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Mit der Beendigung des a. o. PT sollte die Kampfansage gegen das kapitalistische System durch das ZK wieder voll aufgenommen werden. Hatte der Parteitag vom November 1971 (1) einen mittelfristigen Stillstand in der Parteiarbeit hervorgerufen, so bahnte sich das mühsame Stückwerk der Politik nun einen langsamen Weg in die Alltagsrealität. Diese schien für die KPD/ML täglich schlechter und hoffnungsloser zu werden. Sie ließ aber auch genügend Raum für allerlei politische Aktivitäten, die die polaren Antworten auf die Frage von „Reform oder Revolution“ einfordern sollten.
Das ZK konnte nach dem Reinfall auf dem a. o. PT nun seinen ganzen Elan in diese Zukunft investieren, es musste sich, wenn es überhaupt noch gehört werden sollte, mit der „praxisnahen“ Politik beschäftigen. Das Stückwerk-Geschäft ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass jede politische Debatte nun ins „Herz des Proletariats“ stoßen müsste. Es wäre nicht verkehrt, das als Quintessenz des a. o. PT bezeichnen zu wollen; denn der Kampf gegen die „Liquidatoren“, der als politische Absichtserklärung das Nahziel der KPD/ML-ZK charakterisierte, war gleichzeitig aber auch ein Fernziel, welches eine KPD/ML ohne die Theoriebesessenheit jener anstrebte, die aus ihr eine „Studierstube“ machen wollten.
In der Nr. 1/2 des „Roten Morgen“ vom 17. Januar 1972 versteckte sich die KPD/ML-ZK hinter jenen Selbstzweckformeln, die immer wieder dann zum Vorschein kamen, wenn man keinen Plan im dogmatischen Gehäuse hatte. Es verwunderte nicht, dass der Aufreißer der Ausgabe lautete: „Wieder Bomben auf Nordvietnam. Schlagt die US-Aggressoren!“ (2)
Der Artikel, der die Sprache und die Symbolistik aus den vergangenen Ausgaben der Zeitschrift einfach übernahm, entsprang der radikalen Rhetorik der Jugend- und Studentenbewegung, von der man seit der Beendigung des a. o. PT annehmen musste, sie sei nun endgültig überwunden.
„Raus mit den US-Imperialisten aus Vietnam“ hatte ebenso wie die Theorie vom „Hauptfeind US-Imperialismus“, der heute überall in der Welt … seine Verbrechen begeht“, eine unersetzliche symbolische und emotionale Bedeutung, da sie u. a. für die Theorie vom Klassenkampf herhalten musste. Dieser sei heute, wie der Artikel mutmaßte, „überall in der Welt“ zu beobachten, und der US-Imperialismus sei „im eigenen Land in die Verteidigung gedrängt“. (3)
Zusammen mit dem gleichfalls erschienenen Artikel über die „Währungskrise“ wurde die eigentümliche Doppelung der Theorie über den Klassenkampf in einem Atemzug gleich mit erklärt: „Die westdeutschen Imperialisten hätten einen beachtlichen Erfolg erzielt …, der die innere ausweglose Krise“ zeigen würde. Insgesamt würde der „Dollar-Imperialismus nun zusammenbrechen … Der US-Imperialismus wird schwächer, während der westeuropäische und der japanische Imperialismus immer stärker werden. Sie wollen die Welt zu ihren Gunsten neu aufteilen.“ (4)
Diese Positionen wären nicht weiter erwähnenswert, wenn sie denn nicht schon auf dem a. o. PT ad acta gelegt worden wären. Die Übernahme der Positionen der alten „Zwei-Wege“-Theorie, die sich hier einen Weg bahnten, war für Identitätsstiftung der KPD/ML-ZK nach 1971 von entscheidender Bedeutung. Sie hatte nun auch nichts mehr, woran sie sich klammern konnte. Außer den Schwüren über den anwachsenden westdeutschen Imperialismus („… die westdeutschen Imperialisten sind heute dabei, in die Fußstapfen der US-Imperialisten zu treten … Diese Neuaufteilung der Welt wird nicht friedlich vor sich gehen, der US-Imperialismus wird seine Vorherrschaft nicht freiwillig aufgeben … Der Kampf der Monopole wird zu neuen Kriegen führen. Auf unserem Rücken mit unserem Blut wollen sie um die Beute kämpfen.“ (5)) gab es sonst keine Alternative. Die „westdeutschen Imperialisten“ blieben somit für lange Zeit die Wurzeln des bleibenden Radikalismus der KPD/ML. Im rhetorisch-emotionalen Überbau hatte dieser nun seinen unverwechselbaren Platz eingenommen. Hatte bereits die „Grundsatzerklärung“ der KPD/ML aus der Gründungsphase von den vielen „Hauptfeinden der westdeutschen Arbeiterklasse“ schwadroniert, so mutete diese neuerliche Proklamierung der Hauptfeindetheorie doch als Potenzierung aller alten Fehler an. Die genannten Artikel ließen nur einen Schluss zu: Für die KPD/ML gab es drei Hauptfeinde, die es zu bekämpfen gilt: Den amerikanischen, den japanischen und den westdeutschen Imperialismus. Alle stehen in Konkurrenz zueinander und würden sich „bis aufs Blut bekämpfen“. Dass der „sowjetische Sozialimperialismus“ hier nicht auftauchte, musste als deutlicher Rückschritt in der Politik der KPD/ML bezeichnet werden.
War die Vernachlässigung des Kampfs gegen „Revisionismus“ ein aktuelles Thema auf dem a. o. PT, so verwunderte es, dass die KPD/ML diesen nur als eine Tendenz in Europa wahrnahm: „Die Sowjetrevisionisten handeln nach der Logik aller Imperialisten …“ Zudem ergoss sie sich in jene Formulierungen, die seit dem Ussuri-Konflikt (Frühjahr 1969) stets in den Publikationen der Partei auftauchten: „Die neuen Zaren im Kreml … versuchen ihre inneren Krisen und Schwierigkeiten durch die Flucht in den Krieg zu lösen … die Sowjetunion ist heute eine kapitalistische Klasse, eine imperialistische Supermacht wie die USA.“ (6)
Diese strategische Wende führte aber in der Organisation, die sich zu rekonstruieren begann, wohl zu keinen scharfen Widersprüchen. Es schien so, als hätte sich im „Roten Morgen“ wieder der alte Zorn auf die Kremlbosse durchgesetzt, die auf ihren Datschen sitzen und Wodka saufen. Die vom „Roten Morgen“ repräsentierte herrschende Orthodoxie, die den Intellektualismus verbannte und sich auf die „Praktizisten“ stützte, musste seiner eigenen Krisenhaftigkeit weiter Tribut zollen. Seine Spontaneitätsromantik war Stückwerk ersten Ranges. Der mythische Glaube an die Massen und die Illusionen über deren revolutionäre Einstellungen, die verbreitet worden waren, gingen stets von einer falschen Beurteilung der Lage aus.
In der Nr. 3 des „Roten Morgen“ vom 31. Januar 1972 wurde im Artikel „Polizeiterror, Notstandsübungen, Mobilmachungsübung: Die Angst der Herrschenden“ zur Baader-Meinhof-Fahndung ausgeführt: „Die Bourgeoisie, die herrschende Klasse Westdeutschlands, spielt verrückt. Oder besser: ihr ist die Angst vor den sich verschärfenden Klassenkämpfen, vor dem, was auf sie unaufhaltsam zukommt, das absolute Ende ihrer Herrschaft, so in die Knochen gefahren, dass sie meint, heute schon, ohne ständig wachsenden Terror gegen die Bevölkerung, ohne brutale Maßnahmen zur Einschüchterung nicht mehr auskommen zu können … Die Jagd auf die angeblichen Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe … kennzeichnet nur ihre menschenfeindliche Brutalität, ihre Brutalität, die in winselnde Feigheit umschlägt, wenn ihnen ein wirklicher Gegner, die deutsche Arbeiterklasse gegenüberstehen wird.“ (7)
„Kriegsvorbereitungen“ und „Aggressionskriegsvorbereitungen“ nach innen und nach außen ließen nach Auffassungen des „Roten Morgen“ die kommende Krise des Systems deutlich werden. Das immer noch dominierende Zentrum, das ZK, schien aus dem a. o. PT nur die eine Konsequenz gezogen zu haben: Da weitermachen, wo man einst aufhörte: Bei der Kryptoideologie. Dieser Wesenszug prägte nahezu das gesamte Ensemble der maoistischen Gruppen. Sie richteten ihre Politik auf einen nachphilosophischen Marxismus aus, der starr und doktrinär interpretiert worden war.
Selbst in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, einem der Pfeiler der KPD/ML überhaupt, konnte sich dieser „vorpolitische“ Raum, der das alte weltanschauliche Credo von immer „neuer Verelendung der Arbeiterklasse“ und einer kruden Verteilungstheorie bis zum Erbrechen wiederholte, etablieren. Meinte doch der „Rote Morgen“ in seiner Ausgabe Nr. 4 vom 14. Februar 1972: „Wenn er Geld braucht (der Staat, d. Vf.), dann treibt er es immer bei denen ein, die sowieso nur das Nötigste haben. Die Monopole kriegen es dann zugesteckt. Je weniger du hast, desto mehr wirst du ausgepresst. Je mehr sie haben, desto mehr wird ihnen zusätzlich in den Rachen geworfen- das ist die Logik des kapitalistischen Systems.“ (8)
An einen Fortschritt in der Parteiarbeit seit dem a. o. PT war somit nicht zu denken. Das Klassenkampfinteresse der KPD/ML beruhte faktisch auf der Theorie einer massenmobilisierenden Industrieideologie, die aus sich heraus den Wohlstand für alle schaffen würde. Die Brechung der Macht der Bourgeoisie, deren robuste Interessenpolitik verhindert werden müsse, dürfte nichts anderes gewesen sein als politischer Populismus mit linksbürgerlichen Vorstellungen. In diesem Sinne war auch der fulminante Aufruf zu verstehen: „Die Ausbeuter wissen eben, was ihnen bevorsteht, dass der Tag der Abrechnung kommt. Deshalb wird in der nächsten Zeit die Brutalität und Menschenfeindlichkeit ihrer Polizei nicht ab, sondern zunehmen. Aber auch das wird den Untergang der Kapitalistenklasse nicht aufhalten …“ (9)
Um diese Kernaussagen herum entwickelte sich ein ganzes System allgemeinpolitischer Ziele, eine Ideologie, die das Interesse der KPD/ML im Hinblick auf den Sturz der Ausbeuter nach innen und nach außen rechtfertigen sollte. Dazu gehörte nach Aussagen des „Roten Morgen“ die „Weiterentwicklung der proletarischen Linie, die Bolschewisierung der Partei, die ideologische Ausrichtung und Festigung.“ (10) Diese allgemein formulierten Ziele sollten die KPD/ML „gesunden“, damit sie sich Gehör verschaffen konnte.
Die Entwicklung der KPD/ML-ZK zu einer „bolschewistischen Kaderpartei“, von der auch das ZB träumte (11), dürften die Restspuren eines elitären Altkonservatismus gewesen sein, der sich aus der Vorstellung nährte, eine feste Massenbasis fern von „rechten“ und „linken“ Anschauungen zu schaffen. Dementsprechend hatte der „Rote Morgen“ gleich in der Januarausgabe Nr. 1-2 den Vorwärtsdrang der Partei mit den Worten umschrieben: „Vorwärts beim bolschewistischen Aufbau der Partei. Vorwärts bei der Gewinnung der Avantgarde des Proletariats für den Kommunismus. Vorwärts auf dem kürzesten Wege zu den roten Tagen des bewaffneten revolutionären Aufstandes und der Errichtung der Diktatur des Proletariats.“ (12)
Die Einheit der Partei, die sich in diesen markigen Worten manifestierte, war primär ein Problem der Selbstbehauptung der KPD/ML. Der Traum von der Größe des „bewaffneten revolutionären Aufstandes“, der sich populär-vulgär als Überformung der Sozialismusidee seinen Weg zu bahnen schien, steigerte sich ins Irreale. Die Künstlichkeiten, mit denen sich die Partei hier über Wasser hielt, waren das Ergebnis ihrer falschen Politik, die im Wesentlichen nur aus der Austragung von Konflikten in den eigenen Reihen bestand. Faktisch dürfte sich die KPD/ML seit ihren Gründertagen nur einen wilden und polemischen Kampf mit ihren Gegnern geliefert haben, der in der Handelns- und Verhaltensmaxime aufging, in ein Entweder- Oder, Sieg oder Untergang. Aus den Bedrohungsgefühlen heraus, die ständig von der Mär genährt worden waren, dass die Bourgeoisie Schläge gegen die KPD/ML vorbereitet, musste mitunter die gnostisch-dualistische Erklärung Einzug halten, wonach die KPD/ML-Welt sich in Gute und Böse einteilte. Daher rühren auch gewisse religiöse Töne dieser Gruppe, die im obigen Zitat klar hervortraten. Die „Errichtung der Diktatur des Proletariats“ auf dem „kürzesten Wege“ gebar ein fiktives Idealvolk, das biblisch-enthusiastisch nur darauf wartete, von der KPD/ML beglückt zu werden.
Der Glaube, sui generis zu sein, spielte bei der Konsolidierung der KPD/ML-ZK eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wie schon öfter betont, war die fanatische Idee, allein zur „bolschewistischen Partei“ aufsteigen zu können, stets von diesem Elitezirkel vertreten worden. Der folgende mittelfristige und innere Umbau, den die Gruppe nun anstrebte, sollte doch nichts anderes bleiben als eine marginale Randerscheinung. Eine Massengefolgschaft blieb auch nach dem a. o. PT aus. Obwohl der Höhepunkt der KPD/ML-ZK wohl erst in den Jahren 1975 bis ca. 1980 gelegen haben dürfte, blieb es bei der populistischen Ausrichtung der Gruppe, an der auch die RGO-Politik, die sich in dieser Zeit ihren Weg bahnte und als integrierender Bestandteil der Politik der KPD/ML-ZK verstanden werden muss, nichts Grundlegendes änderte.
Im Mittelpunkt der Geschichte der KPD/ML-ZK standen immer jene Kräfte, die mehr oder weniger an der Dominanz der Partei, an ihrem starren Glauben, Alleinvertreter in Sachen Revolution zu sein, zweifelten. Selbst die Gründung 1968/69 und die darauf folgende Selbstmobilisierung brachten im Endeffekt nur die etablierten Traditionen und Aktionsformen hervor, die mit den großen politischen Bewegungen dieser Zeit nicht standhalten konnten. Die KPD/ML integrierte stets nur jene, die deren Antiestablishment-Affekte befriedigen konnte. Die Übergewichtung von Studenten und Mittelklassen-Angehörigen in der KPD/ML war eine der zentralen Besonderheiten dieser Gruppe. Und charakteristisch für den Trend zur Verbürgerlichung. Die Entfesselung des Machtpotentials der Gruppe dürfte hier dann auch eine Entsprechung gehabt haben. Die wortradikale Rhetorik ersetzte die Substanz.
Damit war sie indes nicht alleine. Die BL der ehemaligen KPD/ML forderte im Januar 1972 in der Broschüre „Es lebe die einheitliche, korrekte, in den Massen verankerte KPD/ML“ die Weiterführung der KPD/ML und plädierte für den Anschluss an das Zentralbüro. (13) Der „neue Kurs“, den sie forderten, sollte die Unterschiede zur ZK-Fraktion deutlich herausstellen. Keineswegs war das Zentralbüro ein Glücksgriff. Denn schon bald wurde klar, dass Dogma Dogma blieb und durch nichts ersetzt werden konnte. Die Bemühungen der Genossen, die KPD/ML auf Vordermann bringen zu wollen, war einem Stolperdraht ähnlich. Und alle Konflikte, von denen man meinte, dass sie hier beigelegt werden könnten, brachen mit steter Regelmäßigkeit neu auf. Die neuen Männer wollten eine klare Unterscheidung zwischen Freund und Feind der Revolution. Doch sie bekamen nur einen neuen fragilen Bruch zu Gesicht, der alles andere war, nur kein Gegengewicht zum ZK.
Die Illusion der Gruppen, die sich nach dem a. o. PT von der KPD/ML getrennt hatten oder dabei waren, sich von ihr zu trennen und die die Auffassung vertraten, es würde Möglichkeiten zur Verständigung geben, sahen sich einer bitteren Enttäuschung gegenüber. Das musste auch jene Hamburger Gruppe der KPD/ML erfahren, die als lokaler Zirkel aus der Spaltung hervorging. Indem sie den Namen KPD/ML mit dem Zusatz „Wasserkante“ beibehielt, tat sie kund, dass sie, trotz wichtiger Differenzen, auf eine Annäherung zum ZK nicht verzichten wollte. In der Nr. 1 ihres Organs „Parteiaufbau“ vom Januar 1972 verfolgte sie außerdem das Ziel einer engen Zusammenarbeit mit all jenen Gruppen, die in der Programmatik der KPD/ML nach dem a. o. PT einen Weg sahen, sich neu zu orientieren. (14)
Auch jene ehemalige Gruppe in Ostwestfalen, die der KPD/ML einst nahe stand, der ML Kampfbund Ostwestfalen, sagte sich von der Mutterpartei im Januar 1972 los, ließ aber erkennen, dass er eine Wiederannäherung nicht ausschließen könne. (15) Allerorts, so schien es, machten sich die versprengten Marxisten-Leninisten, selbständig arbeitende Gruppen und neue, sich aus dem a. o. PT heraus Formierende, daran, die Politik der KPD/ML zu untersuchen. (16) Auch die ML Duisburg, die aus der KPD/ML hervorgingen, befleißigten sich im Januar 1972, eine Kritik an der ZK-Fraktion vorzulegen. In ihrem Papier „Zur Entwicklung der Partei und der jetzigen Lage" versuchten sie ihren eigenständigen Weg nach dem Parteitag zu begründen und die seit November 1971 auftretenden Gegensätze zu beschreiben. Die Peripheriekonflikte hätten danach erst da um sich gegriffen, wo es dem Zentrum nicht mehr gelang, die Widersprüche im ZK selbst zu lösen. Das „Liquidatorentum“ sei dementsprechend eine Folge der „Ziellosigkeit“ des ZK gewesen. (17)
Mit dem „Liquidatorentum“ beschäftigte sich auch Peter Weinfurth in seiner Nr. 1 des „Roten Oktober - Zentralorgan der marxistisch-leninistischen Kommunisten Westdeutschlands (MLKD)“. In der Nr. 1/1972, die im Januar erschien, machte er sich Gedanken über die politischen Gefahren, die es mit sich bringt. Für ihn waren die „Liquidatoren“ aller Schattierungen die eigentlichen Gegner des Marxismus-Leninismus. Den „politischen Schutz“ vor dem „Liquidatorentum“, den er seinerzeit dem ZB (als gleichberechtigter Teilhaber) angeboten hatte, zeigte keinerlei Wirkung. Es lehnte diese Pläne als „unrealistischen Propagandavorwurf“ ab. (18)
Die ideologischen Auseinandersetzungen, die hier geführt worden waren, waren allesamt von der Illusion getragen, die sog. „Risikozonen“ überwinden zu können. Dazu gehörten eine Reihe von Fragen, die sich in den Programmatiken der verschiedenen Gruppen widerspiegelten. Eine immer wieder auftauchende war die Frage nach dem „spontanen oder bewussten Parteiaufbau“, die mit jener nach der „Entstehung des Klassenbewusstseins“ korrespondierte. Wiederum waren in ihnen, sogar besonders ausgeprägt, Theorien über Strategie und Taktik, Theorie und Praxis (der Politik), demokratischer Zentralismus (um nur einige zu nennen) verankert, die als Nebenwidersprüche, die aber wiederum zu Hauptwidersprüchen werden konnten, angelegt.
Die Suche nach den im Kern unlösbaren Konflikten sollte allerorts in die Irre führen. Nachdem sich das ZK wieder der „Praxis des Klassenkampfes“ zugewandt hatte, blieb es den Randgruppen der ML-Fraktionen vorbehalten, einen Vorstoß zu wagen, der den Mangel an der politischen Bildung an Marxismus-Leninismus beheben wollte. Wohl deshalb trat im Ruhrgebiet ein Studentenkomitee hervor, das vermutlich aus dem KSB/ML der KPD/ML-ZK entstanden war, in Dortmund angesiedelt und möglicherweise ein Vorläufer der späteren Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund war. Das Papier, das am 3. Januar verfasst worden und das als Vorlage für die weiteren Diskussionen um den Stellenwert der KPD/ML-ZK gedacht war, lautete: „Warum muss das Komitee eine Plattform für die gegenwärtige ideologische Auseinandersetzung vorschlagen?“. Dort hieß es u. a.: „Die entscheidende Erkenntnis, die während der jüngsten ideologischen Kämpfe über die bisherige Entwicklung der KPD/ML gemacht wurde, war die, dass der Aufbau der Partei nicht geplant wurde, dass man die entscheidenden Fragen des Parteiaufbaus nicht bewusst anging, um sie zu lösen, dass man auf die spontane Entwicklung und den Zwang der Massenkämpfe vertraute. Die Konsequenz davon war, dass heute keine Partei mehr existiert. Wollen wir aus diesem schwerwiegendem Fehler lernen, dann wird es heute die Aufgabe der Marxisten-Leninisten sein, vor allem Untersuchungen anzustellen über die Frage der Revolution in der Bundesrepublik und die Theorie und Praxis der marxistisch-leninistischen Gruppen und Zirkel aufzuarbeiten und neu einzuschätzen, um die Theorie der deutschen Revolution zu schaffen. Wie soll diese Arbeit, die sicherlich eine längere Zeit in Anspruch nehmen wird, zu richtigen Ergebnissen führen, wenn wir sie wiederum spontan durchführen, wenn wir sie nicht bewusst und nach einem Plan in Angriff nehmen? Sie wird sicherlich zu falschen Ergebnissen führen. Wir müssen also SOFORT beginnen, unsere Politik, deren Hauptaufgabe eben die Bestimmung unseres Beitrags zur Entwicklung dieser Theorie und damit zum Aufbau einer bolschewistischen Partei in Deutschland sein muss, bewusst zu planen.“ (19)
Der machtbetonte Kampfstil mit dem Terminus „sofort“ war das Absurde schlechthin. Der „Beitrag zur Entwicklung der Theorie“ sollte auch für die nächsten Jahre weit hinter den Ansprüchen zurückbleiben. Doch schien es nun eine Selbstverständlichkeit geworden zu sein, über die Theorie des Marxismus-Leninismus zu debattieren. Die bewussten Schritte der „Untersuchungen … über die Frage der Revolution in der Bundesrepublik“ lasen sich dennoch hier wie ein rhetorisch-publizistischer Versuchsballon, der nur aufsteigen und oben bleiben sollte. Als weiterführende Idee sollte sich die Schaffung der „Theorie der deutschen Revolution“ hier einen Weg bahnen. Die Vagheit, mit der diese Ziele vorgetragen wurden, unterschieden sich dennoch nicht etwa von der KPD/ML, die ebenfalls, als zentrale Zuspitzung des a. o. PT, die Schaffung des „Programms der deutschen Revolution“ auf ihre Fahnen geschrieben hatte.
Die Krise der KPD/ML, die auf dem Parteitag offen ausgebrochen worden war, war als Zentralthema auch bei den ML Dortmund Gesprächsthema Nummer 1. Am 4. Januar 1972 erklärte die „Proletarischen Fraktion der ehemaligen Ortsgruppe“ (der KPD/ML, d. Vf.), dass es an der Zeit sei, „bewusste Schritte des Parteiaufbaus“ anzugehen, der als „radikalen Bruch“ verstanden werden müsse. Offenbar verstand man diesen wortwörtlich; denn bereits in den nächsten Tagen spaltete sich die OG erneut: „Im Kampf um diese prinzipielle Frage unserer Bewegung, im Kampf zwischen der bürgerlichen Linie der Spontaneität und der proletarischen Linie der BEWUSSTEN kommunistischen Politik ist es auf der OG-Sitzung am 4.1.1972 zu einer Spaltung der ehemaligen OG gekommen …“
Federführend sei eine „rechtsopportunistische Fraktion“ gewesen, „liquidatorische Elemente“, die klar eine „bürgerliche Linie“ (in den Fragen des PA, d. Vf.) vertreten würden. (20) Bereits am 7. Januar schob ein Teil der abgespaltenen Gruppe der Ortsgruppe Dortmund der ehemaligen KPD/ML, eine „Erklärung der proletarischen Fraktion der ehemaligen Ortsgruppe zur Spaltung der OG Dortmund der KPD/ML“ nach.
Erklärt wurde: „Wir gehen bei der Beurteilung der Lage nach dem PT von folgendem aus: Der PT ist nicht in der Lage gewesen, die Grundlagen zur Schaffung eines einheitlichen führenden Zentrums zu erstellen. Er hat damit offenbart, dass die KPD/ML nicht mehr war als der mehr oder weniger lose Zusammenschluss verschiedener Zirkel auf der Grundlage eines propagandistischen Aktes, nämlich der Gründung der KPD/ML, sowie auf der Grundlage der Formulierung einer allgemeinen Generallinie. Er hat offenbart, dass die verschiedensten Linien nebeneinander aufblühen konnten, ohne dass der bewusste Kampf zweier Linien entfaltet wurde, der die Grundbedingung für den ideologischen Aufbau der Partei darstellt. Die revisionistische Theorie vom Frieden in der Partei, die den Klassenkampf für den Bereich der Partei leugnet, und die prinzipienlose Einheit vor den Kampf um die Abgrenzung gegen jeden Opportunismus vom Klassenstandpunkt des Proletariats aus setzt, wurde zur vorherrschenden Theorie.
Da die Partei nicht vom Fundament einer wissenschaftlich begründeten Linie zum Parteiaufbau ausging und auch im weiteren keine wesentlichen Aussagen zur ml Parteitheorie für Westdeutschland leistete, musste sie notwendig zu einer spontanen und damit zu einer hauptsächlich von der bürgerlichen Ideologie geleiteten Praxis kommen. Diese ideologische und theoretische Grundlage spiegelte sich wider im hauptsächlich organisatorischen Aufbau einer bürgerlichen Partei und einer entfalteten ökonomistischen Politik …
Die rechtsopportunistische Fraktion in der OG steht auf dem Standpunkt, dass wir uns in einer konkreten Etappe des Parteiaufbaus befinden, in der es darum geht, die vorhandene ml Theorie im Rahmen der Partei auf die konkreten Verhältnisse Westdeutschlands anzuwenden und sie in den Massen zu verankern. Sie geht davon aus, dass die politische Linie sich in den Massenkämpfen entwickelt. Wir halten das für falsch. Es geht für die Kommunisten gerade nicht darum einfach festzustellen, sie seien der bewusste Vortrupp, und es gelte jetzt, das konstatierte Bewusstsein praktisch anzuwenden, sondern sie müssen diese bewusste Grundlage erst einmal legen und ausweisen. Gerade das hat doch die Geschichte der KPD/ML gezeigt, dass die Formulierung der Generallinie allein nicht vor bürgerlicher Politik schützt. Nicht indem man feststellt: 'Die DKP ist revisionistisch' hält man sich frei von Revisionismus, sondern nur indem man entschieden gegen jeden Opportunismus in den eigenen Reihen kämpft und die ideologische und theoretische Basis für diesen Kampf schafft …
Es geht um die wissenschaftliche Formulierung der Linie zum Parteiaufbau als unser praktisches Ziel. Und genau im ideologischen Kampf um diese Linie müssen wir bewusst unsere Weltanschauung umgestalten; ausgerichtet auf das praktische Ziel müssen wir das lebendige Studium des ML entfalten. Das vollzieht sich aber nicht im täglichen Kampf der Volksmassen. Es geht auch noch nicht darum, in spontaner Manier 'irgendetwas', was ja letztenendes nur die bürgerliche Ideologie sein kann, mit der Arbeiterbewegung zu verbinden und sich in den Volksmassen zu verankern! Wir müssen wirklich dasjenige kennen, was wir mit der Arbeiterbewegung verbinden wollen, nämlich den wissenschaftlichen Sozialismus, um auf dieser Grundlage die Partei aufzubauen, die diese Verbindung leisten soll …“ (21)
Eine „wissenschaftliche Formulierung der Linie zum Parteiaufbau“ war Fantasterei. Was hätte sie auch hervorbringen können? Der Terminus hielt sich aber bis weit in die 1970er Jahre und den Beginn der 1980er Jahre. Irgendwie war in der Formulierung sogar eine Katastrophe (Fraktionsbildung) angelegt; denn wenn eine Konsolidierung in diesen Fragen nicht erfolgen würde, dann tritt automatisch eine Krise ein, die über die Peripherie hinaus strahlt. Die „Linie zum Parteiaufbau“, die ein Zentrum der Konflikte überhaupt war, die die „proletarische Bewegung“ von der „kleinbürgerlichen“ trennen sollte, die als Endergebnis die Strategie und Taktik der kommunistischen Partei im „Kampf um die Millionenmassen“ und der Erringung der Diktatur des Proletariats beinhaltete, schien wichtiger als alle ökonomischen und politischen Probleme zusammen gewesen zu sein.
Wurde sie also vernachlässigt, dann war „Fraktionsmacherei“ die Folge, jene, die nach dem a. o. PT die Hauptstrategie der sich neu bildenden Gruppen war. Vom ZK und auch vom ZB wurde sie als Krisenbewältigungsstrategie verstanden, die mit großem Getue darauf insistierte, die Bedrohungen abzuwenden und den Konflikt der gegensätzlichen Richtung zu begradigen.
Das ZB der KPD/ML eröffnete am 8. Januar 1972 mit seinem „Rundbrief an alle Leitungen und Grundorganisationen sowie die Unterstützungsgruppen der KPD/ML und des KJVD: Wir müssen an die Massen glauben, wir müssen an die Partei glauben: das sind zwei Grundprinzipien, wenn wir an diese beiden Prinzipien zweifeln, können wir nichts zuwege bringen“ den Disput um die „KJ-Inform-Fraktion“, die bereits am 6. Dezember die ZB-Öffentlichkeit von ihrem Übertritt zur Aust-KPD/ML informiert hatte. Das ZB glaubte an die Selbstheilungskräfte, die in der „proletarischen Linie des Parteiaufbaus“ und der „Parteidiskussion“ angelegt wären. Sinn und Zweck dieser sei: „… (ein) Meinungskampf …“ Es würde um „die Aufdeckung der Fehler, die Zurückweisung des Falschen und die Stärkung des Richtigen und die Festigung der Partei“ gehen. Die „Fraktionsmacherei“ müsse „entlarvt werden. Indem wir die Diskussion und die Absichten dieser Fraktion vor der ganzen Partei und dem ganzen KJVD offen darlegen, durchkreuzen wir diese parteifeindlichen Machenschaften am Besten und schaffen die Voraussetzung dafür, dass Partei und KJVD aus den falschen wie aus den richtigen Ansichten und Methoden der Fraktion lernen können. Auf diese Weise kann durch die Aktivität aller Genossen das Schlechte in ein Gutes verwandelt werden“. (22)
Das waren die Vorspiele zur großen Krise des ZB, die mit den Vorbereitungen zum Antikriegstag 1972 (ab Mai) beginnen sollte, zum Jahresende ihren Höhepunkt erlebte und schließlich im Auseinanderstreben (Frühjahr 1973) endete. Von einer Durchkreuzung oder Eindämmung der Ansichten der Fraktion konnte nicht die Rede sein. De facto waren diese Scharfmachertöne nur ein Hinweis auf die uferlose Planlosigkeit, die an den Aktivitäten „aller Genossen“ appellierte, damit sich „das Schlechte in ein Gutes verwandelt“.
Die „Festigung der Partei“ war unmittelbar nach dem a. o. PT jene Periode, die die beiden alten Spannungsfelder (Schaffung des Kadergerüstes, langfristige Strategie im Massenkampf (Einflusssicherung)) umfasste. Der Hebel dafür sollte, wie das ZK im „Roten Morgen“ Nr. 1/2 vom 17. Januar 1972 in der „Selbstkritik des 1. Zentralkomitees der KPD/ML“ verlauten ließ, die „Plattform des Parteiaufbaus“ sein, die „Weiterentwicklung der proletarischen Linie“ und die „Bolschewisierung der Partei“. (23)
Das alles bestimmte insgesamt weitgehend das Schicksal der maoistischen Gruppen. Der Zustand der Zerfahrenheit sollte immer mit jenen Frontstellungen überwunden werden, von denen angenommen wurde, dass sie letztendlich ein stabiles Zentrum hervorbringen würden. Natürlich ließ sich das auch politisch nutzen; denn die Urheber der Krise kamen über Variationen schon bekannter politischer Meinungsäußerungen nicht hinaus. Dass die „Abweichler“ über keine „eigenständige politische Linie“ verfügen, könnte als ein geflügeltes Wort der maoistischen Bewegung gelten.
Ein wichtiger Kritikpunkt am Zustand der KPD/ML war auf dem a. o. PT die lasche Handhabung der Konspiration, das Problem der Illegalität und die Verbindung des legalen mit dem illegalen Kampf. Das ZK hatte im 2. Teil seiner „Selbstkritik“ im „Roten Morgen“ Nr. 3 vom 31. Januar 1972 erklärt, dass die KPD/ML sich „nicht mit größtem Ernst auf die Illegalität vorbereitet“ habe. „Die verschärfte Bedrohung der Partei durch den Staatsapparat (stand) nicht an erster Stelle“. Mit der „Vernachlässigung der Konspiration in der Partei (müsse) nun energisch Schluss gemacht werden“. (24)
Nun waren diese Hinweise keine Sensation. Die im „Roten Morgen“ angedeutete Veränderung in der Parteiarbeit war nur Rhetorik mit wenig Substanz. Einen tatsächlichen Feldzug des Klassengegners gegen die KPD/ML hatte es nie gegebenM das war ohne jede politische Vernunft dahingesagt. Die Äußerungen bezogen sich auf angebliche „Tatsachen“, hielten aber, meiner Kenntnis nach, einer politischen Prüfung nicht stand. Das, was die KPD/ML als „Illegalisierungs- und Kriminalisierungsbestrebungen der Bourgeoisie“ (25) ansah, basierte in Wirklichkeit auf einer fortschreitenden Selbstdiskreditierung.
In einem ähnlichen Dilemma befand sich auch die KPD/ML-ZB. Am 25. Januar erschien das Papier: „Den Verbotsdrohungen gegen unsere Partei die richtige Antwort!“. Dort hieß es: „Immer offener wird auch den Massen erklärt: Ihr habt euch daran zu gewöhnen, dass gegen euren Kampf mit Waffengewalt vorgegangen wird, ihr habt euch an den täglichen Terror und die Anwesenheit und die ständigen Angriffe des Staatsapparates in euren Wohnungen, an eurer Arbeitsstelle, in euren Garagen (wo man euch die Autos konfisziert) usw. zu gewöhnen. Das ist der allgemeine Zusammenhang, vor dem wir auch die besonderen Anstrengungen des Bonner Staates begreifen müssen, bestimmte Organisationen, bestimmte Teile der Arbeiterklasse zuerst und am brutalsten zu unterdrücken: die marxistisch-leninistische Partei und die anderen revolutionären Organisationen.
Das angedrohte Verbot der Partei und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen ist also ein Teil der umfassenden inneren Faschisierung des Staates ... Was besagt der Machtanspruch der Bourgeoisie? Die KPD/ML ist verboten und wird aufgelöst? Er besagt, dass die Bourgeoisie ihren Gewaltapparat einsetzen wird, um die ganze Tätigkeit unserer Partei zu unterbinden mit dem Ziel, den Kämpfen der Arbeiter ihre Führung und ihren Kampfstab zu nehmen. Es besagt im Einzelnen, dass die bekannten Führer der Partei verhaftet, jede Zusammenkunft der Parteimitglieder zerschlagen, jede Zeitung der Partei beschlagnahmt und jede Erziehungsarbeit im Geiste der Revolution unterbunden werden soll: Es besagt, dass die Bourgeoisie ihre Polizei, ihren Bundesgrenzschutz, ihre Spitzel in den Betrieben usw., ihre sozialdemokratischen Handlanger in den Gewerkschaften dazu einsetzen wird, jeden Marxisten-Leninisten an seiner revolutionären Tätigkeit zu hindern und jede organisierte Form der revolutionären Agitation und Propaganda unmöglich zu machen.“ (26)
Das ZB hatte ein mögliches Verbot der Partei und anderer marxistisch-leninistischer Organisationen als „ein Teil der umfassenden inneren Faschisierung des Staates“ bezeichnet. So betrachtet, war die gewundene Erklärung vor der ML-Öffentlichkeit ein weiter dramatischer Vorstoß, der die Unmittelbarkeit des Schlags gegen die KPD/ML als drastisch und sehr ernst hervorhob. Faktisch stand die gesamte Partei unter der ständigen Beobachtung der Bourgeoisie und ihrer sozialdemokratischen Handlanger im Betrieb und in der Gesellschaft. Doch eine revolutionäre Konfliktstimmung wollte sich, trotz aller gegenteiligen Beteuerung, nicht einstellen. Das Menetekel, das an die Wand geworfen worden war, illustrierte nur das Misslingen beider Gruppen, sich den Realitäten zu stellen. Eine weit verbreitete öffentliche Stimmung gegen einen drohenden Schlag gegen die KPD/ML hatte es sowieso nie gegeben. Insofern muss diese Kampagne als emotionalisiertes Bemühen der KPD/ML betrachtet werden, die Partei auf einen einheitlichen Kurs einzuschwören.
Im Gegensatz zum ZK hatte das ZB die Partei schon längst auf eine illegale Phase eingeschworen. Und auch inhaltlicher begründet. Während der „Rote Morgen“ die „Kriminalisierung“ der Partei primär der Bourgeoisie anlastete, sah das ZB die „Illegalisierungskampagne“ als Ausdruck der verschärften „Faschisierung des Staatsapparates“ durch die SPD. Diese Unterschiede waren doch gravierend. Und in der Beurteilung dieser kam eine gänzlich andere Strategie und Taktik zum Zuge. Während das ZK nun u. a. auf die Verbindung des „legalen mit dem illegalen Kampf“ setzte und in „Konspiration“ machte, war die Zentrale des ZB schon damit beschäftigt, in ihren eigenen Untergrund zu gehen und die Parteimassen aus diesem heraus mit ihren Ergüssen zu beglücken. Das alte Leninsche Konzept der „Organisation der Arbeiter“ und der „Organisation der Revolutionäre“ hielt bereits zu einem Zeitpunkt Einzug, als der „Roter Morgen“ noch über die „Illegalität“ reflektierte. Aus der Partei wurde ein Parteiapparat ohne Politik und ohne Perspektive. Damit war die vielbeschworene „Einheit der Partei“ unter der Hand schon längst aufgegeben. Für das ZK bedeutete der erste Vorstoß in Richtung „Illegalisierung“, dass eine verschärfte Abgrenzung gegenüber „linker und rechter Fraktionsmacherei“ erfolgte.
Aus der Deckung heraus argumentierte das gemeinsame Organ des Kommunistischen Arbeiterbundes (Marxisten-Leninisten) und der KPD/ML-Revolutionärer Weg „Lernen und kämpfen“ in der Ausgabe 5 vom Februar 1972. Der „Parteiaufbau“, der für die Gruppe ein Teil der proletarischen Weltgeschichte war, könne nur funktionieren, wenn die „politisch-ideologische Auseinandersetzungen“ geführt würden. „Besonderen Schaden richten auch die Ultralinken an. Aust, Genger & Co. Sie versuchen, unsere Reihen zu zersetzen, den Marxismus-Leninismus lächerlich und die Bewegung kampfunfähig zu machen. Doch diese Elemente der 'links'opportunistischen Zersetzung steuern dem Bankrott zu, wie die zunehmende Zersplitterung des Austladens deutlich zeigt.“ (27)
Mit Illegalitätsfragen hatte die Gruppe nichts am Hut. Das schien ihr doch mehr als suspekt zu sein. Zumindest sind aus dieser Phase keine Äußerungen von ihr bekannt geworden, die irgendwelche Hinweise auf eine verstärkte Konspiration enthielten. „Lernen und kämpfen“ war ein seltsames Organ. Es kolportierte eine Reihe von bereits bekannt gewordenen Theorien aus der ML-Bewegung. Etwa die vom „organisatorischen Parteiaufbau“ oder der „Hauptgefahren an der ideologischen Front“. Letztere sah man im „Reformismus und Revisionismus“. Seltsame Töne gab das Organ zur gesamtdeutschen Frage von sich: „Um die Einheit Deutschlands, die Einheit des deutschen Proletariats zu schaffen, ist es notwendig, den patriotischen Kampf zu führen, neben dem Ringen um die soziale Befreiung das Ringen um die nationale Einheit zu stellen …“ (28)
All das erinnerte an jene „Vaterlandstheorien“, die schon früh vom „Roten Morgen“ verbreitet worden waren und die nachfolgend, etwa von den MLD, Stück für Stück zum nationalistischen „Glauben an das Vaterland“ hochstilisiert worden waren, das gegen die „Eindringlinge“ im „patriotischen Kampf“ verteidigt werden müsse.
Dass die Beschäftigung mit der Geschichte der KPD/ML für den KAB/ML ein wichtiges Agitationsfeld war, kann an der „Roten Fahne“ Nr. 2 vom Februar 1972 nachgelesen werden. Erneut wurde darauf verwiesen, dass sich die KPD/ML-ZK auf deren a. o. PT in „5 Teile gespalten“ habe, wobei sie zum wiederholten Male nicht benannt worden waren. (29)
Der KAB/ML war davon überzeugt, dass der „böse Gegner“ in diesen Reihen zu finden sei. Oftmals wurde der Eindruck erweckt, als ob sich hier eine Hauptkampflinie herauskristallisiert. Mit dieser Fixierung war er, wenn man so will, seit der Spaltung des ZB beschäftigt. Doch er konnte niemals die Einbrüche des ZK und des ZB durch einen Durchbruch tatsächlich für sich nutzbar gestalten. Während es anderen Gruppen noch gelang, an diesen zu partizipieren, dürfte der KAB/ML wenig an Truppenstärke aus deren Lagern dazu gewonnen haben.
Nach dem Scheitern des ZK auf dem a. o. PT waren es eine ganze Reihe von neuen Gruppen, die die dort entstandenen Konflikte zu ihren eigenen machten. Am Beispiel des TKB/ML, der mit der Schrift „Die brennendsten Fragen unserer Bewegung“ vom November 1971 einen Schritt in Richtung ZK gewagt hatte, erklärten im Februar 1972 ehemalige Mitglieder der KPD/ML Ortsgruppe Duisburg, die kurze Zeit später unter Marxisten-Leninisten Duisburg firmieren sollten, dass es die „Anbetung der Spontaneität und der Herabminderung der Rolle der Bewusstheit (sei), die zur Zeit in der Bewegung vorherrschend ist“. Dadurch würde sie „immer tiefer im Sumpf des Revisionismus und Opportunismus versinken“. Neu war indes, dass dieser Teil der Duisburger meinte, dass im „Widerspruch zwischen Theorie und Praxis momentan die Theorie die hauptsächliche, die entscheidende Seite“ sei. (30)
Über den einsetzenden Theorieschub nach dem a. o. PT ist schon im 9. Teil meiner ZK-Geschichte (31) zur Genüge reflektiert worden. Das soll hier nicht noch einmal wiederholt werden. Wichtig war dagegen insgesamt die Auseinandersetzung mit dem TKB/ML, der stramm in ein Lager einschwenkte, das auf Dauer den Stellungskrieg von innen heraus führte. Gerade deshalb war das ZK darum bemüht, ihm einen breiten Raum im „Roten Morgen“ einzuräumen. (32)
Einen solchen hatte es der BL verwehrt. Sie war bemüht, sich einen eigenen Rahmen zu schaffen. Das war zunächst eine Konferenz ehemaliger Mitglieder und Sympathisanten der KPD/ML-ZK bzw. ihrer Massenorganisation. Ein Vier-Punkte-Programm, das auf einer Versammlung am 6. Februar 1972 verabschiedet worden war, machte in Neuorientierung. Dort hieß es:
„1. Die Mitglieder und Sympathisanten der ehemaligen KPD/ML (RM) haben sich auf o.a. Konferenz zusammengeschlossen und eine vorläufige Leitung gewählt, die die Bezeichnung Exekutivkomitee trägt. Sie haben der neu gegründeten Organisation den Namen 'Bolschewistische Linie der ehemaligen KPD/ML (Roter Morgen)' (BL, d. Vf.) gegeben. Sie ist eine nationale Organisation im Rahmender ehemaligen KPD/ML (RM).
