Rote Presse-Korrespondenz, 1. Jg., Nr. 17, 13.6.1969

13.06.1969:
Die Nr. 17/1969 der „RPK“ erscheint. Inhalt der Ausgabe ist:
- Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlingszentrum (S.A.L.Z.) der Basisgruppen im Sozialistischen Zentrum
- Der gewöhnliche Faschismus
- Fremdarbeiter in der Schweiz
- Kandidatur Krivine‘s: Ein Bumerang
- Was lehrt und die Organisationsdebatte

Im Artikel „Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlingszentrum (S.A.L.Z.) der Basisgruppen im Sozialistischen Zentrum“ wird u. a. Kritik an den Basisgruppen und an der Basisgruppenarbeit geübt. Dazu heißt es: „Beginn des S. A. L. Z. war die kollektive Arbeit von Lehrlingen, jungen Arbeitern und Studenten an der ‚Zeitung zum 1. Mai der Lehrlinge und Jungarbeiter‚. Diese Arbeit war einerseits Selbstverständigung des Kollektivs, andererseits sollten auf breitester Basis Lehrlinge und Jungarbeiter agitiert werden. Die Lehrlinge und Jungarbeiter des Kollektivs waren alle in der Gewerkschaft organisiert. Ein großer Teil arbeitete zugleich in Betriebs- und Basisgruppen mit. Innerhalb der Bildungsarbeit der Gewerkschaft hatten sich die jungen Arbeiter einen Freiraum erkämpft, der von ihnen aber nur zur allgemeinen Aufklärung der Lehrlinge, nicht aber zu deren Organisierung genutzt wurde. Die folgenlose Aufklärungsarbeit führte zu einer Jugendkultur. Verblüffend war die bloße Parallelität von Gewerkschafts- und Basisgruppenarbeit.

Die Basisgruppen waren nicht fähig, die von den jungen Gewerkschaftlern immerhin angesprochenen Lehrlinge aufzunehmen. Das trifft besonders auf die Handwerkslehrlinge zu, denn die Basisgruppen sind bisher ausschließlich an Großbetrieben, und nicht branchenspezifisch orientiert. Weiterhin sine die Basisgruppen nicht in der Lage, jedem Hinzukommendem ausreichende Information über die bisherige Arbeit der Basisgruppe und der Betriebsgruppen zu liefern. Die notwendige Kontinuität der Arbeit in diesen Gruppen verbietet das. Das bedeutet für die Lehrlinge und Arbeiter, dass sie ihre spezifischen Bedürfnisse und Schwierigkeiten in diese Arbeit nicht einbringen können. Dies alles kann nur in einem den Basisgruppen zugeordnetem Zentrum geleistet werden.“

Das S.A.L.Z. hätte die Aufgabe: 1. Vorbereitung der jungen Arbeiter und Lehrlinge auf die Mitarbeit in Betriebs- und Basisgruppen bzw. auf die Gründung neuer Betriebsgruppen und, speziell für die Handwerkslehrlinge auf Berufsschulbasisgruppen (Die Berufsschulbasisgruppe orientiert sich nicht an der Berufsschulsituation der Lehrlinge, sondern fasst sie hier nur lokal und nach Branchen zusammen, um sie kollektiv für den Kampf in ihren Produktionsstätten zu stärken). Berufsschulbasisgruppen organisieren tendenziell alle Arbeiter im Handwerk, nicht etwa nur Berufsschüler. 2. Veränderung des Charakters der bisherigen Basisgruppenarbeit. Das S. A. L. Z besteht zur Zeit in seinem Kern aus zehn Jungarbeitern (davon zwei Lehrlingen) und zehn Studenten. Alle zwanzig sind in Betriebs- und Basisgruppen organisiert. Dieser ‚Kaderkern‘ muss einerseits die neu hinzukommenden Lehrlinge und Jungarbeiter auffangen können, andererseits muss er diejenigen Studenten, die sich für die Mitarbeiter am S. A. L. Z. interessieren, auf diese Arbeit vorbereiten. Dazu muss er sich festigen.

