Dezember 1972:
Vermutlich zum Jahresende erscheint die Nr. 2 der Zeitschrift "Freies Irland" mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren in Hamburg, hrsg. vom "Solidaritätskomitee Freies Irland".
Im "Editorial" heißt es zur Herausgabe: "Wir wollen im Rahmen dieses Editorials noch einmal auf die Frage eingehen, wie sich eine solidarische Position mit dem irischen Freiheitskampf heute bestimmen lässt.
Gerade in der Situation, in der sich eine Solidaritätsbewegung mit der irischen Revolution in ersten Ansätzen zu formulieren beginnt, scheint es uns notwendig zu sein, von Anfang an auf die Schwächen einer 'parteilichen' Unterstützung ausschließlich für einen Flügel der Republikanischen Bewegung hinzuweisen.
Jede solidarische Position mit nationalen Befreiungsbewegungen muss ansetzen an dem uneingeschränkten Recht jedes unterdrückten Volkes auf nationale Selbstbestimmung und auf den Kampf für völlige Unabhängigkeit von seinen Unterdrückern. Das Eintreten für das Recht auf nationale Selbstbestimmung gegen die Bourgeoisien der Metropolen ist die grundsätzliche Pflicht jedes Revolutionärs, sie kann nicht abhängig gemacht werden von der Existenz einer sozialistischen Klassenführung, und von dem Bestehen einer klaren sozialistischen Programmatik.
Betrachten wir die Situation des irischen Kampfes heute, so können wir feststellen, dass in beiden Teilen des Landes, mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlichen Formen, der Kampf für nationale Selbstbestimmung geführt wird.
Die entschiedensten Teile der republikanischen Bewegung, die beiden Flügel der IRA, führen diesen Kampf auf der Grundlage unterschiedlicher Programme und unterschiedlicher Praxisformen gegen das britische Militär wie gegen den reaktionär-klerikalen Staat Irland und den künstlichen Unionisten-Staat Ulster.
Obgleich keiner dieser beiden Flügel heute in der Lage ist, eine sozialistische Transformation Irlands, den Aufbau einer irischen Arbeiterrepublik vom Programm wie von der Praxis her in Angriff zu nehmen, bedarf ihr Kampf unserer eingeschränkten Solidarität, ohne dass wir die Notwendigkeit der Verbindung des nationalen Kampfs mit den Forderungen nach einer irischen Arbeite Republik in Frage stellen. Um es noch einmal klar zu formulieren, weder die Officials IRA, die zwar ein sozialistisches Selbstverständnis formuliert, aber in ihrer Praxis und in ihren Forderungen noch weitgehend ein reformistisches Konzept vertritt, noch die Provisional IRA, die in ihrer Führung kleinbürgerlich-nationalistisch und in ihrer Gesamtheit heterogen alle politischen Strömungen vom militanten Nationalismus bis hin zu revolutionär-sozialistischen Ansätzen repräsentiert, vertreten heute eine 'marxistische Klassenlinie' im irischen Kampf.
Aber es ist nicht unsere Aufgabe, den irischen Genossen Bedingungen für unsere Solidarität zu diktieren unter denen wir bereit sind, ihren Kampf zu unterstützen und wir haben nur dann das Recht eine solidarische Kritik an ihrem Kampf zu üben, wenn wir grundsätzlich ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung ihren politischen und militärischen Kampf gegen den britischen Imperialismus und gegen die irische Reaktion unterstützen. Mit dieser Position stehen wir im Gegensatz zu denjenigen Gruppen, deren Solidarität davon abhängig ist, inwieweit es ihnen gelingt aus der nationalen Befreiungsbewegung einen 'bewußtesten Teil' herauszudestillieren. (…)
Die aktuellste Entwicklung in der Republik Irland macht deutlich, wie dieser Staat, wie diese herrschende Klasse auf Gedeih und Verderb an den kritischen Imperialismus gekettet ist und dass diese Klasse weder in der Lage sein wird, sich an die Spitze einer nationalen bürgerlich-demokratischen Republik zu stellen noch in der Lage sein wird, die republikanische Bewegung in ganz Irland zu neutralisieren. Der Kampf für nationale Selbstbestimmung wird sich von daher über einen langfristigen Differenzierungsprozess innerhalb beider Flügel des irischen Republikanismus ausweiten in den Kampf für die irische sozialistische Republik und wird kleinbürgerlichen Nationalismus und Sektierertum in diesem Prozess hinter sich lassen.
Das Vorantreiben dieses Differenzierungsprozesses, die Herausbildung eines revolutionären Programms ist jedoch ausschließlich die Aufgabe der irischen Arbeiterklasse und kann auch nur von ihr gelöst werden. Aufgabe der westdeutschen Solidaritätsbewegung ist es jedoch nicht, einen Flügel der IRA gegen den anderen zu unterstützen. Wir sind mit allen nationalistischen und sozialistischen Organisationen der republikanischen Bewegung solidarisch, die den britischen Imperialismus und die einheimische Reaktion bekämpfen. Wir wollen propagandistisch und materiell mithelfen, die Entwicklung der irischen Revolution vom nationalen Freiheitskampf zur Vereinigten Irischen Arbeiterrepublik voranzutreiben!"
Artikel der Ausgabe sind:
- "Editorial"
- "Bernadette Devlins Appell"
- "Interview mit Tony Heffernan (Officials)"
- "Bob P.: Wohin gehen die Officials?"
- "H. M.: Die englische Arbeiterklasse und die Befreiung Irlands"
- "Der Unionismus"
- "Die Internationale Ausbeutung Irlands"
- "Peter Z.: Nord-Irland hat zwei Seiten. Wir sprechen hier von jener, die Sie Interessiert"
- "Stärkerer Anstieg der Industrie-Produktion in Nord-Irland"
- "Aisling C.: Die Repression in den 26 Grafschaften"
Geworben wird u. a. für die Edition Prinkipo im Verlag Olle&Wolter (West-Berlin), für den "Manifest-Buchversand" (Hamburg), für das "Vietnam-Info", für "Permanente Revolution", für "Was tun?", für "Klassenkampen", "Red Mole", "Mullvaden", "The Plough", für "Internationale Sozialistische Publikationen" (Hamburg). Bekanntgegeben wird, dass "Freies Irland" für Januar/Februar 1973 eine "Solidaritätskampagne" für Irland starten will.
Q: Solidaritätskomitee Freies Irland: Freies Irland, Nr. 2, Hamburg, (Dezember 1972).