2. Aufgabe der Organisation ist die Sammlung der bolschewistischen Überreste der ehemaligen KPD/ML (RM), der breit geführte ideologische Kampf gegen das Liquidatorentum, den Opportunismus aller Schattierungen. Wir sind der Ansicht, dass dieser Kampf nur erfolgreich sein kann, wenn wir offen und für jeden Interessierten ersichtlich alle Abweichungen der ehemaligen KPD/ML (RM) von der korrekten Linie der Hegemonie des Proletariats und der Massenlinie aufdecken, die Fortsetzer der alten, falschen Linie entlarven und die Führer der Liquidatoren und offenen Opportunisten isolieren, um die positiven Elemente zu gewinnen.
3. Die Teilnehmer der Konferenz erklären nochmals ihre Zustimmung zu dem 'Offenen Brief' an die KPD/ML (Rote Fahne) und die Gruppe Roter Morgen (Hamburg). Sie erklären, dass sie dessen Inhalt und Zielsetzung als ihre vorläufige Plattform ansehen, stellen jedoch fest, dass die Haltung der Gruppe Roter Morgen Hamburg, die auf den 'Offenen Brief' mit der Fortsetzung der alten Verleumdungslinie auf die KPD/ML (RF) zu antworten gedenkt und diese Verleumdungslinie auf unsere Organisation ausdehnen will, sie neben den Liquidatoren als die konsequenten Fortsetzer der alten, falschen Politik gebrandmarkt hat. Die Einschätzung, dass die KPD/ML (RM) neben der KPD/ML (RF) der beste Ansatz zum Aufbau einer einheitlichen bolschewistischen Partei ist, ist durch die Haltung des ZK der Gruppe Roter Morgen unwahrscheinlich geworden.
4. Die Teilnehmer der o.a. Konferenz stellen fest, dass es nach bisherigen Einschätzungen keine grundlegende Differenz mit der KPD/ML (RF) mehr gibt. Diese Feststellung ist das Ergebnis der Untersuchungen der gescheiterten Politik der ehemaligen KPD/ML (RM) und eines mehrere Monate dauernden ideologischen Kampfes innerhalb der ehemaligen KPD/ML (RM) und nach deren Auflösung durch den ersten außerordentlichen Parteitag mit dem Liquidatorentum aller Schattierungen und dem Opportunismus aller Schattierungen. Wir sind deshalb der Ansicht, dass es das Ziel unserer Organisation sein muss, durch solidarischen ideologischen Kampf mit der Methode Einheit-Kritik-Einheit eine Vereinigung mit der KPD/ML (RF) zu erreichen. Wir sind der Ansicht, dass eine sofortige Angliederung an die KPD/ML (RF) nicht richtig ist, da wir zwar nach bisheriger Feststellung keine grundlegenden ideologischen Unterschiede mehr haben, aber es kann nur eine Periode des ideologischen Kampfes die Gewissheit für uns wie für die Genossen der KPD/ML (RF) bringen, dass wirklich alle wichtigen Differenzen ausgeräumt sind. Wir sind allerdings der Ansicht, dass nach bisheriger Feststellung die KPD/ML (RF) der korrekteste Ansatz zu einer wirklichen bolschewistischen Partei ist. Deshalb ist es unsere feste Absicht, den Prozess der Vereinigung zügig voranzutreiben, um dann als Mitglieder der KPD/ML (RF) innerhalb dieser Partei den Kampf für die proletarische Revolution führen zu können. Die Teilnehmer an o.a. Konferenz erklären, dass ihre Organisation eine vorläufige ist, die gegründet wurde, um den Kampf um die Vereinigung mit der KPD/ML (RF) zu führen und sich selbst damit in Frage zu stellen. Nach Abschluss des Prozesses der Vereinigung wird sich unsere Organisation auflösen und ihre Mitglieder allein dem Demokratischen Zentralismus der KPD/ML unterstellen.“ (33)
Das Neuorientierungsdilemma der BL war, dass sie die künftigen ideologischen und organisatorischen Veränderungen im ZB der KPD/ML sah. Wie aus Punkt 1 hervorging, sah sie sich selbst als „eine nationale Organisation im Rahmen der ehemaligen KPD/ML (RM)“ und strebte die „Vereinigung“ mit dem ZB an „um dann als Mitglieder der KPD/ML (RF) innerhalb dieser Partei den Kampf für die proletarische Revolution führen zu können.“. Das tragende Argument, dass es „keine grundlegende Differenz mit der KPD/ML (RF) mehr gibt“, wie aus Punkt 4 hervorging, las sich indes in den ersten Dokumenten (34) noch ganz anders. Doch es wird wohl die Verbitterung über die KPD/ML-ZK gewesen sein, die diese neuen Äußerungen möglich machten. Da die maoistischen Gruppen auf „Unvereinbarkeit“ mit allen Abweichlern bestanden, sahen sich diese stets genötigt, ihre eigenen Gruppen zu bilden. Der Ausschluss ehemaligen Mitglieder der BL aus der KPD/ML-ZK glich, wie viele andere Ausschlüsse auch, einem, Vernichtungswillen. Fortan sollte keiner der Gruppen, die sich neu konstituierten, im „Roten Morgen“ eine Möglichkeit gegeben werden, zu publizieren. Austritte von Genossen aus der KPD/ML-ZK während des a. o.PT wurden kurzfristig vom neugebildeten ZK in Ausschlüsse umgewandelt. Erst sehr spät, etwa zum Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre, gaben sich in dieser Hinsicht viele der Gruppen liberaler und ließen zwecks Meinungsvielfeilheit in ihren Organen sogar Gegenpositionen zu Worte kommen. (35) Allerdings waren Ausschlüsse wegen „Fraktionsbildung“ weiterhin die Regel.
Berichtet wurde im „Extra“ zum a. o. PT bereits davon, dass der „Rote Morgen“ sich weigerte, den „Offenen Brief“ der BL zu veröffentlichen. Stattdessen geschah dies in der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB, Nr. 3, vom 7. Februar 1972. (36) Hingewiesen sei nur noch darauf, dass die untergründigen Auseinandersetzungen der BL mit dem ZB der Parteiöffentlichkeit nicht gänzlich bekannt gegeben worden waren. Nach meinem Kenntnisstand soll es wohl auch Absprachen im Hinblick auf Funktionen einzelner Mitglieder der BL in der ZB-Organisation gegeben haben. Mir ist mindestens ein solcher Fall aus Bochum bekannt. Vermutlich dürfte es auch in Dortmund zu Absprachen mit örtlichen Funktionären der ZB-OG gekommen sein. Die „einfachen“ BL-Parteiarbeiter mit der Grundorganisation in Betriebskollektiven hat es wohl nur in Ausnahmefällen gegeben.
Der Vorwurf der Fraktionstätigkeit sollte die „Schädlinge“ aus der Organisation eliminieren. Meistens wurde ihnen angedichtet, dass sie auf Betreiben einer anderen Gruppe handeln würden. Falls sich das nicht nachweisen ließ, erfand man schlicht die „kleinbürgerliche“ Konzeption. Sie war es, die zum Konfliktfall erster Ordnung gemacht wurde. „Kleinbürgerliche Fraktionsmacherei“ schien nicht nur ein westdeutsches Problem der maoistischen Gruppen gewesen zu sein, sondern ein internationales Phänomen, wie die „Geschichte der MLPD“ (37) glaubhaft machen will. Der a. o. PT schien dann auch mit seinen Formulierungen über das „Liquidatorentum“ im KAB/ML, dem Vorläufer der MLPD, Einzug zu halten.
Neben der Nichtbenennung der verschiedenen Fraktionen, die sich auf dem a. o. PT gebildet haben sollen, griff die „trotzkistische Verschwörung“ nun auch dort weiter um sich. Hatte sich diese bereits kurz nach der Bildung des Zentralbüros für den KAB/ML/KPD/ML-RW herauskristallisiert, so war es auch jene, die an der Unizelle des KAB/ML, der KSG/ML, in Tübingen ihr Unwesen trieb. Am 12. Februar 1972 erklärte ein „Kurzer Bericht und Beschluss der ZKK des KAB/ML“, dass sie ausgeschlossen sei. Als Begründung wurde nachgeschoben, dass sie „einen kleinbürgerlichen Führungsanspruch gegenüber dem Proletariat“ erheben würde. Dies würde die Grundlage für die „trotzkistische Theorie von der Jugendavantgarde“ beinhalten. Seit Mitte August 1971 hätte sie eine „fraktionistische Tätigkeit" entwickelt: „Die systematische Ausarbeitung der Fraktionslinie begann Mitte August 1971 mit einer breiten theoretischen und historischen Untersuchungsarbeit zur Studentenbewegung seit 18OO, ohne dass dafür ein Auftrag durch den KAB(ML) oder der LL der KSG(ML) vorlag. Diese Untersuchungsarbeit führte zur Revision grundlegender marxistisch-leninistischer Anschauungen. Zur gleichen Zeit eröffnet die ZKK gegen die Mitglieder der Unizelle ein Verfahren wegen Bruchs der Organisationsdisziplin und Verletzung des demokratischen Zentralismus.“ Da sich nach Auffassung der ZKK die Unizelle zu „einer organisationsfeindlichen Gruppe“ entwickelt habe, wurde sie am 12.2.72 „wegen Fraktionstätigkeit und organisationsfeindlichen Verhaltens, wegen bewussten, ständigen und groben Verstoßes gegen die Organisationsdisziplin aus dem KAB(ML)“ ausgeschlossen. (38)
Auffällig war die ideologische Gleichschaltung, die von der „Fraktionstätigkeit“ bis zum „organisationsfeindlichem Verhalten“ (Liquidatorentum) reichte. Dass die KSG/ML Tübingen ausnahmsweise einmal hier nicht als „linke Opportunisten“ mit „rechten Tendenzen“ bezeichnet worden war, mag daran gelegen haben, dass nicht ausreichend Argumente beigebracht werden konnten, um den Tübingern ihre Qualifikation, für die Arbeiter zu sprechen, abzusprechen.
In veränderter Form spitzten sich die „links- und rechtsopportunistischen Auffassungen“ wieder und wieder in den maoistischen Gruppen zu. Leidenschaftlichkeit, den einen dies und den anderen das nachzuweisen, war angesagt und blieb auch ohne echte Alternative. Je mehr man sich hier verstrickte, umso deutlicher wurde auch, dass das große Wort der „Einheit der Marxisten-Leninisten“ fragiler denn je wurde. Das traf auch auf die ML-Dortmund zu, die in der schon erwähnten Schrift: „Den Parteiaufbau bewusst in Angriff nehmen. Ein Beitrag zum ideologischen Kampf gegen revisionistische Auffassungen zum PA“ vom 17. Februar eine „notwendige Abgrenzung zu rechts- und ansatzweise auch zu 'links-opportunistischen' Auffassungen“ leisten wollten, um den „ideologischen Kampf voranzutreiben“. (39) Aus der Schrift wurde eher deutlich, dass der Negativtrend, die leergefegte KPD/ML-ZK dazu zu benutzen, mit ihr abzurechnen, anhielt. Man hatte hier den Eindruck, dass alles auf das ZK abgewälzt wurde, was in der Bewegung an falschen Ansichten überhaupt vorhanden war.
Nun hatte das ZK es seinen Kritikern auch leicht gemacht. Die wiederholten politischen Schwenks, die Verteidigung falscher Linien, eine Selbstkritik, die nicht als eine solche durchgehen konnte, Verleumdungen, persönliche Angriffe, die in der Regel unterhalb der Gürtellinie lagen, Verächtlichmachungen, bewusst Verdrehungen und immer wieder die nahezu grotesk anmutenden Machtansprüche, für ein ganzes ML-Volk zu sprechen zu wollen, führten zu deutlichen Erosionen der gesamten Partei. Zudem hatte die KPD/ML-ZK sich mit dem a. o. PT ihr eigenes Armutszeugnis ausgestellt. Und trotz der schweren Niederlage setzte sie weiter und unvermindert auf den totalen Sieg der alten Positionen.
Die Austsche Lösung, „alle Elemente schonungslos zu entlarven, die sich in der marxistisch-leninistischen Bewegung eingenistet hätten, und die das Ziel verfolgen, die Revolutionäre in den Sumpf des Opportunismus, in den Sumpf des modernen Revisionismus zu zerren“ (40), konnte nicht als kooperationsbereit betrachtet werden. Praktisch stand der Marxismus-Leninismus unter der Schirmherrschaft des ZK. Die Bewegung selbst wurde zum Siedlungsraum. Er sollte die notwendige (nationale) Neuorientierung bringen. Daher die Bemühungen des ZK nur noch jene Gruppen zu befrieden, von denen angenommen werden konnte, dass sie das Schiff (ZK der KPD/ML) bis zum bitteren Ende nicht verlassen würden.
Das erklärte eine Gruppe des KSB/ML Bochum in ihrer „Plattform“ vom 18. Februar. Meinte sie doch: „Unsere Position war im Kampf gegen die Ultralinken in Bochum entwickelt worden … Mit diesem Konzept führten wir gleichzeitig einen Kampf gegen die andere Gruppe im KSB/ML Bochum, deren Linie anfangs hauptsächlich in persönlichen Angriffen und Verleumdungen gegen die ehemalige Leitung bestand … Wir sind entschlossen, den ideologischen Kampf mit allen Genossen weiterzuführen, auch im KSB/ML, Prinzip der Partei festhalten, so heißt das für uns, dass wir für den Wiederaufbau der KPD/ML kämpfen. Eine scharfe Trennungslinie ziehen wir zu all denen, die heute sagen, dass die HS der Politik der Partei revolutionär war ... In Bochum heißt das, eine scharfen Trennungslinie ziehen gegenüber den Genossen, die den Revisionismus auf die theoretisch untermauerte Revision der 'Generallinie' der Partei reduzieren, auf die Revision der Position:
An den „Prinzipien der Partei festzuhalten“ und für deren „Wiederaufbau zu kämpfen“, das war für viele, die ihr nahe standen, eine ehrenwerte Aufgabe. Auch übrigens für die, die für die Verbesserung ihrer eigenen Positionen stritten. Der Wille, die KPD/ML zu zerschmettern, blieb dann doch wohl irgendwo Illusion. Die reine Beschäftigung mit ihr blieb ja keine innere Angelegenheit, sondern sie strahlte weit über die Peripherie hinaus. Zu dieser Zeit las man im linken Lager überall von der KPD/ML. War sie etwa schon zu einem Mythos geworden? Die vorrevolutionäre KPD/ML aus den Gründertagen war offenkundig bar jeder Alternative. Darauf bezogen sich nun alle Gruppen irgendwie. Ignorieren konnte niemand den Gründungsakt. Aber es war das Dilemma der Machtpolitik, dass das negative Urteil über die Aust-Gruppe ständig nährte. Bei den Gesprächen zwischen der KPD/ML-ZB und der OG Friedrichshafen der Marxistisch-Leninistischen Aufbauorganisation (MLAO) am 23. Februar soll auch über diese Widersprüche debattiert worden sein. (42)
Laut KPD/ML-ZB waren sie auf einer Mitgliederversammlung der MLAO vom 26. Februar („Über die Besonderheiten des „Liquidatorentums auf dem a. o. PT“) erneut Gegenstand der Debatte. Die Broschüre der ML Dortmund „Den Parteiaufbau bewusst in Angriff nehmen“ soll für die Auseinandersetzungen einen besonderen Stellenwert gehabt haben. (43)
Ein Teil der Gruppe der MLAO soll die Gespräche des ZB mit ihrem führenden Kern als „prinzipienlose Polemik“ bezeichnet haben. Eine Politik des Verständigungsfriedens wurde somit nahezu ausgeschlossen. Er hätte nun vorausgesetzt, das eine Seite zum Verzicht bereit gewesen wäre, was eine Teilaufgabe der eigenen Position bedeutet hätte. Dazu war vor allem das ZB nicht bereit gewesen; denn deren SPD-Linie ließ sich nicht verhandeln.
Hier muss noch einmal auf den „Roten Morgen“ Nr. 5 vom 28. Februar zurückgegriffen werden. Auch dort weigerte sich das ZK der KPD/ML, ihre eigenen Ansprüche zu reduzieren. Am Beispiel der Nichtveröffentlichung des „Offenen Briefs“ der BL in der Zeitung kann deutlich gemacht werden, wie sich der Vorwurf der „prinzipienlosen Polemik“ hochzuschaukeln begann. Zunächst lamentierte sie über die die Schädlichkeit des Briefes für die „Einheit der Marxisten-Leninisten“, der die „Vereinigung“ sabotieren würde, um dann dem ZB gerade wegen seiner Kontaktaufnahme mit der BL zu schelten. Schließlich verwies der „Rote Morgen“ auf seine „korrekte, proletarische Linie“ und hielt den Vorwurf hoch, dass es sich beim ZB um eine „revisionistische Organisation“ handeln würde. (44)
Aus dieser Stimmung heraus entwickelte der KAB/ML in seinem „Rundbrief an alle Ortsgruppen: Einschätzung der SPD/FDP-Regierung“ vom 28. Februar 1972 einen eigentümlichen Holzweg, der als reiner Dilettantismus bezeichnet werden muss. Der Rundbrief wandte sich scharf gegen Genossen, die „von der richtigen Einschätzung der SPD/FDP-Regierung“ abweichen.
„Nicht nur auf dem Bundesdelegiertentag unserer Jugendorganisation, sondern auch bei einigen Genossen unserer Organisation wurde die SPD als 'Wegbereiter des Faschismus' gekennzeichnet.“ Festgehalten wurde im Rundbrief an folgender Position: „Die Hauptseite der SPD-Regierung ist nach wie vor Betrug. Aus diesem Grunde muss auch die SPD als reformistische Partei bekämpft werden. Einige Genossen haben die Gefahr des Reformismus noch nicht in seiner ganzen Schärfe begriffen. Der Reformismus ist der Zersetzungsherd des Klassenkampfgedankens. Er verankert in den Köpfen der Arbeiter die Arbeitsgemeinschaftspolitik. Damit macht er die Arbeiterklasse waffenlos, und zwar waffenlos nicht nur gegenüber den Angriffen der reformistischen Vertreter des Monopolkapitals, sondern entwaffnet sie auch gegenüber der ultrarechten und faschistischen Gefahr. Das bedeutet, dass der antifaschistische Kampf notwendigerweise zum Scheitern verurteilt ist, wenn es uns nicht gelingt, den Reformismus zu schlagen. Darin besteht die Hauptmechanik der beiden Seiten SPD und Faschismus. Unser Kampf muss gegen den Reformismus der SPD gerichtet sein, und wenn wir diesen Kampf erfolgreich führen, dann haben auch die Faschisten mit ihrer Volksgemeinschaftspolitik keine Chance und die antifaschistische Einheitsfront wird jeden faschistischen Angriff zurückschlagen.“ (45)
Dass der KAB/ML mit seiner politischen Linie zur SPD nicht an der hartnäckig vertretenen „Sozialfaschismustheorie“ von ZK und ZB vorbeikam, war hier abzulesen. Der scharfmacherischen Theorie vom „Sozialismus in Worten“ und dem „Faschismus in der Tat“ hatte er indes nicht viel entgegenzusetzen. Die schwammigen Formulierungen aus den Kindertagen der maoistischen Bewegung, dass die „Hauptseite der SPD-Regierung der Betrug sei“, erschütterte niemanden, und vor allem dürften sie damals kaum im extremeren linken Lager populär gewesen sein, es sei denn, man würde den Blick auf das SB, den AB, die DKP oder ihr nahestehenden Organisationen richten, die wohl eine ähnliche Position vertraten. Der einzige Hoffnungsträger schien für die Gruppe die „antifaschistische Einheitsfront“ zu sein, die, in diesem Zusammenhang, nur die Suche nach einem Ausweg aus der eigenen SPD-Krise war; denn die Formel entsprach nicht im Entferntesten der tatsächlichen Situation. Aber jeder konnte sich nun mal damit schmücken, auch wenn es nichts „antifaschistisches“, geschweige denn eine „Einheitsfront“ gab.
Der „Rote Morgen“ Nr. 6 vom 13. März 1972 der forderte, „Die Einheit aller Marxisten-Leninisten im Kampf gegen den modernen Revisionismus (zu) erringen“ (46) und setzte auf seine Doppelstrategie. Einerseits ließ er Gesprächsbereitschaft erkennen, andererseits setzte er aber erneut auf die „schonungslose Entlarvung“ der Schädlinge, die sich in der „marxistisch-leninistischen Bewegung eingenistet haben“ und auf den „Sumpf des modernen Revisionismus“ zusteuern. Er sah sich außerstande, eine Amnestie für die „Parteifeinde“ zu verkünden, die zwischenzeitlich die Opposition von links betrieben und sich den eigenen Gruppenbildungen widmeten. Dazu gehörte z. B. im März 1972 ein Teil der OG Frankfurt/M. der KPD/ML-ZK. Sie hatten sich nach dem a. o. PT. der „Gesellschaft für Albanisch-Chinesisch-Deutsche Freundschaft e. V.“ angeschlossen. Bekannt gegeben wurde dieser Anschluss auch in einer Ausgabe der Zeitung „Für Albanisch-Chinesisch-Deutsche-Freundschaft e. V.“. (47)
Auch der unabhängige, von der KPD/ML-ZK abgespaltene, Landesverband Wasserkante propagierte in der Sondernummer seines Organs „Parteiaufbau“ vom März 1972 seine Selbständigkeit, kritisierte den „Roten Morgen wegen der „Anbetung seiner Spontaneität“, war aber dazu bereit, am 1. Mai mit allen Hamburger ML-Organisationen ein Bündnis einzugehen. Direkt angesprochen worden waren: KB, KPD, KPD/ML-ZB, KPD/ML-ZK, Marxistisch-Leninistisches Zentrum (MLZ) und Parteiopposition. (48)
Das traf sich auch mit dem ehemaligen KSB/ML-Hamburg, der in seinem „Diskussionsbeitrag“ vom März des Jahres forderte, der „Anbetung der Spontaneität“ ein Ende zu bereiten. Er rief zu einer breiten Bewegung auf, die das Ziel haben müsste: „Studieren, Propagieren und Organisieren“. Dadurch könnten „Fehler der Vergangenheit“ beseitigt werden. (49)
Zu den zentralen Erfahrungen der neuen Gruppenbildung 1972 sollte der „Parteiaufbau“ gehören, jener, der unmittelbar mit dem ZK und dem ZB verknüpft war und der im System des Dickhutschen Kampfes gegen die Hydra der „Kleinbürger“ einen besonderen Stellenwert eingenommen hatte. Er wurde sozusagen zu einem „Stellungskrieg“, der auf der einen Seite die Intellektuellen mit „verbürgerlichten“ Verhaltensweisen sah, auf der anderen, den bildungsbeflissenen Proletarier, der im Klassenkampfverhalten der eindeutig Überlegenere war und der sich deshalb auf die Seite der „proletarische Linie“ schlug, die beinahe für alle Probleme die richtige Lösung anbot. Doch der Code zwischen Gebildeten und Ungebildeten wurde insgesamt zur Fabel. Weder jene, die sich im Brechtschen Sinne auf die „Seite der Proletarier“ schlugen, waren besonders befähigt - und erst Recht nicht jene, die „Bildungsproletarier“ oder „Arbeiterintelligenz“ genannt wurden.
Mit dem „Parteiaufbau“ beschäftigte sich auch eingehend die ML Dortmund. Im März sollte die Gruppe eine Selbstkritik zu ihrem Papier: „Den Parteiaufbau bewusst in Angriff nehmen“ verfassen. Dort war zu lesen: „In einer Selbstkritik zu diesem ersten Papier, in dem wir versucht hatten, unsere Kritik an der alten Roten-Morgen Partei zusammenzufassen, wurden wichtige ideologische Mängel unserer darin ausgeführten Positionen aufgedeckt. Es heißt in der Selbstkritik: 'So entwickelt das Papier allein aus dem isoliert und abstrakt begriffenen Widerspruch zwischen Spontaneität und Bewusstheit die allgemeinen Aufgaben der Partei, bzw. das Postulat, die Partei müsse ideologisch aufgebaut werden, ohne die Frage, wie dies in Westdeutschland konkret zu geschehen habe, überhaupt angeschnitten wird. Das Papier leugnet weiter, die Notwendigkeit der Verbindung der allgemeinen Lehre des Marxismus-Leninismus mit den besonderen Erfahrungen der Massen im Klassenkampf. Es leugnet, dass diese Verbindung nur vom proletarischen Klassenkampf aus geleistet werden kann.“ (50)
Der „proletarische Klassenkampf“ war ein Kampf ums Überleben der K-Gruppen. Hier war viel von Gemeinsinn und Solidarität die Rede, die gleich alle „ideologischen Mängel“ aufzudecken gedachten. Er war Selbstbehauptung, Durchhaltepathos und realitätsblind. In dieser Welt, von Illusionen und Wunschdenken erfüllt, wurde man zum „Wanderer zwischen zwei Welten“, erfüllt von Wundererwartungen und seltsamen Konglomeraten. „Spontaneität und Bewusstsein“ wurde so zu einer Ideologie, die den Egoismus der individuellen Individuen prägte, gleichwohl sie nichts anderes war als Selbstverwirklichung eines Bildungsbürgertums, das mit geistvoller Begründung nach der Formel für den Sozialismus pur suchte.
Bei den Fraktionsbildungen nach dem a. o. PT fiel auf, dass eine „Revolution von unten“, sofern der Begriff überhaupt als Charakteristikum“ für Rebellionen in der maoistische Bewegung eingeführt werden kann, eine seltsame, aber auch zentrale Rolle spielte. Stets ging es um politische Absichten, mit denen die Verbündeten der zukünftigen Fraktionen sozusagen „geködert“ worden waren. Das tragende Vertrauen nährte sich aus der Idee, eine eigene Gruppe zu schaffen, die anstatt der größeren ML-Gruppen einen lokalen Einfluss ausüben könnte, wobei allerdings kein Systemwechsel stattfand. Die Wiederaufnahme der alten Grabenkämpfe war somit beschlossene Sache. Und alleine der Durchhaltewille der Gruppen, der über eigene Zeitungen, Flugblätter und örtlichen Veranstaltungen stets auf sich aufmerksam machen konnte, garantierte die Autorität, die sie benötigten, um im Konzert der Großen mitspielen zu können. (51)
Das würde auch mit Einschränkungen für die BL der ehemaligen KPD/ML-ZK gelten, die als örtliche Gruppierung doch weit mehr Ausstrahlungskraft hatte als wie bisher angenommen worden war. Die bisherigen Untersuchungen ergeben, dass sie mit ihren vielfältigen Aktivitäten der parteitreuen OG der KPD/ML-ZK doch Paroli bieten konnte, möglicherweise auch über den Ortszusammenhang hinaus (etwa Bochum oder Duisburg); denn die BL verstand sich ja auch als „nationale Organisation“. Es war die Zeitung „Rotfront“, über die sie eine Zeitlang Einfluss ausübte und die dazu beitrug, dass die Gruppe, bevor sie nach einer langen Auseinandersetzung zum ZB der KPD/ML wanderte, sich stabilisieren konnte. Die Absage an die alte KPD/ML und der Aufbruch zum Neuen erschöpften sich zwar in der stereotypen Wiederholung der Grundsätze des ML, jedoch sollte ihr Alleingang signalisieren, dass der alten Führungsschicht der KPD/ML-ZK die Macht wegbröckelte. Dass sich die OG der KPD/ML-ZK im März 1972 mit der Agitation und Propaganda der BL beschäftigte, lässt erkennen, dass man an ihr nun nicht mehr vorbeikam. (52)
Diese örtlichen Entwicklungen waren auch immer Teil eines Ganzen. Bei genauerem Hinsehen war es doch die Distanz zu- und untereinander, die die Besonderheiten der Gruppenbildungen ausmachte. Darunter dürfte in erster Linie die örtliche Nahperspektive fallen, die zwar keinen Sonderweg darstellte, aber als politische Nabelschau durchgehen konnte. Die ML Dortmund, eine der Gruppen, die sich wie BL örtliche nach dem Zusammenbruch des ZK auf dem Parteitag gebildet hatte, machte am 11. März 1972 mit einem 6-seitigen Flugblatt zur Irlanddemonstration der KPD/ML-ZB, die am gleichen Tag in Dortmund stattfand, erneut auf sich aufmerksam. Titel: „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen!“
Der ML-Bewegung wurde erklärt: „EIN GESPENST GEHT UM IN DER REVOLUTIONÄREN BEWEGUNG: DAS GESPENST DES LIQUIDATORENTUMS. Das ZB malt das Gespenst folgendermaßen an die Wand: Die Liquidatoren, die wollen alles liquidieren - die revolutionäre Partei, den ökonomischen Kampf, den politischen Kampf usw. usf. Ist das die Wahrheit? Nein - das sind nichts als hilflose, lächerliche, plumpe Lügen, die das ZB auftischt, um zu verschleiern, was unsere wirklichen Ansichten sind: dass wir den Opportunismus und Revisionismus in der revolutionären Bewegung Westdeutschlands liquidieren wollen.
Auch wir haben einmal geglaubt, in einer revolutionären Partei, der KPD/ML-RM) - für die Revolution zu arbeiten. Auch wir haben geglaubt, dass eine Partei, die die fünf Köpfe hochhält, nicht revisionistisch sein kann. Diese Illusionen zerstoben nicht auf einen Schlag, sondern im Laufe einer langen Auseinandersetzung in der KPD/ML-RM. An der Basis der KPD/ML-RM begann nach dem 1. Mai 1971 eine Kritikbewegung an verschiedenen Erscheinungsformen der politischen Linie. Damals glaubten wir noch, dass es sich um 'Versäumnisse', 'Schwächen' usw. handelte. Damals glaubten alle Genossen noch, dass die Fehler- bürgerlichen Auffassungen usw. innerhalb der KPD/ML-RM korrigiert werden könnten. Im Verlauf des ideologischen Kampfes stellte sich jedoch heraus, dass die Theorie und Praxis der KPD/ML-RM auf revisionistischen ideologischen Grundlagen beruhte, die von Aust und Co. mit allen bürgerlichen Tricks verteidigt wurden (Unterdrückung von Artikeln fürs Zentralorgan, Rausschmiss der Kritiker ohne jeden ideologischen Kampf, demagogische Versuche, jede Kritik als intellektuelles Geschwätz zu denunzieren - RM 11/71: 'Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz'
Der Revisionismus der KPD/ML-RM bestand und besteht unserer Meinung nach in folgendem:
IST DIE KPD/ML EIN EINZELFALL? BERUHT NUR IHRE POLITIK AUF EINER REVISIONISTISCHEN GRUNDLAGE?
Nach unseren bisherigen Untersuchungen der sog. ml-Organisationen ist dies nicht der Fall. Wenn die sog. KPD die Verwirklichung der organisatorischen Prinzipien des demokratischen Zentralismus als DIE Hauptaufgabe beim Parteiaufbau ansieht, wenn sie ihre ganze 'Bewusstheit' aus dem Abschreiben alter KPD-Dokumente schöpft - spricht das etwa für ein marxistisch-leninistisches Parteiverständnis? - Wir meinen nein.
Wenn die KPD in ihrer 'Programmatischen Erklärung' erklärt, dass die Einheitsfront der Arbeiterklasse heute vor allem im wirtschaftlichen und 'demokratischen' Kampf geschaffen werden muss, dass das heute die wichtigste Arbeit ist; - wenn der KAB (KAB/ML, d. Vf.) als Ziel 'Demokratisierung von Betrieb und Gesellschaft' verkündet, wenn er meint, dass gegenwärtig nur 'Teilforderungen und Teillosungen aufgestellt werden' dürften - heißt das nicht, die Wahrheit, dass die politische Macht aus den Gewehrläufen kommt, in den Taten, in der konkreten Politik zu revidieren? heißt das nicht, die ml Partei zu einer Organisation für gewerkschaftliche und 'demokratische' Agitprop zu degradieren?
DIESEN REVISIONISMUS WOLLEN WIR ALLERDINGS LIQUIDIEREN!
Wir werden ihn dadurch liquidieren, dass wir den offenen und breiten ideologischen Kampf um diese Fragen in der revolutionären Bewegung Westdeutschlands führen!
IST DIE KPD/ML-ZB EINE ECHT MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI?
Das ZB bietet sich lärmend als Alternative zur Aust-Clique an. Besonders durch den Erzopportunisten …, vorgestern noch eifrigster Verfechter der Aust-Linie war, der sich gestern allein aus karrieristischen Gründen opportunistisch an die Parteitags-Mehrheit (die 'Liquidatoren') anhängte, der heute wegen mangelnder Aussicht auf ein Pöstchen bei der Parteitags-Mehrheit und besseren Aussichten beim ZB die Werbetrommel fürs ZB rührt. Aber auch dieser üble Opportunist kann nicht über die ideologischen Grundlagen der ZB-Partei hinwegtäuschen, die die gleichen sind wie die aller anderen ml-Organisationen: revisionistische Grundlagen …“ (53)
Meiner Kenntnis nach galt das damalige Flugblatt 1972/73 als eines der wichtigsten Kritiken am „Revisionismus“ des ZB und ZK, wobei dieses Schlagwort ja nichts auszudrücken vermochte; denn „revisionistisch“ war ja all das, womit man den Gegner ideologisch schlagen konnte. Nicht von ungefähr wurden deshalb die „Klassiker“ (einschließlich Stalin und Mao) zitiert, die als Autoritätsfiguren stets eine Antwort auf alle „Abweichungen“ wussten. Die ML Dortmund machte es sich dennoch relativ einfach. Sie erklärte zusammenfassend zum ZK: „Im Verlauf des ideologischen Kampfes stellte sich jedoch heraus, dass die Theorie und Praxis der KPD/ML-RM auf revisionistischen ideologischen Grundlagen beruhte“, und zum ZB erklärte sie: „… kann nicht über die ideologischen Grundlagen der ZB-Partei hinwegtäuschen, die die gleichen sind wie die aller anderen ml-Organisationen: revisionistische Grundlagen …“
Das Ensemble der Vorgeschichte dieser Zerwürfnisse lag nicht in einem einfachen Anwurf begründet, sondern ließ sich zurückführen auf jene kommunistische Epoche, in der die Arbeiterbewegung, im Gegensatz zu den 1970er Jahren, einen ganz anderen Stellenwert einnahm. Und sie hingen zusammen mit einem ganzen Netzwerk von Traditionen und Gegnerschaften, Machteinflüssen und wirren Theorien über die Möglichkeit von bewaffneten Aufständen. Hier, etwa ab dem Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, kristallisierten sich dann auch jene Phänomene heraus, die sich ab den 1930er Jahren im Geflecht „Revisionsmus“ niederschlugen. Viele der darin versteckt angelegten Begriffskontinuitäten konnten sich somit halten, ohne dass sie kritisch hinterfragt wurden. Der Gründung der KPD/ML um die Jahreswende 1968/69 lag dann auch nur eine einfache Abgrenzung vom „Revisionismus der KPD“ zugrunde. (54) Es verwunderte somit nicht, dass das reibungsvolle Aufeinandertreffen der Ideologismen sich als zähes Fortleben der Traditionen herausstellte.
Für diese Überlegung ist wichtig, sich den „Roten Morgen“ Nr. 6 vom 13. März 1972 in Erinnerung zu rufen. Dort war davon gesprochen worden, dass die „Einheit aller Marxisten-Leninisten im Kampf gegen den modernen Revisionismus“ errungen werden sollte. Alleine der „korrekte Standpunkt“ sollte zählen, damit das „Liquidatorentum“ geschlagen werden konnte. Nur „auf diese Weise wird es möglich sein, die Einheit aller wahren Marxisten-Leninisten in der bolschewistischen Partei des Proletariats zu erringen und dem modernen Revisionismus weitere Schläge zu versetzen.“ (55)
Der „Revisionismus“ war zu einer Schicksalsfrage hochstilisiert worden. Womöglich war sie gar nichts anderes als eine Ablenkungstheorie, die sich zu einer Gesamtpolitik verband. Es ging wohl um eine Methode zur Beschaffung der Parteilegitimation, die im „Kampf gegen den modernen Revisionismus“ entstehen sollte. Es könnte auch gesagt werden, dass diese Fahnen, unter denen die maoistischen Gruppen segelten, eine Rechtfertigungsstrategie für ihre Mission war, ein Kunstprodukt, welches in die parteistrategischen Erwägungen mit einbezogen wurde.
Mit dem Schlagwort „Revisionismus“ war die Frage nach der „Hegemonie des Proletariats“ unmittelbar verknüpft. Und sie sollte sich auch hier erschöpfen. Die letzte „Rotfront“, die, bevor die Zeitung in „Stählerne Faust“ umbenannt wurde, am 13. März 1972 von der BL der ehemaligen KPD/ML-Roter Morgen bei der Hoesch Westfalenhütte in Dortmund herausgegeben worden war, meinte dann auch: „Die Arbeiterklasse braucht eine einheitliche kommunistische Partei“, in der die „Massenlinie und die Hegemonie des Proletariats“ Vorrang haben müssten. Im ZK der KPD/ML hätte dagegen „die Ideologie der Studentenbewegung Einzug“ gehalten. (56) Der kontinentale Gegner wuchs zu einer Existenzbedrohung heran. In dem Maße wie die maoistischen Gruppen ihre Parteien zu einer Wertefabrik ausbauten, sollten sie schnell an die Grenzen des Anormalen stoßen. Sie verspielten mit ihren hoffnungslosen Begrifflichkeiten eine, wenn sie überhaupt möglich war, Selbstkorrektur.
Das System westdeutschen Maoismus stand ständig vor Entscheidungen. Es verging kein Tag, ohne dass nicht irgendwo alte Fehden aufflammten, neue entstanden und mit Macht aufbrachen. Dieser Zustand war Normalität. Alles war zudem vielschichtig, widersprüchlich und unbeständig - kurz, die kurze Geschichte der maoistischen Bewegung war primär ein Massenmarkt der Ausgrenzungen untereinander.
Davon war auch der kommende 1. Mai 1972 beseelt. Die Vorbereitungen dafür begannen allen Orts etwa im Februar/März mit den ersten Richtlinien. Selbige riefen zunächst die eigenen Organisationen dazu auf, konkrete Vorschläge für den 1. Mai zu machen (etwa: eigene Betriebspropaganda, Veranstaltungen, Kurzkundgebungen usw.), um dann die zentralen Vorbereitungen in Angriff zu nehmen (Bündnisangebote, politische Artikel zum 1. Mai in den Zentralorganen, Festlegung des Demonstrationsortes, der Route usw.).
So richtete z. B. am 19. März die KPD/ML-ZB einen Brief an das ZK der KPD. Der Brief enthielt u. a. den „Aufruf des Zentralbüros zum 1. Mai und die neue ROTE FAHNE mit einem umfassenden Grundsatzartikel zum 1. Mai 1972“. Zur „Schmiedung der Kampffront“ hieß es dort: „Wir halten dies für die richtige Grundlage, um die Kampffront für den Roten 1. Mai 1972 zu schmieden und einen Schritt auf dem Wege zur Einheit der Marxisten-Leninisten voranzukommen.“ (57)
In einer „Beilage des Orgbüros“ des ZB in der „Roten Fahne“ Nr. 6 vom 20. März hieß es konkreter: „Kampffront des Roten 1.Mai 1972 schmieden.“
„Am 1.Mai als dem politischen Kampftag der Arbeiterklasse müssen die revolutionären Ziele der Arbeiterklasse breit in die Massen getragen werden: Sturz des imperialistischen Staates, Zerstörung ihres Ausbeuterstaates, Errichtung des Arbeiter- und Bauernstaates, der Diktatur des Proletariats! Diese revolutionären Losungen müssen in diesem Jahr mit den wichtigsten Losungen des politischen Tageskampfes verbunden werden - Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik. Der 1.Mai ist auch ein Tag des Kampfes gegen den Opportunismus in der Arbeiterbewegung! Vollständige Abgrenzung vom modernen Revisionismus, klare Stoßrichtung des politischen Kampfes gegen die Sozialdemokratie als dem Hauptträger des reaktionären und imperialistischen Kurses! Der 1.Mai ist der internationale Kampftag der Arbeiterklasse. In unseren Losungen müssen wir uns klar auf den Boden des proletarischen Internationalismus stellen! Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus! Verteidigung der Länder des Sozialismus! Unterstützung des Kampfes der unterdrückten Nationen gegen Imperialismus und Sozialimperialismus! Solidarität mit dem Kampf der Arbeiterklasse in allen anderen kapitalistischen Ländern! - Praktischer Internationalismus bedeutet, diesen Kampf nicht nur durch Resolutionen und Propaganda, sondern vor allem durch den schärfsten Kampf gegen die eigene imperialistische Bourgeoisie, gegen das westdeutsche Finanzkapital und seine Hauptstütze, die chauvinistische Sozialdemokratie zu führen.“ (58)
Das waren starke Worte, mit denen das ZK der KPD/ML durchaus mithalten konnte. In der „Plattform der KPD/ML für eine Aktionseinheit der revolutionären Organisationen zum 1. Mai“, die im „Roten Morgen“ Nr. 7 vom 27. März 1972 erschien, wurde die Auffassung vertreten: „Auch in Westdeutschland und Westberlin ist heute die Haupttendenz Revolution. Die Entwicklung der allgemeinen tiefgehenden Krise des Imperialismus im Weltmaßstab und die innere Entwicklung der politischen und ökonomischen Krise des monopolkapitalistischen Systems in Westdeutschland und Westberlin in ihrem Zusammenhang bergen in sich die Möglichkeit, dass in unserem Lande in wenigen Jahren eine objektiv revolutionäre Situation entstehen kann. Deshalb ist es unsere Pflicht, mit aller Kraft die Arbeiterklasse und die anderen ausgebeuteten Teile des Volkes im Geiste der gewaltsamen Revolution zu erziehen. In Westdeutschland und Westberlin herrscht der Monopolkapitalismus … Der Kampf der Westdeutschen und Westberliner Arbeiterklasse hat in der gegenwärtigen Etappe der Revolution das Ziel, die Diktatur der Bourgeoisie zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten … Es ist die Aufgabe der Kommunisten, den Kampf der Massen konsequent auf dieses Etappenziel auszurichten und jeden Versuch der Ablenkung von diesem Ziel durch opportunistische und revisionistische Elemente als Verrat an der Sache des Proletariats zu entlarven …
Der gefährlichste Feind der Revolution innerhalb der Arbeiterbewegung sind die modernen Revisionisten. Der moderne Revisionismus ist eine Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung, die die Aufgabe hat, die Arbeiterklasse vom revolutionären Kampf abzulenken … Die modernen Revisionisten, die in Westdeutschland und Westberlin organisatorisch vor allem durch die DKP/SEW vertreten sind, haben heute in der Arbeiterbewegung, die die reformistische Sozialdemokratie seit Anfang bis Mitte dieses Jahrhunderts gespielt hat: Die Rolle des Paktierertums. Ohne Zerschlagung des modernen Revisionismus, ohne die Vernichtung seines Einflusses auf die Arbeiterklasse, ist es unmöglich, den Sieg in der Revolution zu erringen …
Die Lage der revolutionären Arbeiterbewegung in Westdeutschland und Westberlin ist in der gegenwärtigen Situation durch eine große Zersplitterung der revolutionären Kräfte gekennzeichnet. Diese Zersplitterung hat hauptsächlich die Ursache, dass kleinbürgerlich-opportunistische Kräfte und versteckt revisionistische Kräfte im starken Maße in der revolutionären Bewegung vertreten sind, welche versuchen, die Bewegung zurück zu zerren und in das Fahrwasser des modernen Revisionismus zu lenken. Zu diesen Kräften gehören nicht nur die offen rechtsopportunistischen Elemente, sondern auch die Liquidatoren, die sich des Öfteren mit ‚linken‘ Phrasen zu tarnen versuchen… Der entscheidende Aspekt bei der Überwindung der Zersplitterung der revolutionären Bewegung besteht in der konsequenten Entlarvung der opportunistischen und versteckt revisionistischen Elemente innerhalb der revolutionären Bewegung, sowie in der besseren Herausarbeitung und Entwicklung des Programms unserer Partei.“ (59)
Es fiel auf, dass die Stoßrichtung beider KPD/ML-Gruppen sich doch voneinander stark unterschied. Während das ZB als ständige Parole den „Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ im Mund führte und als klare Stoßrichtung die vollständige Abgrenzung vom modernen Revisionismus und den „politischen Kampf gegen die Sozialdemokratie als dem Hauptträger des reaktionären und imperialistischen Kurses“ angab, so wurde die „Plattform“ des „Roten Morgen“ zum 1. Mai doch eindeutig von der Klassenkampffront bestimmt, die sich in der Aussage „Auch in Westdeutschland und Westberlin ist heute die Haupttendenz Revolution“ niederschlug. In „wenigen Jahren“, so der „Rote Morgen“, könne sogar „eine objektiv revolutionäre Situation entstehen“.
