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Der Aufbruch ins Jahr 1971 sollte für die KPD/ML-ZK fast schon ihr Ende sein. Zum Jahresende 1971 geriet sie ins Trudeln. Und das selbst gesteckte Ziel, den „Kampf der Arbeiterklasse“ anleiten zu wollen und sie zum Sieg zu führen, versandete. Nur durch einen Kraftakt war es dem ZK möglich, sich aus den eigenen Fesseln zu befreien und zu neuen Ufern vorzupreschen. Nach einer langen Periode der ideologischen Auseinandersetzungen sollte die KPD/ML-ZK zu Anfang des Jahres 1971 die Praxis in den Vordergrund ihrer politischen Arbeit stellen. Damit unterschied sie sich nun gar nicht vom Zentralbüro der KPD/ML, das sich auf die Positionen ihrer sozialen Gegenspieler begab, um von dort aus ihren Kampf in die Betriebe zu tragen. Die politische Großwetterlage zum Jahresbeginn trug dazu bei, immer wieder die sog. „soziale Frage“ zu stellen, die als Schwanz stets in allen Flugblättern, den Zentralorganen oder Betriebszeitungen enthalten war. Diese „politische Linie“ sollte unmittelbare praktische Bedeutung erlangen können, und sie skizzierte auch die kommunistische Lehre mit dem Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats.
1971 war ein Jahr der Radikalität. In jeglicher Hinsicht. Die SPD sollte sich mit den Berufsverboten (1971/72), mit ihrem Schweigen zum Vietnamkrieg und mit der Großen Koalition ins Abseits stellen. Das sollte in der jungen Generation auf erheblichen politischen Widerstand, gar auf Ablehnung, stoßen. Man erinnerte sich angesichts der „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ an einen Rückfall in die Kalte-Kriegs-Strategie und die McCarthy-Ära. Mobil dagegen wurde von vielen linkssozialistischen Gruppen gemacht, etwa der DKP oder dem SB. Aber auch für die maoistischen Gruppen war diese Politik der Sozialdemokratie ein willkommener Anlass, endlich die „Verrätereien der SPD-Regierung“ zu benennen und anzuprangern, die ihr weit verzweigtes Netz über ihre Ortsbürokratie bis hin zu den Betriebsräten und vielen VL-Körpern gestreut hatte, so ihr allgemeiner Tenor. Hier war der Ort der eigentlichen Auseinandersetzungen. Dort, wo das „Herz des Proletariats“ schlug, im Ruhrgebiet, wie man meinte, sollte der große Show-Down beginnen und für viele Gruppen auch enden.
Der KJVD der KPD/ML-ZB schlug im Januar im „KDJA“ Nr. 5 gleich eine harte Gangart an: „GEGEN DIE SPALTUNGSMANÖVER - FÜR DIE EINHEIT DER ARBEITERKLASSE“, hieß der Aufmacher. Und der KJVD machte mobil gegen die Spaltung von älteren und jungen Kollegen, die sich nur gemeinsam mit „machtvollen Streiks für die Durchsetzung ihrer Interessen“ wehren könnten. Das „Jahr des jungen Arbeitnehmers“ müsse sich auch im kommenden „Tarifkampf der Metallarbeiter“ (Metalltarifrunde) niederschlagen.
„Nur wenn wir uns zusammenschließen zur Durchsetzung der richtigen Forderungen der Arbeiterjugend und der gesamten Arbeiterklasse, werden wir die Lage der Arbeiterjugend verbessern können, werden wir unter den Angriffen der Kapitalisten und der SPD-Regierung nicht zurückweichen, sondern gestärkt aus dem Kampf um unsere Interessen hervorgehen.“ (1)
Ähnlich lautete ein Aufruf im „Rotgardist“ der Roten Garde der KPD/ML-ZK aus dem Januar: „Die KPD/ML leitet den Kampf der gesamten Arbeiterklasse, auch den der Arbeiterjugend.“ (2)
Da für alle maoistischen Gruppen die kapitalistische Krise nun begann, musste der Kampf „entschlossen aufgenommen“ werden, wie das KJ-Inform der KPD/ML-ZB im Januar in seiner Agitationsbroschüre „Hinein in den Kommunistischen Jugendverband“ meinte. (3) Hier standen die Gewerkschaftsführer auf der Seite der Kapitalisten - und obwohl sie sich mit der SPD gegen die Arbeiter verschworen hätten, forderte der KJVD dennoch: „Machen wir die Gewerkschaften zu Kampforganisationen“. (4)
Die Parole war ein windiger Versuch, aus gesellschaftlichen Realitäten eine Inszenierung zu machen. Einerseits verurteilte man pauschal den DGB und seine Einzelgewerkschaften, und andererseits sollte die neue Mission den Durchbruch auf dem langen Marsch durch die Gewerkschaften bringen. Beides beschreibt den inneren Konflikt, in den sich die Gruppen stellten. Ihre radikale Gangart ließ auch keine andere Deutung zu. Wollte man die Arbeiterklasse zum Sieg führen, müssten die „Gewerkschaften erobert“ werden. Der Terminus der KPD und der Komintern sollte Öffnung und Umbruch zur gleichen Zeit sein.
Doch man tat sich hier sehr schwer. Meistens befanden sich die K-Gruppen ja auf verlorenem Posten in ihrer betrieblichen Agitation. Vor allem in den Betrieben, die sie als „Zielbetriebe“ verkauften, herrschte Einigkeit in ihrer Ablehnung. Das war m. E. darauf zurückzuführen, dass sie sich einer Sprache bedienten, die eine sinnvolle Diskussion verunmöglichte. Die Aufforderung an viele Belegschaften, ihren SPD-Betriebsräten die rote Karte zu zeigen, fruchtete nur in den wenigsten Fällen, und dort, wo es einigen Gruppen gelang, etwa über eine Gegenliste bei Betriebsratswahlen in den Betriebsrat einzuziehen, mussten sie sich Mehrheiten beugen. Zudem ließ das verspannte Netz der dortigen Mandatsträger mit parteiübergreifender Bürokratie im Rücken kaum eine alternative Politik zu. So mussten Flugblätter und Betriebszeitungen sozusagen als „linker Ersatzbetriebsrat“ herhalten, wo nach Herzenslust einer nach dem anderen abgeschossen werden konnte, was auch gegnerische Gruppierungen aus dem linken Lager einschloss.
In der ersten Ausgabe von „Betrieb und Gewerkschaft - Organ des Zentralen Betriebs- und Gewerkschaftskomitees der KPD/ML“ vom Januar 1971 wurde einleitend herausgestellt: „Betrieb und Gewerkschaft ist das Organ des Zentralen Betriebs- und Gewerkschaftskomitees (ZBGK) der KPD/ML. Es soll der Erarbeitung der Strategie und Taktik einer revolutionären Betriebs- und Gewerkschaftspolitik dienen. Der Titel Betrieb und Gewerkschaft ist programmatisch. Er soll zeigen, dass die KPD/ML daran geht, die revolutionäre Politik der KPD auch in der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik fortzusetzen … Die KPD/ML hat aufgrund der Plattform dieses Zentrale Betriebs- und Gewerkschaftskomitee eingerichtet. Es soll im Geiste der Plattform des ZK der KPD/ML den bisher herrschenden Subjektivismus der westdeutschen Marxisten-Leninisten in Bezug auf die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit überwinden helfen … Betrieb und Gewerkschaft ist bestimmt für alle Mitglieder und Kandidaten der Partei, alle Rotgardisten und Genossen der anderen Massenorganisationen. Es soll aber auch jenen zugänglich gemacht werden, die ein grundlegendes Interesse an einer revolutionären Betriebs- und Gewerkschaftspolitik haben … Betrieb und Gewerkschaft soll vor allem die Genossen der Partei und der Massenorganisationen zur Diskussion anregen, damit das Zentrale Betriebs- und Gewerkschaftskomitee sich umfassende Erfahrung aneignen kann, die dann wieder in konkrete Anleitung für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit der Partei umgesetzt werden kann. Es soll also den zentralen Gremien und vor allem dem Zentralkomitee helfen, die Arbeit der Partei zu verbessern.“ (5)
Symptomatisch war hier jener Satz, der die ganze Crux der betrieblichen Agitation und Propaganda auf den Nenner brachte: Der KPD/ML gehe es darum, „die revolutionäre Politik der KPD auch in der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik fortzusetzen …“. Das schloss natürlich auch kommunistische Fraktionen und Oppositionen ein, die noch am besten den Verrat der Gewerkschaftsführung entlarven können sollten. Als entscheidender Hebel sollten sie ein Mittel der Kampfvorbereitungen sein, die wiederum „die Arbeit der Partei verbessern“ würden.
Das Lavieren der KPD/MKL-ZK ruft in Erinnerung, dass der Streit aus dem Frühjahr 1970, der u. a. auch von dieser Frage bestimmt gewesen war und der letztlich in den Vorwurf an die „Bolschewik-Fraktion“ einmündete, in der Praxis zu versanden, nur konstruiert war. Wohl deshalb thematisierte die erste Ausgabe von „Betrieb und Gewerkschaft“ diese Position nicht näher. Eigentlich war die Positionierung grotesk, denn das ZK hatte im „Roten Morgen“ vom August 1970 auch die Gewerkschaftsfraktionierung als „Kampf um die proletarische Linie“ bezeichnet. Etwas Gegenteiliges hatte die Gegenseite auch nie behauptet. Widersprüche gab es allerdings dort, wo es darum ging, wer für die Gewerkschaftsfraktionierungen zu gewinnen sei. Die Betriebszellenorganisation sollte sich einmal an das sog. „klassische Industrieproletariat“ wenden, dann wieder an die „fortschrittlichen der Klasse“, jenen hochspezialisierten Facharbeitern, die von Hause aus, so die Idee, mit Bewusstsein gesegnet waren und am ehesten wohl den Weg zur Partei finden würden.
Beides erwies sich als hohl und sollte praktisch scheitern. Im Buhlen um jene Klasse, in einer Zeit, in der sich die Klassengegensätze nachhaltig abzuschwächen begannen, setzte die KPD/ML auf das Allheilmittel des unaufhaltsamen Aufstiegs der Arbeiterrevolution, die an der Basis, im Betrieb, zu beginnen hätte und die auf den Barrikaden enden würde. Diese anachronistische Rhetorik ließ völlig außer acht, dass tatsächlich die Kampfarena der Konflikte, denen eine Schlüsselrolle beigemessen wurde, bereits von allen Schlacken gesäubert worden war. Der Wust von (komplizierten) Tarifverträgen (einschließlich Lohnrahmenabkommen und Manteltarif), Arbeitsrecht, Mitbestimmung, Betriebsverfassungsgesetzt vers. Bürgerliches Gesetzbuch und Sozialversicherung konnte wohl niemand konkret überblicken. Die Institutionalisierung von Konfliktaustragungen und -beilegungen dürfte im Endeffekt dazu geführt haben, „dass anstelle eines einzigen Zentralkonflikts mit einer kompakt auftretenden Regelungsproblematik die Desaggregierung, Spezifizierung, Differenzierung von Konflikten getreten ist, welche die pragmatische Lösung in Gestalt eines Interessenkompromisses gestatten“. (6)
Die Entschärfung von sozialen Konflikten, die längst an der Tagesordnung waren, führte zu den hilflosen Versuchen der K-Gruppen, wieder und wieder „den Lohnraub“ anzuprangern und die Belegschaften dazu zu ermuntern, den „Kampf gegen Massenentlassungen und Kurzarbeit“ aufzunehmen, wie der „KDAJ“ im Januar meinte. (7)
Aber es sollte noch besser kommen: „Die SPD-Regierung macht systematisch den Lohnraub der Kapitalisten mit … Die SPD-Regierung redet davon, dass sich die Lage normalisiert. Sie begrüßt sogar die Entlassungen, weil sie hofft, dass sie die Arbeiter einschüchtern. Die SPD-Regierung macht mit den Kapitalisten gemeinsame Sache, wenn es gilt, die Löhne niedrig zu halten und sie ist auch auf ihrer Seite, wenn sie jetzt schon ankündigen, dass die Preissteigerungen auch im nächsten Jahr weitergehen werden …“ (8)
Diese Agitation insistierte darauf, einen Generalschuldigen auszumachen, der für alle Schandtaten an den Pranger gestellt werden konnte. Dass es die SPD-Regierung sein musste, erklärte sich zum einen aus der Übernahme der Politik der KPD und Komintern, zum anderen aus der Neuentdeckung von Klassenkonflikten mit Staats- und Regierungsbeteiligung, die keine waren und denen die Realitätsnähe genommen worden war. Zwar hatten sich die Klassen nicht aufgelöst, aber in der Kurzsichtigkeit der K-Gruppen waren sie wie Heiratsmärkte, die hin- und hergeschoben wurden, wenn es darum ging, die Blicke auf das Herrschaftssystem zu lenken, das sich ständig neu reproduziere und als „Wesen der Klassenkämpfe“ in die Geschichte eingehe.
Es sollte nicht verwundern, dass der „Rote Morgen“ aus dem Januar 1971 in seinem Leitartikel zur SPD-Regierung und dem Betreiben der Kapitalistenklasse sich zu der Annahme hinreißen ließ: „SPD/FDP Regierung - Wegbereiter des Faschismus.“ Es seien ausgerechnet die „sozialdemokratisch regierten Länder sind, in denen unter massivem Polizeischutz mit Wasserwerfern, Tränengas und Sperrgittern gegen Gegendemonstranten, die reaktionären, revanchistischen Gruppen der Aktion Widerstand (AW, d. Vf.) ihre Demonstrationen abhalten können; dass es ausgerechnet die sozialdemokratisch regierten Länder waren, in denen antifaschistische Demonstrationen von Studenten und Arbeitern gegen den reaktionären Springer-Konzern, gegen den Besuch ausländischer Faschisten blutig von der Polizei zusammengeknüppelt wurden, in denen die meisten politischen Urteile gegen linke Demonstranten gefällt wurden; dass es ausgerechnet die Brandt/Scheel-Regierung ist, die wärmste, freundlichste Beziehungen zu faschistischen Staaten wie Portugal, Spanien, Indonesien und anderen und Staatsoberhäuptern wie den Massenmördern Hussein (Jordanien, d. Vf.), Suharto oder auch Nixon (USA, d. Vf.) unterhält; dass es ausgerechnet die Brandt/Scheel-Regierung ist, die denen, die zu bekämpfen sie vorgibt, höhere finanzielle Zuschüsse gewährt als ihre Vorgängerin, die CDU/CSU-Regierung unter Kiesinger … Dies alles zeigt die abgrundtiefe Heuchelei der SPD/FDP-Regierung, die eine Fraktion des westdeutschen Monopolkapitals vertritt, in ihrem angeblichen Kampf gegen den Rechtsradikalismus …“ (9)
Nur durch das Kürzel „FDP“ im Aufreißer des Artikels unterschied sich der „Roter Morgen“ von der „Roten Fahne“. Eine gewisse Korrektur sollte im Artikel über die „ Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“ erfolgen. Allerdings gipfelte diese Korrektur wiederum in einen widersprüchlichen Linienschwenk, der letztlich nicht erklären konnte, warum eine Strauß-Konzeption eine andere als die der Brandt/Scheel war.
Dass „Bonn die Preise treiben würde“ (auch „die Milchpreise“, was heute von besonderer Brisanz ist) und dass im gleichen Atemzug davon geredet wurde, „alle Macht in Arbeiterhand“ zu legen (10), zeugt von dem Hauptmotiv, tagespolitische Ereignisse mit dem (Tages-)Kampf „Klasse gegen Klasse“ zu verbinden. Jene „Tageskämpfe“, so war man gewiss, würden auch die Widersprüche des kapitalistischen Systems verschärfen; denn sie seien durch die reformistischen Gewerkschaften, durch die SPD und die Kapitalisten zu antagonistischen Widersprüchen geworden.
Eine besondere Form der Zuspitzung dieser Widersprüche sollte sich in der Metalltarifrunde 1971 niederschlagen. Den Reigen eröffnete das ZB der KPD/ML mit einem Artikel über „Die politische Linie der Partei in der Agitprop zu den Tarifkämpfen“ im „Parteiarbeiter“ Nr. 1/1971 eröffnen. Darin hieß es u. a.:
„Im August (am 20.8.1970, d. Vf.) hat das ZB eine Richtlinie für die zu erwartenden Klassenkämpfe im Herbst ausgegeben. Durch diese Richtlinie ist die SPD-Kampagne mit den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen direkt verbunden worden. Dies wurde konkretisiert durch das erste Extrablatt der Roten Fahne (am 26. 9. 1970, d. Vf.) in dem ein volles Kampfprogramm für die Tarifkämpfe aufgestellt wurde. Durch diese zentrale Anleitung und Ausrichtung wurde die Agitprop in den Betriebszeitungen entscheidend vorangetrieben. Wir können heute, nach dem Abschluss der Tarifkämpfe feststellen:
1. die politische Linie ist in wesentlichen Punkten vereinheitlicht worden. Sie hat sich während der Kämpfe im Grundsatz als richtig erwiesen. Die Partei hat sich als eine eigenständige Kraft herausgebildet.
2. In organisatorischer Hinsicht haben wir große Fortschritte gemacht: in fast allen Landesverbänden sind durch die Tarifkämpfe neue Betriebszeitungen und -gruppen aufgebaut worden. Der Weg zur Verankerung in den wichtigsten und kampfstärksten Großbetrieben wurde zügig beschritten - es gibt nur wenige Streikzentren, in denen wir noch keine Betriebsgruppen aufbauen. Dies sind Erfolge, die uns kräftig vorangebracht haben. Aber wenn wir unsere Betriebszeitungen untersuchen, müssen wir feststellen, dass noch eine Reihe von Fehlern gemacht worden sind, die wir unbedingt korrigieren müssen.
1. Es wurde keine allgemeine Kampagne gegen die Sozialdemokratie geführt. Die Losung 'Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Front der Arbeiterklasse' ist nicht genügend beherzigt worden ... Dadurch ist es zu erklären, dass die richtige Konzentration auf die volle Durchsetzung der 15% oft in die Gefahr des ökonomistischen Nachtrabs führte. Dies ist der Hauptfehler und er wurde während der Tarifkämpfe an folgenden Punkten deutlich: es gelang oft nicht, die betrieblichen und die politischen Kämpfe zu verbinden. Daher wurden auch keine Kampfprogramme erstellt, die den betrieblichen, gewerkschaftlichen und politischen Kampf verbinden. Wie notwendig dies ist, zeigte der OPEL-Streik, der nur durch die Verbindung betrieblicher und gewerkschaftlicher Forderungen seine große Wucht bekam. Das direkte Eingreifen der SPD durch ihre Schlichter wurde nicht genügend beachtet, obwohl dies der wichtigste Punkt der Tarifverhandlungen war. Nach den Tarifkämpfen wurde an einigen Orten die Agitprop kaum oder gar nicht fortgesetzt.
2. Die Gefahr des ökonomistischen Nachtrabs führte dazu, dass in der Gewerkschaftsarbeit rechte Fehler vertreten wurden. Statt der richtigen Linie zu folgen 'verlassen wir uns nicht auf die rechten Gewerkschaftsführer, verlassen wir uns nur auf uns selbst und auf unsere Partei', wurde oft die Linie vertreten 'Zwingt die Bonzen'. Durch diese Linie werden Illusionen in der Arbeiterklasse geweckt bzw. nicht beseitigt und wird eine selbständige Organisierung in der Partei nicht richtig propagiert.
3. Daher ist ein weiterer Fehler, dass die KPD/ML nicht richtig als Partei des Proletariats propagiert worden ist.
4. Der politische Kampf der Partei gegen Sozialdemokratismus und Revisionismus ist nicht gründlich geführt worden. Dabei ist vor allem nicht die im 'Parteiarbeiter' propagierte Agitmethode verwandt worden ... Gegen die DKP-Führer ist keine ausreichende Agitprop durchgeführt worden, die ihre Bindung an den Sozialimperialismus und ihr Anbiedern an die SPD-Regierung und die rechten Gewerkschaftsführer wirklich erläutert hätte. Daher ist die Werbung um proletarische DKP-Mitglieder nicht ausreichend durchgeführt worden.
5. Das Wesen der Krise und unsere Taktik gegenüber der damals drohenden Krise ist nicht immer klar begriffen worden ..., weil die Krise noch zu stark mit bürgerlichen Maßstäben gemessen worden und nicht vom Standpunkt der Partei der Arbeiterklasse betrachtet worden ist.
Dies ist eine Verallgemeinerung der wichtigsten Fehler. Sie sind zu erklären durch die noch nicht ausreichende ideologische Festigung der Partei und deren noch ungenügende Verankerung in den Großbetrieben. Diese Aufgaben müssen wir jetzt intensiv angehen. Wir werden den ideologischen Kampf aufnehmen, indem wir vor allem gegen die rechten Abweichungen in der Partei kämpfen, gegen die Agenturen der Sozialdemokratie in der kommunistischen Bewegung vorgehen und den Kampf gegen den Revisionismus verbessern. Wir werden den Weg zur Verankerung im Proletariat vorangehen, indem wir uns auf die proletarischen Zellen konzentrieren, unsere Tätigkeit auf die proletarischen Genossen zuschneiden und Betriebsgruppen in den wichtigsten und kampfstärksten Großbetrieben aufbauen. In unserer Massenarbeit werden wir in den Kampf gegen die Sozialdemokratie verschärfen.
Wir werden 1. alle Verrätereien der Sozialdemokratie in der beginnenden Krise entlarven - von der 'krisenverhindernden' 10% Steuer bis zur Zustimmung zu Kurzarbeit und Entlassungen: 2. schonungslos jede Kollaboration der Sozialdemokratie mit der Reaktion enthüllen und ihre Rolle als Steigbügelhalter des Faschismus aufzeigen; 3. ihre imperialistische Politik und ihre Kriegspolitik immer neu entlarven.“ (11)
Die SPD-Kampagne mit dem Kampfprogramm „alle Verrätereien der Sozialdemokratie in der beginnenden Krise (zu) entlarven“, war zu diesem Zeitpunkt ein zentrales Thema der K-Gruppen überhaupt. Ihre „Rolle als Steigbügelhalter des Faschismus“ aufzuzeigen und zu entlarven, sollte in diesen Formulierungen höchst radikal sein, markierte aber für viele den Umbruch, ohne den die kommenden Ereignisse nicht zu verstehen waren. Die gesamte Sozialdemokratie wurde sozusagen reaktiviert. KPD/ML-ZB und -ZK setzten Unmengen an Energien frei, um den Nachweis zu erbringen, dass das Damoklesschwert „Sozialdemokratie“ stets über den Häuptern der Arbeiterklasse schwebte.