Die Lehrlinge und Jungarbeiter kommen zum S.A.L. Z. entweder als halbpolitisierte Jugendgruppen, als Kollektive und Einzelne aus Basisgruppen, oder als einzelne, die auf Grund unserer Kampagnen gewonnen wurden (Agitation durch Zeitungen, Flugblätter).“
Auf der Seite der Studenten handelt es sich um… Gruppen aus assoziierten Basisgruppen-Mitgliedern, d.h. Basisgruppen-Mitarbeiter, die auf Grund des Informationsmonopols anderer Genossen sich nicht entfalten können (zum Beispiel: Basisgruppe Tegel) … Gruppen wie die WiSo-Fraktion, die ihre revolutionäre Berufspraxis in einer T ätigkeit als Handelslehrer sieht …. Gruppen wie die Germanisten, die statt Gymnasial Volksschullehrer werden wollen … Einzelne Studenten, die Bildungsarbeit in der Gewerkschaft machen… Praktische Agitatoren wie die Filmer … Theoretisch arbeitende Kollektive (Rabehl-Seminar) und einzelne (OSI), die die Notwendigkeit von Basisarbeit erkannt haben.“

Zum Aufgabenbereich heißt es: „Die Lehrlinge und Jungarbeiter haben zunächst das Bedürfnis, ihre Betriebs-, Berufsschul- und Familienkonflikte zu artikulieren und zu diskutieren. Die Aufgabe der Delegierten des ‚Kader-Kerns‘ ist es, Informationen über die bisherige Basisgruppenarbeit in die Diskussion einzubringen, und zwar immer gemessen an den Bedürfnissen der Lehrlinge und Jungarbeiter. Besonders stark ist in dieser Anfangsphase die Forderung über Themen wie ‚Kommunismus‘, ‚Kommunen‘. ‚Gewalt‘ und ‚ob man Menschen verändern kann‘ zu reden.

Das abstrakte Bedürfnis nach Wissen und Aufstieg (Zweiter Bildungsweg muss aufgenommen werden). Dabei muss die Einsicht entstehen, dass Wissen nicht als Selbstzweck, sondern als Instrumentarium für den Klassenkampf zu gewinnen ist. Die Schulungsgruppen werden folgendermaßen organisiert:

Bereits in einem Betrieb zusammenarbeitende Kollektive bzw. Jungarbeiter und Lehrlinge aus demselben Betrieb werden gemeinsam geschult. Lehrlinge aus Handwerksbetrieben, die, wie es oft der Fall ist, nach der Lehre in einen Großbetrieb gehen wollen, schließen sich den entsprechenden Betriebsgruppen an oder werden branchenspezifisch geschult.

Das abstrakte Bedürfnis der Studenten nach Basisarbeit muss konkret gemacht werden. Aber nicht so, dass ganze ad-hoc-Gruppen sich voluntaristisch entscheiden, in den Sommerferien in irgendwelchen Betrieben zu arbeiten, sondern dass sie sich auf diese Arbeit vorbereiten in Basisgruppen. Basisgruppenarbeit heißt nicht nur abstrakte Diskussionen über Arbeiterkontrolle usw. oder lediglich Vorbereitung und Teilnahme an anstehenden Aktionen, sondern orientiert sich an dem, was in der Schulung im S. A. L. Z. auf die Studenten zukommt: Aufnahme und Aufrechterhaltung vor Kontakten zu arbeitenden Gruppen und Information über den jeweils vorliegenden Basisgruppen-Horizont hinaus. Zur Konstituierung einer revolutionären Massenorganisation ist es unerlässlich, dass deren Kader durch die proletarischen Grundeinheiten (die sich jetzt verändernden Basisgruppen) gehen …

