Kommunistischer Bund Westdeutschland - Rundbrief des Zentralkomitees, Jg. 1, 31. Aug. 1973

31.08.1973:
Der Ständige Ausschuß (StA) des ZK des KBW richtet einen "Rundbrief an die Ortsgruppen (befreundeten Organisationen zur Kenntnis)" (vgl. 24.8.1973, 11.9.1973) mit drei Seiten DIN A 4:"
Genossen, die Einschätzung der Lage in den wirtschaftlichen Kämpfen, wie sie in den Thesen des ZK vom Juli (vgl. 7.7.1973, d.Vf.) gegeben wurde, hat sich im Wesentlichen bestätigt. Allerdings hat sich bei der Ausweitung der Streikbewegung in Gebiete, wo unsere Organisation noch nicht arbeitet, sehr schnell gezeigt, daß wir unsere Möglichkeiten 'den zersplitterten Charakter der Kämpfe zu überwinden' überschätzt hatten. Über die Streiks in Lippstadt, Neuss, Bochum und bei Ford in Köln wissen wir bis heute immer noch unzulänglich Bescheid. Der KBW hat in keinen dieser Kämpfe eingreifen können.

Wichtigste Erscheinung in der aktuellen Situation ist die Tatsache, daß die Arbeiter durch die Streikbewegung Verhandlungen zwischen Gesamtmetall und der IGM haben erzwingen können. Gerade jetzt müssen wir an der Linie festhalten, die selbständige Streikbewegung nicht den Tarifauseinandersetzungen entgegenzustellen. Nach wie vor haben wir herauszuarbeiten, daß die selbständigen Streiks die beste Vorbereitung auf die Tarifrunde sind. Im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen propagieren wir - wie in der allgemeinen Resolution festgelegt - die sofortige Kündigung der Tarifverträge und die Aufnahme vorzeitiger Tarifverhandlungen. D.h. wir wenden uns gegen eventuelle Versuche von Gesamtmetall, durch einen einmaligen Zuschlag die Laufzeit der Tarifverträge zu retten.

Der mit der Einleitung von Verhandlungen zwischen Gesamtmetall und IGM erzielte Erfolg kann nur ausgebaut und gehalten werden, wenn es den Arbeitern gelingt, die Initiative zu behalten und nicht durch schnelle Verhandlungen ausgeschaltete zu werden. Das ist nur möglich, wenn jetzt mit aller Energie in Betrieben und Gewerkschaften die Debatte um die aufzustellenden Forderungen eröffnet wird und Beschlüsse gefaßt werden über die Forderungshöhe bzw. über Maßnahmen, um die erzielten Erfolge tariflich abzusichern.

Die unmittelbare Einberufung von Gewerkschaftsversammlungen auf den verschiedenen Ebenen muß angestrebt werden. In diesen Versammlungen müssen wir schon mit bestimmten Forderungen auftreten. Dabei empfiehlt sich als allgemeine Linie folgender Katalog von Vorschlägen:

1. Sofortige Kündigung der Verträge, keine Verhandlungen über einmalige Zuschläge. (Wir akzeptieren hier die Kritik der Bremer und Wilhelmshavener Genossen, die am letzten Rundbrief beanstandet haben, daß dort empfohlen wurde, die Losung des 'Teuerungszuschlags' (TZL, d.Vf.) aufzugreifen. Im Zentrum unserer Agitation muß die Forderung nach tariflich abgesicherten Lohnerhöhungen stehen). Das heißt

2. Wir fordern für die anstehenden Verhandlungen, daß in ihnen eine allgemeine Vorweganhebung der Tariflöhne durchgesetzt wird. Die Vorweganhebung muß dabei so bemessen sein, daß die in einzelnen Betrieben erkämpfte Zulage für alle abgesichert wird. Geht man davon aus, daß die durchschnittliche Zulagenhöhe von 300 DM auf 5 - 6 Monate verteilt pro Monat 50 - 60 DM ausmacht oder etwa 30 Pfennig pro Stunden auf den Ecklohn, so ist es naheliegend, eine allgemeine, lineare Vorweganhebung von 30 Pfennig zu fordern. In unsere Agitation muß dazu aufgenommen werden, daß gegenwärtig die konjunkturellen Bedingungen noch günstig sind und den Kampf der Arbeiter erleichtern, in Hinblick aber auf absehbare Kriseneinbrüche gerade die tarifliche Absicherung der Kampfergebnisse wichtig ist.