Die kryptoweltanschaulichen Fixierungen der KPD/ML-ZK auf den Gang der Revolution war eine Sache für sich. Sie schien überholt zu sein, wurde aber wieder aktualisiert und war nach dem a. o. PT der Haltepunkt für das Glaubensbekenntnis, dass der „gefährlichste Feind der Revolution innerhalb der Arbeiterbewegung“, die „modernen Revisionisten“ seien.
Dementsprechend waren die Losungen beider KPD/ML-Gruppen, die sich trotz Annäherung bei „Einheitsfrontgesprächen“ zum 1. Mai bei den Demonstrationen doch aus dem Wege gingen, unterschiedlich gewichtet. Die KPD/ML-ZB-Parolen zum 1. Mai waren fast ausschließlich gegen die „chauvinistische Sozialdemokratie“ gerichtet, unter die sich alle anderen gruppierten, die KPD/ML-ZK-„Aktionseinheitsparolen“ dagegen erstarrten in ihrer „revolutionären Linie“, etwa in: „Gegen den Imperialismus - für die sozialistische Revolution!“, „Für ein Vereintes, Unabhängiges Sozialistisches Deutschland!“, „Weg mit Honecker! Weg mit Brandt! - Alle Macht in Arbeiterhand!“.
Hier spiegelte sich die Welt der K-Gruppen wider. Es war eine Welt des nebeneinander und unabhängig voneinander. An den Losungen und Parolen zum 1. Mai konnten diese Tendenzen abgelesen werden. Selbst die „Liquidatoren“ bekamen in der „Plattform der KPD/ML zum 1. Mai“ noch den ganzen Hass, der in der Ausgrenzung bestand, zu spüren. Es ist wichtig, zu wiederholen, dass der Mythos Weltenentwurf beider Gruppen keinerlei Antworten auf die gesellschaftliche Wirklichkeit gab. Aus dieser Unterscheidung heraus ergibt sich ein besonderer Akzent: Die politische Gangart der K-Gruppen wurde letztlich zu einer unpolitischen. Das prägte sie, ihre Rolle, aber vor allem ihre Brüche. Man kann es dialektisch formulieren: Die missglückte politische Verfassung, die sie im Unpolitischen hielt, war eine der Bedingungen für ihre spezifische Kultur und ihres prägenden Lebens. Im Unpolitischen liegt ihre Verwurzelung. Selbst ihr Parolismus, wie am Beispiel zum 1. Mai gezeigt wird, glich einer Missionsidee, die nur die Entfremdung von ihrer eigenen Politik aufzeigte.
Beide KPD/ML-Gruppen meinten, dass der „Rote 1. Mai“ (60) auch in die „selbständigen Aktionen der Arbeiterklasse“ einmünden müsste, während sie zur gleichen Zeit eigenständige „Kampfaktionen“ propagierten. So meinte die „Rote Fahne“ der KPD/ML-ZB in der Ausgabe Nr. 6 vom 20. März: „Die Betriebsgruppen der KPD/ML und des KJVD müssen gemeinsam auf die Schaffung roter Mai-Komitees in den Betrieben hinarbeiten. Wo bereits Einheitsfrontorgane zu den Betriebsrätewahlen geschaffen werden konnten, sollen sie zur Vorbereitung des 1. Mai genutzt werden. Die regionalen Komitees unserer Partei sollen in enger Zusammenarbeit mit den Leitungen des KJVD alle diese Aktivitäten in ihrem Gebiet zusammenfassen und zu diesem Zweck auch rote Maikomitees mit den regionalen Organisationsleitungen anderer marxistisch-leninistischer Gruppierungen anstreben. Die KPD/ML fordert alle Marxisten-Leninisten und alle revolutionär gesinnten Menschen auf, aktiv an der Schaffung solcher Komitees zur Vorbereitung des roten 1. Mai mitzuarbeiten und zugleich die Freiheit der ideologischen und politischen Propaganda zu gewährleisten, ohne die die noch vorhandenen Meinungsverschiedenheiten nicht breit und vor der Massen diskutiert und schließlich beseitigt werden können …“ (61)
Die Anspruchsüberladungen mit „Roten Mai-Komitees“, der Schaffung von „Einheitsfrontorganen in den Betrieben“ und der Zusammenarbeit mit anderen „marxistisch-leninistischer Gruppierungen“ liefen darauf hinaus, allen Parteigruppen zwar Freiraum bei der Gestaltung ihrer 1.-Mai-Aktivitäten einzuräumen, diesen aber wieder durch ein Überangebot der Meta-Politik einzugrenzen. Der Aktionismus ließ den Genossen keinen Platz zum Durchatmen. Sie unterlagen dem Druck der eigenen Legitimation: Die Partei unter allen Umständen in den Massen „verankern“ zu müssen.
Die „Aktionseinheit der revolutionären Linie“ der KPD/ML-ZK, die das „blutrote Banner des Kampfes gegen den Imperialismus und für die sozialistische Revolution, für die Errichtung der Diktatur des Proletariats erheben“ müsste (62), zerbröselte am eigenen Kitt und am Pathos der Grundfarbe Rot. Doch die Grundfarbe der KPD/ML blieb in unendlichen Schattierungen stets Grau.
Als am 28. März 1972 Bevollmächtigte des ZK der KPD/ML und des ZB der KPD/ML Aktionseinheitsgespräche zum 1. Mai aufnahmen, war klar, dass die Differenzen beider Gruppen davon bestimmt sein werden. Der „Rote Morgen“ hatte sich in der „Beilage“ seiner Ausgabe Nr. 7 vom 27. März unter dem Titel „Kämpft für die Einheit der Marxisten-Leninisten“ noch kritisch zum ZB geäußert und seine alten „Spaltungsvorwürfe“ wiederholt. Auf dieser Ebene konnten sich somit kaum Gemeinsamkeiten entwickeln. Und in der Tat lebten diese Gespräche, die eine Fortsetzung am 1. und 6. April fanden, von der Gegnerschaft. Wie wenig man sich tatsächlich annäherte, konnte im folgenden Kommuniqué nachgelesen werden:
„1. Es ist unbedingt notwendig, einen entschiedenen Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten zu führen, da ohne die Einheitsfront der Marxisten-Leninisten keine revolutionäre Einheitsfront der Arbeiterklasse gebildet werden kann. Diese Einheit der Marxisten-Leninisten kann nur durch einen scharfen und sachlichen ideologischen Kampf gegen den modernen Revisionismus in erster Linie und gegen den Trotzkismus hergestellt werden. Diese Einheit kann nur geschmiedet werden im revolutionären Tageskampf. Beide Organisationen gehen davon aus, dass es nur eine Kommunistische Partei (Marxisten-Leninisten) in einem Land geben kann. Diese Kommunistische Partei (Marxisten-Leninisten) ist in Westdeutschland am 31. Dezember 1968 gegründet worden. Jede der beiden Organisationen geht davon aus, dass sie die richtige politische Linie vertritt und auf dieser Grundlage im Kampf die Einheit herstellen wird.
2. Der 1. Mai 1972 kann ein Schritt auf dem Weg zur Einheit der Marxisten-Leninisten werden, wenn hier eine korrekte Aktionseinheit der Marxisten-Leninisten hergestellt wird …
4. Zum 1. Mai … ist es besonders dringlich, den Kampf für die proletarische Einheitsfront zu verstärken. Dazu sollten Maikomitees in den Betrieben und auf Ortsebene gebildet werden, die zur Mobilisierung der Arbeiter und anderer Werktätiger zum 1. Mai und zur Vorbereitung und Durchführung der Demonstration dienen sollen. Die Marxisten-Leninisten haben die Aufgabe, sich aktiv um die Schaffung und Konsolidierung solcher Maikomitees zu bemühen und in sie den Geist der proletarischen Revolution hineinzutragen.
Die Maikomitees sollten unter folgenden Losungen als Mindestplattform gebildet werden: Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Gegen das Kapital und seine SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse! Kampf der Notstandspolitik der SPD-Regierung! Weg mit dem reaktionären Ausländergesetz! Weg mit dem KPD-Verbot! Freiheit für die Marxisten-Leninisten und ihre Presse! Kampf der Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung! Weg mit dem Maulkorberlass in der Bundeswehr! Freiheit der politischen und gewerkschaftlichen Betätigung der Soldaten! Voran mit dem antimilitaristischen Kampf in der Bundeswehr! Weg mit dem Wehrkundeerlass! Nieder mit dem Kriegspakt Bonn-Moskau! Kampf der Friedensheuchelei der SPD- und DKP-Führer! Für die sofortige und bedingungslose Anerkennung der DDR und aller Grenzen in Europa! Hände weg von China! Für den sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Abzug der US-Aggressionstruppen aus Indochina! Für den Sieg der indochinesischen Völker! Abzug aller ausländischen Truppen, Auflösung aller ausländischen Militärstützpunkte auf fremden Territorien! Für ein einiges, freies, sozialistisches Irland! Raus mit den britischen Besatzern! Kampf dem arbeiterfeindlichen Betriebsverfassungsgesetz! Kampf dem Lohnraub! Gegen Mietwucher, Wohnungselend und kapitalistische Städtesanierung! Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung und der DGB-Führung! Gegen Massenentlassungen, Kurzarbeit und verschärfte Arbeitshetze! Deutsche und ausländische Arbeiter- eine Kampffront! Siebenstundentag bei vollem Lohnausgleich! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Streikrecht für Lehrlinge!
Nicht geduldet werden können Losungen, die der sozialistischen Revolution und der Diktatur des Proletariats entgegengestellt werden. Es muss die Freiheit aller beteiligten Organisationen gewährleistet sein, ihre Propaganda für den Marxismus-Leninismus, die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats, gegen den US- Imperialismus, den sowjetischen Sozialimperialismus und den westdeutschen Imperialismus ungehindert zu entfalten. Beide Organisationen halten es für ihre Pflicht, eine aktive Propaganda in die Einheitsfront hineinzutragen für die sozialistische Revolution in Westdeutschland, in Westberlin und für die Unterstützung des Kampfes zur Wiederherstellung der Diktatur des Proletariats in der DDR.
Der Sieg der sozialistischen Revolution in allen Teilen Deutschlands ist die Voraussetzung für die Schaffung eines vereinigten, unabhängigen, sozialistischen Deutschland.
5. Die gemeinsamen Aktionen am 1. Mai sollten eigene, von den DGB-Kundgebungen unabhängige Demonstrationen sein. Keine Einheit kann es mit dem modernen Revisionismus und dem Trotzkismus geben. Es ist die Aufgabe, diese Feinde der Arbeiterklasse zu entlarven und einen entschiedenen Kampf zu führen, um alle fortschrittlichen Kräfte von ihnen loszulösen. Demonstrationen sollten auf einige Orte konzentriert werden. Vorläufig einigen sich die beiden Organisationen auf folgende Orte: Dortmund, Mannheim, Hamburg, München, Stuttgart, Hannover, Westberlin, Nürnberg.
6. Beide Seiten stellen fest, dass es trotz dieser Aktionseinheit eine Reihe wichtiger politischer und ideologischer Differenzen zwischen ihnen gibt. Diese Differenzen sollen durch die Aktionseinheit zum 1. Mai nicht verschleiert werden, machen sie aber auch nicht unmöglich. Es soll im Gegenteil durch einen scharfen und sachlichen ideologischen Kampf eine Klärung dieser Fragen nach Kräften angestrebt werden. Beide Seiten garantieren die freie Agitation und Propaganda der anderen Organisation, solange sie nicht gegen die Aktionseinheit selbst gerichtet ist.
7. Beide Organisationen werden alle Anstrengungen unternehmen, um mit anderen marxistisch-leninistischen revolutionären und fortschrittlichen Organisationen auf der oben dargelegten politischen Grundlage als Mindestplattform eine feste Aktionseinheit zum 1. Mai zu schmieden.“ (63)
Das war alles ins Blaue hinein formuliert. Kaum gab es gemeinsame „Maikomitees“, vor allem aber wenige gemeinsamen Demonstrationen. Eher diktierte das ZB dem ZK das, was seinen damaligen Interessen entsprach. Vor allem waren es die Parolen, denen das ZK wenig entgegenzusetzen hatte und die, soweit mir bekannt, vollständig von ihm akzeptiert wurden. Der „ideologische Kampf“ zur Klärung der offenen Fragen war nichts anderes als der machtpolitische Versuch, doch irgendwie die „eine KPD/ML“ in dem „Kommuniqué“ unterzubringen, wobei es ein Hohn war, von einer „sachlichen Klärung“ zu reden. Dass beide Gruppen davon ausgingen, die „richtige politische Linie“ zu vertreten und auf dieser „Grundlage im Kampf die Einheit herstellen“ herzustellen, war klar. Es sollte bis auf Weiteres der letzte Versuch sein, sich anzunähern. Die Sprengkraft der inneren Gegensätze, die von der höchst merkwürdigen Idee eingerahmt war („Der Sieg der sozialistischen Revolution in allen Teilen Deutschlands ist die Voraussetzung für die Schaffung eines vereinigten, unabhängigen, sozialistischen Deutschland …“), sollte kurz darauf in wachsenden Hass umschlagen. Beide Systeme gingen in den folgenden Monaten bis weit über die Grenzen der bekannten Begrifflichkeit „Opportunismus“ hinaus. Spätestens mit der der letzten „Rote Fahne“ der KPD/ML-ZB vom 31. März 1973 war auch der „Verräter“ schlechthin, die KPD/ML-ZK, ausgemacht. (64)
Die Ächtung des ZK durch das ZB in der letzten „Roten Fahne“ entsprach der eigentlichen feindseligen Haltung beider Gruppen über drei Jahre hinweg. So war das „Kommuniqué“ letztlich nichts anderes als Makulatur. Die hier enthaltenen nationalrevolutionär-romantischen Töne, die Idee von der nationalen Identität, dem nationalem Patriotismus und einem kruden Befreiungsgerede, die im selbigen ihren Niederschlag fanden, entsprachen dann auch weitgehend der Programmatik beider Organisationen. Vielleicht waren hier die eigentlichen Gemeinsamkeiten zu entdecken; denn schließlich waren es diese Äußerungen, die beide miteinander verbanden!?
Und noch eines verband sie untrennbar miteinander: Der Kampf gegen die „Abweichler“ in den eigenen Reihen. Die „Revolutionen von oben“, die gestartet worden waren, um sie zu zügeln, liefen stets nach dem gleichen Schema ab. In Erklärungen, auf Sitzungen oder in den zentralen Organen wurden sie, zwecks Aufklärung der Parteimassen, verurteilt und an den Pranger gestellt. Fortan waren sie geächtet. Aus dem ZB war der „Kampf gegen die rechte Dickhut-Flatow-Clique“ bekannt geworden, später kam das „Weinfurth-Komplett“ hinzu, die „KJ-Inform“-Fraktion usw. Während im ZB der „Kampf gegen die Parteifeinde“ weniger in der „Roten Fahne“ geführt worden war, blies das ZK im „Roten Morgen“ immer wieder zum Angriff gegen sie. Das musste die BL erfahren, die namentlich im „Roten Morgen“ abgestraft worden waren, aber auch all diejenigen, die sich dem vielfältigen Druck nicht erwehren konnten.
„Es gibt nur eine KPD/ML“, hieß es im „Roten Morgen“ Nr. 9 vom 24. April 1972. (65) Neben der Veröffentlichung des schon erwähnten „Kommuniqués“ eröffnete das ZK den Parteimassen des ZB nun auf einmal, dass „die Hauptschuld an der damaligen Spaltung, aus der die Gruppe Rote Fahne und der KJVD hervorgingen, W. D“. tragen würde und lamentierte breit über die Statuten der KPD/ML, die seinerzeit „außer Kraft gesetzt“ worden wären. So würden sich auch die „Liquidatoren“ verhalten, „die das Statut für unverbindlich erklärten“. Somit hätten sie „das Prinzip des Demokratischen Zentralismus ausgeschaltet“ und sich als „Fraktionisten und Spalter betätigt“.
Der Zusammenbruch der KPD/ML wurde hier an einer einzigen Person festgemacht. Es schien so, als ob es den a. o. PT und die Kritiken, die es an der Zentrale und seiner Politik gab, gar nicht gegeben hätte. Die Sündenböcke für die ausblutende KPD/ML konnten stets schnell gefunden werden. Es war eine einzige Linie, die sich seit der Gründung festsetzen konnte: Die Idee vom eigenen Selbstinteresse, die moralpolitisch stets dazu führte, dass die eigentlichen Triebkräfte für den Niedergang dem reinen subjektiven Gebaren einzelner Genossen zugeschrieben wurden, die somit das Zerwürfnis erst herbeigeführt hätten.
Im Gegensatz zur sonstigen Lesart über die Spaltung der KPD/ML war es hier erstaunlich, dass die Prioritäten verschoben wurden. Nicht etwa die „Plattform des ZK“ oder der Artikel „Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf“, der a. o. PT selbst und das sich dort abspielende Drama wurden zur Grundlage genommen, sondern eine groß angelegte Verschwörung, die die Blockade betrieb. Es bleibt eigentümlich, dass die KPD/ML durch den Rückgriff auf den Traditionalismus auch die erstarrten Überreste der partikularen Interessen einer Minderheit, die sich stets über die Mehrheit hinwegsetzen konnte, übernahm. Der von ihr oft ins Feld geführte „Demokratische Zentralismus“, der als Begründung für die Autonomie herhalten musste und der personale Bindungen mit Machtfülle hervorbrachte, war in seiner Rohheit nicht mehr zu überbieten. Das Überbleibsel sollte im Kampf gegen die Bürokratie in den eigenen Reihen eingesetzt werden, doch durch die ungehinderte Verfolgung der Eigeninteressen wurde jede fortschrittliche Idee, die in den eigenen Reihen aufkam, zunichte gemacht.
Hatte schon das „Extrablatt zum 1. Mai“ (66, Bild weiter unten) einem patriotischen Enthusiasmus gehuldigt, am „vereinten, unabhängigen, sozialistischen Deutschland“ festgehalten und die „völkerrechtliche Anerkennung der DDR“ als eine unabdingbare Voraussetzung für deren „staatliche Souveränität“ bezeichnet, so setzte die „Sondernummer“ des „Roten Morgen“ vom Mai 1972 „Es lebe der Kommunismus“ (67) noch einmal deutlich auf das altmodisch-konservative Befreiungsgerede: „… denn wir wissen, dass durch die Anwesenheit der Besatzungstruppen auf deutschem Boden die nationale und soziale Befreiung unseres Volkes die sozialistische Revolution in Westdeutschland und Westberlin und die Wiederherstellung der Diktatur des Proletariats in der DDR erschwert wird …“
„… die KPD/ML ist die einzige deutsche Partei, der die Lösung der nationalen Frage mehr als ein Lippenbekenntnis ist … Wir streben ein vereinigtes, sozialistisches Deutschland an. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten kann für das deutsche Volk nur aufgrund seiner freien Entscheidung herbeigeführt werden, wenn in beiden deutschen Staaten die Revolution gesiegt hat ...“ (68)
Für beide deutsche Staaten zu sprechen, war für das ZK ja nicht neu. Es vertraute dabei auf irgendwelche imaginären Kräfte, die es niemals zuordnen konnte. Die „einzige deutsche KPD/ML“, die auf dem a. o. PT für heftige Kritik gesorgt hatte, vermittelte mit ihrer metapolitischen Bindung an ein ominöses Staatsgebilde, in dem sie die Machtverhältnisse zu ihrem Gunsten ändern könne, den Eindruck, dass die Emanzipation des Volkes einer Institutionalisierung obliege. Die Formulierung der „freien Entscheidung“ war mit nationalpolitischem Etatismus unterlegt, der unterstellte, dass eine interimistische Lösung der Wiedervereinigung möglicherweise nichts anderes als eine loyale Erhebung ohne politische Orientierung sei.
Es sei, so das ZK im „Roten Morgen“ Nr. 10 vom 23. Mai, „die Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, unter Führung ihrer Partei, der KPD/ML ..., alle antimilitaristischen Kräfte zusammenzuschließen … um im revolutionären Kampf dem Imperialismus Schlag auf Schlag … zu versetzen“. (69)
Speziell das Gewirr der Gegenüberstellung des einen deutschen Territoriums und des territorialen Sonderweges, der durch die KPD/ML als „Volkspartei“ geebnet werden könne, ließ wenig Freiraum für eine Interpretation, die sich nicht aus nationalen Gedanken nährte. Derart spekulative Ideen begegneten einem seit der „Grundsatzerklärung“ über die „Kieler Rede“ bis hin zur „Gründung der Sektion DDR der KPD/ML“ immerfort. Am Ende verspielte die KPD/ML mit ihrer „Deutschtümelei“ den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Sie hatte keinen Handlungsspielraums mehr. Der inflationäre Ausverkauf seiner Politik war nicht mehr aufzuhalten.
Mit dem 1. Mai, der die beiden KPD/ML-Gruppen visionär vereint sah, meldete sich im Ruhrgebiet auch der „Aktionsausschuss Marxistisch-Leninistischer Gruppen in NRW zum 1. Mai 1972“, ein breiteres Bündnis, das sich aus vielen versprengten Genossen, aber auch ML-Gruppen aus der Region zusammensetzte. Federführend dürften u. a. die ML Dortmund gewesen sein. Der „Aufruf (der) Marxisten-Leninisten zum ROTEN 1. MAI 72 - Im Kampf gegen imperialistische Unterdrückung und revisionistischen Verrat die Kommunistische Partei schaffen“ vom April 1972 war eine 32-seitige Broschüre mit einer Stoßrichtung, die gegen KPD und KPD/ML gerichtet war. Indem die Gruppierung ihnen den Parteistatus absprach und ihre Teilnahme am 1. Mai als „viel Lärm um sich selbst“ bezeichnete, ergriff sie gleichzeitig das Wort für die Klärung jener „programmatischen Fragen“, die das „Gesicht der Kommunistischen Partei in Westdeutschland“ darstellen müssten. (70)
Der „Rote Morgen“, der sich ganz dem „Geist des 1. Mai“ verpflichtete, meinte: „Seht her, uns gehört die Zukunft, die rot wie unsere Fahne sein wird. Ihr aber, die ihr Euch von unserem Schweiß mästet, ihr seid dem Untergang geweiht. Euer Regime wird bald von der Faust des Proletariats zerschmettert.“ (71)
Die politisierende Generalität der KPD/ML ging vermutlich mit diesen Sätzen davon aus, dass sich eine fiktive Massenbewegung mit ihr verschmelzen würde. Anders können die Sätze nicht interpretiert werden, es sei denn, man würde dem „Roten Morgen“ unterstellen, dass seine moralisierende Keule einem kleingeistigen Vokabular entsprach. Der 1. Mai brachte stets jene wundersamen Dichtungen hervor, die in allen politischen Konflikten potentielle revolutionäre Faktoren reifen sah.
Interessant war, dass die KPD/ML (Neue Einheit) in ihrer Erklärung von 5. April „Der 1. Mai 1972 ist von historischer Bedeutung“ sogar meinte: „Die Ideologie und Politik der Neuen Einheit beginnt sich mit den Arbeitermassen zu verschmelzen, ein Aufschwung, neue Regungen zum revolutionären wissenschaftlichen Sozialismus unter der Arbeiterklasse sind unverkennbar.“ (72)
Man kommt nicht darum herum, auf den prophetischen Ton zu verweisen, der den Geist dieser Politik atmete. So unterschiedlich die Mai-Aufrufe auch waren, in einem glichen sie sich alle: In der Ankündigung über das Ende der Bourgeoisie und der Proklamation des (kommenden) revolutionären Zeitalters. Die „Völker der Welt“ haben ihren Kreuzzug gegen das Kapital bereits begonnen. Und die Arbeiterklasse hat mit ihrem Wiedereintritt in die Geschichte des Klassenkampfs das „rote Banner“ der Revolution erhoben. Doch die „1.-Mai-Offensiven“ blieben stets das, was sie waren: Eine Verarmung der politischen Kultur, die mit messianischen Ideologien unterlegt, deutlich an den Rändern der gesellschaftlichen Realität waberten. Warum gerade der 1. Mai 1972 „… ganz im Zeichen einer breiten internationalen revolutionären Bewegung (stehen sollte) … dass sich ein ganzer Strom von revolutionären Bewegungen der unterdrückten Völker und Schichten sich über den Erdball ergießt“ (73), wie die KPD/ML (Neue Einheit) weismachen wollte, konnte nicht erklärt werden. Hier war einmal mehr der Wunsch der Vater des Gedanken. Das Gedenken der Gruppen an einen Repräsentanten mit nahezu göttlichen Eigenschaften, könnte als neue Eschatologie bezeichnet werden, innerhalb derer das romantische Ensemble der maoistischen Gruppen geradezu zu einer mystifizierenden und irrealen Bewegung wurde.
Der April eines Jahres war immer ein wichtiger Monat. Stets standen die Vorbereitungen zum 1. Mai an vorderster Front der Agitation und Propaganda. Auch sonst schien es so zu sein, dass gerade zum 1. Mai die Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen hervorgekramt wurden, um der Arbeiterklasse zu erklären, warum die eine revolutionär sei und die andere die Revolution nur im Munde führe. Die merkwürdige Obsession gebar eine kunterbunte Vielfalt von gegeneinander wetteifernden Kritiken.
Im April 1972 waren es ehemalige Genossen der Bochumer Gruppen der KPD/ML-ZK (später waren sie am Aufbau der KGB beteiligt), die das Papier „Über 'linke' Abweichungen in einigen Grundfragen des Parteiaufbaus“ veröffentlichten und sich dort dem „ideologischen Kampf“ widmeten. (74) In etwa deckte sich das mit der Schriftenreihe der ML Dortmund „Schulungsmaterial Parteiaufbau“, die im gleichen Monat bereits in seiner Nr. 2 erschienen war. Thema der Schrift war: „Spontaneität und Bewusstheit“ und eine klare Kampfansage an die KPD/ML-ZK, die in der „Spontaneität“ aufgehen würde und in Fragen der „Bewusstheit“ einen total falschen Standpunkt einnehmen würde. Die bolschewistische Partei darf danach „nicht als organisatorischer Wurmfortsatz des spontanen Kampfs der Arbeiterklasse“ begriffen werden, sondern muss „deren bewusster Vortrupp“ sein. (75)
Die Entwicklung der KPD/ML-ZB zu diesem Zeitpunkt, die sich den massiven Kritiken an ihrer Politik kaum stellte oder diese durch neue fadenscheinige Argumente ersetzte, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie von einer Niederlage in die nächste stolperte. In der „Roten Fahne“ Nr. 7 vom 3. April 1972 berichtete sie, „dass die Fraktion, die zur Jahreswende aus der nationalen Leitung (KJ-Inform) ihres Jugendverbandes ausgeschlossen worden war (am 27. 12., d. Vf.), sich mittlerweile mit der KPD/ML-ZK vereinigt“ habe. Der Artikel „Einheit der Marxisten-Leninisten! Prinzipienfester Kampf oder Liquidatorentum?“ war gegen jede Form von Abweichungen gerichtet, aber vor allem eine Abrechnung mit dem „Roten Morgen“. Brisant war es, dass in jenen April-Tagen die „Einheitsfrontgespräche“ zum 1. Mai zwischen beiden KPD/ML-Gruppen stattfanden. Die Polit-Abteilung des ZB erklärte in „Für die Einheit der Marxisten-Leninisten“: „Das Zentralbüro der KPD/ML wird im Kampf gegen die Angriffe der fraktionistischen KJI-Gruppe, die sich mit dem Roten Morgen vereinigt hat, in der nächsten Zeit seine Auffassungen über die Grundlagen und die Hauptfragen der Einheit der Marxisten-Leninisten breit darlegen. Wichtig ist es aber, dass die Partei die ideologische Auseinandersetzung mit den anderen Marxisten-Leninisten um die Einheitsfrontpolitik zum 1. Mai nutzt, um auf dem Weg der Einheit voranzukommen und die gemeinsamen Diskussionen und Aktionen zu einem festen Bestandteil unserer revolutionären Arbeit zu machen.“ (76)
„Liquidatorentum“ und „Fraktionismus“ waren jene beiden Elemente, die unvereinbar mit dem Status der Partei waren. Es sollte nicht verwundern, dass gerade die Scheinheiligkeiten, die vorgaben, „die ideologische Auseinandersetzung mit den anderen Marxisten-Leninisten um die Einheitsfrontpolitik zum 1. Mai“ zu führen, charakteristisch für die KPD/ML war.
Hieß es doch einige Zeilen weiter in der „Roten Fahne“: „Ein entgegengesetztes Beispiel einer 'linken' Taktik, einer Vernachlässigung der proletarischen Einheitsfront, bietet uns die Gruppe Roter Morgen. Sie fordert als Grundlage jeder Aktionseinheit die Anerkennung der Losung 'Gegen den Imperialismus - für die sozialistische Revolution'.“ (77)
Zu diesen Differenzen, die während der Gespräche auftauchten, kamen noch weitere hinzu. Es ging vor allem um die Frage, was die „Maikomitees“ seien. Sollten sie Organe der „proletarischen Einheitsfront“ sein, die alle integrieren würden (in etwa gleichbedeutend mit den sog. „antifaschistischen Einheitsfronten“), wie das ZB meinte, oder sollten sie nur „Aktionseinheiten“ sein, die auf einer „echten politischen und proletarischen Linie“ zu basieren hätten, wie das ZK meinte?
Zwar übernahm das ZK noch in der Ausgabe des „Roten Morgen“ Nr. 9 vom 25. April fast alle Losungen des ZB, doch die „Spitzengespräche“ waren vom Tisch. Die Folge davon war, dass z. B. der 1. Mai 1972 in Dortmund von argen Anwürfen begleitet wurde. In seiner Ausgabe Nr. 10 vom 23. Mai 1972 betonte der „Rote Morgen“: „… hat die Partei nicht entschieden genug, die in dieser Frage (Frage der „Maikomitees“ und der „Einheitsfront“, d. Vf.) hin- und her schwankende opportunistische Linie der Gruppe Rote Fahne aufgedeckt und die Genossen nicht konsequent genug auf den Boden des von der KPD/ML und dem Zentralbüro der Gruppe Rote Fahne Bochum gemeinsam verabschiedeten Kommuniqués zurückgeholt. Die durchgängige Tendenz … war, die revolutionäre Linie des Kommuniqués in der Einheitsfront zu beschneiden, andererseits jedoch mit einem Führungsanspruch aufzutreten, der dem Kommuniqué und den darin getroffenen Vereinbarungen widerspricht.“ (78)
Die Belehrungen des ZK ließ das ZB nicht auf sich sitzen. In verschiedenen Organen wurde nach dem 1. Mai von Täuschungen und Verdrehungen der „Gruppe Roter Morgen“ geredet. Damit war die Marschroute festgelegt: Das ZB „bestrafte“ das ZK durch Ignoranz. Diplomatisches war hier nicht mehr zu erkennen. Beide Gruppen beharrten weiter auf den Anspruch der politischen Führung. So sollte es nur noch zwei Mal so etwas wie den Versuch einer Annäherung geben: Am 8. Oktober 1972 während der großen Ausländerdemonstration in Dortmund („Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“) und während der „Antikriegstags-Demonstration“ am 2. September 1972 in München.
Die Spannungen und Gegensätze zwischen dem ZK und dem ZB spiegelten sich auch in den Gesprächen mit der KPD in Bochum wider. Über die Rolle der „Sozialdemokratie als Wegbereiter des Faschismus“ wurde eine heftige Debatte geführt. Die Verhandlungen über eine „Aktionseinheit zum 1. Mai“, die damals kurz vor dem Abbruch standen, konnten nur durch das negative Auftreten der KPD „gerettet“ werden. Die Erklärung des ZB vom 18. April, in der es auf den Vorwurf der KPD, dass das ZB „revisionistische Abweichungen in Fragen des westdeutschen Imperialismus“ vertreten würde, einging, nahm das ZK später zum Anlass, nicht nur der KPD, sondern auch dem ZB eine „spalterische Haltung“ vorzuwerfen. (79)
Hier und da kam es dennoch zu Solidaritätsbekundungen zwischen beiden KPD/ML-Gruppen. Als im April in München sieben Genossen, vermutlich der KPD/ML, (wegen „angeblichen Raubüberfällen“) angeklagt worden waren, meinte der KND vom 19. April: „Bonner Staat betreibt Kriminalisierung der Marxisten-Leninisten. Im Vordergrund steht immer mehr die Behauptung, die Marxisten-Leninisten seien kriminell. Der Münchener Kommunistenprozess gegen Mitglieder der Gruppe Roter Morgen und der demnächst anstehende ROTE FAHNE-Prozess zeigen, dass der Bonner Staat gewillt ist, den Schlag gegen die Marxisten-Leninisten zu führen, indem er sie zu Kriminellen stempelt.“ (80)
Die „Rote Fahne“ Nr. 10 vom 15. Mai 1972 und der „Rote Morgen“ Nr. 10 vom 23. Mai 1972 sahen in diesem Prozess eine „Kriminalsierung“ der gesamten marxistisch-leninistischen Bewegung: „… dass die sieben Münchener Kommunisten 'Kriminelle' sind, die Gruppe 'Roter Morgen' - und damit alle marxistisch-leninistische Organisationen - 'kriminelle Vereinigungen …“ (81)
Der sog. „Hugo-Lanz“ Prozess (82) war eine der Possen dieser Bewegung schlechthin. Was wirklich passiert war, ist nicht mehr auszumachen. Nach der Darstellung des „Roten Morgen“ hatte Hugo Lanz als Literaturverantwortlicher der KPD/ML „Parteigelder unterschlagen“, ist aus der KPD/ML „ausgeschlossen worden“ und war wohl von dubiosen Gestalten überfallen worden. Wer nun wen angeklagt hatte, und aus welchem tatsächlichen Grund, muss in einem nebulösen Licht bleiben.
Der „Rote Morgen“ meinte in seiner unvergleichbaren Rhetorik: „SIEG DES VOLKES. FREISPRUCH IM MÜNCHNER KOMMUNISTENPROZESS. Der Münchner Kommunistenprozess wurde zum Bumerang für den Klassenfeind. Es ist uns gelungen, diesen Schlag der Bourgeoisie in einen glänzenden Sieg der Partei zu verwandeln. Die ideologische Einheit und die bolschewistische Disziplin in der Partei, der Kampfesmut der angeklagten Genossen Christiane, Liselotte, Herrmann und Wolfgang, haben das Lügengespinst des Polizeiagenten Hugo Lanz zerfetzt, haben der Klassenjustiz einen Freispruch abgerungen.“
Die Lesart der „Roten Fahne“ war: „In geschickter Zusammenarbeit mit Richter und Staatsanwalt verleumdete Hugo Lanz die Gruppe 'Roter Morgen'. Er habe nach seinem Ausschluss dauernd Angst gehabt, dass er überfallen werde, weil in der Gruppe 'Roter Morgen' schon öfters über solche Möglichkeiten gesprochen worden sei. Vor einiger Zeit habe er einen Brief aus Hamburg erhalten. Dort sei die Rede von einem Menschen gewesen, der im Auftrag des Vorsitzenden der Gruppe 'Roter Morgen', Aust, überfallen worden sei. Die Angeklagten deckten das schmutzige Geschäft auf, dass Lanz in Absprache mit dem Gericht und der politischen Polizei betrieb. Sie bewiesen, dass es hier um einen Prozess geht, der die marxistisch-leninistische Bewegung schwächen soll ... Während des Prozesses zeigte sich aber auch die Schwäche der jungen marxistisch-leninistischen Bewegung. Die Aussagen von Lanz wurden ja erst dadurch möglich, dass dieser Agent so lange unentlarvt in der Gruppe 'Roter Morgen' tätig sein konnte. Das ist eine ernste Warnung für die gesamte marxistisch-leninistische Bewegung, sich stärker auf die Volksmassen zu stützen und solche bürgerlichen Elemente und Agenten wie Lanz schneller zu entlarven ... Der Freispruch, den das Gericht aussprechen musste, weil Lanz sich in zu große Widersprüche verwickelte, war ein Sieg, der durch das mutige Auftreten der Angeklagten erreicht wurde.“ (83)
Die Antriebsmaschine des Münchener Prozesses war wohl, den Gerichtssaal für die Propaganda der KPD/ML zu nutzen. Erst in zweiter Linie ging es um das Delikt. Den „Schlag der Bourgeoisie in einen glänzenden Sieg der Partei zu verwandeln“, das war die endlose Geschwätzigkeit und die gängige Charakteristik, mit denen die KPD/ML die Verfolgung der eigenen Interessen in den Vordergrund stellte. All das las sich wie eine Entlastung vom Schicksal. Die Bourgeoisie wurde zu einem Konkurrenten im eigenen Lager, unfähig, hochmütig, willkürlich und reaktionär. Eine annähernde Entwicklung war nun bei der KPD/ML selbst festzustellen. Was die KPD/ML von ihrem Erzfeind unterschied, war nur der sich für sie aufdrängende Umsturz. Das mag eine Tragik gewesen sein, im Grunde aber die Folge der Tatsache, dass die KPD/ML sich in der von ihr prophezeiten „Endkrise“ der Bourgeoisie tot lief.
Angesichts der Uneinheitlichkeiten zum 1. Mai sollten weitere Widersprüche offen ausbrechen. Am 24. April teilte der „Aktionsausschusses Marxistisch-Leninistischer Gruppen in NRW zum 1. Mai“ in seinem Flugblatt „Der 1. Mai 1972: Ein Kampftag gegen politische Unterdrückung“ mit, dass in einigen örtlichen Maikomitees beide KPD/ML-Gruppen versucht hätten, diese zu unterwandern. Gegen Ende April meinten sie: „In Dortmund hat die KPD/ML (Rote Fahne) inzwischen bei den Verhandlungen um das örtliche Maikomitee den Versuch unternommen, das Komitee von einem Organ der Aktionseinheit dreier selbständiger Organisationen zu einem der KPD/ML unterstellten Komitee der 'proletarischen Einheitsfront' zu machen. Sie hat, da diese Politik nicht durchgesetzt werden konnte, ihre Arbeit in einem gemeinsamen Maikomitee aufgegeben und wird in Dortmund nicht mehr an den gemeinsamen politischen und praktischen Vorbereitungen zum 1.Mai teilnehmen. Das revolutionäre Maikomitee wird trotzdem weiter versuchen, seinen Kampf um die Aktionseinheit aller fortschrittlicher Kollegen, aller fortschrittlichen Jugendlichen und aller Marxisten-Leninisten zum 1.Mai weiterzuführen. Es wird die Aufgabe der Genossen der KPD/ML (Rote Fahne) sein, ihr spalterisches Vorgehen vor dieser Aktionseinheit und vor den Dortmunder Arbeitern und Werktätigen zu rechtfertigen.“ (84)
Die Kritik an den KPD/ML-Gruppen gipfelte in dem Glauben daran, alles besser machen zu wollen. So richtig sie auch war, so falsch war sie dennoch; denn der „Aktionsausschuss“ tat nichts anderes als diese selbst. An deren Isolierung partizipierte er nämlich durch den Versuch, andere Gruppen nur dann ins Komitee aufzunehmen, wenn diese erklärten, nicht der KPD/ML zugehörig zu sein. Das führte, meiner Erinnerung nach, in Dortmund zu verheerenden Zuständen. Da man sich örtlich weitgehend kannte, war sogar der Versuch unternommen worden, Mitglieder beider KPD/ML-Gruppen am Betreten der Versammlungsräume zu hindern. Das gerade die ML Dortmund mit einem Ausschlussverfahren arbeitete, war nach dem Auftritt einiger ihrer führenden Genossen auf dem a. o. PT kaum nachvollziehbar. Zudem hatte die Gruppe immer die Freiheit der Rede, die Versammlungsfreiheit und den ideologischen Kampf auf ihre Fahnen geschrieben. Tatsächlich blieb letzterer oftmals nur ein rein subjektiver Abgrenzungskampf, der in Dortmund nach der Schwächung der KPD/ML-ZK nach dem Prinzip des im Hause Standpunkt geführt worden war.
Die Komitees der „proletarischen Einheitsfront“ waren alle insgesamt utopisch. In ihnen herrschten auch die gängigen Trivialisierungen vor. Ihre innere Mission war die „Proletarisierung“. Als Organisationen der Arbeiter sollten sie von Selbständigkeit getragen sein und vom „unerschütterlichen Willen zur proletarischen Revolution, zum Sozialismus und zur Solidarität aller Völker“. (85) Auffällig war die Überschätzung und die Stimmungslage, mit der die „Helden“ des Umsturzes beschrieben worden waren. Ihre Sonderstellung im System der KPD/ML könnte sogar als die Bewahrung einer fiktiven Ehre verstanden werden, die praktisch in eine Bevorzugung gegenüber allen anderen Gesellschaftsschichten einmündete. Das Proletariat nahm somit eine Spitzenstellung ein, die freilich nie hinterfragt wurde. Seit den Septemberstreiks 1969, die das „Erwachen des Riesen“ proklamierte, war der erworbene Status des Arbeitsmannes und seine sozial-ökonomische Stellung gleichbedeutend mit seinem „politischen Stand“, den die K-Gruppen stets verteidigen mussten. (86)
Die „Einheitsfrontkomitees“ gegen „politische Unterdrückung“ und gegen „die Ausländergesetze“, die 1972 aller Orts entstanden waren, waren, wie die meisten seinerzeit, nichts anderes als abstrakte Gruppen, bestehend aus Gleichgesinnten. Sie waren geprägt von dem aufgeklärt-bürgerlichen politischen Glauben an die Veränderung und an die Veränderbarkeit, die sich über den Kampf einstellen würde. Für das Ruhrgebiet waren hier eine Reihe von Gruppen federführend, etwa die beiden KPD/ML-Gruppen, die ML-Dortmund, die KPD und andere. Auch in diesen waren heftige Fehden geführt worden, was im nächsten ZK-Teil noch ausführlicher behandelt werden soll. Am 28. April bildete sich in Dortmund ein ersten Komitee „Kampf dem Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung“. (87) Diese Vereine mit angeblichem „demokratischem Charakter“ und angedichteter politischer Selbständigkeit waren auch bei einer zentralen Großveranstaltung der KPD zum 1. Mai am 30. April in Dortmund zugegen. Die beiden KPD/ML-Gruppen versuchten hier, die Veranstaltung umzufunktionieren, indem sie die Methoden der KPD bei den Bündnisverhandlungen der „Einheitsfront(en)“ zum 1. Mai kritisierten. Die KPD/ML-ZB bemerkte zur Veranstaltung: „Stattdessen wäre es unsere Aufgabe gewesen, die Hauptparole der Partei zum 1. Mai: Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik der AO-Parole gegenüberzustellen und zu beweisen, dass in unserer Parole die Partei korrekt die Front bestimmt, an der die Haupttrennungslinie zwischen den Kräften der Revolution und dem Lager des Reformismus verläuft. Auf diesem Hintergrund ist die AO-Parole: 'Gegen Reformismus und Revisionismus' nichts als eine Phrase. Der Grund für unsere Fehler lag hauptsächlich darin, dass wir uns nicht zusammen für diese Veranstaltung vorbereitet hatten. Eine gemeinsame intensive Vorbereitung ist für solche Anlässe unbedingt notwendig, damit wir 1. politisch offensiv auftreten und 2. der Verschleppungs- und Abwürgetaktik solcher Organisationen wie der AO den Riegel vorschieben können.“ (88)
Die Aufbruchsstimmung zum 1. Mai konnte nicht ohne die Abgrenzung vom Opportunismus verstanden werden. Für das ZB stand die KPD/ML-ZK und die KPD wohl im Vordergrund. Sie waren Überzeugungstäter und Demagogen, die in die Schranken gewiesen werden müssten. All das atmete das Klima der Zeit, die zurückgestaut wurde, in der aber auch die Neigung zur Kunstreligion überwog, politische Systeme befestigt wurden und konkrete Wirklichkeiten in besonderer Weise nicht wahrgenommen wurden. Die vom ZB in die Debatte geworfene „Hauptrennungslinie“ war gewiss kein revolutionärer Vulkan, womöglich nur das Beharren auf typischen parlamentarischen Debatten, in denen sich unterschiedliche Richtungen artikulieren und versuchen, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Der „Rote 1. Mai“, der von der KPD/ML-ZK im „Roten Morgen“ Nr. 10 vom 23. Mai als „ein großer Erfolg“ bezeichnet worden war, wo der „Opportunismus zurückgedrängt wurde“ und das ZK „bei allen Verhandlungen zum 1. Mai an der Hauptlinie der Partei - der Gewinnung der Fortschrittlichsten des Proletariats für den Kommunismus und der Herausstellung der Notwendigkeit des Parteiaufbaus und der Ziele der Partei - festgehalten“ hätte, war immer ein Ideal, das in der Bewegung fast schon religiöse Züge annahm. Vor allem die Tendenz auf eine erfüllende Zukunft, in der die Ausbeuter geschlagen werden und der Arbeitsmann obsiegt, war stets von einem Gefühl der großen Siege getragen.