Zur „Schulung“ wird ausgeführt. „Die erste Stufe der Schulung ist einerseits in den Basisgruppen selber, andererseits im S.A.L. Z. zu leisten. Sie ist Auseinandersetzung mit Betriebskonflikten und den Institutionen, die der Spätkapitalismus geschaffen hat, um diese Konflikte zu harmonisieren (Gewerkschaft, BVG, Arbeitsrecht, Ausbildungsgesetz, Manipulationsmedien etc.). In diese Schulung muss notwendig eingehen die Vergegenwärtigung der Geschichte des Proletariats durch Filme aus der alten und neuen Arbeiterbewegung, durch Arbeiterromane, kommunistische Kolportagen, Arbeiter-Illustrierte, Arbeiterzeitungen und durch praktische Anwendungen des Marxismus-Leninismus auf die Erziehung des Proletariats zur Klasse (Arbeiterkinder-Erziehung, Bildung von Arbeiterkommunen). Selbstbewusstsein als Voraussetzung für Klassenbewusstsein kann nicht allein durch Siege in aktuellen Aktionen (Betrieb, Straße) entwickelt werden, sondern durch agitatorische Arbeiterkultur. Die so geschulten proletarischen Grundeinheiten sind allererst klassenbewusst. Dieses Klassenbewusstsein muss gefestigt werden. Jeder Arbeiter muss fähig werden, durch marxistische Analyse die Schachzüge des Kapitalismus vorauszusehen, den Kampf nicht nur taktisch, sondern auch strategisch zu führen, muss fähig werden, in neu aufzubauenden Kollektiven initiierend wirken zu können, d.h. als Kader tätig zu werden. Darauf bereitet die erste Stufe der Schulung nicht genügend vor. Erst auf einer zweiten Stufe der Schulung, in einer Räteschule etwa, die von den theoretischen und praktischen Zusammenhängen der Geschichte der Arbeiterbewegung ausgeht, kann dies geleistet werden.“

Im Artikel „Was lehrt und die Organisationsdebatte?“ heißt es u. a.: „Die in den letzten Monaten in verschiedenen Gremien und Gruppen an der Universität geführte Organisationsdebatte war bestimmt von der Einsicht, dass die Umwandlung der radikal-demokratischen Studentenrevolte in eine sozialistische Massenorganisation notwendig ist. Dabei haben sich zwei unterschiedliche Positionen herausgebildet. Die eine Position geht davon aus, dass auf den Versuch des Staatsapparates, die zentralen Gremien der Studentenschaft zu zerschlagen, mit der beschleunigten Gründung einer studentischen Massenorganisation zu antworten sei, um einmal die materielle Basis für den studentischen Kampf zu sichern, zum anderen, um eine organisatorische Verbindlichkeit zu schaffen, die Kader für den außeruniversitären Bereich freisetzt und damit die Wiederbelebung des Klassenkampfes fördern hilft.

Die andere Position geht davon aus, dass die Debatte über eine langfristig geplante Organisation nicht durch das Hochschulgesetz bestimmt sein sollte. Sie wendet sich darüber hinaus grundsätzlich gegen die Gründung einer studentischen Massenorganisation, um zu verhindern, dass diese eine langfristig zu schaffende sozialistische Massenorganisation vom studentischen Sektor her vorstrukturieren könnte. In den Basisgruppen wurde die Organisationsdiskussion zunächst unabhängig von der Universität geführt. Sie ging von der Notwendigkeit aus, die Arbeit in den verschiedenen Basisgruppen zu koordinieren und die Arbeitsbereiche, die nicht von einzelnen Basisgruppen zu bewältigen sind (z. B. Schulungsarbeit) zentral in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig hätte die Organisation auch Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Arbeit innerhalb der einzelnen Basis- und Betriebsgruppen wirksamer wird, zum Beispiel durch Einbeziehung von Genossen aus anderen Praxisbereichen (Mediziner, Lehrer, Kindergärtner). Diese Organisation betrifft bisher nur die in den Basisgruppen und anderen politischen Gruppen arbeitenden Genossen, nicht aber die Arbeitermassen, die erst in einem späteren Stadium aus den Betriebsgruppen eine sozialistische Massenorganisation zu bilden hätten.

Von den Ergebnissen der von den Basisgruppen eingeleiteten Untersuchung über die Wirksamkeit der bestehenden Organisationsansätze und Arbeitsschwerpunkte wird es auch abhängen, welche organisatorischen Lösungen an der Universität sich hemmend oder fördernd auf den Aufbau einer sozialistischen Massenorganisation auswirken werden. Den bestehenden Organisationsmodellen an der Universität haftet auch deshalb so viel an Abstraktheit an, entwickelt sich in den Köpfen vieler auch deshalb ‚Organisation‘ zur magischen Zauberformel, weil es bisher nicht gelungen ist, eine überzeugende Strategie für den Kampf an der Basis zu entwickeln und von daher zu bestimmen, wie der Kampf an der Universität geführt werden muss, ob etwa der Realisierung des Hochschulgesetzes mit Militanz zu begegnen sei oder nicht. Die Unsicherheit in der Strategie hat auch Folgen für die Bestimmung der organisatorischen Grundeinheiten einer studentischen Massenorganisation. Diese haben ja nicht nur die Ansätze von Selbstorganisation aufzunehmen, sie müssen zugleich auf eine richtige sozialistische Praxis an der Basis hin organisiert sein …

