Hamburg: "Utopia - Anarchistische Zeitung" (1980/81)
Materialien zur Analyse von Opposition
Von Dietmar Kesten, Gelsenkirchen, 6.1.2021
Die anarchistische Zeitung "Utopia" wurde von der "Anarchistischen Gruppe Utopia" mit dem Sitz in Hamburg herausgegeben. Verantwortlich war Stephan Krall, der auch schon für das "Sex-Pol-Info" verantwortlich zeichnete. Insgesamt erschienen von 1980 bis-1981 neun Nummern sowie ein "Extrablatt". Erscheinungsweise war monatlich. Die Auflage betrug nach eigenen Angaben 500 Exemplare. Die Folgezeitung hieß "Ruhe bewahren" von der uns das Cover vorliegt. "Utopie" lag laut einem "Beiblatt" in einigen Hamburger Buchläden aus und wurde "kostenlos" abgegeben.
In der Nr. 1 vom April 1980 wurde die Programmatik der Gruppe erläutert. Sie wolle "über die Ideen des Anarchismus informieren" und nicht "in Konkurrenz zu schon bestehenden anarchistischen Gruppen in Hamburg treten", etwa der "FAU". Sodann erfolgte eine Abgrenzung zu John Henry Mackay, den "bewaffneten Kämpfern" des Anarchismus. Selbst sei sie "keine Pazifisten" und erst recht keine "Marxisten". Dazu argumentierte man mit Gustav Landauer: "Wie Landauer schon so treffend bemerkt hat, leugnen die Marxisten deshalb den Geist ab, weil sie keinen besitzen".
Man "bejahe das Leben, die Lebendigkeit". Eine Veränderung würde nur aus "den Einzelnen erwachsen, die eins werden mit der Welt. (…) Nicht revolutionäre Pamphlete wie dies eins sein mag, sondern revolutionäre Menschen" seien wichtig. "Solange der Aufstand nicht aus jedem Einzelnen kommt, solange wird es keinen Fortschritt geben". Den künftigen Weg wolle man sich durch Max Stirner, Peter Kropotkin, Emma Goldmann und Wilhelm Reich zeigen lassen (vgl. Utopia, 171980, S. 1-3)
Mit der Nr. 1/1981 wurde die Zeitung eingestellt, da der verantwortliche Redakteur (Stephan Krall) beruflich nach Afrika ging. "So haben wir denn in der Gruppe beschlossen, die UTOPIA mit einer Schlussnummer einzustellen. Stattdessen wollen einige aus der Gruppe eine andere Zeitung machen unter dem Namen 'RUHE BEWAHREN' (…) Der Name soll ausdrücken, dass hier auch ein neuer Charakter zum Vorschein kommt, ohne dass eine Kontroverse zur UTOPIA besteht". Die Gruppe, allerdings ohne Zeitung, werde "auch weiterhin bestehen" (vgl. Utopia, 1/1981, S. 20).
Nachfolgerin der "Utopia": "Ruhe bewahren! anarchistische zeitung für hamburg"
Wir danken Stephan Krall für die freundliche Unterstützung.
Liste der als Scans vorhandenen Zeitungen
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 1, Hamburg, April 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 2, Hamburg, Mai 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 3, Hamburg, Juni 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 4, Hamburg, Juli 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 5/6, Hamburg, August/September 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 7, Hamburg, Oktober 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 8/9, Hamburg, November/Dezember 1980
- Utopia - Anarchistische Zeitung, Extrablatt, Hamburg, (November 1980)
- Utopia - Anarchistische Zeitung, 2. Jg., Nr. 1, Frühjahr 1981
Auszug aus der Datenbank "Materialien zur Analyse von Opposition" (MAO)
April 1980:
Es erscheint die Nr. 1 der "Utopia - Anarchistische Zeitung", die von der "Anarchistischen Gruppe Utopia" mit dem Sitz in Hamburg herausgegeben wird.