Stets „große Siege“ konnte der „Rote Morgen“ dann auch zum 1. Mai vermelden: „In den Verhandlungen der örtlichen Parteiorganisationen mit anderen Organisationen und Zirkeln zeigte sich im ideologischen Kampf, wo die Trennungslinie zwischen Marxisten-Leninisten, wirklich revolutionären Kräften und solchen Kräften sich befindet, die bereits mit beiden Beinen im Lager des modernen Revisionismus stehen oder sich ihm gefährlich annähern … Aber für die Entwicklung der Partei, die innere Festigung und Stählung der Parteireihen war der 1.Mai 1972 ein Schritt vorwärts im weiteren Aufbau der KPD/ML zur starken bolschewistischen Vorhut der westdeutschen und Westberliner Arbeiterklasse. Das geschlossene Bild, der kämpferische Ausdruck und die revolutionäre Begeisterung, die auf den Veranstaltungen und Demonstrationen der Partei zum 1. Mai zum Ausdruck kamen, entlarvten die Lügen der Liquidatoren und der Führer der kleinbürgerlichen Spalterorganisationen, die Partei sei 'aufgelöst'. Die KPD/ML ist stark wie nie zuvor, sie lebt - sie hält konsequent am bolschewistischen Kurs fest - sie setzt das revolutionäre Erbe der großen deutschen Arbeiterführer, der Rosa Luxemburg, des Karl Liebknecht und des Ernst Thälmann, fort!“ (89)
Mit naiv-unreflektierter Selbstverständlichkeit referierte der „Rote Morgen“ über die Stärke der KPD/ML, die „konsequent am bolschewistischen Kurs“ festhalte. Es sticht ins Auge, dass „die innere Festigung und Stählung der Parteireihen“ zum 1. Mai sakralisiert worden war und schon fast als rauschhafte Erfahrung in der Parteipresse hochstilisiert wurde. Der erkämpfte Ruhm und die bestandenen Gefahren, die immer wieder beschworen wurden, gehörten sicherlich zum Gesamtpaket des kulturellen „Vaterlandsbewusstseins“ der KPD/ML, das in den Enkeln der Väter als Sehnsucht weiter lebte. Der Enthusiasmus und die Verbindung mit dem freiheitlichen Revolutionspathos der KPD/ML lassen sich auch in ihren Historienbildern nachweisen. Schaut man auf den „Roten Morgen“, Ausgabe 10/1972: Der Artikel über „Kambodscha“ und „Vietnam“ stellte die Denkmäler des bewaffneten Kampfes besonders heraus. Stets - und das kann sicherlich verallgemeinert werden - sah man Frauen oder Männer mit Maschinenpistolen oder Geschützen, die ihre Heimat verteidigten, Aufnahmen von Ausbildungslagern, abgeschossenen US-Jets usw. Die Tradition des revolutionären Bürgerkrieges sollte also vergegenwärtigt werden. Das ging stets mit demonstrativem Erinnern des kollektiven Erbes einher.
So auch im „Roten Morgen“ Nr. 11 vom 5. Juni 1972, der sich mit Vietnam beschäftigte und den „glänzenden Sieg“ der vietnamesischen Volksbefreiungsarmee in einen Sieg der KPD/ML verwandelte; denn „die Volksmassen sind die wahren Helden. Sie stürmen vorwärts, um für ihre Befreiung zu kämpfen“. (90)
Einen besonderen Sturm der „Befreiung“ entfachte der „Rote Morgen“ in seiner Ausgabe Nr. 12 vom 19. Juni 1972. Im Artikel „Unsere Haltung zu den Bombenanschlägen“ gab er bekannt: „Wir freuen uns über die Bombenanschläge in Heidelberg und Frankfurt; denn sie haben den US-Aggressionstruppen einen Schlag versetzt und dem Hass der Völker, auch des deutschen Volkes gegen die Verbrecher des Pentagon einen angemessenen Ausdruck verliehen … Haben wir aber etwas dagegen, wenn in einem Offizierskasino der US-Besatzer eine Bombe explodiert und ein Offizier der amerikanischen Aggressionsarmee sein Leben einbüßt? Keineswegs! Eben sowenig ist es unsere Art, darüber zu jammern, dass bei dem Bombenanschlag auf das europäische Hauptquartier der US-amerikanischen Armee in Heidelberg einfache Soldaten ihr Leben lassen mussten … Auch die Bombenanschläge zeigen, dass die Haupttendenz in unserem Land Revolution ist … Wir müssen den Putschismus und die anarchistischen Tendenzen der RAF scharf kritisieren und zurückweisen. Auf keinen Fall dürfen wir sie aber als Kriminelle diffamieren und wie die Rechtsopportunisten, im Chor, mit der Bourgeoisie gegen sie hetzen. Solange sie nicht ausgesprochen anarchistische Positionen vertreten, solange ihre Aktionen den Kampf der Arbeiterklasse nicht sabotieren, betrachten wir die Genossen der RAF als zum Volk gehörend … Gegenüber der Bourgeoisie, die sie jagt und grausam verfolgt, gegenüber dem modernen Revisionismus und dem ganzen opportunistischen Gesindel, das feige über sie herzieht, reichen wir den Genossen von der RAF die Hand.“ (91)
Hier war er dann wieder: Die Vertonung des deutschen (Gewalt-)Patriotismus, der die Bedrohung, die vom Terrorismus ausging, einfach auslagerte, ignorierte, verdrängte und ihn letztlich als einen Teil der „Aktionen der Arbeiterklasse“ verstand. Was hier passierte, war nicht leicht einzuordnen; da die damalige Linke insgesamt ein mehr als verwaschenes Verhältnis zum bundesdeutschen Terrorismus hatte. Dennoch schuf das ZK der KPD/ML mit ihren Äußerungen zur RAF ein neues Pathos der emotionalen Solidarität. Die Aufwallung dieser abstrusen politischen Ideen, die hier auftauchten, die klammheimliche Freude über Tote bei Bombenanschlägen, war jene geistige Verwilderung, die die Lösung des Widerspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital in der jähen Gewalt sah.
Die Handschlaggeste, die nichts anderes als einen Schulterschluss darstellte, stellte die Verhältnisse, unter denen die KPD/ML seit 1969 antrat, radikal auf den Kopf. Die Kommandogewalt der Gewehre, die sich hier einen Weg bahnten, war nunmehr eine faktische moralische Autorität. An dieser Stelle dürfte sie dann auch die Diktatur des Proletariats, das eigentliche ABC des Marxismus-Leninismus, durch einen voluminösen Gewaltschub ersetzt haben. Die patriotische Gesinnung des Artikels, der die Bombenanschläge als „Haupttendenz … Revolution“ feierte, lässt sich im Nachhinein nur als Zwangsjackenpolitik bezeichnen. Der grundsätzliche Konflikt, wie also Marxisten-Leninisten zum individuellen Terror stehen, schien somit für alle Zeiten ausgelagert zu sein. Er wurde ersetzt durch eine Grenztheorie, in der krude Worthülsen wie: „Freuen uns“, „Hass der Völker“, „deutsches Volk“, „angemessener Ausdruck“, nicht „unsere Art, darüber zu jammern“, „zum Volke gehörend“ usw. einen angemessenen Platz erhielten.
Wie die RAF im Juni 1972 auf den überraschenden Schachzug der KPD/ML reagierte, ist nicht bekannt. Doch sie war überraschend von der KPD/ML aufgewertet worden und schanzte ihr möglicherweise auch eine Führungsrolle in der Linken zu. Denn nur wenige Gruppen hatten das Gewaltpotenzial, wovon die KPD/ML immer träumte, bis zum Exzess vorangetrieben. Ihre militärischen Interventionen, mit denen sie im Laufe des Jahrzehnts sang- und klanglos scheitern sollten, dürften für die KPD/ML jedoch kein Hindernis gewesen sein, weiter auf den Rigorismus der ausufernden Gewaltspirale zu setzen. Indes lässt die Haltung zur RAF einen tiefen Blick auf den Zustand der KPD/ML zu. Die Gewaltaktionen der RAF, die die KPD/ML nie ablehnte und zur „Sache des Volkes“ erklärte, wurden von ihr gerne angenommen, da sie daran ging, ihre eigenen Pläne zu realisieren. So hing das Schicksal der Arbeiterklasse und des Volkes mit und von der RAF ab. Das, so ungeheuerlich es auch klingen mag, war Fakt. Die KPD/ML repräsentierte den Typus des neuen Revolutionärs, der an die internationale Solidarität des gemeinsamen Bombenlegens glaubte.
Da konnte es nicht mehr verwundern, dass das „Extrablatt“ des „Roten Morgen“, das vermutlich Ende Juni 1972 erschien, bezeichnenderweise lautete: „Die Mörder sitzen in Bonn!“ Und weiter: „Wir wissen, dass viele Menschen mit der RAF sympathisieren, dass sie den Mut, die Selbstaufopferung, die Einsatzbereitschaft dieser Revolutionäre bewundern … Wir Kommunisten der KPD/ML sagen offen: Wir sind für die gewaltsame Revolution …“ (92)
Noch einmal hatte der „Rote Morgen“ unverblümt die „revolutionären Taten“ der RAF gefeiert, noch einmal hatte er sie hoffähig gemacht und sie als „Revolutionäre“ bezeichnet. Es half ihm nicht, dass er insgesamt seine vorherige Position vom 19. Juni zu korrigieren begann. Der Trend, die RAF mit Veränderung und Fortschritt gleich zu setzen, war ungebrochen.
Die ZB-Positionen, die sich spätestens mit den Anschlägen des „Schwarzen „September“ bei der Olympiade in München (93) zur Teilhabe am Terrorismus verdichteten, wichen nur in Nuancen vom ZK ab. Es war der Kampf gegen den „Kriegspakt Bonn-Moskau“ mit dem „verstärkten Notstandskurs und dem Abbau demokratischer Rechte“, der das ZB als Träger des „wahren Bewusstseins der Massen“ dazu legitimierte, sich als gesellschaftlich-politische Macht auszugeben und den Gang der Gewalt des „Schwarzen September“ daher zu rechtfertigen. In dieser Selbstgewissheit meinte die „Rote Fahne“ Nr. 13 vom 28. Juni: „Gleichzeitig halten wir an der richtigen Erkenntnis fest, dass die prinzipienfeste Einheit der Marxisten-Leninisten am besten im Kampf gegen den Klassenfeind an der Volksrevolution geschaffen wird. Die Aktionseinheit der Marxisten-Leninisten im Kampf gegen den Bonner Staat ist das Gebot der Stunde …“ (94)
Die politische Illusion der „Volksrevolution“ war populär und weit verbreitet. Es passte ins Konzept, dass die RAF-Texte voll von diesem heuchlerischen Pathos waren und die Missverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit einfach mit der materiellen Gewalt, die entstehen müsse, um sie zu beseitigen, gleichzusetzen gedachte. Beides war nun Jacke wie Hose: Der „Rote Morgen“ bewegte sich, ohne Halt, geradewegs auf terroristische Positionen zu. Das ZB schlug den Umweg über die Aktionen des „Schwarzen September“ und seiner antiisraelischen Haltung ein. Heraus kam dabei, dass sich beide KPD/ML-Gruppen dem Terrorismus annäherten und ihn wie selbstverständlich in ihren Aktionen unterstützten.
Das zweite Halbjahr 1972 hatte es in sich. Eine Reihe von wichtigen Ereignissen, die die Geschicke der Bewegung bestimmen sollten, schoben sich in den Vordergrund. Möglicherweise waren sie auch für die Restzeit der maoistischen Gruppen von entscheidender Bedeutung; denn das Verhältnis zur Wirklichkeit wurde zusehends schwieriger. Politische Enttäuschungen mündeten in Resignation oder Unzufriedenheit, in Kritik und Opposition, in Proteste und Widerstand. Im Schatten möglicher Verbote von sog. Revolutionären Organisationen braute sich eine eigentümliche Mischung von besonderer Radikalität zusammen, die spätestens mit dem „Roten Antikriegstag“ (RAKT) vom 2. September in einen kryptopolitischen Raum überging. Mit der These: Doppelung von ideenpolitischen Spannungen vers. Radikalismus, die sich im „Roten Morgen“ und in der „Roten Fahne“ einen Weg bahnte, war das zweite Halbjahr wohl noch am ehesten zu charakterisieren.
Was waren die wesentlichen Ereignisse? Und kann davon gesprochen werden, dass die wechselvollen Schicksale in dieser Zeit die Entwurzelung und die Entfremdung der Gruppen zueinander noch größer werden ließ? Zunächst war es, allgemein betrachtet, der „Notstandskurs“, der „staatliche Terror der SPD-Regierung“, wie die KPD/ML-ZB meinte, und deren unmittelbare Folgen für die Revolutionäre Bewegung, der ab der zweiten Jahreshälfte verstärkt die Propaganda der Gruppen bestimmen sollte. Dabei fiel ins Auge, dass sie nach allen Richtungen strahlte, typisch war und bisweilen sogar zum eigentlichen Mittelpunkt wurde.
Er war zwar schon 1970 Gegenstand zahlreicher Debatten, Aktionen und Demonstrationen und sollte sich jedoch vor allem durch das Verbot der palästinensische Organisationen GUPS und GUPA vom 3. Oktober, nach Meinung der ML-Organisationen, noch einmal verschärfen. Außerdem dürfte er wohl mit zu den schroffsten politischen Wendungen dieser Zeit gehört haben. Beide KPD/ML-Gruppen verbreiteten propagandistisch ihre Losungen: „Kampf dem Notstand, der Aufrüstung und der Revanchepolitik“, wobei die KPD/ML-ZB hier mit einer eigenartigen Abwandlung aufwarten konnte: Die Vorbereitungen des „Kriegs gegen die DDR“ sei das eigentliche Kernstück der Revanche. Keine K-Gruppe hatte sich so weit vorgewagt und diese Theorie zu einer gesamtdeutschen Frage, die durch die Revolution in beiden deutschen Staaten gelöst werden müsse, gemacht. Erst mit der Auflösung des ZB wurde bekannt, dass diese Wendung den Bau der Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“ verteidigte und damit die DDR als „sozialistischen Staat“.
Das zweite große Ereignis war der „Rote Antikriegstag“ (RAKT) am 2. September in der Münchener Innenstadt. Vielleicht war diese Aktion der Fehlschuss der maoistischen Gruppen 1972 überhaupt? Erstmals kam es zu einer groß angelegten chaotisch-putschistischen Aktion, in deren Verlauf die „Bannmeile durchbrochen wurde“, so die offizielle Lesart der „Roten Fahne“ und des „Roten Morgen“. Auch der RAKT spiegelte die Selbstgewissheit wider, im Kampf gegen den „Notstandskurs“ auf das richtige Pferd zu setzen, auf die Arbeiterklasse und deren Verbündete in Stadt und Land. Dass diese diesen Aktionen fern blieben - darüber machte man sich wenig Gedanken; denn man handelte ja als Vortrupp für sie. Gerade München (1) sollte sich für die maoistischen Gruppen als Debakel erweisen. Der Aufhänger, am Antikriegstag zur Zeit der olympischen Sommerspiele zu demonstrieren, erwies sich als fatal. Eine Reihe von Ereignissen, nicht zuletzt die Geiselnahme durch palästinensische Freischärler, einer Splittergruppe mit dem Namen „Schwarzer September“, die eine Reihe von israelischen Sportlern in ihre Gewalt brachte, löste Entsetzen aus. Das sich anschließende „Massaker“ von Fürstenfeldbruck wäre „ohne die Ostverträge“ nicht möglich gewesen, meinte die „Extrablatt-Erklärung des Zentralbüros der KPD/ML: Nieder mit der Kumpanei zwischen dem westdeutschen Revanchismus und dem israelischen Imperialismus“ vom 6. September. (2)
München wurde zu einer Bühne der Selbstinszenierung, zu einer naiven, gewalttätigen Show, die nach genau festgelegten Richtlinien ablief. Der „Sturm auf die Bannmeile“, durch die sich KPD/ML-ZK und KPD/ML-ZB „hindurch kämpften“, war in völliger Unkenntnis der Realitäten gestartet worden. Tatsächlich ging man von der Prämisse aus, dass der „Notstandskurs“ die reaktionäre Politik der SPD weiter aushöhlen und sich damit der „Klassenkampf“ verschärfen würde. Das Fanal der Münchener Ereignisse sollte genau das Gegenteil hervorbringen. Dem „absoluten Proletariat“ (Marx) konnten diese Ereignisse nicht verkauft werden. So löste das genannte Flugblatt des Zentralbüros nicht nur eine heillose Verwirrung in den eigenen Reihen aus, es stieß auch bei den Verteilaktionen vor den Betrieben auf breite Ablehnung. Das auserwählte Publikum konnte nicht zu einem Standpunkt bekehrt werden, der den politischen Glaubenssatz anerkannte, wonach mit historischer Gesetzmäßigkeit und unausweichlich die Unterdrückung des Proletariats und der Revolutionäre durch die Bourgeoisie zur Revolution führen werde.
Das dritte wichtige Ereignis war die sog. „Ausländerdemonstration“ oder der „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze und die politische Unterdrückung“, jene Demonstration vom 8. Oktober 1972 in Dortmund, die eingebunden in den „Notstandskurs“ war und die den unversöhnlichen Konflikt mit der Bourgeoisie und deren SPD-Regierung zum allumfassenden Leitmotiv machte. Das Charakteristikum dieser Aktion war u. a., dass sie zum Rauschhaften aufgipfelte, zum Theatralischen und zum Effektvollen. Die übermächtige Dramatik, die der Demonstration zugrunde lag, vermittelte eher den Eindruck, dass es um eine Machtdemonstration der Linken überhaupt ging. Bereits im Vorfeld der Aktion kam es zu einer Reihe von ideologischen Auseinandersetzungen unter den beteiligten Gruppen, die zum einen erkennen ließen, dass es mit einer umfassenden Solidarität nicht weit her war, und zum anderen das eigentliche Anliegen unterminierte. Dabei taten sich die beiden KPD/ML-Gruppen, aber auch u. a. die ML-Dortmund besonders hervor. In den Aktionskreisen befehdeten sie sich heftig und ließen nicht erkennen, dass sie trotz aller Differenzen gewillt waren, über ihren eigenen Schatten zu springen. Die Folge davon war die eigene Blockbildung der Gruppen auf der Demonstration mit unterschiedlichen Parolen, Aktions- und Propagandalosungen.
Am 1. Juli beteiligten sich in Berlin, nach einem Bericht der KPD/ML-ZB, ca. „600 Personen an einer Demonstration gegen den Notstandskurs“. KPD/ML-ZK und KPD lehnten, trotz eines Bündnisangebotes, die Teilnahme ab. Interessant war, nach Auskunft der KPD/ML-ZB, dass das ZK erklärt hatte, dass ihre Kampagne „Es lebe der Kommunismus“ eindeutigen Vorrang hätte, während die KPD eine eigene Demonstration favorisierte. (3) Eine gemeinsame „Kampffront“ oder „Einheitsfrontdemonstrationen“ gegen den „Bonner Notstandskurs“ waren somit vom Tisch. Das sollte kein Einzelfall bleiben. Von der großen Ausländerdemonstration in Dortmund einmal abgesehen, dürften die Aktionen der beiden KPD/ML-Gruppen getrennt voneinander durchgeführt worden sein. Womöglich waren die alten Spannungen, die seit der Spaltung der KPD/ML vom Frühjahr 1970 weiter schwelten, das eigentliche Hindernis für ein gemeinsames Vorgehen.
Nun waren es tatsächlich einige Ereignisse, die zu dieser Zeit für Aufsehen (selbst in der bürgerlichen Presse) sorgten. Der am 25. Juni unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommene Schotte McLeod, der verdächtigt worden war, ein Kontaktmann der RAF gewesen zu sein, hatte für die KPD/ML und andere Gruppen so etwas wie eine Signalwirkung. Seine „Ermordung“ stand in einer Reihe mit dem Tod von Petra Schelm (15. Juli 1971), Georg von Rauch (4. Dezember 1971) und Thomas Weißbecker (2. März 1972). Es waren nicht nur diese Tode, die als Beleg für die Jagd des Staates gegen Demokraten, Sozialisten und Kommunisten (an-)genommen wurden, sondern man betrachtete sie auch als einen Vorwand für Haus- und Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Verhaftungen und Verfolgungen, denen man sich ausgesetzt sah. Zudem waren es die „fünf Gesetze zur inneren Sicherheit“, die am 22. Juni „auf Initiative der SPD-Regierung“ den Bundestag passierten und die als Beleg für den „Bonner Notstandskurs“ (an-)genommen wurden. (4)
Diese heraufziehenden Konflikte, die der „Rote Morgen“ mit „Bonn probt den Bürgerkrieg“ (5) bezeichnete, sollten für den Rest des Jahres politisch bestimmend sein.
Der erste Höhepunkt des Kampfes gegen den „Bonner Geist“ fand am 8. Juli in Frankfurt/M. statt. Dort rief das „Aktionskomitee Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz“ zu einer Demonstration auf. Das Komitee soll von 44 Organisationen, laut „Rote Fahne“, unterstützt worden sein. (6) Es war fast schon Standard zu dieser Zeit, dass eine Reihe von Gruppen Mitunterzeichner von Kommuniqués, Flugblättern usw. war. Ob sie immer das jeweilige politische Anliegen der Hauptinitiatoren unterstützten, dürfte mehr als fraglich gewesen sein. Befreundete Organisationen, die sog. Bruderparteien, waren stets darum bemüht, sich selbst bekannt zu machen. Daher sind die Hinweise auf unterstützende Gruppen eher mit Vorsicht zu genießen. Ausländische ML-Organisationen, die in der BRD aktiv waren, standen zudem unter starker Kontrolle der Staatsschutzbehörden und schickten auch nur Vertreter unterer politischer Parteiränge als Beobachter zu diversen Aktionen. Aber es hatte eine große Wirkung, wenn als Mitunterzeichner gleich eine Reihe von Gruppen aufgeführt wurde.
Der Kampf „Gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ war in dieser Form vom ZB im „Bolschewik“ vom November 1970 (7) begründet worden. Dort wurde er zu einem Teil der „sozialfaschistischen Verwaltung der Arbeiterklasse“. Der eigentliche Angriffspunkt des ZB war dabei die Sozialdemokratie, die mit den Kapitalisten gemeinsam den „Ritt nach Osten“ vorbereiten würde. Es war charakteristisch, dass dieser ideologisch-politische Kurs seit dieser Zeit ständig im „KND“ und anderen Organen neue Facetten erfuhr. „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ waren somit zu einem sog. revolutionären Faktor geworden, der die Wirkung eines Katalysators hatte. Künftig sollte keine Propagandaschrift des Zentralbüros ohne diese Programmatik auskommen. Während die KPD/ML-ZK ab dem 1. Juli ihre Veranstaltungsreihe „Es lebe der Kommunismus“ in vielen deutschen Städten startete (8), wurde im ZB die Kampagne gegen den „Notstandskurs“ zum Symbol des Kampfes gegen die Sozialdemokratie überhaupt.
Die „Rote Fahne“ Nr. 14 vom 10. Juli 1972 berichtete von einer zurückliegenden Aktionswoche gegen „Notstandskurs und Militarisierung“, die in der Woche vom 19. Juni bis 24. Juni stattgefunden hatte. Dort wurde der vom ZB hochstilisierte Konflikt so beschrieben: „Nachdem durch die Ostverträge die Bonner Herren ihren Revanchezielen ein erhebliches Stück näher gekommen waren, versuchten sie jetzt, die Instrumente zu schmieden, die sie zur Niederhaltung des Volkes, zur Herstellung der 'Ruhe an der Heimatfront' benötigen: Polizeiterror, Arbeitsdienst und Streikverbot. Aus Angst vor dem Widerstand der Volksmassen haben sich die Bonner Notstandsparteien eng zusammen geschlossen … Eine besonders schädliche Rolle spielten die DKP-Führer. Sie, die so groß von der 'aktiven Verteidigung der demokratischen Rechte' reden, haben nichts getan, um die Massen umfassend aufzuklären über die neuen Notstandsgesetze und über die Verrätereien der Sozialdemokratie. Sie haben keine einzige Massenaktion gegen den Bonner Notstandskurs durchgeführt ...
Es ist also das erste politische Ergebnis der Kampfwoche gegen den Bonner Notstandskurs: Das Bonner Notstandskomplott - die Führer der CDU und FDP, der SPD und DKP - ist näher zusammengerückt, sie haben gemeinsam den Notstandskurs gegen die Massen des Volkes in verschiedenen Formen verteidigt und durchgepeitscht ... Zugleich aber gab es eine starke Volksbewegung gegen die Polizeistaatsmethoden: Nach den Polizeiüberfällen wurden Protestdemonstrationen z.B. in Bochum und Stuttgart durchgeführt, an denen sich spontan viele Arbeiter und Werktätige, Jugendliche und Studenten beteiligten. Überall, wo KPD/ML und KJVD die Massen über den Inhalt der neuen Notstandsmaßnahmen aufklärten, herrschte eine große Empörung über den neuen Verrat der Sozialdemokratie, wurden zahlreiche Fragen gestellt, wie der Sozialismus errichtet werden soll, damit er nicht entartet, sondern zu einer wirklichen Demokratie für die Werktätigen wird.
Eine breite Mobilisierung der Massen gegen die neuen Notstandsgesetze konnte noch nicht erreicht werden, weil die Zeit zur umfassenden Aufklärung zu kurz war, die KPD/ML bisher den demokratischen Kampf noch nicht kontinuierlich führte und der Kampf gegen die Gesetze noch wenig mit konkreten Kampfaufgaben verbunden war. In Bochum wurde im Kampf gegen das Berufsverbot eine klare Kampfaufgabe gestellt: Kampf für die Wiedereinstellung des Lehrers O. (Norbert Osswald, d. Vf.) und hier wurde der Kampf erfolgreich unter der Führung der Arbeiterjugend geführt. Genauso entfaltete sich der demokratische Kampf gegen Polizeieinsatz, staatliches Streikverbot und Bruch der Gewerkschaftsdemokratie, besonders schwungvoll auf der Grundlage starker wirtschaftlicher Kämpfe und Bewegungen, die in den letzten Wochen besonders bei Hanomag, an der Wasserkante und im Ruhrbergbau einen großen Aufschwung erlebten. Das ist das zweite Ergebnis der Kampfwoche: Unter den Volksmassen ist die Bereitschaft gewachsen, den demokratischen Kampf aktiv gegen die Maßnahmen der SPD-Regierung zu führen. Die Arbeiterklasse und besonders die Arbeiterjugend erweist sich als die stärkste Waffe im demokratischen Kampf ...
Wer kann diesen Kampf führen, wer kann ihm die richtige politische Richtung geben und den Bonner Notstandskurs durchkreuzen ... ? Die Arbeiterklasse und alle Teile des werktätigen Volkes müssen im demokratischen Kampf zusammengefasst werden. Die Marxisten-Leninisten müssen diesen demokratischen Kampf führen, um den Bonner Notstandsstaat zu schwächen und zu zersetzen ... Nur durch die enge Verbindung des demokratischen und des sozialistischen Kampfes kann die strategische Aufgabe 'Entwaffnung der Bourgeoisie, Bewaffnung der Arbeiterklasse' angepackt werden. Nur auf diese Weise kann die sozialistische Revolution in Westdeutschland und Westberlin heranreifen.
Das ist ein drittes Ergebnis der Aktionswoche gegen den Bonner Notstandskurs. Die meisten marxistisch-leninistischen Organisationen haben in dieser Frage einen falschen, einen Sektiererstandpunkt eingenommen. Für sie ist der demokratische Kampf nur ein 'Abwehrkampf' oder gar ein 'Almosen', sie sehen nicht, dass der demokratische Kampf notwendig ist zur Vorbereitung der Revolution, dass wir ohne diesen Kampf nicht die Mehrheit des Volkes zusammenschließen können. Das Zentralbüro der KPD/ML hat an die Führungen der Gruppe Roter Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.), des KAB (KAB/ML, d. Vf.) und der KPD/AO Briefe gerichtet und ihnen den Aufruf zur Aktionswoche geschickt. Keine einzige Organisation hielt es überhaupt für nötig, zu antworten.
Während also große Teile der westdeutschen Marxisten-Leninisten sich hartnäckig weigerten, diesen Kampf richtig zu führen, haben sich die ausländischen Marxisten-Leninisten als eine besonders feste und revolutionäre Kraft erwiesen, die aktiv den Kampf führte und solidarisch bestimmte Fehler unserer Organisation kritisierte ... Unsere vierte Lehre der Aktionswoche ist daher: Die Einheit der Marxisten-Leninisten im Massenkampf kann nur vorankommen, wenn wir dem Sektierertum in der marxistisch-leninistischen Bewegung eine entschiedene Absage erteilen. Das sind die ersten politischen Lehren aus der Aktionswoche gegen den Bonner Notstandskurs. Sie ergänzen die Lehren, die unsere Partei aus den Aprilstreiks und dem 1. Mai gezogen hat. Sie zeigen, dass die Schmiedung der Einheitsfront gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik tatsächlich eine zentrale Aufgabe darstellt …
Was können wir tun? Wo führt das hin? Was wollt ihr denn machen? ... Unter Führung der Beteiligten der KPD/ML und des KJVD sind eine Vielzahl von Aktionen gegen Notstandskurs und Militarisierung durchgeführt worden: Demonstrationen in Westberlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Bochum, Bonn, Rüsselsheim, Mannheim, Stuttgart, Freiburg, Konstanz, München; Kundgebungen und Versammlungen an vielen Orten, Aktionen im wirtschaftlichen Kampf an der Wasserkante und im Ruhrbergbau. Es wurden Aktionseinheiten mit marxistisch-leninistischen, revolutionären und demokratischen Kräften geschmiedet, an einigen Orten wurde die proletarische Einheitsfront gestärkt. Genau aber diese Erfahrungen sind das feste Fundament, auf dem wir unsere Politik gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik jetzt aktiv fortsetzen werden.“ (9)
Der „Notstandskurs“ gegen die Massen war, nach Auffassung des ZB, allumfassend. Er richtete sich nachdrücklich gegen die Arbeiterklasse und ihre Führung, die KPD/ML. Das war eine besondere Attraktion, die dem ZB Zugang zur erhofften Wende, sich in den „Massen zu verankern“, verschaffen sollte. In diesem Zusammenhang wagte das ZB einen großen Clou. Der Leitartikel der „Roten Fahne“ Nr. 14 lautete:
„Neuwahlen. Notstand und Revanche oder Sozialismus und Frieden!
Vor zwei Wochen haben Brandt und Scheel bekanntgegeben, dass im November Neuwahlen stattfinden sollen. Brandt bietet Verhandlungen über Neuwahlen an. Die Ankündigung von Neuwahlen soll jetzt das Ansehen von Staat und Parlament retten, deren Machenschaften offenbar geworden sind. Die Ankündigung der Neuwahlen soll vertuschen, wie einig sich CDU und SPD bei der Verabschiedung der Ostverträge sind, dem eingeschlagenen Kurs der Wiedergewinnung der 'Ostgebiete' und der Einverleibung der DDR ... Zwischen dem 9. und 25. Mai explodierten wie auf Bestellung eine Anzahl von Bomben. Sie sollen die Öffentlichkeit auf die Verfolgung und Zerschlagung der marxistisch-leninistischen Organisationen, der KPD/ML und der demokratischen Opposition vorbereiten.
Bundesweit wird ein riesiger Verfolgungsapparat eingesetzt, der angeblich Jagd auf Baader-Meinhof macht. Was währenddessen hinter den Kulissen verhandelt wird, dringt kaum nach außen. Lediglich die Abstimmung über die Ostverträge rückt für kurze Zeit ins Blickfeld. Und wieder wird von Neuwahlen gesprochen, um die für jeden erkennbare 'Allparteienregierung' als ein Übel und das 'Patt' als eine Situation hinzustellen, die niemand will ... Die Zeit zwischen der Einigung über die gemeinsame Erklärung und der Verhaftung der letzten Baader-Meinhof-Mitglieder haben Sozialdemokratie und Unionsparteien benötigt, um sich über das Programm der 'inneren Sicherheit' und die neuen Notstandsgesetze einig zu werden ... Halten wir fest: Schlagartig, nachdem die westdeutsche Politik der Revanche durch die Entschließung zu den Ostverträgen bekräftigt ist, setzt die herrschende Klasse die Verschärfung der Notstandspolitik auf die Tagesordnung - zur Unterdrückung jener Kraft, die die Arbeiterklasse in den Aprilstreiks gezeigt hat ... Der 25. Juni aber ist der Endpunkt des Geredes von den Neuwahlen:
Nach der Festlegung der Außenpolitik ist man sich einig geworden, diesen Staat des Großkapitals nach innen zu sichern, das Programm der 'Inneren Sicherheit' ist durchgesetzt. Damit liegt das politische Programm der herrschenden Klasse auf dem Tisch, der Weg zu Neuwahlen ist frei: Notstand und Revanchepolitik - das ist das Wahlprogramm der Bonner Parteien ... Die vorzeitige Auflösung des Bundestages und die Neuwahlen - das ist ein Zeichen für die Schwäche der Bonner Notstandsparteien, die jetzt versuchen, die Massen wieder an das Parlament zu fesseln. Aber die Programme dieser Parteien widersprechen den Wünschen des Volkes, es sind Notstands- und Revancheprogramme ... Die KPD/ML wird darum die Massen im Wahlkampf nicht ohne Führung lassen, sondern sich aktiv am Wahlkampf beteiligen, mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen und überall ihr Programm verbreiten. Dieser vorgezogene Wahlkampf wird ein Kampf sein, um die Massen den Klauen der sozialdemokratischen Illusionen zu entreißen. In einer offenen Diskussion werden KPD/ML und KJVD prüfen, welche Mittel dabei dem Kampf der Arbeiterklasse am besten dienen: der Wahlboykott oder die Aufstellung eigener Kandidaten als Partei oder als Wahlbündnis ... Diesem System muss ein Ende bereitet werden, es muss gestürzt werden! Der Sozialismus - die Freiheit und Demokratie der Massen der Werktätigen und ihre Diktatur über die gestürzten Schmarotzer - das muss die Perspektive der Arbeiterklasse und des Volkes sein. Sie steht der Perspektive der Brandt und Strauß direkt entgegen. Die Neuwahlen müssen eine Zeit der Abrechnung mit der 'Demokratie' Brandts werden, die auch die 'Demokratie' der Barzel, Strauß und Genscher ist - die Diktatur der Geldsäcke. Vorwärts im Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik! Für Sozialismus und Frieden!“ (10)
Der Leitartikel war erstaunlich. Er setzte die angekündigten Neuwahlen mit jener „SS-Notstandsgesetzgebung“ (Politik der Revanche) gleich, die das ontologische Wesen des Dritten Reiches tragen würde. Die Verbindungslinien, die das ZB hierzu strickte, ließen erkennen, dass die Tollheit tatsächlich keine Grenzen kannte. Erstmalig erklärte sich das ZB zur „Baader-Meinhof“ Gruppe, die in diesem Zusammenhang den „riesigen Verfolgungsapparat“ des Staates zu spüren bekäme. Die Programme der „inneren Sicherheit“ würden nun auch auf sie angewandt. Jene „Notstandspolitik“ sei es, die in den Neuwahlen eine Abrechnung erfahren müsse. Daher: „Die KPD/ML wird darum die Massen im Wahlkampf nicht ohne Führung lassen, sondern sich aktiv am Wahlkampf beteiligen, mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen und überall ihr Programm verbreiten.“ (11)
Der Slogan, der als Allheilmittel wirken sollte und mit einer praktischen Resonanz rein gar nichts zu tun hatte, blieb dauerhaft nur eine These von vielen. In den Debatten zu den Neuwahlen und der Rolle der KPD/ML wurde deutlich, dass die Ideen des ZB weder originell oder oppositionell waren. Die ins Auge gefasste Möglichkeit, eigene Kandidaten zu den Wahlen aufzustellen, war abstrus. Die Idee wurde auch schnell wieder fallen gelassen. Stattdessen wurde wieder und wieder die alter Leier bemüht: „Mit den Verrätereien der SPD-Regierung abrechnen!“
Während die Debatten im ZB immer deutlicher auf eine Nichtbeteiligung an den Neuwahlen hinausliefen und der „Notstandskurs“ zum politischen Modell wurde, zog der „Rote Morgen“ nach den tödlichen Schüssen auf McLeod eine erste Bilanz: „Es gehe nun vielmehr um die systematische Heranbildung einer faschistischen Terrorgruppe, es geht darum, dass der offene faschistische Mord praktiziert wird.“ (12)
Die Notstandsdebatte, die das ZK führte, wurde u. a. vulgarisierend aus den Methoden des Staates gegenüber der RAF hergeleitet. Nach dem „Roten Morgen“ lief das alles auf eine „totale Zentralisierung der Polizei“ hinaus. Damit sei ein „wichtiger Schritt zum Notstandsstaat“ gemacht. (13) Die BRD befand sich somit „im Vorfeld des Notstands“, den auch die Arbeiterklasse unmittelbar spüren würde. Auch für das ZK galt nun: „Unsere Aufgabe als bewusster und organisierter Vortrupp des Proletariats ist es, die Massen zum Kampf gegen die Vorbereitung der Notstandsdiktatur zu mobilisieren und diesen Kampf auf den Kampf gegen die Wurzel der faschistischen Gefahr auszurichten, auf den Kampf gegen das monopolkapitalistische System und für die sozialistische Revolution.“ (14)
Im Grunde war dieser historische Rückgriff die Bedingung und der Antrieb für marxistische Politik überhaupt. Je mehr sich nach Auffassung der KPD/ML ein latenter Faschismus breit machen würde, umso deutlicher würden auch Maßnahmen des Staates im Hinblick auf eine „Notstandsdiktatur“ greifen. Mit dieser Ansicht wurde das politische Handeln der KPD/ML begründet. Anders gewendet: Die Kampagne gegen den Notstandskurs war zur kollektiven Identität geworden. Dazu benötigte man die Geschichte der KPD, der Komintern und deren Traditionen. So begründeten beide KPD/ML-Gruppen ihre eigentlichen Ziele in diesem Kampf: Der Rückblick auf die Geschichte in Form einer Geschichtsphilosophie.
Das Gesamtphänomen „Notstandskurs“ wurde nun auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen. Er sollte gewissermaßen der Schlüssel zur Erschließung der Vergangenheit werden; denn die Sozialdemokratie würde ihre Totalität seit der Weimarer Republik unvermindert fortsetzen. Die Vergangenheitsinterpretation wurde mit ihrer Entwicklung in der Gegenwart gleichgesetzt.
In der „Roten Fahne“, Nr. 15 vom 24. Juli 1972, erklärte sich das ZB zur Wirtschafts- und Finanzpolitik des Bonner Staates: „Schiller geht - Ausplünderung der Massen bleibt. Die SPD wird an ihrem reaktionären Kurs zerbrechen …
Der Rücktritt Schillers erweist sich in der Tat als 'künstlich herbeigeführte Konfrontation' ... Schiller wird regelrecht zum Rücktritt gezwungen ... Der Abschuss Schillers soll Vorteile im Wahlkampf bringen. Und Schiller ist nicht irgendein Minister, sondern Minister für Wirtschaft und Finanzen. Das ist des Pudels Kern. Die wirtschaftliche Lage in Westdeutschland entwickelt sich zunehmend kritisch. Die offene Krise wird nur durch die ungeheuer angeheizte Rüstung hinausgezögert ... Der Staat ist mit 161 Milliarden DM (1972) hoch verschuldet. In fast regelmäßigen Abständen werden Preissteigerungen und Steuererhöhungen bekanntgegeben. Die Lebenshaltungskosten wachsen, während die Löhne durch das Lohndiktat der SPD-Regierung niedergehalten werden und die Ausbeutung verschärft wird. Zechen und Betriebe der Zivilproduktion werden dichtgemacht, tausende Entlassungen stehen bevor.
Der Widerstand - offen oder noch stumm - ist da: Gegen Lohndiktat, Preistreiberei und Steuererhöhungen, gegen die Ausplünderung der Werktätigen im Interesse der Monopole, im Interesse von Rüstungsprofiten, von Kriegs- und Notstandsvorbereitungen. Und diese Unruhe und dieser Druck der werktätigen Massen ist es, der den Zwiespalt in die SPD-Spitze trägt, der die sozialdemokratische Regierung zwingt, Schiller zu 'opfern'. Denn in den Augen der Massen hat die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik abgewirtschaftet, wie auch der gesamte sozialdemokratische Regierungskurs im Interesse der Monopolherren immer besser durchschaut wird ...
Die Krise der Sozialdemokratie ist die Krise des westdeutschen Imperialismus und des Bonner Staates. In dem Maße, wie die sozialdemokratischen Führer versuchen, die Lasten der Krise und der Kriegsvorbereitungen auf die Schultern der Massen und der werktätigen Massen zu legen, in dem Maße, wie die SPD-Regierung durch ihre reaktionäre Politik die Rechte des Volkes berauben will, wächst bei vielen einfachen SPD-Mitgliedern die Ungeduld. Kommunisten und ehrliche Sozialdemokraten müssen in einer Front gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik kämpfen. Im Kampf gegen den Ausschlussterror, gegen die neuen Notstandsgesetze, gegen Mobilmachungsübung und gegen Lohndiktat müssen Kommunisten und ehrliche Sozialdemokraten vereint kämpfen.“ (15)
„Krise und Kriegsvorbereitungen“ waren die beiden Schlagworte, die die „reaktionäre Politik“ der Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert zu bestimmen schienen. Der „Notstandskurs“, der nun auf den Alltag der werktätigen Massen zurückwirke, sei, wie das „Lohndiktat“, ein Teil von „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“.
Der „Rote Morgen“ nannte das „Massenmilitarisierung“, ein Volk würde nun „unter Waffen“ stehen, die Betriebe sollen „Militärzuchthäuser“ werden. Die Gesetze zur „inneren Sicherheit“ seien die „Schritte zur Verwirklichung der Notstandsverfassung“ und ein „Teil der Revanchepläne der Bourgeoisie“. (16)
So unterschiedlich die Ansätze der beiden KPD/ML-Gruppen auch waren, den „Notstandskurs“ politisch zu begründen und/oder theoretisch abzusichern, so waren sich beide doch darüber einig, dass er in „neue Eroberungskriege“ einmünden würde. (17)
Front wurde in diesem Zusammenhang auch gegen den „Abrüstungsschwindel der Supermächte“ gemacht. Im Zeitalter des Imperialismus blieben jedoch „Aufrüstung, Hetze, Terror, Bürgerkriegsvorbereitungen und Notstandsdiktatur übrig“, meinte der „Rote Morgen“ in seiner Juli-Sonderausgabe „Es lebe der Kommunismus“. (18) Auch der „KND“ Nr. 47 der KPD/ML-ZB vom 26. Juli vertrat die Auffassung, dass der Militäretat ständig steigen würde, und erinnerte daran, dass noch nie in der deutschen Geschichte seit der Beendigung des Zweiten Weltkriegs so massenhaft (nukleare) Waffen produziert worden wären, die im Falle eines Kriegs gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden würden. Auch das sei eine unmittelbare Folge des „Notstandskurses“. (19)
Man sieht hier, dass die ohnehin schwer zu definierenden politischen Ziele der Gruppen bis zur Unkenntlichkeit schwanden. Zur bloßen Rechtfertigung des „Notstandskurses“ musste die subversive Vorstellung dienen, dass eine neue deutsche Katastrophe möglich sei. Darunter subsumierten sich alle anderen Kampagnen gegen den „Notstandskurs“. Der Glaube an diese Lehre wurde zum fortdauernden Erbe der maoistischen Bewegung. Im Grunde wurde der „Notstandskurs“ so dargestellt, wie er sein könnte – aber nicht, wie er wirklich war.
