale und nationale ‚Führung’ nicht von vornherein geben kann, dass eine wirkliche ‚Führung’ nur aus der Zusammenfassung und Vereinheitlichung der betrieblichen und örtlichen Komiteearbeit entwickelt werden kann.
In diesem Sinne hat die Frankfurter Konferenz völlig zurecht kein nationales Komitee geschaffen, sondern nur Durchführungsausschüsse für eine gemeinsame Demonstration benannt. Wenn nun die beiden KPD/ML’s, voran der Rote Morgen, aus diesen Ausschüssen führende politische Gremien machen, liegt dem die gleiche Taktik zugrunde, die wir bei der KPD/AO kritisierten. Sie unterscheidet sich dann nur noch in der Form: Während die KPD/AO ihren Anspruch, die Kampagne gegen die reaktionären Ausländergesetze durch ihr ‚Nationales Komitee’ zu leiten, vor sich hertrug und damit die Kritik und Entlarvung dieser Taktik leicht machte, versuchen die beiden KPD/ML’s, insbesondere der Rote Morgen, sich diese selbst ausgestellte Führungsrolle in den Ausschüssen der Frankfurter Konferenz zu erschleichen. Nur von diesem Hintergrund wird der absurde Vorwurf verständlich, die örtliche und betriebliche Komiteearbeit, die nicht auf der Grundlage der Frankfurter Resolution, sondern auf Grundlage der ‚Erweiterten Plattform’ betrieben wird, spalte die Aktionseinheit. Sie spaltet nicht die Aktionseinheit, sondern weist die angemaßte Führungsrolle der KPD/ML’s praktisch zurück.“ (31)
Für den Augenblick zumindest waren diese Feststellungen richtig; denn sie entsprachen der Befürchtung, dass wieder einmal die politische (richtige) Perspektive die Aktionseinheit unterwandern könnte, und dass zusammengezimmerte Mehrheitsverhältnisse (oktroyierte Abstimmungen auf Konferenzen etc.) zum Scheitern der Bewegung beitragen würden. Selbstredend ging es auch den Dortmunder Marxisten-Leninisten um die „Führung“. Das kann an der Polemik gegen die KPD/AO nachgewiesen werden; denn auch sie hatte schon rechtzeitig in ihrem „Nationalen Komitee“ Führungsansprüche angemeldet.
Die „Durchführungsausschüsse“, die u. a. dominiert waren von KPD/ML-Roter Morgen und KPD/M-Zentralbüro, mussten zwangsläufig zu Verfeindungsgremien werden. Hier ging es hart zu. Die „revolutionären Avantgarden“ duldeten kein Zurückweichen. Die jeweils richtige (politische) Strategie wurde durch Abstimmungen einfach deklariert. Damit wurde oft ein gesamtes politisches Programm den Aktionseinheiten und Einheitsfronten einfach übergestülpt. Die innere Verfassung dieser Ausschüsse war ein dichtes Geflecht von Rivalitäten und Cliquenbildungen. Das „Erschleichen“ einer Führungsrolle kam einer Unterdrückungsstrategie gleich, die in die universale Verlogenheit „alles für die Arbeiterklasse“, für „den Dienst am Volke“ einmündete.
Hinweise darauf lieferte eine Versammlung in Dortmund vom 3.10., in der es um die Mitarbeit des KSB/ML der KPD/ML-ZK in einem bereits bestehenden Studentenkomitee gegen die Ausländergesetze ging. Die dort aktiven Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund verteidigten dort ihre „Plattform“. Vertreter des KSB/ML lehnten diesen Vorstoß mit der Begründung ab, dass die DKP nicht „namentlich erwähnt werde“. So könne kein „Kampf gegen den Revisionismus“ geführt werden. (32)
Die „Rote Fahne“ Nr.20/1972 der KPD/ML-ZB vom 4.10. (33) rief dazu auf, die „Massen für unser Programm“ zu gewinnen. Sie ließ die konkreten Auseinandersetzungen um die Aktionseinheit allerdings vermissen. Und ging auf die Vorwürfe der ML-Dortmund gar nicht ein. Die Partei konnte sich auch nicht mehr in der kommenden Demonstration beweisen. Durch das Verbot von GUPS und GUAP am 3.10.1972 hatten sich die Situation für das ZB noch einmal verschlechtert. Das ZB rief die Ortsgruppen dazu auf, eigene Betriebs- und örtliche Komitees zu bilden, die sich gegen die „fortschreitende Unterdrückung“ zur Wehr setzen müssten. (34) Der allgemeine Aufruf „Auf nach Dortmund“ war zu unbestimmt. Die Hauptkampffront Bestand schon in dieser Zeit in der „Reorganisation der Partei“. In der „Roten Fahne hieß es:
„Die Ruhe an der Heimatfront ist zerstört, die Kriegspläne der westdeutschen Revanchehetzer sind in Gefahr ... Die Bourgeoisie verfolgt das Ziel, die Verbindung zwischen Partei und Klasse, zwischen wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung zu verhindern, denn der Rote Antikriegstag traf den Lebensnerv des Bonner Staates. Darum muss sie die Partei zerschlagen. Darauf gibt die KPD/ML zur Antwort: Wir werden die Hoffnungen der Bourgeoisie zunichte machen. Jeder Angriff der Bourgeoisie auf die Partei wird zurückgeschlagen. Die Partei wird ihre Legalität mit aller Kraft verteidigen ... Darum die Direktiven des Zentralbüros zur Reorganisierung der Partei in die Tat umsetzen:
Zwar arbeitete die KPD/ML-ZB weiter in den Komitees mit, wie es aus einem Flugblatt der Komitees vom 5.10. hervorging, aber sie dachte schon gar nicht mehr daran, zu einem Zeitpunkt ins Gefecht einzugreifen, wo es ihr nur noch darum ging, den „Verbotsmaßnahmen“ zu trotzen, um „die richtige Verbindung zwischen legalen und illegalen Kampfformen“ zu finden. Am 7.10.1972 verurteilte die „Rote Fahne“ der KPD auf der zweiten nationalen Konferenz des NVK zwar noch einmal das Vorgehen der KPD/ML-ZB im Komitee „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“, (36) doch das hatte keine unmittelbaren Auswirkungen mehr.
Am 8.10.1972 fand in Dortmund eine der größten Demonstrationen von MLGruppen und anderen im Jahr 1972 statt. Das ZB hatte einen eigenen nationalen Block, der sich aber schon rein äußerlich von anderen Demonstrationsteilnehmern unterschied: meisten verdeckten Plakate und Transparente die Gesichter der Demonstranten, die noch zusätzlich Tücher um Mund und Nase gebunden hatten. Ordner sorgten dafür, dass diesem Block nicht zu nahe gekommen wurde. Das ZB hatte sie für diese Demonstration eigens ausgewählt. Sie waren wüst aussehend und teilweise behelmt. Der „Selbstschutz“ nach der Demonstration am RAKT wurde somit voll praktiziert. So kam es der These, die in der Illegalität verbreitet wurde, dass der „Parteifunktionär stets vor Augen haben muss, das der Feind das kleinste Schlupfloch ... benutzen kann, um Schaden anzurichten“, in Dortmund relativ nahe.
Die Dortmunder Demonstration gegen die Ausländergesetze am 8.10.1972 soll von ca. 14.000 Teilnehmern besucht worden sein. Das berichtete der KJVD der KPD/ML. Der KB, der sich nicht beteiligte, meinte, dass in Dortmund 10.000 Menschen „gegen politische Unterdrückung von Ausländern in der Bundesrepublik“ demonstrierten. Träger der Demonstration, so der KB, waren u. a. „die Organisationen um KB Bremen / NRF Heidelberg, zwei KPD/MLs, die KPD und eine große Anzahl ausländischer Organisationen.“ Ausführlicher berichtete die KG (NRF):
„Über 10 000 Menschen demonstrieren, insbesondere gegen die Jagd auf Palästinenser, gegen das Verbot ihrer Organisationen GUPS und GUPA (vgl. 4.10.1972). Zur Demonstration hatte die Aktionseinheit gegen das reaktionäre Ausländergesetz und die Verschärfung der politischen Unterdrückung aufgerufen (vgl. 17.9.1972). Diese Aktionseinheit wurde von 30 kommunistischen Gruppen und Organisationen gebildet und unterstützt: Arbeiter- und Jugendverein Waiblingen, ATÖF (Türkische Studentenföderation), Bund Kommunistischer Arbeiter Freiburg, CISNU, CSL, FRAP, PCE/ML, KB Bremen, KG (NRF) Mannheim/Heidelberg, KJVD, KSV-Frankfurt, KSB/ML, KPD/ML-ZB, KPD/ML-ZK, ML-Duisburg, MCE, OSO, Patriotische Einheitsfront der Türkei (PEF), PCE/ML, Rote Garde, Rote Zellen Münster, Sozialistische Schülerfront (SSF) Hamburg, Sozialistische Studentengruppe (SSG) Hamburg, SVI, ML Dortmund, ML Hagen, ML Unna, Proletarische Linke Hamm. Ebenfalls zur Demonstration aufgerufen hatte, laut KG (NRF), das ‚Nationale Komitee der KPD(AO)’ sowie diverse trotzkistische Gruppen. Aus Berlin beteiligen sich die MLH.
Über 4 000 demonstrierten im Block der Kommunique-Organisationen (späterer KBW). Die KG (NRF) sei mit 10 vollen Bussen angereist. Wegen der Prügeleien der KPD/ML-ZK sei mit dieser fürderhin keine Aktionseinheit mehr möglich. Aus Freiburg beteiligen sich, laut BKA, ca. 300 Personen zumeist aus der Gewerkschaftsjugend bzw. Ausländer und Studenten. Intern berichtet der KB Göttingen, dass ca. 4 000 von mehr als 12 000 Teilnehmenden der Parteiaufbaufront (PAF), d.h. den späteren KBW-Gründern nahegestanden habe.“
Die KPD vermeldet teils über 10 000 teils nur 10 000 Demonstranten. Diese teilen sich laut KPD wie folgt auf: 3 000 im Block des Nationalen Komitees „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“, der unterstützt wurde von KPD, KSV, KJV, LgdI, TTIA, EKKE und dem (erst heute gegründeten) KOV. Weitere ca. 3 000 haben sich im Block des KB Bremen, der KG (NRF) Mannheim/Heidelberg und ihrer Freunde versammelt, während der Rest u.a. aus den KPD/ML’s und Trotzkisten bestand. Der KSV der KPD meldet 10 000 Teilnehmer. Aufgerufen wurde, nach eigenen Angaben auch durch die Kommunistische Hochschulorganisation (KHO) Marburg des KSV der KPD.
In NRW meldet der regionale Koordinationsausschuss zum Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung über 10 000 Teilnehmer. Aufgerufen wurde in NRW u.a. auch durch die Vorbereitenden Komitees im Ruhrgebiet Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung und durch das Vorbereitende Komitee Dortmund Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung.
Die KPD/ML-ZK beteiligt sich gemeinsam mit PCE/ML und PCI/ML, zählt 15 000 Teilnehmer und führte aus:
„Was unternahm die von den Zirkeln beherrschte Demonstrationsleitung (die KPD/ML war nicht hineingewählt worden) gegen die Teilnahme des Trotzkistenblocks von ‚Spartacus’? - Nichts! Man ließ die geschworenen Feinde des Sozialismus, die Verleumder des sozialistischen China, die damals wie heute mit Polizei und Geheimdiensten zusammenarbeitenden Trotzkisten mitmarschieren. Wurden ihnen die Flugblätter abgenommen, die zum Wiederaufbau der berüchtigten Vierten Internationale und zur Wahl der DKP aufriefen? Zur Wahl einer Partei, die ordentliche Gerichtsverfahren für abgeschobene ausländische Kollegen fordert und diese so der Klassenjustiz ausliefert! Einer Partei, die ihren Mitgliedern verbietet, an der Demonstration in Dortmund teilzunehmen! Die Demonstrationsleitung erlaubt die Propaganda für eine solche Partei! Aber als die KPD/ML auf der Schlusskundgebung das Eindringen der Trotzkisten in unsere Reihen verhinderte, als die Organisationstransparente entfernt wurden, als einem Demonstranten von Trotzkisten der Arm angebrochen wurde - da wurden wiederum die Trotzkisten von den Zirkelhäuptlingen in Schutz genommen und die KPD/ML angegriffen. Wir geben zu, wir hätten bereits zu Beginn der Demonstration handeln müssen.“
Die KPD/ML-ZK bei Hoesch Dortmund berichtete:
„MÄCHTIGE KAMPFDEMONSTRATION IN DORTMUND: ZERSCHLAGT DAS AUSLÄNDERGESETZ!
Am 8.10. demonstrierten 15 000 deutsche und ausländische Kollegen, Kommunisten und andere fortschrittliche Menschen zusammen gegen das reaktionäre Ausländergesetz. Gegen die Faschisierungsmaßnahmen des westdeutschen Imperialismus bildeten wir die geschlossene Kampffront der Arbeiter aller Länder! Wir haben gezeigt, dass die deutschen und ausländischen Arbeiter sich aktiv gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie erheben und dass es den Herren nicht gelingt, uns gegeneinander auszuspielen. So wurde die Demonstration zu einer Manifestation der internationalen Solidarität.
DEUTSCHE ARBEITER, AUSLÄNDISCHE ARBEITER, EINE KAMPFFRONT, EINE KLASSE! ARBEITEREINHEIT BRICHT DIE REAKTION!
Es wurde für jeden klar, dass die Arbeiter in der BRD nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im politischen Kampf wieder auf die Barrikaden gehen, gegen den imperialistischen Staat und seine reaktionären Gesetze.
NIEDER MIT DEM REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZ
Unsere Aktion hat breite Sympathie in der Dortmunder Bevölkerung gefunden. Viele Dortmunder reihten sich spontan in den Zug ein, der zum Schluss immer mehr anschwoll. Alte Kämpfer und junge Menschen, Arbeiter, Hausfrauen und Schüler verbreiterten die Kampffront. An einigen Fensterscheiben grüßte der ROTE MORGEN, die Zeitung unserer Partei und viele Menschen erhoben zum Gruß die Faust! Als führenden Kraft erwiesen sich die marxistisch-leninistischen Parteien, die KPD/ML, die PCdI/ML und die PCE/ML (aus Italien bzw. Spanien, d. Vf.), die die revolutionäre Stoßrichtung der Demonstration durchsetzten. Denn die wirklichen Kommunisten wissen, dass die Wurzel der reaktionären Maßnahmen, die Wurzel des Faschismus nur durch den revolutionären Sturz des Imperialismus ausgerottet werden kann!
NIE WIEDER FASCHISMUS, NIE WIEDER KRIEG!
KAMPF FÜR DEN ARBEITERSTAAT BIS ZUM SIEG!
Wie verhielt sich die D’K’P (DKP, d. Vf.) zu dieser machtvollen Demonstration des proletarischen Internationalismus? War es eine Demonstration der D’K’P und der Organisationen der sogenannten ‚KPD’(AO), wie die Westfälische Rundschau (WR, d. Vf.) behauptet? Nein! Die Revisionisten von der D’K’P zeigten wieder einmal, dass sie die Interessen des Proletariats und der Völker der Welt völlig verraten haben. Sie riefen nicht zum Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz auf. Nein, sie distanzierten sich sogar von der Demonstration und verleumdeten unverschämt unsere Partei, wir würden die spanischen Genossen verheizen. So sehr fürchten diese Herren den revolutionären Klassenkampf auf der Straße.
Und die ‚KPD’(AO)? Nachdem ihre Spaltungsmanöver in der nationalen Aktionseinheit zurückgewiesen worden waren, gaben sie die Demonstration heuchlerisch als ihre aus. In ihrer ungeheuren Angst vor der revolutionären Propaganda unserer Partei und der ausländischen Bruderparteien versuchten sie, das Verteilen unseres gemeinsamen Aufrufes und den Verkauf des ROTEN MORGEN zu verbieten. Aber der Kommunismus lässt sich nicht verbieten! Im Gegenteil, umso deutlicher erkannten die revolutionären Menschen, wer den Kampf anführt und wer ihn verrät. Dass die AO-Führer Verräter an den Interessen des Proletariats und der Völker sind wie die D’K’P und dass die KPD/ML die revolutionäre Vorhut ist.
So wurde die Demonstration zu einem großen Erfolg für die KPD/ML. Den Abschluss bildete eine eigene Kundgebung der Partei, zu der viele revolutionäre Menschen gekommen waren. Es sprachen der Vorsitzende der KPD/ML Ernst Aust und spanische und italienische Kollegen und Genossen. Sie fassten die Erfahrungen des gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus und Imperialismus in der Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Wie in den 30er Jahren in den Internationalen Brigaden stehen heute Kommunisten und fortschrittliche Menschen vieler Länder wieder im solidarischen Kampf zusammen. Wir werden auch in Zukunft am proletarischen Internationalismus festhalten und dann, wenn es erforderlich wird, neue internationale Brigaden bilden, um die Herrschaft der Imperialisten für immer zu zerschlagen!
DER KOMMUNISMUS LÄSST SICH NICHT VERBIETEN!
VORWÄRTS IM GEISTE DER INTERNATIONALEN BRIGADEN!
VORWÄRTS MIT DER KPD/ML UND IHREN BRUDERPARTEIEN!
HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT!“
Bei Siemens Berlin berichtet die KPD/ML-ZK:
DER ‚KPD’/AO ENDGÜLTIG DIE MASKE VOM GESICHT SCHLAGEN!
Der Sternmarsch von Dortmund am 8.10. gegen das reaktionäre Ausländergesetz wurde vorbereitet und durchgeführt vom NATIONALEN KOMITEE. In diesem Komitee arbeitet die KPD/ML und über 30 andere Organisationen. Es war eine machtvolle Demonstration von über 20 000 Arbeitern und Studenten. Die Genossen von Siemens haben ab morgens 8 Uhr in den Arbeiterbezirken Propaganda gemacht. Überall begegneten uns die Werktätigen von Dortmund mit tiefer Sympathie. Ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Dortmunder und Westberliner Arbeitern. So war es auch während der Demonstration und auf der Großkundgebung, wo der 1. Vorsitzende unserer Partei, Genosse Ernst Aust gesprochen hat. Über 1 000 ROTER MORGEN wurden verkauft. Die langen und herzlichen Gespräche mit der Dortmunder Bevölkerung brachten immer wieder die enge Verbundenheit zwischen Partei und den Massen zum Ausdruck.
Aber überall, wo die KPD/ML in enger Verbindung mit den Werktätigen steht, versuchen Feinde der Arbeiterklasse einen Keil dazwischen zu schlagen. Auch in Dortmund. Als ‚Kommunisten’ getarnt, streiften Horden der Studenten-‚KPD’ (‚Kommunistische Arbeiterpresse’, ‚Rote Fahne’) durch die Arbeiterviertel, zerrissen überall die Flugblätter und Plakate der KPD/ML.
Vor den Demonstration haben die größenwahnsinnigen Führer dieser antikommunistischen Organisation im Stil der D’K’P/SEW ihre Anhänger gegen unsere Partei, gegen das NATIONALE KOMITEE und die ganze Arbeiterklasse aufgehetzt. Durch Megaphone beschimpften sie uns als Knüppelgarde, bezeichneten alle Arbeiter für dumm und feige. Weiter ihre Lügen verbreitend, zogen sie hinter der Demonstration her. Nach 1 ½ Stunden waren diese bürgerlichen Studentensöhnchen aber zu müde, um weiterzugehen. Einige ehrliche Genossen unter ihnen schlossen sich jedoch der Demonstration an und sind auch zur Großkundgebung unserer Partei gekommen. Auch sie bezeichneten die Taten und großkotzigen Reden ihrer Führer als eine Beleidigung jeden Arbeiters. Sie werden diesem Pack bestimmt den Rücken kehren.
Abends am Bahnhof gingen einige Genossen von Siemens zu einer Gruppe von 30- 40 Anhängern dieser Spalterorganisation, um mit ihnen zu diskutieren, um ihnen zu zeigen, dass der Platz für alle wahrhaften Kommunisten in der KPD/ML ist. Westberliner Führer dieser Gruppe - es war kein Arbeiter darunter - starteten sofort eine wilde Hetze gegen uns Arbeiter und unsere Partei. Sie provozierten uns und kesselten einen Gartenfelder Arbeiter ein. Der war zwar in Fahrt, ließ sich aber nicht davon abbringen, diese bürgerlichen Söhne von Geldsäcken als das zu bezeichnen, was sie auch sind: antikommunistisches Pack und Agenten der Ausbeuter.
Das haben sie auch gleich noch mal bewiesen. Sie hetzten die Polizei auf den eingekesselten Arbeiter, machten ihr noch Platz, dass sie in aller Ruhe auf ihn einknüppeln konnten. Ein anderer Genosse von Siemens, der sofort einsprang, um den Genossen zu befreien, wurde sofort niedergeknüppelt. Folge bei beiden: Gehirnerschütterung. Als sich der Arbeiter vor der Festnahme befreien konnte, hat er diesem Agentenpack klar gesagt: Den Feinden, die sich getarnt als ‚Kommunisten’ in unsere Reihen einschleichen, wird die Arbeiterklasse die Faust ins Gesicht schlagen!“
Die KPD/ML-ZB berichtete:
„Unter einem Meer von roten Fahnen und Transparenten versammeln sich weit mehr als 14 000 Menschen zu einem machtvollen, kilometerlangen Demonstrationszug! Sie sind dem Aufruf von zahlreichen in- und ausländischen marxistisch-leninistischen Organisationen der demokratischen und marxistisch-leninistischen Bewegung gefolgt. Der Zug der roten Einheitsfront gegen die reaktionären Ausländergesetze, gegen die Verfolgung von Ausländern in ‚Gestapo-Aktionen’, gegen das Verbot der Generalunion Palästinensischer Arbeiter und Studenten, marschiert unter Zustimmung der Bevölkerung durch Dortmund. Deutsche und ausländische Arbeiter - eine Kampffront ... An der Spitze in Dortmund standen die Marxisten-Leninisten ... Denn eine andere Führung, als die durch die marxistisch-leninistische Partei gibt es heute nicht mehr ... Das Verbot der palästinensischen Organisationen, die Abschiebung Tausender von ausländischen Demokraten, Antifaschisten und Kommunisten in ihre faschistischen Heimatländer ... all das soll sie aus der revolutionären Front herausbrechen. Der Terror gegen die ausländischen Kollegen und Genossen ist ein Prüfstein für den Zusammenhalt der revolutionären Kräfte und für die Fähigkeit der Marxisten-Leninisten, die demokratische Bewegung der Massen zu organisieren und zum Erfolg zu führen. Und diese Prüfung haben die Marxisten-Leninisten bestanden.
