Klassenkampf - Zeitung des Bundes Kommunistischer Arbeiter, Jg. 3, Aufruf zur Demonstration gegen Fahrpreiserhöhung und Fahrplanverdünnung, 8. Mai 1972

08.05.1972:
Der Bund Kommunistischer Arbeiter (BKA) Freiburg gibt ein Extrablatt seines 'Klassenkampf' (vgl. 24.4.1972, 17.5.1972) mit zwei Seiten DIN A4 ohne Angabe eines presserechtlich Verantwortlichen zur morgigen Demonstration heraus:"
AUFRUF ZUR DEMONSTRATION GEGEN FAHRPREISERHÖHUNG UND FAHRPLANVERDÜNNUNG

SAMMELPUNKT 17 UHR DIENSTAG, MÜNSTERPLATZ

Am Dienstag nachmittag, gegen 17 Uhr 30, will der Freiburger Stadtrat die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr um ca. 30% erhöhen.

Gleichzeitig wird die Verdünnung des Fahrplans fortgesetzt durch zunehmende Einschränkung der Fahrten auf den Berufs- und Einkaufsverkehr sowie durch
Streichung ganzer Linien!

Diese Maßnahmen gefährden einerseits die Arbeitsplätze der Arbeiter und Angestellten bei den Stadtwerken (ÖTV-Bereich, d.Vf.). Andererseits sind Verteuerung und gleichzeitige Einschränkung des öffentlichen Nahverkehrs direkt gegen die Arbeiter, Angestellten und deren Familien in Freiburg und den Randgemeinden gerichtet, die ein Interesse an einem umfassenden und billigen Nahverkehr haben.

Deshalb rufen der BUND KOMMUNISTISCHER ARBEITER und der KOMMUNISTISCHE JUGENDBUND (KJB, d.Vf.) die werktätige Bevölkerung zu einer Protestdemonstration gegen Fahrpreiserhöhung und Fahrplanverdünnung auf!

VORGESEHENE FAHRPLANVERDÜNNUNGEN

1. Der Abendverkehr im Stadtgebiet soll ab 21 Uhr im 30 Minuten Abstand verkehren (bisher 20 Minuten)

2. Ab 20 Uhr soll der gesamte Verkehr nach Kappel, Gundelfingen/Wildtal und Merzhausen eingestellt werden

3. Für die Stadtrandzonen soll ein Zuschlag erhoben werden

auf Einzelfahrschein und Mehrfachkarte 0,30

auf Wochensichtkarten                  2,50

auf Monatssichtkarten                  8,00

VORGESEHEN TARIFERHÖHUNGEN
bisher ab 1.6.
A EINZELFAHRSCHEINE

Erwachsene                                                  0,70  0,90  +30%

B MEHRFAHRTENKARTE
Erwachsene
a) 5 Fahrten x DM -, 60                                     3.-   4.-   +33%

b) Nur in Verkaufsstellen erhältlich 6 Fahrten x
DM -, 50 nun 5 Fahrten                                      3.-   3, 50 +40%

C WOCHENSICHTKARTEN

Wochenstreckenkarte Mo - Fr                                 4.-   5, 50 +37%

Schüler / Studenten / Lehrlinge Wochennetzkarte So - Sa     5.-   7.-   +40%

D MONATSSICHTKARTEN

Monatsnetzkarte                                            26.-  33.-   +27%

Schüler / Studenten / Lehrlinge Monatsnetzkarte            20.-  24.-   +20%

Am 21.März hat der Freiburger Stadtrat gegen den Protest weiter Bevölkerungsteile die Privatisierung der Stadtwerke beschlossen. Damit werden die Stadtwerke in eine Versorgungs- und eine Verkehrs Aktiengesellschaft aufgespalten, die beide in der Stadtwerke GmbH zusammengefaßt sind. Der Energiekonzern Thüringer Gas wird an den Versorgungsbetrieben beteiligt (Gas, Wasser, Strom), die 1972 mit einem Gewinn von ca. 5 Millionen DM arbeiten werden. Die Verkehrsbetriebe, die mit vielen Millionen Defizit arbeiten sollen mit Rationalisierungsmaßnahmen, Fahrplanverdünnungen und Fahrpreiserhöhungen aus dem Defizit möglichst weit herauskommen. So kommt es, daß auf der einen Seite Straßenbahn und Bus immer teurer werden und die Verkehrsarbeiter um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, während auf der anderen Seite alle Energiekonzerne Riesenprofite vermelden und die Thüringer Gas in ihrem Aktionärsbrief auch für 1971 eine Dividende von 15% ! ankündigen kann. Auch mit den Ergebnissen des laufenden Jahres 1972 könne man zufrieden sein, schreibt der Thüringer Gas Vorstand und gibt schließlich bekannt: 'Der Vorstand rechnet wieder mit einer befriedigenden Gewinnentwicklung.' (Handelsblatt (HB, d.Vf.), 6.April 1972)