Selten war zu Beginn der 1970er Jahre ein Ereignis unter direkter Beteiligung einer Vielzahl von ML-Gruppen so gepuscht worden wie der „Rote Antikriegstag“ (RAKT) in München. Er spiegelte deren vorherrschende Stimmungs- und Seelenlage wider: Das schwächste Glied der Kette des „Notstandskurses“ zu brechen und den Grundkonflikt auf der Straße zu lösen. Schon früh wurde in beiden KPD/ML-Gruppen über den RAKT debattiert. Auf Konferenzen und Veranstaltungen (etwa ab Juni/Juli 1972), in internen Rundschreiben und Broschüren war er propagandistisch vorbereitet worden. Es sollte, woran kein Zweifel bestand, eine gewalttätige Aktion werden, die in die direkte Konfrontation mit der Staatsmacht einmünden müsste. Nicht anders war der „Sturm auf die Bannmeile“ zu interpretieren.
Am 26. Juli richtete die Bundesleitung des KJVD der KPD/ML-ZB „Briefe an die Rote Garde“ der KPD/ML-ZK, an den KOV der KPD/AO, den KJV und an die RJ/ML, die Jugendorganisation des KAB/ML, sowie andere befreundete und ausländische Organisationen mit dem Ziel, „gemeinsam über die Vorbereitung des roten Antikriegstages zu beraten“. In dem Schreiben hieß es weiter: „Ein gemeinsamer Roter Antikriegstag 72 bietet die beste Möglichkeit, die Einheit im Kampf voranzutreiben. Der Bonner Staat versucht jeden antimilitaristischen Widerstand mit terroristischen Maßnahmen zu unterdrücken, der gemeinsame Kampf der Marxisten-Leninisten stellt eine entscheidende Schwächung des Bonner Staates dar.“ (20)
Der Versuch, ein breites Bündnis zu erzielen, stand unzweifelhaft im Mittelpunkt, wobei der Verweis auf „die Einheit im Kampf“ wieder einmal alle Widersprüche zwischen den Gruppen ausklammerte und der „antimilitaristische Widerstand“ mit dem Rückgriff auf die Geschichte zur politischen Legitimation wurde. Parallel dazu war die Bundesleitung des KJVD darum bemüht, die bisherigen politischen Ergebnisse der „Notstandskampagne“ des ZB hier knapp zu umreißen. Verhandlungen über eine gemeinsame Strategie zum RAKT hatte es nur zwischen KPD/ML-ZK und KPD/ML-ZB bzw. Roter Garde und KJVD gegeben, wie das ZB in der „Roten Fahne“, Nr. 17 vom 21. August, selbst erklärte. (21)
Der KJVD gab Anfang August ein zweites Extrablatt seiner Zeitung „Der Kampf der Arbeiterjugend“ heraus. Es diente ausschließlich zur Mobilisierung für den RAKT. Der KJVD rief dazu auf: „… am 2. September, am Roten Antikriegstag 1972, in München gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg, gegen die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht und gegen das KPD-Verbot zu demonstrieren.“ (22)
Die Begründung, in München demonstrieren zu wollen, war an den Haaren herbeigezogen. Das Gesetz zur „Erhaltung des olympischen Friedens“ (gemeint war ein „Demonstrationsverbot“, das eine Bannmeile in der Münchener Innenstadt: Neuhauserstraße/Karlstor/Färbergraben/Marienplatz/Kaufingerstraße -„Stachus“ umspannte) war eines von vielen vorgeschobenen Begründungen, die die Mär nährte, dass es den ML-Gruppen verunmöglicht werden sollte, dort für ihre Ziele zu demonstrieren. Da beide KPD/ML-Gruppen in ihrer Presse schon früh den „Sturm“ auf diese vom Staat gezogene Linie angekündigt hatten, bereitete sich dieser auf deren Ansturm vor. In der Presse der Linken wurde dieses Verbot dann in den Zusammenhang mit einer allgemeinen Hetze gegen sie und den „Notstandsvorbereitungen“ gestellt. Es fiel weiter auf, dass die „Notstandskampagne“ am 2. September offenbar auf einen Höhepunkt zusteuerte, der das bisher Erreichte absichern und sie in besonderer Weise aktualisieren sollte. München schien zum unwiderstehlichen Erdbeben zu werden, zu einem Geschöpf der brachialen Gewalt. Das war die eigentliche Tragik dieser Ereignisse, die sich ab dem 2. September auch kontinuierlich zuspitzen sollten und mit dem Überfall des „Schwarzen September“ auf israelische Sportler in einen perfiden Antizionismus überging.
In der Nr. 7 von „Kampf der Arbeiterjugend“ hatte der KJVD wie die Rote Garde der KPD/ML-ZK in besonderer Weise München als einen „Antimilitarismustag“ bezeichnet. Hier würde sich die „proletarisch-internationalistische Solidarität mit verschiedenen ausländischen, befreundeten Organisationen vertiefen“, die schließlich in eine „gemeinsame Kampffront gegen den völkerfeindlichen westdeutschen Revanchismus“ übergehe. Der „KDAJ“ bekräftigte, dass das Erbe des KJVD der KPD darin bestehe: „… niemals zuzulassen, dass vom westdeutschen Boden ein neuer imperialistischer Krieg ausgeht …“. Der RAKT sei daher „ein gemeinsamer Kampftag gegen Aufrüstung und Kriegspolitik“.
Das Org.-Büro des KJVD meinte: „Dieser Antikriegstag in München muss eine Kampfansage gegen diesen Kriegstreiber- und Notstandsstaat sein! Kommt mit dem KJVD am 2. September nach München unter den Parolen: Jugend gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg - für Sozialismus und Frieden …“ (23)
Die „Kampfansage“, mit der das Org.-Büro vollmundig auftrat, sollte sich als aussichtsloser Putschismus erweisen. Sie war nur eine von vielen politischen Ideen, die dem Ruf der Vergangenheit folgte, in der Gegenwart überdauerte und in einem eng begrenzten und künstlich geschaffenen Raum (München) zur Anwendung kommen sollte. Die Parole der Provisorischen Bundesleitung des KJVD, die Anfang August ausgegeben worden war („Straße frei zum roten Antikriegstag“), war weitgehend von der Roten Garde der KPD/ML-ZK unterstützt und übernommen worden. In verschiedenen Organen, vor allem aber über den „Roten Morgen“, propagierte auch sie die Losung „Jugend gegen Aufrüstung und imperialistischen Krieg“. (24) Allerdings ging sie nicht soweit wie der KJVD, der meinte: „Die SPD-Regierung hat in den letzten Jahren unter dem Deckmantel des Friedens und der Entspannung durch Verträge und Abkommen den militärischen Einmarsch in die DDR vorbereitet.“ (25) Durch „Dienstpflicht“ und „Arbeitsdienst“ will sie eine „Millionenarmee schaffen, die sie für ihre Revanchefeldzüge braucht …“ (26)
Die Formulierungen waren doch sehr irritierend und hatten viel von einem Bedrohtheitsnationalismus, einer Bedrohung, die sich vermeintlich anbahnte und durch „Verträge und Abkommen“ durchzusetzen begann. Unweigerlich, so der Tenor, war der „militärische Einmarsch“ nur noch eine Frage der Zeit. Die Sprachkunst, mit der der KJVD seine Fäden zu spinnen begann, war kaum von realpolitischen Erwägungen durchdrungen. Daher waren Schlagworte wie „Arbeitsdienst“ und „Dienstpflicht“ nur auf Konfrontation angelegt. Ob das Gesamtgefüge der Propaganda so einen mobilisierenden Charakter für München hatte, ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich eher nicht; denn es war wohl nur der blinde Aktionismus, der vorwärtstrieb. Dabei spielten die Hinweise auf die Erneuerung möglicher Gewalttaten des Staates, wie sie in der Broschüre „Straße frei zum roten Antikriegstag“ propagandistisch ausgeschlachtet worden waren, eine nicht unerhebliche Rolle.
Das im August erschienene „Extrablatt“ des „Roten Morgen“ zur Olympiade („Olympia 1972 - wessen Spiele? Aufruf des Zentralkomitees der KPD/ML zur Olympiade1972“) rief dazu auf, die „Provokation der sogenannten Friedensolympiade nicht unbeantwortet zu lassen und 33 Jahre nach dem Einfall des Hitler-Faschismus in Polen, am 2. September, dem Roten Antikriegstag in München und Kiel gegen den imperialistischen Krieg zu demonstrieren.“ (27)
Das „Extrablatt“ mit der unverwechselbaren Formulierung, „die Provokation nicht unbeantwortet zu lassen“, ließ mit seiner rhetorisch-radikalen Wendung klar erkennen, dass es auf den großen Konflikt abzielte. Das war der Kern der Sache. Der emphatische Glaube daran, dem Staat nur die Rolle eines Kartenhauses, das bei dem geringsten Windstoß umfiel, zuzubilligen, sollte sich als ziemlich verwegen herausstellen. Aber das war es nicht alleine. Die Ziele der KPD/ML-ZK in München sollten kompromisslos durchgesetzt werden. Damit hatte sie freilich ihren Handlungsspielraum weit überschätzt; denn die Kraftmeierei jener Tage zeigte nur ihren utopischen Illusionismus.
Daran schlossen sich ZB und der KJVD lückenlos an. Innerorganisatorisch verbreitet, erschien am 3. August, vom LSEK NRW der KPD/ML-ZB herausgegeben, der „Taktische und organisatorische Plan zum Antikriegstag“. Das Papier setzte auf den Glauben daran, der Staatsmacht Schläge versetzen zu können. Es gipfelte in einer Beschreibung der doppelten Frontstellung. Zunächst sollte am Karlstor die „Bannmeile“, die von einem Polizeiaufgebot geschützt werde, unter der Zuhilfenahme von Schlagwerkzeugen (Knüppel, Schilder, Fahnenstangen und Helmen) überrannt, dann sollte die Polizei vom Ort des Geschehens durch kleinere Gruppen massiv getrennt werden, damit schließlich die Redner der KPD/ML, unter dem Beifall der Massen, ihre Agitationsreden halten konnten. Das Papier ging tatsächlich davon aus, dass es den Agitatoren gelingen könnte, Massen mobilisierend zu wirken. (28)
Für etliche Spannungen war somit im Vorfeld gesorgt. Die Olympiade galt als die Gunst der Stunde - für die Agitation und ihre praktische Durchsetzung. Selbst der KABD titelte in seiner „Roten Fahne“ (Nr. 8/1972), die im August erschienen war:
„OLYMPIADE IN MÜNCHEN: GLANZVOLL WIE ZU HITLERS ZEITEN.“
„Ein Fest des Betrugs, des Scheinfriedens und der Augenwischerei für die Menschen in unserem Land, ein Fanal des wiedererstarkten deutschen Imperialismus für die Völker der Welt - das ist das Wesen dieser Spiele … Wer hier repräsentiert wird, das sind die Siemens, Beitz, Schleyer und Co. Sie dokumentieren ihre Millionenmacht in Luxusanlagen, in einem Weltfernseh- und Computerzentrum, in einem ungeheuren Aufgebot an Menschen und Material. Sie dokumentieren ihre politische Stärke mit dem Aufmarsch von Zigtausenden Polizeistreitkräften, Grenzschützern und Bundeswehrsoldaten - einer Armee von über 20 000 Mann gegenüber 12 000 Sportlern und Betreuern. Ein schlachtplanmäßig ausgefeiltes Sicherheitssystem sorgt dafür, dass die Visitenkarte des deutschen Imperialismus nicht beschmutzt wird. Der Chef des Olympiakomitees kontrolliert über vierzehn Fernsehschirme den reibungslosen Ablauf der Spiele. Einsatzstäbe von Schutz- und Kriminalpolizei unter dem Oberkommando des bayerischen Innenministers überwachen rund um die Uhr ganz Oberbayern. Hubschrauber und ein Heer von Ordnern mit Funksprechgeräten sind pausenlos auf Patrouille. Ein eigens dazu verabschiedetes 'Gesetz zur Sicherung des olympischen Friedens' schafft Bannmeilen gegen jeden Protest, der am Lack dieser Spiele kratzen könnte. Für die Demonstranten liegen Knüppel bereit.“ (29)
Dass die Gruppe sich nicht dazu aufraffen konnte, für München zu mobilisieren, lag in ihrer Aversion gegenüber den „Linkssektierern“ begründet. Dennoch musste sie mit allen anderen einräumen, dass „der (zu erwartende Protest, d. Vf.) am Lack dieser Spiele kratzen könnte“. Auch für den KABD war München zu einem Notstandsgebiet erklärt worden, in dem der Ausnahmezustand herrschte. Erstaunlich war das nicht. Im August/September 1972 gab es keine einzige linke Gruppe, die nicht gegen die Spiele agitierte. Jedoch nahmen an den direkten Aktionen außer den beiden KPD/ML-Gruppen und ihren Jugendorganisationen (nur) noch der Frankfurter Kampfbund/ML, Marxisten-Leninisten aus Stuttgart, Bielefeld, Münchener Marxisten-Leninisten, Ortsgruppen der Falken, Jusos, SDAJ, Gewerkschaftsjugendgruppen, Ortsgruppen des Verbands der Kriegsdienstverweigerer, die Türkische Studentenkonföderation und Delegierte antimilitaristischer Komitees in der Bundeswehr teil. (30)
Die am 7. August erschienene „Rote Fahne“ Nr. 16 der KPD/ML-ZB überschrieb ihren Leitartikel mit: „17. August - Jahrestag des KPD-Verbots. KPD-Verbot muss weg! 1972: Vorkämpfer gegen Militarismus und Krieg bedroht.“
Die Frontstellung des ZB gegen „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ (NAR) war unmittelbar mit der Kampagne gegen das KPD-Verbot verknüpft. Zur Bedeutung des KPD-Verbots hieß es in der „Roten Fahne“: „Die Bedeutung des KPD-Verbots und damit auch das Verbot des Kampfes aller friedliebenden und demokratischen Menschen gegen Militarismus und Kriegsvorbereitungen ist heute von größter Aktualität ... Heute wie vor 16 Jahren soll der Kampf gegen diesen Kurs unterdrückt werden. Wieder richtet sich der Hauptschlag gegen die Kommunisten. Die Zeichen der Vorbereitungen des Verbots stehen auf Sturm ... Heute, sechzehn Jahre nach dem KPD-Verbot, das nach wie vor besteht, wird unter sozialdemokratischer Regierung gerüstet wie nie zuvor … Der Ablauf der Ereignisse spricht eine deutliche Sprache: Wiederaufrüstung, Revanchepolitik und KPD-Verbot sind zwei Seiten ein und derselben Medaille!“ (31)
Der Brückenschlag zum RAKT war somit hergestellt. Die „Revanchepolitik“, von der Sozialdemokratie betrieben, würde unmittelbar, so die Konsequenz dieser Überlegung, das Verbot der Kommunisten nach sich ziehen. NAR müsse „vor den Massen enthüllt werden“. Daran kann man die Weichenstellung für den RAKT gut erkennen. Der „Charakter des Notstandsstaates“ führe unweigerlich in die „Notstandsübung“ München. In München würde sich besonders die „Aufrüstungspolitik“ des Staates, sein „Hang zum Faschismus und Militarismus“, seine Vorbereitungen auf einen „imperialistischen Krieg“ und das „Parteiverbot“ zeigen. Daher: „Heraus zum Roten Antikriegstag!“ (32)
In dem Gewirr von Plänen und Aufrufen stach besonders der „Rote Antikriegstagskurier“ des Zentralbüros (um den 10. August herum) ins Auge. Vermutlich gab es davon nur zwei, vielleicht auch drei Ausgaben, die unter höchster Geheimhaltung erschienen. Hier waren der Aufmarschplan und die Route der Demonstration festgelegt worden, es gab Anweisungen über Kettenbildungen, wo und an welcher Stelle die Sperrbarrieren durchbrochen werden sollten, wie man den zivilen Greiftrupps der Polizei entkommen könnte, wie sie direkt angegriffen werden sollten usw. All das erschien professionell ausgearbeitet zu sein, war aber in Wirklichkeit nur eine papierne Gegenangriffsposition. (33)
Der „Rote Morgen“, Nr. 16 vom 14. August 1972, brachte gleich mehrere Artikel zu „Olympia 1972“. Eingangs erklärte er: „Völkerfreundschaft gegen olympische Friedhofsruhe!“ Nach einem historischen Abriss über die olympischen Spiele von 1936 in Berlin stellte er die unmittelbare Komplizenschaft dieser mit den Spielen von 1972 her:
„Es ist wieder einmal soweit. Wieder wird dem deutschen Imperialismus die Jacke zu eng. Wieder läuft bei Krauss-Maffei, Messerschmidt, MAN, Dornier, Mauser, Rheinstahl … Granate um Granate, Panzer um Panzer vom Band. Wieder rüsten die deutschen Finanz-Magnaten und Rüstungshaie für ihren Marsch zum Platz an der Sonne. Wieder sollen die Völker der Welt über die Revanche- und Großmachtpläne der westdeutschen Monopolherren hinweggetäuscht werden: Mit Protz und Prunk und den verlogenen Reden über Völkerverständigung und Entspannung … Nieder mit dem westdeutschen Imperialismus, Militarismus und Revanchismus. Imperialistische Kriegsverbrecher raus aus München. Es lebe die internationale Solidarität!“ (34)
Der Versuch, eine unmittelbare Kriegsnähe zu suggerieren und das Hegemonialstreben des westdeutschen Imperialismus zu propagieren, das durch Eisen und Blut entschieden würde, war zwar leidenschaftlich vorgetragen, aber am Ende der Kette nichts weiter als eine idealistische Philosophie mit dem Pochen auf Prinzipien, Erfahrungen, Traditionen, Plattheiten und Trivialitäten, Weltentrauer und Sinnverlust. Doch ohne die Popularität dieser und ähnlicher Ideen wäre der RAKT 1972 wohl gar nicht zu denken gewesen. Für die politische Orientierung war die Vergegenwärtigung von 1936 ein unerschütterlicher Glaube, der die Erfahrungswelt der KPD/ML konstituierte.
Der Aufruf zur Demonstration in München war dagegen eher verhalten abgefasst. Der „Rote Morgen“ vom 14. August hatte auch nichts von der Tiefe der Propaganda, mit der sich das ZB wohl als der führender Faktor der Demonstration in München auszeichnen konnte. Das „Demonstrationsverbot“ war vom „Roten Morgen“ in einer Reihe mit den „Gesetzen zur inneren Sicherheit“ gestellt worden, und die „Bannmeile“ galt als Teil der „neuen Notstandsgesetze“. Hatte das ZB noch die „sozialfaschistischen Handlanger“ in der SPD als diejenigen bezeichnet, die das „Notstandsprogramm“ durch den Bundestag durchgepeitscht hatten und die für die Gesetzgebung zu Olympia verantwortlich waren, so war davon im „Roten Morgen“ wenig zu lesen. Auch der Parolismus zu München war eigentlich keine eigene Erfindung: „Nieder mit dem Demonstrationsverbot! Nieder mit dem Notstandsterror! Kampf dem westdeutschen Revanchismus und Militarismus!“ war überall zu lesen und baute auf jenen Parolen des ZB auf, die die Gruppe seit 1970 stets propagiert hatte. Interessanter und auf die Dauer wichtiger war die nie vollzogene Wende zur „Realpolitik“. Das Schlagwort wurde zum politischen Begriff gemacht. Und die ZK-Analysen erwiesen sich als weltfremd und utopisch. Sie verbiesterten sich zum phantastischen Idealismus, der sich in den Fesseln der Unwissenheit verfing.
Am 17. August kam es zwischen der KPD/ML-ZK und der Bundesleitung des KJVD, Jugendorganisation der KPD/ML-ZB, zu einer „Gemeinsamen Erklärung zum Roten Antikriegstag.“ In der „Erklärung“ hieß es: „Die KPD/ML (Roter Morgen) und der KJVD, Jugendorganisation der KPD/ML (Rote Fahne), rufen Euch auf, am Roten Antikriegstag in München und Kiel in den Kampf zu treten gegen die Massenmilitarisierung der werktätigen Jugend und gegen die Kriegspolitik des westdeutschen Revanchismus. Macht den Roten Antikriegstag zu einem mächtigen Faustschlag gegen die Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht für die werktätige Jugend und gegen das Kriegskomplott Washington - Bonn - Moskau, die sogenannte Europäische Sicherheitskonferenz! In München und Kiel, wo der westdeutsche Revanchismus versucht, mit Friedensschleiern seine Kriegs- und Notstandspolitik zu verdecken, muss ihm die Friedensmaske vom Gesicht gerissen werden. Am Roten Antikriegstag muss in München und Kiel den Völkern der Welt gezeigt werden, dass die revolutionäre Arbeiterklasse und die werktätige Jugend aufgestanden sind, um den völkerfeindlichen westdeutschen Revanchismus und Militarismus, den Bonner Staat, zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten.“ (35)
Der „Aufruf“ verdeckte natürlich alle Differenzen zwischen den verfeindeten Gruppen. Es war auch nicht so, dass die „Gemeinsame Erklärung“ einen besonderen Stellenwert hatte. Sie gab nur das bekannte Statement wieder, das sich eingeprägt hatte. Mit der verdeckten Sprachradikalität sollte die angestrebte Massenbewegung zum RAKT mobilisiert oder mindestens kanalisiert werden. Es war also eine essentielle Frage, die ihn bestimmte, und im Grunde ein Hebel für jene Taktik, an deren Ende die zur Mode gekommene Idee des Sturzes des „Bonner Staates“ stand. Immer deutlicher verdichtete sich der Hinweis darauf, dass der RAKT ein symbolischer Gegenangriff auf die Bastionen des Staates war.
So konnte die Nr. 2 des „Roten Antikriegstagskurier“, der am 20. August erschien, noch deutlicher werden: „Die bewaffnete Revolution kommt nicht an einem Tag, ihr werden Hunderte, Tausende von Teilschlachten vorausgehen. Schlachten, in denen die Arbeiterklasse im revolutionären Kampf Niederlagen einstecken und Siege erringen wird. Alle diese Teilschlachten werden Schritte zur Revolution sein, in ihnen wird die Arbeiterklasse den revolutionären Klassenkampf lernen. Und deshalb müssen die Massen heute erzogen werden in Teilkämpfen die Gewalt anzuwenden direkt gegen den bürgerlichen Staat zu kämpfen. Deshalb muss das Ziel der Antikriegstagsdemonstration die Erkämpfung der freien Straße sein.“ (36)
„Die Erkämpfung der freien Straße“ sollte eine „Teilschlacht“ sein, „Schritte zur Revolution“. Unverhohlen wurde propagiert, dass „Gewalt anzuwenden“ sei. Dass war die neue Stufe des Radikalismus, der auf Erfolg insistierte. Das Durchbrechen der „Bannmeile“ stellte den Klassenstandpunkt besonders heraus. Und das Bekenntnis hatte für diese Geschichte eine außerordentlich prägende Wirkung gehabt.
Eigene Aktionen zu Olympia veranstalteten KPD und ihr KJV, die wegen Differenzen zu den beiden KPD/ML-Gruppen nicht an den RAKT-Aktionen teilnahmen. Mobilisiert wurde für eine eigene Olympiademonstration in München, die am 26. August stattfand. In Dortmund sollen sich nach Angaben der „Roten Fahne“ Nr. 57 vom 23. August am 19. August ca. 100 Jugendliche zu einer regionalen Veranstaltung getroffen haben. Die Argumentation für die eigene Demonstration war ähnlich wie die der KPD/ML-Gruppen. Auch der KPD ging es um die „Militarisierung“ während der Spiele, der Verschärfung des „Notstandskurses“ und des „reaktionären Kurses“ in der Innenpolitik, der von der SPD betrieben würde. (37) Dass die KPD trotzdem auf „großen ideologische Differenzen“ beharrte, lag möglicherweise am „revisionistischen Kurs“ der KPD/ML und deren „verfrühter Gründung“. Andererseits bekämpften die KPD/ML-Gruppen die KPD schon aus dem Grunde heraus, weil sie sich mit dem Namen der „ruhmreichen KPD von Ernst Thälmann“ schmückte.
Die Propaganda der KPD und ihrer Unterorganisationen konnte sich auch durchaus mit der der KPD/ML messen. So gab das Nationale Vietnamkomitee (NVK) der LgdI eine eigene „Olympiaillustrierte“ mit, so die eigenen Angaben, einer Auflage für die erste Ausgabe, die am 21. August erschienen war, von „100.000 Exemplaren“ heraus, was für die damaligen Verhältnisse als enorm bezeichnet werden darf. (38)
Am 21. August erschien die Ausgabe 17 der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB. Im Mittelpunkt, kurz vor dem RAKT, stand der „Notstandskurs“ der SPD-Regierung, der im Leitartikel „Wahlvorbereitungen. Bonn: Wahlabsprachen und KPD-Verbot“ ausführlich behandelt wurde und ein mögliches Verbot der KPD/ML in den Mittelpunkt stellte. So meinte die „Rote Fahne“: „Im Mittelpunkt des Notstandskurses werden zunehmend die Verbotsvorbereitungen gegen die KPD/ML stehen, weil die Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung die größte Gefahr für die Monopolherren darstellt. Die Neuwahlen werden Notstandswahlen sein.“
Der Artikel wurde durch einen weiteren zum RAKT flankiert. „Straße frei für München“ listete noch einmal die wichtigsten Argumente für einen „Durchbruch der Bannmeile“ auf. Die Werktätigen, vor allem aber die Jugend, wurden dazu aufgerufen, „massenhaft nach München“ zu kommen. (39) Die Strategie war auch in dieser Ausgabe der „Roten Fahne“ eindeutig auf Konfrontation und auf die Selbstbewaffnung angelegt. Eine gewaltige Agitation kam so in Gang, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte, was die Sonderstellung des ZB unter den ML-Gruppen zeigte. Doch das sollte auch große Veränderungen nach sich ziehen, die an den Finanzen doch arg kratzen sollte. Der Misserfolg der Aktion führte dazu, dass faktisch die „Rote Fahne“ über Wochen hinweg nicht mehr erschien und das ZB mehr und mehr den Boden der Realität verließ. Die „Untergrundphase“ begann unmittelbar mit den Vorbereitungen zum RAKT ab August 1972, der letztlich auch der eigentliche Auslöser für sie gewesen sein dürfte.
Für diese Annahme sprach auch die Konferenz der Landeskomitees der KPD/ML und der Politleiter der Landeskomitees des KJVD, der Jugendorganisation der KPD/ML, die ab dem 26. August tagte. Auf dieser wurde über die „Politik und Taktik der Partei bei den Neuwahlen“ diskutiert, „Beschlüsse zur Reorganisation der Partei gefasst und die besonderen Aufgaben der Partei beim Antikriegstag am 2. September bestimmt“. Die „Einheit der Partei“ sollte um die „programmatische Ausrichtung“ herum auf eine höhere Stufe (an-)gehoben werden. Und die „Neuwahlen“ waren, wie in der „Roten Fahne“ bereits ausgeführt, der „Knotenpunkt der Klassenauseinandersetzungen“, die auf den RAKT zusteuerten. Hier würde besonders „das Programm des Notstands, der Aufrüstung und der Revanchepolitik, das Programm also der Monopolherren und ihrer verschiedenen Parteien“ angewandt. (40)
Die „Neuwahlen“, die mit der „Entwicklung der Klassenkämpfe in der BRD“ verknüpft wurden, waren ebenso das Thema von ABG, KHB/ML und RSF, die zu Olympia 1972 am 26. August die Broschüre „Gegen Imperialismus und Faschismus - für Frieden und Völkerfreundschaft. Olympia Ausstellung 1936-1972“ herausgaben. (41)
Das Thema Olympia, Konfliktstoff und Konfliktpolitik, zog weite Kreise. Für die einen fand hier ein Kurswechsel (etwa bei der KPD/ML) statt, für die anderen war es eine Möglichkeit, sich bekannter zu machen (etwa ABG und anhängende Gruppierungen). Von einer gemeinsamen Stoßrichtung unter den K-Gruppen zu Olympia kann nur im Hinblick auf ihre Agitation und Propaganda gesprochen werden. Der „Notstand“ oder die „Notstandspolitik“ zu den olympischen Sommerspielen galt weitgehend als öffentliche Meinung der Gruppen. Die Konfliktverschärfung in diesen Tagen blieb der KPD/ML vorbehalten. Zu Konzessionen war sie nicht bereit. Entweder man beteiligte sich an den Aktionen oder nicht. In jedem Fall wollte sie den Konflikt für sich nutzbar gestalten. Und damit ihre Vormachtposition unter den ML-Gruppen stärken.
Am 28. August 1972 erschien der „Rote Morgen“ Nr. 17 mit dem zentralen Leitartikel: „Aufruf des Zentralkomitees der KPD/ML zur Olympiade 1972.“ Dort hieß es: „Das ZK der KPD/ML ruft Euch auf, sammelt Euch in den Tagen des 2. Und 3. September massenhaft an den Orten der Kriegsolympiade München und Kiel. Das große olympische Spektakel von 1936 soll eine Neuauflage erfahren. Vor der ganzen Welt zeigt sich der alte deutsche Imperialismus - heute im Gewand der BRD - wieder in seinem alten Großmachtstreben. Damals, drei Jahre nach der Hitlerolympiade, am 1. September 1939, entfesselten die deutschen Imperialisten den Zweiten Weltkrieg. Damals wie heute wurde die Olympiade als das Fest des Friedens und der Völkerverständigung gefeiert, damals wie heute ist die Olympiade in Deutschland nichts anderes als der Vorbote des sich zum Raubkrieg und Völkermord rüstenden deutschen Revanchismus.
Deshalb: Schließt Euch zusammen zur machtvollen Kampfdemonstration gegen imperialistische Unterjochung und Völkermord, gegen die Massenmilitarisierung, Faschisierung und die Notstandsvorbereitungen der Kapitalistenklasse und ihrer SPD/FDP-Regierung, gegen die Aufrüstungspolitik, die revanchistischen Kriegspläne und das Großmachtstreben des westdeutschen Imperialismus. Zeigt den Völkern der Welt, die ihre Blicke nach München und Kiel richten: Die werktätigen Volksmassen, die werktätige Jugend, die fortschrittlichen Studenten und Schüler Westdeutschlands und Westberlin sagen Nein zu dem verlogenen Olympiarummel in München und Kiel, hinter dem sich die raubgierige Mörderfratze der imperialistischen Volksschlächter, hinter dem sich besonders die abscheuliche Visage der imperialistischen westdeutschen Kriegstreiber und Revanchisten verbirgt.
Zeigt den Völkern der Welt, die nach München und Kiel schauen: Das deutsche Volk will kein neues 1936 und erst recht kein neues 1939 … Zeigt den Klassenbrüdern in aller Welt: Das deutsche Volk reiht sich ein in die Kampffront der Völker der Welt gegen den US-Imperialismus, gegen den bestialischen Aggressionskrieg der Nixon-Bande in Vietnam. Ruft es an jenen Tagen hinaus in die ganze Welt: Auch wir, das deutsche Volk, stehen auf der Seite der unterdrückten Völker, auch wir kämpfen entschlossen gegen den US-Imperialismus, den sowjetischen Sozialimperialismus und ihre Komplizen. Schließt Euch gegen die revanchistischen Kriegspläne der Krupp, Thyssen, Mannesmann und Abs. Die deutschen Werktätigen werden die Gewehre nicht gegen ihre Klassenbrüder in der DDR und in anderen Ländern richten. Diesmal werden sie die Gewehre umdrehen.“ (42)
Der „Aufruf“, der wohl auch als Teil des „Extrablattes“ „Olympia 1972 - wessen Spiele?“ (August/September) erschienen war, war von den fünf olympischen Ringen eingerahmt, die Panzer, Kriegsschiffe, Bomber, MG-Schützen und die Polizei in ihrer Mitte zeigten. Die Parolen, die in der Ausgabe verbreitet wurden, lauteten: „Nieder mit der Kriegsolympiade 1972!“, „Nieder mit dem US-Imperialismus und dem sowjetischen Sozialimperialismus!“, „Nieder mit den Bonner Revanchisten!“, „Nieder mit dem westdeutschen Imperialismus“, „Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg - Kampf für den Arbeiterstaat bis zum Sieg!“, „Es lebe die Diktatur des Proletariats!“, „Kampf der Massenmilitarisierung!“, „Krieg dem imperialistischen Krieg!“, „Für ein vereinigtes und unabhängiges sozialistisches Deutschland!“ (43)
Das ZK konnte sich der Agitation des ZB zu München schwer entziehen. Es musste sie dramatisieren, wie es dem „Aufruf“ zu entnehmen war. Die deutschlandpolitischen Vorstellungen hatten aber dann auch viel Hilfloses. Sie waren von „kriegsbereiten“ Vokabeln nur so durchtränkt: „Kriegsolympia“, „Raubkrieg“, „altes Großmachtstreben“ „Massenmilitarisierung“, „Faschisierung“ und „Notstandsvorbereitungen“ - alles war dabei, um die Schritte zum Krieg des „westdeutschen Imperialismus“ aufzuzeigen. München wurde zur „Mörderfratze“ und zum „Volksschlächter“, wobei immer wieder Parallelen zu 1936 gezogen wurden. Der „Sturm des Volkes“ auf die Bastionen von Olympia stand kurz bevor, was sich ebenfalls an den Parolen zeigte. Sie waren das I-Tüpfelchen der angestrebten radikalen Vernichtung der „Bonner Revanchisten“.
Die Entscheidungsschlacht in München war vom „KND“, Nr. 52 vom 30. August, noch einmal besonders hervorgehoben worden. Dort wurde über die Broschüre der PBL des KJVD „Dem Volk das Recht auf freie Straße. Warum die Münchener Bannmeile durchbrochen werden muss“ referiert. (44) Die große Hypothek, die nun auf den Schultern aller Beteiligten lastete, bestand darin, dass man nicht mehr zurück konnte. Der „KND“ erteilte allen eine Absolution und erklärte sich zum unbedingten Gefolgsmann der Gewaltanwendung. Hypothek, die
Der „Kampf der Arbeiterjugend“ Nr. 8 des KJVD, der Ende August erschien, legte seine Finger in die Wunden der deutschen Misere, dem unaufhaltsamen Aufstieg des „deutschen Militarismus“. Der Leitartikel „Kampf den Blitzkriegsübungen! NATO-Herbstmanöver und Mobilmachungsübung: Generalprobe für die Eroberung der DDR“ las sich wie ein Kriegsbericht von der Front: „In voller Übereinstimmung mit dem USA-Imperialismus verfolgen die westdeutschen Kriegstreiber ihre eigenen Ziele mit den NATO-Großmanövern. Die Ausdehnung des Seemanövers bis zur Ostsee, näher heran an die Grenzen der DDR … An den NATO-Herbstmanövern nehmen 190 Zerstörer, Kreuzer, U-Boote und Flugzeugträger der NATO (mit) Kurs auf die Ostsee teil, gegen die Küste der DDR. Gleichzeitig starten von den Flugzeugträgern und vom Festland aus Hunderte Kampfflugzeuge, ebenfalls mit Kurs auf die Ostsee. Über 50 000 NATO-Soldaten tragen den Angriff voran … Wer hat ein Interesse daran, gerade jetzt besonders die Macht und Festigkeit der NATO zu demonstrieren? Vor allem zwei imperialistische Räuber sind es, die gefährlichsten der NATO: Der USA-Imperialismus und der westdeutsche Revanchismus ... Mit den NATO-Manövern wollen die USA-Imperialisten die Völker Westeuropas einschüchtern, sich nur ja nicht gegen ihre imperialistische Herrschaft zu erheben …“ (45)
Der deutsche „Sonderweg“, so der „KDAJ“, führe direkt und zwangsläufig in den scharfen Klassenkampf, wie an anderer Stelle betont wurde. Daher müsse man sich wappnen und die Angriffe des Feindes zurückschlagen. Nicht von ungefähr war somit dieser Artikel Wasser auf die Mühlen des „Bannmeilenterrors“, der womöglich sogar die unter der Hand diskutierte „revolutionäre Wende“ sein sollte.
Im August/September 1972 schienen sich die politischen Ereignisse zu überstürzen. Eines davon waren die vorgezogenen Bundestagswahlen. Nachdem im April 1972 ein Konstruktives Misstrauensvotum gegen den amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt, bei dem der CDU-Abgeordnete Rainer Barzel zum Bundeskanzler gewählt werden sollte, gescheitert war und der Bundespräsident Gustav Heinemann nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage den Bundestag aufgelöst hatte, wurden Neuwahlen für den Herbst anberaumt. Einer der Gründe dafür könnten die Olympischen Sommerspiele gewesen sein. Interessanterweise hatten das die K-Gruppen in ihrer Agitation kaum berücksichtigt.
In einem „Extrablatt“ der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB hieß es zu den vorgezogenen Neuwahlen Ende August: „Aufruf des Zentralbüros der KPD/ML: Zieht Bilanz über 3 Jahre Volksbetrug!“
„Zum ersten Mal in der Geschichte des Bonner Staates wird der Bundestag vorzeitig aufgelöst. Warum ist dieser Bundestag vorzeitig gescheitert? Weil dieser Bonner Bundestag unter der Führung der SPD-Regierung eine durch und durch arbeiterfeindliche Politik betrieben hat und weil die Werktätigen den Massenkampf gegen die Schiebereien im Bonner Bundestag geführt haben. In dieser Woche geben sich die Bonner Parlamentarier als Freund der Rentner und aller Werktätigen und als große Demokraten. Aber auch der Rentenbetrug kann die Tatsachen nicht aus der Welt schaffen. Tatsache ist, dass dieser Bonner Bundestag sich einige gegen das Volk war und zerstritten im Gerangel der Postenschieberei. Tatsache ist, dass dieser Bundestag bei nur zwei Gegenstimmen die Lohnraubsteuer durchgepeitscht hat, mit der die Werktätigen für die Preistreiberei der Bosse zahlen sollen, Tatsache ist, dass dieser Bundestag das Lohndiktat beschlossen hat, mit dem die Arbeiterklasse im Lohnkampf geknebelt werden soll. Tatsache ist, dass dieser Bundestag einstimmig die Aufrüstungspolitik von SPD-Schmidt gebilligt hat, durch die die Bundeswehr mit Mobilmachungsübungen zur größten Blitzkriegsarmee in Mitteleuropa ausgebaut wird.
Tatsache ist, dass dieser Bundestag mit nur einer Gegenstimme Vorbeugehaft und Ausbau des Bundesgrenzschutzes als Bürgerkriegstruppe und Killerarmee beschlossen hat. Tatsache ist, dass dieser Bundestag ohne Gegenstimme eine Erklärung zur Ostpolitik beschlossen hat, in der ausdrücklich die Grenzen zur DDR und den osteuropäischen Ländern nicht anerkannt werden. Das ist das Programm, das unter der SPD-Regierung beschlossen worden ist. Das ist der Beweis, dass die drei Jahre SPD-Regierung nichts anderes als ein großer Wahlbetrug waren. Das ist der Beweis, dass sich Brandt und Barzel in allen wichtigen Fragen einig waren gegen das Volk. ...
Arbeiter! Werktätige! Der Bonner Bundestag ist an Eurem Widerstand gegen seine arbeiterfeindliche Politik zerbrochen. Dieser Bundestag beschloss das Lohndiktat - Streiks waren die Antwort. Dieser Bundestag beschloss die neuen Notstandsgesetze - Demonstrationen und Kundgebungen überall in Westdeutschland waren die Antwort. Dieser Bundestag beriet über Aufrüstungs- und Revanchepolitik - die Aprilstreiks waren die Antwort ... Die Aprilstreiks sind es, die die Auflösung des Bundestages und die Neuwahlen erzwungen haben ... Arbeiter! Werktätige! Der kommende Wahlkampf darf kein Wahlkampf des Wahlbetrugs und der schönen Worte sein.
Nicht die Worte, sondern die Taten entscheiden! Die KPD/ML erklärt: Wir stehen fest an Eurer Seite:
Mit reaktionären Wahlgesetzen soll die KPD/ML an der Wahlbeteiligung gehindert werden. Mit Polizeiüberfällen sollen die Kommunisten eingeschüchtert und ihr Verbot vorbereitet werden. Aber die KPD/ML wird im Wahlkampf erst recht für die Forderungen der Arbeiterklasse eintreten. Darum steht für uns nicht der Stimmzettel, sondern der Massenkampf im Betrieb und auf der Straße an erster Stelle ... Die KPD/ML wird sich mit aller Kraft in diesem Wahlkampf bemühen, die Einheitsfront aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu schmieden ...
Ziel: Sturz des Schieberparlaments der Berater und Gewissensverkäufer! Sturz der Herrschaft der Abs und Thyssen! Errichtung eines Arbeiter- und Bauernstaates, der wirklich eine Politik von Sozialismus und Frieden durchführt, ohne Volksbetrug und Notstandstruppen. Arbeiter ! Werktätige! Die Auflösung dieses korrupten Bundestages ist ein Erfolg Eures Massenkampfes. Lasst Euch jetzt im Wahlkampf nicht von Brandt und Barzels Versprechungen fesseln. Vorwärts im Kampf für Sozialismus und Frieden.“ (46)
Der „Notstandskurs“ schien die Geschichte der BRD zu bestimmen. Er hatte ihr seinen Stempel eingebrannt. Und wie schon in den 1930er Jahren stand er im Mittelpunkt aller Verbrechen. Nach dieser Auffassung nimmt der „deutsche Imperialismus“ einen herausragenden Platz im Gedächtnis der Völker ein. Es verwunderte nicht mehr, dass die verbreitete These vom „deutschen Sonderweg“, die einst von dem Historiker Heinrich von Treitschke geprägt worden war, im Umkehrschluss auf die BRD angewandt wurde. Die Politik von NAR glich somit einer Katastrophe, die gradlinig auf Kriegsziele zusteuerte. Überall entdeckte das ZB, wie es hier besonders gut nachzulesen ist, diese beunruhigenden Anzeichen und Vorzeichen. Die Kontinuität des deutschen Weges war gleichsam das Gesetz, nach dem das ZB suchte und das es mit München fand.
München bestand nur noch aus Gesetzen, Verboten, den Behörden, der Polizei, der Kriegsübungen und der Armee bzw. BGS. Das zusammenhängende Bild, das entworfen wurde, hatte der „Rote Morgen“ mit seiner Bebilderung der olympischen Ringe besonders hervorgehoben. Man könnte auch sagen, dass das ZB dafür die rhetorische Munition geliefert hatte. Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass die „Rote Fahne“ die Rolle der SPD als übermächtig darstellte und sie zunehmend als „sozialfaschistische“ Last empfand, wie in den Instruktionen des ZB zur Metalltarifrunde im Sommer 1970 bereits ausgeführt worden war. Das politische Leben in der BRD schien insgesamt durch die SPD gelähmt zu werden und nur durch die Aktionen der Arbeiterklasse belebt. Mit dieser Ausgabe der „Roten Fahne“, so könnte gemutmaßt werden, war der deutsche Chauvinismus und Imperialismus auf einen krönenden Abschluss aus.
Die Demonstration am 2. September war durch eine Reihe von anderen Aktionen vorbereitet worden. Die wichtigste dürfte eine kleinere vom 1. September gewesen sein. Laut KPD/ML-ZB fand nachmittags im ehemaligen KZ Dachau bei München eine Kundgebung der beiden KPD/ML-Gruppen statt. Gedacht wurde durch eine Kranzniederlegung den Opfern des Faschismus. Während der Kranzniederlegung soll es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen sein. (47)
Am 2. September war die Selbstherrlichkeit linker Politik mit verhängnisvollen Entscheidungen auf der Straße. Aus heutiger Sicht gehörten die Demonstranten zwar eher zur Sorte der bellenden Hunde, die nicht beißen, doch damals war der Durchbruch der „Bannmeile“ das oberste Gesetz. Über diese unglaubliche Torheit schrieb die „Rote Fahne“ vom 2. September in ihrer „Erklärung“, die vom Leitartikel „Zum Roten Antikriegstag in München. Kanonenfutter für die Krupps und Abs - Niemals“ flankiert worden war:
„Erklärung des Zentralbüros und der Provisorischen Bundesleitung des KJVD: Arbeiter! Werktätige! Für das Recht auf die freie Straße wurde die Bannmeile durchbrochen. Arbeiter! Werktätige! KPD/ML und KJVD, die Gruppe Roter Morgen und andere marxistisch-leninistische und fortschrittliche Organisationen hatten am Wochenende zum Roten Antikriegstag zu Demonstrationen in den Olympiastädten München und Kiel aufgerufen. Tausende von Arbeitern und Werktätigen Jugendlichen sind diesem Aufruf gefolgt. In machtvollen Demonstrationen haben sie die Verbote des Bonner Staates durchbrochen und gegen die Bonner Notstands- und Aufrüstungspolitik gekämpft. Die Bonner Herren antworteten mit neuen Unterdrückungsmaßnahmen, die sich gegen alle Arbeiter und Werktätige richten.