Die Dortmunder Demonstration, die nur durch die Entschlossenheit und unermüdliche Arbeit der Marxisten-Leninisten zustande kommen konnte, war der Beweis: Der Versuch der Einschüchterung und Spaltung ist gescheitert ... Die KPD/ML unterstützt als politische Partei der Arbeiterklasse jeden demokratischen Kampf der Massen. Sie beteiligt sich an dem Einheitsfrontkomitee gegen die Ausländergesetze ebenso wie an allen anderen Einheitsfrontorganisationen, weil sie Kampforgane der Massen sind ... Das bedeutet für die Arbeit im Frankfurter Aktionskomitee: Wir müssen es verstehen, die Empörung über den Terror des Bonner Staates gegen die Ausländer zum Motor zu machen gegen Notstand, Aufrüstung, Revanchepolitik im Kampf für Demokratie, Sozialismus und Frieden.“
Laut ABG beteiligen sich über 10 000, nicht aber die ABG, da die Plattform die Freiheit für spalterische Losungen beinhaltet habe. Die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund berichteten:
„10 000 DEMONSTRIERTEN IN DER NORDSTADT GEGEN DIE REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZE. MACHTVOLLE MANIFESTATION DER SOLIDARITÄT ZWISCHEN DEUTSCHEN UND AUSLÄNDISCHEN ARBEITERN UND STUDENTEN IM KAMPF GEGEN DIE VERSCHÄRFUNG DER POLITISCHEN UNTERDRÜCKUNG!
Über 30 demokratische und kommunistische Organisationen hatten zu der Demonstration aufgerufen. Schon vor Wochen hatten sie sich zu einer Aktionseinheit gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung zusammengeschlossen, um der Hetzkampagne und dem Ausweisungsterror gegen ausländische Arbeiter und Studenten die Kampfeinheit aller fortschrittlichen Menschen und Organisationen entgegenzustellen. Die zentrale Demonstration in Dortmund war ein erster machtvoller Auftakt dieses gemeinsamen Kampfes.
Deutsche und ausländische Arbeiter: eine Kampffront, so schallte es am Samstagnachmittag unzählige Male durch die Straßen des Dortmunder Nordens. Den nahezu 2 km langen Demonstrationszug führte der Block aller örtlichen und betrieblichen Komitees an, die in den Städten und Betrieben des Bundesgebiets und Westberlins den Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze aufgenommen haben. Es marschierten Komitees aus Aachen, Kiel, München, Köln, Bonn und vielen anderen Städten mehr. Das Dortmunder Komitee, das besonders die Kollegen der Zeche Hansa und der Hoesch-Betriebe in den letzten 4 Wochen durch zahlreiche Informationen und Aufrufe schon kennen gelernt haben, marschierte gemeinsam mit den Komitees, die es in NRW gibt unter dem Transparent: KAMPF DEN REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZEN UND DER POLITISCHEN UNTERDRÜCKUNG! Dem Block der örtlichen Komitees folgten mehrere Blöcke kommunistischer und demokratischer Organisationen aus den verschiedenen Bundesländern. Die ausländischen Kollegen und Genossen demonstrierten unter dem Schutz ihrer deutschen Freunde.
DIE DEMONSTRATION BEEINDRUCKTE DURCH IHRE POLITISCHE GESCHLOSSENHEIT
Die Demonstration beeindruckte durch ihre politische Geschlossenheit: Immer wieder wurde gerufen:
DER KAMPF DES PALÄSTINENSISCHEN VOLKES IST GERECHT!
FREIHEIT FÜR GUPS UND GUPA!
Damit protestierten über 10 000 Demokraten und Kommunisten gegen die neue Terrorwelle, die die Bonner Regierung seit den Münchener Ereignissen gegen palästinensische Arbeiter und Studenten durchführt. Der Protest richtete sich gegen den Abschiebungsterror. Immer wieder wurde gerufen:
SCHLUSS MIT DER VERFOLGUNG UND ABSCHIEBUNG FORTSCHRITTLICHER AUSLÄNDER: SCHLUSS MIT DEM SPITZELWESEN GEGEN FORTSCHRITTLICHE AUSLÄNDER UND IHRE ORGANISATIONEN!
Und:
AUSLÄNDISCHE GEHEIMDIENSTE, RAUS AUS WESTDEUTSCHLAND UND WESTBERLIN!
Der Protest richtete sich auch gegen die zunehmende Hetze und die Verfolgungsmaßnahmen gegen deutsche demokratische und kommunistische Organisationen, die die Bundesregierung und alle bürgerlichen Parteien und die gesamte Presse gegenwärtig durchführen. Die Forderungen waren:
SCHLUSS MIT DEM TERROR DER POLIZEI, ALLE POLITISCHEN GEFANGENEN FREI!
Und: WEG MIT DEM KPD-VERBOT, FREIHEIT FÜR DIE MARXISTEN-LENINISTEN!
Der Demonstrationszug führte vom Nordmarkt zum kleinen Borsigplatz, zum Hauptbahnhof, am Hafenviertel vorbei und zurück zum Platz an der Leopoldstraße. Vom Straßenrand und aus den Fenstern grüßten ihn immer wieder deutsche und ausländische Kollegen, viele traten aus den Kneipen heraus, etliche folgten unserer Aufforderung und reihten sich ein. Auf der Abschlusskundgebung wurden einige der zahlreichen Solidaritätsadressen verlesen. Vertreter der ausländischen Organisationen hielten kurze Reden in ihren Heimatsprachen. Ein Sprecher der Aktionseinheit hob in seiner kurzen Ansprache die Notwendigkeit hervor, im Geiste dieser Aktionseinheit in den örtlichen Komitees den Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze verstärkt weiterzuführen.
Allen Kollegen von der Hütte und von der Zeche, allen Dortmunder Arbeitern, die die Demonstration miterlebt haben, wird ihre eindrucksvolle Einheitlichkeit und Stärke noch lange in Erinnerung bleiben. Besonders deshalb, weil es zum ersten Mal gelungen ist, trotz der großen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gruppen, die Solidarität mit den ausländischen Kollegen und den gemeinsamen Kampf gegen die Verschärfung der politischen Unterdrückung allem voranzustellen. Auch die Marxisten-Leninisten Dortmunds werden im Geiste dieser Aktionseinheit in den vorbereitenden Komitees mit den anderen Organisationen und allen fortschrittlichen Menschen weiterarbeiten. Sie werden sich auch weiter darum bemühen, daß sich noch mehr Genossen von der DKP in die Kampffront einreihen und sich nicht weiter von ihren Führern mit fadenscheinigen Argumenten davon abhalten lassen, ihre klassenkämpferische Pflicht zu tun.
TRAURIGE RANDERSCHEINUNGEN.
Neben dieser eindrucksvollen Demonstration ist auch von einigen traurigen Randerscheinungen zu berichten: Zwei Gruppen konnten es nicht lassen, Verwirrung zu stiften. Die eine Gruppe lehnte es ab, sich der nationalen Aktionseinheit unterzuordnen. Sie trat mit ihrer (frisch gegründeten) Jugend- und Studentenorganisation (KJV bzw. KSV, d. Vf.) als Nationales Komitee auf und forderte die 30 demokratischen und kommunistischen Organisationen auf, sich diesem ‚Nationalen Komitee’ unterzuordnen. In Dortmund hat es diese Gruppe einfach abgelehnt, mit dem vorbereiteten Komitee gegen das Ausländergesetz zusammenzuarbeiten. Der Grund für dieses Spaltertum liegt darin, dass diese Gruppe sich als ‚KPD’ aufspielt und nur mit den Kollegen und Genossen zusammenarbeitet, die ihren ‚Parteianspruch’ anerkennen. Wer das nicht tut, wie z.B. die Marxisten-Leninisten Dortmunds, erntet deshalb regelmäßig Prügel. Auf diese Provokation ließ es die Gruppe bei der Demonstration nicht ankommen. Stattdessen führte sie ein wildes Geschrei gegen die Aktionseinheit auf, später spaltete sie sich dann von der Demonstration ab und machte am Hauptbahnhof eine eigene Abschlusskundgebung.
Und eine zweite Gruppe versuchte Verwirrung zu stiften. Diese Gruppe nennt sich KPD/ML (KPD/ML-ZK, d. Vf.) und verteilt ab und zu vor den Betrieben ihre Zeitung, den ‚Roten Morgen’ (RM, d. Vf.). Diese Gruppe hatte sich zwar der Aktionseinheit angeschlossen. Während der Demonstration gebärdeten sich ihre Genossen aber wie wild. Der gemeinsame Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz diente ihnen offenbar nur als Vorwand, den Arbeitern ihre bekannten Phrasen aufzutischen: Auf einen riesigen Lastwagen schrieben sie ihren Spruch ‚DIE HAUPTTENDENZ IN DER WELT IST REVOLUTION’ und immer wieder posaunten diese Leute: ‚NUR DER GRIFF DER MASSEN ZUM GEWEHR SCHAFFT DEN SOZIALISMUS HER’. Sie prügelten eine Reihe Ordner der Marxisten-Leninisten Dortmunds, nur weil diese Ordner diesen Heißspornen ihren Platz in der Demonstration zuweisen wollten. Eine behelmte Schlägergruppe des ‚Roten Morgen’ konnte nur mit Mühe von größeren Ausschreitungen gegen eine Gruppe von Trotzkisten abgehalten werden, die sich an der Demonstration beteiligte. Das Auftauchen der ‚KPD’ als ‚Nationales Komitee’ und die Schlägertrupps der ‚KPD/ML Roter Morgen’ blieben aber glücklicherweise Randerscheinungen einer machtvollen und politisch einheitlichen Demonstration.
WAS SCHRIEBEN DIE DORTMUNDER ZEITUNGEN?
In den Dortmunder Zeitungen konnte man davon allerdings nur sehr wenig lesen. So schrieb die WAZ unter der Überschrift: ‚10 000 MARSCHIERTEN DURCH DEN NORDEN’ - ‚KOMMUNISTISCHER PROTEST GEGEN DAS VERBOT VON ARABERORGANISATIONEN: Die handfeste Konfrontation mit der Dortmunder Polizei fand nicht statt. Demonstrationsführer und Spitzenbeamte hatten sich auf einen ‚status quo’ geeinigt und sich auch daran gehalten, als sich gestern Nachmittag mehr als 10 000 Angehörige und Sympathisanten kommunistischer Gruppen mit einem Wald von roten Fahnen und Transparenten in einer mehrere kilometerlangen Marschsäule durch die nördliche Innenstadt bewegten. ... Zu Ausschreitungen gegen die Dortmunder Pressefotografen kam es ebenfalls an der Leopoldstraße. Einem der Fotografen wurden beide Kameras entrissen, einen der Fotoapparate gaben die Täter anschließend ohne Film zurück.’ (WAZ, Montag, 9.10.1972). Es ist richtig, dass Fotografen, die keine Genehmigung von der Demonstrationsleitung hatten, daran gehindert wurden, die Gesichter der ausländischen Kollegen zu fotografieren. Dass so ein Schutz notwendig ist, wird jedem sofort einleuchten, der weiß, wie z.B. die Genossen im Betrieb bespitzelt werden, die sich politisch für die Sache der Arbeiterklasse einsetzen. Auch ist bekannt, dass die ausländischen Kollegen sich nach dem geltenden reaktionären Ausländerrecht nicht politisch betätigen dürfen. Dass sie während einer Demonstration zu schützen sind, leuchtet deshalb jedem ein.
Auch die Ruhr-Nachrichten berichteten nicht über die Demonstration und ihre politischen Ziele, sondern über Randerscheinungen davon. Sie behaupteten frech, dass die Bürger der nördlichen Innenstadt sich betont reserviert verhalten hätten, dass Ärger über Ruhestörung und Verkehrsbehinderung laut geworden wäre (vgl. RN, 9.10.1972). Die Berichte über die Demonstration in den bürgerlichen Zeitungen zeigen ganz deutlich, dass nur über solche Dinge berichtet wird, die geeignet sind, den Kampf der Arbeiter und fortschrittlichen Menschen zu verleumden. Da man die machtvolle friedliche Demonstration von über 10 000 Menschen schlecht vor den Augen der Arbeiter verleumden kann, schweigt man sich über die politischen Ziele besser aus. Kollegen, das zeigt uns wieder einmal deutlich, wie wichtig der Aufbau einer kommunistischen Presse ist, die über die Dinge wirklich vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus berichtet.“ (37)
Der zunehmend aggressivere Ton der Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund gegen KPD, KPD/ML-ZK und KPD/ML-ZB, die sich in den Vorbereitungskomitees, in den Koordinationsausschüssen und während der Verhandlungen um eine zu vereinheitlichenden Demonstration gerade nicht als vorwärtstreibend erwiesen hatten, übte in der Nachbereitung der Demonstration noch einmal wesentliche Kritik an deren Verhalten. Dies bezog sich teils auf die eigenen Abschlusskundgebungen, teils auf die weltfremden Parolen (so die KPD/ML-ZK: „nur der Griff der Massen zum Gewehr schafft den Sozialismus her“, d. Vf.) und auf provokante Zwischenfälle (Prügeleien).
Die KPD/ML-ZB blieb ihrer Oberlehrerhaften Propaganda treu. Schon weit von der Demonstration entfernt, erklärte sie doch tatsächlich: „Das bedeutet für die Arbeit im Frankfurter Aktionskomitee: Wir müssen es verstehen, die Empörung über den Terror des Bonner Staates gegen die Ausländer zum Motor zu machen gegen Notstand, Aufrüstung, Revanchepolitik im Kampf für Demokratie, Sozialismus und Frieden.“ Und: „Der Versuch der Einschüchterung und Spaltung ist gescheitert ... Die KPD/ML unterstützt als politische Partei der Arbeiterklasse jeden demokratischen Kampf der Massen. Sie beteiligt sich an dem Einheitsfrontkomitee gegen die Ausländergesetze ebenso wie an allen anderen Einheitsfrontorganisationen, weil sie Kampforgane der Massen sind ... “
Was an politischen Ideen hier verbraten wurde, geschah mehr oder weniger aufs Gratewohl. Das ZB stand total konzeptionslos da. Es musste gehandelt werden . Egal wie. So wurden die „Einheitsfrontkomitees“ und die „Einheitsfrontorganisationen“ einfach aus der Taufe gehoben, obwohl in den Ausschüssen und Konferenzen immer von „Aktionseinheiten“ die Rede war. Beide waren eine reine Erfindung des ZB, um der Theorie folgend, sie klammheimlich zu „Kampforganen der Massen“ zu machen. Diesen rigorosen Schwenk erkannten weder die an der Aktionseinheit beteiligten Gruppen, noch die ML-Dortmund. Da die „Reorganisation der Partei“ schon unter Erfolgsdruck stand, konnte die Ausländerdemonstration auch bestens zum Anlass genommen werden, es lauthals zu verkünden, dass „die wahren Helden die Massen sind!“
Auf die zunehmenden Spannungen in den ML-Gruppen reagierte auch der KABD, dessen Reaktion nicht ungenannt bleiben soll. In einem „Rundbrief des Sekretariats“ zu „verschiedenen Angeboten aus dem maoistischen Lager“, meinte dieser am 8.10.72:
„Die marxistisch-leninistische Bewegung in Westdeutschland spalten und zerschlagen, das ist die Aufgabe dieser bürgerlichen Agenten in der Arbeiterbewegung. Das gleiche Ziel verfolgen einige ehemalige SDS-Führer, die sich nur etwas geschickter mit dem ‚marxistischen Mäntelchen’ tarnen: einige gescheiterte Elemente in Westberlin, die sich selbstherrlich zu ‚KPD’ ernannten, und einige ehemalige Studentenführer in Heidelberg um die Zeitung ‚Neues Rotes Forum’ (NRF), die sich ‚Kommunistische Gruppe’ nennen. Zur Zeit überschwemmen diese Gruppierungen die BRD mit Angeboten zur ‚Aktionseinheit’. Ziel dieser ‚Aktionseinheit’ ist die Zerschlagung der marxistisch-leninistischen Bewegung, ein Amoklauf in die bewaffneten Arme der Bourgeoisie ... Bei ihren ständigen Angeboten zur ‚Aktionseinheit’ und den Provokationen geht es ihnen darum, in die marxistisch-leninistische Bewegung einzudringen und um jeden Preis auf die Illegalisierung hinzuarbeiten; und das bedeutet zum jetzigen Zeitpunkt nichts anderes als die Zerschlagung der noch jungen kommunistischen Bewegung ... Wir müssen einen scharfen Trennungsstrich zwischen uns Kommunisten und diesen Provokateuren im Dienste der Bourgeoisie ziehen. Eine Aktionseinheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann es mit diesen Elementen nicht geben.“ (38)
Der KABD, stets eine unappetitliche Mischung aus Arbeitergehabe, Minipartei und Zeigefingerrhetorik plusterte sich in dem wohltuenden Gefühl auf, die unmittelbarsten Rivalen wieder einmal als „kleinbürgerlich“ abgestraft zu haben. Wie der KABD, so distanzierte sich im übrigen auch die DKP von der Demonstration. Die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund meinten in ihrer Zeitung „Die Rote Front“ Nr.1/1972 vom 8. Oktober: „Die DKP würde von den Marxisten-Leninisten ständig beschimpft und deshalb könne man keine gemeinsamen Aktionen machen.“ (39) Der Kommentar der Zeitung „Die Rote Front“:
„Wir meinen: In dieser Situation, in der sich über 30 revolutionäre Organisationen zum ersten Mal in Westdeutschland zu gemeinsamem Kampf zusammengeschlossen haben, hätte die DKP durch die Tat beweisen können, daß es ihr mit ihrer ständig geäußerten Forderung nach Einheit der Arbeiterklasse und nach dem geschlossenen Kampf gegen die Reaktion ernst ist. Sie hat aber nicht nur die Unterstützung dieser Demonstration abgelehnt, sondern auch jegliches Gesprächsangebot über diese Fragen ausgeschlagen. Ist die Frage nicht berechtigt, WER hier den Kampf der breiten Volksmassen spaltet?“ (40)
Zum 12.10. riefen die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund dazu auf:
„UNTERSTÜTZT DIE ARBEIT DER VORBEREITENDEN KOMITEES IN HUCKARDE UND IN DER NORDSTADT!
Nach dem machtvollen Auftakt der zentralen Demonstration zum Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung (vgl. 8.10.1972, d. Vf.) lautet nun die Frage vieler Kollegen und Genossen, die an der Demonstration begeistert teilgenommen oder von ihr gehört haben: Wie geht der Kampf weiter? Die Demonstration gibt uns eine wichtige Lehre dafür. Nur die Kampfeinheit aller fortschrittlichen Menschen richtet etwas aus gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie! Deshalb ist unbedingt nötig, dass die Vorbereitenden Komitees gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung, die schon vor fünf Wochen (vgl. 4.9.1972) in Huckarde bei der Zeche (Hansa - IGBE-Bereich, d. Vf.) und in der Nordstadt bei den Hoeschbetrieben (IGM-Bereich, d. Vf.) und an den Dortmunder Hochschulen gegründet wurden, noch mehr über die Maßnahmen gegen die ausländischen Kollegen berichtet und eine gemeinsame Kampffront gegen die Bourgeoisie aufbauen.
Bisher haben sich in diesen Komitees schon Genossen der Marxisten-Leninisten Dortmunds, der PGH (ESG-Projektbereich Gesamthochschule, d. Vf.), Mitglieder der GEW/AG, AStA PH Dortmund, Vertreter der KPD/ML Rote Fahne (KPD/ML-ZB, d. Vf.) und des KJVD mit etlichen ausländischen Arbeitern und Studenten zusammengeschlossen. Doch kann man keineswegs sagen, dass der Kampf schon breit geführt würde. Für viele ist die Notwendigkeit, den bedrohten ausländischen Kollegen beizustehen und mit ihnen gemeinsam etwas gegen die reaktionären Ausländergesetze zu tun, noch lange keine klare Sache. Kollegen unterstützt die Arbeit der Vorbereitenden Komitees gegen die reaktionären Ausländergesetze! Schreibt ihnen über die Schweinereien, die mit den Ausländern immer wieder gemacht werden. Schreibt z.B. darüber, wenn ‚illegale’ ausländische Kollegen ohne Aufenthaltsgenehmigung von Subunternehmern dazu gepresst werden, für die niedrigsten Löhne die schlimmste Sklavenarbeit zu verrichten. Kollegen, wir sind eine Arbeiterklasse! Arbeitet mit in den Komitees unter der Losung: DEUTSCHE ARBEITER, AUSLÄNDISCHE ARBEITER: EINE KAMPFFRONT!“ (41)
Geplant war, dass die Aktionseinheit noch einmal auf eine breitere Stufe gestellt wird, um eine neue „Kampffront gegen die Bourgeoisie“ aufzubauen. Die KPD/ML-ZB wurde weiter als „Vertretung“ in den Komitees genannt. So auch am 19.10., als sie ihren Namen für ein Flugblatt des „Vorbereitenden Komitees Dortmund - Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung. Solidarität mit dem Kampf der Opelarbeiter“ hergab, als es um die dortige Entlassung des spanischen Ersatzbetriebsrates Lara ging. (42)
Um sich mit ihrer Massenpolitik doch noch Gehör zu verschaffen, plante das ZB einen weiteren Vorstoß, um „die Massen geduldig auf das Niveau unserer Losungen zu heben. (43) Es dürfte an der Gründung des Regionalen Koordinationsausschuss zum Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung“ beteiligt gewesen sein, dem Vertretern des AStA der Ruhruniversität Bochum (RUB), der SAG Bochum, ML-Dortmund, ML Duisburg, ML Hagen, ML Krefeld, MLKB Ostwestfalen, PL Hamm, Rote Zellen Münster, Sozialistische Abteilungsgruppen (SAG) Bochum, Organisation und Griechischer Marxisten-Leninisten (OGML) angehörten. Dieser trat sich wohl zum 23.1.1972 erstmalig. Er gab auch das Flugblatt „Deutsche Arbeiter-Ausländische Arbeiter-Eine Kampffront“ (44) heraus. Das Flugblatt war vom ZB-Mitglied Norbert Osswald unterzeichnet.