In der Agitation der Betriebsjugendgruppe Hoechst Frankfurt der Roten Garde der KPD/ML-ZK wurden die kommenden Lohnverhandlungen, in denen die rechten SPD-Gewerkschaftsführer „ihre Geschäfte mit den Kapitalisten“ machen würden, in zwei Flugblättern, die vermutlich im Januar 1971 verteilt worden waren, verurteilt. In „Tag des offenen Betrugs“ und „Kolleginnen und Kollegen! Die Lohnverhandlungen stehen vor der Tür“ war der „Kampf gegen das Lohndiktat“ keine Verhandlungssache, sondern beinharter Kampf auf dem Weg der Verankerung der Marxisten-Leninisten in den sich verschärfenden Kämpfen bis zum Herbst 1971. (12)
Auch der „Rote Metaller“, die Betriebszeitung der KPD/ML-ZK für „Samson“ in Frankfurt/M., befand sich im Januar in ihrer Agitation gegen die SPD-Regierung im Kontext: „Gegen die Verrätereien - die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse“. (13) Das Cover der BZ machte auch deutlich, wohin die Reise gehen sollte. Gestreckte Fäuste und marschierende Arbeiter, die überall in Flugblättern und Betriebszeitungen auftauchten, sollten dieses Ansinnen unterstützen. Die immer grimmigen Arbeitermassen mit kruppschen Gesichtszügen sollten deutlich machen, dass ohne sie nichts zu haben sei und dass sie gewillt waren, jeden Weg zu gehen. Selbst die „drastischen Erhöhungen des Kantinenessens“ bei BMW sollte im Januar die OG München der KPD/ML-ZK der sozialreformistischen IG Metall anlasten, die nichts unternehmen würde, um sich an die Seite der Kollegen zu stellen. (14)
Die Rote Opel-Betriebsgruppe (RBG) der KPD/ML-ZK in Bochum meinte im Januar, dass die gegenwärtig wichtige Aufgabe sei, „vorläufige Abwehrmaßnahme gegen den Verrat der DGB-Gewerkschaften“ zu ergreifen, und stimmte damit u. a. auch auf die Metalltarifverhandlungen ein. Das sei nur mit einer „starken Roten Betriebsgruppe im Rücken“ zu erreichen. Deshalb, so die „Zündkerze“, „STÄRKT DIE ROTE OPEL BETRIEBSGRUPPE! ORGANISIERT EUCH IN DER RBG DER KPD/MARXISTEN-LENINISTEN!“ (15)
Im Rahmen ihrer „Bundeskontrolle“, die im Januar begonnen haben dürfte, ging das Zentralbüro davon aus, dass „eine umfassende Untersuchung der Parteikräfte“ nicht nur deshalb wichtig sei, um „die gesamte Parteiarbeit, von der obersten bis zur untersten Ebene, auf eine wissenschaftlichere und systematischere Grundlage als bisher zu stellen“, sondern das es auch darum gehe, die „Linie zur Sozialdemokratie“ zu festigen. Die praktische Bedeutung des „Stands der Parteikräfte“ sollte einhergehen mit der Darstellung der „Entwicklung der Klassenkräfte“ in der BRD. (16)
Die Deutung der politischen Linie zur Sozialdemokratie, die hier mehr oder weniger von möglichen internen Konflikten abhängig gemacht wurde, war als Tagesaufgabe politisches Programm. Selbiges ging einher mit dem sog. „Linksschwenk“ der Arbeiterklasse, einer rein subjektiven Annahme, deren Bedeutung aber für diese gesamte Zeit bis zum Herbst nicht zu unterschätzen war. Sollte doch jede Streikbewegung und jedes Streikvorhaben in der Wendung nicht nur die eine Aussage hervorbringen: „Kampf um 15%“, sondern auch die „Kampfentschlossenheit“ der „Fortschrittlichen der Klasse“ in diesen Kämpfen aufzeigen.
Die KPD/ML-ZK setzte ihrerseits in dem Artikel „Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“, den das ZB als „linken Opportunismus“ brandmarkte, selbstredend auch auf jenen „Hauptschlag“ gegen die SPD und meinte im März in einer Selbstkritik zu diesem Artikel im „Roten Morgen“ Nr. 3, in dem die Politik gegen die Sozialdemokratie mit den Worten umschrieben worden war: „ … es ist unsere Aufgabe … die Massen gegen die Verbrechen des Imperialismus und Militarismus zu mobilisieren und sie aufzuklären über die Vorbereitung des Sozialfaschismus sowie den Kampf dagegen. Wir sind keinesfalls der Meinung, dass die SPD friedliebender wäre. Das kann sie nicht sein, da sie die Interessen der Monopole vertritt …“ (17)
Das prominenteste Beispiel für die sog. Vereinheitlichung der Forderungen in den anstehenden Tarifrunden, die auch immer wieder die „Vorbereitungen der Sozialfaschisten“ gegen die Arbeiterklasse zeigen würden, war jene 15%-Forderung, die die tradierten Lohnverhandlungen sprengen sollten. Dabei ging es nicht einfach um die Meinung der Dortmunder Hoesch-Kollegen in dieser Frage, die als Mythos durch die ML-Bewegung geisterte, sondern um „solidarische Kampfaktionen“ aller Arbeiter.
So sollte die KPD/ML-ZK bei „BASF“ Ludwigshafen am 8. März 1971 in ihrer Betriebszeitung „Der rote Funke“ im Leitartikel zur CTR (Chemie-Tarifrunde, d. Vf.) pauschalisieren: „Chemiearbeiter in Hessen fordern 15%!“ Und: „In Hessen hat der Lohnkampf schon begonnen. Bei Merck in Darmstadt haben die Vertrauensleute 15% gefordert. Sie ließen sich nicht von den Drohungen der Konzernherren und den Lohnleitlinien der Regierung einschüchtern … Die Hoechster Kollegen (in Frankfurt/M., d. Vf.) haben die 15%-Forderung übernommen, die Gewerkschaft hat dagegen nur 12% angeboten. Doch durch die berechtigten Forderungen und die Geschlossenheit der Kollegen bekam sie schon Muffensausen. Aus Frucht, die Kollegen könnten 15% fordern, lehnten sie eine Mitgliederbefragung ab, die die Vertrauensleute bei Hoechst … und Cassella einstimmig gefordert hatten.“ (18)
Gegen Unternehmerwillkür und sozialdemokratischen Schwindel sollte die realistische Alternative sein: „1 DM MEHR PRO MANN PRO STUNDE GLEICH 15%!“ Wieso hier „1 DM“ gleich „15“ sein sollten, muss ungeklärt bleiben. Wichtig war jedoch jene Kernaussage des „Roten Funken“, der das Dilemma der Lohnpolitik in die Worte fasste: „Hinter dieser Forderung stehen viele Kollegen. Diese Forderung ist richtig. Für diese Forderung müssen wir kämpfen … MIT DEM MANTELTARIFVERTRAG WILL DIE IG-CHEMIE DIE ARBEITER SPALTEN. In den Verhandlungen um den neuen Manteltarifvertrag haben die Gewerkschaftsbonzen uns verraten …
Jeder Arbeiter weiß, dass die Kapitalisten nur dann etwas herausrücken, wenn sie sich einer geschlossenen Front der Arbeiter gegenübersehen. Mit ihrer 'betriebsnahen Tarifpolitik' verfolgen die Gewerkschaftsbonzen nur ein Ziel: ihre Machtstellung im Betrieb zu stärken, um einen größeren Teil von den Profiten der Unternehmer in die eigene Tasche zu stecken …“
Die KPD/ML würde nun die „berechtigten Forderungen der Kollegen unterstützen“, hieß es selbstherrlich: „1 DM mehr pro Mann pro Stunde, Mindestnettolohn 900 DM, das sind Forderungen, die wirkliche Verbesserungen für die Kollegen bringen …“ (19)
Mit der Karte der Handlungsoption „Geschlossenheit der Kollegen“ in diesen Kampf zu ziehen, bedeutete, die Unzufriedenheit zu schüren. In der gleichen Ausgabe zog das ZK gegen die SPD los: „Die SPD tut so, als ob sie die Interessen der Arbeiter vertritt. Ihre Reformen dienen aber hauptsächlich den Kapitalisten … Die Kapitalisten wollen durch Handel mit dem Osten aus der Krise kommen, die SPD reformiert die Ostpolitik. Die Kapitalisten wollen, dass die Preise schnell und die Löhne langsam steigen. Die SPD legt 'Lohnleitlinien' von 7 - 8% fest. Die Kapitalisten aber können ihre Preise frei bestimmen …“ (20)
Bemerkenswert war die Kontinuität zum ZB, das in dem überarbeiteten Artikel „Die Entwicklung der Sozialdemokratie zum Sozialfaschismus und die Klassenkämpfe im Herbst 1970“, der im „Bolschewik“ Nr. 6 aus dem Januar 1970 erschienen war, die sog. „Lohnleitlinien“ als verschärfte „sozialfaschistische Maßnahme“ bezeichnet hatte. (21) In „Für eine revolutionäre Betriebs- und Gewerkschaftspolitik“ sah man in der Entwicklung der DGB-Gewerkschaften eine fortschreitende Dynamik hin zum „Sozialfaschismus der Gewerkschaften“, die schon bald an „ihre Grenzen stoßen würde“. Durch den Aufbau einer „starken Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten- Leninisten“ könnte dem aber Einhalt geboten und die „Macht der Kapitalisten gestürzt“ werden. (22)
Die vermutlich am 15. März 1971 erschienene „Rote Westfalenwalze“ (RWW), Nr. 2, der Betriebsgruppe Hoesch Westfalenhütte Dortmund der KPD/ML-ZB war sich in der Frage der Dauerforderung „15%“ mit der Betriebspropaganda der KPD/ML-ZK einig: „Die 15%-Forderung müsse durchkommen. Kollegen, wir können uns im Kampf für unsere Forderungen nicht länger auf die rechten Gewerkschaftsführer verlassen. Der Verrat an unseren Interessen wird von ihnen auf lange Sicht vorbereitet … IGM-FÜHRER SPALTEN DIE ARBEITERKLASSE … Die SPD vertritt in der Regierung die Interessen der Kapitalisten. Und die SPD will weiter an der Regierung bleiben, dafür braucht sie aber das Vertrauen der Kapitalisten, und das bekommt sie nicht, wenn sie es nicht schafft, Streiks zu verhindern … In den Gewerkschaftsgruppen müssen wir uns auf eine Lohnforderung für die Tarifrunde 1971 einigen. Denn wir brauchen eine einheitliche, klare Forderung, um rechtzeitig unseren Kampf zur Durchsetzung dieser Forderung beginnen zu können. GEGEN DAS LOHNDIKTAT VON SCHILLER! LOHNFORDERUNGEN AUF DEN TISCH!“ (23)
Die Eindämmung der Kämpfe durch die Gewerkschaftsführung und die SPD-Regierung war unter dem Eindruck der Rezession, wie gemeint wurde, das Ergebnis der „Konzertierten Aktion“ und jenem „Lohndiktat“, das der sozialpartnerschaftlich orientierte Klüngel in die Formel der „maßvollen Lohnabschlüsse“ verwandelte, um die „Linksentwicklung der Arbeiterklasse“ zu bremsen. Deswegen müsse das Ziel, so die „Rote Westfalenwalze“, sein: „Sowohl für die Tagesaufgaben, wie jetzt zum Beispiel für die Sicherung der Arbeitsplätze, und auch für das Ziel aller Arbeiter: den Sozialismus! Deswegen stärkt die KPD/ML: ORGANISIERT EUCH IN DER HOESCH-BETRIEBSGRUPPE WESTFALENHÜTTE DER KPD/ML …“ (24)
Die lokalen Gewerkschaften, denen von den Linken in ihrer Lohnpolitik auch „Sparmaßnahmen“ für die Kapitalisten vorgeworfen worden war, hatten sich zu dieser Zeit bereits weit von der Basis entfremdet. Ihre Tarifpolitik schien insgesamt darauf hinaus zu laufen, so der Vorwurf, offizielle Streiks zu unterbinden und einen Konsens mit der bundesrepublikanischen Politik zu erreichen. Dass sie dabei auf Verhandlungsbereitschaft und Kompromisse setzten, und nicht selten auf die Schlichtung mit bekannten Männern aus Wirtschaft und Politik, wurde als bezeichnend interpretiert. Mit kurzen Arbeitsniederlegungen und späteren größeren Ausständen sollte von vielen Belegschaften Druck gegen unzureichende Forderungen gemacht werden. Dabei spielte der Organisationsgrad (etwa in der IG Metall) sicherlich auch eine entscheidende Rolle. Wer sich zudem dabei in den Vordergrund spielte, ist nicht mehr unbedingt auszumachen. Vermutlich dürfte das mit vielen vor Ort passierten Ereignissen zusammengehangen haben, die sich in der betrieblichen Politik von Betriebsräten und Vertrauensleuten niederschlugen, die jeweils auch ein besonderes „Verhältnis“ zu ihren Geschäftsleitungen, aber auch zur großen Politik hatten. Dass dabei nicht selten die SPD-geführten Interessenvertreter, die über ihre Betriebsgruppen maßgeblichen Einfluss hatten, eine tragende Rolle spielten, sollte als Faktum konstatiert werden dürfen.
Das Lavieren der örtlichen Gewerkschaften in der Lohnpolitik sollte die Frage danach aufgeworfen haben: Welche Forderungen sind sinnvoll und am ehesten zu realisieren? Keineswegs hatte sich in 1971 eine 15%-Forderung breit durchgesetzt. Wie man mittels der Datenbank MAO nachweisen kann, kam sie aus dem Umfeld der Hoesch Maschinenfabrik Deutschland, aber auch von Holstein und Kappert (Dortmund), die (nur!) „eine deutliche Erhöhung der Löhne und Gehälter“ gefordert hatten und sich keineswegs auf 15% festlegten. (25) Der lancierte Einwand der Linken, dass die „Hoesch-Kollegen von Dortmund 15% gefordert“ hätten, erweist sich somit als falsch und irreführend. Insgesamt wurden in den Tarifrunden 1971 unterschiedliche Forderungen aufgestellt, die zwischen 13 und 18% lagen, aber auch Festgeldbeträge wurden ins Spiel gebracht. Warum man sich nun auf 15% einschoss, lag m. E. darin begründet, dass es sich hier dem Anschein nach um eine übergreifende Solidaritätsidee gehandelt haben könnte, die als Propagandamittel verstanden worden war, um den Belegschaften das „einheitliche Handeln der Arbeiterklasse“ in der Tarifrunde zu verdeutlichen. Eine andere Erklärung, etwa die der effektiven Reallohnsteigerung, war von den K-Gruppen gar nicht als primäres Ziel genannt worden.
Der KPD/ML-ZK bei BASF in Ludwigshafen war am 16. März in ihrem „Roten Funken“ daher klar: „Die Hoechster Kollegen bleiben weiter bei ihrer 15%-Forderung und haben auf Werksversammlungen die Gewerkschaftsbonzen ausgebuht …“ (26)
Möglicherweise kulminierten die bereits genannten unterschiedlichen Forderungen in dieser einen zentralen Generalforderung. Dadurch waren, wie auch anderswo, örtliche Konfliktherde geschürt, die die zentralen Verhandlungen zwischen den Einzelgewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden bestimmen sollten. Die nun stattfindende Fokussierung auf die „Durchsetzung der 15%“ durch Kampfaktionen, etwa durch den Streik, sollte ein maßgebliches Mittel sein, um die „Bosse zu zwingen“.
Eine ähnliche Deutung vertrat die KPD/ML-Zentralbüro in ihrem Funktionärsorgan „Der Parteiarbeiter“ Nr. 4/1971, der im April erschienen sein dürfte. Dort wurde ein Vorbereitungsschreiben zur Bergbautarifrunde (BETR) der IGBE“ veröffentlicht, dass im „Arbeitsplan für April und Mai“ enthalten war. Ausgeführt wurde: „Unser politisches Ziel in der Bergbautarifrunde ist, der Sozialdemokratie empfindliche Schläge zu versetzen und in möglicherweise ausbrechenden Kämpfen ideologisch einen entscheidenden Einfluss zu erringen. Unser organisatorisches Ziel ist es, die fortgeschrittensten Kollegen für die Partei bzw. den Jugendverband zu gewinnen, die bisherigen BGs zu stärken und gezielt neue BGs aufzubauen. Falls offene Kämpfe ausbrechen oder eine erhebliche Verschärfung (wie z. B. 1966) kommt, werden wir nach einem genauen Plan durch zentrale oder lokale Flugblätter durch gezielte Kontaktarbeit die Grundlagen für BG's an einzelnen weiteren Zechen legen. Der politische Kampf muss in Verfolgung der allgemeinen Parteilinie auf das SPD-Lohndiktat gerichtet werden. Darum: Kampf dem SPD-Lohndiktat - Im gemeinsamen Kampf sind wir stark. Unseren politischen Hauptstoß richten wir dabei gegen die Betrugspolitik der rechten Gewerkschaftsführer und das Komplott. Wir müssen diesen Kampf mit dem Kampf gegen die Abwälzung der Krisenfolgen verbinden … Gegen das Komplott von Zechenherren, SPD-Regierung und IGBE-Führer - Die geschlossene Kampffront der Ruhrkumpel - Gegen Zechensterben und Arbeitshetze - Die Solidarität der Ruhrkumpel. Kein Lohnverzicht in der neuen Krise - Volle 15% Lohnerhöhung …“ (27)
Der „Sozialdemokratie empfindliche Schläge“ zu versetzen, insistierte auf „möglicherweise ausbrechende Kämpfe“, denen man eine Richtung geben wollte. Auch hier sollte die Lohnpolitik in der „neuen Krise“ ganz von einer Einkommenslösung bestimmt sein, die sich in der „geschlossenen Kampffront der Ruhrkumpel“ niederschlagen müsse. Die 15% sollten auch irgendwie das Tauwetter in den Betrieben überwinden helfen, denn die Lohndrift zwischen allen Lohngruppen war unübersehbar geworden. Und solange die Einstufungen in Lohngruppen, oder, wie hier, der „Gedingeordnung“ noch über die Betriebsleitung und Geschäftsführung erfolgte, wurden die Niedriglöhne zu ständigen Wiedergängern, denen kaum Einhalt geboten werden konnte. Auch die Forderungen aus den Belegschaften, die sich in den Anträgen an die Ortsverwaltungen niederschlugen, spiegelte diese Kluft wider. Immer wieder ging es darin um die „effektive Zahlung“ des ausgehandelten Ergebnisses und jener „solidarischen Lohnpolitik“, die die Ortsverbände geltend machen sollten.
Eine Reihe von Forderungen von KPD/ML-ZK und ZB bestätigen dies. Das waren u. a.:
Übergreifend und eingebunden in die Tarifpolitik der ML-Gruppen, die sozusagen ihre übergeordnete Politik flankierte, war u. a. in dieser Phase der „1. Mai“, ein verstärktes „Eingreifen in die Klassenkämpfe“, der Kampf gegen „das Lohndiktat der SPD-Regierung“, der Kampf gegen den „Antikommunistenbeschluss“, die „Propaganda für die Siege der indochinesischen Völker und China“, die „Propaganda für den Kampf der polnischen Arbeiterklasse“, „Kampf gegen den westdeutschen Imperialismus“, „ Kampf gegen den US-Imperialismus in Europa.“ Örtlich, wie z. B. in Dortmund, kamen „Fahrpreiskampagnen“ hinzu. In diesen wurde auch immer wieder Bezug auf Löhne und Gehälter genommen, die steigen müssten, damit die Tarife von den Werktätigen bezahlt werden könnten. (28)
Die Richtungen, eine „Kampffront“, die wohl eher „Kampffronten“ waren, sollten längerfristige soziale (Lohn-)Verbesserungen bringen. Bei BASF in Ludwigshafen, wo die OG Mannheim der KPD/ML-ZK am 1. April ein „Extra“ ihrer Betriebszeitung „Der rote Funken“ herausgab, entschied man sich zu Durchhalteparolen in der Frage der „15%“.
„12% SIND NICHT GENUG! SCHLIESST EUCH DEN FORDERUNGEN VON C 13 AN …“ (wohl einer Abteilung, d. Vf.). Und: „Die Kollegen vom Hoesch-Konzern in Dortmund haben es uns vorgemacht. Im September 1969. So forderten sie außerhalb der Tarifverhandlungen 30 Pfg. mehr Betriebszulage. Der Vorstand bot aber dem Betriebsrat nur 15 Pfg. an. Der Betriebsrat informierte die Vertrauensleute, die Vertrauensleute informierten ihre Kollegen und nach einer Stunde stand die ganze Belegschaft, 5 000 Mann, vorm Vorstandsgebäude. Gleichzeitig traten die Kollegen in den Zweigwerken von Hoesch in den Streik. Alle vereint zogen in einer machtvollen Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt. Nach zwei Tagen hatten die Arbeiter gesiegt. Die Direktion musste der 30 Pfg.-Forderung nachgeben UND NOCH DAZU DIE STREIKTAGE BEZAHLEN.
Die Gewerkschaftsfunktionäre und einige Betriebsräte wehrten sich mit Händen und Füßen gegen den wilden Streik und jammerten über den Betriebsfrieden. Die Arbeiter schoben diese Verräter beiseite und setzten ihre Forderungen aus eigener Kraft durch. Wenn wir unsere eigenen Forderungen aufstellen und hinter ihnen stehen, dann können wir sie gegen Kapitalisten und Gewerkschaftsbonzen durchsetzen. Die Gewerkschaftsführung kann sich nicht allzu weit von den Forderungen der Arbeiter entfernen, denn dann wird allen klar, dass die Gewerkschaftsbonzen keine Arbeitervertreter, sondern Arbeiterverräter sind …
Die Kollegen in Hessen haben durch ihren Druck die Gewerkschaft von 12% auf 13,9% getrieben. Die Hoechster Kollegen (in Frankfurt, d. Vf.) bleiben weiter bei ihrer 15%-Forderung …“ (29)
„Streiken wie die Hoesch-Arbeiter, Hoesch-Arbeiter bringen uns weiter …“, die Parole, die sich bis heute in abgewandelter Form noch in linken Kreisen hält (30), scheint sich sogar bis in die wissenschaftliche Literatur hinein durchgesetzt zu haben. So bezeichnet Peter Birke in „Wilde Streiks im Wirtschaftswunder“ die Aktionen der Hoesch-Belegschaft als „Initialzündung“ oder als Motor einer „Trendwende in der Einkommensentwicklung“. (31)
Hier interessiert nur der Erhitzungsgrad dieser Parole, die von einer Radikalität sondergleichen bestimmt war. In ihr prallten sozusagen beide Klassen diametral aufeinander. Diese Parole, wie keine andere, verzerrte aber im höchsten Maße die Realität. Die wahre Geschichts-Mythologie lag nämlich in der angeblichen Fortsetzung des Klassenkampfes begründet, den die Hoesch-Kollegen schon immer geführt hätten. Dabei waren die dortigen Aktionen nicht anders zu gewichten als woanders. Und auch eine enormere Kampfbereitschaft dieser war nicht zu erkennen. Es gehörte zur Selbstdeklarierung der maoistischen Bewegung, dass sie sich einzelne, ihrer Meinung nach besondere Aktionen der Arbeiterschaft herausnahm, um daraus ihre vertrackte Strategie abzuleiten.
Die aufstrebende Arbeiterbewegung, der seit der Rezession 1966/67 besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, hatte sicherlich im Lohnkampf punktuell ihre Duftmarken setzen können. Selbstredend bei Hoesch, in den Septemberstreiks 1969 mit den zaghaften Versuchen von APO-Aktivisten, die Streiks politisch auszuschlachten, und auch bei vielen Aktionen über 1970 (Etwa Opel Bochum, das heute wieder einmal im Gespräch ist. Die schon beschlossene Lohnerhöhung von 2,1 % stundet die Belegschaft der Firma unter der Bedingung, dass sie in eine Gesamtlösung für Opel eingebracht wird. Das beweist, dass heute überall selbst der Lohn nicht mehr tabu ist, um den man zu Beginn der 1970er Jahre noch martialisch gekämpft hatte.) hinaus. Letztendlich gab es hier jedoch keinen primären Ort von sich verschärfenden Klassenkampfaktionen. Ob Hoesch-Dortmund ein Ort der traditionellen Arbeiterproteste war, muss bis auf Weiteres offen bleiben. Auftretende Betriebsräte und Vertrauensleute waren übrigens an den Kanon der innerbetrieblichen Gesetzgebung über das Betriebsverfassungsgesetz gebunden und „dem Wohle des Unternehmens“ (BVG) verpflichtet, was kaum Spielräume zuließ.
Während der Streikaktionen 1969 kam es zu Entlassungen, die Empörung und Aktionen im Umfeld Dortmunds auslösten. Dabei handelte es sich natürlich nicht um „Störenfriede“, die „Unruhe schüren wollten“ (32), sondern womöglich um Beschäftigte aus dem Betriebsrat und dem V-Leute-Körper, die ihren Wahlauftrag einfach wahrnehmen wollten. Um ein Exempel zu statuieren, griff die Unternehmensleitung zu jenen Maßnahmen, die einem bekannt sind, wenn man sich mit der Geschichte der Arbeiterproteste in der BRD beschäftigt hat.
Ob das als (Selbst-)Opferbereitschaft durchgehen kann, was öfter gemutmaßt worden war, kann wohl nicht mehr geklärt werden. Auch nicht, wer von wem bestimmt worden war, sich in den Vordergrund zu spielen. Bei Streikaktionen mit schnelllebigen Informationen und ad hoc Entscheidungen, die kaum vorhersehbar und planbar sind, dreht sich der Wind ständig. Wer wollte da welche Kriterien anlegen? Wer lässt sich führen und wodurch? Was Opferbereitschaft anbelangt, die sich auch später bei provozierten Entlassungen einzelner K-Grüppler immer wieder feststellen lässt, so hat diese durchaus Entsprechung zum Bedürfnis, einmal im Mittelpunkt stehen zu wollen. Erinnert werden soll in diesem Zusammenhang an Entlassungen von KPD/ML-Mitgliedern bei Hoesch (später auch KPD-Mitgliedern), die nach den Erkenntnissen der Datenbank MAO wohl ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen waren, sich aber „politisch entlassen“ fühlten. Dass gerade die KPD/ML-ZK sich bei Hoesch in Dortmund damit nicht mit Ruhm bekleckern konnte, sollte klar sein. Die KPD/ML-ZK machte daraus, wie auch bei vielen anderen späteren Aktionen (vgl. etwa Günter Routhier) eine systematisch gelenkte Kampagne der Bourgeoisie.