In der Ausgabe 1 grenzt man sich etwa vom individuellen Anarchismus ab, von Macky, von den Marxisten und von den "bewaffneten Kämpfern". Man möchte sich etwa an Landauer, Stirner, Kropotkin Goldmann, Reich und anderen orientieren.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Unser Standpunkt"
- "Am Rande bemerkt"
- "Sexualpolitische Arbeitsgruppe"
- "Buchbesprechung"
- "Selbstbefreiung oder Emanzipation"
- "Es grünt so grün"
- "Beschauliches"
Berichtet wird u. a. über den "Olympia-Boykott, über historische Texte, die eigenmächtig von Verlagen "gekürzt werden", über den 110. Geburtstag von Gustav Landauer, den 146. Todestag von Godwin. Aufgerufen wird zur Gründung einer "sexualpolitischen Arbeitsgruppe", in der auch über "Sexualpolitik" gesprochen werden soll. Rezensiert wird Erich Mühsam: "Ausgewählte Werke". Zudem erscheint ein Text von ihm. In einem Artikel wird noch zur Grünen Partei Stellung bezogen und der Parlamentarismus kritisiert. Zu Wahlen wird erklärt, dass der "Anti-Parlamentarismus eines der Grundprinzipien des Anarchismus ist".
Quelle: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 1, Hamburg, April 1980.
Mai 1980:
Die Nr. 2 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Diktatur oder Sozialismus. Kuba-Land der 10.000 Kriminellen"
- "Einiges zu Utopia, uns, und was so alles passieren soll-oder auch nicht"
- "Am Rande bemerkt"
- "Hier hat der Leser das Wort"
- "Neue Bücher-Buchbesprechung"
Berichtet wird u. a. über Kuba und die "Castro-Diktatur". Dass eine Verurteilung der Linken nicht stattfand, sieht man im Charisma von Che Guevara begründet. Zu den Vertriebsmöglichkeiten der Zeitung wird angemerkt, dass sie in Hamburger Buchläden ausgelegt werden soll. Später soll ein "Unkostenbeitrag erhoben werden".
Ein erstes Treffen des "sexualpolitischen Arbeitskreises" soll am 19.6. stattfinden.
Geworben wird für ein TB zum spanischen Bürgerkrieg: "Kollektivismus und Freiheit".
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 2, Hamburg, Mai 1980.
Juni 1980:
Die Nr. 3 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Egoismus-Altruismus"
- "Land und Freiheit-Die mexikanische Revolution 1910-1920"
- "Am Rande bemerkt"
- "Hier hat der Leser das Wort und wir nehmen dazu Stellung"
Berichtet wird u. a. über den Altruismus, der wie folgt interpretiert wird: "Unter Altruismus wird gemeinhin verstanden, dass man auch aus uneigennützigen Motiven handelt, dass man ein moralisch-ethisches System für sich oder in der Gemeinschaft anerkennt und versucht, nach ihm zu handeln". Berichtet wird noch über das Thema "Wahlboykott" das "Freie Wendland", über die Grünen und über Ernst Busch, der am 8.6. verstarb. In der Auseinandersetzung mit einer Leserzuschrift, wird noch auf die "Mackay-Gesellschaft" eingegangen. Das regelmäßige Treffen des "Sexualpolitischen Arbeitskreises" soll zu verschiedenen Themen nun erweitert werden. Eingeladen wird zur "Anarchistischen Teerunde-Für die Beschaulichen, oder zum Wildkirschentreffen-Für die Feurigen, oder zum Anarchistischen Zirkel-Für die Subversiven".
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 3, Hamburg, Juni 1980.