Mit der „Roten Fahne“ Nr. 21 vom 24.10.1972 wurde die „gemeinsame Kampffront“ ad acta gelegt. Das ZB bereitete ihren eigenen Niedergang vor. Mit dem Leitartikel „Aktiver Wahlboykott. Weg mit dem KPD-Verbot“, wurde der Gang in Illegalität nun auch vor den Massen offiziell begründet. Hieß es doch:
„Die Bourgeoisie ist dazu übergegangen nicht mehr nur mit dem Verbot der KPD/ML und übrigens aller Marxisten-Leninisten zu drohen, sondern das Verbot und die Zerschlagung unserer Partei und der anderen Organisationen direkt auf die Tagesordnung zu setzen ... “ (45)
So schnell schwand das Vertrauen in diejenigen, an die das ZB noch glaubte und glaubhaft machen wollte, dass die Kampferfahrungen aus den letzten Wochen eine „Stärkung der Partei“ ergeben hätten. Genau das Gegenteil von dem, was angekündigt worden war, geschah: die außerparlamentarische K-Bewegung, die sich im Rahmen ihrer Kampagnenpolitik aufgerieben hatte, konnte mit den Wahlen, auf die sie gesetzt hatte, nichts mehr anfangen und erlitt somit ihre vielleicht größte politische Niederlage; denn „unsere Partei kann von heute auf morgen verboten werden“. (46) Die „Überwindung der Parteikrise“ wurde nun zum obersten Gebot. Die Aktionseinheit um die Ausländergesetze spiele keine Rolle mehr. Sie war faktisch erledigt. In der Ideologiesprache des ZB umgewandelt: „das Vertrauen der Massen zu erzielen“. Die fünftägige Beratung des ZB mit der Provisorischen Bundesleitung (PBL) des KJVD, die vermutlich am 14.10.1972 begann, wollte die definitive Wende erzielen. Das Reformvorhaben, das Wendepunkt sein sollte, brachte einen weiteren Riesenkrater hervor. Die Illegalität, jene Phantasterei, die das reformunfähige System ZB in die Sphäre der Aufstellung der eigenen Lebensregeln ohne Massen hineinmanövrierte.
Mit den Ostverträgen von 1972 schwamm die Brandt-Regierung auf einer Erfolgswelle. Nachdem das Nobelkomitee am 20. Oktober 1971 bekannt gegeben hatte, dass Willy Brandt für seine Neue Ostpolitik der Friedensnobelpreis verliehen werde, war das sozialdemokratische Lager davon überzeugt, dass nun Reformvorhaben und die weltpolitischen Entspannungen zum Erfolg führen würden.
Vom 23. bis 25. Februar 1972 debattierte der deutsche Bundestag in erster Lesung über die Ostverträge. Rainer Barzel (1) lief als Vorsitzender der CDU Sturm gegen diese Verträge. Vermutlich kristallisierte sich hier bereits der kommende Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion gegen diese Verträge heraus.
Bereits im Oktober 1970 waren Erich Mende, Heinz Starke und Friedrich Zoglmann (alle FDP) zur Fraktion der CDU/CSU übergetreten. Ein Jahr später folgte ihnen der Berliner Abgeordnete Klaus-Peter Schulz. Am 29. Januar 1972 wechselte Herbert Hupka ebenfalls zur CDU. Die Bundesregierung verfügte nun nur noch über 250 Stimmen, die Opposition kam auf 246. Die FDP-Abgeordneten Gerhard Kienbaum und Knut Kühlmann-Stumm galten als „Spalter“ oder „Überläufer“. Mit dem Wahlsieg der CDU in Baden-Württemberg vom 23. April 1972 hatte sich das Lager eines Gegenschlages gegen die Ostpolitik gefestigt. Als Wilhelm Helms (FDP) am Wahlabend bekannt gab, aus der Partei auszutreten, schien die Stunde von Barzel gekommen zu sein. Am 25. April 1972 stellt die Fraktion der CDU/CSU den Antrag, der Bundestag möge Bundeskanzler Willy Brandt das Misstrauen aussprechen und den Abgeordneten Rainer Barzel zum Bundeskanzler wählen.
Am 27. April stimmte der Bundestag über diesen Antrag ab. Nach der Abstimmungsniederlage von Barzel gaben die Abgeordneten Kienbaum und Kühlmann-Stumm bekannt, für Barzel gestimmt zu haben. Fragwürdig war das Stimmverhalten des Abgeordneten Helms. Zumindest 2 oder 3 Abgeordnete aus den Reihen der CDU/CSU müssten demnach Barzel, der nur 247 Stimmen erhielt, ihre Stimme verweigert haben. Der CDU-Abgeordnete Julius Steiner soll damals von der Stasi bestochen worden sein. (3) Zumindest wäre es durch diese Stimmenkonstellation durchaus möglich gewesen, die Brandt-Regierung abzuwählen.
Zum 9. Mai 1972 wurde in einer Entschließung des Deutschen Bundestages über die Ostverträge beraten. Damit waren die Ziele der Außen- und Deutschlandpolitik endgültig definiert. Die Entschließung beruhte auf einem Modus Vivendi. (4) Bis zur Abstimmung am 17. Mai im Bundestag war dennoch ein hartes Ringen um den Kompromiss notwendig, der dennoch von den meisten CDU/CSU Abgeordneten (im Sinne Rainer Barzels) mitgetragen wurde. Schließlich konnten am 19.Mai die Verträge auch den Bundesrat (mit 491 Stimmen) passieren.
Mit den Ostverträgen war der Streit um eine zukünftige deutsche Politik noch längst nicht beendet. Sie warf einen langen Schatten auf alle anderen Ereignisse, die sich im Zeitraum von Mai bis September 1972 abspielten. (5) Mit dem Rücktritt von Karl Schiller als Wirtschafts- und Finanzminister zum 7. Juli 1972, der die finanzpolitischen Entscheidungen von Brandt nicht mittragen wollte, wurde das Kabinett mit Helmut Schmidt (ehemals Verteidigungsminister) und Georg Leber (bislang Verkehrs- und Postminister) umgebildet. Schmidt wurde Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, Leber übernahm das Verteidigungsministerium.
Der Austritt der Abgeordneten Kienbaum und Kühlstamm-Stumm aus dem Parlament im Mai 1972 musste auf die SPD nachdenklich werden, zumal sie durch Parteiausschluss auch ihren Abgeordneten Günther Müller verlor, der im September in die CDU eintrat. Rein rechnerisch verfügte die SPD und die Opposition jeweils über 248 Abgeordnete. Da auch Schiller nach seinem Rücktritt nicht mehr an den Sitzungen des Bundestages teilnahm, kam es zu einem so genannten Patt. 249 Stimmen, die die Kanzlermehrheit bedeuteten, erreichte niemand.
Die Situation konnte nur durch Neuwahlen überwunden werden. Am 20. September stellte Willy Brandt im Parlament die Vertrauensfrage. Die am 22. September stattfindende Abstimmung darüber ergab, dass 248 Abgeordnete mit Nein stimmten, 233 mit Ja. Nach der Ablehnung der Vertrauensfrage schlug Brandt dem Bundespräsidenten Heinemann vor, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen am 19. Novbember 1972 abzuhalten. (6)
„Es stehen nur Volksfeinde“ zur Wahl, meinte das linke Lager 1972. Und wollte sich selber einmischen. Meistens blieb es bei Diskussionen über den Parlamentarismus, über Reform und Revolution. Aber auch die Beteiligung der Kommunisten an Parlamentswahlen sorgte mit Lenin und der KPD aus der Weimarer Zeit für heftigen Zündstoff.
Schon Ende Juni/Anfang Juli gab das Org.-Büro der KPD/ML in seinem „Rahmenplan“ (7) bekannt, dass die „Aufgaben der KPD/ML zu den Neuwahlen“ darin bestehe, die Propaganda gegen „den Notstandskurs des Bonner Staates“ zu führen. Und dass die Massen bereit sein werden, „gegen jede von ihnen als undemokratisch erfahrene Maßnahme der Faschisierung den Kampf“ aufzunehmen. (8) Die Bonner Parteien, so das ZB, würden ihren „Notstandskurs“ dazu benutzen, um die „Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML“ durchzusetzen, „weil die Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung durch die KPD/ML die größte Gefahr für die Monopolherren darstellt.“
Das eigene Auftreten zu den Wahlen im November war damit umrissen. Es ging darum, den revolutionären Kampf zu führen, der allerdings hier mal mit dem Volk und stellvertretend für das Volk stattfinden sollte. Diese zugeschnittene Taktik war kein Sonderfall. Da die ML-Gruppen nie so recht zwischen Massen und Avantgarde unterscheiden konnten, (9) erfanden sie laufend neue Modelle für die Behandlungen dieser Frage.
Das ZB meinte, dass es „von der politischen und taktischen Geschicklichkeit der KPD/ML abhängen, ob die Massen dabei in den Kampf gegen das KPD-Verbot und das reaktionäre Wahlgesetz geführt werden können“. (10) Nachvollziehbar konnte diese Logik nicht sein; denn „KPD-Verbot“ und „reaktionäres Wahlgesetz“ schlossen von vornherein eine Beteiligung der Marxisten-Leninisten am Parlament aus. Den Größenwahnphantasien der KPD/ML war das gleich. Überhaupt war die Parlamentsfrage eine schwärmerisch-illusionistische Angelegenheit. Beruhte sie doch auf der russischen Räteidee nach der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917. Diese waren Massenbewegungen und spielten eine Schlüsselrolle im Kampf um die Macht. Die Epoche, in der sich die ML-Gruppen 1972 befanden, war dagegen ein seichter Wind. Trotzdem formulierte das ZB seine Lage und die Einschätzung der Kräfteverhältnisse mit den Worten:
„Die Schwäche der Partei kann kein ausschlaggebender Grund für den Boykott sein. Die Beteiligung an den Wahlen ist eine Frage der Einschätzung der Klassenkräfte und besonders der Stimmung der Massen. Die Schwäche der Partei ist jedoch ein sehr wesentlicher Faktor für die Entscheidung, wie sich die Kommunisten am Wahlkampf beteiligen. Allgemein gilt, dass die Schwäche der Partei Wahlbündnisse besonders notwendig macht und einen schwerpunktmäßigen Einsatz der Kräfte erfordert ... Die KPD/ML sieht die Neuwahlen, ganz gleich, ob sie im Herbst oder im Frühjahr stattfinden, als die zentrale Klassenschlacht für den Bonner Staat im nächsten halben Jahr an, weil hier am klarsten dem Bonner Staat der Bourgeoisie die gesamte Politik des Marxismus-Leninismus gegenübergesetzt wird, weil hier die Massen anhand ihrer eigenen Erfahrungen sich am besten von der Verfaultheit des Bonner Staates und von der richtigen Politik und Taktik der KPD/ML überzeugen können ... Der Inhalt dieser Wahlen wird der Kampf um die Politik von Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik sein ... Die KPD/ML wird den Wahlkampf und die Zeit der Vorbereitung dieses Wahlkampfes zu einer Schule für den Kommunismus machen. Dazu wird sie vor allem dem bürgerlichen Programm von Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik ihr Programm vom Sozialismus und Frieden entgegensetzen.
Die KPD/ML führt den Kampf gegen das Parteiverbot. Sie führt diesen Kampf weiter als einen Kampf zur Erweiterung der demokratischen Rechte der Werktätigen, deren außerparlamentarische Massenkampf und speziell deren antimilitaristischer Kampf mit dem KPD-Verbot unterdrückt werden sollte ... Die KPD/ML wird ihren Kampf gegen das Bonner Notstandsheer verstärken, vereinheitlichen und auf ein höheres politisches Niveau heben, wenn sie das klare Ziel sieht, das nur durch die proletarische Revolution erreicht werden kann: Sturz des Militarismus, Schaffung eines Arbeiter- und Bauernstaates, in dem die Armee eine Armee des Volkes darstellt, das ihm brüderlich verbunden ist ... Die KPD/ML muss die Taktik des grundsätzlichen Boykotts der Neuwahlen ablehnen, weil sie entweder auf einer schweren Fehleinschätzung der heutigen Situation beruht oder nichts anderes als die Widerspiegelung trotzkistischer Ansichten darstellt. Die KPD/ML muss weiter alle Theorien verurteilen, die wegen des Standes des Parteiaufbaus einen grundsätzlichen Boykott der Wahlen fordern.
Die KPD/ML muss weiter die reaktionären Wahlgesetze und das antidemokratische Parteiengesetz, ein Durchführungsgesetz zum KPD-Verbot, genau prüfen und untersuchen, in welcher Weise ein Kampf zur Durchbrechung dieser Gesetze aufgenommen werden kann. Dieser Kampf hat das Ziel, den ML und der Arbeiterklasse größere politische Freiheiten und eine ungehinderte sozialistische Propaganda zu erkämpfen und ist direkt gegen Notstandskurs und KPD-Verbot gerichtet. Wir führen ihn mit dem ernsthaften Ziel einer möglichst freien und ungehinderten Wahlbeteiligung. Das ZB muss genau untersuchen, in welcher Situation ein Wahlboykott notwendig ist wegen der reaktionären Wahlgesetze und der Unterdrückung der ML ... Die wichtigsten Kampfaufgaben der ML in der Vorbereitung der Neuwahlen sind der Kampf gegen das Parteiverbot, der Antikriegstag und der Kampf gegen das Stillhalten bis 1973 im Lohnkampf ... Der Kampf zu den Neuwahlen und in der Vorbereitung der Neuwahlen, besonders der Kampf gegen das Verbot der KPD/ML, wird ein wichtiger Hebel zur Herstellung der Einheit der ML sein. Die Herstellung eines Wahlbündnisses der ML in Westdeutschland als eines ersten Schrittes zur einheitlichen ml-Partei wird die Chancen der Revolution in unserem Land erheblich verbessern.
Das wichtigste Mittel zum ideologischen Parteiaufbau muss in den nächsten Monaten die Diskussion um Programm und Taktik der KPD/ML darstellen. Dabei kommt die größte Bedeutung der Diskussion um das Programm zu, und zwar hier vor allem der Frage des demokratischen und sozialistischen Kampfes. Ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung des ideologischen Parteiaufbaus ist die ständige Schulungsarbeit mit der Roten Fahne und die Erziehungsarbeit mit Hilfe klassischer Texte, die direkt von der Zentrale angegeben werden ... Genauso wie im ideologischen Parteiaufbau sind uns erst recht im organisatorischen Parteiaufbau einige Lehren erteilt worden, die uns Ansporn sein müssen, die aufgetretenen Schwächen mutig zu analysieren und die richtigen Mittel der Korrektur zu untersuchen ... Die wichtigste Frage ist für den Zustand der Partei der ideologische Zusammenschluss um die richtige Linie, um das Programm, und um die Fähigkeit, dieses Programm auf die konkrete Situation der jeweiligen Parteieinheit richtig anwenden zu können. Weiter müssen bestimmte Org.-Aufgaben sorgfältig untersucht werden, vor allem unsere Fähigkeit, den legalen und illegalen Kampf miteinander verbinden zu können.“ (11)
Hier ging es kunterbunt durcheinander. Es fällt schwer, den konfrontationswilligen Kern der ZB-Instruktionen festzuhalten. Zum einen ginge es in den Neuwahlen um eine „Einschätzung der Klassenkräfte“. Dann waren sie die „zentrale Klassenschlacht“. Zudem wird der „Inhalt dieser Wahlen“ ein „Kampf um die Politik von Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik sein“. Schließlich würde die KPD/ML „den Wahlkampf und die Zeit der Vorbereitung dieses Wahlkampfes zu einer Schule für den Kommunismus machen“. Und über all diesem Wust von Widersprüchen stülpte sich die Frage nach dem Wahlboykott. Hier meinte das ZB:
„Das ZB muss genau untersuchen, in welcher Situation ein Wahlboykott notwendig ist wegen der reaktionären Wahlgesetze und der Unterdrückung der ML ... Die wichtigsten Kampfaufgaben der ML in der Vorbereitung der Neuwahlen sind der Kampf gegen das Parteiverbot, der Antikriegstag und der Kampf gegen das Stillhalten bis 1973 im Lohnkampf ... Der Kampf zu den Neuwahlen und in der Vorbereitung der Neuwahlen, besonders der Kampf gegen das Verbot der KPD/ML, wird ein wichtiger Hebel zur Herstellung der Einheit der ML sein. Die Herstellung eines Wahlbündnisses der ML in Westdeutschland als eines ersten Schrittes zur einheitlichen ml-Partei wird die Chancen der Revolution in unserem Land erheblich verbessern.“ (12)
Der Gegenpol zum Bonner Staat schien schnell gefunden: ob Wahlbeteiligung oder nicht, die Neuwahlen seien auch ein „wichtiger Hebel zur Einstellung der Einheit der ML“. Obwohl die Vernichtungsstrategie gegenüber anderen ML-Organisationen als beschlossene Sache galt, wurde sie hier noch einmal auf den Thron gesetzt. Und sie wurde sogar als „ein erster Schritt zur einheitlichen ml-Partei“ bezeichnet.
Die wahllose Aneinanderreihung von Aufgaben, Einschätzungen Situationsbeschreibungen, programmatischen Ansätzen, die mit theoretischen Ergüssen gepaart waren, waren nicht nur grenzenlos utopisch, sie waren auch romantisch und vor allem ultraradikal, wenn etwa die erdachte Möglichkeit hinzugenommen wird, durch die Wahlen „die Chancen der Revolution in unserem Land erheblich (zu) verbessern“. (13) In der „Roten Fahne“ vom 10.7.1972 meint das ZB im Artikel „Neuwahlen, Notstand und Revanche oder Sozialismus und Frieden“:
„Vor zwei Wochen haben Brandt und Scheel bekannt gegeben, dass im November Neuwahlen stattfinden werden. Geredet wurde darüber schon seit längerer Zeit. Weshalb Neuwahlen, und warum jetzt? Das Gerede über Neuwahlen begann, als im April durch den Kauf und Verkauf von Abgeordneten die Schiebermethoden im Bonner Parlament immer deutlicher wurden. Als am 23. April die CDU die baden-württembergische Landtagswahlen gewinnt, ermuntert das den Abgeordneten Helms (FDP), zur CDU überzuwechseln. Seit dieser Minute befindet sich das Parlament im sogenannten 'Patt'. Regierung und Opposition haben je 248 Abgeordnete auf ihrer Seite. Tags darauf beschließt die CDU, die Regierung durch ein Misstrauensvotum zu stürzen ... Brandt bietet Verhandlungen über Neuwahlen an. Die Ankündigung von Neuwahlen soll jetzt das Ansehen von Staat und Parlament retten, deren Machenschaften offenbar geworden sind. Die Ankündigung der Neuwahlen soll vertuschen, wie einig sich CDU und SPD bei der Verabschiedung der Ostverträge sind, dem eingeschlagenen Kurs der Wiedergewinnung der 'Ostgebiete' und der Einverleibung der DDR.
Zwischen dem 9. und 25. Mai explodierten wie auf Bestellung eine Anzahl von Bomben. Sie sollen die Öffentlichkeit auf die Verfolgung und Zerschlagung der marxistisch-leninistischen Organisationen, der KPD/ML und der demokratischen Opposition vorbereiten. Bundesweit wird ein riesiger Verfolgungsapparat eingesetzt, der angeblich Jagd auf Baader-Meinhof (RAF, d. Vf.) macht. Was währenddessen hinter den Kulissen verhandelt wird, dringt kaum nach außen. Lediglich die Abstimmung über die Ostverträge rückt für kurze Zeit ins Blickfeld. Und wieder wird von Neuwahlen gesprochen, um die für jeden erkennbare 'Allparteienregierung' als ein Übel und das 'Patt' als eine Situation hinzustellen, die niemand will ... Die Zeit zwischen der Einigung über die gemeinsame Erklärung und der Verhaftung der letzten Baader-Meinhof-Mitglieder haben Sozialdemokratie und Unionsparteien benötigt, um sich über das Programm der 'inneren Sicherheit' und die neuen Notstandsgesetze einig zu werden.
Halten wir fest: Schlagartig, nachdem die westdeutsche Politik der Revanche durch die Entschließung zu den Ostverträgen bekräftigt ist, setzt die herrschende Klasse die Verschärfung der Notstandspolitik auf die Tagesordnung - zur Unterdrückung jener Kraft, die die Arbeiterklasse in den Aprilstreiks gezeigt hat ... Der 25. Juni aber ist der Endpunkt des Geredes von den Neuwahlen: Nach der Festlegung der Außenpolitik ist man sich einig geworden, diesen Staat des Großkapitals nach innen zu sichern, das Programm der 'Inneren Sicherheit' ist durchgesetzt. Damit liegt das politische Programm der herrschenden Klasse auf dem Tisch, der Weg zu Neuwahlen ist frei: Notstand und Revanchepolitik - das ist das Wahlprogramm der Bonner Parteien ... Die vorzeitige Auflösung des Bundestages und die Neuwahlen - das ist ein Zeichen für die Schwäche der Bonner Notstandsparteien, die jetzt versuchen, die Massen wieder an das Parlament zu fesseln. Aber die Programme dieser Parteien widersprechen den Wünschen des Volkes, es sind Notstands- und Revancheprogramme.
Die parlamentarischen Illusionen werden am besten bekämpft, wenn wir mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen, wenn wir Programm gegen Programm setzen, wenn wir zeigen, dass die Kommunisten auch in den Tagesfragen eine klare Antwort geben können ... Die Termine für Neuwahlen stehen fest. Die KPD/ML wird darum die Massen im Wahlkampf nicht ohne Führung lassen, sondern sich aktiv am Wahlkampf beteiligen, mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen und überall ihr Programm verbreiten. Dieser vorgezogene Wahlkampf wird ein Kampf sein, um die Massen den Klauen der sozialdemokratischen Illusionen zu entreißen. In einer offenen Diskussion werden KPD/ML und KJVD prüfen, welche Mittel dabei dem Kampf der Arbeiterklasse am besten dienen: der Wahlboykott oder die Aufstellung eigener Kandidaten als Partei oder als Wahlbündnis ... Diesem System muss ein Ende bereitet werden, es muss gestürzt werden! Der Sozialismus - die Freiheit und Demokratie der Massen der Werktätigen und ihre Diktatur über die gestürzten Schmarotzer - das muss die Perspektive der Arbeiterklasse und des Volkes sein. Sie steht der Perspektive der Brandt und Strauß direkt entgegen. Die Neuwahlen müssen eine Zeit der Abrechnung mit der 'Demokratie' Brandts werden, die auch die 'Demokratie' der Barzel, Strauß und Genscher ist ? die Diktatur der Geldsäcke. Vorwärts im Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Für Sozialismus und Frieden!“ (14)
Mit der „vorzeitigen Auflösung des Bundestages“ stand die Frage an, wie das ZB mit ihrem Anspruch „Heran an die Massen“ umzugehen gedachte. Als ausdrückliches Ziel wurde formuliert: „Die KPD/ML wird darum die Massen im Wahlkampf nicht ohne Führung lassen, sondern sich aktiv am Wahlkampf beteiligen, mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen und überall ihr Programm verbreiten. Dieser vorgezogene Wahlkampf wird ein Kampf sein, um die Massen den Klauen der sozialdemokratischen Illusionen zu entreißen.“
Damit war in gewisser Weise der politische Tiefpunkt des ZB erreicht. Ein Programm, wie vorgegeben wurde, hatte die KPD/ML nicht. Es wurde jedoch der Anschein erweckt, dass man es hätte. Und damit die Massen dazu bewegen könne, mit der Regierung abzurechnen, um sie „den Klauen der sozialdemokratischen Illusion zu entreißen“. Diese Neubewertung der Massen war erstaunlich. Waren sie bisher immer nur anonyme Kämpfer, so wurden sie jetzt im Wahlkampf schlaglichtartig zur aufgeputzten Bewegung; denn die „Zeit der Abrechnung“ sei nun gekommen.