Nun schöpften 15% (lineare Prozentvorgabe) bei weitem nicht das immer angeführte Argument der materiellen Verbesserung und der „Kaufkraft“ aus. Wieso es trotzdem zu der sich festsetzenden Forderung kam, könnte auch mit der sich kaum durchsetzenden Festgeldforderung (auch Einmalzahlungen) erklärt werden, die einen Einschnitt in der Tarifpolitik, vor allem der IG Metall, bedeutet hätte und die sich damit wohl von der traditionelle Gewerkschaftspolitik entfernte. Interessant ist, dass KPD/ML-ZB und -ZK gleichermaßen „15% auf alle Lohngruppen“ forderten. Damit begaben sie sich durchaus, um ihren Wortlaut zu gebrauchen, auf einen „Spaltungskurs“, der die Drift zwischen den verschiedenen, vor allem den unteren, Lohngruppen (teilweise sogar sog. „Leichtlohngruppen“) nicht beseitigen sollte.
Ein zentrales „Extrablatt“ der RAG-Betriebsgruppen der KPD/ML-ZB, das u. a. vor den Zechen Prosper (Bottrop), Westerholt (Polsum), Holland (Wattenscheid- heute Bochum), Blumenthal (Recklinghausen) und Minister Stein (Dortmund) am 7. April verteilt worden war, führte unter der Schlagzeile „Neue Lohnordnung: IGBE schweigt - KPD/ML informiert“ aus: „Die KPD/ML-ZB enthüllte dieses Manöver gründlich durch die schnelle Veröffentlichung und Kommentierung der neuen Lohnordnung. Auf allen Zechen, wo die neue Lohnordnung verteilt wurde, gab es eine breite Erbitterung und Empörung über diesen neuen Verrat der rechten Gewerkschaftsführer und harte Diskussionen … Die Parole soll sein: 15% auf die neuen Lohngruppen …“ (33)
Dass die SPD in dieser Lohnrunde als „die übelsten Lohnräuber im Dienste des Kapitals“ bezeichnet worden waren, so am 30. April der „Rote Metall Arbeiter“, Nr. 6, der Betriebsgruppe des ZB Hamel, Jäger und Winkhaus in Münster, die „unsere 15% Forderung auf 11% herunterschlichten wollen“ (34), musste weltfremd bleiben. Nicht anders erging es der Roten Opel-Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK, die in einem „Antwortschreiben an die Gruppe Rote Fahne Bochum“ (gemeint war die KPD/ML-ZB, d. Vf.) zu einem Bündnisangebot zum 1. Mai am 12. Mai meinte: „Wie der Streik im letzten Herbst (am 24.9.1970, d. Vf.) gezeigt hat, war sowohl Eure wie auch unsere Forderung: 15% Lohnerhöhung und 13. Monatslohn. Um diese Forderungen wirklich durchsetzen zu können, schlugen wir unabhängig voneinander die Bildung eines Streikrates vor. Wir sind der Meinung, dass es besser ist, nicht noch einmal im Kampf derartige 'zufällige' Übereinstimmungen festzustellen. Stattdessen sollten wir uns jetzt schon über die Strategie und Taktik in den künftigen Lohnkämpfen absprechen, nach dem Motto: getrennt marschieren, vereint schlagen. Denn wir sind davon überzeugt, dass es letztes Jahr eher zur Bildung eines Streikrates gekommen wäre, wenn wir frühzeitig diese Gespräche eingeleitet hätten. Das Ergebnis des Streiks hätte dann ein anderes sein können …“ (35)
„Eure wie auch unsere Forderung“ zeigt das ganze Dilemma auf, dass sich durchaus verallgemeinern lässt; denn die 15%-Forderung war nur eine von gewerkschaftlichen Forderungen in dieser Tarifrunde. Ansonsten dürfte sie relativ bedeutungslos gewesen sein. Sie wollte linke Identifikation erreichen. Und stand somit unter dem Eindruck einer Revolutionierung der Revolutionäre, die diese Forderung fälschlicherweise als „allseitige Initiative der Massen“ verstand, die auf ihrem Weg der entschlossenen Aktion die verräterische Politik der Gewerkschaften hinwegfegen würden. Sie stand unter dem Eindruck einer „Brandstiftung“, bei der die Marxisten-Leninisten die Wahrnehmung der Interessen der Belegschaften probten. Daher könnte sie als ein ungeschickter Versuch bezeichnet werden, mit ihr die Politik der Gewerkschaften kritisieren zu wollen. Das Lohnsystem insgesamt, dass ihrer Auffassung nach abgeschafft werden müsse, war bereits zu Beginn der 1970er Jahre dermaßen verfestigt, dass die stets unbefriedigenden und ungesicherten Löhne kaum Spielräume nach oben zuließen. Bis heute haben die Tarifverträge eigentlich keine entscheidenden Vorteile gebracht. Sie gipfeln in der modernen Fabrik in der Ungleichheit zwischen verschiedenen Tarifverträgen und (Punktbewertungs-)Systemen (ERA), die wiederum die restriktive Einbindung der Gewerkschaften in das Wirtschaftssystem und deren zentralen Instanzen aufzeigen.
In der „Zündkerze“, Nr. 8, der RBG der KPD/ML-ZK vom 24. Mai war die Tarifrunde 1971 die Grundlage für die Idee, eine „geschlossene Kampffront“ bilden zu müssen. Damit schloss das ZK an die ZB-Forderung aus dem Bergbau an, den Tarifdschungel durchbrechen zu wollen:
„Die einzige und stärkste Waffe der Arbeiterklasse ist Einheit und Solidarität. Lassen wir uns nicht zum Vergnügen der Bosse und Bonzen noch mehr spalten! Jeder von uns muss immer daran denken, dass die Punkte oder Pfennige, die er sich ergattert hat, seinem Kollegen wieder abgezogen werden. Und jeder muss daran denken, dass wir in der Tarifrunde FÜR UNS ALLE mehr als ein paar Pfennige erkämpfen können, wenn wir zusammenhalten und eine geschlossene Front bilden …
Nur wenn alle fortschrittlichen Kollegen wirklich zusammenarbeiten, können wir in dieser Tarifrunde etwas für uns alle erkämpfen! Was bedeutet das nun für die kommende Tarifrunde? Die Kapitalisten und ihre Freunde im DGB bereiten sich mit allen Mitteln darauf vor. Da sie nun die 'Stabilität' an der währungspolitischen Front 'hergestellt' haben, rüsten sie nun für die 'Herstellung' der 'Stabilität' an der sogenannten Lohnfront … Mit Lohnleitlinien und konzertierter Aktion wollen sie uns an die Leine nehmen. Unsere Forderung nach vollen 15% werden sie so 'erfüllen', dass sie uns z.B. die Rückzahlung des Konjunktur-Zuschlages und andere Extra-'Vergütungen' auf die 15% anrechnen, so dass letztendlich 7-8% herauskommen, wie kürzlich im Bergbau (IGBE-Bereich, d. Vf.) und in der Textilindustrie. Und um auch wirklich die gesamte Arbeiterklasse unter ihre verräterische Fuchtel zu bekommen, streben sie die Einheits-Zwangs-Gewerkschaft an, die wir noch von Hitlers DAF kennen. Bei Opel sind bereits Listen im Umlauf, aus denen ersichtlich ist, wer in der IGM ist und wer nicht. Wer nämlich kein Mitglied ist, hat keinen Anspruch auf die Tarifverträge, also z.B. bei der Punktebewertung kein Beschwerderecht … EINHEIT UND SOLIDARITÄT.“ (36)
In dem Artikel der „Zündkerze“ vereinigte sich das gesamte Missverständnis der Betriebspolitik der K-Gruppen. Während stets die „Waffe der Solidarität“ bemüht wurde, auf „Zusammenhalt“ und einer „geschlossenen Front“ im Lohnkampf insistiert wurde, wurde gleichzeitig die 15%-Forderung als Allheilmittel für kommende Proteste in der Lohnrunde ausgegeben, um die Gewerkschaften somit an die Kette zu legen bzw. sie zu einem „vernünftigen Abschluss“, der dann nie zustande kam, zu verpflichten. Die Vorahnung, dass nur „7-8% herauskommen“ und dass die effektive Zahlung keine sein wird, sondern nur angerechnet werden würde, sollte sich dann im Herbst bestätigen. Die „Tarifrunde für uns alle“ war faktisch nur eine Verschärfung der Distanz zwischen allen Beteiligten. Nachholende Lohnerhöhungen waren wie eine nachholende Modernisierung: In einer Hochkonjunktur war vieles möglich, in Zeiten des Niedergans nichts.
Dass die 15%-Forderung auf die Linke politisierend wirkte oder wirken würde, war abzusehen. Manchmal bekam man sogar den Eindruck, als ob sich in ihr die „soziale Frage“ schlechthin niederschlug. Der BKA-Freiburg eiferte es der ZB- und ZK-Fraktion nach und veröffentlichte in seinem „Klassenkampf“, 11/12 1971, eine Resolution des gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpers von Hoesch vom 27. Mai. Dort hieß es lapidar:
„HOESCHARBEITER FORDERN 15%! Am 27. Mai hielten die gewerkschaftlichen Vertrauensleute der Hoesch Maschinenfabrik Deutschland AG in Dortmund eine Versammlung ab, auf der sie über die kommende Tarifrunde in der Metallindustrie diskutierten. Das Ergebnis war der einstimmig gefasste Beschluss. bei den kommenden Lohnverhandlungen folgendes zu fordern:
Bis zum Herbst 1971 sollte die Resolution sozusagen wie ein Weckruf in der Linken widerhallen. Die Legitimität aller eigenständigen Forderungen, implizit der 15%, wurden aus ihr abgeleitet. Doch war sie eine Art Verselbständigung, die in der Annahme gipfelte, den Mechanismus der aktuellen Lohnpolitik der IG Metall in die Schranken weisen zu können. Schnell sollte sie nämlich zum Vorwand genommen werden, in die betriebliche Hierarchie einzubrechen und in einem Aufwasch die sog. „fortschrittlichen Kollegen“ von den Mitläufern zu trennen. Dass KPD/ML-ZK und KPD/ML-ZB sich ausgerechnet an diese „Resolution“ anhängten und sie nach Gutdünken interpretierten, kann ihren Publikationen entnommen werden.
Auch dort, wo es zu keiner direkten Kennzeichnung der Forderung kam, war sie doch allgegenwärtig. Da die Sozialdemokratie sich auch durch Lohndrückerei („verschärftes Lohndiktat“) auszeichnen würde, musste sie sich zwangsläufig in die Abhängigkeit des Kapitals begeben. „Gegen das Kapital und seine SPD-Regierung - Die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse“, meinte das ZK in der April-Ausgabe des „Roten Morgen“ (38).
Die Betriebsgruppe Hoesch Westfalenhütte Dortmund der KPD/ML-ZB verbreitete die „Resolution“ noch, bevor sie offiziell bekannt gegeben worden war, vor den Hoesch-Betrieben, was dem „KND“ entnommen werden kann. Selbiger sprach auch davon, dass MFD den Antrag, der die 15%-Forderung enthielt, ausgearbeitet hätten, und folgerte, dass auch die KPD/ML gebeten worden sei, „den Antrag zu veröffentlichen“. Das erweckte den Eindruck, als hätten die V-Leute (oder ein Teil von ihnen, d. Vf.) darüber abgestimmt, diesen Beschluss der KPD/ML zu übergeben, was natürlich Nonsens war.
Die KPD/ML-ZB veröffentlicht den Beschluss auch in der „Roten Fahne“ unter der Überschrift: „Die klare Forderung der Hoesch-Kollegen - 15 Prozent!“ (39)
Die Betriebszeitungen der KPD/ML-ZK, etwa „Metallbetriebe KPD/ML informiert“ (für Dortmund, d. Vf.), der „Röhrenkieker“ in Duisburg oder die Bochumer „Zündkerze“, übernahmen sie ohne Debatte. Das Feld der Lohnpolitik, so die Auffassung, sollte über 15% geschlossen werden und präsentierte sich als Zündung, die endlich einmal die Konflikte heraufbeschwören sollte, also Arbeitsniederlegungen.
Dass für 15% gestreikt wurde, sollte sich 1971 zur Farce entwickeln. Zwar kam es zu einer Reihe von Arbeitskämpfen, die „spürbare Lohnerhöhungen“ auf ihre Fahnen geschrieben hatten, doch auch sie wurden Mythen, die im Nachhinein von den Linken, wie die Septemberstreiks“, verklärt wurden. Kaum machten sich die Linken in diesem Zusammenhang klar, dass es einen Zusammenhang zwischen Profitproduktion und Arbeitslohn, der in der Regel ja konsumiert wird, gibt, und der nicht in die Profitproduktion überwächst. Da sich dieser Arbeitslohn in der Prosperität mit hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten nur durch gewerkschaftliche „Kämpfe“ „vermehren“ lässt, sind dem sehr enge Grenzen gesetzt. Das erklärt m. E. auch, warum jenseits der 1970er Jahre es kaum noch spürbare Lohnerhöhungen gab, die an jene Prozentzahlen der damaligen Zeit in etwa heranreichten.
„Hoesch-Kollegen streiken für 15%“ war überall zu lesen, oder später für „Teuerungszulagen“. Die Präsenz dieses Themas war dermaßen groß, dass andere Perspektiven gar nicht wahrgenommen worden waren. Diese Pauschalisierung sollte später noch deutlicher hervorgetreten. Laufzeiten der Tarifverträge, Inflationsrate, Kaufkraftverlust etc. interessierte nur am Rande. Hauptsache war, dass mit Hoesch und den Streiks argumentiert werden konnte.
15% waren auch Anlass, eine ideologische Debatte zwischen ZK und ZB zu führen, wie sie etwa in der „Presse“, der BZ der KPD/ML-ZB bei Opel Bochum, zum Ausdruck kam. „Was tun gegen die Gewerkschaftsführung?“, meinte sie am 1. Juni und polemisierte gegen die RBG der KPD/ML-ZK. Es sei ein „kleinbürgerlicher Konkurrenzkampf“ zwischen beiden Gruppen, der nun ausgebrochen sei, und sie forderte, dass „unser Streik für 15%“ alle Schranken überwinden sollte. Die Angriffsfläche war stets gleich: Nur dem Schein nach propagierte die eine oder andere Gruppe die Forderungen der Arbeiter, die sie als eigene verkauften, um sich bei ihnen einzuschmeicheln.
Es sollte nicht verwundern, dass das ZB der KPD/ML am 5. Juni in seinem „KND“, Nr. 43, klar Front bezog: Im Leitartikel zum „Roten Morgen“ der KPD/ML-ZK hieß es:
„ROTER MORGEN AUF SEITEN DER SPD-REGIERUNG!
Die SPD-Regierung benutzt die Währungskrise um ihr 'Stabilitätsprogramm' gegen die Arbeiterklasse in die Tat umzusetzen. Die internationalen Balgereien der Finanzoligarchien um die Macht und die Märkte ( ... ) dienen Brandt und Schiller und Konsorten dazu, die Arbeiterklasse weiter zu knebeln. Unter dem Vorwand, die Geldentwertung weiter 'einzudämmen', die durch die hemmungslose Preistreiberei der Monopole immer schneller galoppiert, soll eine 'Konsolidierungspause', d.h. ein Lohn- und Gehaltsstop durchgesetzt werden.
Die 10%-Lohnraubsteuer soll durch erhöhte Steuern ersetzt werden. Das 7%-Lohndiktat ist bereits im Bergbau und Chemie/Rheinland-Pfalz durchgedrückt. Das Lohndiktat, dass eine gefährliche Einschränkung der gewerkschaftlichen Freiheit und einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Faschisierung bedeutet, soll unter dem Deckmantel der 'Stabilitätspolitik' verschärft und in einen Lohnstopp umgewandelt werden, gleichzeitig setzt die Krise ein, Kurzarbeit, Entlassungen und Lohnabbau nehmen schnell zu.
Das ist die konterrevolutionäre, sozialfaschistische Politik der SPD- Regierung! Sie führt im Interesse der Monopolkapitalisten gerade soviel Schläge gegen die Arbeiterklasse, wie auf der Linie des Abbaus der gewerkschaftlichen und politischen Rechte den Kapitalisten eben noch tragbar erscheinen. Die Politik der SPD-Regierung ist die gefährlichste und reaktionärste Politik des Monopolkapitals unter den gegebenen Umständen gegen die Arbeiterklasse.
Der Rote Morgen sieht die Sache anders. In der Nummer 5/1971 beschäftigt man sich auf 516 Zeilen mit der Währungskrise, wovon 482 Zeilen den Interessen der verschiedenen 'Tendenzen', 'Teile' und 'Fraktionen' der Hochfinanz gewidmet sind. Es heißt dort: Die Entscheidung der SPD-Regierung (Wechselkursfreigabe) 'ist für das Proletariat GÜNSTIG' (fettgedruckt) 'es ist günstiger, wenn die SPD ... die Regierungsgewalt innehat, und damit auch das arbeiterfeindliche 'Krisenmanagement' betreiben muss'. Also: für die Arbeiterklasse ist es nach Ansicht des Roten Morgen 'günstig', wenn die SPD diese oder jene Entscheidung trifft, um die Machtpositionen des westdeutschen Finanzkapitals gegenüber seinen europäischen Konkurrenten zu verstärken. Für die arbeitenden und werktätigen Menschen in Westdeutschland ist es 'günstig', wenn die SPD-Regierung die internationale Währungsspekulation dazu benutzt, um den Angriff der Monopolbourgeoisie gegen die politischen und wirtschaftlichen Rechte des Volkes zu verstärken.
Für die Arbeiterklasse ist es angeblich 'günstiger', wenn 'die SPD ... die Regierungsgewalt innehat' und nicht die CDU/CSU. Doch in Wirklichkeit bedient sich die SPD-Regierung einer heuchlerischen Demagogie, hat sie doch einen gewissen moralischen Kredit unter den Arbeitern und versteht es darum besser, die Unterstützung und die heimliche Zusammenarbeit mit der faschistischen Reaktion zu verschleiern.
Die SPD als Regierungspartei ist nach Ansicht des Roten Morgen 'günstiger', doch in Wirklichkeit ist sie der Steigbügelhalter der Faschisten, denn sie schafft die innenpolitischen Bedingungen für deren Machtantritt. Sie knebelt die Arbeiter und das werktätige Volk, zur Sicherung des Hinterlandes für neue imperialistische Kriege.
Es ist angeblich 'günstiger', wenn die SPD angesichts der herannahenden Wirtschaftskrise 'das arbeiterfeindliche 'Krisenmanagement' betreiben muss'. Doch in Wirklichkeit ist die SPD-Regierung an der Macht, weil gerade sie die Arbeiterklasse ihrer politischen Rechte berauben kann. Nur die SPD ist heute in der Lage, unter dem Schleier der 'Reformen' und der 'Friedenspolitik' den schlimmsten Feinden des Volkes, den Faschisten, den Weg zu ebnen. Doch für den Roten Morgen ist all das 'günstig' und 'günstiger', als die CDU.
Über einen solchen sozialdemokratische politischen Kurs sagte der Genosse Thälmann vor fast 40 Jahren (Der revolutionäre Ausweg und die KPD): 'die Politik, die die SPD betreibt ist ja in Wirklichkeit keine Politik des 'kleineren Übels' sondern gerade die POLITIK DES GRÖSSTEN ÜBELS FÜR DIE ARBEITERKLASSE. Das ist es, was wir den Massen zu zeigen haben. Die Sozialdemokratie führt jeweils soviel Anschläge im Dienst der Bourgeoisie gegen das Proletariat und die Werktätigen durch, wie nur vom Standpunkt des jeweiligen Reifegrades der Faschisierung durchgeführt werden können.
Wenn ihre konterrevolutionären Taten bisweilen in einem oder anderem Punkt hinter dem zurückbleiben, was an konterrevolutionären Forderungen von dem extremsten Flügel des Faschismus, von Hugenberg und Hitler aufgestellt wird, so geschieht das ... nur deshalb, weil eben mehr an Ausplünderung und Unterdrückung der Arbeiter unter den gegebenen Verhältnissen nicht durchgesetzt werden kann.
'Kleineres Übel' - das ist also nichts als BETRUG, mit dem die SPD ihre tatsächliche POLITIK DES JEWEILS GRÖSSTEN ÜBELS für die deutsche Arbeiterklasse verschleiert.'
Der Rote Morgen verschleiert diese Politik der Sozialdemokratie! Er nennt diese sozialfaschistische Politik stattdessen 'günstig' und 'günstiger'!
Wenn der Rote Morgen bisher linksradikale Phrasen verbreitet, und sozialdemokratische, gewerkschaftlich organisierte Arbeiter und Mitglieder der DKP als Verräter und Renegaten bezeichnet hat, so hat er sich in DIESEM Fall nach rechts begeben, und sich offen auf die Seite der SPD-Regierung und der Imperialisten gestellt. Das ist die praktische Konsequenz der Theorie des Roten Morgen von den 'Fraktionen des Monopolkapitals' und ihrem politischen Bestreben, in den Unionspartei.“ (40)
Der Artikel im KND, der die „Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“ der KPD/ML-ZK auf seine Weise interpretierte, war prototypisch für die Form des Umgangs miteinander. Dass der „Rote Morgen“ nicht auf der „Seite des SPD-Regierung“ steht, war schon seit dem Januar 1970 klar. Damals lautete die Schlagzeile in der Nr. 1. der Zeitschrift: „SPD/FDP-Regierung - Wegbereiter des Faschismus“. (41) Der „KND“ unterstellte über die Wortwahl von „günstig“ und „günstiger“ und dem „kleineren bzw. größerem Übel“ dem „Roten Morgen“ ein Zusammengehen bzw. Paktieren mit der SPD, was als Humbug bezeichnet werden muss. Noch eindeutiger hatte der „Rote Morgen“ erklärt: „Die SPD ist in einer wichtigen Nebenseite oder gar in der Hauptseite ‚sozial‘faschistisch …“ (42)
Die praktische Konsequenz dieses Artikels gipfelte in dem Vorhaben, zu erklären, dass das ZK gar nicht die Interessen der Arbeiterschaft (somit auch nicht im „Lohnkampf“) wahrnehmen würde. Es würde ihm nur darum gehen, sich mit seinen Theorien selbst zu inszenieren. Die Deutung der „Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“ aus dem Dezember 1970 (43), die mit den verschwommenen Analysen etwa eines Lapinski, Varga, Magyar oder Lippay, den Theoretikern der KI, die in „Unter dem Banner des Marxismus“ rege publiziert hatten, hantierten, und die der CDU/CSU einen anderen Weg als der SPD und dem amerikanischen Imperialismus ein anderes expansionistisches Einflussgebiet als dem sowjetischen Imperialismus (über die Ostverträge und der neuen Ostpolitik) zuschanzen wollte (44), war überdies ein eigenartiger Versuch, linke Politik praktisch und plakativ absichern zu wollen. Die enthusiastische Beschwörung ihrer „objektiven“ Rolle war auch im „Lohnkampf“ ständiges Thema.
Für den „Röhrenkieker“ der Mannesmann Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK für Duisburg vom 1. Juni waren „Lohndikat und Lohnstopp“ ein Kampf gegen die „SPD-Regierung“ und ihrer Versuche, die Kampffront der Arbeiter für 15% zu brechen (45). Ähnlich positionierte sich auch die „Rotfront“, eine „Extra-Ausgabe“ der KPD/ML-ZK bei Hoechst in Frankfurt/M. vom 2. Juni. (46)
In diesen Irrungen und Wirrungen fanden die Vertreterversammlungen der IG Metall im Ruhrgebiet statt, die u. a. Anträge an den „10. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall (der am 27.9.1971 stattfand) beschlossen hatten. Im Nu sollte sich sogar der Kampf der KPD/ML als realer Angriff der Staatsmacht gegen sie entpuppen. Hier wurde auch der Zusammenhang zwischen der 15%-Forderung einem möglichen Verbot der KPD/ML deutlich; denn das konsequente Eintreten für diese Forderung würde sich als „gewerkschafts-schädigend“ darstellen.