Zum ersten Mal wurden in Westdeutschland konzentriert Bundesgrenzschutz und alle Länderpolizeien gegen eine Massendemonstration eingesetzt. Unter direktem Oberbefehl von Genscher, SPD-Vogel und SPD-Polizeipräsident Schreiber wurde die Vorbeugehaft praktiziert. Mit einer unglaublichen Hetze in Presse, Funk und Fernsehen wollen Genscher und CSU-Polizeiminister Merck den antimilitaristischen Kampf der Jugend unterdrücken und das Verbot der KPD/ML und aller Marxisten-Leninisten vorbereiten. Glaubt den Bonner Notstandspolitikern kein Wort. Hier sind die Tatsachen: Seit Monaten haben KPD/ML und KJVD den Roten Antikriegstag 1972 vorbereitet: in Betrieben, Schulen und Kasernen wurden die Pläne der Bonner Kriegstreiber enthüllt und für die Demonstration mobilisiert.
Die Bonner Herren haben in der Zeit München in ein Heerlager ihrer Notstandstruppen verwandelt. Im Juni wurden die neuen Notstandsgesetze und das 'Gesetz zum Schutz des olympischen Friedens' von Brandt, Genscher und Strauß durchgepeitscht. 25 000 Soldaten, 10 000 Polizisten und Bundesgrenzschutztruppen wurden nach München verlegt. Durch willkürliche Verhaftungen in München und bei einer antifaschistischen Kundgebung in Dachau sollten wir eingeschüchtert werden. Die Abschlusskundgebung am Samstag in der Innenstadt wurde verboten. Tausende von Polizisten, Hunderte von Polizeispitzeln und Provokateuren, die unter der Jacke MPs trugen, waren eingesetzt. Am Rande der Innenstadt fuhren fünf Panzer auf. Aber der Rote Antikriegstag hat das Recht der Arbeiterklasse auf die Straße verteidigt. Hunderte durchbrachen die Polizeiketten und führten eine Kundgebung in der Innenstadt durch. Zur gleichen Zeit verteidigten auch die Demonstranten in Kiel die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse ...
Dieser Rote Antikriegstag versetzte die Bonner Herren in Schrecken: Genscher selbst eilte nach München: unter seinem Oberbefehl wurde am Sonntagmorgen eine legal angemeldete Demonstration der Gruppe 'Rote Morgen' (KPD/ML-ZK, d. Vf.), der KPD/ML und des KJVD für die Freilassung der am Samstag verhafteten Genossen durch Bundesgrenzschutz und Polizei eingekesselt und aufgelöst. Demonstranten wurden willkürlich verhaftet ... Der Rote Antikriegstag hat ihr wahres Gesicht gezeigt: Kriegstreiber gegen die Völker Europas und Notstandsstrategen gegen das eigene Volk ... Der Rote Antikriegstag hat den Bonner Staat an seiner schwächsten Stelle getroffen ... Die Notstandstruppen des Bonner Staates konnten in München und Kiel die Tausende Arbeiter und revolutionäre Jugendlichen, die von ihrem Kampfstab, der KPD/ML, dem KJVD und anderen marxistisch-leninistischen Organisationen geführt wurden, nicht von ihrem berechtigten Kampf abhalten.
Die Kampffront des Roten Antikriegstages muss jetzt entschlossener gefestigt und verbreitert werden ... Die gegen eure Forderungen nach Frieden, Sozialismus und wirklicher Demokratie aufgerichteten Bannmeilen konnten durchbrochen werden. Für Eure Forderungen sind in München Kommunisten und Demokraten verhaftet und ins Gefängnis geworfen worden ... Freiheit für die politischen Gefangenen! Freiheit für die KPD/ML, den KJVD - Weg mit dem KPD-Verbot! Nieder mit dem Bonner Notstands- und Kriegstreiberstaat! Für Sozialismus und Frieden!“ (48)
Die Presse der KPD/ML machte lebhaften und schonungslosen Gebrauch von Unwahrheiten. Sie sorgte dafür, dass die ununterbrochene Kette von Halbwissen, getürkten Meldungen und haarsträubendem Unsinn aufrecht erhalten werden konnte. Die vernebelte „Erklärung des Zentralbüros“, aus der sich herauslesen ließ, dass ganz München zum reinen „Notstandsgebiet“ erklärt worden war, in dem die Polizisten schussbereite MPs unter „ihrer Jacke trugen“ und sogar gegen eine Handvoll Demonstranten „Panzer auffuhren“, war nicht Ausdruck einer einfachen politischen Neurose, sondern eher die Konsequenz der betriebenen Kampagne gegen NAR. Für das ZB vielleicht sogar ihr apokalyptisches Ende. Diese Politik hatte sich insgesamt aufgebraucht. Eine Steigerung war nicht mehr zu erwarten. Die sich anschließende „Ausländerdemonstration“ in Dortmund brachte keine neuen Erkenntnisse mehr hervor. München kann für das ZB mit Fug und Recht als „krönender Abschluss“ einer verfehlten Politik bezeichnet werden, die, durch ein gewaltbereites Scharmützel aufgepeppt, nun ihr jämmerliches Ende vor Augen sah.
Der „Durchbruch der Bannmeile“, der hier über alle Maßen als Sieg der Arbeiterklasse, die in „machtvollen Demonstrationen die Verbote des Bonner Staates durchbrochen und gegen die Bonner Notstands- und Aufrüstungspolitik gekämpft“ hätte, gefeiert wurde, war eine der vielen ungeheuerlichen Fehlkalkulationen, die mit einem allgemeinen Versagen, das Bild einer realen politischen Lage zu zeichnen, korrespondierte. Die „Erklärung des Zentralbüros“ war das Produkt seiner Phantasie, eine gedankliche Konstruktion, die bereits im Vorfeld des 2. September die richtigen Antworten gab. Das ZB befand sich daher in einer Art „Einkreisung“, die von allen Seiten zu beobachten wäre. Es ist möglich, dass gerade sie das ausschlaggebende Moment für die sich anschließende „illegale Phase“ war; denn die Isolierung durch den RAKT ließen die Stellungen und Gräben noch unüberbrückbarer werden. Dass die politische und organisatorische Führung des ZB schwer angeschlagen, desorientiert und demoralisiert war, dürfte außer Zweifel stehen. Die Antwort gab die „Erklärung“, die sich nur noch im sämigen Kauderwelsch („Die Kampffront des Roten Antikriegstages muss jetzt entschlossener gefestigt und verbreitert werden …“)verfing.
Die Wende des Auseinanderstrebens des ZB erfolgte nicht plötzlich, auch nicht einfach, wie man gelegentlich im Schrifttum zur KPD/ML nachlesen kann, sondern hatte eine lange Vorgeschichte. Am Anfang stand die einfache Kampagne gegen die „Lohnsteuervorauszahlung“ aus der die „sozialfaschistische Verwaltung der Arbeiterklasse“ wurde. Am Ende standen „Notstand, Aufrüstung, Revanchepolitik“ und der RAKT. Zusammen genommen das Schreckgespenst einer 3-jährigen Politik.
Der „Rote Morgen“ berichtete in seiner Ausgabe Nr. 18 vom 11. September über den RAKT. Im Artikel „München, Olympische Friedenslüge“ hieß es:
„Am Samstag dann ließen die Imperialisten und ihre Knechte endgültig die Maske fallen. Mehr als 5.000 waren zusammengekommen, um gerade hier in München, mitten im olympischen Spektakel, vor den Augen der ganzen Welt zu zeigen, dass die deutsche Arbeiterklasse kein drittes Mal den westdeutschen Revanchisten bei ihren räuberischen Kriegsvorbereitungen zusehen wird. Dass die deutsche Arbeiterklasse und ihre Partei, die KPD/ML, sich rüsten, diesem imperialistischen Spuk ein Ende zu bereiten. Dass wir uns darauf vorbereiten, dem drohenden neuen Weltkrieg die revolutionäre Gewalt entgegenzusetzen …
Seit Samstag wissen es alle, dass diese ‚Heiteren Spiele‘ der Bourgeoisie nur noch hinter den Reihen schwerbewaffneter Polizei und Grenzschutztruppen stattfinden können. Denn am Samstag wurde aus diesen heiteren Spielen blutiger Ernst. Als sich unsere Demonstration den Weg durchs Karlstor zum Marienplatz bahnen wollte, da wurde ihr von Polizei- und Bundesgrenzschutzeinheiten der Weg versperrt. Diese Provokation war von langer Hand geplant, überall standen rund um den Stachus ein riesiges Aufgebot von Bürgerkriegsmilitär. Trotzdem ließen sich unsere Genossen nicht beeindrucken, in mutigem Einsatz fegten die ersten Reihen die Büttel hinweg, machten die Straße frei für die Roten Fahnen. Mit brutaler Gewalt verhinderten die ausgehaltenen Schlägerhorden von Bundesgrenzschutz und Polizei einen weiteren ordentlichen Ablauf der Demonstration …
In ihrer panischen Angst vor der Kraft der Massen schlugen sie auf alles ein, was ihnen in den Weg kam, ganz egal, ob es unbeteiligte Zuschauer oder Demonstranten waren. Heimtückisch wurde der Vorsitzende der KPD/ML, der Genosse Ernst Aust, von hinten niedergeschlagen. Mit den niederträchtigsten Methoden wurde gearbeitet. Ein Heer von Polizeispitzeln und gekauften Provokateuren schwirrte herum … Die Schlacht am Karlstor hat gezeigt, dass der Bourgeoisie alle Mittel recht sind, wenn sie ihre Machtpositionen gefährdet sieht, dann schlägt sie in wilder Panik um sich … Wer da noch glaubt, auf friedlichem Weg die Macht im Staat erringen zu können, der ist blind, oder er kämpft für den Staat der Bourgeoisie. Wo sie schon ein ganzes Militär aufbieten, um Kommunisten von der Bevölkerung fernzuhalten, wie werden sie dann erst ihren Staat schützen?
Mögen sich das jene Führer der Gruppe Rote Fahne Bochum und des KJVD hinter die Ohren schreiben, die sich als die Massen in den Kampf schritten, am Ende ihres Lateins sahen. Den Pazifismus, den sie mit ihrer demokratischen Kampfetappe verbreitet haben, hat hier dazu beigetragen, den Kampf zu verzögern und dem Klassenfeind Zeit zu geben, sich zu formieren. Sie haben so ihre Genossen nicht richtig auf den Kampf vorbereitet, sie haben den von ihnen geleiteten Teil des Zuges aufgelöst, anstatt den anderen Genossen zuhilfe zu kommen. In ihrer Angst vor dem Klassenfeind sind sie von dem gemeinsamen Ziel abgegangen und haben die Kräfte auf mehrere Punkte zersplittert. Damit seid ihr, den anderen noch kämpfenden Genossen objektiv in den Rücken gefallen …
Wir haben in München die Schwäche und die Brutalität der Bourgeoisie erlebt. Deshalb müssen wir uns schon heute unerschrocken auf den Endkampf vorbereiten. Wir werden der reaktionären Gewalt der Bourgeoisie die revolutionäre Gewalt der Volksmassen entgegenstellen. (49)
Der „imperialistische Spuk“ und der „drohende Weltkrieg“ erschienen wie ein Verlust an Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die Zeilen des „Roten Morgen“ lasen sich wie ein Heeresbericht über eine Entscheidungsschacht mit Siegeszuversicht. („Endkampf“). Doch „die revolutionäre Gewalt der Volksmassen“ sei auf dem Vormarsch. Sie würde eine Erlösung von ihrem Elend bringen.
Beide Erzählweisen über den RAKT unterschieden sich grundsätzlich nicht voneinander. Die Rhetorik der KPD/ML-Gruppen zielte ganz darauf ab, München mit einer bürgerkriegsähnlichen Situation, in der der Ausnahmezustand vorherrschte, zu vergleichen. Zutiefst würde hier die alte Ordnung durch den Einsatz des „Bürgerkriegsmilitärs“ in Anarchie versinken. „Der Rote Antikriegstag“ hätte, wie die „Rote Fahne“ des ZB formulierte, „den Bonner Staat an seiner schwächsten Stelle“ getroffen. Der Machtkampf zwischen den beiden sich unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern, dem Proletariat und der Bourgeoisie, war mit München in vollem Gange. Damit war eine Strategie gefunden, die voller Drohgebärden war und die, wie dem „Roten Morgen“ zu entnehmen war, auf die „Vorbereitung“ eines möglichen Umsturzes hinauslief.
Im Rückblick erscheint das wie ein Spiel mit dem Feuer. Eigentlich war dies auch von Anfang an so gewesen; denn die Konfrontation mit der Staatsmacht war eindeutig geplant. Aber niemand konnte sich vorstellen, dass das Feuer tatsächlich ausbrechen würde. Die Fronten hatten sich auf absurde Weise verkehrt. Der von Anfang an angelegte Widerspruch hatte einen Konflikt verursacht, der mit einem grundlegenden Einsturz zu vergleichen war. Zwar hatte es in der Geschichte beider KPD/ML-Gruppen immer wieder kleinere Scharmützel mit der Polizei gegeben, doch hier war das gewaltbereite Potential Teil eines geschlossenen politischen Programms geworden, das praxisnah erprobt worden war. Dass der „Rote Morgen“ an diesem äußersten Punkt der KPD/ML-ZB und dem KJVD „Pazifismus“ am Karlstor vorwarf, passte zwangsläufig in das militaristische Konzept der KPD/ML-ZK. Außer ihr verfügte keine andere Gruppe über die besondere Durchsetzungsgewalt gegenüber der Bourgeoisie. (50)
Die Gewalt in München wurde fortgesetzt. Doch diesmal war die KPD/ML daran nicht beteiligt. Am 5. September gegen 4.30 Uhr begann die Geiselnahme der israelischen Olympiadeteilnehmer durch den palästinensischen „Schwarzen September“, der zunächst zwei israelische Sportler erschoss und die Freilassung von mindestens 200 Gesinnungsgenossen forderte, die in israelischer Haft saßen. Sollten diese Forderungen nicht erfüllt werden, wollten sie mit der Erschießung ihrer Geiseln beginnen. Sie stellten weitere Ultimaten, der Krisenstab der Bundesregierung (Genscher) zögerte die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln hinaus und willigte schließlich ein, die Geiseln und die Terroristen vom Münchener Flughafen Fürstenfeldbruck auszufliegen. Dabei kam es kurz nach Mitternacht am 6. September zu dem sog. „Massaker von München“, bei dem 16 israelische Sportler und die Kämpfer des „Schwarzen September“ ums Leben kamen.
Unter der Überschrift „Faschistischer Terror in Deutschland“ berichtete der „Rote Morgen“ in seiner Ausgabe Nr. 19 vom 25. September über die Geiselnahme und den Tod der Sportler und Terroristen: „In der BRD wurde während der Olympiade in München die grässliche Fratze des deutschen Faschismus wieder erkennbar. Der westdeutsche Imperialismus reicht dem israelischen Faschismus die Hand. 8 junge Araber wollten die Olympiade dazu benutzen, um 200 ihrer Landsleute aus israelischen Konzentrationslagern und Folterkammern zu befreien. Ob die Geiselnahme, ob die Bedrohung von israelischen Sportlern die richtige Methode war, um der Sache des palästinensischen und arabischen Freiheitskampfes zu dienen, das darf nicht die erste Frage der klassenbewussten Arbeiter in Deutschland sein …
Es soll verschleiert werden, dass hier der erste große Massenmord der deutschen Bourgeoisie seit einigen Jahren wieder geplant und durchgeführt wurde. Nicht die deutschen Killer haben das Blutbad auf dem Gewissen, nein, das waren die Araber … Und die Handlanger dieser herrschen Klasse in Staat, Regierung und Presse gehen heute hin, appellieren scheinheilig an die Gefühle des deutschen Volkes, rufen zu Kundgebungen auf ‚ aus ‚Trauer über die jüdischen Opfer‘. Die ganze Bourgeoisie hat mit geschossen. Die Genscher, Schreiber, Vogel, Strauß. Alle. Und der Befehl an die Scharfschützen hieß: Erledigen!“ (51)
Die Beurteilung der Münchener Ereignisse durch den „Roten Morgen“ folgte dem Strickmuster des Zentralbüros, das in einer „Erklärung zum Terroranschlag der palästinensischen Organisation „Schwarzer September“ in München“ am 6. September unverhohlen den „Schwarzen September“ hofierte und davon sprach, dass die „israelischen Imperialisten“ vernichtet werden müssten, die im „westdeutschen Revanchismus“ ihren Kumpanen sehen. Sie würden „die direkte Schuld für den Tod dieser 16 Menschen“ tragen. (52)
Der „große Massenmord“ („Roter Morgen“) wurde flankiert von der Aussage des Zentralbüros: „Die israelischen Zionisten und die westdeutschen Revanchisten, die das Blut von zahllosen Völkern vergossen haben, das sind die wahren Mörder.“
Die „gerechte Sache des palästinensischen Volkes“ und „ihr Freiheitskampf“ sensibilisierte mehr als die Tatsache, dass der Terror des „Schwarzen September“ letztlich Ursache des Massakers war. Die moralische Empörung galt primär den Attacken des westdeutschen Staates und seinem „faschistischen Terror“, der nun zu einem „großen Massenmord“ geführt hätte.
Die Sprache des „Roten Morgen“ und der „Roten Fahne“ ergoss sich förmlich in einer antijüdischen Haltung, die zur tödlichen Bedrohung geworden war. Die „Vernichtung der israelischen Imperialisten“ war populistisch gefärbter Rassismus reinsten Wassers. Der Aufruf zur (militärischen) Gewalt gegen Israel verfing sich im Antisemitismus und Judenhass. Anders konnte das nicht gedeutet werden. Die Pamphlete beschuldigten Israel, ein verhängnisvolles Bündnis mit den „deutschen Revanchisten“ eingegangen zu sein. Beide seien daher unmittelbar für die Toten in München verantwortlich.
Soviel Unsinn war nie. Anscheinend war beiden Gruppen jeglicher Blick für die Realität gänzlich versperrt geblieben. Die „Vernichtung des Staates Israel“ könnte sogar als Aufruf zum Massenmord an den Juden bezeichnet werden. Antisemitismus und der Antizionismus waren sowieso in der Linken, nicht nur bei der KPD/ML, weit verbreitet. Der Sprachgebrauch wurde zur legitimen Rhetorik gegen all das, was mit Israel zu tun hatte. Der Kampf des palästinensischen Volks gegen Israel war stets mit Begeisterungsstürmen gefeiert worden. Und es hatte den Anschein, als ob es das einzige Volk mit staatstragenden Werten sei. Der rhetorische Schutz war Vorrecht der Gruppen, fast schon eine Pflicht.
Dieser Antizionismus verwunderte nicht; denn die „Mörder sitzen in Bonn und Tel-Aviv“ meinte die „Erklärung des Zentralbüros“. Das internationale Judentum wurde auf eine Weise diskreditiert, die in Vorurteile und grenzenlosen Hass einmündete. Der „israelische Faschismus“ hatte dabei in der Propaganda der KPD/ML eine besonders perfide Rolle gespielt: Im populistischen Antisemitismus war es die Diskriminierung der Juden („der Jude ist an allem schuld“), die besonders ins Auge stach. Fast schon waren sie wie die SPD - weltumspannende Reaktion.
„Ein solcher Kriegstreiberstaat muss gestürzt werden, sonst kann es keinen Frieden im Nahen Osten geben“, hieß es zudem noch in der 2. Erklärung zum „Schwarzen September“ vom 12. September. Die seelenlose Propaganda mit der kriegerischen Phantasie war gefährlicher Rassenhass, der verbreitet wurde und der an die Pogrome gegen die Juden unter dem Hitlerfaschismus erinnerte.
Zumindest in den Reihen der KPD/ML-ZB kam es wegen der „Erklärung des ZB“ vom 6. September zu einem heftigen Zerwürfnis. Das Flugblatt stieß seinerzeit auf breite Ablehnung, wurde aber dennoch am 6./7. September verteilt. Am 7. September verabschiedeten der KJVD Hamburg und der Aktionsausschuss Hamburger Marxisten-Leninisten (ex-KPD/ML-ZK) eine Kritik an der ersten Erklärung der KPD/ML-ZB zum Anschlag des „Schwarzen September in München“. Die Kritik bestand im Wesentlichen an der Nichtverurteilung der Aktion und den Hang dazu, den individuellen Terror als geeignetes Mittel des Kampfes herauszustellen. Aus den Reihen der KPD/ML-ZK ist ähnliches bisher nicht bekannt geworden. (53)
Das Verbot der palästinensischen Gruppen GUPS und GUPA am 3. Oktober 1972 sollte den K-Gruppen noch einmal einen deutlichen Schub verleihen und viele Aktivitäten freisetzen. In der BRD lebten 1972 ca. 36.000 Araber, ca. 16.000 von ihnen waren an westdeutschen Hochschulen eingeschrieben. Die Palästinenser bildeten unter ihnen die stärkste Gruppe. Ca. 3.000 von ihnen, die nach dem September 1970, nachdem die Beduinenarmee König Husseins Tausende Fedaijin umgebracht hatte, in die BRD kamen, bildeten ca. zehn linke Gruppen mit ca. 142 Zweigstellen. Die stärksten Gruppen waren die „Generalunion Palästinensischer Studenten“ (GUPS) mit 27 Zweigstellen, die „Generalunion Palästinensischer Arbeiter“ (GUPA) mit 24 Zweigstellen, die rivalisierenden Gruppen der „El-Fatah“ des Jassir Arafat mit 23 Zweigstellen und Kontaktpunkten in zehn westdeutschen Städten und die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) des Dr. Georges Habasch mit sieben Ortsgruppen. (54)
Ohne diesen Hintergrund wird man die gesamte Kampagne „Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze“ (wobei GUPS und GUPA eine tragende Rolle spielten), die im Sommer des Jahres 1972 (etwa ab Juli) begann, nicht verstehen können. Ab dieser Zeit bildeten sich in NRW und anderswo unzählige Gruppen, Initiativen, Koordinationskomitees und Einheitsfronten mit dem Ziel, eine „gemeinsame Kampffront“ gegen die neue (reaktionäre) Ausländergesetzgebung aufzubauen, die dann schrittweise auf die Demonstration vom 8. Oktober 1972 zusteuerte.
Eine reine „Ausländergesetzgebung“, wie von den K-Gruppen 1972 verbreitet worden war, hat es allerdings nie gegeben. In der „Geschichte des Zentralbüros“ (55) ist diese Auffassung eindeutig widerlegt worden. Ausländer in der BRD bzw. ihre Organisationen standen in den 1970er Jahren unter der besonderen Beobachtung der Staatsicherheitsorgane. Die Gründe dafür mögen vielfältig gewesen sein. Sicherlich waren ihre politischen Aktivitäten eine dieser Gründe. Zudem kam hinzu, dass die verabschiedete Gesetzgebung zur Olympiade aus dem Sommer, die sog. „Gesetze zur inneren Sicherheit“, die am 22. Juni vom Bundestag verabschiedet worden waren, mit der „Verfolgung von Revolutionären durch den Staat“ gleichgesetzt wurden. Mit dem Verbot von Demonstrationen, der Einkesselung von Demonstranten, vorübergehender Beugehaft und dem „Gesetz zum Erhalt des olympischen Friedens“ wurde der Staat durch den Bundestag über alle Maßen legitimiert. (56)
Die nun von den K-Gruppen ins Feld geführte „Kriminalisierung der Revolutionäre“, speziell der Ausländerorganisationen wie z. B. GUPS und GUPA, die sich einer (extremen) „politischen Unterdrückung“ zu erwehren hatten, hatte es nur in deren Phantasie gegeben. Ob die Gesetze, wie behauptet worden war, überhaupt auf die „zunehmenden Kämpfe der Massen“ (einschließlich der Aktionen von ausländischen ML-Gruppen in verschiedenen Unternehmen wie Opel Bochum/Rüsselsheim, Ford Köln, Casella Frankfurt) zurückzuführen waren und sich „vor allem gegen die Arbeiterklasse und ihre Organisationen“ richteten, darf berechtigterweise in Frage gestellt werden.
Ein „sich gegenwärtig verschärfender Terror der Bourgeoisie und ihres Staatsapparates gegen die anwachsende kommunistische Bewegung“ konnte aus diesen Gesetzen nicht abgeleitet werden. Insgesamt gingen die K-Gruppen noch einen Schritt weiter. Meinten sie doch, dass zu der Zeit die „Verbindung von Kommunismus und Arbeiterbewegung“ im Keim erstickt werden sollte. Der „Kampf gegen politische Unterdrückung“ wurde somit möglicherweise in unzulässiger Weise verallgemeinert und mit einer „reaktionären Ausländergesetzgebung“ gleichgesetzt. Daher: „Kampf dem reaktionären Ausländergesetz“.
Vorreiter, zumindest in NRW, für diese Kampagne dürften u. a. die Marxisten-Leninisten (ML) Dortmund gewesen sein. Die von den Komitees verbreitete Auffassung, dass die Gesetzgebung sich „in besonderem Maße vor allem gegen die ausländischen Arbeiter und ihre Organisationen“ richten würde, entsprach nicht der Wahrheit. Von einzelnen dubiosen Geschichten einmal abgesehen (57), gab es keine direkte Bedrohung für das Leben ausländischer Mitbürger durch den Staat. Die Aktionen rechtsgerichteter Gruppen gegen sie sollen hier nicht bewertet werden. Das wäre ein eigenes Thema.
Hier sollen zunächst nur die Aktivitäten beider KPD/ML-Gruppen, die sich im Streit mit verschiedenen anderen Gruppierungen, etwa dem Koordinierungskomitee (KoKo) „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ oder anderen Initiativen befanden, sofern das Material es zulässt, beleuchtet werden. Die Kampagne selbst ist im höchsten Maße in sich verzahnt gewesen.
Wenn man bedenkt, dass selbst die KPD am 9. September mit einer eigenen „PLATTFORM DES NATIONALEN KOMITEES KAMPF DEN REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZEN“ auftrat und diese wiederum zig Unterkomitees und Initiativen bildete und als eigenes „Nationales Komitee“ aktiv wurde, dann dürfte die Schwierigkeit umso enormer sein, ein korrektes Bild vom Ablauf der Kampagne zu zeichnen.
Die KPD/ML-ZB, die sich nach dem RAKT mehr und mehr auf den Untergrund zu bewegte, war Anfang September noch darum bemüht, ein einheitliches „Kampfkomitee gegen die reaktionären Ausländergesetze“ auf die Beine zu stellen. Dazu entfaltete sie mehrere Initiativen. So hatte sie „Plattformen“ der verschiedenen Komitees etwa in Hamburg und Berlin unterstützt und war dort auch bereit, mit lokalen Zirkeln zusammenzuarbeiten. In NRW hatte sie die Zusammenarbeit mit dem „Koordinierungskomitee - Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ bzw. dem „Organisationskomitee“, deren einer Hauptträger die ML-Dortmund war, die von der ML Hagen und der PL Hamm unterstützt wurde, nach anfänglicher Zustimmung doch abgelehnt. Die KPD/ML-ZB ging davon aus, dass zunächst die regionalen Komitees konsolidiert werden müssten, bevor ein national arbeitendes Komitee in der BRD als auch in Westberlin gegründet werden konnte.
In der „Roten Fahne“, Nr. 19 vom 18. September 1972, meinte das ZB: „Bei allen ehrlichen Kämpfern ist der Wunsch wach geworden, diesen Kampf gegen die reaktionären Ausländergesetze auf nationaler Ebene zusammenzufassen und dadurch bessere Kampfbedingungen zu schaffen. Indem bereits die Zahl der Aktionen und Kämpfe täglich wächst und auf der Grundlage dieser Kämpfe muss der nationale Zusammenschluss vorbereitet und erkämpft werden. Je breiter die Front wird, je mehr Nationalitäten und Organisationen sich darin einreihen, je größer die politische Klarheit und Einigkeit ist, desto besser kann eine solche Front, die Massen erfassen und mobilisieren. Gegen diese Wünsche aller revolutionären und fortschrittlichen Kräfte hat die 'KPD' ein heimtückisches, kleinbürgerliches Manöver gestartet, um sie ihrem Diktat und ihrem opportunistischen Kurs zu unterwerfen. Am 10. September berief sie eine 'Konferenz' ein, um dort ein 'nationales Komitee zum Kampf gegen die Ausländergesetze' aus dem Boden zu stampfen. Ihr Vorgehen dabei schlägt allen Erfordernissen eines wirklichen Zusammenschlusses zu diesem Kampf ins Gesicht: Obwohl ein 'nationales' Komitee gebildet werden sollte, waren doch die Leitungen der meisten wichtigen aus- und inländischen Parteien und Gruppen, die den Kampf bereits führen, nicht eingeladen worden, Obwohl die KPD heuchlerisch angab, sie wolle insbesondere die ausländischen Organisationen in ihrem Kampf unterstützen, hatte sie unter diesen doch nur eine kleine Auswahl eingeladen und die größten und politisch bedeutendsten von ihnen nicht informiert.
Obwohl selbst von den anwesenden ausländischen Organisationen lediglich drei: eine Absplitterung der Patriotischen Einheitsfront der Türkei, die griechische EKKE und die arabische Studentenorganisation TTIA (Irak, d. Vf.), welche nur kleine Teile der fortschrittlichen Kräfte ihrer Nationalitäten vertreten, überhaupt entscheidungsfähig und bereit waren, sofort ein nationales Komitee zu gründen, obwohl selbst die Mehrzahl der anwesenden ausländischen Gruppen dies nicht konnten oder wollten (die spanische F.R.A.P., die Griechischen Marxisten-Leninisten, der Vertreter der persischen (iranischen, d. Vf.) CISNU- Leitung und der Trikontinentale Studentenverein) - trotz dieser offenkundigen Tatsachen, peitschten die KPD-Führer die sofortige Gründung eines Komitees durch.
Obwohl die KPD-Führer keinerlei klare Aussagen über die Aufgaben und Rechte dieses Komitees machten ... sollte doch sofort ein solches leitendes Komitee gegründet werden ... Vertreter der KPD/ML und ihres Zentralbüros, die ohne genaue Kenntnis der Absichten der KPD-Führer gekommen waren ... warnten entschieden vor solch einem opportunistischen, putschistischen und usurpatorischen Schritt, welcher die Bewegung nur spalten kann. Sie schlugen vor, dass die Anwesenden eine Resolution zur Gründung eines Komitees auf einer weiteren Versammlung fassen, inzwischen wirklich alle Kräfte einladen und für die Unterstützung der Westberliner Plattform gewinnen, den Kampf in Betrieben, in Regionen weiter vorantreiben, sowie gründliche Vorschläge für die Aufgaben eines nationalen Komitees machen sollen. Diesem Vorschlag stimmten neben den Griechischen Marxisten-Leninisten, dem Trikontinentalen Studentenverband und der Initiativgruppe (der Fachhochschulen) zum Kampf gegen die Ausländergesetze noch die Kommunistische Gruppe Köln, die SSG Hamburg zu. Die Enthaltung der F.R.A.P. und des CISNU-Vertreters war auch eine Absage an die sofortige Gründung des Komitees auf dieser völlig unzureichenden Grundlage. Trotz dieser Tatsachen bestand die KPD auf sofortiger Gründung und sprach unverhüllt von 'Fraktionierung' der Front gegen die Ausländergesetze. So wurden sie ein weiteres Mal, nach ähnlichem Vorgehen in NRW, zu üblen Spaltern des Kampfes und kleinbürgerlichen Machtpolitikern.“ (58)
Die KPD/ML-ZB wollte hiernach „bessere Kampfbedingungen schaffen“, die den „nationalen Zusammenschluss vorbereiten und erkämpfen“ sollte. Dabei war von Anfang an klar, dass es keine „besseren Kampfbedingungen“ gab als die, die das ZB als unverzichtbar für einen solchen Zusammenschluss nannte: Die Kampagne gegen „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“. Die angedachte „politische Klarheit und Einigkeit“ konnte es in den Komitees nur unter dieser Prämisse geben. Die Floskel der „Nationalitäten und Organisationen“, die zur Fronterweiterung beitragen sollten, war nur eine des Lavierens und des gegenseitigen Ausspielens. Die misstrauische Natur des ZB, das als internes übergeordnetes Kontrollorgan immer dann bestens funktionierte, wenn andere Gruppen in seinen politischen Herrschaftsbereich, wie hier die KPD, einzubrechen gedachten, war von Anfang an auf Konfrontation aus. So gestalteten sich dementsprechend auch die Verhandlungen, worüber die ML-Dortmund, die zwar nicht frei von einer kleinkarierten Ortspolitik war, berichtete:
„Am Sonntag, dem 1.10.1972 erschienen zur Sitzung des 'VORBEREITENDEN KOMITEES DORTMUND: Kampf dem reaktionären Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung', Vertreter der KPD/ML-Roter Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.). Sie versuchten die Sitzung, in der Vertreter der Vorbereitenden Komitees HOESCHBETRIEBE/NORDSTADT, ZECHE HANSA/HUCKARDE, DORTMUNDER HOCHSCHULEN gemeinsam mit Vertretern der KPD/ML-Rote Fahne (KPD/ML-ZB, d. Vf.) und einigen fortschrittlichen Menschen ihre Erfahrungen der bisherigen Komiteearbeit zusammenfassen und sich auf die zentrale Demonstration vorbereiten wollten, in ein Tribunal gegen die ML DO zu verwandeln und damit die Komiteesitzung zu sprengen.
Unserem Angebot, die Polemik zwischen der KPD/ML-Roter Morgen und den ML DO zu einem anderen Termin und in einer anderen Form zu führen, wichen sie aus. Sie begannen damit, die von den ML DO und der PGH und dem AStA PH seit fünf Wochen an den Hochschulen, Betrieben und Stadtteilen aufgebaute Komiteearbeit als 'Spaltung der nationalen Aktionseinheit und Hausmachtpolitik der ML DO' zu diffamieren. Sie erklärten sich einfach ohne jede Klärung der gemeinsamen politischen Grundlage zum Mitglied des örtlichen Komitees und beantragten, den Ausschluss der ML DO aus dem Dortmunder Komitee.“ (59)
Dem vorausgegangen war der Entwurf der ML Dortmund vom August 1972, der die „PRINZIPIEN DER ARBEIT MARXISTISCH-LENINISTISCHER ORGANISATIONEN IN DEN KOMITEES ZUM KAMPF GEGEN DAS REAKTIONÄRE AUSLÄNDERGESETZ UND DIE POLITISCHE UNTERDRÜCKUNG“ festzuschreiben gedachte. Zusammen mit der „Dortmunder Plattform: PLATTFORM FÜR DEN KAMPF GEGEN DAS AUSLÄNDERGESETZ UND DIE POLITISCHE UNTERDRÜCKUNG“ des „KoKo“ vom 31. Juli bildeten diese beiden Stellungnahmen den Grundrahmen für die Demonstration vom 8. Oktober.
Im Papier der ML Dortmund vom August hieß es: „Der Kampf gegen die Verschärfung der politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse und der breiten Volksmassen kann nur durch den breiten Zusammenschluss aller marxistisch-leninistischer Kräfte mit den fortschrittlichen Elementen unseres Landes erfolgreich geführt werde. Die jüngste Zuspitzung des staatlichen Terrors, der Verbotshetze und Illegalisierung richtet sich im Besonderen gegen kommunistische und demokratische Organisationen. Dem Ausländergesetz kommt hier die praktische Vorreiterrolle zu, gegen demokratische, patriotische und kommunistische Ausländer die Terrorinstrumente anzuwenden, die auch gegen ihre deutschen Kollegen und Genossen eingesetzt werden sollen. Der Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz muss deshalb auch in breitester Front gegen die sich verschärfende politische Unterdrückung geführt werden. Der Zusammenschluss der marxistisch-leninistischer Organisationen dazu muss zum wichtigen Hebel werden; eine breite Kampffront gegen imperialistische Unterdrückung und revisionistischen Verrat aufzubauen. Dabei muss die Arbeit der marxistisch-leninistischen Organisationen in den Komitees folgende Prinzipien wahren:
1.
Bedingung der Arbeit der Komitees und Verpflichtung für alle Organisationen, die auf Grundlage einer gemeinsamen Plattform in den Komitees arbeiten, ist die Erfüllung der sich aus der Plattform ergebenden politischen und organisatorischen Aufgaben.
Die Plattform und der Zusammenschluss der verschiedenen Organisationen in den Komitees soll den einheitlichen Kampf gegen die politische Unterdrückung ermöglichen. Die Plattform formuliert dazu die minimalen Inhalte - unter Umständen an den verschiedenen Orten in unterschiedlicher Weise. Daher muss vor der Verabschiedung der Plattform die ideologisch politische Auseinandersetzung um ihren Inhalt weitgehend abgeschlossen sein, muss die Plattform den konkreten Bedingungen der Kampfsituation an jedem Ort angepasst sein. Ist dieser Schritt geleistet, dann gibt es keinen Grund, die geklärte politische Arbeit durch besondere ideologische Auseinandersetzungen um den Inhalt der Plattform aufzuhalten oder zu verhindern, es sei denn, es treten einschneidende Veränderungen der Kampfsituation ein, oder es stellen sich wichtige Fehler der Plattform heraus.
2.
Unabweisbare Pflicht aller in einem Komitee arbeitenden marxistisch-leninistischen Organisationen ist es, über die Erfüllung der sich aus der Plattform ergebenden Arbeit hinaus den Kampf um die Weiterentwicklung der Plattform zu führen und in den Zusammenschluss mit den fortschrittlichen Elementen der Bewegung die maximalen Ziele der Kommunisten zu tragen.
Die Plattform stellt niemals die Generallinie der revolutionären Bewegung Westdeutschlands und Westberlins in dieser Frage dar, sondern sie ist wesentlich gekennzeichnet durch den Kompromiss der Organisationen, die sich auf dieser Grundlage zusammengeschlossen haben. Daher muss es jeder der vertretenen marxistisch-leninistischen Organisationen darum gehen, fortschrittliche Forderungen, die auf Grund des Kompromisscharakters der Plattform dort nicht aufgenommen worden sind, durch geduldige Überzeugungsarbeit zum Inhalt der Plattform und des Kampfes zu machen. Es darf keine 'freiwillige Selbstbeschränkung' auf den Inhalt der Plattform geben!
3.
Wichtigste Pflicht aller in einem Komitee arbeitenden marxistisch-leninistischer Organisationen ist es, die Komitees zu Instrumenten einer breiten Kampffront gegen imperialistische Unterdrückung und revisionistischen Verrat zu machen. Das wichtigste Mittel dazu muss der Zusammenschluss mit allen fortschrittlichen Elementen in Betrieben, Stadtteilen, Schulen und Hochschulen auf der Grundlage der Plattform sein.
Die Komitees dürfen in keiner Weise nur der Mobilisierung von Mitgliedern und Sympathisanten der beteiligten Organisationen für kurzfristige Aktionen gegen das Ausländergesetz dienen. Der Kampf gegen das Ausländergesetz muss von den Komitees als Kampf gegen die Verschärfung der politischen Unterdrückung breit angelegt werden und sich in einer Vielzahl von Mobilisierungen sowie örtlichen und regionalen Initiativen ausdrücken.
4.
Keine der in den Komitees arbeitenden marxistisch-leninistischen Organisationen kann gegenüber anderen einen begründeten Führungsanspruch ableiten, noch können die verschiedenen örtlichen und regionalen Komitees von einem national führenden Zentrum 'von oben' aufgebaut werden.
Jeder kommunistische Führungsanspruch kann sich nur in der Autorität des Programms für die Revolution und in der tatsächlichen Führung der Kämpfe der Arbeiterklasse ausdrücken. Gegenwärtig verfügt jedoch keine der in den Komitees arbeitenden marxistisch-leninistischen Organisationen über eine konkrete kommunistische Programmatik, die nachweisbar das Ergebnis historisch-materialistischer Analysen wäre, noch können sie in irgendeiner Weise als bewusster Ausdruck der spontanen Arbeiterbewegung angesehen werden. Ihre Fähigkeit, ein führendes Zentrum zu bilden, um eine solche Kampagne anzuleiten, existiert allenfalls als Absicht einzelner Organisationen. Eine zentrale Leitung unseres Kampfes gegen die politische Unterdrückung kann sich daher nur aus dem konkreten Kampf der örtlichen und regionalen Komitees entwickeln.
5.
Es widerspricht nicht dem Geiste der Plattform, wenn die in dem Komitee zusammengeschlossenen Organisationen eine eigenständige Politik bzw. Propaganda auch etwa in Veranstaltungen des Komitees entfalten, soweit sie nicht dem Inhalt der gemeinsamen Plattform entgegengesetzt ist.
6.
Gegenüber ausländischen revolutionären Organisationen müssen die westdeutschen marxistisch-leninistischen Organisationen vor allem technische und organisatorische Unterstützungsarbeit leisten. Die besondere Einschätzung der Fragen des revolutionären Kampfes in den Heimatländern dieser Organisationen muss deren Angelegenheit bleiben.“ (60)
Es waren die Punkte 1, 4 und 5, die bei der politischen Führung des ZB und des ZK auf Ablehnung stießen. Der „Führungsanspruch“ beider Gruppen war in den Sitzungen immer damit begründet worden, dass sie die am „weitest entwickelten ML-Gruppen“ wären. Daraus ergäbe sich unmittelbar die führende Rolle in diesen Komitees, denen sie ihr politisches Programm aufzwingen wollten.
Zwar meinte der „Rote Morgen“ in seiner Ausgabe Nr. 19 vom 25. September 1972 noch vollmundig: „In Westdeutschland wird zur Zeit ein nationales Komitee aufgebaut, in dem viele fortschrittliche und kommunistische Organisationen den gemeinsamen Kampf vorbereiten. In diesem Komitee arbeitet auch die KPD/ML, die Rote Garde und der KSB/ML aktiv mit. Nachdem der Versuch der Studentengruppe KPD die Aktionseinheit wieder einmal zu spalten, gescheitert war, wird jetzt an einer gemeinsamen Plattform gearbeitet. Diese Plattform bildet die Grundlage für einen längerfristigen breitangelegten Kampf gegen die Ausländergesetze und seine Anwendung. Die Plattform soll eine tägliche Aufklärungsarbeit und Kampfperspektive mit Massencharakter ermöglichen …“ (61)
Doch schon einen Tag später, am 26. September, berichteten die ML Dortmund in ihrem „Rundbrief an die Mitglieder der Aktionseinheit gegen die reaktionären Ausländergesetze“ (62), dass die beiden KPD/ML-Gruppen die Entfernung der ML-Dortmund aus dem „Organisationsausschuss“ beantragt hätten. Das war die ungeschminkte Wahrheit. Das Auftreten der Parteifunktionäre der KPD/ML in diesen Gremien hatte den Rang einer Unantastbarkeit, die zudem noch mit dem geschlossenen Auftreten ihrer Reihen auf dem RAKT begründet wurde. Die Argumentation der KPD/ML in den Ausschüssen glich einem falschen Spiel und war von Vorwürfen gegen das „KoKo“ nur so durchzogen. Da es nun kein Gremium mehr gab, in dem ein Beschluss über den Verbleib der ML-Dortmund gefasst werden konnte, gab es auch keines mehr, dass sich dagegen aussprechen konnte oder in dem zumindest das Für und Wider besprochen werden konnte. Damit war die einheitliche Front, das erstrebte gemeinsame Minimalziel aller Beteiligten, gespalten.
Doch die eigentliche Spaltung der „Aktionseinheit“ ging bereits auf den August zurück, als die KPD mit einer eigenen „Plattform“ an die Öffentlichkeit trat. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, sprachen sich die beiden KPD/ML-Gruppen, die ML Dortmund und der „Organisationsausschuss“ (im „KoKo“) gegen das Vorgehen der KPD aus. Anfang September verfassten die ML Dortmund, ML Hagen und die PL Hamm eine gemeinsame „ERKLÄRUNG ZUR SPALTUNG DER GEMEINSAMEN KAMPFFRONT GEGEN DAS REAKTIONÄRE AUSLÄNDERGESETZ DURCH DIE KPD“:
„Im Kampf um eine gemeinsame politische Minimalplattform der beteiligten Gruppen spitzten sich im Verlauf der Treffen die Widersprüche im Wesentlichen auf die Frage zu, ob der erklärte Kampf gegen die opportunistische und revisionistische Ideologie vom 'kleineren' Übel SPD als entscheidender inhaltlicher Stoß gegen Opportunismus und modernen Revisionismus im Rahmen des Kampfes gegen das Ausländergesetz Bestandteil einer minimalen politischen Plattform sein müsse oder nicht. Obwohl eine Anzahl der Organisationen eine schwankende Haltung in dieser Frage einnahm und -nimmt, bestand mehrheitlich das Verständnis, den Kampf um die genannten Frage gerade in Verbindung mit den zunehmenden Erfahrungen der örtlichen Initiativen weiterzutreiben. Es wurde ebenfalls mehrheitlich festgehalten, dass der Stand des ideologischen und politischen Kampfes in dem Bochumer Treffen noch keine gemeinsame politische Plattform zum Ergebnis habe, sondern nur die Zusammenarbeit und Koordination im regionalen Rahmen möglich mache.
