Kommunistischer Bund Westdeutschland - Gewerkschaftsbeauftragter: Zum MTV NW/NB, Jg. 1, 13. Sept. 1973

13.09.1973:
Der Gewerkschaftsbeauftragte des Ständigen Ausschusses (StA) des ZK des KBW verfaßt einen Text zu den Manteltarifverhandlungen (MTV) der IGM in Nordbaden/Nordwürttemberg, der vermutlich als Rundbrief an die Ortsgruppen und an die befreundeten Organisationen (vgl. 12.9.1973, 18.9.1973) gesandt wird:"
ZUM MTV NW/NB

Die Lage der Kapitalisten.

Die Kapitalisten versuchen Zeit zu gewinnen. Sie sind durchaus bereit, jetzt kleinere Zugeständnisse im MTV zu machen, um die größere Unruhe wegen der wirtschaftlichen Situation der Arbeiter aufzufangen. Dabei werden sie Zugeständnisse dort zuerst machen, wo sie in einem halben Jahr wegen gesetzlicher Regelungen sowieso nachgeben müssen, z.B. Fragen der Jugendvertretung, oder dort, wo sie Grundparagraphen vereinbaren können, die sie dann langfristig unterlaufen möchten, z.B. die Altersregelung.

Gegenüber der Gewerkschaft wissen sie, daß die IGM NW/NB zu Fragen des MTV hier eine Vorreiterrolle wahrnimmt, deshalb werden die Kapitalisten an bestimmten Punkten hart bleiben.

Von der Arbeiterschaft nehmen sie an, daß in Bezug auf den MTV die Kampfbereitschaft nicht sehr groß sein wird.

Die Situation der Arbeiterklasse.

Die von der Gewerkschaft aufgestellten Forderungen sind in keiner Weise aus den Betrieben gekommen. Es gibt zwar ein sich steigerndes Bewußtsein über die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, über die Notwendigkeit dagegen zu kämpfen, vor allem in den niederen Lohngruppen, doch äußert sich das noch nicht in allgemeinen Forderungen. Die Zeit des tariflosen Zustandes beim MTV wurde nicht für Kampfmaßnahmen genutzt, die Kollegen wissen oft nicht, daß Kampfmaßnahmen hier überhaupt möglich sind.

Wenn die Arbeiterschaft NW/NB's jetzt für Forderungen zum MTV streikt, dann nicht, weil sie schon immer für die eine oder andere, von der Gewerkschaft aufgestellte Forderung war (man ist überrascht, daß die Gewerkschaft schon 17 Jahre diese Forderungen stellt), sondern WEIL die Arbeitshetze langsam an ihre natürlichen Grenzen stößt, WEIL allgemein das Lebensniveau der Arbeiterklasse angegriffen wird und die Arbeiter streikwilliger sind. Hinzu kommt verschärfend, daß sich die letzten Streiks im Ruhrgebiet nicht in Ergebnissen für alle niedergeschlagen haben, WEIL die kampferfahrenen Arbeiter NW/NB's ein Bewußtsein haben, ein nicht unwesentlicher Teil der ganzen Klasse zu sein und in dieser Frage eine grundsätzliche Frage für alle anzupacken.

Deshalb wird bei der Urabstimmung eine Mehrheit für Streik stimmen, trotz mangelnder Klarheit zu den gewerkschaftlichen Forderungen.

Die Situation der Gewerkschaft.

Die IGM muß sich jetzt stark machen, um ihr Gesicht bei den Kollegen nicht noch weiter zu verlieren. Schon im Frühjahr versuchten sie für alle Metaller Forderungen zum MTV als zwischentarifliche Forderungen zu stellen, u.a. weil sie im Sinne der SPD stabilitätskonform sind.

Nachdem die Verhandlungen jetzt gescheitert sind, liegt ihr Hauptaugenmerk wieder auf den Kämpfen im Januar. Dabei wird sie natürlich in der Zwischenzeit radikaler als jemals zuvor auftreten. Die Gewerkschaftsspitze wird jede Möglichkeit nutzen sich als die Organisation der Arbeiterklasse wieder mehr ins Bewußtsein zu bringen. Die MTV in NW/NB bieten eine gute Gelegenheit. Es sieht so aus, als hätte die IGM von vornherein NW/NB auserwählt, um ihre 'Kampfbereitschaft' auch in Fragen der Arbeitsplatzsituation zu dokumentieren. Die IGM hat natürlich auch bemerkt, daß es in diesen Fragen seit einiger Zeit in den Betrieben gärt, vor allem in den unteren Lohngruppen, sie muß handeln, damit nicht 'Zustände' wie in Italien einreißen.

Absprachen zwischen Regierung und Gewerkschaftsspitze gingen wahrscheinlich dahin, daß Gesetzesänderungen in Angriff genommen werden müssen, aber erst, wenn die gewerkschaft vorher Gelegenheit hatte, sich den Kollegen gegenüber zu profilieren. In Richtung auf die Kollegen ist die Situation für die IGM im Zusammenhang mit Forderungen zum MTV beschissen, weil sie bisher diese Sachen hinter verschlossenen Türen verhandelt hat. Um ihre Forderungen jetzt unter die Leute zu bekommen muß sie schon ganz schöne Anstrengungen machen. Das sie es macht, ist ein weiteres Zeichen dafür, daß sie die Sache zum Platzen bringt. Die IGM war von vornherein auf Scheitern der Verhandlungen aus.

Was heißt das für uns?

Wir müssen uns auf Kampfmaßnahmen einstellen.
Die Diskussionen zum Manteltarif bieten die Möglichkeit die Zusammenhänge der Arbeitsplatzsituation und dem System überhaupt aufzuzeigen (statistisches Material über die Lage der Arbeiterklasse in bezug auf Intensivierung der Arbeit und ihre Folgen kann wahrscheinlich in den nächsten Tagen schon verschickt werden - GUV Heidelberg Sektion Sozialpolitik). In der nächsten Zeitung ('KVZ' - vgl. 26.9.1973, d.Vf.) wird ein Artikel kommen zur Situation älterer Kollegen (X.). Ein weiterer Artikel konkret zum MTV NW/NB muß noch abgemacht werden.

Zu den Forderungen.

Grundsätzlich können wir dem Katalog der Gewerkschaft keinen eigenen Katalog entgegenstellen. Die Forderungen stehen, wir müssen uns dazu verhalten. Unsere Hauptaufgabe wird darin bestehen, propagandistisch einzugreifen, dabei die Forderungen unseres Programms und das Programm ins Gespräch zu bringen. Daß wir die Kämpfe mit organisieren und für Streik agitieren, sollte klar sein.

Von den IGM-Forderungen ist nur die Altersschutzforderung prinzipiell richtig. Ein Großteil der anderen Forderungen ist spalterisch oder nebensächlich, z.B. die Besserbezahlung der Akkordarbeiter, nebensächlich ist z.B. die Forderung 'bessere Vorschriften zur Ermittlung von Daten'."
Q: KBW-ZK-StA-Gewerkschaftsbeauftragter: Zum MTV NW/NB, Mannheim 13.9.1973

KBW_ZK052

KBW_ZK053