Als am 4. Juni 1971 die Verwaltungsstelle Duisburg, wohl als eine der ersten, meinte:
„Die Delegierten des 10. ordentlichen Gewerkschaftstages fordern alle Funktionäre und Mitglieder der IG Metall auf, den maoistischen Gruppierungen mit Entschiedenheit entgegenzutreten … Der Vorstand der IG Metall wird beauftragt, sich gemeinsam mit dem DGB bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass die politische Tätigkeit maoistischer Gruppen in der BRD auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft wird.
Darüberhinaus wird die Bundesregierung aufgefordert, der Öffentlichkeit Informationen über:
Begründung:
Das politische Ziel aller maoistischen Gruppen ist es, die freiheitlich-demokratische Ordnung der BRD zu zerstören. In Übereinstimmung mit neonazistischen Parolen und Methoden werden in betriebsbezogenen Zeitungen und sonstigen Publikationen demokratische Organisationen und Einrichtungen beschimpft und ihre Vertreter verleumdet und des Verrats an der Arbeiterschaft bezichtigt. In Verbindung mit rechtsradikalen Bestrebungen sind diese Gruppierungen ebenfalls eine Gefahr für den Fortbestand der Demokratie …“ (47)
interpretierte die KPD/ML-ZB diesen Antrag mit den Worten:
„Gerade in der Metalltarifrunde, wo sich aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre und der Kämpfe schon in diesem Jahr bei der Durchsetzung des Lohndiktats harte Kämpfe abspielen werden, müssen die IGM-Führer dafür sorgen, dass diejenigen Gruppen und Organisationen, die die Kämpfe der Arbeiterklasse unterstützen, verteufelt werden. Dies richtete sich in erster Linie gegen die KPD/ML, die den Kampf gegen das Lohndiktat und gegen die sozialfaschistischen Maßnahmen der SPD-Führer vor allem als einen politischen Kampf um die Kampf- und Streikfreiheit der Arbeiterklasse, gegen die Verstaatlichung der Gewerkschaften führt. Das richtet sich aber auch gegen Betriebsgruppen der Gruppe 'Roter Morgen', wie z.B. in Duisburg, wo der erste Verbotsantrag herstammt, gegen den 'Röhrenkieker' ... Mit dieser Hetze und den Verbotsanträgen wollen die IGM-Führer in der Öffentlichkeit die Meinung schaffen, auf die sie sich dann bei einer verschärften Klassenkampfsituation stützen können. um ein Verbot durchzuführen.
Zum anderen dienen die Verbotsdrohungen vor allem der Disziplinierung der eigenen Reihen: Gewerkschaftsmitglieder und untere Gewerkschaftsorganisationen, wie Vertrauensleute, sollen mit Ausschluss bedroht werden, wenn sie mit 'gewerkschaftsfeindlichen maoistischen Gruppen zusammenarbeiten; gerade in der Metalltarifrunde soll verhindert werden, dass oppositionelle Vertrauensleute z.B. Informationen über die Verratspolitik der IGM-Führer, die diese hinter dem Rücken der Arbeiterklasse betreiben, an die KPD/ML oder andere Gruppen weitergeben und so den Kampf gegen die Durchsetzung des Lohndiktats stärken …“ (48)
In den Anträgen wurde zwar nirgendwo explizit ein Verbot der KPD/ML gefordert, doch man konnte es, wegen der Allgemeinheit der Formulierung „maoistische Gruppen“ in dem Antrag, so auslegen. Der „Kampf gegen das Lohndiktat“, das per se den „Kampf für 15%“ einschloss, erhielt somit in dieser Tarifrunde eine Brisanz, mit der wohl alle Beteiligten nicht rechneten.
Am 7. Juni 1971 erschien in der Nr. 2 der „Metallbetriebe - KPD/ML informiert“ der KPD/ML-ZK und ihrer Roten Garde für Dortmund ein Artikel, der eine „15% Lohnerhöhung auf den Ecklohn“ (hier der Facharbeiter-Gruppe 7) forderte.
„15% volle Effektivität“ meinte der Artikel. Um möglichst einen politischen Schwanz anzuhängen, führte er aus: „Das Dreigestirn von Kapital, Staat und Gewerkschaftsapparat unternimmt wieder einmal alles, um unsere Erwartungen für die kommenden Tarifverhandlungen möglichst herabzudrücken. 7,3% im Bergbau, 6,5% in der Chemie, 5% in der Textilindustrie sollen uns psychologisch darauf vorbereiten, dass wir im Herbst nur 4% kriegen sollen. Wie wir die Hochkonjunktur mit Überstundenschinderei bezahlen durften, so soll jetzt die Krise von uns bezahlt werden. Jedem von uns dürfte klar sein, dass der Arbeiter nur soviel bekommt, wie er sich erkämpfen kann …“ (49)
Die alte „Dreibund“- Idee, die wieder einmal vom ZK bemüht worden war, um den Tarifverhandlungen ihren eigenen, unverwechselbaren Stempel aufzudrücken, lebte von der Fixierung,innerbetriebliche Konflikte zu schüren und dem „Kämpfertum“ jene unverrückbare Solidarität anzudichten, mit der eine politische Demontage jener Vertreter im Betrieb, die dieser Trilogie entsprachen, erreicht werden, und in die selbständigen Aktionen einmünden sollten. Der Selbstlauf wurde hier ziemlich deutlich, und alles deutete darauf hin, dass das ZK alles daran setzte, um tatsächlich diese Widersprüche betriebsagitatorisch zu verschärfen.
„Die KPD/ML ist entschlossen, den Kampf gegen den Dreibund von Kapital, Staat und DGB-Apparat zu führen. Kollegen, helft uns dabei! Informiert uns über alles, was diesen Kampf erfolgreicher machen kann, denn es ist euer Kampf!“ (50)
Die Symbolistik, die dieser Aussage zugrunde lag, ließ erkennen, welche Schwächen der betriebliche Kampf der KPD/ML eigentlich hatte. Es wurde darauf insistiert, dass die „Kollegen helfen und informieren“. Das war politischer Alltag mit der Fixierung auf die eingeforderte „kämpferische Solidarität“, der eine schon imaginäre Belegschaft gegenüber stand, die sich selbst zu erklären hätte.
War schon der Leitartikel der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB, Nr. 11 vom 7. Juni 1971, vom Überschwang des Arbeiterprotestes bestimmt („Die Arbeiterklasse kämpft - SPD-Polizei marschiert!“) (51), so setzte ein Extrablatt der „Zündkerze“ der RBG Opel Bochum vom 21. Juni 1971 nun ihrerseits eine deutliche Duftmarke. In der anstehenden Tarifrunde würde es darum gehen: „Hier nützt nur eins: sich sowohl politisch als auch gewerkschaftlich auf die Kämpfe vorzubereiten. Und wir werden immer wieder wiederholen: Diese Vorbereitung auf zukünftige Kämpfe hat nur Sinn, wenn wir lernen, die Erfahrung der Vergangenheit zeitgemäß anzuwenden. Und die wichtigste Erfahrung war bisher immer, dass der Arbeiter über zwei Instrumente verfügen muss, will er erfolgreich kämpfen: über seine Partei, über die kommunistische Partei, und über starke gewerkschaftliche Organisationen …“ (52)
Das als lokales Gesicht der KPD/ML zu bezeichnen, wäre nicht verkehrt; denn überall ging es darum, auf die Blockade der Warenproduktion hinzuarbeiten, auch wenn wohl niemandem diese ökonomische Kategorie besonders einleuchtend gewesen wäre. Der „politischen und gewerkschaftlichen“ Vorbereitung der Kämpfe, so der herauszulesende Ton, sollte die erhoffte Auseinandersetzung zwischen den Streikenden und der SPD-geführten Staatsmacht folgen. Trotz aller Kritik an den „imperialistischen Gewerkschaften“ wurden sie in diese Kämpfe eingebunden, was sehr verwunderlich sein sollte. Nirgendwo konnte das ZK im Verlauf seiner Geschichte diese Widersprüche erklären, auch nicht in der berühmten RGO-Politik, die ihre Schatten weit voraus warf.
Der Roten Garde der KPD/ML-ZK fiel in diesem Lohnkampf nichts anderes ein, als die VR China als leuchtendes Beispiel zu feiern. Im Flugblatt, „In der Volksrepublik China gibt es keine Lehrlinge mehr“, welches vermutlich in Dortmund am 21. Juni vor den Hoesch-Betrieben zur Verbreitung kam, meinte sie: „Nur so (durch die Kulturrevolution, d. Vf.) können sich die Arbeiter davor schützen, dass neue Bosse und Bonzen sich wieder die eigene Tasche füllen. Nur durch den entschlossenen Kampf gegen alle bürgerlichen Überreste, besonders in der Kulturrevolution, konnte das chinesische Volk die Erfolge erreichen über die selbst die bürgerlichen Zeitungen und das Fernsehen immer öfter berichten müssen … Wir werden dort (auf einer Veranstaltung, d. Vf.) darüber diskutieren, welche Schlüsse wir für den Klassenkampf in unserem eigenen Land aus den Erfahrungen der KPCh ziehen können und wie wir richtig den Aufbau unserer revolutionären Partei, der KPD/ML und den Aufbau der ROTEN GARDE vorantreiben, um in unseren Tageskämpfen nie das Ziel aus den Augen zu verlieren …“ (53)
Man sieht daran, dass die Tarifrunde(n) einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die gesamte Politik der K-Gruppen hatte. Es könnte auch gesagt werden, dass sich in ihr alle endlosen Diskussionen über die „politische Arbeit“ widerspiegelten, vornämlich die Perspektiven des Klassenkampfes und des Aufbaus der proletarischen Partei und der Organisation des Proletariats.
Dass die Frage des Einkommens selbstredend ein Eingeständnis für jene „offizielle Lohnpolitik“ z. B. der IG Metall gewesen war, die sich seit den 1950er Jahren nicht geändert hatte, war schon von Theo Pirker in seiner „Blinden Macht“ (54) zur Genüge analysiert worden. Hier käme hinzu, dass sie sich langfristig an sog. „Orientierungsdaten“ (konjunkturpolitische Einschätzungen), die alljährlich vom bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Finanzministerium (später auch den „Wirtschaftsweisen“) vorgelegt worden waren, orientierten, die bei immer stärkeren Eingriffen des Staates in die Wirtschaft Zweifel daran aufkommen ließen, ob der alte „Faustkampf“ überhaupt noch Gültigkeit hat. Der „Sozialpartnerschaftsgedanke“ dürfte sich auch institutionell zu einem Teil des „Instrumentariums der prokapitalistisch eingestellten Gewerkschaften entwickelt haben“, wie Pirker richtig bemerkte. (55). Selbst die „dynamische Lohnpolitik“, die von Viktor Agartz 1954 einst ins Gespräch gebracht worden war, dümpelte stets am Rande der jeweiligen Konjunkturlage des Kapitalismus.
Agartz Lohnpolitik, obwohl zu Beginn der 1970er Jahre kaum bekannt und von den ML-Gruppen eigentlich nie rezipiert, gipfelte in dem Satz „Lohnfragen sind Machtfragen“. In diesen „sozialen Konflikten“ lag der Kasus im Lohnkampf der „goldenen siebziger Jahre“ begründet. Wie schon öfter angemerkt, galt das wohl als „schöpferische Anwendung des Klassenkampfes“ (56). So fiel auf, dass er sich, so KPD/ML-ZB und ZK gemeinsam, bereits in einer Reihe von Betrieben durchzusetzen begann (57) und dass er als „Bewegung“ galt, die unaufhörlich voranschreitet. Selbst kurze Warnstreiks fielen unter diese Rubrik.
Die „Instruktionen zur Metalltarifrunde 1971“, die vom ZB herausgegeben worden waren, dürften vom Organ der ZBGK beim ZK in „Betrieb und Gewerkschaft“ in abgewandelter Form übernommen worden sein. Für das ZB war wie für das ZK klar, dass die Stoßrichtung in der MTR gegen „das Kapital und seine SPD-Regierung“ (58) geführt werden müsste. Die Formulierungen des ZB aus seiner zweiten „Instruktion zur Metalltarifrunde“ vom 9. Juni lauteten u. a.: „Der Schwerpunkt unserer politischen Linie ist klar: Im Mittelpunkt steht das Lohndiktat, und zwar politisch als weiterer Schritt zur Verstaatlichung der Gewerkschaften. Gegen die Lohndrückerei unterstützen wir die Forderung der Hoesch V-Leute (MFD in Dortmund, d. Vf.) nach 15 Prozent Lohnerhöhung und propagieren sie in unseren Betriebszeitungen …“ (59)
Es hatte den Anschein, als ob das ZB tatsächlich der Auffassung war, dass die Arbeiterklasse gegen das „Lohndiktat der Unternehmer“ (hier: „Lohndrückerei“) selbständige Kämpfe durchführen und mit eigenständigen Forderungen innerbetriebliche Konflikte in Fragen des Lohnes überwinden könne. Nicht anders sind die verwirrenden Konglomerate zu interpretieren. Das ZK eiferte dem ZB relativ schnell nach. Eine IGM-Vertrauensleuteversammlung bei Mannesmann in Duisburg interpretierte der „Röhrenkieker“ am 24. Juni so: „Auf dieser Versammlung (wurden) die Forderungen gestellt werden: Gegen Lohndiktat und Lohnstopp - für 15% effektive Lohnerhöhung, 100 DM Teuerungszulage, Weg mit der 9% Prämie -12% für alle, Kein Lohnabbau …“ (60)
Offenbar waren diese Forderungen nur die Form eines Katalogs von Forderungen nach einer Lohnerhöhung überhaupt. Alles andere schien ausgeklammert zu sein. Der Aspekt erscheint sehr wichtig; denn gegen die Lohnarbeit insgesamt, gegen Warenproduktion, Arbeitskraftvernutzung, Reproduktion der Arbeitskraft, Verwertung und Mehrprodukt etc. wurde gar nicht agitiert. Überdies hatte es auch den Anschein, als ob die Existenz von ökonomischen Kategorien niemanden so recht interessierte. Überraschende Einsichten brachten weder das ZB noch das ZK hier hervor.
Die Propaganda für eine „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ in diesem Metalltarifkampf 1971 brachte seltene Blüten. In der „Roten Fahne“ des KABD vom April 1971 wurde der Kampf gegen die „Ultralinken“ eröffnet und gegen die „schädliche antimarxistische Politik im Roten Morgen“ Stimmung gemacht.
„Die Abweichler, Spalter und Agenten werden ihre Maske ablegen und unverhüllt ihre Subversantentätigkeit zum Vorschein bringen …“ (61)
Unliebsame Kritiker wurden auf diese Weise im Lohnkampf abgestraft. Gerade der KABD, der sich mit seinen politischen Forderungen immer wieder ins Abseits gestellt hatte und sich mit seiner Aussage von „einem fortschrittlichen Betriebsverfassungsgesetzt“ 1971 und weit über dieses Jahr hinaus, mehr oder weniger blamierte, fand über diesen Weg zu seiner Zentralaussage: „ … dass die Politik der Aktionseinheit der Arbeiterklasse, der breiten Bündnisse mit allen Klassen und Schichten, die im Widerspruch zum Monopolkapital stehen, der Arbeiter in den Gewerkschaften, unter den Massen, das war von Anfang an das Bestreben und die Handlungsweise des Kommunistischen Arbeiterbundes …“ (62)
Diese Rhetorik verschwamm in der Realität. Vor allem sollte es keinerlei Ansätze zu einer „Politik der Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ geben. Was man wollte und was war, waren doch zwei Paar Stiefel. Schnell wurde klar, dass nicht nur der Hoesch-Mythos in vertrackter Form wiederbelebt worden war, sondern auch die „Septemberstreiks 1969“, die für die „Arbeit in den Gewerkschaften“ und „unter den Massen“ herhalten mussten. Wenn im Gefolge dieser Streiks die K-Gruppen sich zu organisieren begannen, dann dürfte diese Welle einen wesentlichen Anteil daran gehabt haben. So dürfte ein zweiter Mythos mit der Legendenbildung vom „Erwachen des Riesen“ entstanden sein.
Ob auf Veranstaltungen, Demonstrationen, in den Betriebszeitungen, der Zentralorgane oder auf Flugblättern: Die Metalltarifrunde 1971 kam einer „wilden Streikbewegung“ gleich, wo die gewerkschaftliche „Arbeiterbürokratie“ auch für Kämpfe, innerorganisatorische Debatten und einem Streit um die richtige „politische Linie“ herhalten musste. Was war „kleinbürgerlich“, was war in dieser Runde „proletarisch“.
Dieser Frage wollte am 11. Juni die Rote Garde Wuppertal der KPD/ML-ZK näher kommen, die für diesen Tag zu einer Veranstaltung zur CTR aufrief. (63) Auch der „Rote Schmelzer“, die Betriebszeitung der KPD/ML-ZB für Mannesmann in Duisburg, die mit der Nr. 1 am 10. Juni erschienen war, war davon beseelt, die Arbeiter auf einer solchen in der Metalltarifrunde zu mobilisieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Unlogik, dass hier gleich zwei Betriebszeitungen der KPD/ML (wie übrigens auch an anderen Orten und in anderen Betrieben - vgl. Opel Bochum, Opel Rüsselsheim etc.) um die Arbeitermassen wetteiferten. „Der Röhrenkieker“ und der „Rote Schmelzer“ sollten sich fortan heftig über die fehlerhafte Politik des jeweiligen Kontrahenten streiten. (64)
Der 1. Mai war für die Linke immer ein Ort der Propaganda für ihre Forderungen. Man wollte an Erfahrungen und Traditionen der alten Arbeiterbewegung anknüpfen und den Marxismus fortschreiben. Der 1. Mai war aber nichts anderes als eine Art Wochenendfreizeit, wo mehr oder weniger intensiv versucht wurde, die praktische Arbeit an den Mann zu bringen. Das zeigten schon die Routen der Umzüge, wo man sich, nach Möglichkeit, an die traditionellen Arbeiterviertel erinnerte und dort die Umzüge veranstaltete. In Dortmund z. B. war es das Nordviertel (Hoesch/Hafenbereich) mit dem berühmten Abschlusskundgebungen auf dem Borsigplatz.
Der politische Standpunkt zum 1. Mai gipfelte in den Parolen, die auch den jeweiligen Standort der K-Gruppen widerspiegelten. Für die ZB-Demonstration am 1. Mai wurde ab dem März 1971 die Parole, dass das „Lohndiktat“ ein „wichtiger politischer Angriff auf die Arbeiterklasse“ sei, ausgegeben, und es stand in Dortmund im Mittelpunkt der Agitation. Für die Vorbereitung auf die Metalltarifrunde bedeutete das, dass dieser „proletarische Standpunkt“ zur alltäglichen Vertrautheit werden sollte. Die Hauptlosung(en) des ZB zum 1. Mai, „Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung“, (65) wurde(n) vom ZK der KPD/ML zum 1. Mai „revolutioniert“.
Aus „10 Jahre KPD/ML - Eine bebilderte Selbstdarstellung“ ist u. a. zu entnehmen, dass der „proletarische Internationalismus“ in den Vordergrund rückte und dass dem „sowjetischen und dem amerikanischen Imperialismus“ der Kampf angesagt wurde. Daneben galt aber auch: „Gegen das Kapital und seine SPD-Regierung - Die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse“. (66)
Man könnte das als Affront gegen das ZB verstehen oder diese Parolen als eigene Linie oder eigene Richtung interpretieren. Denn vereinheitlicht waren die Losungen zum 1. Mai nicht, oder sie waren so allgemein gehalten, dass daraus Rückschlüsse auf die Abgrenzungen zu anderen Gruppen gezogen werden konnten.
Die am 21. Juni erscheinende „Extra-Ausgabe“ des „Röhrenkiekers“, der Roten Mannesmann-Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK in Duisburg, meinte daher in dem Artikel „Notwendiger Kampf - oder prinzipienlose Spaltung?“, der sich gegen die Betriebszeitung der KPD/ML-ZB „Der Rote Schmelzer“ wandte:
„Notwendiger Kampf oder prinzipienlose Spaltung, so werden sich viele Kollegen gefragt haben, als letzte Woche plötzlich noch eine Zeitung unter dem Namen KPD/ML verteilt wurde, nämlich 'der Rote Schmelzer'. Darin wurde gleich behauptet, man sei der wahre Interessenvertreter der Arbeiterklasse - der Beweis wurde allerdings nicht geliefert, eher das Gegenteil. Denn die einzige Betriebsinformation in der Zeitung (10er Schicht am Hochofen) ist falsch … Wir sind übrigens nicht schadenfroh über diese Blamage des 'Roten Schmelzer'. Es wäre besser gewesen, wenn für die Kollegen wirkliche Informationen dringestanden hätten. Außerdem stand im 'Roten Schmelzer' noch eine dicke Lüge über den 'Röhrenkieker', nämlich: wir wollten funkelnagelneue Gewerkschaften aufbauen! Welch eine blödsinnige Unterstellung.
In keinem einzigen 'Röhrenkieker' lässt sich ein Beweis für diese Lüge finden. Was allerdings nicht das Ziel unseres Kampfes ist, ist der Rausschmiss von Brenner und Co., wie es der 'Rote Schmelzer' fordert … Wieso steht auf dem 'Roten Schmelzer' KPD/ML? Darüber haben sich viele Kollegen gewundert. Es gibt schon den 'Roten Punkt' von der DKP, den 'Röhrenkieker' von der KPD/ML- und nun noch eine Zeitung, die den Namen 'Betriebszeitung' allerdings bis jetzt zu Unrecht trägt. Henne, Bünk und Ehlers reiben sich jetzt die Hände. Sie haben sich über den 'Roten Schmelzer' ungeheuer gefreut. Denn hoffen sie doch, dass die von fast allen Kollegen begrüßte Arbeit der Roten Betriebsgruppe und des 'Röhrenkieker' jetzt kaputtgemacht wird …
Nehmen wir nur das Beispiel Mannesmann. Die KPD/ML hatte eine Betriebsgruppe aufgebaut, die im Herbst 1970 zum ersten Mal ihre Betriebszeitung, den 'Röhrenkieker' herausgab. Als sie im April 1971 erfuhr, dass die Gruppe Rote Fahne beabsichtigte, auch eine Zeitung herauszugeben, und zwar auch mit dem Namen 'Röhrenkieker' protestierte sie sofort und machte das Angebot: gemeinsam darüber zu sprechen und Zusammenzuarbeiten- im Interesse des Kampfes gegen die Kapitalisten und ihre Lakaien bei Mannesmann … Auf dieses Angebot haben die Rote-Fahne Mitglieder nicht geantwortet. 1 1/2 Monate lang haben sie es nicht für nötig gehalten, auf unser Gesprächsangebot einzugehen. Dann kam letzte Woche die Zeitung, zwar nicht mit dem Namen 'Röhrenkieker', sondern 'Roter Schmelzer'. Die Zeitung war ein Reinfall, aber egal, wir sehen es immer noch als wichtig an, zusammen zusprechen und zusammen zu arbeiten. An der Vorgeschichte des 'Roten Schmelzer' kann man ersehen, dass die Mitglieder der Roten Fahne in Duisburg einfach nicht kapieren, wie notwendig die Einheit der Arbeiterklasse und die Einheit der Revolutionäre ist. Wir hoffen, dass die Kollegen aus dem Betrieb, die mit ihnen Kontakt haben, ihnen die Wichtigkeit der Einheit klar machen!“ (67)
So oder so gewendet: Der moderate Ton, der von Seiten des ZK angeschlagen worden war, änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass das ZB der „Spaltung“ bezichtigt wurde und dass es jetzt „um die Einheit der Arbeiterklasse und die Einheit der Revolutionäre“ gehen würde. Der Ausgangskonsens bestand zunächst in der Abgrenzung. Abgelehnt worden war die Existenz der Betriebszeitung des ZB, die falschen innerbetrieblichen Informationen, das selbstgenügsame Auftreten. Dem Anschein nach lag hier „praktischer Opportunismus“ vor; denn auf ein Angebot des „Röhrenkiekers“ hätte die Betriebsgruppe des ZB nicht geantwortet. Das ergab letztlich die betriebliche Standortortbestimmung, die unmittelbar mit der Gewerkschaftsfrage verknüpft war. Die Aussage zu den „funkelnagelneuen Gewerkschaften“, die das ZK monierte, verwies auf den latenten Streit zwischen den beiden Gruppen, der seit der Gründung des ZB schwelte. In „Die Etappen des Parteiaufbaus und die Aufgaben der KPD/ML“ aus dem April 1971 war ja der „Fraktionierung“ und des massiven Entrismus großer Stellenwert eingeräumt worden. Das unterschied beide Gruppen vehement voneinander. Dass der „Röhrenkieker“ sich wohl nicht die Blöße geben wollte, das kommende RGO-Konzept vorzustellen, lag wohl auf der Hand.