Im Gegenteil dazu beharrten die Genossen von KPD, KSV, KJV und Liga gegen den Imperialismus (LgdI, d. Vf.) auf ihrem Standpunkt, dass der erklärte Kampf gegen opportunistische und revisionistische Ideologen nicht Teil der Minimalplattform zu sein brauche. Eine klare politische Begründung für diesen Standpunkt steht bis heute aus, sie wurde bisher keiner der unterzeichnenden Gruppen dargestellt. Die Genossen bestanden weiterhin darauf, dass - auf der Grundlage einer in Westberlin von verschiedenen Gruppen beschlossenen Plattform, die den Kampf gegen den Opportunismus und Revisionismus minimal nicht enthält - in NRW ein politisch führendes Regionalkomitee zu gründen sei, das zentral anleitend eine 'Kampagne' gegen das Ausländergesetz organisiert und entsprechende Initiativen, an den Orten etwa von oben her aufbaut. Im Zusammenhang damit wurden schon bestehende örtliche Initiativen als spalterisch beschimpft.
Es wurde von den Genossen vorgeschlagen, den ideologischen Kampf um die politische Plattform zum Abschluss zu bringen, da es nichts weiter sei, als 'leeres und endloses Geschwätz'. Die unterzeichnenden Gruppen und Organisationen weisen dieses Verständnis und die Diffamierung des bisher in Bochum geführten politisch-ideologischen Kampfes scharf zurück und stellen dagegen fest: Die notwendigen Kampfkomitees dürfen in keiner Weise nur der Mobilisierung von Mitgliedern und Sympathisanten der beteiligten Organisationen für kurzfristige Aktionen gegen das Ausländergesetz dienen …“(63)
Daraufhin bildeten die beiden KPD/ML-Gruppen und eine Reihe von anderen Gruppen eine eigene „Initiative für die Verbreiterung und Vereinheitlichung des Kampfes gegen die Ausländergesetze“, die allerdings nicht mit dem „Vorbereitenden Komitee“ („KoKo“) identisch war. KPD/ML-ZB und KPD/ML-ZK bildeten auch eigene „Kampfkomitees“, die in den Betrieben und Stadtteilen aktiv wurden und die sie nicht dem „Organisationsausschuss/Vorbereitendes- und nationalen Komitee“ unterstellten.
Darüber berichtete die „Rote Fahne“ der KPD/ML, Nr. 19 vom 18. September: „Heute (wobei nicht mehr zu klären ist, um welches Datum es sich hier handelt, d. Vf.) trafen sich eine Reihe marxistisch-leninistischer Organisationen zu einer eigenen Initiative … Das Treffen wird von der Spanisch-Deutschen Freundschaftsgesellschaft organisiert. Die Versammelten verurteilen entschieden den Schritt der KPD von dem sie erst ganz ungenaue Informationen auf ihren Treffen erhielten, beschlossen jedoch zu einer weiteren Beratung über die Vereinheitlichung des Kampfes gegen die Ausländergesetze nicht nur alle bereitwilligen in- und ausländischen Organisationen, sondern auch die KPD und einen Vertreter ihres Nationalen Komitees einzuladen ... Diese breite Initiative umfasst schon heute folgende Organisationen, welche zur nächsten Beratung kommen werden: PCE/ML, MCE, F.R.A.P, OSO, UPM (alle Spanien), ICE/ML, Lucha Obrera, Marxisten-Leninisten der Türkei (Aydinlik) und Patriotische Einheitsfront der Türkei, KPD/ML (Rote Fahne), KJVD, KPD/ML (Roter Morgen), Rote Garde, KSV (Frankfurt, d. Vf.), Gruppe der Marxisten-Leninisten in NRW, Neues Rotes Forum Heidelberg. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden in Zukunft teilnehmen: Griechische Marxisten-Leninisten und PCd'I/ML (Italien).“ (64)
Vor der „Ausländerdemonstration“ am 8. Oktober wandten sich die ML Dortmund mit einem weiteren „Rundbrief“ vom 2. Oktober an die ML-Öffentlichkeit. Dort hieß es:
„RUNDBRIEF AN ALLE ORGANISATIONEN UND GRUPPEN DER AKTIONSEINHEIT GEGEN DIE REAKTIONÄREN AUSLÄNDERGESETZE
In unserem Rundbrief vom 26.9.1972 haben wir über den Rauswurf der ML DO aus dem Organisationsausschuss durch die beiden KPD/ML's (KPD/ML-ZB und KPD/ML-ZK, d. Vf.) berichtet und vor der hinterhältigen Taktik dieser Organisationen gewarnt, sich in den nationalen Ausschüssen der politischen und organisatorischen Führung der Aktionseinheit zu bemächtigen. Wir zeigten auf, dass ihre Taktik dabei darin besteht, die auf einer politisch völlig unbestimmten Grundlage, aus pragmatischen Gesichtspunkten geschaffenen Ausschüsse in ein politisch führendes Gremium zu verwandeln. Auf unsere Kritik haben wir die beiden KPD/ML's mit einer Polemik reagiert, in der sie die Marxisten-Leninisten Dortmund als Spalter der Aktionseinheit hinstellen.
In der letzten Sitzung des Gesamt-Ausschusses der die Reden und den Aufruf ausgearbeitet hat) konnte keine Einheit erreicht werden. Vielmehr begannen die Vertreter des Roten Morgen mit Lügen und Verdrehungen die Tatsache zu bemänteln, dass sie sich gemeinsam mit der KPD/ML-ZB durch den Rauswurf der ML DO über die Beschlüsse der nationalen Konferenz hinweggesetzt hatten. Dadurch wurde die gemeinsame Absicht der nationalen Konferenz, eine machtvolle Demonstration gegen die reaktionären Ausländergesetze durchzuführen, mit Füßen getreten. Denn was bedeutete es anderes, die Unterstützung und Organisierung dieser Demonstration abhängig von der Anerkennung der politischen Linie der KPD/ML's zu machen, die diese Organisationen geschickt als politische Linie der nationalen Aktionseinheit ausgaben.
Auf dieser Grundlage war es nicht mehr möglich, ohne eine erneute Zirkelkonferenz vor der Demonstration zu einer einheitlich durchgeführten Aktion gegen das Ausländergesetz zu kommen. Deshalb begrüßen wir, dass eine solche Konferenz noch vor der Demonstration organisiert wird. Wir werden uns ihren Beschlüssen unterordnen.
Zur Vorbereitung der Demonstration konnten sich die beteiligten Organisationen des Gesamt-Ausschusses auf einen gemeinsamen Aufstellungsplan und ein Ordnerkonzept einigen. Diese Beschlüsse werden von der Bochumer Adresse den Organisationen zugestellt. Sie machen den Organisationsvorschlag, den wir in unserem Rundbrief propagiert haben, hinfällig.
Wir machen in diesem Rundschreiben besonders darauf aufmerksam, dass die beiden KPD/ML's eine entsprechende Darstellung in dem von ihnen vertriebenen Schreiben ablehnten. Auch in einem weiteren Punkt ist dies Org.-Schreiben ein Ausdruck der Taktik der KPD/ML's, die politische Stoßrichtung der nationalen Aktionseinheit in ihrem Sinne zu interpretieren und diese Interpretation als politische Absicht der Aktionseinheit hinzustellen.
So behaupten die beiden KPD/ML's in dem Org.-Schreiben, dass es notwendig sei, für die Demonstration einen Selbstschutz zu organisieren. Sie nennen ihre Münchener Erfahrungen als wichtigsten Hintergrund dazu. Keinesfalls ist dagegen aber auf der Frankfurter Konferenz diese Taktik zur gemeinsamen Linie erklärt worden. Vielmehr besteht nach der politischen Linie der meisten Organisationen berechtigter Zweifel daran, dass die Auffassungen der KPD/ML's von der 'Anwendung revolutionärer Gewalt' gegen die Provokationen der Bourgeoisie geteilt werden. Es wird daher ein wichtiger Punkt der nationalen Konferenz vor der Demonstration sein, die gemeinsamen Auffassungen der Aktionseinheit zur Richtlinie für die Abwehr von Provokationen während der Demonstration zu machen.“ (65)
Es bestätigte sich, dass die KPD/ML ihre politische Linie in den nationalen Ausschüssen quasi durch einen Putsch durchzusetzen gedachte. Darauf lief auch deren Taktik hinaus. ZK und ZB argumentierten stets mit den neuen Bedingungen, die mit dem „RAKT“ entstanden seien. Auch daraus leiteten sie ihren Anspruch ab, die Politik in den Komitees bestimmen zu wollen. Dagegen baute sich eine Front auf, die (siehe „Rundbrief“) u. a. von den ML Dortmund getragen wurde. Doch sie konnte nicht verhindern, dass die Eigenbrötler mit eigenen Konferenzen und eigenen Initiativen zur Demonstration am 8. Oktober erschienen. Faktisch einigte man sich nur auf „einen gemeinsamen Aufstellungsplan und ein Ordnerkonzept“. Die wohlklingende Parole „Kampf dem reaktionären Ausländergesetz und der politischen Unterdrückung“ verlor so noch vor der Demonstration ihren Anspruch. Die Demonstration selbst entartete damit zur Farce.
Einige Tage vor der eigentlichen Aktion verbot das Innenministerium GUPS und GUPA (3. Oktober 1972). Gegen das Verbot wurde bis zum 8. Oktober (und darüber hinaus) bundesweit demonstriert. Ob das Verbot die Konsequenz aus den Münchener Ereignissen war, kann mit Bestimmtheit nicht gesagt werden. Einiges spricht dafür, einiges dagegen. Für die K-Gruppen war das Verbot Wasser auf ihre Mühlen. Fast klingt es wie ein Hohn: Es war sogar eine ideale Ausgangslage für beide KPD/ML-Gruppen nun in den Ausschüssen Mehrheiten zusammenzuzimmern, die Ausdehnung des Verbots auf die KPD/ML vorauszusagen und alle dann auf diese neue „politische Linie“ zu verpflichten.
Die ML Dortmund berichteten von einem möglicherweise letzten Treffen des „KoKo“ am 3. Oktober: „Erklärung der ML DO zum Vorgehen der KPD/ML Roter Morgen im örtlichen Komitee Dortmund. Der Zweck dieses ganzen Geschreis, das die KPD/ML-Roter Morgen über die angebliche Spaltung der Aktionseinheit durch die ML DO veranstaltet, ist völlig klar. Mit diesem Geschrei soll genau von dem Punkt abgelenkt werden, den wir nach unserem Rauswurf aus dem Organisationsausschuss durch die beiden KPD/ML's in unserem Rundbrief aufgezeigt hatten. Wir hatten dort aufgezeigt, dass die beiden KPD/ML's, voran der Rote Morgen, aus den Durchführungsausschüssen, die die nationale Konferenz aus nur pragmatischen Gesichtspunkten eingesetzt hatte zur Vorbereitung und Durchführung der gemeinsamen Demonstration, politisch führende Gremien machten, deren politische Linie dann von ihnen aufgrund ihrer Mehrheit bestimmt wurde. Wir entwickelten dagegen die Auffassung, dass die Ausschüsse der nationalen Konferenz nicht in der Lage sind, selbständig Beschlüsse zu fassen, die über die klar festgelegten Aufgaben der Frankfurter Konferenz hinausgehen. Denn die eingesetzten Ausschüsse wurden nicht politisch gewählt. Sie repräsentieren keinesfalls die mehrheitliche politische Meinung dieser Konferenz. Die Ausschüsse nicht nach den gemeinsamen Auffassungen politisch gewählt zu haben, ist ein schwerer Fehler der nationalen Konferenz, der aber kaum vermeidbar war, da die Auffassungen über das wie und was des Kampfes gegen die reaktionären Ausländergesetze noch sehr weit auseinandergingen. Das zeigte sich besonders daran, dass beispielsweise die Erfahrungen der Komiteearbeit in NRW nicht zur Grundlage der nationalen Aktionseinheit gemacht werden konnten.
Es wird die Aufgabe der nach der Demonstration einberufenen nationalen Konferenz sein, die betriebliche, örtlichen und regionalen Erfahrungen der Komiteearbeit zusammenzufassen, weiterführende Konzeptionen vorzulegen und die Frage einer gemeinsamen Plattform auf der Grundlage dieser praktischen Erfahrungen weiter zu diskutieren.
Die KPD/ML-Roter Morgen glaubt unseren Kampf um die erweiterte Plattform, unsere Arbeit in betrieblichen, örtlichen und regionalen Zusammenschlüssen mit kommunistischen und demokratischen Organisationen und Menschen als 'Hausmachtpolitik' diffamieren zu können. Sie spekuliert dabei auf den Widerwillen, den viele fortschrittliche Menschen gegen den Sektenstreit der ML-Gruppierungen völlig zu Recht empfinden. Denn in der Regel wird diese Auseinandersetzung unvermittelt mit den konkreten Erfahrungen geführt, die fortschrittliche Menschen dazu machen konnten.
Genauso verhält es sich bei dieser Polemik des Roten Morgen. In NRW wurde wochenlang ein Kampf geführt gegen den falschen Anspruch der KPD/AO, die Zirkel auf ihre vorformulierte Grundlage dazu zwingen. In dieser Polemik wurde insbesondere von den ML DO ihr grundlegendes Verständnis von der Komiteearbeit und der dazu notwendigen Plattform herausgestellt. Wir hoben die zentrale Bedeutung der betrieblichen und örtlichen Komiteearbeit für die Schaffung regionaler und nationaler Zusammenfassungen dieser Arbeit hervor.
Unsere Polemik wandte sich gegen den Plan der KPD/AO, in wenigen Wochen auf der Grundlage regionaler und nationaler Absichtserklärungen eine Kampagne durchzuführen. Wir wiesen nach, dass es eine solche regionale und nationale 'Führung' nicht von vornherein geben kann, dass eine wirkliche 'Führung' nur aus der Zusammenfassung und Vereinheitlichung der betrieblichen und örtlichen Komiteearbeit entwickelt werden kann. In diesem Sinne hat die Frankfurter Konferenz völlig zu Recht kein nationales Komitee geschaffen, sondern nur Durchführungsausschüsse für eine gemeinsame Demonstration benannt.
Wenn nun die beiden KPD/ML's, voran der Rote Morgen, aus diesen Ausschüssen führende politische Gremien machen, liegt dem die gleiche Taktik zugrunde, die wir bei der KPD/AO kritisierten. Sie unterscheidet sich dann nur noch in der Form: Während die KPD/AO ihren Anspruch, die Kampagne gegen die reaktionären Ausländergesetze durch ihr 'Nationales Komitee' zu leiten, vor sich hertrug und damit die Kritik und Entlarvung dieser Taktik leicht machte, versuchen die beiden KPD/ML's, insbesondere der Rote Morgen, sich diese selbst ausgestellte Führungsrolle in den Ausschüssen der Frankfurter Konferenz zu erschleichen.
Nur von diesem Hintergrund wird der absurde Vorwurf verständlich, die örtliche und betriebliche Komiteearbeit, die nicht auf der Grundlage der Frankfurter Resolution, sondern auf Grundlage der 'Erweiterten Plattform' betrieben wird, spalte die Aktionseinheit. Sie spaltet nicht die Aktionseinheit, sondern weist die angemaßte Führungsrolle der KPD/ML's praktisch zurück.“ (66)
Angesichts der tatsächlich bestehenden Machtverhältnisse in den regionalen und nationalen Komitees des „KoKo“, die, das kann wohl abgeleitet werden, von den KPD/ML-Gruppen dominiert wurden, waren die ausgehandelten Bedingungen nichts mehr wert. Auch die KPD mit ihrem eigenen „nationalen Komitee“ war nicht zu minimalen Zugeständnissen bereit und beharrte auf ihrer Führungsrolle. Die „Frankfurter Konferenz“ des „KoKo“, die vermutlich am 1. Oktober stattfand, konnte auch nicht mehr als Zugeständnisse erreichen. Die Fronten waren dermaßen verhärtet, dass sich die ML Dortmund entschloss, noch einmal einen letzten Versuch zu unternehmen, die Gruppen auf eine einheitliche Programmatik auszurichten. Das schlug fehl.
Aus dem letzten „Rundbrief“ ist zu entnehmen, dass die ML Dortmund den Machenschaften der KPD/ML ziemlich resigniert und desorientiert gegenüberstand. Ein Kompromiss mit ihr war nun nicht mehr erstrebenswert. An der Spaltung der „Aktionseinheit“ waren alle Gruppen beteiligt. Dies betraf die ML Dortmund genauso wie die KPD und die KPD/ML. Noch ehe das Ziel erreicht war, brach die alte Uneinigkeit wieder hervor. Die „Ausländerdemonstration“ entwickelte sich somit mehr und mehr zu einer reinen Machtdemonstration, auf der um die Führungsrolle in der ML-Bewegung gekämpft wurde.
Eine Versammlung in Dortmund am 3. Oktober, bei der es um die Mitarbeit des KSB/ML der KPD/ML-ZK in einem bereits bestehenden Studentenkomitee gegen die Ausländergesetze ging, endete wiederum in einem Eklat. Die ML Dortmund wurde in ihrem Misstrauen gegenüber der KPD/ML, nachdem der Vertreter des KSB/ML erklärt hatte, dass seine Organisation eine „Plattform“, in der die DKP nicht namentlich erwähnt werde, nicht unterzeichnen würde, noch gestärkt. Das angedachte Bündnis konnte die Kuriositäten kaum noch überbieten. (67) Stets wurden neue Fallen aufgestellt, die zuklappten und den politischen Gegner in eine Zwickmühle brachten. Warum aber gerade die ML Dortmund so verbissen an Bündnisverhandlungen festhielt, kann nur aus ihrer örtlichen Vormachtstellung abgeleitet werden; denn schließlich waren sie es, die die Hauptinitiatoren der ersten „Plattform“ waren.
Eine eigene „Plattform“ stellte auch der KABD am 6. Oktober in Tübingen vor: „Gegen Notstandskurs und Militarisierung die Einheit aller fortschrittlichen Kräfte! Weg mit den reaktionären Ausländergesetzen! und Freie politische Betätigung für alle fortschrittlichen Ausländer und ihre Organisationen!“ Auf einer Protestdemonstration in Tübingen am 6. Oktober forderte er auch: „Weg mit dem Verbot von GUPA und GUPS!“. Mit seiner Programmatik lehnte er sich stringent an den Parolismus der „Nationalen Komitees“ an, ohne aber zur Teilnahme an der „Aktionseinheit“ am 8. Oktober aufzurufen. (68) Das entsprach der zentralen Veranstaltung der KPD in Dortmund, die einen Tag vor dem 8. Oktober einen eigenen Initiationsritus ihres „Nationalen Komitees“ „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ veranstaltete. (69) Dass diese Veranstaltung nicht auf Gegenliebe der KPD/ML-Gruppen und der ML-Dortmund stieß, war nicht verwunderlich. Massiv attackierten sie die KPD, der sie „Kapitulation vor dem Revisionismus“ vorgewarfen. (70)
Bekannt wurde am Tag der Demonstration ein Schreiben des Sekretariats des KABD zum „Aktionseinheitsangebot“ zum 8. Oktober: „Die marxistisch-leninistische Bewegung in Westdeutschland spalten und zerschlagen, das ist die Aufgabe dieser bürgerlichen Agenten in der Arbeiterbewegung. Das gleiche Ziel verfolgen einige ehemalige SDS-Führer, die sich nur etwas geschickter mit dem 'marxistischen Mäntelchen' tarnen: einige gescheiterte Elemente in Westberlin, die sich selbstherrlich zu 'KPD' ernannten, und einige ehemalige Studentenführer in Heidelberg um die Zeitung 'Neues Rotes Forum' (NRF), die sich 'Kommunistische Gruppe' nennen. Zur Zeit überschwemmen diese Gruppierungen die BRD mit Angeboten zur 'Aktionseinheit'. Ziel dieser 'Aktionseinheit' ist die Zerschlagung der marxistisch-leninistischen Bewegung, ein Amoklauf in die bewaffneten Arme der Bourgeoisie ... Bei ihren ständigen Angeboten zur 'Aktionseinheit' und den Provokationen geht es ihnen darum, in die marxistisch-leninistische Bewegung einzudringen und um jeden Preis auf die Illegalisierung hinzuarbeiten; und das bedeutet zum jetzigen Zeitpunkt nichts anderes als die Zerschlagung der noch jungen kommunistischen Bewegung ... Wir müssen einen scharfen Trennungsstrich zwischen uns Kommunisten und diesen Provokateuren im Dienste der Bourgeoisie ziehen. Eine Aktionseinheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann es mit diesen Elementen nicht geben.“ (71)
So oder so gewendet: Auch von dieser Seite aus betrachtet, stand die Demonstration unter keinem guten Stern. Der KABD, die glanzloseste ML-Gruppe zu dieser Zeit, erklärte ihr Unwohlsein über die Aktion. Schon zynisch schoss er sich auf die „Provokateure“ ein, um gleichzeitig in bekannter Manier Bewertungen abzugeben, die sich nach Sonntagsreden von Vertriebenenpolitikern anhörten.
Der 8. Oktober selbst brachte keinen einheitlichen Demonstrationszug hervor. Insgesamt waren wohl 10.000 bis 14.000 Menschen unterwegs. Es bildeten sich zwei große Blöcke innerhalb des Zuges; wenn man es genau nimmt, waren es sogar vier.
Zunächst marschierten im Block des „Nationalen Komitees“ der KPD „Kampf den reaktionären Ausländergesetzen“ ca. 3.000 Menschen. Unterstützt wurde es von KPD, KSV, KJV, LgdI, TTIA, EKKE und dem am 8. Oktober gegründeten KOV.
In einem weiteren Block (ca. 3.000 Personen) des KB Bremen/KG (NRF) Mannheim/Heidelberg marschierten: Sozialistische Schülerfront (SSF) Hamburg, Sozialistische Studentengruppe (SSG) Hamburg, SVI, ML Dortmund, ML Hagen, ML Unna, Proletarische Linke Hamm. KB Bremen, KG (NRF) Mannheim/Heidelberg.
Im ZB- und ZK-Block marschierten ATÖF (Türkische Studentenföderation), Bund Kommunistischer Arbeiter Freiburg, CISNU, CSL, FRAP, PCE/ML, KJVD, KSB/ML, KPD/ML-ZB, KPD/ML-ZK, ML Duisburg, MCE, OSO, Patriotische Einheitsfront der Türkei (PEF), PCE/ML, PCI/ML, Rote Garde, Rote Zellen Münster. Meiner Erinnerung nach war das der größte Block im Demonstrationszug.
Einen eigenen Block bildeten wohl die Trotzkisten (um „Spartacus“) und Versprengte, etwa BKA, KB Göttingen (?), Parteiaufbaufront usw. Es muss hinzugefügt werden, dass die Zuordnung zu den Blöcken, wie sie in den Presseorganen der Gruppen nach der Demonstration publiziert wurde, in sich keinesfalls stimmig war.
Vor allem die Zirkel sorgten für erhebliche Unruhe unter den Etablierten, die sich auch gleich, wie etwa der „Rote Morgen“, echauffierten: „Was unternahm die von den Zirkeln beherrschte Demonstrationsleitung gegen die Teilnahme des Trotzkistenblocks von 'Spartacus'? - Nichts! Man ließ die geschworenen Feinde des Sozialismus, die Verleumder des sozialistischen China, die damals wie heute mit Polizei und Geheimdiensten zusammenarbeitenden Trotzkisten mit marschieren. Wurden ihnen die Flugblätter abgenommen, die zum Wiederaufbau der berüchtigten Vierten Internationale und zur Wahl der DKP aufriefen? Zur Wahl einer Partei, die ordentliche Gerichtsverfahren für abgeschobene ausländische Kollegen fordert und diese so der Klassenjustiz ausliefert! Einer Partei, die ihren Mitgliedern verbietet, an der Demonstration in Dortmund teilzunehmen! Die Demonstrationsleitung erlaubt die Propaganda für eine solche Partei. Aber als die KPD/ML auf der Schlusskundgebung das Eindringen der Trotzkisten in unsere Reihen verhinderte, als die Organisationstransparente entfernt wurden, als einem Demonstranten von Trotzkisten der Arm angebrochen wurde - da wurden wiederum die Trotzkisten von den Zirkelhäuptlingen in Schutz genommen und die KPD/ML angegriffen.“ (72)
Wer da noch glaubte, es hätte hier die vielbeschworene und verkündete Einheit der ML-Bewegung gegeben, der war auf dem Holzweg. Der lange Machtschatten der KPD/ML überdauerte nicht nur diese Aktion, sondern auch viele andere, die noch kommen sollten. Wie in vielen anderen Fällen, so sprach sie auch hier ihr Todesurteil über die linke Bewegung, entpuppte sich aber selbst als eigener Totengräber.
Es war den ML Dortmund vorbehalten, das Resümee dieser Demonstration zu ziehen: „Neben dieser eindrucksvollen Demonstration ist auch von einigen traurigen Randerscheinungen zu berichten: Zwei Gruppen konnten es nicht lassen, Verwirrung zu stiften. Die eine Gruppe lehnte es ab, sich der nationalen Aktionseinheit unterzuordnen. Sie trat mit ihrer (frisch gegründeten) Jugend- und Studentenorganisation (KJV bzw. KSV, d. Vf.) als Nationales Komitee auf und forderte die 30 demokratischen und kommunistischen Organisationen auf, sich diesem 'Nationalen Komitee' unterzuordnen. In Dortmund hat es diese Gruppe einfach abgelehnt, mit dem vorbereiteten Komitee gegen das Ausländergesetz zusammenzuarbeiten. Der Grund für dieses Spaltertum liegt darin, dass diese Gruppe sich als 'KPD' aufspielt und nur mit den Kollegen und Genossen zusammenarbeitet, die ihren 'Parteianspruch' anerkennen. Wer das nicht tut, wie z. B. die Marxisten-Leninisten Dortmunds, erntet deshalb regelmäßig Prügel. Auf diese Provokation ließ es die Gruppe bei der Demonstration nicht ankommen. Stattdessen führte sie ein wildes Geschrei gegen die Aktionseinheit auf, später spaltete sie sich dann von der Demonstration ab und machte am Hauptbahnhof eine eigene Abschlusskundgebung …
Und eine zweite Gruppe versuchte Verwirrung zu stiften. Diese Gruppe nennt sich KPD/ML (KPD/ML-ZK, d. Vf.) und verteilt ab und zu vor den Betrieben ihre Zeitung, den 'Roten Morgen' (RM, d. Vf.). Diese Gruppe hatte sich zwar der Aktionseinheit angeschlossen. Während der Demonstration gebärdeten sich ihre Genossen aber wie wild. Der gemeinsame Kampf gegen das reaktionäre Ausländergesetz diente ihnen offenbar nur als Vorwand, den Arbeitern ihre bekannten Phrasen aufzutischen: Auf einen riesigen Lastwagen schrieben sie ihren Spruch 'DIE HAUPTTENDENZ IN DER WELT IST REVOLUTION' und immer wieder posaunten diese Leute: 'NUR DER GRIFF DER MASSEN ZUM GEWEHR SCHAFFT DEN SOZIALISMUS HER'. Sie prügelten eine Reihe Ordner der Marxisten-Leninisten Dortmunds, nur weil diese Ordner diesen Heißspornen ihren Platz in der Demonstration zuweisen wollten. Eine behelmte Schlägergruppe des 'Roten Morgen' konnte nur mit Mühe von größeren Ausschreitungen gegen eine Gruppe von Trotzkisten abgehalten werden, die sich an der Demonstration beteiligte. Das Auftauchen der 'KPD' als 'Nationales Komitee' und die Schlägertrupps der 'KPD/ML Roter Morgen' blieben aber glücklicherweise Randerscheinungen einer machtvollen und politisch einheitlichen Demonstration.“ (73)
Was immer diese bildlichen Vergleiche zu verdeutlichen vermögen, der tatsächliche Befund der großen „Ausländerdemonstration“ war offensichtlich: Allem Anschein nach wollte die KPD/ML ihr geschaffenes Gebilde verewigen. Und den Rest aus der Geschichte verschwinden lassen. Die Berichte der ML Dortmund mögen gefärbt gewesen sein, als Demonstrationsteilnehmer kann man keine Kopie von sich selbst an die neuralgischen Punkte schicken, um zu beobachten oder zu recherchieren; doch aus dem gesamten Ablauf der Demonstration ergibt sich ein vernichtendes Urteil über die KPD/ML: Mit einer Menge Spruchtafeln kann keine politische Wirkungskraft erzielt werden. Es ist irreführend zu meinen, dass die KPD/ML eine unter vielen maoistischen Sekten war. Sie war diejenige Gruppe, die einen Alleinvertretungsanspruch vertrat, der nicht nur, wie sich später mit der Gründung der „Sektion DDR der KPD/ML“ herausstellte, für beide deutsche Staaten gelten sollte, sondern auch gegenüber allen anderen ML-Organisationen vertreten wurde. Mit den Auseinandersetzungen um die Pfründe der sich auflösenden KPD/ML-ZB erreichte diese doktrinäre Sichtweise sicherlich einen Höhepunkt in der Geschichte dieser Gruppe. Damit wird sich der nächste Teil dieser Geschichte der KPD/ML-ZK beschäftigen.
Sicherlich kann nicht behauptet werden, dass die Krise des Zentralbüros erst mit dem RAKT 1972 begann. Das wäre m. E. eine zu statische Betrachtung. Wie bei allen anderen Gruppen und Organisationen dürfte sie ein langer Prozess gewesen sein, der schließlich zur kompletten Auflösung führte. Was an diesem Prozess der permanenten Krise, so könnte er bezeichnet werden, bemerkenswert war, war die Tatsache, dass sie in der relativ kurzen Existenz des ZB stets mit Macht nach oben drängte. Selbst die Konstituierungsphase, die fast ein halbes Jahr andauerte und die erst im Juli 1970 mit der Herausgabe der ersten Ausgabe der „Roten Fahne“ endete, war voll von dieser Krise.
Etwa im Februar 1970 begannen die Abgrenzungen zur KPD/ML-ZK, später zu Weinfurth, zur KPD/ML-Revolutionärer Weg und anderen „Parteifeinden“. Der Aufbau der Zentrale, die Schaffung von Unterorganisationen, der Aufbau eines zentralen Literaturvertriebs, die Konstituierung des Jugendverbandes, die Erarbeitung der politischen Linie zur Sozialdemokratie mit der Stoßrichtung des „Sozialfaschismus“ und „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ und schließlich die Vorbereitungen auf den „Roten Antikriegstag“ 1972 in München (2. September 1972), deren Durchführung und die Teilnahme an der Dortmunder Ausländerdemonstration am 8. Oktober 1972, waren stets von Krisenentwicklungen begleitet. Und es hatte auch den Anschein, als ob ihre hauptsächliche Ursache im scharfen Gegensatz zur Realität bestand. (1)
Die überholten Vorstellungsmuster verharrten in den selbstgerechten Ansprüchen. Statt eines wirklichen Neuanfangs trachtete man im Schatten der Weimarer KPD danach, nur deren Fehlentwicklungen zu sanktionieren. Selbst der historische Abstand zu ihr führte nicht dazu, dass die alten Versäumnisse aus dem Weg geräumt werden konnten. Mit der Übernahme sämtlicher Theorien aus dem Gebäude des Marxismus-Leninismus sollte die welthistorische Krise des Kapitals ein für alle Mal verbannt werden. Vor allem war es die „Zusammenbruchstheorie“ des Kapitals und die Unwiderruflichkeit seiner Niederlage mitsamt dem Chaos, das es hinterließ, die in jene glänzenden Zukunftsaussichten einmünden und die die „Unbesiegbarkeit“ der Ideen des Marxismus zeigen sollten.
Die Krise könnte somit von Anfang an als Aussichtslosigkeit bezeichnet werden. Aussichtslos in dem Bestreben, triumphieren zu können, aussichtslos in den Bemühungen, mit wirkungsvollen Konzepten politische Einbrüche erzielen zu können und aussichtslos in tragenden strategischen Konzeptionen, etwa mit der Linie zur Sozialdemokratie, die erhoffte Wende einleiten zu können. Vor allem war es jene Linie zur Sozialdemokratie, die dem ZB keinen Spielraum für weitergehende Experimente ließ. Aus der anfänglichen Kritik an der SPD, die in die Parole „Lohnsteuervorauszahlung ist Lohnraub“ einmündete, sollte sich später mit der These von deren „Entwicklung zu einer sozialfaschistischen Partei“ das eigentliche Dilemma Bahn brechen, das in die Schicksalsfrage „Reform oder Revolution“ einmünden sollte. Doch diese ideologische Radikalisierung bedeutete einmal mehr die Loslösung von jedweder Vernunft, die das Gespenst der Niederlage mit sich trug. Zwar waren alle anderen Gruppen wie selbstverständlich auch in diesen merkwürdigen Verkettungen verfangen, doch es war das Zentralbüro, dass stets auf die wachsende Verhärtung der Politik der SPD - wie keine andere Gruppe - im Übermaße radikal reagierte und den Kampf um die „Gewinnung der Arbeiterklasse“, die sich von den „Sozialfaschisten in den Betrieben“ zu lösen hätten, als das eigentliche Drehmoment bezeichnete.
Das ZK der KPD/ML hatte diese Initialzündung wohl nie so richtig begriffen. Auf theoretischem und programmatischem Gebiet hatte es dem ZB nur wenig entgegenzusetzen. Selbst der „Dreibund“ oder die „Zwei-Wege“-Theorie erwiesen sich letztlich als bedeutungslos. Das mögliche Vorhaben, mit ihnen in die Phalanx des ZB einbrechen zu wollen, konnten selbst die größten Optimisten nicht annehmen. So sollte das ZK den Urgrund allen Übels in der Spaltungsfrage und in der „Einheit der Marxisten-Leninisten“ unter ihrer Flagge sehen. Damit wurde quasi die krisenhafte Entwicklung der KPD/ML zur Standardauseinandersetzung, die über drei Jahre hinweg geführt werden sollte.
Auf die Fraktion KPD/ML-Zentralbüro antwortete die KPD/ML-ZK stets mit dem Hinweis auf das „Erstgeburtsrecht“, auf die Gründung der einen KPD/ML zum Jahreswechsel 1968/69. Damit erreichte sie zumindest immer eine gewisse Aufmerksamkeit bei vielen Marxisten-Leninisten, besonders innerhalb der KPD/ML-ZB. Bei späteren Fraktionierungen, etwa bei der sog. KJ-Informfraktion (ab Mitte Dezember 1971), dann aber deutlicher ab Anfang des Jahres 1973, wurde das Argument der „korrekten KPD/ML“, die unter Ernst Aust gegründet worden war, immer an erster Stelle angeführt. Die Bedeutung der Gründung hatte also etwas von einer geschichtlichen Rückwendung.
Die „Rote Fahne“ des Zentralbüros bemühte sich zwar den Nachweis der Richtigkeit ihrer politischen Linie zu erbringen, um damit vor „den Massen“ als die einzig wahre KPD/ML dazustehen, doch der „Rote Morgen“ der KPD/ML-ZK konnte immer wieder kontern und das ZB mit der sog. „Ulbrichtschen Brille“ (2), die es im Gesicht trug, öfter als diesem lieb war, „vor den Massen“ in Verlegenheit bringen, allerdings niemals ausbremsen.
Die Haltung zur DDR und speziell zur SED zu Ulbricht und zum Mauerbau sollte später dann auch zu einer der vielen Krisenfragen werden; denn bei den Anwürfen gegen das ZB spielte deren „Ulbrichtscher Revisionismus“ oder der „Neorevisionismus“ eine besondere Rolle. Das ZK hatte stets damit kokettiert. Und es wurde überdies nicht müde, alle Gruppen jenseits der KPD/ML mit diesem Bann zu belegen. Auch in der Frage der Einheit der Marxisten-Leninisten sollte diese verquere Denkweise oftmals der Hinderungsgrund für das Zustandekommen einer Aktionseinheit schlechthin werden.
Aber eigentlich war ja alles Krise. Von den ersten Gesprächen der Bochumer SDSler mit der Landesleitung NRW der KPD/ML im Dezember 1969/Januar 1970 bis zur letzten Ausgabe der „Roten Fahne“ (31. März 1973) und schließlich der gänzlichen Auflösung der Gruppe zu diesem Datum wurde die KPD/ML von diesem Krisengespenst umschlossen.
Die Jahreswende 1972/73 brachte bereits als Ergebnis die fortschreitende Krise des ZB zum Ausdruck. Ende Dezember 1972 verfasste die BG Hoechst Frankfurt/M. der KPD/ML-ZB eine Resolution an die Landesdelegiertenkonferenz (LDK), in der vom ZB unmissverständlich eine „Erklärung zur gegenwärtigen Situation in der Partei“ verlangt wurde. Ähnliches wurde im Januar 1973 von der Stadtteilgruppe Frankfurt-Fechenheim bekannt. (3)
Anfang des Jahres 1973 fanden in vielen Orten der Republik die ersten Gespräche zwischen Mitgliedern der KPD/ML-ZB und örtlichen Vertretern des ZK statt. Etwa im Januar in Rüsselsheim auf Antrag der OG Wetzlar des ZB. Mitglieder des ZB führten dort Gespräche mit dem ZK. (4) Das hatte zur Folge, dass sich die OG Wetzlar des ZB, die OG Wetzlar des KJVD und der Stützpunkt Marburg des ZB sowie Mitglieder der Landesleitung Hessen des KJVD bis Ende Januar mit dem Aufruf „An alle Marxisten-Leninisten in der Gruppe Rote Fahne. Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren! Für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ offen als Anhänger der KPD/ML-ZK outeten.
Darin hieß es: „UNSER WEG ZUR EINHEIT IN DER KPD/ML. Nach der Periode der gegenseitigen Verachtung entstand die erste Aktionseinheit mit der KPD/ML zum 1.Mai 1972. Aktionseinheiten zu den 16 politischen Entlassungen, zum Antikriegstag (am 2. September 1972, d. Vf.) und Dortmund (am 8. Oktober, d. Vf.) waren Stationen. In der Krise der GRFB untersuchte die OG die Geschichte der ML-Bewegung und stellte fest: das ZB ist der Spalter! Wir sind in einer Spalterorganisation! Darauf führten wir auf mehreren Demonstrationen, Veranstaltungen, Gewerkschaftssitzungen und Einsätzen vor dem Betrieb den ideologischen Kampf in der Aktionseinheit mit der KPD/ML ...
Wir erzielten in folgenden Fragen Einheit: Etappenziel, Verbindung demokratischer und sozialistischer Kampf, Einheitsfronttaktik, Weg des Parteiaufbaus, Gewerkschaftsopposition und Einschätzung der Metallrunde, antimilitaristischer Kampf, Verhältnis Massenorganisation zur Partei, Vietnam.
Die Krönung dieses ideologischen Kampfes auf der Grundlage der Aktionseinheit ist eine gemeinsame Veranstaltung, auf der die Mitglieder und Sympathisanten der KPD/ML und der GRFB im Raum Wetzlar, Gießen, Marburg den ideologischen Kampf in der Frage des Hauptschlags, der Einschätzung der SPD und D'K'P führen.“ (5)
Dass für viele Mitglieder des ZK die KPD/ML-ZB die „Spalter“, „die Hauptspalter“ waren oder dass man, wie es später die Abtrünnigen formulierten, „in einer „Spalterorganisation“ organisiert war, bestätigt die Vermutung, dass man Beweggründe für den Übertritt zu einer anderen Gruppe finden musste. Die zentrale Bruchstelle war hier stets der anvisierte „ideologische Kampf“, der sein Heil in der Überzeugung sah, dass der Ruchlose zu allem Bösen fähig war. Dieser sollte als Quintessenz in der Überzeugung gipfeln, die Verblendung ausmerzen und aus dem Chaos im Kopf die Tröstung des Herzens machen. Insofern war der Erfolg, der erzielt wurde, nur ein Illusionismus von vielen, der in idealistischer Höhenfliegerei endete. Im Ganzen gelang es ihm nicht, den vielfach entstandenen schroffen Meinungsverschiedenheiten die sprengende Wirkung zu nehmen.
Dem genauen Blick bleibt nicht verborgen, dass die unüberbrückbaren Spannungen auch neue Einsichten vermittelten oder hervorbrachten. Die schon öfter erwähnte ML Bochum, oder besser: eine der drei Bochumer ML-Fraktionen die aus der KPD/ML kamen, nahm die Krise beider KPD/ML Gruppen zum Anlass, ihre Theorien auf eine feste Grundlage zu stellen.
Im Januar 1973 trat sie mit der Broschüre „Die KPD/ML und der Klassenkampf in der BRD. Schlag zu, schon geht es los“ an die Öffentlichkeit. (6)
Hinter der Broschüre stand die Absicht, dem Praxisgerede beider Seiten auf den Grund zu gehen und sie gerade wegen ihrer „Massenideologie“ anzugreifen. Obwohl selbst noch in der „Massenarbeit“ verstrickt, war sie ein Zeichen der Zeit. War sie doch gegen die Parteimacher gerichtet, die ihren Parteiegoismus an jene weitergaben, die ihnen aufsaßen. Die erkennbare Tendenz der Broschüre, den „Klassenkampf der KPD/ML“ als große Ratlosigkeit darzustellen, war dann auch ein Hinweis auf die politische Zerrissenheit beider Gruppen und die mögliche weitreichende Entpolitisierung durch immer neue „Praxisschübe“ (Herausgabe von Betriebszeitungen, Veranstaltungen, Versammlungen und Demonstrationen).
Die üblichen „Rechts-links“-Etikettierungen der maoistischen Bewegung, die auch hier munter fortgesetzt wurden und die sich gegen die selbstzufriedenen und entleerenden Programme der KPD/ML richteten, bedeuteten auch keinen Neuanfang, der die Fehlentwicklungen zu vermeiden trachtete. Ein Umdenken von der Wurzel her wäre dazu notwendig gewesen. Doch damit begann die Gruppe wohl erst jenseits des Jahres 1975.
Voll von dieser „Rechts-links“-Klassifizierung war auch eine Stellungnahme der OG Köln der KPD/ML-ZB um Rolf Stolz. Die Gruppe selbst, die sich nach einem kurzen Intermezzo bei der ZK-Fraktion dem ZB anschloss, um dann noch ein kurzes Gastspiel bei der KPD/ML-RW bzw. Neuen-Einheit zu geben, ging im Januar 1973 in ihrem Papier „Nach Spontaneismus Rechtsopportunismus“ davon aus, dass die beiden Fraktionen „prinzipienlose Spalter“ seien und dass der „Augustblock“ (gemeint war die Dickhut-Fraktion) durch das „Liga-Konzept“ einen „liquidatorischen Standpunkt“ einnehme. Dennoch, so meinte die Gruppe, sei „unser nächstes Ziel die Vereinigung mit dem RM“ (gemeint war die KPD/ML-ZK, d. Vf.). Auch hier wurde die Frage der Vereinigung mit der ZK-Fraktion auf deren Ursprung zurückgeführt, auf die Gründung der KPD/ML.
So meinte die Gruppe: „Von daher halten wir den Zeitpunkt der Gründung für genau richtig. Auch ihre Durchführung und politische Linie halten wir für hauptseitig korrekt. Die ausführlichen Diskussionen über Grundsatzerklärung, den Statutenentwurf …, das Ligakonzept, die gesamte politische Einheit in den wesentlichen Fragen sowie die Wahl des ZK weisen die Gründung als einen äußerst wichtigen Schritt auf dem Wege zur bolschewistischen Partei aus und wir sprechen ihr erheblich mehr als nur propagandistische Wirkung zu …“ (7)
Für viele war das ZK, wie an der OG Köln gesehen werden kann, in der Tat der Keim der „bolschewistischen Partei“, die sich in den Kämpfen bewährt hatte, von den Chinesen und den Albanern augenscheinlich als „Bruderpartei“ anerkannt wurde (was ein gewichtiges Argument war) und die dann organisatorische Konsequenzen zog, wenn sie ihre Grundlagen gefährdet sah. Kaum eine andere Gruppe schaffte es übrigens wie der Phoenix aus der Asche wieder aufzusteigen, wenn etwa an den a. o. PT. der KPD/ML (8) gedacht wird.