Was das ZB als totale Perspektive verstand, war der große Mythos. Das Schlüsselglied der revolutionären Massenstrategie war die Machtprobe zwischen Staat und Massen. Die KPD/ML selbst sollte dabei das Zünglein an der Waage spielen. Sollten doch die Neuwahlen dem „System ein Ende bereiten ... es muss gestürzt werden“. Nach dem RAKT kreiste die Diskussion darum, ob die angestaute Zerstörungswut den Widerstand gegen den „Bonner Staat“ noch einmal kanalisieren könne, und ob sie einen gewalttätigen Charakter habe. Ausdrücklich war davon gesprochen worden, dass der totale Angriff im Ende des Systems bestehen müsse. Doch man konnte nicht einfach die Wahlkabinen stürmen, die Urnen in Brand setzen, das Wahlvolk mit Brachialgewalt daran hindern, ihre Stimme abzugeben. Eine Antwort darauf, wie denn mit den Neuwahlen der Bonner Staat gestürzt werden könne, gab das ZB nicht. Es blieb bei Absichtserklärungen.
In seinen Plänen hatte das ZB den berühmten Joker versteckt, der anstelle der Massen, die in der ZB-Illusion nur aus vagen Vorstellungen bestanden, stechen sollte. Das ZB wolle nun prüfen, mit welchen Mitteln sie dem Staat zu Leibe rücken könne. Und was „dem Kampf der Arbeiterklasse am besten diene“, der „Wahlboykott oder die Aufstellung eigener Kandidaten als Partei oder als Wahlbündnis“. Wenn schon die Massen die revolutionären Erwartungen nicht erfüllen können, dann müssen es deren Selbstverwalter tun. Alle angedachten Perspektiven waren mehr oder weniger Versuche der Verschleierung und Modelle ohne Rahmen. Irgendwie erinnerte das an Infiltrationen des bürgerlichen Staatsapparates, wie es Dutschke einst mit seinem „Langen Marsch“ beschrieben hatte. Die Illegalisierung der KPD/ML musste zudem diesen Wunschtraum schnell zerschlagen; denn selbst bei einer Wahlbeteiligung hätte die KPD/ML ihre Kandidaten öffentlich zur Schau stellen müssen. Das war nach dem Stand der Dinge zum Unding geworden.
Am 7.8. brachte der KJVD die Nr. 7 seines „Der Kampf der Arbeiterjugend“ heraus. Im Artikel: „Neuwahlen. Was steht zur Wahl?“ hieß es:
„Im Bonner Parlament sitzen keine Volksvertreter, sondern nur die Interessenvertreter des Monopolkapitals ... Denn im Bonner Staat geht die Macht nicht vom Parlament, der angeblichen Volksvertretung aus. Mit den Notstandsgesetzen hat sich der Bonner Staat das Terrorinstrument geschaffen, um jederzeit die Maske des Parlaments fallen zulassen ... Darum können die Marxisten-Leninisten auch nicht über das Parlament die Macht im Bonner Staat ergreifen. Denn genau dann, wenn die Marxisten-Leninisten die Mehrheit im Bonner Parlament eroberten und die Volksmassen zu Aufständen übergingen, wird der Bonner Staat das machtlose Parlament auseinander jagen. ... Hier aber zeigt sich, worauf sich vor allem die Macht des Bonner Staates stützt: Nicht auf das Parlament, sondern auf die Bundeswehr, die Notstandstruppen, die Klassenjustiz. Ohne den gesamten staatlichen Apparat zu zersetzen und schließlich zu stürzen, ist dem System der Ausbeutung und Unterdrückung kein Ende zu bereiten.“ (15)
Wird das nostalgische Wunschdenken des KJVD einmal beiseite gelassen, so schälte sich hier die Scheidelinie zwischen Anspruch und Wirklichkeit heraus. Erst dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse geändert sind, würde der „Bonner Staat das machtlose Parlament auseinander jagen“. Das treibende Motiv der Veränderung der Mehrheitsverhältnisse, so paradox das klang, gipfelte in der Zersetzung der staatlichen Apparaturen. Die Unterschiede waren bedeutsam. Der KJVD sprach nun nicht davon, dass der Wahlkampf ein „Kampf um die Massen sei“. Befand er sich bereits auf dem Rückzug? Über die Hilfskonstruktion „Zerschlagung des Parlamentarismus“ zog er sich mit dieser nachträglichen Bestätigung auf die Positionen des alten Arbeiterbewegungsmarxismus zurück, die es ihm erlaubte, Kampfentschlossenheit zu zeigen und auf einen physischen Zusammenbruch zu warten. Alle mehrdeutigen Formulierungen zu den Neuwahlen brachten im Endergebnis unlogische Wendungen hervor, die die KPD/ML-ZB in der Rolle eines Geburtshelfers sah. Sie dokumentierte die stets bereitwillige und dienstbereite Organisation der Weltrevolution. Und sah sich als radikalste Gegenthese mit der Gewissheit, Tausende zu radikalisieren.
Mit der Herausgabe der „Roten Fahne“, Nr.16 vom 7.8.1972 waren alle Gedanken zu den Neuwahlen wieder Schnee von gestern. Eine „Stellungnahme der KPD/ML-Betriebsgruppe Minister Stein zur Taktik der Partei bei den Neuwahlen“ nahm das ZB zum Anlass zu erklären: „Wir müssen den Notstandskurs, die Aufrüstung und Revanchekurs lebendig vor den Massen enthüllen. Wir müssen gegen das Parteiverbot, gegen die Faschisierung und Militarisierung einen konkreten Kampf führen. Auf dem Hintergrund dieser Aufgaben muss die Frage der Wahlbeteiligung oder des Wahlboykotts diskutiert werden." (16)
Noch immer lagen die Widersprüche im „Notstandskurs“ und der „Revanchepolitik“ begründet. Die wachsende Verlegenheit galt dem Halbsatz, „ihn lebendig vor den Massen enthüllen“. Mit dieser Revolutionsmetapher zog sich die KPD/ML-ZB auf seine apokalyptischen Sehnsüchte zurück. Die Wende, die in allen Kampagnen eintreten sollte, war nicht erreicht worden. Die letzte Schlacht, die geschlagen werden musste, waren die Neuwahlen. Es schien so, dass das Haus über dem Kopf zusammenbrechen sollte. Aus der einstigen Spur der Naivität wurde die krampfhafte Suche danach, Verbündete für diesen Ausflug ins parlamentarische System zu finden. Im ersten Gefühlsüberschwang und mit höchster Geschwindigkeit wurde die These Beteiligung an den Wahlen oder nicht, an die Organisation weiter gegeben. Für den Prozess der Errichtung einer festen Grundlage blieb keine Zeit. Es gab auch keine Veränderungen am Rande. Es war kein vielgepriesener Wandel, der angeboten wurde, sondern die universale Verlogenheit. Längst hatte das ZB die Frage seiner Beteiligung an den Neuwahlen aufgegeben. Um der Massenarbeit noch ein ideologisches Raster zu verpassen, entdeckte man noch einmal das „Parteiverbot“, die „Faschisierung“ und die „Militarisierung“. Vor diesem Hintergrund gab es allerdings nichts mehr, was zur Klärung der Wahlfrage hätte beitragen können. Die „Stellungnahme der KPD/ML-Betriebsgruppe Minister Stein zur Taktik der Partei bei den Neuwahlen“ führte aus:
„Welche Mittel dienen dem Kampf der Arbeiterklasse am besten bei den Neuwahlen im Winter: der Wahlboykott oder die Aufstellung eigener Kandidaten als Partei, oder als Wahlbündnis? Diese Frage stellt die ROTE FAHNE Nr.14 an die Partei und an den Jugendverband. Wir beantworten die Frage zunächst spontan und ausgehend von den Erfahrungen unserer täglichen politischen Arbeit ... Die Massen haben sich noch nicht vom Parlamentarismus gelöst, obwohl sie bereits auf dem Weg dazu sind ... Sicher würden viele einen Wahlboykott der Partei als 'Drückebergerei', als Furcht vor einer offenen Auseinandersetzung mit den Bundestagsparteien auffassen ... Also Boykott? Nein, diesem Argument begegnen wir am besten durch einen aktiven Wahlkampf, wo wir am offensivsten Propaganda für die proletarische Demokratie, für den Staat der Arbeiter und Bauern betreiben können. Selbst, wenn keine Wahlen anstehen, ergibt sich aus der Diskussion mit vielen Kollegen, dass sie eine Wahlbeteiligung der KPD/ML als selbstverständlich ansehen ...
Wahlbeteiligung - das hieße, die Illusionen über die proletarische Demokratie zu zerstören. Der (politische) Kampf, der mit allen Mitteln vom Staat und seinen Parteien gegen uns geführt werden würde, würde die Einsicht der Massen in den Charakter dieses Notstandsstaates vergrößern. Und weiter: Indem wir uns nicht daneben stellen und schimpfen, sondern unsere Politik und Ansichten vor die breiteste Öffentlichkeit tragen ... Ein Boykott hieße Verzicht auf die wirkliche Alternative für die Arbeiterklasse, nämlich die Partei, die den Massen nicht vorgaukelt, das Parlament sei ein Instrument des Volkes, sondern die auf allen Ebenen den Kampf für die proletarische Rätedemokratie, die Diktatur des Proletariats aufgenommen hat. ... Eine KPD/ML, die sich zur Wahl stellt, ist für die Kollegen eine wirkliche Alternative, stellt sie ganz praktisch und zwingend vor die Frage: Spreche ich mit meiner Stimme dieser Partei mein Vertrauen aus, unterstütze ich ihr Programm, wende ich mich bewusst von den anderen Parteien ab?
Wir bejahen also voll und ganz die Beteiligung an den Wahlen. Es ist klar, dass dies in agitatorischer Hinsicht von der Partei soviel fordert wie noch nie. Denn die Illusionen über Parlamentarismus und Wahlen und über eine Beteiligung der KPD/ML an den Wahlen, dazu die Bedenken vieler Arbeiter gegen unsere Partei sind stark und erfordern größte Anstrengungen, um sie zu zerstören. Das gilt vor allem auch für die Frage: Wir sind grundsätzlich gegen das parlamentarische System und den kapitalistischen Staat und wollen dort trotzdem Einfluss erringen ... Eine weitere Frage, die zu klären wäre, ist die nach den Kräften und organisatorischen und technischen Möglichkeiten der Partei ... In diesem Zusammenhang gibt es noch einen wichtigen Grund für eine Wahlbeteiligung: Die dazu notwendige Vorbereitung und Arbeit der Partei würde entscheidend zur Konsolidierung, zur ideologischen Stärkung der Partei beitragen, sie würde die Partei enger zusammenschließen durch diese für sie große politische Aufgabe - allerdings nur dann, wenn die ideologische Vorbereitung und Ausrichtung der Partei vorher ausreichend war.
Zusammenfassung: Die Betriebsgruppe ist der Meinung, die Partei solle sich an den Wahlen beteiligen.
1. Der Hauptgrund ist, dass die Arbeiterklasse, soweit sie uns kennt, bei der Wahl nicht vor der Frage steht: Welche Partei ist das kleinste Übel, sondern eine wirkliche Alternative! Indem wir uns zur Wahl stellen, bilden wir solange eine Alternative, wie die Massen nicht praktisch die Frage nach der proletarischen Demokratie stellen - nur in diesem Falle wäre eine Wahlbeteiligung sinnlos, falsch. Die Partei hat durch die Durchführung der Urabstimmung im Bergbau bereits eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wer damals ein Kreuzchen machte, gab uns sein Vertrauen, sah in uns die Alternative.
2. Die Wahlbeteiligung bedeutet auch in den Augen der Massen eine offensive Politik. Wenn wir es verstehen, die Wahl richtig zu nutzen, wird unser Programm als Kampfprogramm gegen die Bonner 'Demokratie' vor den Massen deutlich werden, haben wir ferner die Möglichkeit, praktisch zu erläutern, was die revolutionäre Alternative zum Kapitalistenstaat ist.
3. Die Anstrengungen, die der Partei im Falle einer Wahlbeteiligung in ideologischer und organisatorischer Hinsicht bevorstehen, sind riesig groß. Aber die Partei sollte ihre Kräfte weiter steigern und zusammenstehen, dann wird der Wahlkampf auch die Partei festigen und stärken.“ (17)
Der zugespitzte ZB-Kurs zu den Neuwahlen fand sich in dieser Stellungnahme wieder. Sie war eine programmatische Deklaration, die das ZB an seinen eigenen Theorien maß: in die „Massen gehen!“ Insofern war diese Stellungnahme für sich genommen, der Ruf nach der Verbreiterung der Einflussmöglichkeiten. Und sie erfüllte zudem auch den Gedanken der strategischen Wendungen und taktischen Zuspitzungen. Beides war nach dem RAKT angesagt. Die Neuwahlen, so könnte die Stellungnahme der Betriebsgruppe zusammengefasst werden, wurde zur existenziellen Frage des Überlebens der KPD/ML-ZB. Das ZB führte in der „Rote Fahne“ Nr. 17 vom 21.8.1972 im Leitartikel: „Wahlvorbereitungen. Bonn: Wahlabsprachen und KPD-Verbot“ dazu aus:
„Die Retter der Nation haben in Wahrheit nichts anderes zu bieten, als ein Brandt und ein Scheel auch. Ihr Ausweg aus dieser wirklich erschütterten und bankrotten Kapitalistenordnung, aus der Krise des Bonner Staates, ist kein anderer als der der SPD-Führer ... Zu kurzsichtig ist das Theater von Barzel, der zu Beginn des Wahlkampfes als 'Retter der Nation' dastehen will. Auch sie werden, wie SPD-Schmidt, die fehlenden 54 Milliarden DM für die Bonner Kriegskassen durch Erhöhung der Steuern der Werktätigen herauszupressen versuchen, denn auch sie werden die ungeheure Aufrüstung der SPD-Regierung weiterführen ... Es bestätigt sich also auch an den Wahlvorbereitungen, was das Zentralbüro der KPD/ML in seinem Rahmenplan zu den Neuwahlen feststellte: 'Im Mittelpunkt des Notstandskurses werden zunehmend die Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML stehen, weil die Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung die größte Gefahr für die Monopolherren darstellt. Die Neuwahlen werden Notstandswahlen sein.“ (18)
Versteckt kristallisierte sich hier heraus, dass das ZB sich nicht mit eigenen Kandidaten an den Neuwahlen beteiligen würde. Indem der Notstandskurs die „zunehmenden Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML“ offenbart und die Neuwahlen „Notstandswahlen“ sein werden, sollte sich in dieser Krisenatmosphäre kaum ein Weg finden lassen, um ein legales Vorgehen zu favorisieren. In der gleichen „Roten Fahne“ erklärte das ZB:
„Revolutionärer Parlamentarismus. Die Taktik unserer Partei zu den Neuwahlen:
Aber kann die Arbeiterklasse durch Wahlen zum Sozialismus kommen? Nach dem Kriege hatte die französische Kommunistische Partei nicht nur die Mehrheit der Arbeiterklasse hinter sich, nicht nur eine Gewerkschaft mit 6 Millionen Mitgliedern aufgebaut, sie ging auch aus den Wahlen 1946 als stärkste Partei hervor. Sie war es ja, die an der Spitze des heldenhaften Kampfes gegen die faschistischen Besatzer und die französische Reaktion gestanden hatte. Sie bildete mit den Sozialdemokraten und Antifaschisten eine Regierung. Da sie aber sich nicht mehr auf die Waffen des Volkes stützen konnte, die dem Volk durch die amerikanischen Imperialisten und die nationalen Verräter aus der Hand geschlagen worden waren, vertrieben die Diener des US-Imperialismus und der französischen Reaktion die Kommunisten aus der Regierung, sperrten sie ein und änderten das Wahlgesetz.
Durch diese Änderung verlor die KPF bei den nächsten Wahlen 79 Mandate. 1956 erhielt die KPF 150 Sitze. Wieder änderten die Reaktionäre das französische Wahlgesetz und die KPF erhielt bei den nächsten Wahlen 140 Sitze weniger. Dieses Beispiel zeigt doch sehr deutlich, wie Recht Lenin hatte, als er sagte: 'Nur Schufte und Einfaltspinsel können glauben, das Proletariat müsse durch Abstimmung, die unter dem Druck der Bourgeoisie, unter dem Joch der Lohnsklaverei vor sich gehen, die Mehrheit erobern und könne erst dann die Macht ergreifen. Das ist der Gipfel der Borniertheit oder der Heuchelei, das hieße den Klassenkampf und die Revolution durch Abstimmung unter Beibehaltung der alten Gesellschaftsordnung, unter der alten Staatsmacht, ersetzen.' ... Obwohl wir Kommunisten das Parlament und die Wahlen als Betrugsinstrument entlarven und schonungslos diejenigen bekämpfen, die ihren 'parlamentarischen', 'friedlichen' und 'demokratischen' Weg zum Sozialismus anpreisen, obwohl wir wissen, dass die Krupps und Thyssen mit Waffengewalt ihre 'Paradiese' verteidigen werden, sind wir für die Beteiligung an Wahlen und am Parlament.
Wir lehnen es nur dann ab, daran teilzunehmen, wenn die Volksmassen unter der Führung der Arbeiterklasse bereit sind, den Bonner Staat im bewaffneten Aufstand hinwegzufegen. Heute ist aber eine solche Situation noch nicht vorhanden ... Unsere Partei wird im selben Sinne Parlamentsarbeit machen wie Liebknecht und die KPD Ernst Thälmanns. Weil eben die breitesten Massen zwar fühlen, dass das Bonner Schieberparlament ein Betrugsinstrument ist, sich aber noch nicht von ihm abgewandt haben, müssen die Kommunisten auch den Kampf im Parlament führen. Die Hauptaufgabe ist dabei die Entlarvung des Bonner Parlaments als Instrument der Krupps und Thyssen, um die Massen zu betrügen. Das Parlament muss als Tribüne des Klassenkampfes benutzt werden. Die Bonner Parteien werden sich so weiter entlarven und der Kampf der Massen wird noch erbitterter. Die Kommunisten werden z. B. im Parlament fordern: 'Nieder mit dem Lohndiktat', 'Freiheit für die Marxisten-Leninisten', 'Weg mit den Notstandsgesetzen' ... und ähnliche Forderungen der Massen stellen, nicht als Bitten, sondern als Kampfansage an das Bonner Parlament.
Der Kampf der Massen leitet den Kampf im Parlament und nie umgekehrt. Der Parlamentarismus in seiner revolutionären Form ist eine wichtige Form des Kampfes und die Kommunisten dürfen darauf nicht verzichten. Sie dürfen auch dann nicht darauf verzichten, wenn der Bonner Staat mit Gewalt versucht, die Kommunisten aus dem Parlament fernzuhalten. Sie haben Angst vor der Stimme der Massen im Parlament. Deshalb gibt es die Wahlbeschränkungen, die 5-Prozent-Klausel und auch das KPD-Verbot soll die Kommunisten, die Führer des Kampfes der Arbeiterklasse für die Diktatur des Proletariats auch aus dem Parlament vertreiben. Wir müssen für die Aufhebung dieser unfreien Wahlen, gegen den Terror der Krupps und Thyssen, Kommunisten und Demokraten mobilisieren. Auch im Parlament müssen die Volksmassen ihre Stimme erheben können. Wir meinen also, dass sich die Partei an den Wahlen beteiligen sollte und dass sie überprüfen muss, wie sie es tut. Das hängt davon ab, wie groß ihre Kräfte sind und wie sie es versteht, die Kräfte der Marxisten- Leninisten zusammenzufassen ... Unabhängig davon, ob wir in der Lage sein werden, eigene Kandidaten aufzustellen, haben wir aber im Wahlkampf große Aufgaben.
Es ist in aller erster Linie notwendig, dem Programm des Notstands, der Aufrüstung und der Revanchepolitik unser Programm des Sozialismus und Friedens, des Arbeiter- und Bauernstaates entgegenzuhalten. Wir müssen gegen die Bonner 'Demokratie' das lebendige Bild des Sozialismus und der Diktatur des Proletariats stellen. Die zweite Aufgabe ist es, entsprechend den Forderungen der Massen ein konkretes Programm des Kampfes für die wirtschaftlichen und politischen Rechte der Volksmassen aufzustellen. Gegen Lohndiktat, Lohnraub, Sklavengesetze im Betrieb, KPD-Verbot, Kriegsvorbereitungen und Revanchepolitik müssen wir konkrete Forderungen formulieren. Die dritte Aufgabe ist es, den Charakter des Bonner Schieberparlaments und seiner Parteien einschließlich der revisionistischen DKP ständig zu entlarven. Das sind große Aufgaben, und sie sind nur zu erfüllen, wenn alle wirklichen Marxisten-Leninisten sie gemeinsam lösen. Gelingt uns hier aber ein Durchbruch, dann ist das ein großer Sieg, der den Kampf im Betrieb und auf der Straße beflügeln wird. Es ist notwendig, mit großer Energie an die Lösung dieser Aufgabe zu gehen. Die Arbeiterklasse muss auch hier eine wirklich marxistisch-leninistische Partei als Führer und Leiter des parlamentarischen Kampfes haben.“ (19)
Es bleib bei einer plumpen „Parlamentsarbeit“ und der „Entlarvung“ des „Bonner Notstandskurses“. Auf diese Weise zog das ZB es vor, sich vorzeitig von den Arbeitermassen und den Parteimassen zu entfernen. Das großspurige Gerede von der kollektiven Stärke wurde zur irreführenden Phrase. Und endete mit den üblichen revolutionären Trommelwirbeln und den Schallmaienklängen. Gleichzeitig zeigte sich, dass die für möglich gehaltene politische Zuspitzung zur Zeit der Neuwahlen nicht eintrat. Der Artikel lieferte auch ein Beweis dafür, dass das ZB schon teilnahmslos agierte, weil sich die „revolutionäre Lage“ oder die „Linksentwicklung“ nirgendwo herauskristallisierte. Die grobe Propaganda erschien daher als ein künstlicher Weg, der den Eindruck hinterließ, dass die revolutionäre Offensive mangels Masse nun zurückgenommen werden muss. Alles war mit jener exklusiven Geheimsprache umspült, die das ZB als politische Spekulanten auswies.