Nach vier Monaten politischer Aktivität, die nach außen hin wenig spektakulär war und ihre Brennpunkte kaum noch in der Universität hatte, ist zu fragen, wie diese Forderung nach organisatorischer Weiterentwicklung realisiert worden Ist. Eine positive Antwort scheint einzig das Modell der Sektionen zu sein, das von den Soziologen, teilweise auch von den Medizinern und Germanisten entwickelt wurde. Die Sektionen ‚Industrie - Betrieb - Technologie‚, ‚Sozialisation‘ und ‚Medizin-Soziologie‘ schienen einen Organisationsansatz darzustellen, der den Institutspartikularismus hinter sich zu lassen versprach und der strategisch wichtige Punkte außerhalb der Universität anvisierte und zur Grundlage der Arbeit innerhalb der Universität machte. Der Anspruch der Sektionen - Verbreiterung der Basis innerhalb der Universität durch Koordination der Fachbereiche und außerhalb der Universität durch Kooperation mit Lehrlingen, Arbeitern, Kindergärtnerinnen etc. - wurde aber bisher nicht eingelöst, weil sie sich zu sehr in ihrer Arbeit davon abhängig machen lassen, dass Forderungen aus der Praxis an sie herangetragen wurden, die bisher noch nicht gestellt werden konnten.

Die Sektionen konnten sich deshalb als organisatorische Initiative gegenüber den ad-hoc-Gruppen bisher nicht allgemein durchsetzen.

Die unentwickelte Organisationsform der ad-hoc-Gruppen und die unentwickelte Praxis der Sektionen machen die Kontroverse, die in den letzten Wochen geführt worden ist, ob Sektionen oder ad-hoc-Gruppen als auszubauende Organisationsmodelle zu gelten haben, zu einem Scheingegensatz. Das Problem besteht nicht darin, zu entscheiden, ob ad-hoc-Gruppen oder Sektionen die ideale Grundeinheit einer studentischen Massenorganisation sind, sondern darin, wie die politische und organisatorische Verbindung zwischen Universität und Basisarbeit bzw. Überbauberufen geschaffen werden kann.

Unter dieser Anforderung haben sich sowohl die ad-hoc-Gruppen als auch die Sektionen zu verändern. Dass die Organisation an der Universität nur so dürftige Fortschritte gemacht hat, erklärt sich auch daraus, dass die Konflikte in der Universität zunehmend anachronistische Züge tragen (siehe etwa Relegationskonflikt). Gemessen an diesen Konflikten standen die Sanktionsmaßnahmen des Staatsapparates, dem sich die Studenten als einzige gesellschaftliche Gruppe bisher direkt konfrontiert sahen, in keinem Verhältnis. In dem Maße, wie die Studenten die Bedeutung ausseruniversitärer Bereiche für den Klassenkampf erkannten, verlor für sie die Austragung rein universitärer Konflikte an politischer Notwendigkeit …

Um den Prozess der Organisierung einzuleiten, sind auf der Arbeitskonferenz der ad-hoc- und Basisgruppen am 7. 6.1969 drei Kommissionen für die Bereiche Produktion, Ausbildung und Verwaltung - Bürokratie gebildet worden …

Die Erkenntnis der Bedeutung außeruniversitärer Praxisbereiche führte zu einer Vielfalt von Praxisansätzen. Diese Aktivitäten waren durch eine starke Dezentralisierung charakterisiert. Die Notwendigkeit einer Organisation ergibt sich daher nicht nur aus dem Schlag des Senats durch die Verabschiedung des Hochschulgesetzes, sondern zugleich als Notwendigkeit, den Partikularismus zu überwinden und zu einer Verallgemeinerung der strategischen Ansätze zu gelangen. Das würde bedeuten, dass die Praxis der Gruppen sich einer allgemeinen Diskussion und politische. Kontrolle zu stellen hätte.“
Q: Rote Presse-Korrespondenz, Nr. 17, (West-)Berlin, 13.6.1969.

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