Geht man davon aus, dass dort ca. 90 Prozent aller Mitglieder das sinkende Partei-Schiff verlassen hatten, dann wird deutlich, dass der Rest der Gruppe einen enormen Kraftakt hinter sich bringen musste, um die KPD/ML wieder zu reorganisieren, was übrigens das ZB nicht schaffte. Doch diese Reorganisation erfolgte stets auf der Grundlage der gleichen Politik, mit der man bereits seit den Gründertagen im Clinch stand. Insofern war sie nichts anderes als ein zahnloses Unterfangen, doch noch eine Kaderpartei aus dem Boden stampfen zu können.
„Die Einheit mit dem RM“, wie es die Stolz-Gruppe zum Ausdruck brachte, die das „Ziel sei“, wälzte natürlich auch stets eine eigene Verantwortung ab, gleichwohl sie auch betonte, dass sie einen „einseitigen Anschluss für historisch nicht gerechtfertigt“ hielte und „prinzipiell für keinen großen Schritt zur Einheit der ML-Bewegung“. (9)
Diese Widersprüche können nur als eklatant bezeichnet werden, denn beide KPD/ML-Gruppen waren für sie „bürgerliche Führungen“, denen man bisher hinterhergelaufen wäre. Diese Aussagen deckten sich mit den Ergebnissen der sog. „Liquidatoren“ auf dem a. o. PT., die der Aust-Partei u. a. vorwarfen, eine falsche Linie in der Politik, in der Theorie und in den Fragen des Parteiaufbaus vertreten zu haben. Damit wurde auch das ZB direkt und frontal angegriffen, denn seine „verdeckte Zirkelphase“ würde nicht dazu geeignet sein, „gerade in einer Krisensituation wie jetzt, die bolschewistischen Prinzipien anzuwenden und auch durchzuführen …“ (10)
Nach Auffassung des ZK bestand sie bereits seit der Jahreswende 1968/69. Im „Roten Morgen“ vom 14. Januar 1973 las sich das in einer Polemik gegen das Zentralbüro so: „Nieder mit den Spaltern! Mehrere Genossen der Gruppe Rote Fahne Bochum, gehen in einer Selbstkritik, die sie jetzt veröffentlicht haben, auf die Spaltung der KPD/ML durch die Führer des ZB 1970 ein, an der sie teilweise selbst beteiligt waren … Welche Haltung zeigten die ZB-Führer im Frühjahr 1970 gegenüber der Partei und ihrer Einheit? Sie rechtfertigten die Spaltung später damit, dass sie eine Reihe von schwerwiegenden Kritiken an der Partei gehabt hätten … Die entscheidende Frage ist: Sind sie dabei vorgegangen wie Bolschewisten, die wissen, dass die Partei die schärfste Waffe der Arbeiterklasse ist, oder wie Kleinbürger, die die Partei und die Anschauungen wechseln wie das Hemd? ...
Unter dem Namen der KPD/ML haben sie 2 1/2 Jahre lang Tausende von Flugblättern und Betriebszeitungen verteilt, haben ihr Spalterorgan Rote Fahne unter den Arbeitern verbreitet. Sie haben mit ihrer revisionistischen Linie die Arbeiterklasse zu verwirren gesucht … und stehen jetzt vor dem völligen Bankrott … Eine solche verantwortungslose Haltung gegenüber den eigenen Fehlern ist wie die Spaltung 1970 Wasserträgerei für den modernen Revisionismus.“ (11)
„Nieder mit den Spaltern“ war eine Schicksalsformel. Da bot sich der „völlige Bankrott“, der nun die ZB-Organisation ereilt habe, an. Nicht von ungefähr war auf der gleichen Seite des „Roten Morgen“ der Artikel „An der Jahreswende: 4. Jahrestag zur Gründung der KPD/ML - Parteifeier in Hamburg“ erschienen.
Diese Tradition, in die man sich stellte, ließ sich für das ZK mühelos belegen. Niemand aus der KPD/ML-ZB war ja auf dem Gründungsparteitag anwesend gewesen. Das machte es für das ZK relativ leicht, einiges dazu beizutragen, dass sich die latent schwelende Krise des ZB zuspitzen konnte, denn die Buhlerei um den Parteiaufbau und der Kampf gegen den modernen Revisionismus sah das ZK zunächst im Vorteil. Daher konnte es einen „Verständigungsfrieden“ mit dem ZB auch nicht wirklich geben. Das ZK war genauso verständigungsunwillig wie das ZB - beide beharrten darauf, dass der Gründungsakt schlichtweg das Heranreifen der revolutionären Krise beschleunigen würde und dass die Konstituierung der KPD/ML eine Voraussetzung für sie war.
Der Artikel aus dem „Roten Morgen“ Nr. 1/1973 war so konzipiert, dass die Stellung des ZB durch lancierte Informationen aus den Reihen des KJ-Inform, das maßgeblich für diesen Artikel verantwortlich war, unterminiert wurde. Die Kontakte, die das ZK mit „Austrittswilligen“ aus der „Spalterorganisation“ in dieser Zeit schloss (Partei und Jugendverband), waren überdies private Gespräche, die darauf abzielten, auf den Nationalen Konferenzen des Zentralbüros die Positionen des ZK in Hinblick auf die Gründung („Es gibt nur eine KPD/ML!“) anzubringen. Mit diesen Funktionärskonferenzen (NFK oder FUKO) zum Jahresbeginn 1973, die neben oppositionellen Strömungen auch die Befürworter der Fraktionstätigkeit in den eigenen Reihen hervorbrachte, wandelte sich das Bild - die Krise des ZB spitzte sich enorm zu.
Dazu muss erwähnt werden, dass die „Reorganisation der Partei“, die unmittelbar mit der illegalen Phase des ZB verknüpft war, eine „Rechenschaftslegung über die dreijährige Tätigkeit der Zentrale“ vorsah. Sie war auf einer Beratung des ZB mit der Provisorischen Bundesleitung des KJVD vom 14. - 18. Oktober 1972 (12) beschlossen worden und ging zumindest von dem Willen aus, das ZB und das KJ-Inform als nationale Organisationen zu erhalten. Die Fraktionen, die sich aus dem ZB- und dem KJ-Inform heraus bildeten, setzten sich darüber schnell hinweg. Deutlich wurde, dass die allgemeine Parteilinie, die für diese Phase entwickelt worden war (Ziele der „Reorganisation“) nicht mehr akzeptiert wurde, keine Gültigkeit mehr hatte und so zwangsläufig eine Opposition hervorrufen musste.
Das umfangreiche Paket dieser Maßnahmen, das auf den Weg gebracht werden sollte, sah im Einzelnen vor:
Das gab es allerdings in einer ähnlichen Form bereits. Auch das ZK wollte in seinem Parteitagsrechenschaftsbericht zum a. o. PT des ZK vom November 1971 Bilanz ziehen. Auch dort ging es u. a. um die „programmatische Arbeit“, die „Aufarbeitung der Fehler“ des „Parteiaufbaus“ und andere Fragen. Obwohl es Unterschiede zum ZB gab, sah man sich seinerzeit mit ähnlichen Problemen konfrontiert.
Um eine neue künstliche Parteimasse zu erzeugen, die Divergenzen zu verwischen und die Gegenoffensive einzuleiten, ließ das ZK erkennen, dass es gewillt war, an den alten „Spaltungsfragen“ zu rütteln. Im „Roten Morgen“ Nr. 2/1973 vom 20.1. las man erstaunlicherweise im Artikel „Die Rote Garde aufgebaut!“: „Das ZK der KPD/ML hat beschlossen, der Roten Garde so schnell wie möglich die völlige organisatorische Selbständigkeit zu geben und die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten, dass die Rote Garde einheitlich auf ihrem eigenen Demokratischen Zentralismus aufgebaut wird. Dieser Beschluss … ist ein Zeichen der Überwindung der sektiererischen Fehler in der Vergangenheit.“ Zur „Plattform des ZK“ vom März 1970 hieß es:
„Was waren die Fehler der Vergangenheit?
1. Als wichtigste Aufgabe der RG wurde festgelegt: Heranziehung der Roten Garde zu Untersuchungsaufgaben im Bündnisbereich, vor allem im jungproletarischen, aber auch Schülerbereich. Weiter: Schulung sowie Propagierung des Marxismus-Leninismus und die Entlarvung des Kapitalismus im Jungproletariat … Die Erziehung der Jugend anhand der revolutionären Praxis im Klassenkampf wird außer Betracht gelassen, gepredigt wird die reine Theorie … Genau diese Fehler wurden in der Plattform gemacht. Die Plattform hat nicht zur Festigung unserer Jugendorganisation beigetragen, sondern sie hat objektiv das Handwerk der Spalter unterstützt, viele aufrechte revolutionäre Jugendliche aus den Reihen der Roten Garden vertrieben.
2. Wird in der Plattform auf massenweise feindliche Weise die Selbständigkeit der RG als Jugendmassenorganisation unterdrückt. („Ein eigener demokratischer Zentralismus in der Roten Garde, ist in der gegenwärtigen Phase undurchführbar“ - aus „Plattform des ZK“, März 1970). Aus dieser letzten Hypothese spricht ein gerütteltes Maß der Verachtung des demokratischen Zentralismus … Diese These verleugnet geradezu, dass die Partei ja gerade deshalb ihre Jugendmassenorganisation braucht, um das natürlicherweise relativ niedrige ideologische Niveau der Vielzahl der Rotgardisten zu entwickeln …“
In dem Zusammenhang erklärte das ZK auch, dass die „Trennung der Studentenorganisation KSB/ML von der proletarischen Massenorganisation Rote Garde“ ein Fehler gewesen sei. Dies führte „zur Spaltung der einheitlichen Kraft der Jugend, zur Verhinderung der Führung der revolutionären studentischen Jugend durch das Proletariat … Deshalb hat das ZK beschlossen, sobald wie möglich den KSB/ML als Sektion der Jugendorganisation auf dem Universitätsbereich in die Rote Garde einzugliedern.“ (13)
Gerade deshalb entstand der KJVD, der nicht mehr, wie es im Beschluss zum KJVD hieß, „am Gängelband der Partei“ geführt werden sollte. Er konstituierte sich im direkten Gegensatz zur Roten Garde, in der der „demokratische Zentralismus liquidiert“ worden war. Dass das ZK nun auf die Vorwürfe der KJVDler mit deren einstiger Wortwahl antwortete, ließ erkennen, dass die Annäherungsbestrebungen an ZB und KJVD in deren Krise mit pragmatischer Kühle vonstatten gingen - ein taktischer Schachzug, der alle Gewichte auf die kommenden neuen Machtverhältnisse legte.
Warum sollte der KJVD nun noch eine eigenständige Organisation bilden? Vermutlich war es dieser Punkt, der die vielen kleinen Fraktionen innerhalb beider Organisationen umstimmen konnte. Trotz dieser grotesken Geschichtsschreibung und der absichtsvollen Selbstkritik blieb die offene Frage: Hatte die nationale Leitung des KJVD, das noch existierende KJ-Inform und kurze Zeit später die Provisorisch Politische Leitung (Bundesleitung des KJVD, auch PBL) nun auch auf offizieller Ebene Absprachen mit dem ZK in dieser Frage getroffen?
Denn bereits im „Roten Morgen“ Nr. 3 vom 27. Januar 1973 erschien der „Aufruf von Genossen der GRFB (Gruppe Rote Fahne Bochum, d. Vf.): Kämpft gegen das Liquidatorentum in der ZB-Organisation. Stärkt die Kommunistische Partei.“ (14) Dort hieß es: „Im Januar veröffentlichte die Ortgruppe der Gruppe Rote Fahne Bochum und ihres Jugendverbandes und der Stützpunkt Marburg der gleichen Organisation einen Aufruf an die Marxisten-Leninisten in der GRFB. Sie führen hier vor allem einen Kampf gegen die neueste Masche der alten Führer des ZB: Das Liquidatorentum. Sie haben eingesehen: Der Platz aller ehrlichen Revolutionäre ist in der KPD/ML und in der Roten Garde. Sie fordern alle ehrlichen Genossen in der GRFB auf, ihnen zu folgen und ohne falsches Zaudern unter der Führung der Partei des westdeutschen Proletariats den Kampf zur Errichtung der Diktatur des Proletariats in Westdeutschland aufzunehmen.“
Festzuhalten ist indes, dass es vor allem Ehemalige Bochumer ZBler waren, die einen weiteren Aufruf im „Roten Morgen“ veröffentlichen ließen und ihn über Kontakte zur Ortsgruppe der KPD/ML-ZK weiter verbreiteten. Das bestätigt den Hinweis der Absprachen mit dem ZK, das dem „Spalter-ZB“ im Zentralorgan nun mit ihren eigenen Genossen kommen konnte. Der wichtigste Schritt, so der „Rote Morgen“, sei nun „die Gewinnung der anderen, noch schwankenden Genossen in der GRFB“. Euer Platz ist jetzt „in der KPD/ML und in der Roten Garde“. (15)
Der Aufruf der Bochumer und Marburger desavouierte das ZB, wo er nur konnte:
Im Dialog mit den Genossen des Zentralbüros meinte der "Rote Morgen": „Euer Hass auf das Spalter-ZB ist vollkommen berechtigt … Wir begrüßen die Erklärung der … Genossen und ihren Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten …“ (16)
Auffällig war der ähnliche Sprachgerbrauch, mit dem das ZK bereits die „Liquidatoren“ auf ihrem „außerordentlichen Parteitag“ vom November 1971 abstrafte (im Parteijargon „verjagte“). Auch sonst lagen die Erklärungen der Bochumer und der Marburger voll im Trend des ZK. Der gemeinsame Balg, um den man stritt, hatte nichts anderes als altbekannte philosophische Weltenentwürfe im Gepäck, die nur das Echo der Gründungslegende ausstrahlten. Insofern war es aus heutiger Sicht verwunderlich, dass der „Aufruf“ den Zusammenschluss im ZK der KPD/ML forderte.
Der „Rote Morgen“ gab vor, dass eine neue „Landesleitung Hessen“ (Marburg, Wetzlar, Darmstadt, Frankfurt/M., Rüsselsheim) die „Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ fortführen würde. (17) Das war nur die halbe Wahrheit. Und ein Teil der Strategie des ZK, die Geschichte in seinem Sinne umzuschreiben. So gab es Ortsgruppen, wie etwa die Stadtaufbaugruppe Darmstadt der KPD/ML-ZB, die in ihrer Stellungnahme vom 14. Januar 1973 meinte: „Es gibt keine Gruppe, die von sich behaupten kann, die Partei des Proletariats zu sein; sie zu schaffen ist noch die Aufgabe der ML-Bewegung … Eine Auflösung der nationalen Organisation der KPD/ML RF in örtliche Zirkel, wie es die Kommunistischen Briefe (der ML Mannheim, d. Vf.) und bestimmte Strömungen in der Partei fordern, wäre ein Rückschlag und ist daher zu bekämpfen; die KPD/ML RF muss vielmehr zu einer treibenden Kraft der Einheit der ML werden …“ (18)
In diesem Sinne forderte eine Nationale Funktionärskonferenz der KPD/ML-ZB, die am 15. Januar begann und einige Tage dauern sollte, auch nicht einfach die totale Demontage des ZB, sondern u. a. „die Entfaltung der Rebellion innerhalb der Organisation und die Kritik der Bewegung und der Klasse …“ Dazu sollte eine Provisorisch Politische Leitung geschaffen werden, die „die Organisation auf diese Aufgaben bis zur PK (Parteikonferenz, die geplant war, aber nie durchgeführt wurde, d. Vf.) ausrichtet …“ Die Konferenz, die forderte, das ZB abzusetzen und eine provisorische Leitung einzusetzen, sollte sogar alle Rechte einer Zentrale erhalten, eine Parteikonferenz vorbereiten und ein „neues ZK wählen“. (19)
Der plötzliche Tonartwechsel auf der Konferenz, die übrigens nicht das Meinungsbild der gesamten ZB-Organisation widerspiegelte und somit in Fragen eines Beschlussrechts keinerlei Legitimation hatte, missfiel dem ZK. Am 5. Februar ließ es einen internen Aufruf an die KPD/ML-ZB verbreiten:
„AN DIE PROVOSORISCHE POLITISCHE LEITUNG (PPL) DER GRUPPE ROTE FAHNE BOCHUM: AUFRUF ZUR EINHEIT DER MARXISTEN-LENINISTEN IN DER KPD/ML …“
Darin hieß es: „Gegenwärtig gewinnt der Kampf um die Einheit der wirklichen Marxisten-Leninisten in einer einheitlichen Partei besondere Bedeutung. Die ZB-Organisation, die aus der Abspaltung von unserer Partei im Frühjahr 1970 entstanden ist, zerfällt. Es besteht die Möglichkeit und die große Aufgabe für uns, den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML entscheidend voranzutreiben.
Viele Genossen Eurer Organisation haben bereits im praktischen und theoretischen Kampf gegen die revisionistische Linie im alten Zentralbüro erkannt, dass letzten Endes das Eindringen des modernen Revisionismus in die marxistisch-leninistische Bewegung Ursache für die Zersplitterung und Spaltung unserer Kräfte ist. Ein Teil von ihnen hat den Schritt in die Reihen der KPD/ML gemacht, in die Partei, die in der revolutionären Bewegung entstanden ist.
Die KPD/ML hat im ständigen Kampf gegen den modernen Revisionismus nicht nur die Stärkung und Festigung ihrer eigenen Reihen vorangetrieben, sondern dadurch auch den entscheidenden Beitrag für die Einheit der Marxisten-Leninisten geleistet. Jetzt kommt es darauf an, in prinzipienfester Klärung der uns noch trennenden Fragen den Weg zur Einheit in der KPD/ML zu gehen. Dem Zirkelwesen und allen Kräften, die objektiv mit ihrem Spaltertum nur dem Klassenfeind nutzen, muss ein kräftiger Schlag versetzt werden.
Darum wenden wir uns mit diesem Aufruf an Euch: Lasst nicht zu, dass unter dem Deckmantel einiger 'Korrekturen' an der neorevisionistischen Linie des alten ZB, eine Spalterorganisation wiederbelebt wird! Lasst nicht zu, dass liquidatorische Kräfte viele aufrichtige Genossen in die Arme der offenen Revisionisten, zurück ins Zirkelwesen oder ins 'Privatleben' treiben können. Kämpfen wir um jeden aufrichtigen Genossen für die marxistisch-leninistische Partei, die KPD/ML! Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren.
Genossen, die KPD/ML hat von ihrem II. Parteitag im Sommer 1972 den Auftrag erhalten, den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten in ihren Reihen offensiver und ernsthafter als zuvor zu führen. Das war nur möglich unter selbstkritischer Zurückweisung eigener Fehler der Partei, die diesem Kampf geschadet haben. In der Selbstkritik des 1. ZK, nach der Verjagung der Revisionisten und Liquidatoren aus der Partei und auf dem II. Parteitag wurden schwere Fehler in der Plattform vom Frühjahr 1970 aufgedeckt.
Die gesamte Partei hat in einer breiten Diskussion 'linke' und rechte Abweichungen analysiert und weitgehend überwunden. Die Partei hat dabei besonders auch den liquidatorischen Standpunkt des Parteiaufbaus und des Kampfes um die Einheit losgelöst vom Klassenkampf zurückgewiesen. Innerhalb der Aufgaben, die uns der Klassenkampf, die Arbeiterbewegung stellen, müssen diese Fragen gesehen werden. Die Richtigkeit dieser Linie hat sich im Kampf gegen die liquidatorischen und 'links'-sektiererischen Überreste aus der Vergangenheit der Partei erwiesen. Das Prinzip Parteiaufbau und Einheit der Marxisten-Leninisten innerhalb des Klassenkampfes anzugehen, gilt genauso für den Kampf um die Einheit mit Euch, Genossen.
Allerdings wurden hierbei auf der anderen Seite von uns Fehler gemacht. Die momentane Bedeutung des Kampfes für die Einheit wurde unterschätzt. Die ideologische Auseinandersetzung mit der Linie des alten ZB wurde zwar von unserem Zentralorgan 'Roter Morgen' so intensiv wie nie geführt, die Ausrichtung der gesamten Partei auf die Überwindung sektiererischen Herangehens in der Frage der Einheit jedoch nicht genügend bzw. rechtzeitig betrieben. Mit diesem Aufruf, der auch an alle Genossen unserer Partei geht, nehmen wir gleichzeitig den Kampf gegen sektiererische und überhebliche Haltungen gegenüber Genossen anderer marxistisch-leninistischer Organisationen auf.
Wir schlagen folgendes vor: Veröffentlicht diesen Aufruf in Eurer Organisation. Macht Euren Genossen den 'Roten Morgen' zugänglich … Setzen wir uns in allen Orten und auf allen Ebenen zusammen. Klären wir in sachlicher und solidarischer Diskussion die prinzipiellen Fragen, die uns noch trennen.
Kämpfen wir für die Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML! Für eine starke bolschewistischen Partei des Proletariats! Nieder mit dem modernen Revisionismus und dem Trotzkismus in allen Schattierungen! Für die proletarische Revolution!“ (20)
Vollmundig erklärte das ZK, dass „das ZB zerfällt“ und dass „die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ möglich sei. Dem „Spaltertum“ müsse „ein kräftiger Schlag versetzt werden“. Und die Ursachen für den Niedergang des ZB hatte das ZK gleich auch im Gepäck: Es sei „das Eindringen des modernen Revisionismus in die marxistisch-leninistische Bewegung“ gewesen, die die „Ursache für die Zersplitterung und Spaltung unserer Kräfte ist“.
Dieser Nachweis war vom ZK nie erbracht worden. Alleine aus den DDR-Verlautbarungen des ZB das Konstrukt „moderner Revisionismus“ zu stricken, entsprach eher der Neigung, alle Gruppen - außer der KPD/ML - mit diesem Bann zu belegen. Der alte Traum von der historischen Sendung der KPD/ML konnte daher zugleich mit dem unwiderleglichen Beweis, den „Radio Tirana“ am 6. Januar 1973 ausstrahlte, bestätigt werden: Zum 4. Jahrestag der KPD/ML hieß es in gebrochenem Deutsch auf der Mittelwelle: „… übermitteln wir albanische Kommunisten Euch, Genossen, revolutionäre Grüße …!“ (21)
Die politische Lösung aller Probleme lag somit, so könnte gemutmaßt werden, außerhalb des ZK der KPD/ML, denn die appellhafte Moralität der Albaner, die mit ihrer Sendereihe „Der Marxismus-Leninismus wird über den modernen Revisionismus siegen“ wieder und wieder der KPD/ML huldigte, versprühte mehr als nur Sehnsüchte. Dass hier Erinnerungen an die III. Internationale (Komintern), die seit ihrer Gründung 1919 auf Lenins Initiative, die deutsche KPD am Gängelband führte, wach wurden, liegt auf der Hand. Mit Schulmeisterernst verlieh das Stakkato der Albaner der westdeutschen Fraktion der Weltrevolution wohlwollend Ehrungen und erhob deren Linientreue zum obersten Gebot.
Die „Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ war wie „Nieder mit dem modernen Revisionismus“ und dem „Trotzkismus aller Schattierungen“ Faszinationsvokabular, das in der rückschauenden Betrachtung befremdlich wirken muss. Mit dieser doppelten Bewegung entzog sich das ZK irgendwelchen Einheitsbestrebungen. Der verwendete Kunstgriff war nicht nur ein Stilmittel, sondern eine gehandhabte Lebensmaxime mit dem Anspruch, stets anschauliche Feindbilder zu projizieren, die für jede heranwachsende Katastrophe dann auch schnell verantwortlich gemacht werden konnten.
Die verschärfte Tonlage der KPD/ML-ZK konnte nicht verhindern, dass weitere Konferenzen des ZB stattfanden, Unmengen an Papier auf den Weg gebracht wurde, auf/in denen um ein Weiterleben der KPD/ML-ZB gerungen wurde. Die Anmerkung 22 gibt darüber einen knappen Überblick. Und bei Weitem waren diese Stellungnahmen nur ein geringer Teil von dem, was an Papier ausgestoßen wurde. Der vom ZK ins Spiel gebrachte Hinweis, dass „reihenweise ZB-Ortsgruppen“ zum ZK überliefen, kann aus der heutigen Sicht heraus, nicht bestätigt werden. Er war eher ein Versuch, „Bekehrungen“ dem eigenen Erfolg zuzuschreiben und diesen nach subjektivem Belieben zu gestalten.
Wird etwa an das „Gemeinsame Kommuniqué“ zwischen der PBL und einem Bundesbeauftragten des ZK der KPD/ML vom 19. Februar 1973 gedacht, aus dem hervorgeht, dass es das Ziel sei, sich der KPD/ML-ZK unterzuordnen, dann war diese Absprache, die im KDAJ Nr. 1/1973 als „Übertritt des KJVD zur Roten Garde der KPD/ML-ZK“ verkauft wurde, nichts anderes als ein unaufrichtiger Versuch, die noch lebende Leiche für gänzlich tot zu erklären.
Dass darauf selbst Teile der Bewegung hereinfielen, wie etwa die „Wahrheit“ des KB Bremen, die in ihrer Ausgabe 1/1973 vom 21. Januar den Artikel „Die Krise der KPD/ML. Wie sich das Linkssektierertum selbst zu Grabe trägt“ (siehe unten) veröffentlichte, sollte nicht verwundern. Im Wahrheit-Artikel las man: „Die organisatorische und politische Krise der KPD/ML (Rote Fahne) äußert sich in dem Austritt ganzer Ortsgruppen an den Orten, an denen kommunistische Zirkel eine revolutionäre Politik in der Arbeiterklasse entfalten, wie in Mannheim und in Bremen, und in einer Austrittswelle vieler einzelner Mitglieder …“ (23)
Auch die „Geschichte der MLPD“ trägt ihre verwässerten Ideen zum Übertritt der Genossen der KPD/ML-ZB bei und meinte: „… lief das ehemalige Zentralbüro zum größten Teil zur KPD/ML (Roter Morgen) über …“ (24)
Der „Rote Morgen“ Nr. 5 vom 10. Februar 1973 vermittelte in dem Artikel „Will man die Revolution, dann braucht man eine revolutionäre Partei! Für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML. Nieder mit den Spaltern der revolutionären Bewegung. An die Genossen der Gruppe Rote Fahne/Bochum“ den Eindruck, dass der Übertritt zum ZK der KPD/ML die These bestätigt, dass das ZB ganz und gar eine „Spalterorganisation“ sei.
„Sie muss aufgelöst werden“, da „deren Gründung und Politik der Revolution der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Partei, der KPD/ML, geschadet hat. Das kann nicht zugelassen werden … Die Genossen, die heute auf dem Parteistandpunkt stehen beweisen, dass sie für die Einheit kämpfen. Sie sind auf allen entscheidenden Sitzungen und Konferenzen der GRFB aufgetreten, um die Genossen zu überzeugen … Diese Genossen haben zum Großteil Kontakt mit der Partei aufgenommen. Sie verbessern in der Diskussion mit uns und unter Anleitung der Partei ihren Kampf um die Einheit. sie knüpfen Verbindungen über die Partei zu all jenen Ortsgruppen, die die Rekonstruktoren aufgegeben haben oder für ihre Zwecke an sich binden wollen … Die mit uns sympathisierenden Genossen in der GRFB werden schließlich ihren Kampf für die Einheit mit jenen Genossen, die sie jetzt noch nicht überzeugen können, vor allem dort weiterführen wo die Einheit hauptsächlich geschmiedet wird: Im Betrieb, in der Schule, in der Universität - im Klassenkampf unter Führung der KPD/ML!“
Diese höchst hochmütige Wendung war noch entwicklungsfähig. In der gleichen Ausgabe meinte das ZK: „Genossen, es hat sich wieder einmal herausgestellt, dass es die Partei gibt. Das Festhalten an den Prinzipien macht die KPD/ML unzerstörbar … Seit 4 Jahren existiert diese Partei, die KPD/ML. Trotz vieler Kinderkrankheiten hat sich erwiesen, dass nur eine bolschewistische Partei die Aufgaben lösen kann, die der Klassenkampf stellt.“ (25)
Nun war dieser künstliche Donner das exakte Ebenbild, dass nach dem a. o. PT. zur vollen Blüte heranreifte. Im November 1971 war es das „Exekutivkomitee beim ZK der KPD/ML“, das der westdeutschen ML-Bewegung entgegenrief: „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren!“ Und damit zu erkennen gab, dass die lehrhaft-pädagogische Neigung genügt, aus dem Nichts noch weniger als das Nichts zu machen. Folgerungen aus dem eigenen Desaster zu ziehen, war nicht angesagt. Dafür fehlte dem ZK gänzlich die Einsicht. Es war der (politische) Selbsterhaltungstrieb, der das ZK dazu drängte, seine Sehnsüchte in einer Massenanhängerschaft verwirklicht zu sehen, die sich jetzt aufdrängen könnte.
Der Artikel im „Roten Morgen“ Nr. 5 war so gestaltet, dass auf einen „Kampf zweier Linien“ im ZB insistiert wurde, der bereits seit dem Frühjahr 1970 eine wichtige Rolle gespielt habe: „Genossen, vergesst nicht, dass an der Wiege der ZB-Gründung nicht nur der Revisionismus, sondern auch der Trotzkismus Pate gestanden hat!“ (26)
Die Argumentation war in dieser Form von W. Dickhut übernommen worden, der nichts ausließ, um Genossen mit anderen Auffassungen zu diskreditieren. Sie spiegelte aber auch die Orientierungsnöte wider, die spezifische Sehnsucht des Arbeitermarxismus, die proletarischen Massen mit einem Parteimodell zu konfrontieren, das genügend Stoßkraft für den Klassenkampf besitzt.
Der Artikel aus dem „Roten Morgen“ ist nicht ohne die Polemik gegen die KPD zu verstehen, die in der „Roten Fahne“ Nr. 67 vom 31. Oktober 1972 den Artikel veröffentlichte: „Ernst Aust: Watte im Kopf, Schaum vorm Mund. Zu den Angriffen des Hochstaplers Ernst Aust gegen unsere Partei.“ (27) Eingangs stellte der „Rote Morgen“ in seiner Polemik in dem Artikel „Mehr als unsachliche Polemik. Die Hetztiraden der KPD/AO“ fest: „Der Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML macht gegenwärtig rasche Fortschritte. Große Teile der ZB-Organisation (Gruppe Rote Fahne/Bochum) haben im Kampf gegen jene Führer, die 1970 die KPD/ML gespalten haben und danach ihre revisionistische Linie verbreiteten, den Schritt zur KPD/ML gemacht. Mit den weiteren Siegen über den Revisionismus jeder Schattierung, mit der Tendenz zur wachsenden Einheit, fallen auch die spalterischen Zirkelhäuptlinge in immer wildere Töne …“ (28)
Die Auseinandersetzungen um jene „Einheit der Marxisten-Leninisten“ vereinigten den revolutionären Messianismus mit der schwärmerischen Massenprophetie, wobei hinzugefügt werden muss, dass sie zumeist auf sehr eng gesteckten Zielen basierte; denn wo immer das ZK nur konnte, war der Gründungsakt gleich einem „Großen Gericht“, das klar machte: „Die Gründung der KPD/ML wurde notwendig durch den Verrat der modernen Revisionisten, die die Kommunistische Partei in Deutschland liquidierten … Die KPD/ML konnte nur im ständigen Kampf gegen den modernen Revisionismus entstehen und weiter erstarken.“ (29)
Eine Wiederholung macht die Dinge nicht richtiger. Die Gründungslegende spiegelte die zahlreichen hysterischen Züge wider, die den Eindruck erweckten, dass das politische und soziale Denken der anderen Gruppen zum Bösen schlechthin wurde. So musste es immer wieder zu kräftigen Entladungen seitens des ZK kommen. Über den Rändern hinaus waberte nur der eine Gedanke: Eine „Einheit der Marxisten-Leninisten“ ist nur unter der Führung der KPD/ML möglich. Daher: „Die feste Einheit der Arbeiterklasse kann nur unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei erkämpft werden. Darum stärkt die KPD/ML.“ (30)
Dass auch die PdAA fest davon überzeugt war, das der Adressat in Sachen Einheit nur die KPD/ML sei, geht aus den Worten hervor: „Möge das kommende Jahr ein Jahr der wachsenden Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML sein, einer Einheit gewachsen im Kampf und festgefügt auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus.“ (31)
Diese Ausgangshaltung sollte die KPD/ML auch in den kommenden Jahren stets beibehalten. Einen Strich durch diese Rechnung machten ihr verschieden Fraktionen bis spätestens 1986, als sie sich mit der GIM in Dortmund (4./5. Oktober) zur „Vereinigten Sozialistischen Partei“ vereinigten.
Doch die Entscheidungsschlacht um das Schicksal des Rest-ZB war noch nicht beendet. Im „Roten Morgen“ Nr. 7 vom 24. Februar 1973 wurden gleich mehrere Artikel veröffentlicht, die auf emotionalen Rückhalt durch das ZK ausgerichtet waren:
Das „Gemeinsame Kommuniqué der KPD/ML und der Provisorischen Bundesleitung des KJVD“ wies jene vielfältigen Übereinstimmungen aus, die den Unfehlbarkeitsanspruch des ZK bestätigen sollten: „Sie, die kommunistische Jugend unseres Landes, braucht eine einheitliche kommunistische Jugendorganisation, die unter der korrekten marxistisch-leninistischen Linie der Partei die vom Klassenkampf gestellten Aufgaben anpackt. Diese Partei ist die KPD/ML, die 1968/69 im Kampf gegen den revisionistischen Verrat gegründet wurde. Diese Partei kann nicht die Gruppe Rote Fahne (Bochum) sein, die sich 1970 im Kampf gegen die Partei des westdeutschen Proletariats abgespalten hat. Diese Gründung der GRFB als Partei geschah objektiv im Interesse des modernen Revisionismus, dem gefährlichsten Spalter der Arbeiterklasse und der Jugend. Die politische Linie der GRFB war und konnte nur der Versuch sein, Marxismus-Leninismus und modernen Revisionismus miteinander zu versöhnen.“ (33)
Ein modernes Stück in einem mittelalterlichen Kostüm - so könnte diese Selbstgleichschaltung mit schwindenden Behauptungswillen bezeichnet werden. Das alles, was nach dem ZK kam, „objektiv im Interesse des modernen Revisionismus“ geschah, sollte fast schon eine Vergötzungsphrase sein, deren Stichwortgeber die stets „siegreiche KPD/ML“ war, wie es die PdAA auszudrücken vermochte.
Flankiert wurde das Kommuniqué von dem Artikel „Kampf dem Revisionismus. Vorwärts mit der KPD/ML“, der auf eine Veranstaltung in Darmstadt am 11. Februar mit Ernst Aust einging. Die Tendenz war: „… die GRFB ist von Anfang an auf einer falschen Grundlage entstanden …“ (34)
Die wiederholten Versuche, das Geschehen mit dem Begriffsvokabular der Dämonologie (revisionistische Grundlage des ZB) zu deuten, gehörten wie die „Erklärung von zwei Genossen der ehemaligen Bolschewistischen Linie“, die nach einem kurzen Gastspiel beim ZB der KPD/ML dort austraten und sich „wieder der Führung der KPD/ML unterstellt“ haben, zu den überraschenden Funden. Sollte doch jeweils der „Revisionismus“ als dauerhafte Begründung, die gegen die „Spalter“ gerichtet war, dafür herhalten, dass das Erbteil „revolutionär“ zu sein, nur dem ZK vorbehalten war. Die Debatte konfrontierte zwei schroff entgegengesetzte Pole: Auf dem einen, die Huldigungen an das ZK, auf dem anderen, die Feindschaft und die Ressentiments gegen „Zirkelwesen“ und karrieristische Führungsansprüche“. (35)
Die angeführten „Dokumente zur Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ eines Teils der OG Essen der ehemaligen KPD/ML-ZB, die sich mit dem ZK arrangierte, konfrontierte den Leser mit der Lesart des ZK und der immer wiederkehrenden Formulierung, dass die KPD/ML „im harten Kampf gegen den modernen Revisionismus“ entstanden war, das ZB dagegen auf „neorevisionistischen Grundlagen“.
Die Ausgabe 8 (vom 3. März) des „Roten Morgen“ veröffentlichte keinen Beitrag zur aktuellen Krise der mit dem ZK verfeindeten ZB-Gruppe. Auch im „Roten Morgen“ Nr. 9 vom 10. März 1973 war die Auflösung des Zentralbüros kein Thema. Dort war neben einer Polemik zum „Neuen Roten Forum“, der anstehende Rote-Garde-Bundeskongress die eigentliche Debatte, bei der es um die Auffüllung der RG mit Ex-KJVDlern gehen sollte. Berichtet wurde, dass der „KDAJ“ Nr. 1/1973 neben dem Kommuniqué auch einen Artikel der PBL des KJVD enthielt, der darauf verwies, dass der „KJVD sich auf korrekter Grundlage“ mit den „Genossen Rotgardisten“ vereinigt habe. (36)
Das ZK beantwortete die am 31. März erschienene letzte Ausgabe der „Roten Fahne“ (37), in der von den „Machenschaften der Aust-Clique“ berichtet worden war, die sich unberechtigterweise den FTA und die Bibliothek des ZB angeeignet hätten, mit der alten ideologisch garnierten Ursprungsfrage: In der Ausgabe Nr. 15/1973 des „Roten Morgen“ vom 21. April war folgende „Erklärung“ zu lesen: „Auf einer Funktionärskonferenz der zerfallenen Spalterorganisation Rote Fahne Bochum stellte eine Mehrheit von bolschewistischen Kräften fest, dass der finanztechnische Apparat dieser Organisation nur für das Proletariat und seine Partei, die KPD/ML, erhalten und gesichert werden muss. Darüber haben die Zirkelführer der GRFB ein großes Geschrei erhoben. Die GRFB-Zirkler haben sich sogar angestrengt, ein Extrablatt der Roten Fahne zu diesem Zweck erscheinen zu lassen, in dem sie auf entstellende Weise allerlei Beschuldigungen erheben … Die Partei hat keinen großen Raubzug getan, wie es die Zirkler darzustellen versuchen. Sondern sie hat von den Genossen der ehemaligen GRFB erarbeiteten Einrichtungen ihrer revolutionären Bestimmung erhalten (und einen gewaltigen Schuldenberg mit übernommen). Die Partei ruft deshalb alle auf, die Schulden an diese ehemaligen Einrichtungen der GRFB haben, diese Schulden bald möglichst zu bezahlen. Diese Einrichtungen und die dafür haftenden Genossen müssen vor dem Zugriff der Bourgeoisie bewahrt werden.“ (38)
Meiner Erinnerung nach handelte es sich damals vor allem um Objekte in Dortmund (zentrale Druckerei, Literaturvertrieb und Bibliothek des ZB), die von ZB-Genossen, die zum ZK überliefen, „beschlagnahmt“ worden waren. Die Begründung des ZK für diesen Streich kann in dem Zitat aus dem „Roten Morgen“ nachgelesen werden. Der Hinweis „nur für das Proletariat und seine Partei, die KPD/ML,“ entsprach natürlich keinerlei Rechtlich- und Redlichkeit. Der Artikel war eine der vielen Revuenummern des ZK, das sich mit Scheinargumenten alle Rechte und Objekte meinte sichern zu können.
Die „revolutionäre Bestimmung“, die sie nun „erhalten hätten“, kannte man seit den Tagen des a. o. PT. Insofern schuf sich das ZK damit eine Repräsentantenrolle, die in seiner „Brave New World“ aufzugehen schien. Die groß beschworene „Einheit der Marxisten-Leninisten“ hatte hier zweifelsfrei den Charakter einer „politischen Verschwörung“ angenommen, bei der Ex-ZB-Genossen - möglicherweise aus Ehrenabschneidungen oder gekränkter Eitelkeit heraus - das politische Versagen des ZB nun mit Zorn quittierten und in vollen Zügen den Kelch „übergaben“ (Schlüsselhoheit), obwohl dieser bis obenhin mit Dreck gefüllt war.
Noch einmal sollte der „Roten Morgen“ jenes „scharenweise“ intellektuelle Überläufertum zum ZK, in seiner schon bekannten hochmütigen Art hoffähig machen. In der gleichen Ausgabe war im Artikel „KJVD aufgelöst. Vorwärts mit der Roten Garde. Revolutionäre Jugend - Einig“ zu lesen: „Der KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands) war spalterisch von Führern der Gruppe Rote Fahne Bochum gegen die KPD/ML und ihre Jugendorganisation, Rote Garde, geschaffen worden. Mitte April fand jetzt die letzte Bundesdelegiertenkonferenz des KJVD statt, auf der beschlossen wurde, die Organisation aufzulösen und den Mitgliedern zu empfehlen, die KPD/ML und die Rote Garde zu stärken …“ (39)
Die auf dieser Versammlung verabschiedeten und abschließenden „Erklärung“, in der erneut betont worden war, dass das „gesamte Eigentum des KJVD in das Eigentum der Roten Garde übergeht“ (40), entsprach einem heimkehrenden Nationalgefühl, das seinesgleichen suchte. Der politische Anpassungsdrang war doch enorm. Und man attestierte dem ZK ohne wenn und aber: „Die Spaltung der KPD/ML durch das spätere ZB, diente von Anfang an dem Aufbau einer Organisation, die gegen die Partei, zur Spaltung und zur Verwirrung der Arbeiterklasse aufgebaut wurde … In der Plattform des ZK hat die Partei den Vorhutcharakter der Partei hochgehalten (gerade auch in der Frage der politisch-ideologischen Führung der Jugendorganisation), hat die Vorrangigkeit des ideologischen Parteiaufbaus vor dem organisatorischen verteidigt … (41)
Offenbar ging es nur noch um die Legitimation des ZK. Da war es egal, dass es im „Roten Morgen“ Nr. 2 vom 20. Januar im Artikel „Die Rote Garde aufgebaut“ sozusagen in „Selbstkritik“ machte und die Fehler der Vergangenheit nun als politisch formulierten Auftrag an den KJVD weitergab. Entweder waren die Dokumente des ZK nicht gelesen worden oder die Naivität und die Illusion ersetzen alle politischen Kontroversen, die es einst 1970 gegeben hatte?
Die Auflösung des Zentralbüros ging dann doch relativ schweigsam über die Bühne. Mit Ausnahme der „Rebellionsbewegung NRW“, die noch bis zum Frühsommer 1973 bestanden haben dürfte, gab es keinerlei Gruppenbildung von Ex-ZBlern mehr. Auch die (ideologischen) Debatten verstummten.
Letztmalig erschien dann im „Roten Morgen“ Nr. 17 vom 5. Mai die „Beilage“: „Kampf für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML. Delegiertenkonferenz der Gruppe Rote Fahne beschließt Auflösung. Resolution.“ Danach haben „Delegierte der GRF aus BaWü, Hessen, NRW, WB und WK (14./15. April, d. Vf.) die Auflösung der GRF beschlossen. Sie rufen alle Mitglieder und Sympathisanten auf, sich der KPD/ML zu unterstellen …“ (42)
Die ungebrochene Lust an der Verehrung der KPD/ML, die sich in häufigen Rührungszuständen über deren „Kampf gegen den modernen Revisionismus“ äußerte, sollte zumindest für einen Teil des Ex-ZB weiter bestehen. Die artistische Formulierungsfreude von der „GRF als Spalterorganisation“ und „der KPD/ML als marxistisch-leninistischer Partei“ (43) lief am Ende auf die Erkenntnis hinaus, dass der Widerspruch und der Irrtum stets in eine Sackgasse geraten können.
Die letzte Ausgabe des „KDAJ“, die ebenfalls als „Beilage“ zum „Roten Morgen“ Nr. 17 erschienen war und mit dem Aufruf zur „Einheit der Marxisten-Leninisten“ das Echo des dreijährigen Streits mit feindseligen Untertönen weiter trug, hatte außer der Empörung über die „Versöhnung des ZB mit dem modernen Revisionismus“ (44) sonst nichts mehr im Gepäck, was erwähnenswert wäre. Die Argumente waren ausgetauscht und die Szene durchgemischt worden. Alle weiteren Ausgaben des „Roten Morgen“ (hier bis zur Nr. 26 vom 7. Juli) verzichteten darauf, die Erinnerung an das ZB wach zu halten.
Das unglaubwürdige Happy End fand für das ZK im „Königsweg der Flucht“, der beschworenen „Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“, ein seltsames Ende. So blieb nur noch der Name, KPD/ML-ZB, der in anderen Zusammenhängen noch öfter fallen sollte. Dass er aus der Erinnerung geriet, war nicht das Verdienst des ZK, sondern der schleichend beginnenden Auflösung der maoistischen Gruppen, die „weder theoretische noch soziale Stützen“ (W. Lenin) hatten.
Letzte Änderungen: 30.6.2010
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