Was bei der Veranstaltung „Zur Einheit der Marxisten-Leninisten“ am 22. Juni in Duisburg, zu der der „Röhrenkieker“ aufgerufen hatte, herausgekommen war, ist nicht bekannt. (68) Doch die Aktualität der Frage als solche bestand natürlich. Und sie sollte sich auch in den weiteren siebziger Jahren vehement zuspitzen. Der hier kurz umrissene Vorgang kann möglicherweise als Vorbote der Eiszeit zwischen beiden Gruppen bezeichnet werden. Eine Tauwetterperiode sollte es nicht geben. Wenn sie bestanden hatte, dann erst im Frühjahr 1973 mit der Auflösung des Zentralbüros.
Bis zum 28. Juni dürfte die Broschüre des ZB „Zwei Wege in den Sumpf des Opportunismus. Die Theorien des Roten Morgen“ (69) erschienen sein. Neben der Deutung der Theorien über die „zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“ war auffällig, dass das ZB sie „reaktionär“ nannte und meinte, dass deren Vertreter „'ultra-linke' Agenten in der Sozialdemokratie im Kommunismus“ seien. (70)
Charakterisiert wurde die Theorie mit den Worten: „Die Theorie des Roten Morgen ist eine weitgehend eigene Errungenschaft und hat mit dem Marxismus-Leninismus nichts zu tun. Sie ist neu, sowohl was die historischen Bedingungen ihrer Entstehung anbetrifft, als auch was den in ihr ziemlich platt und hilflos widergespiegelten objektiven Sachverhalt angeht … Die Theorie der 'zwei Wege des westdeutschen Imperialismus' ist eine gefährliche Verschleierung der imperialistischen Politik der westdeutschen Monopolbourgeoisie; sie ist besonders gefährlich, weil sie hinsichtlich der sozialimperialistischen und sozialfaschistischen Politik der westdeutschen Sozialdemokratie in der Arbeiterschaft und unter den Studenten Verwirrung stiftet. Die Theorie der 'zwei Wege des westdeutschen Imperialismus' ist in ihrer Gesamtheit eine ziemlich plumpe Widerspiegelung der parlamentarisch-politischen Kämpfe zwischen den Unionsparteien und der Sozialdemokratie. Sie ist kein Werkzeug zur Bekämpfung und Zerstörung der sozialdemokratischen Ideologie. Im Gegenteil, die Theorien des Roten Morgen verschleiern die sozialfaschistische, sozialimperialistische und sozialmilitaristische Politik der westdeutschen Sozialdemokratie. Sie erhält sozialdemokratische Illusionen und Lügen am Leben, verstärkt sie, begründet sie 'wissenschaftlich' und 'marxistisch-leninistisch', trägt diese ungeheuerliche Verwirrung als 'kommunistisch' in die Arbeiterklasse und die demokratisch gesinnte Studentenschaft, und fügt dadurch der Sache des Kommunismus in Westdeutschland einen gewissen Schaden zu … Sie ist ihrem Wesen nach reaktionär. Vertreter der Thesen der 'zwei Wege' sind darum 'ultra-linke' Agenten in der Sozialdemokratie im Kommunismus.“ (71)
Das west-östliche Terrain gipfelte in den Theorien beider Seiten in hartnäckiger Dogmatik und illusionärer Politik. Sie hatten sich also nichts vorzuwerfen. Die „neue Ostpolitik“ des ZB mit „Bonn fordert Revanche“, die auch irgendwo einen „osteuropäischen Weg“, um bei einer Formulierung des ZK zu bleiben, markierte, wurde vom ZK auf eine von vielen Spitzen getrieben. Beide Positionierungen dürften theoretische Sandkastenspiele ohne langwierige Dominanz gewesen sein. Mit der Auflösung des ZB, worauf immer wieder zurückgekommen werden muss, sollte sich der „Ritt nach Osten“ von selbst erledigen, und mit der Selbstkritik des ZK zu seinen „zwei Wegen“ war auch das Weltbild der kontrahierenden Sowjetunion mit den USA dahin. Was blieb, war die Blindheit gegenüber den epochalen Umbrüchen, vor allem im Ostblock, die spätestens mit der Auflösung des Kominform (1956) begonnen haben dürften.
Der Entschluss des ZB aus dem Januar, auf der antifaschistischen Ebene eine Bresche schlagen zu wollen, kann als Zäsur in der politischen Arbeit bezeichnet werden. Der Antifaschismus der KPD wurde hier wiederbelebt, sah aber im Gegensatz zu ihr ziemlich blass aus. Der Nationalsozialismus, ohne den der Antifaschismus gar nicht zu denken war, löste beim ZB eigentlich kein größeres Interesse aus. „Hitler treibt zum Krieg“, die gängige Parole, die auf die Bonner Politik („Bonn fordert Revanche“) umgemünzt worden war, war nur als Anklageschrift formuliert worden. Dementsprechend hatte der Antifaschismus nur die Bedeutung einer weitergegebenen Tradition. Der Revanchismus, der vor der Türe stand und der sich auch in einer Reihe neuer Nazi-Gruppen herauszukristallisieren begann (72), war nicht nur eine Behauptung, sondern er lastete wie ein urzeitliches Ungetüm auf vielen ZB-Theoremen. Es konnte somit nicht verwundern, wenn es vor diesem Hintergrund zu einer Reihe von Fehleinschätzungen kam, die u. a. im Spektrum des Linksradikalismus gang und gäbe werden sollten.
Die Verlegenheiten, in die das ZB mit seiner „Ostpolitik“ stolperte, sollten vom ZK geteilt werden. Die bis dahin ungelöste deutsche Frage war ja später mit der „Sektion DDR der KPD/ML“ in ungeahnte Dimensionen vorgestoßen, und sie war die praktische Wiederholung all dessen, was sich seit der Gründung der KPD/ML bis zur „Kieler Rede“ von Ernst Aust herauskristallisiert hatte: Die KPD/ML stand immer mit einem Bein auf nationalen Positionen. Es fehlte nur noch ein nationaler Einigungsrausch.
Die antifaschistische Demonstration in Dortmund vom 17. Januar war vom ZK wegen eines Bündnisangebotes des ZB an die DKP stark kritisiert worden. Das ZK machte nie einen Hehl daraus, dass mit den „DKP-Revisionisten“ keine Einheit zu erzielen sei. Und bezeichnet wohl auch deshalb das ZB als „verlängerten Arm der Revisionisten“. Auf antifaschistischer Ebene kam es so kaum zu Aktionseinheiten zwischen beiden Gruppen. So ist zu erklären, dass die Alleingänge überwogen und dass der Antifaschismus nur aus Parolen bestand, die einen gewissen Schutz boten, aber auch eine Art Abqualifizierung des Gegners mit sich brachten.
Im Februar 1971 hatte der „Rote Morgen“ in seiner Nr. 2 zu den Abläufen um diese Demonstration noch einmal im Artikel „Ein klärendes Dokument“ ausgeführt: „Wir stellen dazu fest: Die KPD/ML hat mit dieser Organisation nichts zu tun. Sie lehnt es auf Grund eines Beschlusses prinzipiell ab, Bündnisse mit Revisionisten auf organisatorischer Ebene abzuschließen. Das vorliegende Dokument zeigt klar zu welchem Prinzipienverrat solche Anbiederungsversuche führen (Statt deutscher Imperialismus: 'Ausdehnung des reaktionären Preußentums auf das Reichsgebiet. ... Beginn einer großsprecherischen und aggressiven Außenpolitik.' Statt Kampf gegen die Diktatur der Bourgeoisie in allen ihren Formen einschließlich SPD: 'Wenn die Arbeiterklasse und alle demokratischen Kräfte sich zusammenschließen gegen den gemeinsamen Feind, gegen den Faschismus, dann kann der Faschismus nicht siegen' … Die KPD/ML tritt natürlich für ein kämpferisches Aktionsbündnis an der Basis mit allen Werktätigen ein, egal ob es sich dabei um Mitglieder der DKP, der SPD oder sogar der CDU handelt, solange diese bereit sind, sich aktiv für die Durchsetzung korrekter Forderungen einzusetzen.“ (73)
Im Januar gab der KSB/ML Freiburg der KPD/ML-ZK ein Flugblatt zum Faschismus heraus, in dem die lebensfremden Töne und der politische Romantizismus nahe beieinander lagen. (74) Die Vorstellung von einer neuen Welt ohne Faschismus und Revanchismus war in die Formel gegossen: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“! Sie bedeutete aber nicht viel. Sie war eher eine unattraktive Kombination aus politischen Versatzstücken. Wird daran gedacht, dass der Holocaust in beiden Gruppen so gut wie keine Bedeutung spielte, so kann die Politik der K-Gruppen hier durchaus als eine gefährliche und rechtslastige Spielart neonazistischer Gruppen bezeichnet werden. Und sie war eine glatte Beleidigung aller Opfer, die im Kampf gegen den Hitlerfaschismus ihr Leben ließen.
Mit dem „Rundschreiben des ZB vom 6. Januar, „Das Anwachsen der Reaktion und unser Kampf gegen die Sozialdemokratie“, steigerte sich das ZB in einen wahren politischen Rausch hinein. Dort war zu lesen:
„Das Anwachsen der faschistischen Bewegung stellt uns natürlich vor neue Aufgaben. Die Sozialdemokratie, die nach wie vor die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie ist, muss nun von einer neuen Seite her bekämpft werden: Nun muss immer mehr der Charakter der Sozialdemokratie als Steigbügelhalter des Faschismus enthüllt werden und die objektive und subjektive Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokratie und Faschismus muss angeprangert werden. Trotzdem bleibt die Sozialdemokratie solange die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie, wie sie der Monopolbourgeoisie eine soziale Massenbasis verschaffen kann. D.h. solange die Massen noch nicht revolutioniert worden sind; solange die Monopolbourgeoisie in sich nicht äußerst zerstritten ist und die Arbeiterklasse noch mit parlamentarischen Mitteln niederhalten kann; solange wie die Krise sich nicht aufs äußerste verschärft - solange wird die Sozialdemokratie die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie bleiben. Für unseren Kampf bedeutet das: Weiterhin den Hauptschlag gegen die Sozialdemokratie richten, aber große Wachsamkeit gegenüber der wachsenden Reaktion walten lassen …
Am 17.1. müssen wir deshalb zeigen, dass nur die Kommunisten wirklich den Faschismus bekämpfen können. Die Sozialdemokratie ist heute die soziale Hauptstütze der Monopolbourgeoisie. Sie ermöglicht es dem Finanzkapital, trotz seiner ökonomischen, sozialen und politischen Schwächung die Vorbereitungen für eine 'vorbeugende' Konterrevolution, für den faschistischen Ausweg aus der Krise zu treffen … Die Sozialdemokratie führt die Faschisierung des imperialistischen Staatsapparates durch und betätigt sich als aktiver Vorbereiter des Faschismus, als Steigbügelhalter und Wegbereiter der faschistischen Herrschaft, als gemäßigter Flügel des Faschismus … Das zeigt ganz deutlich, dass unser heutiger Kampf gegen die SPD aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Lage auch einen antifaschistischen Charakter hat; nämlich aus dem Grunde, weil die SPD an der Regierung den Faschismus vorbereitet, der faschistischen Massenbewegung Tür und Tor öffnet, der Kampforganisation der Bourgeoisie nicht entgegensetzt (im Gegenteil) und die Angriffe auf die Lage und die revolutionären Organisationen der Arbeiterklasse verstärkt.
Aus diesem Grund ist der antifaschistische Kampf ein fester und untrennbarer Bestandteil des Kampfes gegen die Sozialdemokratie; GERADE antifaschistische Aktionen, in denen die Partei sich mit den breitesten Massen der Arbeiterklasse und den werktätigen Schichten gegen den Faschismus zusammenschließt, geben uns die Möglichkeit, auf die Rolle und die Bedeutung der sozialdemokratischen Regierung in ihren eigentlichen Sinn hinzuweisen. Gerade antifaschistische Aktionen geben uns die Möglichkeit, den SOZIALFASCHISTISCHEN Charakter der Sozialdemokratie den Massen klarmachen. Gerade in diesem Kampf muss die Sozialdemokratie sich als das entlarven, was sie in Wirklichkeit ist: 'Der Steigbügelhalter des Faschismus.“ (75)
Die SPD, die „an der Regierung den Faschismus“ vorbereitet und deshalb „als Steigbügelhalter und Wegbereiter der faschistischen Herrschaft“ zu bezeichnen sei, war als Hauptanziehungskraft die primäre Stütze des ZB in Ideologie und Politik. Es gab kaum eine andere Theorie, die mit der „Linie zur Sozialdemokratie“ wetteifern konnte. Dass ZK sah sich bis zum Frühjahr 1973 immer wieder gezwungen, Zugeständnisse zu machen. In Ermangelung einer eigenen politischen Linie griff es auf die bekannten Parolen des ZB zurück, ohne sich allerdings zu erklären. (76)
Mit dem Leitartikel „Arbeitereinheit schlägt Faschismus“ im „KND“ vom 9. Januar knüpfte das ZB imaginär an die alte Arbeiterbewegung an und beschwor den Richtungswechsel. Selbstredend dürfe man jetzt den „Kampf gegen die Verrätereien der Sozialdemokratie nicht abschwächen“, sondern „müsse ihn verschärfen und immer mehr in die Massen tragen“. (77)
Davon sollte sich die KPD/ML-ZK am 9. Januar bei einer antifaschistischen Burgos-Demonstration in Frankfurt/M. (78) angezogen fühlen. Parolen wurden mitgefühlt, die nicht nur das „Franco-Regime“ anprangerten, sondern auch die deutsch-sozialdemokratische Unterstützung des Regimes vehement kritisierten. Um dem Hauptfeind resp. Hauptfeinden begegnen zu können, wurde sogar darüber debattiert, ob es nicht sinnvoll sei, die NATO in ihren Verteidigungsanstrengungen gegenüber dem sowjetischen Sozialimperialismus zu stärken, wie es am extremsten die KPD forderte, die hier den kommenden MLD viel Zündstoff lieferte. (79)
Dass sogar einem „nationalen Verteidigungskrieg“ das Wort geredet wurde, machten die Passagen der „Roten Fahne“ deutlich. Aber auch sonst war der „Kampf gegen die faschistische Gefahr“ und das Auftreten am 17. Januar eine ziemliche Verrenkung; denn möglicherweise wollte die KPD/ML als Speerspitze revolutionärer Befreiungskrieger mutieren, die sich, nach dem die Schlacht gegen die SPD siegreich geschlagen worden war, an die Spitze dieses Umsturzprojektes stellen wollte.
Der Kampf gegen die „faschistische Gefahr“ war mit vielen Puzzelteilen verknüpft. Neben der immer wieder auftauchenden Parole von der „Anerkennung der DDR“ fiel auf, dass er mit einem „Leben in Frieden und Freiheit in einem sozialistischen Staat“ verknüpft wurde.
„Ein Redner der Partei und einer des KJVD ergriffen hier noch einmal das Wort. Sie betonten noch einmal die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes aller Arbeiter gegen den Faschismus, gegen den Krieg, in den sie das Volk wieder treiben wollen. Sie riefen zum Kampf gegen die Drahtzieher hinter den Faschisten, die Krupp und Co. Sie zeigten auf, dass die SPD-Regierung sich mit allem, was sie tut, als Freund dieser Feinde der Arbeiter entlarvt. Sie riefen die Arbeiter auf, sich in den Betriebsgruppen der Partei und des Jugendverbandes zu organisieren gegen die Angriffe der Kapitalisten, der SPD-Regierung - gegen die faschistische Gefahr - für ein Leben in Frieden und Freiheit in einem sozialistischen Staat.“ (80)
Man könnte das als Änderung der Linie der Partei bezeichnen. Die KPD/ML hatte immer auf die VR China und Albanien verwiesen. Hier war alles ziemlich allgemein gehalten, schon vaterländisch und ohne Orientierung formuliert. Gerade damit hatte das ZK auch immer wieder zu kämpfen, was u. a. aus Parolen, die am 18. Januar bei einer Demonstration der Ortsgruppe Freiburg der KPD/ML-ZK gegen den „100. Jahrestag der Reichsgründung“ mitgeführt worden waren, zu entnehmen war.
Im „Roten Morgen“ vom Februar 1971 hatte die OG Freiburg nach einer Kritik an ihrer Konzeption zur Demonstration und der Weigerung des KSB/ML, an dieser Demonstration teilzunehmen, erklärt:
„Die Gefahr des Faschismus besteht dann, wenn die Monopolbourgeoisie in einer tiefgehenden Herrschaftskrise steckt und die revolutionäre Arbeiterbewegung zur treibenden Kraft in der Gesellschaft wird … Dies sind die Kennzeichen einer revolutionären Situation; und in einer solchen Situation kann das Ziel der Arbeiterklasse nur der Sturz der Bourgeoisie, nicht aber die Rettung der bürgerlichen Demokratie sein … Fassen wir zusammen: Das Proletariat und seine m.l.-Partei müssen alle Vorbereitungen treffen, um die Niederschlagung der Faschisten sofort in die proletarische Revolution überzuleiten. Eine revolutionäre Arbeiterbewegung gibt es in Westdeutschland erst in Ansätzen. Eine antifaschistische Einheitsfront steht deshalb zur Zeit gar nicht auf der Tagesordnung. Vielmehr ist es die derzeitige Hauptaufgabe aller Revolutionäre und besonders der Marxisten-Leninisten, zunächst die Vorhut des Proletariats für den Kommunismus zu gewinnen. Ohne diese Vorhut, die m.l.-Partei ist es unmöglich, die breiten Volksmassen zu vereinen und zum Sieg über die Monopolbourgeoisie und ihre faschistischen Helfer zu führen …
Für die Marxisten-Leninisten ist deshalb der Kampf gegen den Hauptfeind des Proletariats, die imperialistische Monopolbourgeoisie, nicht zu trennen vom Kampf gegen den modernen Revisionismus in seinen verschiedenen Formen. Einen davon losgelösten Kampf gegen die Faschisten unter revisionistischen Losungen bzw. unter Verzicht auf antirevisionistische Parolen kann es für die KPD/ML nicht geben. Am vergangenen Mittwoch fand in der OG eine Diskussion über die angekündigte Demonstration zum 100. Jahrestag der Reichsgründung statt. Die OG nahm dazu folgenden Standpunkt ein: eine Gegenaktion sei falsch, weil sie die Faschisten unnötig aufwerten und ihnen unnötig Publizität verschaffen würde; und vor allem, weil sie unter den derzeitigen Voraussetzungen vom Hauptfeind ablenken würde … Die Begründung für die ablehnende Haltung der OG wurde jedoch nicht sofort in die gesamte Organisation getragen und mit den Genossen grundlegend diskutiert. Darin liegt der Grund dafür, dass der Standpunkt der OG vom Vertreter des KSB/ML auf der Vorbesprechung verschiedener Organisationen für eine mögliche Gegenaktion nicht konsequent vertreten wurde. Nach der Gegendemonstration am Freitag sah die OG zwar, dass sich eine falsche, revisionistische Linie in Bezug auf den Kampf gegen die Faschisten durchgesetzt hatte. Aber sie zog nicht die richtigen Konsequenzen, nämlich ihren Standpunkt öffentlich, d.h. in und gegenüber den beteiligten Organisationen zu vertreten und in den eigenen Reihen grundlegend zu klären …“ (81)
Die Korrekturen an diesem Linienschwenk waren definitiv von grober Illusionsmacherei geprägt. Jene Formulierungen, die sich mit der „Niederschlagung des Faschismus“ und der „sofortigen proletarischen Revolution“ beschäftigten, waren, um es noch gelinde auszudrücken, farblose Bilderstürmerei gepaart mit Größenwahn. Das ZK schaffte es an dieser Front genauso wenig wie das ZB, dem blanken Fels eine ökologische Richtung zu geben.
Die „Gefahr des Faschismus“ zu beschwören war eine Seite der vielen Medaillen der KPD/ML. Das eine ging nicht ohne das andere. Der BRD-Imperialismus, der sich hier irgendwo als „Hauptfeind“ wieder findet, wurde immer mit dem „sowjetischen Sozialimperialismus“ verknüpft. Dies geschah nie ohne nationale Töne. Später, etwa 1974, sollte der „Rote Morgen“ davon reden, dass „die deutsche Nation existiere“. Die „preußischen Junker“ oder allgemeiner: „ostelbische Junker“, die in den ZB-Theorien immer eine besondere Rolle spielten, lieferten, wie Jürgen Schröder schrieb, „eine Steilvorlage für die Einführung des offenen Faschismus“ (82), dem das „vereinte, unabhängige, demokratische Deutschland“ gegenüberstand.
Die „aggressive Außenpolitik“ der SPD-Regierung, die aus dem (reaktionären) Preußentum abgeleitet worden war, sollte später noch eine entscheidende Rolle spielen; denn im Halbdunkel der „Sektion DDR der KPD/ML“ gediehen merkwürdige Theorien (von Preußen bis zu Schlesien, die in einen deutschen Staat einzugliedern seien), die an die Rückforderung der deutschen Ostgebiete vom Schlage eines Herbert Hupka (MdB 1969 bis 1987), aber auch der neuen Nazis erinnerten.
Die KPD/ML-ZK betrat in ihrer Geschichte auch immer wieder Neuland. Das mag ihr Geheimnis gewesen sein. Ende Februar/Anfang März 1971 wurde ein zentraler Aufruf der ZBGK beim ZK zum Aufbau einer „Revolutionären Betriebs- und Gewerkschaftspolitik“ verbreitet. In langen Ausführungen beschrieb die ZBGK, warum die Betriebs- und Gewerkschaftsfrage von aktueller Bedeutung sei. Ausgeführt wurde u. a.:
„Die Betriebs- und Gewerkschaftsfrage ist heute aus zwei Gründen besonders aktuell:
1. mit der KPD/ML konstituierte sich eine neue marxistisch-leninistische Partei als Resultat des revisionistischen Verrats der KPD.
2. wir befinden uns in der BRD am Ende einer relativen Stabilisierungsperiode des westdeutschen Imperialismus, am Anfang eines erneuten Aufschwungs der Revolution.
1. Die Periode des Neuaufbaus der Kommunistischen Partei, der erneuten Schmiedung der Vorhut der Arbeiterklasse in der KPD/ML kann nur erfolgreich abgeschlossen werden, wenn es uns gelingt, uns a. die Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung (den Marxismus, den Leninismus und die Mao Tse-tung-Ideen) und b. die Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung umfassend anzueignen und Schritt für Schritt auf die heutige Praxis anzuwenden … Dies gilt natürlich ebenso für unsere Strategie und Taktik in der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, handelt es sich doch hierbei um eines der wichtigsten Kettenglieder unserer gesamten Politik.