Gab es dennoch eine „Linksentwicklung“, die die „Massen in Aktion sah, war sie bedeutsam genug, um sie mit den Neuwahlen in Verbindung zu bringen. Zum 25.8.1972 ging in Herne oder Bochum der sog. „Straußprozess“ (20) zu Ende. In einigen Städten des Ruhrgebiets entfaltete das ZB eine Kampagne gegen die „Verurteilung der Roten Fahne“. U. a. auch in Bochum. Darüber berichtete die „Rote Fahne“, Nr. 18 vom 2.9.:
„Zur Aufklärung und Mobilisierung der Bevölkerung zum Prozess gegen die ROTE FAHNE hatte die KPD/ML in Bochum eine Aktion in der Innenstadt durchgeführt. Unmittelbar vor dem Prozess wurde mit Passanten gesprochen, die RF verkauft und wurden Handzettel verteilt ... Auch die Bevölkerung in Bochums Innenstadt urteilte anders, als das Gericht ... Wieso ist Strauß denn kein Faschist? Das ist doch paradox, jeder nennt doch Strauß einen Faschisten und hier soll einer dafür verurteilt werden? ... Eine offensive Aufklärung, Mobilisierung und Organisierung der Massen zum Kampf bis in den Gerichtssaal hinein, das war der richtige Weg, den die Partei - wenn auch teilweise noch zaghaft - hier gegangen war ... Ein Polizeiwagen kommt langsam über den Platz. Hält dicht vor dem Megaphon. Die Menschenmenge ist auf etwa 100 angewachsen.
Der Redner ruft sie auf das Megaphon vor der Polizei zu schützen. Zu spät, sie entreißen es nach kurzem Kampf und werfen es in ihren Wagen. Sie fragen nach dem Verantwortlichen, fordern den Genossen auf, mitzukommen. Aber jetzt treten die Massen in Aktion. Ein dichter Ring von Menschen schließt sich um den Wagen zusammen. Die Polizisten geben den Versuch auf, den Genossen zu verhaften und flüchten zurück in ihren Wagen ... Faustschläge und Fußtritte prasseln auf den Polizeiwagen. Es wird versucht, ihn umzuwerfen. So groß ist die Empörung der Massen über diesen Überfall. Die Polizisten lassen den Motor ihres Wagens aufheulen, versuchen zurückzusetzen. Das misslingt. Sie fahren vorwärts - in die Menschenmenge hinein ... Einer wird angefahren und zu Boden geschleudert. Nur mit äußerster Mühe und mit brutaler Gewalt gelingt es der Polizei, sich den Weg frei zu machen.“ (21)
Obgleich dieser Artikel nur so von militanten Äußerungen strotzte, lieferte er dennoch Hinweise, wie das ZB sich die kommenden Wahlschlachten vorstellte. Die „Organisierung der Massen“ bestand in Bochum aus einer leichten Truppe des Parteivolkes, das auf dem Springerplatz eher durch Zufall mit dem Polizeiwagen konfrontiert worden war. Daraus machten die Missionare des Zentralbüros einen „dichten Ring von Menschen“, die später versucht haben sollen, den Polizeiwagen „umzuwerfen“. Das war die „revolutionäre Offensivtheorie“, die nun auch übergangslos die Neuwahlen bestimmen sollte.
Eine Konferenz sollte den eingeschlagenen Kurs bestätigen. Der sogenannte Links-Einfluss der Partei, der immer mehr die Runde machte, sollte von bolschewistischer Prägung sein, die Neuwahlen der „Knotenpunkt der Klassenauseinandersetzungen“. Am 26.8. fand eine Landeskonferenz der KPD/ML und der Politleiter der Landeskomitees des KJVD statt. In der „Roten Fahne“ Nr. 18 vom 2.9. hieß es: „Diese Konferenz war besonders wichtig, weil hier über den Stand der programmatischen Arbeit des Zentralbüros angesichts der bevorstehenden Neuwahlen berichtet wurde. Die Politik und Taktik der Partei bei den Neuwahlen wurde diskutiert, Beschlüsse zur Reorganisation der Partei gefasst und die besonderen Aufgaben der Partei beim Antikriegstag am 2. September bestimmt.“
Zum Stand der programmatischen Fragen wird ausgeführt:
„Der Stand der programmatischen Arbeit, besonders das Verhältnis des demokratischen Kampfes zum sozialistischen, das heißt die Verbindung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Kämpfe mit dem bewaffneten Sturz des Bonner Staates und der Errichtung der Diktatur des Proletariats wurden ausführlich diskutiert ... Die Konferenz stellte zum Programm fest: Die zentrale Frage besteht darin, wie die Arbeiterklasse ihre Hegemonie, ihre Führung beim Sturz des Bonner Staates verwirklicht, wie kann die Arbeiterklasse nicht nur sich selbst, sondern auch die breitesten Volksmassen zum Sturz des Bonner Staates führen und welche Aufgaben ergeben sich daraus. Das Ziel der Arbeiterklasse ist der Sozialismus. Alle Fragen des Programms müssen von daher beantwortet werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Arbeiterklasse und ihre Partei - gerade um ihre Führung zu verwirklichen - den Kampf für Demokratie ablehnen oder vernachlässigen dürfen.
Die Feststellung im 'Bolschewik' 7 ..., dass die Revisionisten deshalb Revisionisten sind, weil sie den demokratischen Kampf führen ... ist falsch ... Die Partei und die marxistisch-leninistische Bewegung haben deshalb die erstrangige Aufgabe, die Bedeutung des demokratischen Kampfes zu untersuchen und sich nicht durch das trotzkistische und 'links'-revisionistische Geschrei beeindrucken zu lassen. Dabei ist es erstens notwendig, die objektive Seite der Entwicklung des westdeutschen Imperialismus zu untersuchen, seine Verschmelzung mit dem Junkertum und dem feudalen Klerus, die Agrarverhältnisse in Deutschland usw.. Zweitens ist die subjektive Seite der Arbeiterbewegung zu untersuchen, besonders die Tatsache, dass die deutsche Arbeiterklasse nicht in ganz Deutschland eine demokratische Revolution zu Ende geführt hat.
Für die Zeit nach dem II. Weltkrieg ist es wichtig, die Frage der Beseitigung der Grundlagen des Faschismus in Deutschland und die nationale Frage für heute aufzuwerfen und klar zu beantworten ... Die Konferenz begrüßte den Vorschlag des Zentralbüros zur programmatischen Arbeit und hob die große Bedeutung der programmatischen Arbeit für die Geschlossenheit der Partei und die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML hervor. Die Konferenz stellte fest, dass die Neuwahlen in der Tat einen Knotenpunkt der Klassenauseinandersetzungen darstellen. In den Neuwahlen stehen sich das Programm des Notstands, der Aufrüstung und der Revanchepolitik, das Programm also der Monopolherren und ihrer verschiedenen Parteien und das Programm des Sozialismus, der Demokratie und des Friedens, das Programm also der Arbeiterklasse und der breiten werktätigen Massen gegenüber. Das verlangt von der Partei größte Anstrengungen, um in den Massen unser Programm des Sozialismus und Friedens zu verbreiten, um die Wahlen zu einem schweren Schlag gegen den Bonner Staat zu machen.
Die Konferenz hob aber hervor, dass die Partei noch nicht in genügendem Maße auf diese große Aufgabe vorbereitet ist. Das trifft sowohl für die Politik, als auch besonders für die Taktik und Organisation zu. Zwar gibt es in der Partei kaum parlamentarische Illusionen oder einen 'prinzipiellen' Antiparlamentarismus als politische Strömung; trotzdem ist die Diskussion zu Politik und Taktik um die Neuwahlen kaum entwickelt. Es ist deshalb notwendig, zu den Fragen des Sozialismus und der Diktatur des Proletariats und zum Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik und wirtschaftliche Ruinierung der Massen einen Wahlaufruf zu verfassen. Besonders betont die Konferenz, dass der wirtschaftliche Kampf besser als in den letzten Monaten mit dem wirtschaftlichen Kampf verbunden werden soll ... Bei der Frage der Taktik beschäftigte sich die Konferenz ernsthaft mit dem Problem der organisatorischen Vorbereitung der Partei auf eine Durchbrechung des KPD-Verbots im Wahlkampf.
Um sich an den Wahlen zu beteiligen, muss die Partei alle Vorkehrungen treffen, das KPD-Verbot erfolgreich durchbrechen zu können und den wilden Schlägen der Bourgeoisie gegen unsere Partei zu trotzen. Die Konferenz beschloss, alle erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, noch vor der Wahl diese organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen und in den tagtäglichen Kämpfen zu erproben. Gelingt uns das nicht, dann muss von der Partei ernsthaft überprüft werden, ob sie sich durch Aufstellung von Kandidaten an den Wahlen beteiligt. Eine Entscheidung muss die Entscheidung der ganzen Partei sein ... Auf der Grundlage eines Referats des Orgbüros des Zentralbüros der KPD/ML wurden äußerst wichtige Beschlüsse zum weiteren Aufbau der Partei in Richtung einer bolschewistischen Kampfpartei gefasst. Ausgehend von der Tatsache, dass die marxistisch-leninistische Bewegung an Bewusstheit und Organisiertheit hinter der Entwicklung der spontanen Kämpfe der breiten Massen, nicht nur der Arbeiterklasse, sondern auch der Werktätigen in Stadt und Land, zurückgeblieben ist, müssen die sektiererischen, und als Resultate davon, die menschewistischen Fehler nicht nur auf politischer, sondern auch auf organisatorischer Ebene überwunden werden. Für vier Aufgaben wurden vorläufige Direktiven gebilligt:
Diese vier Aufgaben müssen gelöst werden, um die politische Linie der Partei durchsetzen zu können ... Um aber den ideologischen Aufbau der Partei nicht von dem organisatorischen zu trennen, ist es nicht nur notwendig, die politische Linie der Partei diszipliniert durchzuführen, sondern auch die Schulung fest in die Hand zu nehmen. ... Der Vertreter der provisorischen Bundesleitung des KJVD stellte noch einmal die wichtigsten Aufgaben der Kommunisten im Kampf gegen den imperialistischen Krieg dar. Die erste und wichtigste Aufgabe im Kampf gegen den imperialistischen Krieg ist der Kampf für die Entwicklung der Bourgeoisie und die Bewaffnung des Proletariats, d. h. die allgemeine Volksbewaffnung unter Führung der Arbeiterklasse für den Sturz des Bonner Staates zu erkämpfen. Eine zweite äußerst wichtige Aufgabe ist der demokratische Kampf gegen die Massenmilitarisierung und die Vorbereitung eines Revanchekrieges durch die westdeutschen Imperialisten.
Hier besteht die Aufgabe darin, für die Verhinderung eines bestimmten Krieges alle Kräfte des Friedens zu mobilisieren. Heute stehen beide Aufgaben vor uns und es ist die Pflicht der Partei, wie der Vertreter der Provisorischen Bundesleitung zurecht hervorhob - diesen Kampf zu führen ... Auch die Durchführung des Antikriegstages ist ein Beweis dafür, dass sich die Partei auf die bloße Anleitung der antimilitaristischen Arbeit als Ressort-Arbeit beschränkt. Die Partei muss alles tun, um diesen Zustand zu ändern. Auf der Konferenz konnte über die Fragen der Verhinderung eines bestimmten Krieges zwar grundsätzlich in bezug auf einen dritten Weltkrieg, aber nicht in bezug auf den Kampf gegen den Revanchekrieg des Bonner Regimes Einheit erzielt werden ... Es muss aber untersucht werden, wie sich dieses besonderen Probleme des Friedenskampfes in Westdeutschland darstellt. Die gesamte Konferenz war eine wirkliche Konferenz der weiteren Festigung der Einheit der Partei auf allen Gebieten und ein empfindlicher Schlag gegen alle 'links'-revisionistischen, kapitulantenhaften und revisionistischen Tendenzen.“ (22)
Wie schwankend der Boden war, auf dem diese Politik stand, ergab sich aus den vielen Kombinationsmöglichkeiten dieser Leitsätze. Zum einen waren sie „Knotenpunkt der Klassenauseinandersetzungen“, zum anderen stellen die Kommunisten dem Programm des „Notstands, der Aufrüstung und der Revanchepolitik“ ihr Programm „des Sozialismus, der Demokratie und des Friedens“ gegenüber, das ein „Programm der Arbeiterklasse und der breiten werktätigen Massen“ sei. So sollte der „schwere Schlag gegen den Bonner Staat“ aussehen, der im übrigen auch einer für die „Bewaffnung des Proletariats“ sein sollte.
Das konnte nur die „allgemeine Volksbewaffnung“ sein, der hier das Wort geredet wurde. All diese Leitsätze sollten sich niederschlagen in einer noch zu entwickelnden Programmatik über den „wirtschaftlichen Ruin der Massen“. Selbige sollten in einem „Wahlaufruf“ zusammengefasst werden.
Hektische Verlautbarungen gab es seit dem RAKT in Hülle und Fülle. Intellektuell begründet waren sie nie. Es waren vermeintliche praktische Postulate, zusammengemixt aus x-beliebigen Theorien, Mixturen und leeren Satzhülsen. Schon mit dem hysterischen Flair umgeben, dass nun die Partei Vorbereitungen auf den „Durchbruch des KPD-Verbots im Wahlkampf“ zu treffen hätte, konnte die Organisationsfrage nun im stillen Kämmerlein zu Grabe getragen werden; denn der beschworene „Durchbruch“ war der Einbruch, der Abstieg in den Untergrund.
In einem Extrablatt der „Roten Fahne“ von Anfang September zog das ZB vom Leder. Unter dem Titel: „Aufruf des Zentralbüros der KPD/ML- Zieht Bilanz über 3 Jahre Volksbetrug“ hieß es schwülstig:
„Zum ersten Mal in der Geschichte des Bonner Staates wird der Bundestag vorzeitig aufgelöst. Warum ist dieser Bundestag vorzeitig gescheitert? Weil dieser Bonner Bundestag unter der Führung der SPD-Regierung eine durch und durch arbeiterfeindliche Politik betrieben hat und weil die Werktätigen den Massenkampf gegen die Schiebereien im Bonner Bundestag geführt haben. In dieser Woche geben sich die Bonner Parlamentarier als Freund der Rentner und aller Werktätigen und als große Demokraten. Aber auch der Rentenbetrug kann die Tatsachen nicht aus der Welt schaffen. Tatsache ist, dass dieser Bonner Bundestag sich einige gegen das Volk war und zerstritten im Gerangel der Postenschieberei. Tatsache ist, dass dieser Bundestag bei nur zwei Gegenstimmen die Lohnraubsteuer durchgepeitscht hat, mit der die Werktätigen für die Preistreiberei der Bosse zahlen sollen, Tatsache ist, dass dieser Bundestag das Lohndiktat beschlossen hat, mit dem die Arbeiterklasse im Lohnkampf geknebelt werden soll. Tatsache ist, dass dieser Bundestag einstimmig die Aufrüstungspolitik von SPD-Schmidt gebilligt hat, durch die die Bundeswehr mit Mobilmachungsübungen zur größten Blitzkriegsarmee in Mitteleuropa ausgebaut wird.
Tatsache ist, dass dieser Bundestag mit nur einer Gegenstimme Vorbeugehaft und Ausbau des Bundesgrenzschutzes als Bürgerkriegstruppe und Killerarmee beschlossen hat. Tatsache ist, dass dieser Bundestag ohne Gegenstimme eine Erklärung zur Ostpolitik beschlossen hat, in der ausdrücklich die Grenzen zur DDR und den osteuropäischen Ländern nicht anerkannt werden. Das ist das Programm, das unter der SPD-Regierung beschlossen worden ist. Das ist der Beweis, dass die drei Jahre SPD-Regierung nichts anderes als ein großer Wahlbetrug waren. Das ist der Beweis, das sich Brandt und Barzel in allen wichtigen Fragen einig waren gegen das Volk ...
Arbeiter! Werktätige! Der Bonner Bundestag ist an Eurem Widerstand gegen seine arbeiterfeindliche Politik zerbrochen. Dieser Bundestag beschloss das Lohndiktat - Streiks waren die Antwort. Dieser Bundestag beschloss die neuen Notstandsgesetze - Demonstrationen und Kundgebungen überall in Westdeutschland waren die Antwort.
Dieser Bundestag beriet über Aufrüstungs- und Revanchepolitik - die Aprilstreiks waren die Antwort ... Die Aprilstreiks sind es, die die Auflösung des Bundestages und die Neuwahlen erzwungen haben ...
Arbeiter! Werktätige! Der kommende Wahlkampf darf kein Wahlkampf des Wahlbetrugs und der schönen Worte sein. Nicht die Worte, sondern die Taten entscheiden!
Die KPD/ML erklärt: Wir stehen fest an Eurer Seite:
Mit reaktionären Wahlgesetzen soll die KPD/ML an der Wahlbeteiligung gehindert werden. Mit Polizeiüberfällen sollen die Kommunisten eingeschüchtert und ihr Verbot vorbereitet werden. Aber die KPD/ML wird im Wahlkampf erst recht für die Forderungen der Arbeiterklasse eintreten. Darum steht für uns nicht der Stimmzettel, sondern der Massenkampf im Betrieb und auf der Straße an erster Stelle ... Die KPD/ML wird sich mit aller Kraft in diesem Wahlkampf bemühen, die Einheitsfront aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu schmieden ... Die KPD/ML weist Euch das Ziel: Sturz des Schieberparlaments der Berater und Gewissensverkäufer! Sturz der Herrschaft der Abs und Thyssen! Errichtung eines Arbeiter- und Bauernstaates, der wirklich eine Politik von Sozialismus und Frieden durchführt, ohne Volksbetrug und Notstandstruppen.
Arbeiter! Werktätige! Die Auflösung dieses korrupten Bundestages ist ein Erfolg Eures Massenkampfes. Lasst Euch jetzt im Wahlkampf nicht von Brandt und Barzels Versprechungen fesseln. Vorwärts im Kampf für Sozialismus und Frieden.“ (23)
„Arbeiter! Werktätige! Der Bonner Bundestag ist an Eurem Widerstand gegen seine arbeiterfeindliche Politik zerbrochen. Dieser Bundestag beschloss das Lohndiktat - Streiks waren die Antwort. Dieser Bundestag beschloss die neuen Notstandsgesetze - Demonstrationen und Kundgebungen überall in Westdeutschland waren die Antwort“- so blickte das ZB der Meduse ins Antlitz, ohne dabei zu versteinern. Er war die Angst vor jener Versteinerung, die hinter diesem schwülstigen Gerde stand. Dieser postchristliche Missionierungsgedanke bestimmte das ZB bereits seit seinen Anfängen. Hier war er nun endgültig auf die Spitze getrieben worden. Mehr noch: die Arbeiterbewegtheit wurde zum Dämon, zur dämmernden Ahnung des eigenen Endes, bei dem die „Träger des Fortschritts“ im wahren Sinne des Wortes zum Totengräber der KPD/ML-ZB wurde.
Die Gegnerschaft wurde schnell noch einmal in Windeseile zusammengefasst. Es fiel auf, dass die Lösung der letzten Welträtsel, die Auflösung des Bundestages, ein „Erfolg Eures Massenkampfes“ war. In Wahrheit war dem ZB hier bereits die Luft ausgegangen. Inmitten der Feindpropaganda stand es erhobenen Hauptes auf den Schwachstellen seiner politischen Vergangenheit, die mythisch-mystisch versteckt wurde. Gerade diese Simplizität machte die Unfähigkeit der KPD/ML-ZB aus, politischen Verstand walten zu lassen. In dieser „Extraausgabe“ gab das ZB seine schöpferischen Produkte bekannt, die in dieser extremsten Form noch nicht genannt worden waren.
Mit der fünftägigen Beratung der KPD/ML-ZB mit der Provisorischen Bundesleitung (PBL) des KJVD, die am 14.10. begann und am 18. Oktober 1972 beendet wurde, war das Thema „Neuwahlen“ im Prinzip durch. Erstmals sprach das ZB in seiner Erklärung „Die Lage der Partei und die Reorganisation“ davon, dass „das bewusste Element weit hinter der spontanen Bewegung zurückgeblieben ist“. Und:
„Die schwere Krise unserer Partei drückt aus, dass wir ideologisch, politisch und organisatorisch unseren immer größer werdenden Aufgaben nicht gewachsen sind, dass unsere Partei als Hauptträger des bewussten und organisierten Elements in der revolutionären Bewegung gewaltig dem Anwachsen der spontanen Bewegung hinterherhinkt .... Wir müssen mit schonungsloser Offenheit feststellen, dass unsere Partei und ihr Kommunistischer Jugendverband seit einiger Zeit in einer ernsten Krise stecken, welche sich in den letzten Monaten seit der 'Parteidiskussion' und besonders in den letzten Wochen rapide verschärft hat. Die sich steigernde politische, ideologische und organisatorische Zerfahrenheit in unseren Reihen, trotz der Erweiterung unserer politischen Generallinie für die gegenwärtige Periode des Klassenkampfes, zwingt uns zu harter Selbstkritik.“
Weiter hieß es in der „Erklärung“:
„Ausgehend von einer "Linksentwicklung des Proletariats und der Volksmassen, dem wachsenden Friedenswillen der Massen", des "zutiefst reaktionären westdeutschen Finanzkapitals", seines "politischen und militärischen Unterdrückungsapparates", kann es "in unserer marxistisch-leninistischen Theorie keinen Platz für die gefährlichen Illusionen vom 'automatischen Zusammenbruch des Imperialismus' geben ... Die Reaktion weiß aus eigener Erfahrung aller ihrer historischen Niederlagen, welch riesige Bedeutung diese Wahrheit hat. Deshalb richtet sie auch ihre größte Wut und ihren schärfsten Terror gegen jede ernsthafte politische Kampforganisation, welche wirklich von dem Willen beseelt ist, die politische Macht zu erobern. Deshalb richtet sie heute ihren faschistischen Terrorapparat auch offenkundig besonders auf die Zerschlagung der marxistisch-leninistischen Kampforganisationen, besonders aber ihre Haupttrupps, die KPD/ML und den KJVD. Nur wenn jeder Genosse und jede Genossin die volle Tragweite dieser Tatsachen begreift, kann sowohl der unbedingte Wille zur Einheit der Partei, als auch die volle, schonungslose Bereitschaft zu härtester Kritik und Selbstkritik an unseren Fehlern entstehen, ohne die wir nicht fähig sein werden, weder unsere innere Krise zu meistern, noch dem Ansturm des Terrors des Klassenfeindes wirksam standzuhalten und schließlich das Proletariat und schließlich die Volkskräfte zum revolutionären Sieg zu führen.