Juli 1980:
Die Nr. 4 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Frau und Sozialismus auf Kuba"
- "Am Rande bemerkt"
- "Buchbesprechung"
- "Radikale für Arbeitsplätze"
Berichtet wird u. a. über die Rolle der Frau in der kubanischen Gesellschaft. Dazu erscheint als Nachdruck ein Artikel "der in der anarchistischen Zeitung Freie Presse erschienen ist". Gesucht wird das Buch von Günter Bartsch: "Anarchismus in Deutschland". Den angekündigten Unkostenbeitrag für UTOPIA soll es nun doch nicht geben. Eine weitere Auflagenerhöhung ist zur Zeit nicht geplant. Rezensiert wird das Buch von Jan Petersen: "Unsere Straße". Demnächst soll über die "Sozialistischen Thesen" von Landauer diskutiert werden.
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 4, Hamburg, Juli 1980.
August 1980:
Die Nr. 5/6 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" für August/September erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Wer ist das nächste Opfer?"
- "Die Linke und der Sex"
- "Boykottiert die Wahl"
- "Zu Hause in einer fremden Welt-3 Texte"
- "Egoismus - Altruismus II"
- "Demo in Hamburg"
- "Sind wir Anarchisten?'"
- "Land und Freiheit-Mexiko nach der Revolution"
- "IV. Russell-Tribunal: Recht der Indianer-24.-30. November 1980 in Rotterdam"
- "Am Rande bemerkt"
Berichtet wird u. a. über den Tod eines Demonstranten am 25.8. bei einer Demo gegen Strauß in Hamburg. Dazu wird ein Kommentar aus der "taz" veröffentlicht.
Im Artikel: "Die Linke und der Sex", wird über das Thema "Sexualunterdrückung" berichtet. Es sei "seit einem kurzen Aufflackern während der Studentenrevolte in den 60er Jahren wieder in der linken Tabukiste verschwunden". Auf den Stellenwert der W. Reich-Schriften wird verwiesen. Aufgerufen wird zum "Wahlboykott" am 5.10. Es schließt sich eine weitere Definition des Begriffs Anarchismus im Artikel: "Sind wir Anarchisten?" an. Ein weiterer Artikel über die "Mexikanische Revolution" aus der Ausgabe 3 wird fortgesetzt. Aufgerufen wird noch zum IV. "Russell-Tribunal" in Rotterdam vom 24.-30.11.
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 5/6, Hamburg, August/September 1980.
Oktober 1980:
Die Nr. 7 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Ein Tag Farce-Vier Jahre Betrug"
- "Prozess um Olaf's Tod"
- "Anarchistische Partei"
- "Leserbrief"
- "Buchbesprechung"
- "Augustin Souchy"
- "Anti-Wahlfete am 5.10."
Berichtet wird über die Wahl 1980, über Olaf Ritzman "der am 25.8. 1980 anlässlich einer Protestdemonstration gegen Strauß durch die Polizei in den Tod getrieben wurde", über das Thema "Parlamentarismus", das "für die Anarchisten auch weiterhin ein wichtiges Themna bleiben wird". Rezensiert wird das Buch von Hans-Karl Tannewitz: "Mihail Bakunin". Berichtet wird noch über einen Vortrag von Augustin Souchy in Hamburg am 24.9. und über eine "Anti-Wahlfete" am 5.10. im Alsterpark, zu der sich "70 Leute zusammengefunden hatten". Weiterhin wird zu einem Treffen eingeladen, um "die Ideen des Anarchismus vermitteln zu können".
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 7, Hamburg, Oktober 1980.
November 1980:
Vermutlich im November erscheint ein "Extrablatt" der "Utopia - Anarchistische Zeitung" zum Papstbesuch in der BRD mit dem Titel: "Der Papst kommt! Raus aus der Kirche!". Agitiert wird u. a. gegen die Kirche, den Papstbesuch und die Kirchensteuer.
Geworben wird für die Doppelnummer 8/9 1980 der UTOPIA.
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, Extrablatt, Hamburg, (November 1980).
November 1980:
Die Nr. 8/9 der "Utopia - Anarchistische Zeitung" für November/Dezember erscheint.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Der Anarchismus Max Stirner's"
- "FAU-Ein Drama in 6 Aufzügen"
- "Buchbesprechung"
- "Mord in Stammheim-18. Oktober 1977?"