Die Umgründung der Stadtwerke wird nur als ein Mittel eingesetzt, um bei den Stadtwerken verschärft rationalisieren und die Tarife erhöhen zu können. Begründen wird der Stadtrat seine Maßnahmen mit dem Defizit der Verkehrsbetriebe. Aber während die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe mit Hunderten von Millionen Defiziten arbeiten, während der Staat Steuern und Gebühren erhöht, während Gelder für Bildungs- und Sozialaufgaben gestrichen werden, unterstützt derselbe Staatsapparat mit Milliardenbeträgen die Monopole und hilft ihre Profite zu sichern. So wird z.B. in Freiburg Bauland für Billigstpreise an die Kapitalisten abgegeben (Rhodia (CPK-Bereich, d.Vf.)) und wurde jetzt in diesen Wochen (vgl. Apr.1972, d.Vf.) die Gewerbesteuer, die die Unternehmer an die Stadt zahlen müssen, zum ersten Mal seit 1954 !! (vgl. 1954, d.Vf.) angehoben, und auch das nur geringfügig.

Die Politik des Staatsapparates muß sich nach den Interessen der herrschenden Klasse ausrichten und sie verteidigen; diese Politik ist notwendigerweise gegen die Interessen der breiten Masse des Volkes gerichtet. Wenn jetzt die Verbrauchssteuern erhöht worden sind, ebenso die Gebühren für die städtischen Bäder etc., so geht es dabei um die Interessen und Profite der Kapitalisten. Die Verlagerung von Kosten ist Teil der allgemeinen Lohndrückerei, wodurch unser aller Lebensverhältnisse verschlechtert werden.

Vom Stadtrat können wir uns nichts erhoffen! Er funktioniert als das letzte Rädchen eines Staates, der gerade in einer Krisensituation verstärkt dazu beiträgt, die Kosten auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, um die Macht des westdeutschen Monopolkapitals aufrechtzuerhalten und voranzutreiben. Er funktioniert als Teil des kapitalistischen Staatsapparates, der immer mehr Geld aus unserer Lohntüte in die Taschen der Kapitalisten wandern läßt.

Protestieren wir gegen die geplanten Maßnahmen der Stadt!

Zeigen wir Stadtverwaltung und Stadtrat, daß wir diesen Angriff auf unser Interesse an einem billigen und umfassenden öffentlichen Nahverkehr nicht hinnehmen!

Zeigen wir, daß wir die Einstellung des Abendverkehrs nach Kappel, Gundelfingen/Wildtal und Merzhausen und die Kürzung des Abendsverkehrs in der Stadt entschieden ablehnen!

Verlangen wir durch unser geschlossenes Auftreten:

KEINE ERHÖHUNG DER FAHRPREISE!

KEINE VERDÜNNUNG DER FAHRPLÄNE!

AUSBAU DES ÖFFENTLICHEN NAHVERKEHRS IN DIE WOHNVIERTEL DER ARBEITEN BEVÖLKERUNG!

DEMONSTRATION

Wir fordern alle Kollegen, alle Betriebsräte und Vertrauensleute auf, die Maßnahmen der Stadt entschieden abzulehnen!

Kommt zur Demonstration gegen Fahrpreiserhöhung und Fahrplanverdünnung!

PAROLEN:

Preiserhöhung ist ein Hohn - sie geht ab von unserem Lohn!

Finanznot ist ein fauler Trick - die Thüringer Gas macht den Profit!

Der Stadtrat tritt nicht für uns ein - den Kampf, den führen wir allein!"

Später (vgl. 15.5.1972) berichtet der BKA:"
Der BUND KOMMUNISTISCHER ARBEITER UND DER KOMMUNISTISCHE JUGENDBUND hatten am Tag vor der Stadtratssitzung auf Flugblättern in den Betrieben, Gewerbeschulen und in der Stadt die von der Stadtverwaltung geheimgehaltenen Maßnahmen veröffentlicht. Die einhellige Meinung war: 'Diese Fahrpreiserhöhungen sind eine Sauerei!' Und vielen Kollegen war auch klar, daß mit derlei Maßnahmen der Staat sein Teil dazu beiträgt, die Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen."
Q: Klassenkampf Aufruf zur Demonstration gegen Fahrpreiserhöhung und Fahrplanverdünnung bzw. Kampf gegen Fahrpreiserhöhung und Fahrplanverdünnung, Freiburg 8.5.1972 bzw. 15.5.1972, S. 1f bzw. S.1

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