Gerade in den letzten Wochen ist in voller Deutlichkeit klar geworden, dass die Hauptverantwortung für diese krisenhafte Entwicklung nicht darin zu suchen ist, dass faule und aus der Mode zu uns gekommene Kräfte die vorwärtsstürmende und wachsende Partei verlassen. Wir haben in unserer Polemik gegen das Kapitulantentum hier die Prinzipien von Kritik und Selbstkritik nicht ernst genommen, indem wir nicht sofort beim Auftreten solcher Tendenzen geduldige Beratung mit diesen Genossen und gründliche Untersuchung unserer eigenen Fehler durchgeführt haben, sondern leichtfertig unsere Verluste an Genossen der objektiven Lage vor allem zugeschrieben haben. Diese Fragen müssen jetzt erneut und wirklich dialektisch angepackt werden, um künftig unbedingt solche Fehler zu vermeiden! ... Nicht bei den Mitgliedern und Sympathisanten der Partei, sondern vor allem bei der Führung der Partei müssen wir die Untersuchung unserer Krise ansetzen. Zu dieser Einschätzung kam die Beratung zwischen ZB und PBL ... Das zeigt insbesondere sowohl die ideologisch-politische, als auch die praktisch-politische, taktische und organisatorische Führung der Partei in der Vorbereitung der Neuwahlen. Hieran hat sich die Krise ungeheuer zugespitzt.“ (24)
Diese paranoide Untersuchung der Lage der Partei, der Kräfteverhältnisse oder „des bewussten und organisierten Elements“ wurde zur letzten entscheidenden Permutation der Weisheiten der KPD/ML. Mit der „Erklärung“ wurden die letzten Tage des ZB geschmiedet. Mit unerträglicher Arroganz musste nun die letzte Schlacht geschlagen werden. Die Rhetorik bemühte sich krampfhaft, das gesamte ZB-Gebäude in die vorgefertigten Bahnen der Paradigmen von Klassenkonflikten, „Linksentwicklungen“ und Zusammenbruchstheorien zu pressen. Das Strickmuster war klar zu erkennen: das ZB zog sich zurück. Auf verbrämte Weise; denn zwischen den Zeilen las man, dass wir „leichtfertig“, zurückgeblieben sind, unsere Situation „nicht ernst genommen“ haben, das „Prinzip von Kritik und Selbstkritik“ nicht anwandten und „keine gründliche Untersuchung unserer Fehler“ vorgenommen haben. An den „Neuwahlen“, so das ZB, hätte sich die „Krise ungeheuer zugespitzt“.
Mit Hilfskonstruktionen versuchte das ZB sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Nichts war mehr geblieben von dem Klassendurchbruch zu den Wahlen. Hier war sie wieder, die Provokationstechnik, mit der die KPD/ML-ZB meinte, unerwartete Wirkungen erzielen zu können. Die Revolte der „Reorganisation“, wie sie vollmundig verkündet worden war, löste sich mit der Beratung in Wohlgefallen auf. Immer noch ging es um Verteidigung der Pfründe, um Macht und Legitimität. Gerade in den nie abreißenden Floskeln, Statements und publizistischen Kunstfiguren, war die Verteidigung des politischen Kurses oberstes Gebot. Tatsächlich meinte das ZB: „Während in unserer politischen Linie insgesamt keine schwerwiegenden Fehler festzustellen sind ..., ist doch unsere bisherige Ansicht zur ideologischen Hauptkampflinie in der Partei, was ihre ideologischen und organisatorischen Grundlagen und ihre Praxis betrifft, aller Wahrscheinlichkeit nach revisionsbedürftig.“
Die vitale Gier nach der richtigen politischen Linie und dem mutig-militanten Auftreten am RAKT löste in den eigenen Reihen immer noch Beifallsstürme aus, obwohl der (rote) Stern sich aufzulösen begann. Diese rigorose Sprache war das Erfolgsgeheimnis des Zentralbüros. Es lebte von lebloser Erde, die es in Materie verwandelte und mit vagen Vorsehungen untermauerte. Das ZB sah sich als weltmarxistischen Missionar mit der Aufgabe der Bewahrung des Allgemeingültigen. Anders waren diese Sätze nicht zu interpretieren. Denn wenn die politische Linie „keine schwerwiegenden Fehler“ aufzuweisen hat, dann ist das System, in dem sie aufbereitet wurde (die Ideologie, d. Vf.), natürlich richtig.
Endlich die proletarischen Massen in den Kampf einzubeziehen, eine weltgeschichtliche Aufgabe, die letzten Endes doch einfach nur banal war. Die „Reorganisation“, wie sie hier beschrieben worden war, kam von der Theorie her irgendwo aus der Forstwirtschaft; denn für jeden neuen Baum musste ein neuer gepflanzt werden. Es musste sozusagen ein materieller Ausgleich geschaffen werden. Deswegen musste an der „Einheit der Partei“ festgehalten werden, egal wie. Die KPD/ML-ZB sah sich als Titanic-Verwalter. Und wollte erst dann das sinkende Schiff verlassen, wenn alle anderen ins Wasser gesprungen und die Rettungsboote gekapert hatten.
Oberstes Ziel der „Reorganisation“ dürfte es daher gewesen sein, die Besten der Parteimassen für die Illegalität auszuwählen. Mit Zuhilfenahme des schon religiös klingen Vokabulars, sollte ihnen der Gang in den Untergrund schmackhaft gemacht werden. Daher sollte die „Reorganisation“ in die „Bolschewisierung der Partei“ einmünden, mit „dem Schwerpunkt auf die Schaffung des illegalen Kerns der Partei“. (25) Dieses „zentrale Kettenglied“ war das Ende. Es gab keine Versöhnung mehr. Der Entschluss nach „der rapide wachsenden Verbotsgefahr“ (26) abzutauchen, gipfelte in der Wiederkehr aller Staatskünste, sich dann am meisten demagogisch zu gebärden, wenn die Sachlage komplizierter und komplizierter wurde. Die Illegalität war streng genommen Aus- und Absonderung. Dass die KPD/ML-ZB die „Blutlinien“ nicht zum Kriterium für die Zugehörigkeit zur „Organisation der Revolutionäre“ und „Organisation der Arbeiter“ machte, lag nur daran, dass es ihr an Hartnäckigkeit und Durchsetzungskraft mangelte.
Die „starken halbmenschewistischen Züge“ (27) waren in dieser Ausformulierung, auch wenn das ZB nie wusste, was es mit dieser Begrifflichkeit anzuwenden gedachte, logisch; denn das Abzeichnen der Niederlage musste in ein theoretisches Gefäß passen. Das ZB war ein unglaublicher Lügner. Es bediente sich jeder gesellschaftlichen Gruppe, die nach Gutdünken für seine politische Linie herhalten musste. Mit widersprüchlichen Parolen und Versprechungen wurde geködert, man schmeichelte den Arbeitern und wollte die Kapitalisten nasführen. Aber woran es festhielt, war nur der Glaube an seine eigene Machtbasis und die Wiedergeburt der heiligen marxistischen Moral. Es war jene Selbstkritik, die das Parteivolk schwächte, vorführte und in Abhängigkeit brachte.
Die „Lage der Partei und die Reorganisation“ war ein Pamphlet. Erkenntnisse und Einsichten waren nicht vorhanden. Die ekstatische Erklärung lautete:
„Das Zentralbüro hat in seiner Führung der Partei lange Zeit ohne tiefe Untersuchung der objektiven und subjektiven Faktoren der Entwicklung operiert, es hat mehr und mehr die Führung aus der Hand verloren und ist teils hinter dem Niveau der Parteiarbeit zurückgeblieben, teils der Partei ohne genaue Kontrolle des wirklichen Entwicklungstempos vorausgeeilt. Trotz der Schwere seiner eigenen Fehler und Schwächen hat das ZB jedoch vor allem die Pflicht, in der gegenwärtigen Situation der Krise der Partei die Hauptfragen, die uns der Klassenkampf stellt, richtig zu stellen, sowie auch unsere politische Arbeit an ihrem zentralen Kettenglied zu packen und vorläufige Lösungen für die verschiedenen Fragen zu finden.“ (28)
Wie auch immer: die KPD/ML-ZB ging vom gemeinsamen Schlachten aus. Und die Opfer wurden alsbald in einen goldenen Nebel gehüllt und mythisch erhöht. Der Klassenkampf würde jetzt „die Krise zur Hauptfrage“ machen. Der Klassenkampf war zu einem Ritus geworden, zu einem blutsaugenden Vampir, der die gesamten Programmatiken des ZB leer fraß, und der jeden Versuch, sich umklammern zu lassen, mit Härte zurückschlug. Deswegen war die „Reorganisation“ unglaubwürdig. Sie bestand aus einem großen Plan, nämlich mit herkömmlichen Methoden der Nachrichtenrepression eine Niederlange doch noch in einen Sieg umzumünzen. Die Beratung, formulierte das ZB, kam zu folgenden Ergebnissen:
„Erstens, die Propaganda für den Sturz des Bonner Staates und die Errichtung des Arbeiter- und Bauernstaates zu verstärken ...
Zweitens, unter der taktischen Generallosung gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik politische Agitation und Propaganda zu entfalten und sie in die verschiedenen Kampfschauplätze, Aktionseinheiten usw. hineinzutragen ...
Drittens, in den Mittelpunkt des Kampfes gegen die Faschisierung den Kampf gegen das KPD-Verbot als derzeitige aktuelle politische Hauptaufgabe zu stellen ...
Viertens, in den Mittelpunkt der Agitproparbeit gegen den Bonner Revanchismus die Aufklärung der Massen über die sogenannte 'Europäische Sicherheitskonferenz' zu stellen ...“ (29)
Für das ZB war dies das große Moratorium. Die Dringlichkeit, die für alle sichtbar war, bestand in der Aneinanderreihung derselben Fehler, die schon einmal gemacht worden waren. Das Heil blieb gleich definiert. Der Parolismus der Agitation und Propaganda war von der apokalyptischen Angst des Parteiverbots überlagert. Deswegen bekamen an diesem Punkt die „Neuwahlen“ auch noch einmal einen anderen Aspekt. Nun wurden sie in die „Bolschewisierung“ abgeschoben. Und die Aufstellung von eigenen Kandidaten sei „ein schädliches Abenteuer“.
Unter solchen Voraussetzungen konnte kein Erkenntnissprung gelingen. Das wurde für das Zentralbüro zum Verhängnis. Es bedeutete, dass die romantisch-rückwärtsgewandte Selbstkritik auf seltsamen Umwegen in einen Schicksalskreis hineingeriet. Der Kollaps der modernen Selbstentmannung brach sich Bahn. Der Kraftstoff der linken Energie dümpelte in einem kleinen Rinnsal vor sich hin. Ein Gespenst ging um in Bochum. Das Gespenst der Ratlosigkeit und der zyklischen Depression vom Aufstieg und Fall einer marxistisch-leninistischen Organisation oder einer, für die sie sich hielt.
Die „Reorganisation“ musste überwacht werden. Das sollte die 1. Parteikonferenz leisten. Dazu schrieb das ZB:
„Die Bolschewisierung der Partei ist das zentrale Kettenglied, um in der uns vorliegenden Periode unsere politischen Aufgaben meistern zu können. Sie umfaßt die ideologische, politische und organisatorische Ausrichtung der Partei auf ihre Aufgaben. Der ideologische Hauptkampf in der Partei zu diesen Fragen muss gegen Spontaneismus und Rechtsopportunismus geführt werden ... In der ganzen Partei von oben nach unten wird eine schnelle ideologische Schulung über die Fragen der Spontaneität und Bewusstsein und die ideologischen und organisatorischen Grundlagen der Partei durchgeführt, die vom OB (Organisationsbüro, d. Vf.) organisiert wird. BOLSCHEWIK und PARTEIARBEITER werden ab sofort entschieden stärker zur Unterstützung des ZO als innerparteiliche Diskussionsorgane ausgenutzt ... Das ZB und alle seine Mitglieder und engsten Mitarbeiter werden mit der vorliegenden Erklärung sofort in der ganzen Partei Beratungen und Aussprachen durchführen ... Das ZB geht nach dieser Beratung sofort an die Vorbereitung einer Parteikonferenz, welche folgenden Inhalt haben soll: Die Parteikonferenz soll vor allem die gegenwärtige Parteikrise überwinden, indem sie nach gründlicher Beratung darüber in der ganzen Partei in dieser Frage - Spontaneität und Bewusstheit - eine einheitliche Bewertung und Einschätzung gibt. Dem dienen diese Aufgaben:
a.) Bilanz unserer politisch-programmatischen Arbeit, Aufarbeitung unserer Fehler und Entwurf unserer Aufgaben auf diesem Gebiet bis zum ordentlichen Parteitag;
b.) Bilanz unserer taktischen und organisatorischen Arbeit, sowie unserer Stärken und Schwächen des Parteiaufbaus, sowie Plan der Arbeit auf diesem Gebiet;
c.) Rechenschaftslegung aller bisherigen ZB-Mitglieder und Kandidaten in vorläufiger Form über ihre Arbeit. Wahl eines vorläufigen ZK der Partei, welches den 2. Parteitag vorbereitet.“ (30)
Eine perfekte Täuschung war gelungen. „Die Parteikonferenz soll vor allem die gegenwärtige Parteikrise überwinden“. Unmittelbar sollte Bilanz gezogen werden. Das System war unerbittlich. Und gleichzeitig, wie aus diesem Text zu erfahren ist, bestanden gänzlich neue, atemberaubende Möglichkeiten, der Krise eins auszuwischen. Die Vervollkommnung der Marxismus konnte als geglückt bezeichnet werden. So war es immer: ein Parteitag brachte die Wende. Ob KPD, KPdSU, Komintern oder Kominform. Die Liste der unsäglichen Absegnungen kennt keine Grenzen. Warum sollte sich ausgerechtet das ZB da anders verhalten? Doch es widersprach nicht dieser Religion, sondern fügte sich in sie ein. In die muntere Allgemeinheit der süßen Gewohnheiten. Das ZB-System war eben ein System der Vereinnahmung. Nur unbestreitbar öder, kälter und gemachter als die Vorgängersysteme.
Zum 24.10.1972 erschien die „Rote Fahne“ Nr.21/1972. Der Leitartikel lautete: „Aktiver Wahlboykott. Weg mit dem KPD-Verbot!“ U. a. führte das ZB aus:
„Der Wahltag rückt näher. Wir stehen mitten im Wahlkampf. Die großen bürgerlichen Parteien haben ihre Wahltage durchgeführt und unter großem Wortschwall fast gleichlautende Programme vorgelegt. In Betrieben, Kneipen, auf der Straße und anderswo finden teilweise heftige Diskussionen statt. Große Teile der Arbeiterklasse sind ratlos. Das Vertrauen und die Hoffnung, die sie in die SPD gesetzt hatten, haben viele verloren. Die 'vermeintliche Friedenspolitik' ist oft der letzte Strohhalm. Auf alle Fälle aber will man verhindern, dass die politische Reaktion zunimmt, ist man besorgt um den Frieden und den Weg zur Einigung Deutschlands. Die KPD/ML ist hier aufgerufen, klare Antwort auf die Frage zu geben, zumal nicht wenige fordern: Stellt Euch zur Wahl!
Wir haben von Anfang an, besonders gegen die Auffassungen der 'linken' Opportunisten in der marxistisch-leninistischen Bewegung herausgestellt, dass wir uns grundsätzlich an den Wahlen beteiligen, die KPD/ML zur Wahl stellen wollen, weil der Wahlkampf ein Kampf um die Massen ist, weil der Kampf der Werktätigen von der parlamentarischen Bühne aus gut unterstützt werden kann. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, dass es ein KPD-Verbot gibt und Wahlgesetze, die unter anderem die Offendeckung der Mitgliedschaft und die Vorlage des Parteiprogramms fordern. Es ist leicht einzusehen, was die herrschende Klasse mit diesen Gesetzen bezweckte: Das Verbot und die Zerschlagung der Partei zu erleichtern, die in erster Linie den Sturz der Diktatur der Monopolbourgeoisie und die Errichtung der Diktatur des Proletariats als Ziel auf ihre Fahnen geschrieben hat ... Ausgehend von diesen Tatsachen haben wir dann festgestellt, das eine Wahlbeteiligung der KPD/ML nur unter zwei Bedingungen gelingen kann: Eine Massenbewegung muss geschaffen sein, die sich gegen das KPD-Verbot und die reaktionären Wahlgesetze richtet und die in der Lage ist, die Durchbrechung dieser Gesetze und die Zulassung der KPD/ML zur Wahl zu erzwingen. Die Partei muss selbst für diesen Kampf genügend gerüstet sein, einheitlich in den grundsätzlichen Anschauungen, schlagkräftig organisiert und was besonders wichtig ist, völlig geschützt gegenüber dem Klassenfeind. Das ist der entscheidende Punkt. Hier machte die Partei in der Vergangenheit Fehler: Der Erarbeitung des Programms wurde nicht von Anfang an genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Andererseits wurde die organisierte Arbeit nicht strikt nach den bolschewistischen Grundsätzen durchgeführt, was dann zum Beispiel zur Folge hatte, dass die Partei, weil sie nicht im Kern illegal arbeitete, zu offen für die Bourgeoisie und ihre Agenten, andererseits aber schwer zugänglich für den fortschrittlichen Arbeiter war. Diese Fehler sind jetzt erkannt und müssen Schritt um Schritt behoben werden. Diese Feststellung also haben wir mit Beginn der Phase der Neuwahlen getroffen ...
Das KPD-Verbot und die reaktionären Wahlgesetze bestehen immer noch. In der Arbeiterschaft und teilweise auch bei Parteigenossen besteht eine ausreichende Klarheit, dass diese Gesetze vom Tisch müssen, noch nicht. Eine Massenbewegung steckt noch sehr in den Anfängen, obwohl die Bereitschaft für diesen Kampf recht breit vorhanden ist. Die Bourgeoisie ist dazu übergegangen nicht mehr nur mit dem Verbot der KPD/ML und übrigens aller Marxisten-Leninisten zu drohen, sondern das Verbot und die Zerschlagung unserer Partei und der anderen Organisationen direkt auf die Tagesordnung zu setzen ... Zur wichtigsten Frage, der Behebung der Fehler der Vergangenheit in der Parteiarbeit: Hier konnte in so kurzer Zeit, die uns gegeben war, keine entscheidende Wendung in notwendigem Umfang herbeigeführt werden. Damit aber ist die Frage der Wahlbeteiligung durch die Aufstellung von Kandidatenbeantwortet: Bei dieser Wahl nicht. Aber um es noch mal deutlich zu machen: Die Fehler der Parteiarbeit haben den letzten Ausschlag für unsere Entscheidung gegeben, uns nicht in der hohen Form der Kandidaten an der Wahl zu beteiligen. Grundursache aber ist diese Bonner 'Demokratie', die keine ist, ist das bestehende KPD-Verbot, sind die unfreien Wahlen und die reaktionären Wahlgesetze.
Andererseits ist es eine Tatsache dass die KPD/ML keinen Millimeter von ihrem Ziel abweicht, den revolutionären Sturz der Diktatur einer Handvoll imperialistischer Machthaber herbeizuführen, um eine wirkliche Demokratie, einen Staat der Diktatur des Proletariats zu errichten ... Wir haben vor mehreren Wochen zur Auflösung des Bundestages einen ersten Aufruf herausgegeben ... Diesen gemeinsamen gefährlichen Kurs nennen wir: Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik. Er ist den Wünschen des Volkes nach wirklicher Demokratie und Frieden völlig entgegengesetzt und muss bekämpft werden. Deshalb: den bürgerlichen Parteien keine Stimme ... Welche Forderungen setzten wir nun dagegen ... Hierzu wird in der nächsten Woche noch ein zweiter Wahlaufruf erscheinen. Dass dies so spät geschieht und dass es kein umfassendes Wahlprogramm ist, liegt an unserem noch unfertigen Parteiprogramm, das allein eine vernünftige Grundlage wäre! ... Das heißt, welche einzelnen Schritte notwendig sind, welche Forderungen die Masse unseres Volkes um die Arbeiterklasse zusammenschließen. Das ist unser Programm ... Und deshalb 'nur' ein Wahlaufruf, der allerdings wichtige Elemente unseres späteren Parteiprogramms enthalten wird.
Diesen Aufruf zu diskutieren und zu kritisieren ist jedermanns Aufgabe! Aber mehr noch: Die Partei muss die Kampferfahrungen der letzten Jahre und Monate wie auch die Erfahrungen und Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker zusammenzufassen, die Lehren daraus ziehen und heute entschiedener denn je in die Arbeiterklasse tragen! Die Partei muss die werktätigen Massen organisieren zum Kampf für den Sturz der Herrschaft des Monopolkapitals. ... Darum ist unser vordringlichstes Ziel in den Wahlen, die Notwendigkeit und Möglichkeit des Sturzes der Ausbeuterordnung und des grundsätzlichen Weges dorthin klar zu machen ... Gerade anlässlich der Wahlen fordern wir die Arbeiterklasse und besonders auch ihre Jugend auf, sich für die revolutionäre Befreiung vom Joch des Monopolkapitals, für die KPD/ML und für den KJVD zu entscheiden! ... Wir rufen auf, diese Wahl zu boykottieren! Wahlzettel durchstreichen - Weg mit dem KPD-Verbot draufschreiben.“ (31)
Die mehrdeutigen Formulierungen gingen bereits weit über die eigentliche Existenzkrise hinaus. Der Staat wurde in ausgesprochner Form psychologistisch interpretiert. Er war ein „störender Einfluss“, „etwas außerhalb ... der unbewusst gebliebenen Gedanken“. (32) Er musste therapiert und aus der eigenen Psyche herausgeschält werden. Er war der Übervater schlechthin, ein Boss, ein „Über Ich“ (Freud). Die „Handvoll der imperialistischen Machthaber“ waren nichts anderes. Sie waren eine kleine verschworene Clique, die das Sagen hatte und die der KPD/ML den Garaus machen wollten. Ist er erst einmal gestürzt, dann „kann wirkliche Demokratie“ errichtet werden. Er war der Hebel, der nur umgelegt zu werden braucht, und schon würden die Räder andersherum laufen. Ein politischer Schlag gegen ihn, musste sich im Wahlkampf gegen ihn richten. Es war ein Radikalisierungsprozess besonderer Güte.