2. Das Ende der relativen Stabilisierungsperiode stellt uns konkret vor die Frage: Was tun? Momentan und auch für die nächste Zukunft verfügt die Arbeiterklasse in unserem Land erst im Kern, in den Roten Betriebsgruppen (RBG, d. Vf.) der KPD/ML, über die Instrumente, derer sie zur Führung der Kämpfe bedarf. Kurzfristig werden diese Kämpfe kaum unter unserer Führung stehen. Dies kann für uns nur bedeuten, alle Anstrengungen zu verdoppeln und zu verdreifachen, um diesen Zeitraum 'so klein wie möglich zu halten'! Vor allem aber, der Arbeiterklasse, heute ihren Fortgeschrittensten, zu zeigen, welcher revolutionäre Ausweg konkret in der Betriebs- und Gewerkschaftsfrage besteht, welchem Ziel er dient …
Schon die kurze Geschichte unserer Partei zeigt deutlich den Kampf zweier Linien in der Betriebs- und Gewerkschaftsfrage. Waren auf der einen Seite die Marxisten-Leninisten nicht bereit, Verzicht auf die revolutionären Prinzipien und die revolutionären Traditionen zu leisten, so waren die Rechtsopportunisten, die neuen Brandleristen um W. D. (Willi Dickhut, d. Vf.) bereit, die Partei als 'Gratisbeilage' (Stalin) an die bestehenden Gewerkschaften zu verhökern …
Ein entscheidender Mangel unserer Betriebs- und Gewerkschaftspropaganda besteht darin, dass nicht klar und eindeutig Ziel und Wesen einer revolutionären gewerkschaftlichen Kampforganisation, der Organisation der Klasse, genannt werden. Unsere Agitprop erschöpft sich weitgehend in der Entlarvung der bestehenden Gewerkschaften, ohne dass sie klar und eindeutig unser nächstes Ziel angibt. Um die Antwort schon hier vorwegzunehmen: Unser nächstes Ziel ist nicht die RBG (da sie nur organisatorischer Ausdruck von 'etwas' ist), sondern die Schaffung einer revolutionären oppositionellen Bewegung gegen die bestehenden Gewerkschaften, deren Hauptstütze die RBG sein muss.
Als warnendes Beispiel vor eventuellen Fehlern sollte uns die Agitprop der 'Gruppe Rote Fahne/Bochum', der 'KPD/ML-ZB', dienen. Diese nennt in keiner ihrer Publikationen die prinzipiellen Grundlagen einer revolutionären Betriebs- und Gewerkschaftspolitik, sondern versucht durch revolutionäre Phrasen das zu verdecken, was ihren Kern darstellt: nämlich die gleiche Politik wie die der neuen Brandleristen. In welche Widersprüche sie sich dabei verwickeln, mögen zwei Beispiele zeigen: Im 'Bolschewik' Nr. 6 (aus dem Januar 1971, der sich u. a. mit der Faschisierung der Gewerkschaften beschäftigte, d. Vf. ) nennen sie eine im großen und ganzen korrekte Analyse; in ihren Zeitungen usw. ertönt das Geschrei 'Machen wir die Gewerkschaften wieder zur Kampforganisation!'. Mündliche Äußerungen beweisen, dass einige Genossen von ihnen diese Politik für RGO-Politik halten.
Welche Unklarheiten bei uns vorhanden sind, zeigt der Artikel 'Wichtigste Ergebnisse der Arbeiterkonferenz' in Nr. 1 von 'Betrieb und Gewerkschaft' aus dem Januar 1971, d. Vf.) Dort heißt es: 'Wenn man aber die reaktionären Gewerkschaften nicht in Klassenkampforganisationen umwandeln kann, dann gibt es nur eine Alternative: den AUFBAU REVOLUTIONÄRER GEWERKSCHAFTEN.' Der Aufbau eigener Roter Gewerkschaften ist prinzipiell immer ins Auge zu fassen. Doch selbst wenn die Bedingungen objektiv dazu gegeben sind, so bedeutet dies keineswegs, dass die o.g. Alternative wirklich gegeben ist. Lässt man den subjektiven Faktor außer acht, so geht man nicht dialektisch, sondern 'in Sprüngen' vor. Aber selbst wenn sich eine solche Spaltung als notwendig erweisen sollte, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn es den Kommunisten gelingt, durch unausgesetzten Kampf gegen die opportunistischen Führer und ihre Taktik, durch lebhafteste Anteilnahme am wirtschaftlichen Kampf die breiten Massen der Arbeiter davon zu überzeugen, dass die Spaltung nicht wegen der ihnen noch unverständlichen fernen Revolutionsziele, sondern wegen der konkreten nächsten Interessen der Arbeiterklasse an der Entwicklung ihres Wirtschaftskampfes vorgenommen wird …
Die Alternative 'Aufbau revolutionärer Gewerkschaften' hört sich zwar sehr schön an, bedeutet aber unter HEUTIGEN Bedingungen eine 'linke' Abweichung. Die Entwicklung eines jeden Dinges verläuft dialektisch. Bei der eben genannten 'Alternative' werden bestimmte historisch notwendige Entwicklungsstadien 'übersprungen': Schaffung einer revolutionären gewerkschaftsoppositionellen Bewegung mit der Hauptstütze RBG; ORGANISATORISCHER AUFBAU dieser Bewegung zu einem Sammelbecken für eine Rote Gewerkschaft (bzw. Rote Gewerkschaften?) - dann erst in der Hauptseite Schaffung Roter Gewerkschaft …
Soll diese Analyse für uns heute aber nicht zu einem bloßen Nachschlagewerk werden, so sind wir verpflichtet, dort anzuknüpfen, wo sich die meisten Überschneidungspunkte mit unseren heutigen Problemen ergeben: der VERSCHMELZUNG VON KAPITAL, STAAT UND GEWERKSCHAFTEN ZUM DREIBUND …
Unsere Propaganda muss in den Betrieben und in der Gewerkschaft vor allem folgendem dienen: Schaffung von Betriebsparteizellen, Schaffung von Roten Betriebsgruppen. Schaffung von Roten Gewerkschaftsgruppen innerhalb der bestehenden Gewerkschaften … Der wesentlichste Punkt wird dabei sein, eine korrekte Propaganda zu entfalten, die den Kollegen - mit der Hauptstoßrichtung auf die fortschrittlichsten unter ihnen - zeigt, wo die Ursachen für ihr elendes Dasein liegen und dass diese nur durch eine sozialistische Revolution und durch die proletarische Diktatur beseitigt werden können. Aber wir sind kein 'Verein zur Propagierung des Kommunismus, sondern eine POLITISCHE PARTEI' (Dimitroff). D.h., wir müssen in unserer Propaganda klar die nächsten, wichtigen Schritte aufzeigen (Aufbau der Partei, Schaffung einer revolutionären gewerkschaftsoppositionellen Bewegung usw.) Diese Propaganda muss aber auch die revolutionäre Einheit immer und immer Warum soll in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit die Hauptseite auf der Schaffung einer revolutionären oppositionellen Bewegung gegen die bestehenden Gewerkschaften liegen?
Wenn wir also eine revolutionäre oppositionelle Bewegung gegen die bestehenden Gewerkschaften schaffen wollen, so handelt es sich dabei nicht ausschließlich darum, nur den wirtschaftlichen Kampf konsequenter führen zu wollen, sondern darum, diesen mit dem politischen zu verbinden. Diese Bewegung darf nicht 'unabhängig' sein von der Vorhut des Proletariats, sondern nur vom Dreibund und allen seinen Helfershelfern. Partei des Proletariats und revolutionäre Gewerkschaft müssen zwei Seiten der gleichen Sache sein. Gewerkschaften sollen Schulen der Revolution sein, sie sollen Transmissionsriemen zwischen Partei und den Massen sein …
Jegliche Massenorganisationsarbeit auf Betriebs- und Gewerkschaftsebene kann nur dann wirklich Erfolg versprechen, wenn sie auf der korrekten politisch-ideologischen Grundlage erfolgt und zweitens, wenn im Betrieb die Parteigrundorganisationen, die Zellen, vorhanden sind. Letztlich kann nur von ihnen die korrekte Anleitung und Führung geleistet werden, auch wenn wir außerhalb noch so viele Genossen haben. Solange wir uns noch im Übergangsstadium befinden, muss die Massenorganisationsarbeit unter direkter Anleitung der Ortsgruppen und ihrer Leitungen stehen. Besteht eine RBG und keine Betriebsparteizelle, so hat die OG die Leitung durchzuführen. Die roten Betriebsgruppen sind heute das wichtigste Sammelbecken für die Betriebsmassenorganisation und die Parteiorganisation. Aus ihm müssen sich im Wesentlichen folgende Organisationstypen entwickeln:
Neben den diffusen Beschreibungen der gegenwärtigen und kommenden Gewerkschaftspolitik der KPD/ML fiel hier auf, dass der Versuch unternommen worden war, die roten Betriebsgruppen als Vorstufe einer „revolutionären oppositionellen Bewegung“ (RGO) zu betrachten, die den „wirtschaftlichen Kampf mit dem politischen“ zu verbinden hätten. Eine mögliche Rolle auf diesem Weg würde der „Dreibund“ spielen, jene kryptische Bezeichnung für die Verschmelzung zwischen Staat, Kapital und Gewerkschaften, die den Aufbau von „Betriebsmassenorganisationen“ rechtfertigen würde.
Jene wirren Theorien des ZK, die eine Mischung aus Arbeitertümelei und ausschweifenden historischen Exkursen waren, waren noch zusätzlich durch die Deutung, dass man „am Anfang eines erneuten Aufschwungs der Revolution“ stehe, in ein Licht des Abstrusen gehüllt. Hier hatten dann auch die „Fortschrittlichsten der Arbeiterklasse“ endlich und wohl auch endgültig ihren Platz gefunden; denn ohne sie gab es weder „Betriebsparteizellen“ noch „Rote Gewerkschaftsgruppen“. Sie wurden bemüht, damit dieses Kartenhaus aus Leitbegriffen und Rollenverteilung nicht auseinanderfiel. Dem eigentlichen Quantensprung, der mit der Vorstellung einer oppositionellen Gewerkschaftsbewegung eingeleitet worden war, lag eine Theorie zugrunde, die aus der phantastischen Verstrickung der DGB-Gewerkschaften, die mit dem Staat und der SPD-Regierung sozusagen eine „Einheitsfront“ gebildet hätten, abgeleitet worden war. Die RGO als Protestbewegung zu bezeichnen, wäre somit nicht falsch. Sie nahm hier auch ihren eigentlichen Anfang. Nachdem die KPD ihren ersten RGO-Kongress bereits am 14. April 1973 durchgeführt hatte, könnte vermutet werden, dass das ZK einfach nachzog und eine politische Begründung für sie einfach nachschob.
In der Ausgabe 2/3 von „Betrieb und Gewerkschaft“ des ZBGK beim ZK der KPD/ML aus dem März 1971 stand die RGO voll in der Tradition der KPD. Das Organ meinte: „Betrieb und Gewerkschaft ist das Organ des Zentralen Betriebs- und Gewerkschaftskomitees beim ZK der KPD/ML. Es soll zur Erarbeitung der Strategie und Taktik einer revolutionären Betriebs- und Gewerkschaftspolitik dienen. Betrieb und Gewerkschaft ist in erster Linie Diskussionsorgan in dem die zentralen Gremien der Partei, die regionalen und örtlichen Organe der Partei und jeder Genosse Richtlinien, Vorschläge und Kritiken veröffentlichen … Der Titel Betrieb und Gewerkschaft ist programmatisch. Er soll sagen, dass die KPD/ML darangeht, die revolutionäre Politik der KPD vor der Zeit des Faschismus auch in der Betriebs- und Gewerkschaftspolitik aufzuarbeiten und fortzusetzen. Das Organ der RGO der 20er und frühen 30er Jahre trug den Namen Betrieb und Gewerkschaft … Das ZBGK bemüht sich Betrieb und Gewerkschaft regelmäßig einmal im Monat herauszugeben. Dazu ist es erforderlich, dass die Genossen mithelfen, indem sie Artikel, Berichte und Kritiken einsenden und Betrieb und Gewerkschaft regelmäßig und rechtzeitig bezahlen.“ (84)
Die Geschichte der bundesdeutschen RGO, die der KABD in seiner „Roten Fahne“ vom August 1971 als eine „Dreieinigkeit einer Handvoll Arbeiterfeinde“ bezeichnet hatte, die ein „teuflisches Spiel“ treiben würden (85), war eine Geistergeschichte aus Mythenbildung, die theoretisch-hypothetisch auf Solidarität insistierte, aber nie der Realität entsprach. Sie war selbst entworfen und konstruiert. Für sie bestand keine reale Notwendigkeit, aber aus der Not, mangels echter Alternative, geboren, wurde sie zu einer bleischweren Solidaritätskampagne, der stets die hassgeladenen Anwürfe ihrer Gegner gegenüber standen.
Auf einer Veranstaltung des Gewerkschaftlichen Maikomitees am 30. April in der Freiburger Universität wurde in der „Stellungnahme des Gewerkschaftlichen Maikomitees“ zur morgigen 1. Mai-Demonstration ausgeführt:
„STATT SOZIALPARTNERSCHAFT - KLASSENKAMPF. Es ist notwendig, kurz auf die Entstehung des Gewerkschaftlichen Maikomitees einzugehen, umso mehr, als die KPD/ML (RM) (KPD/ML-ZK, d. Vf.) uns öffentlich diffamiert hat, wir hätten uns vor den Karren der DGB-Führung spannen lassen … Wir erklärten jedoch ausdrücklich, dass wir die Haltung der Gruppe Roter Morgen als gewerkschaftsfeindlich ablehnten. Jetzt stellt sich diese Gruppe hin und sagt, sie sei gar nicht gewerkschaftsfeindlich, sie sei nur DGB-feindlich. Wir müssen uns aber fragen: Was für Gewerkschaften gibt es außer den im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften? Fest steht doch, dass die Gruppe Roter Morgen den bestehenden Gewerkschaften feindlich gegenübersteht, dass sie in ihnen Organisationen sieht, 'deren gesamter Apparat in die Hände des Feindes übergegangen ist' … Die im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften sind für sie ein für alle mal keine Organisationen der Arbeiterklasse mehr, sie werden insgesamt als Organisationen bekämpft und soweit man sich in ihnen noch aufhält dann nur, um 'die fortschrittlichen Gewerkschafter für die Roten Betriebsgruppen zu gewinnen' (Plattform der KPD/ML zum 1.Mai) und 'die Widersprüche zwischen dem DGB-Apparat und den Massen der Gewerkschafter zu verschärfen' (Plattform).
Und dies alles mit dem Ziel, neue revolutionäre Gewerkschaften zu gründen. Es ist also festzuhalten: die Gruppe Roter Morgen ist gegenüber den bestehenden Gewerkschaften insgesamt feindlich eingestellt, sie muss deshalb eine Initiative wie das Gewerkschaftliche Maikomitee bekämpfen und alles tun, damit diese Initiative Schiffbruch erleidet: denn, dann hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Opposition klassenbewusster Gewerkschafter in den Gewerkschaften unmöglich ist und man am besten gleich damit anfängt, neue Gewerkschaften aufzubauen. Die Gruppe Roter Morgen ist aber nicht nur gegenüber den bestehenden Gewerkschaften feindlich eingestellt, sondern ist prinzipiell gewerkschaftsfeindlich. Warum?
Die Strategie der Gruppe Roter Morgen sieht vor, neue revolutionäre Gewerkschaften aufzubauen, die aus den Roten Betriebsgruppen entstehen sollen. Diese Roten Betriebsgruppen sollen die revolutionären Arbeiter umfassen, die gegen den sog. Dreibund Kapital, Staat, DGB-Apparat sind. Was aber ist mit den übrigen Arbeitern, die nicht revolutionär sind, die sich zunächst nur organisieren wollen, um den Tageskampf gegen Kapital und Regierung entschlossen zu führen? In die bestehenden Gewerkschaften, die ja nur noch im Interesse des Kapitals die Ware Arbeitskraft makeln (so Flugblatt des KSB/ML) kann sie ja wohl nicht schicken. Revolutionär sind diese Arbeiter aber auch nicht. Also verweigert die Gruppe Roter Morgen dem Großteil der Arbeiterklasse breite umfassende Organisationen …
Richtig ist, dass die Arbeiter zu kurzen spontanen Erhebungen auch ohne Gewerkschaften auskommen können. Aber genauso richtig ist es, dass es hinter das gewerkschaftliche Bewusstsein der Arbeiter zurückfallen heißt, dass man überhaupt keine Gewerkschaften als Massenorganisationen des Tageskampfes braucht. Wer auch nur einmal sich überlegt hat, welche organisatorischen Anforderungen ein langer Streik stellt, der kann niemals so dumm daherreden, dass es auch ohne Gewerkschaften geht …“ (86)
Diese Kritik, die aus einem Zwielicht kam, war daran interessiert, der „gewerkschaftsfeindlichen“ Strategie des „Roten Morgen“, die mit ihren RBGs den „Dreibund“ bekämpfen wolle und die Überlegung von „neuen, revolutionären Gewerkschaften“ angestellt habe, eine „feindliche Linie“ zu unterstellen. Der Verzicht auf „Massenorganisationen“ würde auch konkret zu einer Ablehnung des „Gewerkschaftlichen Maikomitees“ führen. Offenbar geriet das ZK nicht nur in Freiburg, wo sie sich gegenüber der 1. Mai-Demonstration des DGB bedeckt hielt, in arge Schwierigkeiten, sondern auch anderswo, wo sie sich scheinbar isolierte und mehr den klinisch-sauberen, also den eigenen Demonstrationen huldigte, die wohl eher ihrer Strategie entsprachen. Das zukunftsweisende Modell der RGO könnte auch als Selbstreferenzialität verstanden werden; denn es war ja nichts anderes als ein Leitmotiv, das eine „revolutionären Identität“ vorgaukelte, die es nicht gab.
Zur ZBGK beim ZK der KPD/ML sollte sich im Mai 1971 die ZfKA (Zentrale für Kommissionsarbeit) bilden, die sogleich mit einer ersten Ausgabe von „Klassenanalyse und Programm - Info für Kommissionsarbeit“ (87) bekannt wurde. Die Zuträgerarbeiten dieser Kommission sollten der allgemeinen Programmatik des ZK dienen, sich aber auch speziell mit dem „Osthandel“ im Rahmen der „Zwei-Wege-Theorie“ beschäftigen. Zusätzlich waren hier eine „Chemie-, Auto- und Bauernkommission“ erwähnt worden, die allesamt dem ZK dienlich sein sollten und auch mithelfen sollten, dem 1. Mai eine theoretisch abgesicherte Richtung zu geben.
Bei diesem Kommissionswirrwarr fiel es schwer, den Überblick zu behalten. Sie wurden zu einem Teil der Theoriearbeit des ZK, das in ihnen eine Art Koordinationsstelle sah. Der Cocktail, der durchgeschüttelt die schon bekannten Ergüsse lieferte, sollte nicht orientierungsfähig sein; denn schon im „Roten Morgen“ vom Mai 1971 wurden die Widersprüche deutlich:
„1. Die 1.Mai-Kampagne muss erreichen, dass der Kommunismus, die revolutionäre Politik der Partei in relativ großen Teilen der Bevölkerung, vor allem der Arbeiterklasse, propagiert werden.
2. Die ideologische Vereinheitlichung der Partei muss durch die praktische Durchführung der 1. Mai-Kampagne im Kampf gegen die bürgerliche Linie innerhalb der Arbeiterbewegung auf ein höheres Niveau gebracht werden.
3. Die 1.Mai-Kampagne muss ein Schritt in der Vorantreibung der Massenlinie darstellen. Der 1. Mai muss für die KPD/ML ein Schritt voran sein in der Herstellung der Verbindung mit den werktätigen Massen …“ (88)
Beides, die „ideologische Vereinheitlichung der Partei“ und der „Kampf gegen die bürgerliche Linie innerhalb der Arbeiterbewegung“, waren wie der berühmte Tanz auf zwei Hochzeiten - er konnte nicht beflügeln! Und brachte im Endergebnis wiederum nur laue Losungen hervor, die aus den Kommissionsarbeiten hervorgegangen sein dürften. Die prahlerischen Bemerkungen, eigene Forderungen und Losungen aufgestellt zu haben, zersetzten sich von selbst.
Meinte doch der „Rote Morgen“: „Die inhaltliche Bestimmung der Agitation und Propaganda zum 1.Mai lag - den Richtlinien der Partei entsprechend - ausgehend von Forderungen der Arbeiterklasse 'Gleicher Lohn für gleiche Arbeit', 'Kampf dem reaktionären Betriebsverfassungsgesetz', 'Die Krise kommt - vereinigt Euch im Kampf gegen Lohnabbau, Kurzarbeit und Entlassungen', 'Gegen Mitbestimmungskrampf - vereinigt Euch im Klassenkampf' und anderen, in Losungen wie 'Gegen das Kapital und seine SPD-Regierung - die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasses', 'Kampf dem Dreibund von Kapital, Staat und DGB-Apparat' bis zu Losungen wie 'Stärken wir die Kommunistische Partei Deutschlands/ Marxisten-Leninisten', 'Für ein einiges, freies, unabhängiges und sozialistisches Deutschland' und Losungen im Sinne des proletarischen Internationalismus wie 'Deutsche und ausländische Arbeiter - eine Arbeiterklasse', 'Nieder mit dem US-Imperialismus und dem sowjetischen Sozialimperialismus' …“ (89)
Mit diesen bundesweiten Losungen befand sich das ZK nachhaltig in der Defensive. Sie waren im Wesentlichen der KPD/ML-ZB entlehnt, teilweise sogar im Wortlaut. Die Hauptparole vom „Dreibund“ war indes neu. Sie bildete die Richtung für das nächste politische Etappenziel: „der Gewinnung der fortschrittlichsten Kollegen für den Kommunismus“. (90)
Auch hier galt das Interesse den sog. Linken im Proletariat, auf die bereits das ZB in seiner „Gewerkschaftsbroschüre“ und die „Etappen des Parteiaufbaus“ ein Auge geworfen hatte. Wer sie damals waren oder als Gruppe bildeten, muss ungeklärt bleiben. Mal sollen sie in den verschiedenen Vertrauensleutekörpern zu finden gewesen sein, mal sollen sie sich als Linke geoutet haben, mal waren sie Sympathisanten der Partei, die nicht auf den Gewerkschaftsdemonstrationen zu finden seien, sondern zur KPD/ML kämen, mal kamen sie aus der alten KPD usw. usf. Und ob überhaupt der Klassenantagonismus für sie eine entscheidende Rolle spielte oder ob sie „fortschrittlich“ im Sinne der KPD/ML waren - all diese Fragen wurden nicht beantwortet. Möglicherweise war bereits jede Regung eines ökonomischen Widerstandes auf der Arbeiterseite ein Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Klasse im Allgemeinen und der Hinwendung zum Kommunismus resp. der KPD/ML im Besonderen. Vielleicht waren die „Fortschrittlichen der Klasse“ auch nur besonders hartgesonnene Charaktertypen, die mit Blaumann bekleidet, hier und da anzutreffen waren? Dass hier gevolkstümelt wurde, liegt auf der Hand. Und bis zum unrühmlichen Ende der KPD/ML sollte diese Story von der „Unbesiegbarkeit der Fortschrittlichen der Klasse“ sie begleiten.
Das ZB der KPD/ML ließ es nicht aus, dem ZK diese ideologischen Zerrbilder vorzuhalten. Ende Mai 1971 hieß es im „KDAJ“ Nr. 6/1971: „Die Gruppe 'RM' hatte im Kampf gegen die Mehrheit der KPD/ML und des KJVD eine klare theoretische Niederlage erlitten. In der praktischen Arbeit zeigte es sich, dass sie mit ihren Vorstellungen in der Arbeiterklasse keinen Boden gewinnen konnten … Es wurde ersichtlich, dass sie von ihren falschen Vorstellungen abrücken mussten. Sie gingen dabei so vor: Sie behielten ihre alten Vorstellungen im Kern bei, aber sie umkleideten sie mit Formulierungen, die sie der richtigen politischen Linie der KPD/ML entlehnt hatten … Die Führer der Gruppe RM sagen jetzt: Auch wir müssen in den Gewerkschaften arbeiten. Und dann fügen sie ein großes 'aber' hinzu: Aber, so sagen sie, wir müssen gleichzeitig darangehen, neue Gewerkschaften aufzubauen. Unsere Roten Betriebsgruppen sind die Urformen solcher neuen Gewerkschaften …“ (91)
Natürlich war das billige Polemik, die sich aus einem regelmäßigen Contra gegen den „RM“ ergab. Die Formulierung der Identifikationen mit einer „richtigen politischen Linie der KPD/ML“ sticht ins Auge. Die schrägen Formulierungen des ZK bezüglich seiner RBGs waren willkommener Anlass, den alten Streit neu aufleben zu lassen. Immer dann, wenn das ZK sich mit neuen Theorievorstellungen an das ML-Volk wandte, konterte das ZB. (92)
Neben der Gewerkschaftslinie war es u. a. auch der „Antifaschistisch-Demokratische Aufbau in der DDR“, den das ZK angeblich leugnen würde. Im Mai war im „KND“ ein längerer Artikel zu lesen:
„GRUPPE 'ROTER MORGEN' VERLEUMDET ANTIFASCHISTISCH-DEMOKRATISCHEN AUFBAU IN DER DDR. In der letzten Zeit häufen sich die Versuche der Vertreter der Gruppe 'Roter Morgen', auf Versammlungen und Veranstaltungen der KPD/ML und des KJVD ihr Gerede von der 'Einheit' an den Mann zu bringen. Die KPD/ML und der KJVD sagen jedoch ganz klar: Zwischen uns und der Gruppe 'Roter Morgen' gibt es schwerwiegende ideologische Differenzen, die man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann, sondern die klar und eindeutig ausgetragen werden müssen …
In Dortmund kommen in letzter Zeit regelmäßig Vertreter der Gruppe Roter Morgen in eine Kneipe, in der sich Genossen der KPD/ML und des KJVD mit proletarischen Sympathisanten treffen, und versuchen Verwirrung zu stiften. Dabei zeigen sie sich offen als Antikommunisten: In einer Diskussion über die DDR erklärten sie, die Kollektivierung in der DDR sei eine ‚Nacht-und-Nebel-Aktion der NVA und der Volkspolizei gewesen'. Um an solchen Behauptungen die antikommunistische Haltung der Vertreter der Gruppe 'Roter Morgen' besser aufdecken zu können, wollen wir näher darauf eingehen …
Wie hat diese Entwicklung unter der Führung der SED nach 1945 ausgesehen?