3. Als Forderung sollten wir den Vorschlag von einer Mark pro Stunde für alle ins Gespräch bringen. Das entspricht einer Forderung von 18 Prozent auf den Ecklohn (Tarifgebiet Unterweser, für andere Gebiete selbst ausrechnen!) Beim gegebenen Stand der Dinge ist aber die Forderung nach 'einer Mark für alle' nicht einfach von außen als DIE Forderung zu propagieren, sondern im Wesentlichen intern ins Gespräch zu bringen und zu begründen, um darüber Beschlüsse fassen zu lassen. Soweit sie in die Flugblattagitation aufgenomen wird, sollte das in der Weise geschehen, daß sie im Zusammenhang mit Rechnungen über die gestiegenen Lebenshaltungskosten z.B. als ein Vorschlag auftaucht.

4. Bei den aktuell weiter steigenden Preisen ist es wichtig, für kurze Laufzeiten der Verträge einzutreten. Wir schlagen vor, für sechs Monate einzutreten. Das scheint auch nach dem gegenwärtigen Stand der Konjunkturentwicklung richtig zu sein.

5. Wenn Tarifverhandlungen stattfinden, so ist damit zu rechnen, daß die IGM in einigen Bereichen versuchen wird, die Manteltariffragen (MTV, d.Vf.) mit dem Lohnkampf zu verbinden. Das ist an sich nicht unvernünftig, wird aber mit Sicherheit von der IGM-Führung benutzt werden, um bei den Lohnforderungen etwas nachlassen zu können. Wir müssen dabei klarstellen, daß im Zentrum die Reallohnerhöhung gegenwärtig zu stehen hat. Sollten die Manteltariffragen auftauchen, so werden wir vernünftige Forderungen selbstverständlich unterstützen, wie z.B. der Kündigungsschutz für ältere Kollegen. Gleichzeitig werden wir die Gelegenheit nutzen, um unsere Programmforderungen nach Verkürzung des Arbeitstages, Verlängerung des Urlaubs und Abschaffung der Akkordsysteme zu propagieren als die entscheidenden Manteltariffragen. Dabei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, daß nicht darum gegenwärtig der Kampf geführt werden wird, sondern diese Forderungen momentan nur auf der propagandistischen Ebene eine Rolle spielen.

6. Ähnliches gilt für die Forderung nach Streichung der beiden unteren Lohngruppen, die in einigen Streiks eine Rolle gespielt hat. Auch sie kann aufgegriffen werden, zentral bleibt aber die Forderung nach linearer Erhöhung der Löhne und Gehälter.

In fast allen Streiks haben die ausländischen Arbeiter eine herausragende Rolle gespielt. Sie haben fast überall wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Streiks gehabt und auch für ihre deutschen Kollegen mit die Zuschläge erkämpft. In unserer Agitation muß auf diese Erfahrungen unbedingt eingegangen werden. Es muß die außerordentlich schlechte materielle Lage der Ausländer den deutschen Kollegen immer wieder vor Augen geführt werden. Wo in den Streiks Niederlagen erlitten wurden, waren sie wesentlich Ergebnis der Tatsache, daß die Kapitalisten eine Spaltung zwischen Deutschen und Ausländern nutzen konnten. Deutlichstes Beispiel dafür sind die Vorgänge bei Ford."

Es folgen Berichte aus dem IGM-Bereich von Ford Köln (vgl. 30.8.1973) und Teves Gifhorn (vgl. 29.8.1973).

Kritisiert wird dieser Rundbrief vom Sekretär des StA des ZK (vgl. 15.9.1973).
Q: KBW-N.N. (StA-Sekretär): Überprüfung der Beschlüsse, o.O. O. J. (Sept. 1973), S. 3ff; KBW-ZK-StA: Rundbrief, Mannheim 31.8.1973

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