„Die Partei muss die werktätigen Massen organisieren zum Kampf für den Sturz der Herrschaft des Monopolkapitals ... Darum ist unser vordringlichstes Ziel in den Wahlen, die Notwendigkeit und Möglichkeit des Sturzes der Ausbeuterordnung und des grundsätzlichen Weges dorthin klar zu machen ...“
Jenseits dessen gab es keine ausformulierten Ziele mehr. Zwischen der Ausländerdemonstrationen und den Neuwahlen lag die prognostische Annahme, die KPD/ML-ZB könne als die einzig „wahre“ ML-Organisation aus einem irreparablen Kern einen neuen blühenden Kader machen, der einem bolschewistischen Typus entsprach. Daher war die „Reorganisation“ auch eine „Bolschewisierung“: „Daher muss die Bolschewisierung der Partei mit dem Schwerpunkt ihrer ideologischen, politischen (vor allem programmatischen) und organisatorischen Festigung, insbesondere mit dem Schwerpunkt der Schaffung eines bolschewistischen illegalen Parteikerns von oben bis unten als das gegenwärtige zentrale Kettenglied begriffen werden.“ (33)
Die Fehlprognosen und absurden Krisenbewältigungsprojekte sollten aus der Kader- eine Massenpartei machen, ganz im Sinne Stalins, „dass die Partei die Richtigkeit dieser (ihrer, d. Vf.) Losungen und Direktiven im Feuer des revolutionären Kampfes der Massen überprüft“. (34) Die „Bolschewisierung“ war in gewisser Weise auch Modernisierung. Sie rührte an der Möglichkeit, den Zusammenbruch abzuwenden und eine explizite neue Stoßrichtung zu entwickeln. Durch die Verbindung von Aufklärung und Erziehung (siehe „12 Thesen“), sollte ein Identitätsverlust aufgehalten werden, der die KPD/ML-ZB aus der Entfremdung heraus auf die Straße des Erfolgs bringen sollte.
Am meisten war jedoch die „Bolschewisierung“ mittelalterlich. Das ZB musste die Massen preisgeben. Und ihre veralteten und unbrauchbar gewordenen Ideologien. Die „Lage der Partei und die Reorganisation“ war ein Bilanztrick. Der aktivistische Kern musste gehfähig bleiben. Die Erinnerung an das Untergrundkonzept der ersten Generation der Baader-Meinhof Gruppe sprang ins Auge. Die Ironie der ZB-Geschichte bestand darin, dass es aus demselben Grund wie eine mögliche antiimperialistische Linke, auf die Option des langen Verweilens in der Absicherung insistierte. Der KJVD meinte dazu in seiner Nr.11/1972 des „Kampf der Arbeiterjugend“, der vermutlich Anfang Dezember 1972 erschien:
„Vorwärts zur bolschewistischen Kampfpartei. Zur Krise der Partei und Jugendverband: Seit einigen Wochen steckt unsere Partei, die KPD/ML in einer Krise. Diese Krise ist offen ausgebrochen, als mit den Neuwahlen für die Kommunisten in diesem Land die Aufgabe anstand, die werktätigen Massen in einer sehr wichtigen Klassenschlacht voranzuführen. Eine äußerst breite Bewegung der Arbeiterklasse und der Volksmassen war diesen Wahlen vorangegangen, die die herrschende Klasse in schwere Bedrängnis brachte, und sie gezwungen hatte, zum ersten Mal in der Geschichte des Bonner Staates das Parlament vorzeitig aufzulösen und Neuwahlen durchführen zu lassen ... Die KPD/ML war angetreten, der breiten Front der Reaktion die revolutionäre Alternative entgegenzustellen. Doch gerade die gewachsenen Anforderungen dieser Klassenschlacht haben die Schwächen unserer Partei" Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik das Programm der westdeutschen Revolution entgegenzusetzen gezeigt. Ideologisch und organisatorisch zerfahren und gegen die Schläge der Bourgeoisie unzureichend abgesichert, wäre sie dem Verbot und der Zerschlagung nahezu schutzlos ausgesetzt gewesen ...
Die Krise der KPD/ML ... ist darauf zurückzuführen, dass die KPD/ML heute den hohen Ansprüchen noch nicht standhält. Das ist die Folge davon, dass an den Aufbau der Partei nicht mit dem klaren Bewusstsein davon herangegangen worden ist, wie der Kampfstab aussehen muss, der die Volksmassen ... zum gewaltsamen Sturz des Bonner Staates und zur Errichtung der proletarischen Staatsmacht führen muss. Die Partei ist auf spontaneistische Weise aufgebaut worden, sie hat sich in die breitesten Massenkämpfe gestürzt und den Anspruch erhoben, sie zu führen, ehe noch die wichtigsten Voraussetzungen geschaffen worden sind: im harten Kampf gegen alle revisionistischen Anschauungen die besten und bewusstesten Revolutionäre um das Programm der westdeutschen Revolution zusammenzuschließen ...
Die Krise der Partei ... kann heute nur überwunden werden, wenn wir mit unseren bisherigen spontaneistischen Fehlern gründlich aufräumen. Unsere Hauptaufgabe muss es sein, alle Kraft auf die Schaffung der bolschewistischen Vorhutpartei zu konzentrieren, die Fortschrittlichen der Klasse in der 'Organisation der Revolutionäre' (OdR, d. Vf.) zusammenzuschließen, die allein imstande sein wird, alle programmatischen und politischen Aufgaben zu erfüllen, die breiteste Kampffront zu schmieden und sie auch unter den Bedingungen der Illegalität unbeirrt voranzuführen. Der nächste Schritt ist die Schaffung von den Bedingungen des Kampfes entsprechenden organisatorischen Formen. Unsere Partei muss eine ZO-Organisation werden. An ihrer Spitze ... und in ihrem Mittelpunkt muss die Rote Fahne fest verankert werden ... Die Aufgabe des Kommunistischen Jugendverbands ist es, die Arbeiterjugend im Kampf zum politischen Bewusstsein zu erziehen ... Die Partei hat noch nicht das Programm geschaffen, das der ganzen Klasse Weg und Ziel ihres Kampfes weist ... Die Partei hat noch nicht die revolutionären Kader erzogen, die in allen Bereichen der Gesellschaft die Massen zu einer Kampffront zusammenschließen ...
Die Partei hat noch nicht die gestählten Kader erzogen, die trotz Verbot und Verfolgung den Kampf an der Spitze der Massen weiterführen ... Deshalb ist es heute auch die erste Aufgabe der Arbeiterjugend und ihres Kommunistischen Jugendverbands wie der ganzen Klasse, die bolschewistische Kampfpartei zu schaffen. Indem der KJVD jetzt vor allem seine besten und erfahrensten Kader der KPD/ML zur Verfügung stellt, setzt er die Partei in die Lage, ihre führende Rolle gegenüber dem Jugendverband wahrzunehmen ... Weiter ist es eine äußerst dringliche Aufgabe, dass der KJVD schnelle Maßnahmen gegen die drohende Zerschlagung durch die Bourgeoisie ergreift. Wir müssen daran gehen, um den KDAJ als Zentrum herum den Jugendverband zu reorganisieren, den neuen Kampfbedingungen anzupassen, neue Formen des illegalen Kampfes zu entwickeln.“ (35)
Das Konzept der PBL des KJVD war wie das des ZB: um das ZO herum, den KJVD „zu reorganisieren“, es „den neuen Kampfbedingungen anzupassen, neue Formen des illegalen Kampfes zu entwickeln“. Es gab keine neuen Kampfbedingungen mehr. Der „Kampf gegen das KPD“-Verbot“ und der Vorstoß in den Neuwahlen brachten im Endergebnis die Kapitulation . Eine Sanierung konnte mangels Massen nicht mehr durchgeführt werden. Allenfalls brachten „OdR“ und OdA“ den Hinweis darauf, endlich die Massenarbeit aus dem Untergrund heraus aufbauen zu können.
Zurückgeworfen auf die eigene Lethargie und der sich abzeichnenden Dauermisere, sollte mit den altern Fehlern „gründlich aufgeräumt“ werden. Auf wundersame Weise erschien Lenin am Horizont, der im „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben“ die Absicherung der Kommunistischen Partei in der Illegalität begründet hatte. (36) Diese Kopie wurde aus seiner historischen Versenkung geholt und mit dem Hinweis auf ein kommendes „Verbots“ und „Zerschlagung“ auf eigentümliche Weise verknüpft. Das naive Kalkül brachte den Parteiexport hervor. „OdR“ und „OdA“ hießen die Zauberformeln. An beide wurden folgenden Erwartungen geknüpft:
„Unsere Hauptaufgabe muss es sein, alle Kraft auf die Schaffung der bolschewistischen Vorhutpartei zu konzentrieren, die Fortschrittlichen der Klasse in der 'Organisation der Revolutionäre' zusammenzuschließen, die allein imstande sein wird, alle programmatischen und politischen Aufgaben zu erfüllen, die breiteste Kampffront zu schmieden und sie auch unter den Bedingungen der Illegalität unbeirrt voranzuführen. Der nächste Schritt ist die Schaffung von den Bedingungen des Kampfes entsprechenden organisatorischen Formen. Unsere Partei muss eine ZO-Organisation werden.“ (37)
Selbst wenn sie zustande gekommen wäre, so hätte das ZB nicht mehr anzubieten gehabt. Das merkwürdige Instrumentarium der „OdR“, der „OdA“ oder der „ZO-Organisation“ war halsbrecherisch, bestand in der Flucht nach hinten. Tagungen und Konferenzen konnten schon längst nicht mehr in den Parteiräumen durchgeführt werden. Das ZB „flog aus“, wie es damals unter Genossen hieß. Die Parteizentrale in der Goldhammerstraße (Bochum) war verweist. Und es war sehr schwer geworden, ZBler überhaupt noch aufzufinden. Kritiken an der Organisation, an Betriebsgruppen, an Einzelpersonen usw. konnten nicht mehr weitergegeben werden, weil sich niemand mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen konnte. Dieser Konzeption ging bereits bei der Formulierung die Puste aus. Es war Matthäi am Letzten.
Auch für die krisenhafte Gesamtorganisation wäre der Ramschtisch der Illegalisierung nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen. Das Fazit dieser „Regorganisation“, die aufschneidende Selbstsicherheit, die Krise meistern zu können, war wie ein wundersames Mirakel einer schon längst untergegangenen K-Gruppen Welt. Und so erschien, vermutlich vom 1.12.1972 zu datieren, die vorletzte Ausgabe der „Roten Fahne“. Mit der Nr. 22/1972 begründete das ZB, warum erst zu diesem Zeitpunkt die RF erschien:
„Die letzte reguläre Ausgabe der ROTEN FAHNE erschien am 24. Oktober, zwei Wochen später erschien das EXTRABLATT der Roten Fahne zu den Neuwahlen. Das Zentralbüro hatte danach beschlossen, dass alle Kräfte auf den Vertrieb des Extrablattes konzentriert werden und dass die Rote Fahne Nr. 22 sofort in der Woche nach den Neuwahlen herauskommt und im Leitartikel das Wahlergebnis einschätzen soll. Entgegen diesem Beschluss erscheint die ROTE FAHNE jedoch erst eine Woche später. Die entscheidende Ursache für diesen schweren Fehler ist die Tatsache, dass das ZB die ROTE FAHNE nicht in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hat. Dies zeigte sich deutlich, als die Reorganisation ohne die ROTE FAHNE im Zentrum angepackt wurde ... Dieser Fehler ist ein Zeichen für die fest eingefressenen Fehler im Parteiaufbau ... Die Schwere dieses Fehlers besteht vor allem in der Herabminderung der bewussten und organisierenden Rolle der Partei ... Es ist unsere nächste Aufgabe, die Fehler im Parteiaufbau vollständig herauszufinden und die Reorganisation der Partei so durchzuführen, dass - gestützt auf einen festen Kern - die ROTE FAHNE wirklich im Mittelpunkt der Arbeit des ZB und aller Ortsgruppen steht und dadurch wirklich die Partei zusammenschließt.“ (38)
Die entscheidende Ursache für diesen schweren Fehler, so das ZB, sei die Tatsache, „dass das ZB die ROTE FAHNE nicht in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt“ habe. Und dass die „Reorganisation ohne Rote Fahne im Zentrum“ angepackt wurde. Möglicherweise war diese „ultrarevolutionäre“ Strategie nichts anderes als der strategische Einstieg in den Ausstieg. Schon klaustrophobisch verkündete das ZB die Theorie vom „festen Kern“. Die Staatsüberwachung duldete keinen Aufschub. Je mehr Zeit für Diskussionen verstrich, umso gefährlicher wurde es. Das hartnäckige Schweigen der ZBler zu den wirklichen Fehlern brachte seine ausgebleichten Knochen an die Oberfläche. Erst jetzt wurde z. B. bekannt, dass das Politbüro an weiteren Folgen der Etappen der „demokratischen Revolution“ in der DDR arbeitete. Darin soll u. a. der Mauerbau vom 13. August 1961 in gleichem Tenor mit der SED-Führung als „Absicherung der Staatsgrenze der DDR“ bezeichnet worden sein, was die KPD/ML-ZK dazu animierte, eine Karikatur über das ZB im „Roten Morgen“ zu veröffentlichen, (39) die Ulbricht mit einer „revisionistischen Brille“, der aus der „Roten Fahne“ herausblickt, zeigt.
Das Hinüberfallen in Richtung Osten blieb in der „Reorganisation“ völlig außen vor. Sie bestand ja nicht in einer Bilanz der theoretischen und ideologischen Positionen, sondern ausschließlich in einer praktischen Maßnahme. Wie die PBL des KJVD schrieb, ginge es nur um den „harten Kern“. Damit disqualifizierte sich das ZB nun endgültig. Selbst die vorletzte Ausgabe der RF konnte nur noch illegal verbreitet werden. Da sie sich nur noch an das Parteivolk richtete, konnte somit auch niemand mehr mit dem ZB in Verbindung treten. So nützte es gar nichts festzustellen, dass die „OdR“ im „Mittelpunkt der Arbeit“ stehen müsse. Die aufgeblasene Peinlichkeit gebar besondere Blüten: ein Kurier wurde nach Hannover geschickt, der vor dem Hauptbahnhof „illegal“ die „Rote Fahne“ verkaufen sollte. Selbst für die russischen Sozialdemokraten unter den Bedingungen der tiefsten Illegalität wäre das nahezu mit einer Verhaftung gleichzusetzen gewesen.
Obwohl ein Konzept so untauglich war wie das andere, war die filigrane Vorsichtskeitspraxis wie eine verdoppelte Unmündigkeit. Sie betraf jetzt die geteilte Organisation. Das Handling, den Krisenphänomenen zu Leibe zu rücken, reproduzierte erneut die Handlungsunfähigkeit der Verantwortlichen. Die Restgröße der selbsternannten Krise machte ihre eigene unrealistische Situation zum Staatsgeheimnis, das die gesamte Veranstaltung nicht einmal notdürftig bemäntelte. Konsequenterweise wurde die Einteilung der Organisation auch zu einer horrenden Umverteilung von leitenden Kadern und trotteligem Fußvolk.
Die schwere Parteikrise, die mit der vorletzten Ausgabe der „Roten Fahne“ (1) wie welkes Lorbeer das Zentralbüro überschattete, war begleitet von einer Welle von Parteiaustritten, Flügelwechseln und natürlich einem Schub von Konspiration, Illegalisierung des ZB-Kerns und Aufrechterhaltung noch möglicher Arbeitsgremien der Basis. Die Welle der Überläufer konnte nicht gezählt werden. Eine Statistik gab es nicht. Vermutet werden kann, dass alle großen ML-Organisationen, aber auch Zirkel am ZB-Zerfall partizipierten. Ob die damalige KPD/ML-ZK von der Konkursmasse den Hauptanteil erhielt, sei dahingestellt. Jürgen Schröder hat in „Ideologischer Kampf vs. regionale Hegemonie. Ein Beitrag zur Untersuchung der K-Gruppen“ (2) die regionale Ausdehnung der K-Gruppen und eine mögliche Verschiebung ihrer Restbestände eingehend analysiert. Eine endgültige Bewertung steht hier allerdings noch aus.
Mit der selbstfabrizierten Illegalität brachte die KPD/ML-ZB das Kunststück fertig, sich gänzlich aus der Öffentlichkeitsarbeit zu verabschieden. In der Stellungnahme eines Genossen, die in der „Roten Fahne“ zur Illegalisierung veröffentlich wurde, hieß es:
„Es geht um die Einleitung einer neuen Etappe des Partei-Aufbaus ... es geht darüber hinaus um die Veränderung des Verhältnisses zu den Massen ... Wir müssen unsere Organisation bolschewisieren und die Massen wirklich führen ... Nicht der Grad der Bewusstheit und Organisiertheit der Massenbewegung entscheidet über diesen Schritt, sondern die Tatsache, dass wir der Träger und Verbreiter dieser Bewusstheit und Organisiertheit sind ... Die Aufgabe die die Roten Fahne hat, ist kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator zu sein ... Das Zentralorgan ist die Seele der Partei und der ganzen revolutionären Bewegung, die Organisation der Revolutionäre hat ihre Existenz zu garantieren. Für die Organisation der Arbeiter stellt sich die Aufgabe: das ZO an den Mann zu bringen ... Mit dem ZO nicht nur die revolutionäre Politik in die Massen tragen, sondern mit dem ZO auch wieder aus den Massen schöpfen ... Es gilt die Rote Fahne auf diese Art mit blutvollem proletarischem Leben zu erfüllen - erst ein funktionierendes Arbeiterkorrespondentennetz macht das ZO zur scharfen Waffe und bildet zugleich den Stamm einer neuen Generation von Partei-Arbeitern. So muss man die Partei um das ZO herum aufbauen. So erweist es sich wirklich als kollektiver Organisator.“ (3)
Das war Wasser auf die Mühlen des ZB; denn die Aussagen zur „Roten Fahne“, die im Mittelpunkt zu stehen hätte und die „Seele der Partei“ sei, sollte belebend wirken. Der Aufruf des ZBlers verhallte ebenso wie alle kommenden Resolutionen und Anträge an das ZB. Im Halbdunkel, in der Geschlossenheit, bei zugezogenen Vorhängen und hinter der vorgehaltenen Hand kursierten aber bereits Illegalitätsrundschreiben, die mit einem verdeckten Aufmacher versehen, die Parteibasis erreichen sollten. Ein erstes Dokument könnte die Broschüre „Nr. 1 des Diskussionsorgans des Zentralbüros - Vorwärts zur 1. Parteikonferenz. Vorwärts zur Überwindung der Krise der Partei“ gewesen sein, die unter dem Deckblatt „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ vermutlich Anfang November 1972 illegal erschien. (4) Sie veröffentlichte mehrere Stellungnahmen aus den verschiedenen Landesverbänden. Im Vorwort schrieb das ZB:
„Dass die erste Nummer dieses Organs mehr als einen Monat nach der Erklärung vom 20. 10.1972 erst erscheint, ist ein Zeichen dafür, dass die Zentrale den demokratischen Arbeitsstil nicht beherrscht und stattdessen die Kräfte der Partei zersplittert ... In der Partei haben wir gegenwärtig einen scharfen ideologischen Kampf. Es geht einmal darum, die halbmenschewistischen Fehler im Parteiaufbau, also in Ideologie, Politik und Organisationsarbeit zu überwinden und die Verteidiger dieser Fehler sowie die Verantwortlichen dafür zu bekämpfen und zur Rechenschaft zu ziehen. Es geht weiter darum, in der heutigen politischen Situation der Bedrohung der Partei von außen Rechnung zu tragen und sie rasch abzusichern. Schließlich geht es aber auch darum, ein wichtiges Hindernis in diesem Kampf, das „Links“Liquidatorentum des ZB zu bekämpfen, das sich darin äußerte, das die Aufgaben der Bolschewisierung abseitig von Klassenkämpfen betrieben wurden. Der Halbmenschewismus und dieses „linke“ Liquidatorentum verhindert es gegenwärtig, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden und die breite Mehrheit der Partei vereint ist im Kampf für die Umformung unserer Partei. Vielmehr ist sie in sich gespalten und die breiten positiven Kräfte werden vom ZB und seiner „links“ Liquidatorischen Politik zersplittert.“ (5)
Immerhin gab das ZB zu, dass es die Parteikräfte „zersplittert“ und Fehler im „Parteiaufbau“ gemacht hätte, dass es jetzt darum gehe, „Verteidiger der Fehler sowie die Verantwortlichen dafür zu bekämpfen und zur Rechenschaft zu ziehen“. Vor allem müsse nun der „heutigen politischen Situation der Bedrohung der Partei von außen Rechnung“ getragen werden. Im Klartext: die Partei müsse nun „rasch abgesichert“ werden. Darin konnte natürlich keine Enthüllung liegen. Die Korrekturen wurden auf diffuse Unterhändler abgewälzt. Und das große Zentrum zog es vor, sich nun mit der Illegalisierung zu beschäftigen.
Mit seiner Konzeption der Innen- und der Außenkader vollzog das ZB die eigentliche strategische Defensive: alle Kader müssten sich nun darauf vorbereiten, in den Untergrund zu gehen. Diese Konsolidierungsphase, die ausschließlich nach innen gerichtet war, brachte seltsame Blüten hervor. Nicht selten war die Abnabelung von der familiären Umgebung, von Freunden und Bekannten Fakt. Getreu der „Absicherung“ konnte alles abgesichert werden, was es abzusichern gab. Dokumente, Zeitungen und Interna wurden verbrannt, vergraben, an geheimen Orten versteckt, Sitzungen und Konferenzen wurden unter fadenscheinigen Argumenten (Bespitzelungseuphorie) wieder abgesagt, man traf sich verdeckt in Cafes, auf den Straßen, in Hallenbädern, zum Fußball, mietete verdeckt Wohnungen unter falschen Adressen an, Pkws wurden umlackiert, das eigene Aussehen wurde verändert, es gab tote Briefkästen, geheime Quartierbesorgung für Konferenzteilnehmer, der Finanz-technische Apparat in NRW wurde zum „Beschaffungsapparat“ mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet usw. Der Trip war allumfassend. Das ZB hielt dabei die Spitze. Von ihm wurden Wohnungen in den Niederlanden angemietet, Bürokomplexe mit Verkehrsknotenpunkten in der Nähe (ganz im Stile der RAF), Polit- und Orgbüro zogen es vor, die Verkleidung anzunehmen, mit der sie bekannt wurden: die Unerkennbarkeit auf allen Ebenen zu praktizieren.
Die „Organisation der Arbeiter“, die als normales Parteifußvolk sich nur noch dem Aktivismus hinzugeben hätte, war auf einmal der Situation nicht mehr gewachsen. Die Brücken hinter sich zu lassen, hieß für sie, den Weg vom Parteihorror in die Frustrationen zu gehen. Und das konnte nur zum „großen Krach“ führen. Die Papierflut mit Stellungnahmen und Anträgen an das ZB war enorm. Allein die erste Ausgabe des Diskussionsorgans des ZB zählte ca. 20 Stellungnahmen aus den wichtigsten Parteibereichen (Landeskomitees, Landesaufbaukomitees, Landessekretariate, Bundesleitung des KJVD). Dazu kamen noch die Berichte der Betriebs- und Ortsgruppen, die in keinem gesonderten Organ enthalten waren. Das ZB hatte diesem papiernen Wust auch nichts mehr entgegenzusetzen. Es war abgetaucht. Und traute sich nicht mehr an die Oberfläche.