Die erste Aufgabe war die Ingangbringung der landwirtschaftlichen Produktion und die antifaschistisch-demokratische Landwirtschaftspolitik: Nach der ersten Organisierung der landwirtschaftlichen Produktion zur Ernährung der Bevölkerung durch gemeinsame Arbeit von Arbeitern und Bauern (Febr. - Juli 1945) wurde von September 1945 bis Anfang 1946 die BODENREFORM durchgeführt … 'Man hat behauptet, in der sowjetischen Besatzungszone werde das Privateigentum abgeschafft. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Niemand hat daran gedacht, zu kollektivieren, sondern jeder Neubauer hat seinen Boden als vererbbares Privateigentum bekommen' (Ulbricht 1946) …
Diese revisionistische Entwicklung, die Ende der 50er Jahre begann, ändert aber nichts an der ursprünglich korrekten marxistisch-leninistischen Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik. Die Vertreter der Gruppe 'Roter Morgen' nützen jedoch diese falsche Entwicklung, um die Politik der Arbeiter- und Bauernmacht in der DDR von Anfang an zu verleumden: Das ist die Methode von Kleinbürgern und Antikommunisten, die aus der korrekten Kritik am Revisionismus einen Angriff auf die Errungenschaften der Arbeiter- und Bauernmacht insgesamt machen.“ (93)
Der Bericht des „KND“, der die „Arbeiter- und Bauernmacht DDR“ und den „Antifaschistisch-Demokratischen Aufbau in der DDR“ verteidigte, listete hier u. a. das System der KPD/ML-ZB auf, das die DDR und deren „sozialistische Errungenschaften“ über den Mauerbau vom 13. August 1961 hinaus verteidigte. Der „Antifaschistische Schutzwall“ stieß nicht auf Gegenliebe der KPD/ML-ZK, die jedoch auch keine andere theoretische, gar politische Alternative anzubieten hatte. Die „Ulbrichtsche Brille“, die nach Ansicht des ZK das ZB trug, sollte nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die DDR bis zu Stalins Tod (5. März 1953) selbst vom ZK rigoros begrüßt worden war. Deren „Revisionismus“ war dann schnell gefunden, zeitlich, an Personen und Programmatiken festgemacht. Auf irgendwelchen Datschas trieben die Westentaschen-Mielkes ihr Unwesen, tranken Wodka und kümmerten sich nicht um die Belange des Volkes. Das ZB huldigte, nach Ansicht des ZK, diesem Urrevisionismus, diesen „bürokratischen Apparatschiks“ ganz unverblümt. Und Kronzeuge für die richtige Linie war hier immer der Genosse Stalin und Mao, die angeblich schon früh auf die Verhinderung des „Revisionismus“ durch eine „Kulturrevolution“ aufmerksam gemacht hatten.
Festzuhalten wäre, dass das ZK in Fragen der Theoriebildung, außer der „Zwei Wege Theorie“, dem „Dreibund“ und seiner konstruierten RGO bzw. RBG, dem ZB nichts Gleichwertiges entgegensetzen konnte. Man könnte auch sagen, dass es ab dem Juli 1971 in schweres Wetter geriet. Die Basis begann gegen das ZK zu rebellieren. Und sie sprach ihm das Misstrauen aus. Nur durch einen Gewaltakt konnte ein „Exekutivkomitee beim ZK der KPD/ML“ die Auflösung der Organisation verhindern. Egal, wie man es interpretiert: Das Scheitern der KPD/ML-ZB war schon lange vorher im ZK geprobt worden. Alle Fragen, die die Auflösung der ZB-Organisation hervorbrachten, waren im ZK bereits angelegt. Vor allem damit soll sich der nächste Teil der Geschichte der KPD/ML-ZK beschäftigen.
1971 könnte als das Jahr des eigentlichen Wandels der KPD/ML bezeichnet werden. Das ZB befand sich, trotz aller auftretenden Widersprüche, in seiner Hochphase und sollte, bevor sich die ersten Fraktionen abzuspalten begannen, durch seine Linie zur Sozialdemokratie in der Metalltarifrunde 1971 ihre Vorstellungen von der Politisierung der Betriebe in „die Massen“ tragen. Im ZK spitzte sich die Unzufriedenheit der Basis mit der Politik ihrer Führung ab der zweiten Jahreshälfte merklich zu. Die „autoritären Strukturen“ des ZK wurden ebenso angeprangert wie u. a. der Ausverkauf seiner Politik, die sog. „Massenlinie“, die, so die Kritiker, mit dazu geführt hätte, dass eine Resonanz unter der Arbeiterschaft ausgeblieben oder nicht mehr vorhanden sei. Um den Zerfall der Partei zu verhindern, sah sich das ZK im November gezwungen, nachdem eine erste Einberufung gescheitert war, einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen. Auf ihm sollten die entscheidenden politischen, organisatorischen und ideologischen Fragen geklärt werden. Eine Mehrheit des Verbandes sollte auf dem Parteitag dem (gegenwärtigen) ZK das Misstrauen aussprechen; die Partei sollte in viele Gruppen zerfallen. Nur durch einen Kraftakt gelang es Ernst Aust (durch ein „Exekutivkomitee beim ZK der KPD/ML“) und einigen wenigen Mitstreitern, die KPD/ML unter dem alten Namen fortzuführen und den Kritikern, lange bevor sich KABD/MLPD mit der Frage der „Liquidatoren“ auseinandersetzten, entgegenzuhalten: „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“. (1)
Nach den Streitigkeiten, die in der KPD/ML seit ihrer Gründung schwelten, ging dieser Show-down doch weit über alles Bisherige hinaus. Es war nicht so, dass sich mit ihm eine gänzlich neue Vorstellung vom Marxismus-Leninismus zu entwickeln begann, die sich ab der zweiten Jahreshälfte der 1970er Jahre doch merklich als neue Theorie-Strömung äußern sollte, aber das bisherige traditionelle Parteikonzept stand zur Disposition. Es war in die Debatte geraten. Der Elitismus und der sog. Avantgardismus erwiesen sich als unfähig, den Verband zu leiten und zu führen. Hinzu kam die schwammige Politik des ZK, die sich in einer Reihe von wilden Theorien äußerte (2), die in der Betriebspropaganda doch für arge Verwirrung sorgte (z. B. die angewandte „Dreibundtheorie“). Die zugespitzte Entfremdung des ZK und die Verschärfung bestehender Widersprüche eskalierte deutlich ab dem Sommer 1971.
Der Landesverband Südwest der KPD/ML-ZK legte im Juli seinen Bericht der Zentrale für die Kommissionsarbeit(en) vor, die an „politischen Enthüllungen“ arbeiten würde, wie sie einst von Lenin gefordert worden waren. Das Konzept dieser sollte sich in dem Organ „Klassenanalyse und Programm“ niederschlagen. Geplant waren zudem der Aufbau eines „Instituts für ML, einer Kaderschule und eines ML-Pressearchivs“ (3), deren Inthronisierung aber wohl ausblieben; denn nirgendwo in der Parteipropaganda wurde jemals wieder darauf Bezug genommen. Das „ML-Institut“ und die „Kaderschule“ erinnert an die vielen Versuche der „Marxistischen Arbeiterschule“ (MASCH), die von Hermann Duncker ab 1930/31 ins Leben gerufen worden war, den sog. wissenschaftlichen Sozialismus zu verbreiten. (4) Unter der Parole „Jeder kann alles lernen“ erklärte die Zentrale für Kommissionsarbeit(en), dass sich dafür die „Arbeiterklasse eine eigene politische Organisation“ schaffen müsse. (5) Dies sei die KPD/ML, die nach dem damaligen Stand der Dinge nun auch in den Kulturbereichen eine Macht werden sollte. Entsprechend überspannte man das selbstgesteckte Ziel. Es hatte den Anschein, als ob die Universalisierung des Subjekts aus dem Ärmel geschüttelt werden konnte, was mit diffusem Kauderwelsch noch relativ harmlos interpretiert ist. Hier ist nur erwähnenswert, dass auch für das „ML-Institut“ und die „Kaderschule“ die Prämisse galt: „Die politische Partei des Proletariats (müsse) sich aus den fortschrittlichsten Kollegen zusammensetzen“. (6)
Die stets wiederkehrende, schon erstaunliche Wortwahl der KPD/ML, den Demiurgen „Arbeiter“ als den Baumeister der Avantgarde vorzustellen, um mit ihm die Massen zu revolutionieren, gewann nicht nur mystische Bedeutung, sondern war auch ein romantisch-regressiver Wunsch nach der unmittelbaren Herstellung der „Assoziation freier Individuen“, die in der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft alle Widersprüche, vor allem den zwischen „Bourgeoisie und Proletariat“, aufheben sollten und die Verhältnisse der Produktion neu gestalten würden. Doch zunächst ging es um eine Art Umerziehbarkeit, an deren Ende das (neue) Subjekt mit „proletarischer Dynamik“ stehen sollte. Dort, wo sich am ehesten die „Avantgarderolle“ widerspiegeln würde, nämlich im „Betrieb und in der Gewerkschaft“, müsse man ansetzen. Hier sollten auch die „Zwei Linien in der Gewerkschaftsfrage“ bekämpft werden, wie die Nr. 7 des „Roten Morgen“ aus dem Juli meinte. In der Ausgabe erschien Teil I der Artikelserie: „Zum Kampf zweier Linien in der Gewerkschaftsfrage“. (7)
Darin wurde u. a. ausgeführt: „Neben dem Klassengegner, der Monopolbourgeoisie, ihren Staatsorganen und ihrer Presse, starten die Revisionisten aller Schattierungen gerade in letzter Zeit konzentrierte Angriffe auf die KPD/ML. Der Schreck ist den Führern der DKP angesichts der zunehmenden Verankerung unserer Partei in den Massen, der wachsenden Zahl unserer Betriebszeitungen, unserer Erfolge zum diesjährigen 1. Mai in die Knochen gefahren. Sie erkennen, dass immer mehr fortschrittliche Menschen den Verrat der Revisionisten begreifen und sich der KPD/ML zuwenden … Welcher Methoden bedienen sich die DKP-Führer und ihre neorevisionistischen Handlanger in anderen Organisationen im Kampf gegen unsere Partei? ... So entblöden sie sich nicht u. a. zu behaupten:
1. Wir wollen heute und jetzt den bewaffneten Aufstand
2. Wir seien gegen Gewerkschaften …
Die Absicht ihrer Behauptungen zielt darauf hin uns vor der Arbeiterklasse als 'linke' Sektierer, als Spinner abzuqualifizieren. Da sie selbst aber in ihren offiziellen Organen zu einer offenen ideologischen Auseinandersetzung zu feige oder nicht fähig sind, überlassen die die 'Drecksarbeit' arbeitsteilig sogenannten 'linken' oder sich auch marxistisch-leninistisch tarnenden Organisationen wie beispielweise dem Hamburger SALZ und KAB (Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlings-Zentrum und dem Kommunistischen Arbeiterbund). Diese neorevisionistischen Organisationen erstellten im April dieses Jahres eine Broschüre 'Was sind die Super-Linken und wie schaden sie der Sache des Proletariats?', die den DKP-Führern anscheinend so gut gefiel, dass sie sie jetzt als 'Schulungsmaterial im Kampf gegen die Linkssektierer' an ihre Funktionäre im ganzen Land verschickten …
Wie gehen nun die Herren Revisionisten und ihre SALZ-Ableger in ihrer Broschüre gegen die KPD/ML vor? Indem sie Sätze aus Verlautbarungen unserer Partei (Roter Morgen, Betriebszeitungen etc.) sinnentstellend aus dem Zusammenhang reißen oder interpretieren. Dabei kommen sie dann z. B. in der Gewerkschaftsfrage ... zu dem Schluss: 'Die KPD/ML erzählt aber den Arbeitern das alte Kapitalistenmärchen, dass es auch ohne Gewerkschaften geht, und eigentlich sogar noch besser als mit Gewerkschaften' … Worin bestehen die Unterschiede zwischen unserer Auffassung zur Gewerkschaftsfrage und der der Revisionisten der DKP und all den anderen neorevisionistischen Gruppen und Grüppchen? Einmal in der Einschätzung der Rolle des heutigen Gewerkschaftsapparates, seiner Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft. Zum anderen daraus resultierend, in der einzuschlagenden Strategie und Taktik der revolutionären Partei des Proletariats …
Für sie sind Gewerkschaften immer noch Klassenkampforganisationen der Arbeiter mit dem einzigen Fehler, dass sich einige reformistische Führer in sie hinein verirrt haben oder von den Kapitalisten hineingeschickt wurden … Aus dieser Auffassung ergibt sich für sie … die einzuschlagende Strategie und Taktik in der Gewerkschaftsfrage: 'Es kommt darauf an, die Gewerkschaften stark zu machen, die Kampfkraft der Gewerkschaften dadurch zu erhöhen, dass möglichst viele Arbeiter in die Gewerkschaften eintreten und dort aktiv für die unmittelbaren Lebensinteressen des Proletariats arbeiten … So bestätigt sich in Bezug auf die DKP, was Ernst Thälmann schon im Jahre 1929 über die Politik der Rechtsabweichler schrieb: 'Der Kampf zwischen Reformismus und Kommunismus erfährt seine besondere Verschärfung, weil er gleichzeitig ein Kampf gegen den Dreibund Unternehmertum, Staatsgewalt und reformistischer Gewerkschaftsbürokratie ist. Indem die Rechten sich bald nur auf den Kampf innerhalb des Rahmens der Gewerkschaften, innerhalb des Gewerkschaftslegalismus beschränken wollen, leugnen sie auch den Charakter der jetzigen Kämpfe. Sie können sich nicht als Anhänger der Schwanztheorie die Aufgabe der Organisierung der neuen revolutionären Welle stellen. Sie stellen noch immer die Frage der Eroberung der Gewerkschaften als Eroberung des Gewerkschaftsapparates.' …
Genau das aber tun auch die neorevisionistischen Führer des SALZ, des KAB und ähnlicher Organisationen, indem sie die Losung ausgeben: 'Macht die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen der Arbeiterklasse' … Nicht konkrete Analyse einer konkreten Situation, sondern die Partei als Gratisbeilage zur Gewerkschaft mit dem Auftrag, die ökonomischen Kämpfe des Proletariats zu fördern. Das aber hat mit Marxismus-Leninismus nicht das Geringste, um so mehr aber mit blankem Ökonomismus zu tun. Bezogen auf die heutigen DGB-Gewerkschaften, die ja gerade die Aufgabe haben, den ökonomischen Kampf der Arbeiter zu hemmen, ist das bewusster Verrat an der Arbeiterklasse. Zwar können wir hier im Rahmen des ROTEN MORGEN keine ausführliche Analyse der heutigen Gewerkschaft leisten, soviel aber steht fest, dass heute die Verschmelzung des Gewerkschaftsapparates und des staatlichen Machtapparates viel weiter fortgeschritten ist als in den späten 20er Jahren und dass sich in ihm die sozialfaschistischen Tendenzen verstärken …
Bereits kurz nach Kriegsende begannen die Westalliierten damit, die Gewerkschaften nach ihren Vorstellungen wiederaufzubauen ... Nach 1945 waren die reformistischen Gewerkschaftsführer von Anfang an am Aufbau der Staatsmacht beteiligt. Bis heute legten und legen sie ein eindeutiges Bekenntnis zum kapitalistischen Staat ab … Eine stärkere Integration des Gewerkschaftsapparates mit der Staatsmacht findet aber erst - analog zur Entwicklung der Jahre 1928/1929: Beginn der Weltwirtschaftskrise - seit dem Jahre 1966/67, dem in Erscheinung treten der ersten härteren zyklischen Krise statt. 'Konzertierte Aktion', 'Sozialpolitische Gesprächsrunde', 'Lohnleitlinien' usw. werden zur festen Einrichtung des aufeinander abgestimmten Handelns von Unternehmern, Regierung und Gewerkschaftsbürokratie ... Neben dem Verwachsen der Gewerkschaftsbürokratie mit der Staatsmacht findet im staatsmonopolistischen Kapitalismus auch ein Verwachsen dieses Apparates direkt mit dem Industrie- und Finanzkapital statt ... Wer angesichts dieser Tatsachen, angesichts der ständig fortschreitenden Verschmelzung der DGB-Bürokratie mit dem Staatsapparat und dem Industrie- und Finanzkapital davon spricht, man könne diesen Apparat durch Abwahl erobern, belügt die Arbeiterklasse genauso wie wenn er behauptet, man könne den Sturz der Bourgeoisie über den Weg der Wahlen herbeiführen. Er ist ein Revisionist, objektiv ein Verräter an den Interessen der Arbeiter.“ (8)
Der Artikel spiegelte die bereits bekannte Gleichförmigkeit der Positionen des ZK zur Gewerkschaftsfrage wider. Auf dem außerordentlichen Parteitag sollten sie in den verschiedenen Lagern zu heftigen Kontroversen führen und damit einen Trennungsstrich markieren, der u. a. die „Rechten“ von den „Linken“ trennte, die „Versöhnler, „Opportunisten“ und „Liquidatoren“ von den „wahrhaften Revolutionären“. Neben der üblichen Schlagwortterminologie fiel auf, dass das Modell „Gewerkschaften“ für die KPD/ML stets mit einer anderen Variante aufwartete. Sie verklammerten sich einmal mehr durch ihre „Verschmelzung mit dem staatlichen Machtapparat“ und würden deutliche „sozialfaschistische Tendenzen“ zeigen. Diese Aussage war nicht mehr überraschend und auch terminologisch nicht mehr zu überbieten, denn sie machte die politische Stellung des ZK, die sie als Abgrenzung gegenüber der DKP, aber dann auch der „SALZ-Konzeption“ formulierte, klar. Letztere würden sogar „Neorevisionisten“ sein, die immer noch die „Frage der Eroberung der Gewerkschaften“ stellen würden.
Doch selbst das ZK konnte durch ihre RBG (später RGO), die auch stets die außergewerkschaftlichen Oppositionsarbeit betonte, nicht erklären, was sie anstelle der DGB-Gewerkschaften tatsächlich setzten wollten. Die RGO war vielleicht nichts anderes als der Versuch, eine linke Gewerkschaftsopposition unter dem Dach der bestehenden Gewerkschaften (vor allem der IG Metall) aufzubauen. Zudem wurde sie, was aus den frühen 1980er Jahren bekannt war, ständig beobachtet und war in die Mechanismen dieses gesamten Apparates mehr oder weniger involviert. Ihre Mitglieder, die sich als Ausgeschlossene den Groll der Funktionäre zugezogen hatten, hatten außer ihrer Kampfparolenmanie wenig anzubieten, was von Interesse gewesen wäre. Dagegen hatte die GOG doch einen ganz anderen Stellenwert in der Linken. Zudem dürfte sie stärker verankert als die RGO gewesen sein und stellte doch wohl eine beträchtliche Anzahl von BR-Mitgliedern (u. a. bei Opel Bochum) in verschiedenen Unternehmen. (9)
Die „SALZ-Konzeption“, der „blanker Ökonomismus“ unterstellt worden war, passte, wie auch andere Konzepte, nicht zur KPD/ML. Schon deshalb nicht, weil deren Ideologie sich doch stark vom ZK unterschied und der „Mutter aller Parteien“ den Führungsanspruch streitig machen wollte. In „Was sind die Superlinken und wie schaden sie der Sache des Proletariats“, meinte das SALZ: „Vorzuwerfen ist den Superlinken: 1. Ihr ‚blinder‘ Führungsanspruch; denn ohne konkrete Analyse gibt es auch keine Führung. 2. Ihre wilde Phrasendrescherei, die mit aneinandergereihten Zitaten und Allgemeinplätzen eine Analyse vorzugaukeln versucht.“ (10)
Diesen „Verrat an der Arbeiterklasse“ wollte und konnte die KPD/ML nicht hinnehmen. Es ging um den historischen Pendelschlag, die Gewerkschaften „revolutionieren“ zu wollen. Wenn sie schon nicht „in Kampforganisationen umgewandelt werden könnten“, dann gäbe es nur die Alternative: Den Aufbau (neuer) „revolutionärer Gewerkschaften“, die mit der Vorstufe der RGB beginnen müsse. Die RBG (Rote Betriebsgruppen) als „Massenorganisationen“ erfüllten somit unter der Hand den Status der DGB-Gewerkschaften; denn sie dürften möglicherweise in ihrer Organisationsstruktur mit diesen sogar deckungsgleich gewesen sein (zentralistischer Aufbau, Transformierung von kleineren Betriebsgruppen zu Betriebszellen mit starker Führung, das System von Betriebsräten usw.).
Mit einem neuen revolutionäre Grundgeist ausgestattet, sollten sie nur noch in die passende Form gebracht werden. Hieß es doch in „Betrieb und Gewerkschaft“ der Zentralen Betriebs- und Gewerkschaftskommission beim ZK der KPD/ML: „In der jetzigen Etappe der Revolution ist unser allgemeines Ziel die Zerschlagung des westdeutschen Imperialismus und die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Alle unsere Anstrengungen müssen diesem Ziel dienen.“ (11)
Bezogen auf die DGB-Gewerkschaften, die den „ökonomischen Kampf“ nicht führen würden, müsse dies nun die KPD/ML tun. Die „Stellvertretertheorie“, die von vielen Durchlässigkeiten geprägt war und die sich etwa im Artikel „Kampf dem Lohnpreis-Diktat“ (12) niederschlug, war womöglich auch der „Zwei-Wege-Theorie“ diametral entgegengesetzt, wie aus einem „Protokoll der Redaktionssitzung“ des „Roten Morgen“ aus dem Juli hervorgeht. Danach war jener Artikel „ökonomistisch“. Und das Zentralorgan hätte sich zu „einem Gewerkschaftsblatt zurückentwickelt“.
Vor dem Hintergrund des außerordentlichen Parteitags war das bereits ein massiver Vorwurf und ein Hinweis auf die wachsenden Widerstände gegen, wie es später heißen sollte, „mehrere Linien“ in der Partei. Die Behandlung der „ideologischen Widersprüche“ durch das ZK, das die Koexistenz dieser Linien als offensives Konfliktverhalten betrachtete, wurde sogar, wie aus dem Protokoll hervorging, als „Unterdrückungsmaßnahme“ bezeichnet. (13)
Auch die politischen Resultate der KPD/ML-ZK gerieten zunehmend in die Kritik. Die Standpunkte zur „Zwei-Wege-Theorie“, die seit der Veröffentlichung Gegenstand heftiger Debatten waren, konnten bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vereinheitlicht werden. Deutlich brachte das das Protokoll in der Frage eines möglichen „friedlichen Weges des Imperialismus“ zum Ausdruck. Selbiger feierte zwar in der Deutlichkeit keine Wiederauferstehung, aber die Deutung eines „osteuropäischen und westeuropäischen Weges“ hielt ihn durchaus noch für möglich. Im „Protokoll der Redaktionssitzung“ las sich das so: „Der Drehpunkt war die Erkenntnis, dass der Reformismus unter verschärften Klassenkampfbedingungen durchgehalten, notwendigerweise in den Sozialfaschismus einmündete, dieser jedoch Stück für Stück sich zum Faschismus wandeln musste. Einen friedlichen Weg des Imperialismus auch nur für eine Zeit lang, konnte es von dieser Logik her nicht geben.“ (14)
„Von dieser Logik her …“ (und nicht von einer anderen, d. Vf.) konnte als ein Teil der Sozialdemokratisierung der „Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus“ durch das ZK verstanden werden; denn die Abschwächung der Idee, dass die „Konkurrenz der Supermächte untereinander“ die eigentliche Scheidelinie im europäischen Machtkampf darstellen würde, beinhaltete letztlich, dass die Beantwortung der Frage nach der zukünftigen Strategie dieser offen gelassen werden musste.