- "Feinde der Menschlichkeit. Marxistische Gruppe zur sanften Geburt"
- "Am Rande bemerkt"
- "Was ist Anarchismus-Eine kurze Information"
- "Amsterdam-Zürich-Hamburg-Berlin: Wohnraumnot!"
- "Aufruf an alle Anarchos und Anarchisten"
- "Am Rande bemerkt"
- "Leserbrief"
Der Artikel über Max Stirner ist der anarchistischen Zeitung "Freedom" entnommen.
Eine Auseinandersetzung findet mit der FAU statt, die "großklotzig als Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten" auftreten würde. Dazu erscheint ein Abriss über die "Initiative Freie Arbeiter Union" mit der Zeitung "Direkte Aktion", deren Spaltung und die Neugründung als FAU in Hamburg mit der Zeitung "Befreiung". Ausgeschlossene der Gruppe Hamburg hätten nun die "Gruppe Arbeitersolidarität" gegründet. Rezensiert wird die Broschüre: "Lieber krank feiern als gesund schuften". Berichtet wird über Stammheim und die neue Zeitschrift "Akratie" aus der Schweiz, über den "Stoltzenberg-Skandal", über die Marxistischen Gruppe und deren "Hamburger Hochschulzeitung". Die Gruppe würde sich durch einen "ridigen Marxismus" auszeichnen. Berichtet wird noch über die Wahlen in den USA und eine Veranstaltung am 12.11. in Hamburg zum Thema: "Die Krawallanten". Anwesend waren auch Mitglieder der "Wohnraumfront" aus verschiedenen Städten. Es schließt sich eine Information über den Anarchismus an. Der "Liber Verlag Berlin" veröffentlicht den "Aufruf an alle Anarchos und Anarchisten" mit dem Hinweis , dass man "in Form einer Aufsatzsammlung die Herausgabe eines Buches zu dem Thema: "Warum ich Anarchist(in) bin" planen würde.
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 1. Jg., Nr. 8/9, Hamburg, November/Dezember 1980.
April 1981:
Vermutlich im April erscheint die Nr. 1 der "Utopia- Anarchistische Zeitung". Mit der Ausgabe wird die UTOPIA eingestellt. Erklärt wird u. a., dass die Zeitung mehr und mehr zu einem "Ein-Mann-Unternehmen wurde" und dass man deshalb die "geheiligten Hallen dieser 'Demokratie' für längere Zeit zu verlassen" gedenkt.
Artikel der Ausgabe sind:
- "Peter Kropotkin"
- "Am Rande bemerkt"
- "Peter Kropotkin-Die individualistischen Anarchisten"
- "FAU-Das Drama zweiter Teil"
- "Buchbesprechung"
- "Albert Camus über Max Stirner nebst Kommentar"
- "Heil Hitler: Ein deutsches Verhängnis"
- "Lilien-Maltest"
- "Leserbrief"
- "Anarchistische Zeitungsente"
- "Utopia ade!"
Berichtet wird über Kropotkin, über die FAU, über Mackay und Schriften von ihm: "Max Stirner, sein Leben und sein Werk", "Abrechnung", "Der Bahnbrecher". Von Camus wird sein Beitrag über Max Stirner veröffentlicht. Gewürdigt wird Kurt Zuber (Sonnenbahn) und dessen Artikel: "Heil Hitler" aus "Radikaler Geist" von 1933. Berichtet wird noch über den Film von Lilien: "Maltest". Eine "Anarchistische Zeitungsente", gibt einen Überblick über "deutsche und ausländische anarchistische Zeitungen", u. a. "Aktion", "Direkte Aktion" (FAU), "Schwarzer Faden" (Reutlingen), "Akratie" (Schweiz), "Freedom" (England), "Volunta" (Italien).
Q: Anarchistische Gruppe Utopia: Utopia - Anarchistische Zeitung, 2. Jg., Nr. 1, Frühjahr 1981.
Letzte Änderung: 06.01.2021