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03.07.1970:
Die Nr. 71 der „RPK” erscheint. Inhalt der Ausgabe ist:
- Demonstration gegen das Verbot des Heidelberger SDS
- Die Ausbeutung Südostasiens durch den Japanischen Imperialismus
- die US-Imperialisten können in Indochina nicht gewinnen. Interview mit Wilfred Burchett
- SAVAK-Banditen können sich in Westberlin ungehindert als Zuhälter und Rauschgifthändler betätigen.
Im Artikel „Demonstration gegen das Verbot des Heidelberger SDS” wird u. a. ausgeführt: „Das vom baden-württembergischen Innenministerium erlassene Verbot des Heidelberger SDS hat in der Bundesrepublik und in Westberlin eine Welle von Solidaritätskundgebungen und Protestaktionen ausgelöst, die in koordinierten Massendemonstrationen am Dienstag ihren ersten Höhepunkt gefunden haben. In Heidelberg versammelten sich 10.000 Demonstranten zur größten Demonstration in Heidelberg seit Kriegsende. Trotz aller Sabotageversuche und unverschämten Provokationen durch das Innenministerium (geschlossen mitmarschierende Polizeieinheiten an der Spitze und in der Mitte des Zuges), verlief die Demonstration diszipliniert. In Sprechchören forderten die Demonstranten die Aufhebung des SDS-Verbots, die unverzügliche Freilassung des unter Vorwänden und falschen Anschuldigungen inhaftierten Genossen Dieter Wesemann und den Rücktritt der Krause & Zundel-Bande. Mit diesen Forderungen verbanden sie Parolen gegen den bundesrepublikanischen Imperialismus.
In Westberlin marschierten 5.000 Demonstranten in organisierten Blöcken mit hunderten roten Fahnen und Transparenten durch Kreuzberg zum Sportpalast. Sie forderten die Aufhebung des SDS - und KPD-Verbots, wandten sich mit Sprechchören gegen die imperialistischen Raubzüge der westdeutschen und Westberliner Monopole sowie gegen die Versuche der Illegalisierung sozialistischer und kommunistischer Organisationen durch den Staatsapparat. In zahlreichen westdeutschen Städten kam es unter der gleichen Zielrichtung zu weiteren Solidaritätsdemonstrationen, so in München, Frankfurt, Stuttgart, Tübingen, Marburg, Mainz, Köln, Bonn, Aachen, Hamburg, Hannover, Göttingen und Gießen.
Mit diesen Demonstrationen wurde die Propaganda der Konterrevolution, die die notwendige Auflösung des nationalen Studentenverbandes SDS mit dem Untergang der revolutionären Linken gleichsetzte, ebenso zunichte gemacht wie ihr im gleichen Zuge unternommener Versuch, eine sozialistische Organisation zu liquidieren. Die Zehntausende, die am Dienstag gegen das Verbot des Heidelberger SDS demonstriert haben, haben damit zugleich ihre Entschlossenheit demonstriert, gegen alle künftigen Versuche der Illegalisierung revolutionärer proletarischer Organisationen und Organisationen der revolutionären Intelligenz zu kämpfen. Das baden-württembergische Innenministerium hatte in seiner Verfügung zum Verbot und zur Auflösung des Heidelberger SDS folgendes angeordnet:
1. Die Hochschulgruppe Heidelberg des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes ist als Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, nach Art. 9, Abs. 2 des Grundgesetzes verboten. 2. Die Hochschulgruppe Heidelberg des SDS wird aufgelöst. 3. Das Vermögen der Hochschulgruppe Heidelberg des SDS wird beschlagnahmt und zu Gunsten des Landes Baden-Württemberg eingezogen. 4. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Hochschulgruppe Heidelberg des SDS zu bilden oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen. 5. Die sofortige Vollziehung vorstehender Verfügung wird angeordnet. Was bedeutet ein solches Verbot konkret für die Mitglieder einer politischen Organisation? Jedes Mitglied des Heidelberger SDS darf auch weiterhin seine individuelle Meinung über Imperialismus und Kapitalismus beibehalten. Nach § 5 des Grundgesetzes ist jede Meinung als Privatmeinung erlaubt. Die Heidelberger SDS-ler dürfen aber ab sofort nicht mehr nach ihrer Meinung handeln, dürfen nicht mehr versuchen, sie organisiert durchzusetzen. D.h. unter Androhung hoher Gefängnisstrafen dürfen sie sich nicht miteinander zu politischen Absprachen treffen, sie dürfen keine Flugblätter verteilen, ihre Zeitungen Rotes Forum und Rote Kommentare dürfen nicht mehr erscheinen, sie dürfen sich in keinem anderen Verband mehr organisieren.