Dennoch gab es hin und wieder Lebenszeichen. Eines war die Aufforderung an die imaginäre Basis, die „konspirative Arbeit“ hier und jetzt sofort durchzuführen. Unter „Die Lehrabschlussprüfung des Drehers“ (6) verbargen sich verschiedene Texte, die sich mit Konspiration und Illegalität beschäftigten. Dort war Ossip Pjatnizki ebenso vertreten wie die Saefkow-Jacob-Bästlein Gruppe. (7) Eine konspirative Gruppe aus den Reihen des ZB formulierte im Vorwort:
„Viel zu lange hat in den Reihen der marxistisch-leninistischen Bewegung eine gewisse Sorglosigkeit im Hinblick auf das Bestehen des KPD-Verbotes und die Möglichkeit seiner Anwendung auf marxistisch-leninistische Organisationen breit machen können ... Die Zersplitterung der marxistisch-leninistischen Bewegung darf jedoch keine marxistisch-leninistische Organisation davon abhalten, gemeinsam mit anderen Organisationen Schutzmaßnahmen gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu treffen, einen öffentlichen Kampf gegen Provokationen zu führen, Fälle von Spitzelei zur Lehre für die gesamte revolutionäre Bewegung aufzudecken, sowohl die eigenen Mitglieder, aber auch andere marxistisch-leninistische Organisationen und deren Mitglieder zur Konspiration zu erziehen.“ (8)
Das Heft propagierte „Schmutzmaßnahmen“, die aus der Not geboren waren, Verdächtige zu enttarnen, wo es nichts zu enttarnen gab. Der Gegenstand der Enthüllungen sollte darin bestehen, Anklage gegen de Bourgeoisie zu erheben, ihre Angriffe abzuwehren und einen „öffentlichen Kampf gegen Provokationen zu führen“. Orakelhaft beschworen die anonymen Verfasser die Verwandlung hin zum kollektiven Prozess des Aufstandes gegen den Agent Provokateur. Den Protagonisten des ZB war die eigene Entwicklung nun gänzlich über den Kopf hinausgewachsen. Die Sackgasse bestand nur noch aus Segmenten von Chiffren und Signalen, die in einem Aufwasch gleich zum Verhaltenskodex für die marxistisch-leninistische Bewegung wurde.
Ähnlich verhielt es sich mit der Sonderausgabe des „Jungen Bolschewik“, der ungefähr zum gleichen Zeitpunkt wie die Nr. 1 des „Diskussionsorgans“ des Zentralbüros erschienen war. Auch diese Ausgabe erschien illegal unter dem Deckblatt „Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Kultur“. (9) Das Heft enthielt vor allem die „Aufsätze der PBL“ zur Verbandskrise. Im Vorwort schrieb ein Anonymus:
„Noch ein Wort zur Verbreitung des JB. Er hat unbedingt internen Charakter und soll nur persönlich an Mitglieder des KJVD und der KPD/ML abgegeben werden. Der JB gibt relativ viel Aufschluss über die Lage im KJVD und Partei und ihren Zentralen und ist daher nicht für Sympathisanten, nicht für Mitglieder anderer marxistisch-leninistischer Organisationen oder sonstige Interessierte und natürlich schon gar nicht für den Klassenfeind gedacht. Wir bitten euch, die Verteilung sorgfältig vorzunehmen.“ (10)
Der Textauszug enthielt die typische Sprache der verbrämten Denunziation. Denn der Unschuldston wurde sogleich aufgehoben, indem die (aus-)erlesene Auswahl der Verbreitung durch das Gemäuer zischte. Die Methode, die sich hinter dem Vorwort der PBL verbarg, war die der moralischen Erpressung. Die Gehetzten und Gejagten, die Underdogs mit falschen Pässen und verfremdeten Fotos waren wie unsichtbare Gestalten, die sich im luftleeren Raum bewegten. Es schien so, als ob die stalinistische Formel der „Säuberung“ weit um sich zu greifen schien. Selbst „sonstige Interessierte“ waren für den Gebrauch des „JB“ nicht vorgesehen. Und vor allem sollten die bösen Kapitalisten vom „JB“ verschont bleiben. Der KJVD wurde hier schlicht als Nebenzentrum verstanden. Das Hauptzentrum, die PBL, hatte sich in ihrer Festung verbarrikadiert und überwachte fortan den Zustand des KJVD.
In nichts unterschied sich die führende Leitung des KJVD vom ZB. Sieht man von der Tatsache ab, dass beide Leitungsgremien laufend Kader kooptierten, die sich dadurch auch finanziell absichern konnten („Berufsrevolutionäre“ wurden von der Partei bezahlt), so war das prozentuale Verhältnis zwischen ihnen und der Basis enorm. Jene, die nicht (mehr) zum favorisierten Kaderstamm gehörten, taugten nichts mehr. Sie befanden sich im luftleeren Raum, in dem sie nur noch geisterhaft herumschwebten. So konnte auch die PBL ihre angedachten Theorien in der Abwärtsphase nur mit einem hausinternen Ruf von Durchhalteparolen und Appellen gegen die bevorstehende Unterdrückung durch die Bourgeoisie vortragen.
Während versucht wurde, den „JB“ krampfhaft an die Mitglieder zu bringen, und das „Diskussionsorgan“ des ZB nur schwerlich den Weg an die Basis fand, sollte eine Tagung (Nationale Funktionärskonferenz) beider Organisationen die „Krise der Partei“ überwinden. Die Tagung fand an einem geheimen Ort zwischen dem 14.12. und 18.12. statt. (11) Auf dieser Konferenz wurde der irrationale Kern der Absicherung der Partei abgesegnet. Nun geriet sie ganz und gar zur universellen Gespensterjagd mit dem Selbstverteidigungsritus im Mittelpunkt. Der postmodernen Gegner, der gegenüber der KPD/ML längst seine Friedfertigkeit aufgegeben hatte, so meinte man, schürte noch einmal die Angst vor dem Verbot. Die Untergrundangst des ZB war irgendwo schon mit einem manichäischen Weltbild gleichzusetzen. Der Gedanke war so stark ausgeprägt, dass zum Zwecke der Sicherheit jede Verbindung der Parteigremien untereinander gekappt wurde. Das war noch nicht alles. Meistens waren die Parteikader bei ihren Terminen nicht sicher. Und reagierten wie aufgescheuchte Hühner, wenn auch nur ein Unbekannter in die Nähe eines Treffpunktes kam. Deshalb zog man es vor, den Termin sofort wieder abzublasen.
Die illegale Phase des ZB war ein schlechter Witz. Durch die Überreaktionen, die in einem paranoiden Nahkampf einmündeten, war auch keinerlei praktische Arbeit mehr möglich. Zu diesem Zeitpunkt erschienen keine Betriebszeitungen mehr, Flugblätter wurden nicht mehr verteilt, die KPD/ML-ZB nahm auch an keinen Aktionen oder Demonstrationen mehr teil. Die heroische Zeit war vorbei. Durch den fließenden Übergang der freigestellten „Berufsrevolutionäre“ und der dahinterher trottenden Basis kam die „Weltrevolution“ nun kräftig ins Wanken. Eine Konferenz jagte die andere, auf der versucht wurde, zu retten, was nicht mehr zu retten war. Man wollte sich treu bleiben, obwohl die verschworene Gemeinschaft längst dahingesiecht war. Der politische Erfolg wurde trügerisch. Er schien sich entmaterialisiert zu haben.
Zum Inbegriff für die Herausgefallenen der ZB-Organisation wurde seinerzeit der „Rote Morgen“, der später von der „Rebellionsbewegung NRW“ in „Toter Morgen“ oder einfach „RoMo“ umgetauft wurde. Die KPD/ML-ZK brachte als Mutterpartei aller Marxisten-Leninisten einen ersten Aufruf zur „Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ zustande, der von Mitte November 1972 zu datieren war. (12) Im „Roten Morgen“ vom 31.12.1972 wurden alle Mitglieder von KPD/ML-ZB und KJVD erneut dazu aufgerufen, „die rechtmäßige KPD/ML und die Rote Garde zu stärken.“ (13) Damit folgte die KPD/ML-ZK der Logik des Erstgeburtsrechts. Alle anderen Organisationen nach ihr waren „Spalter“. Mit dieser kruden Philosophie ließ sich mühelos Politik machen. Die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ war eben nur unter ihrem Dach möglich.
Vehement gegen diese Auffassungen ging die Kommunistische Gruppe Bochum vor, die Broschüren mit den Titeln: „Die KPD/ML und der Klassenkampf in der BRD. Schlag zu, schon geht es los“ und „Die marxistisch-leninistische Bewegung und der Parteiaufbau“ herausgaben. (14) Teile der Kommunistischen Gruppe Bochum, die ehemals in beiden KPD/ML-Organisationen tätig waren, wandten sich gegen die selbstproklamierten Parteien, die nicht dazu in der Lage waren, „Massenaktivitäten“ zu entfalten. Und der „bornierte Eigendünkel“ führe insgesamt nur zur „Stagnation“ und zu „lokalen Rivalitäten“. (15)
Die gesamten Widersprüche, mit denen das ZB zu kämpfen hatte, waren nicht für eine empirische Bestandsaufnahme geeignet. Im wesentlichen war alles, was angemerkt wurde, was an Kritiken fabriziert und weitergereicht wurde, was geschrieben wurde, um die Partei doch zu retten, eine nachträgliche Rechtfertigung. Entweder wurde erklärt, dass die „KPD/ML-ZK von Anfang an die richtige Linie“ hatte oder man machte sich gegenseitig Mut, an den Standpunkten der ZB-Organisation festzuhalten. Irgendwo negierte das Bestehende die Realität.
Nur in der Rückschau wird begreiflich, warum sich alle nachfolgenden Organisationen in Politik, Ideologie und Theorie nicht im wesentlichen vom ZB unterschieden und warum es keine konkrete Emanzipation vom „Klassenstandpunkt“ gab. (16) Vermutlich zwangen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Reproduktion und die Rekonstruktionsperiode der Nachkriegszeit, objektive und subjektiv Bedingen also, den Klassenkampf wieder in Gang zu setzen. Die Kritische Theorie, mit denen die führenden Marxisten-Leninisten ehemals in Beziehung standen, dürfte m.E. der Auslöser für das „emanzipatorische Bewusstsein“ gewesen sein, dass sie stringent in die neu zu gründenden Organisationen einfach mit hinüber nahmen. Damit dürfte auch ein idealistisches Potential in Bewegung gesetzt worden sein, das seine Grundlagen in der Jugend- und Studentenbewegung der späten 60er Jahre gehabt haben dürfte, wie Johannes Agnoli schlüssig nachgewiesen hat. (17) Ein historisches Ende der ML-Bewegung war nach meinem Dafürhalten spätestens mit dem Auseinanderbrechen der KPD/ML-ZB erreicht.
Begreiflich war natürlich ein innerinterner Radikalisierungsprozess der Rest-ZBler, die allesamt an der Klassenkampfthese festhielten, ohne begreifen zu wollen, dass die „richtigen Gedanken“, die „Gedanken des Proletariats“ in sich selbst wiederum nur bürgerliches Bewusstsein produzierten und dass eine abstrakte Ablehnung des Staates, wie vermutet wurde, nur ein politisches Hoffnungsmodell war, dass keinesfalls vom Zwang getrieben war, dem Konsumismus, der vielleicht die eigentliche Produktivkraft der Nachkriegszeit war, Einhalt zu gebieten.
Mit dem Ende des ZB vollendete sich auch möglicherweise die ML-Geschichte. Sie wurde zum „bürgerlichen Lager“ im bürgerlichen Lager. Die Organisationsfrage hatte sich erledigt. Und mit dem Auseinanderbrechen der letzten Bastionen der ML-Geschichte zu Beginn der 80er Jahre, war ja auch ein größeres Organisationsinteresse nicht mehr nachweisbar. Das, was bekämpft wurde, hob sie negativ auf. Ihre eigentliche Charaktermaske bestand nur aus einer schlechten Sozialethik, die sie umgestaltete und für eine gewisse Menschenmenge bereit stellte. Die sozialdemokratisch-reformistische Gesellschaft, die man zu bekämpfen vorgab, hatte nur einen lokalen Gebrauchswert. Insofern kann das ZB als Vorreiter für einen nachfolgenden Organisationsfetischismus betrachtet werde, der sich in der Summe am Praktizismus der KPD/ML-ZB orientierte. Und sich von ihm nur in Nuancen unterschied, wobei der direktivistische Parteiaufbau zum Prototyp für die „revolutionären Kaderschmieden“ avancierte.
Da hinein passte auch das Illegalisierungskonzept, das selbstredend alle ML-Organisationen auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Indem sie die Zuspitzung des Klassenkampfes erwarteten, mussten sie auch die Altvorderen anrufen, die, so ihre Thesen, eine „besondere Rolle“ in den klassenkämpferischen Auseinandersetzungen spielten. Dass aber KPD oder Komintern selbst nur improvisierten und keinesfalls theoretisch auf „der Höhe der Zeit“ waren, mochte mit dieser Schärfe niemand vortragen. So waren die Kritik am Zentralbüro der KPD/ML nur reine Hypothesen. Was sollte auch wirklich kritisiert werden? Die Kritiken waren nichts anderes als Wiederauflagen aus Kapitulationszeiten, aus zugespitzten ökonomischen Verhältnissen und einer faschistischen Diktatur.
Bieder mussten daher die theoretischen Ergüsse der „Anschlusszirkel“ sein. Zum 18.12. las man z.B. in einer Stellungnahme von aus der KPD/ML-ZB kommenden Marxisten-Leninisten (ML) Mannheim:
„Die Gruppe Marxisten-Leninisten Mannheim hat keine Existenzberechtigung mehr ... Am Ende dieses Klärungsprozesses steht bisher unsere Auseinandersetzung mit der Stellungnahme der PK (Programmkommission der Organisationen des Bremer Kommuniques, d. Vf.) ... Wir glauben heute u. E. soviel Klarheit gewonnen zu haben, dass unser nächster Schritt der individuelle Anschluss an die die Bewegung in Mannheim/Heidelberg anleitende KG (NRF) bzw. eine ihrer Massenorganisationen sein muss.“ (18) Mit einer ähnlichen Kritik dürften sich auch Kasseler Anhänger der KPD/ML-ZB im Dezember 1972 verabschiedet haben. (19)
„Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren! Für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“, meinten die Ortsgruppe Wetzlar der KPD/ML-ZB, die Ortsgruppe Wetzlar des KJVD und der Stützpunkt Marburg der KPD/ML-ZB und ein Mitglied der Landesleitung Hessen des KJVD Anfang Januar 1973. Und erließen einen Aufruf im „Roten Morgen“, der lautete: „Aufruf an alle Marxisten-Leninisten in der Gruppe Rote Fahne Bochum!“ (20)
Der Leitgedanke dieser Stellungnahmen war, die ZB-Organisation zu verurteilen. Und zwar nicht nur eine Verurteilung im Sinne von Kritik- und Selbstkritik, sondern mit den Formalien bürgerlicher Systemkonformität. Ton und Stil der Angriffe unterschieden sich noch nicht einmal in Nuancen davon, was darauf hindeutete, dass die alten Interpretationsschemata der Weimarer KPD-Zeit bei weitem noch nicht einmal deren Stand hatte. Etwas ähnliches lag von der OG Köln der KPD/ML-ZB aus dem Januar 1971vor. (21)
Es war mitunter keine „Befreiung“, die angestrebt wurde, sondern nur ein neuer Schritt in die Abhängigkeit von weiteren Fürstentümern. Dieser Prozess der Verselbstständigung der alten und neuen Kader begann mit der Alarmstimmung, die bei der KPD/ML-ZB herrschte. Was sollte auch ohne Marxismus-Leninismus angefangen werden? Das Kaderkonzept, dass der „soziale Kampf“ implizierte, musste für die Parteibasis, der „Organisation der Arbeiter“ wiederum in den permanenten Zustand des „Klassenkampfes“ einmünden. Hier wurde man groß. Und durchlief alle Stadien der Parteiarbeit. So waren diese Schritte neben einer Rechtfertigung für den Rückzug auch eine neue kurz- und mittelfristige Perspektive für den Wiedereinstieg. Die ML-Bewegung, die nicht nur eine Geschichte eines permanenten Scheiterns war, hatte es m.E. aus den negativen Erfahrungen mit der KPD/ML-ZB nichts gelernt. Die radikale Illegalisierungsphase war nämlich nur ein Instrument der permanenten Reproduktion von fehlerhaften Strategien ohne jedwede emanzipatorische Funktionen.
Alles ging nun Schlag auf Schlag. Am 2.1.1973 sollte eine „Nationale Funktionärskonferenz“ im Raume Castrop-Rauxel (NRW) illegal stattfinden, um „Schritte zur Überwindung der Krise“ anzugeben. Die Genossen waren aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Konspirativ und getarnt durchlief man das Städtchen, immer auf der Hut vor dem Klassenfeind. Die Gaststätte mit einem Tagungsraum, die ausgesucht worden war, war nicht sicher. Die Konferenz wurde wegen „Verdachts der Überwachung“ abgebrochen. (22) Erneut wurde sie zum 15.1.1973 einberufen. Nach mehreren Anläufen gelang es, diese mit einem Kandidatenschlüssel für alle Landesverbände an einem anderen „geheimen Ort“ durchzuführen. Fast jeder Landesverband wartete mit einer eigenen „Resolution“ auf, die in sich den gemeinsamen Nenner hatten, den nachfolgende Resolution (vgl. auch Anmerkung 22) zum Ausdruck brachte. Zu betonen ist natürlich, dass die Positionen, die vertreten wurden, eigentlich aufgrund der immensen Widersprüchlichkeit gar nicht zur Abstimmung gelangten.
Geklärt werden konnte nur, dass die Funktionen des ZB ab sofort ruhen, dass eine PPL eingesetzt wird und dass eine Kontrollkommission die laufende Arbeit zu überwachen habe. Die in den unten anhängenden Resolutionsentwürfen enthaltenen Präzisionen fanden keine Mehrheit oder wurden von der Versammlung ignoriert.
„Wir wollen den Sturz des Bonner Staates und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Westdeutschland und Westberlin als nächstes Etappenziel, das es unbedingt zu verteidigen gilt. Wir wollen eine revolutionäre Partei, die mit der Theorie des ML und der MTI ausgerüstet ist, die sich vom modernen Revisionismus scharf abgrenzt, die die Hegemonie des Proletariats hochhält und in die Kämpfe der Massen eingreift, um heute die fortschrittlichsten des Proletariats zu gewinnen, das Programm zu entwickeln im Feuer des Klassenkampfes zu überprüfen, und die damit notwendige Voraussetzung schafft, um die Volksmassen in unserem Land zur bewaffneten Revolution zu führen.
Der Anschlag des ZB auf die Einheit der Organisation, der Bewegung und der Klasse hat dazu geführt, dass die Organisation handlungsunfähig, ideologisch verwirrt, organisatorisch zerfahren, dem Zugriff der Bourgeoisie ausgeliefert und von der Bewegung und der Klasse getrennt ist. Die Organisation hat die Zersplitterung der Bewegung gefördert, statt im Kampf gegen den modernen Revisionismus die Einheit der ML in der Auseinandersetzung um das Programm und im praktischen Kampf herzustellen. Sie hat den Anspruch gestellt, die Millionenmassen zu führen, statt die Fortschrittlichsten zu organisieren.
Hauptverantwortlich für den Zustand der Organisation ist die kleinbürgerliche Machtclique des ZB, das seine Linie mit Hilfe des Kommandoregimes, der Unterdrückung des ideologischen Kampfes und der Unterdrückung des demokratischen Zentralismus durchgesetzt hat und eine Organisation auf der Grundlage der Armeedisziplin aufgebaut hat. Die entscheidenden Hebel zur Behebung dieses Zustandes sind:
Dazu muss jetzt eine Provisorische Politische Leitung geschaffen werden, die die Organisation auf diese Aufgaben bis zur PK (Parteikonferenz, die geplant war, aber nie durchgeführt wurde, d. Vf.) ausrichtet. In dieser organisierten und von der PPL geführten Massenkritik müssen diejenigen Führer herausgebildet werden, die nicht die Prinzipien als Deklaration im Munde führen, sondern die in der Anwendung der Prinzipien sich als die besten Kämpfer erweisen.
Die Aufgabe der PK ist die erste Zusammenfassung der Rebellion und der Lehren aus der Praxis zur weiteren Ausrichtung:
Die Aufgaben der Organisation und der Leitung:
I. Die Entfaltung der Rebellion
II. Entfaltung der Kritik der Bewegung
Im Grunde war der Hinweis auf „die Entfaltung der Rebellion“ keine Aufforderung nach der Befreiung vom ZB-Joch. Es hieß nur lapidar: wir müssen „die Entfaltung der Rebellion innerhalb der Organisation“ führen und „der Kritik der Bewegung und der Klasse“. Die Forderung nach der „Absetzung des ZB“ entsprach dem politischen Aktionismus des Gesamtverbandes; denn es sollte von einer „PPL“ angeleitet werden, die den Aufgabenwust vom ZB einfach übernahm. Und bis zur Auflösung der ehemaligen Zentrale selbst nichts zu bieten hatte. So konnte die „Einsetzung einer PPL“ oder sogar der „KK“ als Finte betrachtet werden. Einen wirklichen Widerstand gegen „neue Machthaber“ im traditionellen ZB-Kleid, gab es auch hier nicht. Ganz im Gegenteil: eine mögliche kritische Negation der ZB-Arbeit wurde einfach instrumentalisiert. PPL und KK waren Demagogen, die ihrerseits nun den politischen Organisations- und Disziplinierungsfetischismus auf die Spitze trieben. Die losgelassene Verfolgungsmeute wähnte sich weiter auf dem richtigen Kurs, der ihnen nun ganz zur freien Verfügung stand. Die PPL war nur eine abstrakte Ablehnung des Zentralbüros. Die Thesen, die das nichtgewählte Leitungsgremium vorlegte, waren selbst nicht von Belang und fielen auch nicht ins Gewicht. Mit der PPL vollendete sich der letzte Akt des Zentralbüros.
[ Zum Seitenanfang ] [ Zum Inhaltsverzeichnis der ZB-Geschichte ] [ MAO-Startseite ]