Wenn also z. B. Mitglieder des Heidelberger SDS massiert in den Heidelberger SHB eintreten, um dort politisch weiterzuarbeiten, dann würde nach dem Grundsatz, dass Personenidentität und Zielidentität vorliegt, der Heidelberger SHB als Ersatzorganisation verboten. Einer möglichen Anfechtungsklage wurde durch das Ministerium ‚im öffentlichen Interesse‘ die sonst übliche aufschiebende Wirkung versagt. Dass sich die Konsequenz der politischen Absicht mit Gleichgültigkeit gegen die eigenen juristischen Bestimmungen paarte, hatte auch schon die Durchführung des Verbots gezeigt: zivile und uniformierte Polizisten waren am Donnerstagmorgen vergangener Woche ohne Durchsuchungsbefehl, ohne den Rektor der Universität, der das Hausrecht hat, zu verständigen, in die Räume des AStA eingedrungen, in denen die Mitglieder des SDS als gewählte Vertreter der Heidelberger Studentenschaft ihre Büros hatten, hatten Schränke und Schreibtische durchwühlt und alles beschlagnahmt, was ihnen in die Hände fiel. Mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei hatten mit Wasserwerfern und Schützenpanzern die Polizeiaktion von außen gesichert. Starke Kräfte des Bundesgrenzschutzes waren zu gleichen Zeit in Heidelberg zusammengezogen worden …“
Unmittelbarer Anlass und ‚Hauptbeweis‘ für ‚Rechtmäßigkeit‘ des SDS-Verbots jedoch stellt die Demonstration dar, zu der der SDS die Heidelberger Studenten am 19. Juni aufgerufen hatte, als sich die Chefplaner des Imperialismus - mit dem früheren US-Kriegsminister und heutigen Weltbankpräsidenten Mac Namara, dem kanadischen Nobelpreisträger und ‚Entwicklungshilfe‘- Experten Pearson und dem sozialdemokratischen Kolonialminister Eppler an der Spitze - in Heidelberg zu einer ‚Entwicklungshilfe‘-Konferenz versammelten. Diese Demonstration, die von den Heidelberger SDS-Genossen zugleich als Auftakt einer bundesweit zu führenden Cabora-Bassa-Kampagne gedacht war, hatte zu heftigen Auseinandersetzungen mit der haufenweise zum Schutz der Imperialistentagung aufgebotenen Polizei geführt - Auseinandersetzungen, für die nunmehr der SDS verantwortlich gemacht wird. Kennzeichnend für die ‚Beweisführung‘ des baden-württembergischen Innenministeriums gegenüber dem SDS ist, dass in diesem wie in allen übrigen aufgezählten Fällen die altbewährte Rädelsführertheorie wieder hervorgekramt und alle ‚Straftatbestände‘, die von Polizei und Staatsanwaltschaft behauptet wurden (ohne noch bewiesen zu sein) dem SDS als Organisation angelastet werden. Beweismittel; 1. die Demonstration war (wie auch die meisten früheren Demonstrationen) von Mitgliedern des SDS angemeldet worden; 2. unter den etwa 600 Demonstranten waren 15 namentlich aufgeführte SDS Mitglieder ‚als Teilnehmer an gewalttätigen Aktionen … mit Sicherheit erkannt‘ worden.
Selbst die bürgerliche Presse (wie z. B. die Frankfurter Rundschau und der Spiegel) musste inzwischen konstatieren, dass angesichts der Dürftigkeit der Beweisführung selbst das in der Bundesrepublik gültige Vereinsgesetz keine Handhabe für das Verbot des SDS biete, da die Behauptung, schon der Zweck des SDS laufe den Strafgesetzen zuwider, in, der Verbotsbegründung ‚nur schwach belegt‘ sei …“. Diese Zusammenhänge würden deutlich machen, „dass die revolutionären Organisationen in Westdeutschland und Westberlin in nächster Zeit mit verstärkten Repressionen seitens des Staatsapparates zu rechnen haben“. Der „entschlossene und organisierte Widerstand“ sei aber das einige Mittel, „um diese Repression abzuwehren“.
Reklame wird in der Ausgabe gemacht für:
- Politladen Erlangen (Erlangen),
- Buchhandlung Karin Röhrbein (West-Berlin).
Q: Rote Presse-Korrespondenz, Nr. 71, West-Berlin, 3.7.1970.
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