Denn: „Die heutige Lage des Imperialismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Welt von zwei Supermächten, den USA und der SU, beherrscht wird … Die anderen imperialistischen Staaten wie etwa Frankreich, England und Westdeutschland sind daher in eine 'zweitrangige Rolle' gedrängt worden.
Für sie gibt es nach unseren bisherigen Untersuchungen nur zwei Möglichkeiten: sich ENTWEDER gegen diese beiden Supermächte zusammenzuschließen und die EWG perspektivisch zu einer 'dritten Supermacht' auszubauen, ODER als Gendarm der beiden Supermächte aufzutreten gegen alle Bestrebungen, die gegen deren Einfluss gerichtet sind … Die Auseinandersetzungen, die schon seit längerer Zeit um die Vorherrschaft in Europa stattfinden - in Westdeutschland auf Parteiebene vor allem zwischen CDU/CSU einerseits und SPD andererseits, sind u. E. genau die Auseinandersetzungen um die eben genannten zwei Möglichkeiten …“ (15)
Die Theorie der „Zwei Wege“, der es immer wieder gelang zu verschleiern und zu relativieren, war für das ZK ein Verlierer. Mit immer neuen Konfliktherden, die aufgetan wurden, wollte das ZK die „tiefen Erschütterungen“ im „Lager des Imperialismus“ herauskristallisieren. Die nationale Größe Deutschlands, Hegemonie und die Vormachtstellung in Europa, bekam die Etikettierung „Entweder-Oder“ angehängt.
Offenkundig wurde die Janusköpfigkeit der „Zwei-Wege-Theorie“ in der Metalltarifrunde. In der derzeitigen Krise müsse es darum gehen: „Hauptziel muss es sein, den Einfluss in den Reihen der Arbeiterklasse zu vergrößern, die fortschrittlichsten Arbeiter für den Kommunismus zu gewinnen und an die Partei heranzuführen, die KPD/ML …
Die entscheidenden Mittel dazu sind folgende:
1. die taktisch effektivste Unterstützung der ökonomischen Kämpfe der Arbeiterklasse
2. die wirksamste Verbindung von ökonomischem und politischem Kampf
3. noch aktiveres Eingreifen in die ideologische Krise.
Die Hauptforderung bei Unterstützung dieser Sache auf ökonomischem Gebiet ist die Forderung 15% gleich 1 DM! Der Hauptschlag ist hier gegen die Sozialdemokratie in der Regierung, gegen die Regierung des westdeutschen Imperialismus zu führen. Dabei steht AN ERSTER STELLE der Kampf gegen das Lohndiktat, gegen die Streikunterdrückung, gegen den Reformschwindel, gegen das Schlichtungswesen, gegen Polizeieinsätze usw. usf.
Ziel muss es gerade hier sein, die beiden Seiten der Kämpfe (ökonomische und politische) so zu beeinflussen, dass die politische gestärkt wird. Dies wird sofort an einem Beispiel deutlich: bei Polizeieinsatz verändert sich die Qualität der Kämpfe, hier gilt der Kampf dem Staatsapparat, dieser Kampf ist politischer Natur …
Der Kampf gegen die Kollaboration von SPD-Regierung und US-Imperialismus. In diesem Zusammenhang sind die kommenden Devisenverhandlungen wichtig, MTR und Devisenverhandlungen lassen sich gut miteinander verbinden: die Yankees fordern X-Milliarden, die erhalten sie - die Arbeiter fordern einige Millionen und bekommen nichts …
Der Kampf gegen die Kollaboration von SPD-Regierung und SU-Sozialimperialismus auf Kosten der Kollegen in der DDR und Westberlins. Kampf gegen den modernen (DKP) Revisionismus … Der Kampf gegen die Expansion des westdeutschen Imperialismus in der '3. Welt'. Gerade im Chemie-Streik wurde offenkundig, warum die Monopole auch hier Ruhe an der Lohnfront brauchen. Ihre Profite gehen zurück, dies beschneidet auch die Möglichkeiten des Kapital-Exports, der Direktinvestitionen in diesen Gebieten, die Arbeiter sollen also dafür herhalten, dass ihre Kollegen in der '3. Welt' noch besser ausgeplündert werden können …
Der Hauptschlag ist hier gegen die sozialdemokratische Ideologie und den modernen Revisionismus zu richten. Vor allem gegen die Mitbestimmungsideologie und den sogenannten 'Kommunismus'. Was ist Sozialimperialismus und östlicher Sozialfaschismus? ... Die Nebenseite muss hier aber unbedingt berücksichtigt werden, da sonst Sektierertum die Gefahr ist, also gegen die CDU/CSU: sie hat schon längst abgewirtschaftet, stellt keine 'Alternative' dar, ist in allen Fragen gegen die Arbeiterklasse mit der SPD grundsätzlich einer Meinung (besonders an Bundestagsabstimmungen nachweisbar), hat 'nur' Differenzen mit der Sozialdemokratie über das Wie? der Unterdrückung der Arbeiterklasse (Frage: Faschismus - Sozialfaschismus).“ (16)
Die Verbindungen der verschiedenen Wege des Imperialismus mit der 15%-Forderung, die einmal mehr in die Unsinnigkeit „gleich 1 DM“ einmündete, waren bar jeder Nachvollziehbarkeit. Gänzlich neu war die Einführung des Begriffs „östlicher Sozialfaschismus“. War bisher meistes vom „sowjetischen Sozialimperialismus“ geredet worden, so ersetzte das ZK diesen durch einen ambitiösen „Kampfbegriff“ mit radikaler Replik.
Selbst die Mittel, mit denen das ZK in der „jetzigen Krise“ eingreifen wollte, um „die beiden Seiten der Kämpfe (ökonomische und politische) so zu beeinflussen, dass die politische gestärkt wird“, waren mit den beiden Wegen verknüpft. Sie standen im Kontext mit der „latenten Faschisierung des Systems“, dass den „östlichen Sozialfaschismus“ und den Westlichen, der von der Sozialdemokratie durch „Lohndiktat … Streikunterdrückung … Reformschwindel … Schlichtungswesen (und) Polizeieinsätze …“ auf die Spitze getrieben werde und womöglich sogar als „deutsche Schuld“ begriffen werde.
Die Sozialdemokratie war in dieser „Krise“ ein Verbindungselement zwischen Abs und Strauß. Beide würden die „Faschismus-Tendenzen“ verschärfen, so das Protokoll. Zu lösen sei dieser Widerspruch nur „durch einen erneuten Faschismus“. Sie legten auch die Fundamente für die objektiven Voraussetzungen für einen neuen Faschismus. Meinte doch das Protokoll: „AUF DER EINEN SEITE (sind es) die Sozialfaschisten a la Vetter, Hauenschild, Brenner und Co (diese Bezeichnung ist angesichts ihrer Taten durchaus angebracht, wenn man ihre historischen Vorgänger betrachtet und ihre Taten auf das Wesen hin untersucht), die die Regierung in jeder nur erdenklichen Form unterstützen, sei es, um ihr bei Lohndiktat usw. behilflich zu sein, sei es, um ihr bei der Außenpolitik gegen die Abs und Strauß und bei der Innenpolitik gegen dieselben Leute in Bezug auf Mitbestimmung usw. unter die Arme zu greifen.“
Diese Diagnose, die insgesamt ein Teil der „Zwei-Wege-Theorie“ war, dürfte in sich die unveränderte Übernahme der Faschismus-Theorie der KPD und der Komintern gewesen sein, die womöglich, wie oben aufgezeigt, noch einmal gesteigert worden war. Es war nicht nur die gegenwärtige ökonomische Ordnung, sondern auch die universellen Taten der „Sozialfaschisten“, die politisch ihr Netz immer dichter knüpften, um reibungslos ihr Krisenprogramm durchzusetzen. Die Sozialdemokratie sollte von der KPD/ML vorgeführt werden. Sie sollte sich selbst entlarven und sollte entlarvt werden. Die Metalltarifrunde 1971 geriet daher zunehmend in den Hintergrund.
Das Protokoll führte aus: „Aus dem oben Gesagten wird klar, dass es nicht nur um einige Prozente mehr oder weniger geht … Es wird im Herbst vor allem um Politik gehen, darum, wie lange sich die Regierung noch halten wird, ob es ihr gelingt, hier Kämpfe abzuwürgen und das Lohndiktat reibungslos durchzusetzen, die linken und revolutionären Kräfte zurückzudrängen mittels Verbotsanträgen usw …
Wir werden also mit Machtkämpfen zweierlei Art zu rechnen haben: Einmal der Kampf innerhalb der Bourgeoisie selbst, zum anderen der Kampf der Bourgeoisie gegen die erwachende Arbeiterklasse. Letzteres ist natürlich das wichtigere, wird aber vom ersteren mit bestimmt … Waren die anderen Tarifabschlüsse hinsichtlich Lohndiktat 'nur' Geplänkel, so steht im Metallbereich der entscheidende Zeitpunkt für das Lohndiktat bevor …
Gerade in der äußerst wichtigen Metallindustrie (einer der Trümpfe der westdeutschen Imperialisten) ist es notwendig, angesichts der beginnenden Krise für Ruhe an der Lohnfront zu sorgen. Ein Abschluss wie im letzten Jahr darf daher nicht Zustandekommen …“ (17)
Es ging also gar nicht mehr um „einige Prozente mehr oder weniger“, obwohl diese immer die Grundpfeiler in den Tarifrunden darstellten, sondern um die Frage danach, „wie lange sich die Regierung noch halten wird, ob es ihr gelingt, hier Kämpfe abzuwürgen und das Lohndiktat reibungslos durchzusetzen“. Eine Abkehr von der bisherigen (Lohn-)Politik des ZK schien sich damit durchgesetzt zu haben. Und auch ein „Abschluss wie im letzten Jahr darf daher nicht Zustandekommen“ erinnerte eher an die Entpuppungsform der KPD/ML an der politischen Front. Eine Lösung dieser vertrackten Situation sah sie u. a. im „Kampf der Bourgeoisie gegen die erwachende Arbeiterklasse“.
Doch die Bourgeoisie, die mit dem „Kampf der erwachenden Arbeiterklasse“ wenig anfangen konnte, war auch kein Beleg für die These, die proletarischen Massen gegen sie in den Kampf zu führen. Das Treibende für die KPD/ML war vielmehr der Aktionismus, der nun, wie hier, Klasse gegen Klasse setzen würde. Überspitzt formuliert wartete vielleicht die KPD/ML sogar darauf, dass die SPD-Regierung gestürzt würde, damit man endlich den Beweis für die These des „Sozialfaschismus“ beibringen konnte.
Das „Lohndiktat“ gehörte zu den seltensten Erfindungen der ml Bewegung. Es dichtete den Gewerkschaften und der Regierung an, dass sie die Löhne nach ihrem Gutdünken gestalten würden. Indem sie als Beratungsstellen und selbsternannte Ausschüsse auftraten und mögliche Konflikte „aufheben“ würden, würden sie, wie der „KDAJ“ Nr. 7 vom Juli meinte, die „gewerkschaftlichen Rechte der Arbeiterklasse“ aushebeln. Die Ausgabe des Jugendverbandes des ZB betitelte diese Ausgabe sogar mit: „Wehrt euch gegen Lohndiktat und Zwangssparen.“ (18)
Doch ganz anders als noch in den 1950er und 1960er Jahren war der materielle Zuwachs vers. Sicherstellung der Löhne in den 1970er Jahren Fakt, was nicht heißt, dass die Lohnpolitik, wie sie von den Gewerkschaften praktiziert worden war, vom Tisch war. Hier geht es nur darum, jene Forderung(en), die in der ml Bewegung als Vorreiter für alle Tarifkämpfe schlechthin verstanden worden war, zu „entkleiden“, und sie in den Zusammenhang mit ihrer betrieblicher Politik zu stellen.
Das verfügbare Einkommen der Arbeiterhaushalte, namentlich der vielen Doppelverdiener, stieg zu dieser Zeit kontinuierlich an. Die Löhne sollten sich über Lohnerhöhungen und teilweise über andere innerbetriebliche Absicherungen (tarifliche Eingruppierungen im Rahmen der Verakkordierung) sogar flexibel gestalten, und ein „erhöhtes Einkommen“ und die „soziale Sicherheit glichen sich sichtbar an“, wie Hans-Ulrich Wehler schreibt. (19) Zwar sollte die gescholtene SPD-Regierung sich auf marginale Zuwächse einschießen, die vor allem mit dem Wirtschaftsministerium abgesprochen worden waren, doch die autonome Lohnpolitik der Gewerkschaften war nicht in dem Maße angetastet worden, wie die K-Gruppen meinten oder vermittelten. Vor allem wurde sie nicht an die berühmte Kette gelegt. Denn das wäre ein äußerst reaktionärer Vorgang gewesen, der möglicherweise tatsächlich zu einer Radikalität in der Arbeiterschaft geführt hätte.
Sicherlich gab es in den 1970er Jahren „tarifliche Verabredungen“. Doch das als „Lohndiktat“ bezeichnen zu wollen, erscheint mir doch sehr übertrieben, weil „Diktat“ immer den Ruch eines militärischen Befehls infolge einer Niederlage in einem Konflikt hat. Das waren die sog. „Lohnleitlinien“ sicherlich nicht. Sie waren das Resultat eines verzwickten ökonomischen Kurses, den die damalige Bundesregierung steuerte. Es waren die uneingelösten Versprechen nach einem allgemeinen Wohlstand für alle, die ins Leere liefen, eine Mischung des „Maßhaltens“ (Ludwig Erhard) und der wachsenden sozialen Ansprüche, die sich tot zu liefen schienen. All das verhalf der Konjunktur nicht zu einer „triebhaften Lohnpolitik“. Mögliche staatliche Eingriffe in die Lohndebatte hatten nicht dazu geführt, dass die Gewerkschaften sich ihrer Freiräume beraubt sahen.
Das „Lohndiktat“, der Anlass für die maoistischen Gruppen, das „sozialfaschistische“ Netz der SPD zu spinnen, ging auch nicht auf die Brandt-Regierung zurück, sondern auf einen der Vordenker der neoliberalen Wirtschaftspolitik, auf Alfred Müller-Armack, der ab 1952 im Wirtschaftsministerium unter Erhard arbeitete. Seine „Leitlinien“ für die „Soziale Marktwirtschaft“ gipfelten in dem berühmten Satz der „Übererregtheit der Verbände“. (20) Ob der Arbeitsmarkt in Zeiten der Vollbeschäftigung und der Assimilierung der Löhne tatsächlich auch die Voraussetzungen für eine breite Mobilisierung im Lohnkampf (z. B. für einen tatsächlichen 15%-Streik) hätte schaffen können, darf generell angezweifelt werden. Das ZK sah die Entwicklung an der Lohnfront 1971 auf dem Zenit angekommen. Eine „Extra-Ausgabe“ der „Zündkerze“ der RBG der KPD/ML-ZK für Opel meinte am 1. Juli 1971: „In solch einer Situation haben all unsere Gegner nur ein Interesse: Die Arbeiterschaft nicht stark werden zu lassen, vor allem nicht ihren linken Kern. DESWEGEN Lohndiktat, Verbotshetze usw.! ... Schon heute ist die Inflationsrate so hoch, dass jeder Abschluss unter 10% defacto einem Lohnstopp gleichkommt.“ (21)
Einen „Lohnstopp“ gab es weder 1970 noch 1971. Selbst darüber hinaus nicht; denn er hätte ja die Arbeitsmarktmechanismen außer Kraft setzen und einer Zentralverwaltungswirtschaft zur Macht verhelfen müssen. Der Eingriff des Staates in den Arbeitsmarkt hielt sich in den 1970er Jahren in Grenzen. Ein letztes Mittel, „defacto“, wie die „Zündkerze“ meinte, eine Stabilisierungspolitik des kapitalistischen Staates durch ein Einfrieren der Lohnhöhe zu erreichen, war damit vom Tisch. Das „Lohndiktat“, das alles war, aber nichts Genaues, dürfte zu den vielen Mythen der maoistischen Bewegung gehört haben. Was es tatsächlich aufdeckte, war eine gewisse Regulierung des Arbeitsmarktes, bei der Gewerkschaften und Regierung eine Zusammenarbeit („Brand und Vetter Hand in Hand“, wie eine Ausgabe der „Roten Fahne“ des Zentralbüros meinte) probten. Dass das eine mögliche „Verräterei“ war, sollte gesagt werden dürfen.
Der Lohnkampf 1971, der reich an Wendungen war, war für die KPD/ML möglicherweise ein Experiment. Der rein zweckmäßige Charakter, auf 15% zu insistieren, lief bekannterweise ins Leere. Somit dürfte es nur um die Initiierung von Massenprotesten gegen die Gewerkschaftsführung gegangen sein. Die KPD/ML hing sich einfach an Lohnforderungen, die aus dem gewerkschaftlichen Bereich kamen, an, ohne sie in irgendeiner Weise überprüft zu haben. Und machte jene Forderungen zu ihren eigenen, teilweise hielt sie es sogar für richtig, sie zu ergänzen oder zu erweitern.
In der am 5. Juli 1971 erschienenen „Zündkerze“ der RBG für Opel Rüsselsheim (wohl ehemals „Roter Metaller“, d. Vf.) meinte die Gruppe zum „Lohnkampf 1971“:
„Forderungen:
1. 15% gleich 1 DM ab 1.10.1971
2. Tarifliche Absicherung des Effektivlohns
3. 13. Monatslohn (tariflich abgesichert)
4. Volle Bezahlung des 24.12. und Sylvester
5. Wegfall der Lohngruppen 1 und 2
6. Voller Lohnausgleich bei 6 Std. Samstagsschicht
7. Weg mit dem Punktebewertungssystem: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit …
DAS SIND DIE RICHTIGEN FORDERUNGEN! Sie stützen sich auf genaue Untersuchungen …
BEDEUTEN 15% EINE VERBESSERUNG?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten wir dann viel erreicht, wenn wir diese Forderung durchgeboxt haben. In Wirklichkeit ist die Durchsetzung dieser richtigen und notwendigen Forderungen ein Verteidigungskampf. Wir müssen uns das zurückerkämpfen, was uns die Kapitalisten durch Preistreiberei und Steuererhöhungen im letzten Jahr geraubt haben. Bis zum nächsten Lohnkampf 1972 wird sich unsere Lage noch mehr verschlechtern. Die Kapitalisten der ganzen Welt befinden sich in einer immer stärker werdenden Wirtschaftskrise. Der Konkurrenzkampf um Absatzmärkte verschärft sich täglich …
15% gleich 1 DM ist keine Verbesserung. Kollegen, keine Illusionen, die Bonzen werden unsere Lage weiter verschlechtern, weiter Preise erhöhen, weiter die Inflation beschleunigen. Doch wir müssen jeden Angriff durch Lohnkampf und Streik zurückschlagen! Erst wenn die Arbeiterklasse sich einig wird, und geführt von der Partei des Proletariats, der KPD/ML, dieses verfaulte und verlogene System stürzt, erst wenn wir den deutschen Arbeiterstaat aufbauen, dann verbessert sich unsere Lage grundsätzlich …
Die Forderungen sind richtig, doch wie können wir sie durchsetzen? NUR DURCH STREIK, unserer einzigen und wirksamsten Waffe. Denn am Verhandlungstisch der Konzertierten Aktion verraten uns die IGM-Bürokraten wie im letzten Herbst an das Kapital. Ja, selbst eine IGM-Forderung von 10% auf den Ecklohn ist angesichts der Preistreiberei ein glattes Almosen …
Unser wirksamstes Mittel ist die Einheit und Solidarität der Kollegen untereinander. In den Abteilungen müssen sich die zuverlässigsten und standhaftesten Kollegen zu STREIKRÄTEN zusammenschließen und sich schützend vor die Kollegen stellen. Alle anderen Kollegen müssen hinter dem Streikrat stehen und ihm den Rücken stärken. Alle Abteilungen wie ein Mann hinter dem Streikrat! Schon jetzt müssen wir uns durch Gespräche miteinander auf den Lohnkampf vorbereiten. Wir müssen mit unseren V-Leuten die Forderungen durchsprechen und sie kontrollieren, ob sie sie auch wirklich vertreten. Auch mit der Frau zu Hause über die Forderungen sprechen, denn die haben einen besseren Überblick über Preissteigerungen. So bereiten wir uns richtig auf den Lohnkampf vor. Der Kampf muss ein weiterer Schritt zur Einheit der Opelarbeiter sein. Die Parole heißt:
MANN DER ARBEIT AUFGEWACHT UND ERKENNE DEINE MACHT, ALLE RÄDER STEHEN STILL, WENN DEIN STARKER ARM ES WILL!“ (22)
Das war mehr als nur heiße Luft. Der Artikel spiegelte nicht nur das Labyrinth wider, in dem sich die KPD/ML befand, sondern auch eine armselige Rhetorik, die in Erinnerung rief, dass die aberwitzigen Theorien zur Grundstruktur der Gruppe gehörten. Zum einen sollten nun „15% gleich 1 DM keine Verbesserung“ sein, was nach dem bisherigen Vorstellungen der KPD/ML zum Tarifkampf schwer zu begreifen war, zum anderen seien „die Forderungen richtig“ und sie müssten sich „durch Gespräche miteinander auf den Lohnkampf vorbereiten“.
Hier attestierte sich die KPD/ML selbst ihr Unvermögen. Stets davon beseelt, mit den „standhaftesten Kollegen Streikräte“ zu bilden und die „Führung durch die Partei des Proletariats, der KPD/ML“, ins Gespräch zu bringen, glich dieser monströse Sermon der endlosen Wiederholungen einer defekten Schallplatte auf dem Spieler. Lange schon bevor die KPD/ML in die „Klassenkämpfe“ eingriff, hatte sich der Abbau der Konfliktelemente weitgehend durchgesetzt. Nur eine kurzsichtige Euphorie würde dazu führen, der sog. Streiksituation in den 1970er Jahren bescheinigen zu wollen, dass sie zu einer Neurekrutierung geführt hätte. Und damit an die Weimarer Zeit anknüpfen.
Der „Lohnkampf“, wie ihn die KPD/ML führte, war insgesamt eine höchst spezifische Erbschaft der KPD, nur nicht so brutal, wie sie ihn teilweise geführt hatte. Unter den Bedingungen der damaligen Zeit drehten sich diese Lohnauseinandersetzungen schnell ins Politische. Doch zum Mythos der K-Gruppen gehörten nicht nur die 15%, sondern auch die Nichterinnerung an die Mentalität dieser Jahre. Die KPD/ML war einfach nicht dazu in der Lage, eine halbwegs eigenständige Politik auf die Beine zu stellen. Außer ihren Erbhöfen hatte sie nichts, worauf sie sich berufen konnte.
Das Ziel, sich gegen „das Lohndiktat der SPD-Regierung“ zu wehren, hatten KPD/ML-ZK und KPD/ML-ZB gemeinsam auf ihre Fahnen geschrieben. Die „Rote Westfalenwalze“ der Betriebsgruppe Hoesch Dortmund des Zentralbüros vom 5. Juli 1971 meinte schon kindisch: „Wir Arbeiter lassen uns den Lohn nicht diktieren. Wir lassen uns nicht vorschreiben, womit wir leben sollen. WIR MÜSSEN FORDERN, WAS WIR BRAUCHEN: 15%!“
Wie die KPD/ML-ZK, so tendierte auch das ZB zur Vorstellung, dass die „Knebelung des wirtschaftlichen Kampfes“, eine „Verstaatlichung der Gewerkschaften“ mit sich bringen würde. Im Mittelpunkt dieser wurde das „Lohndiktat“ stehen.
„LOHNDIKTAT heißt Knebelung des wirtschaftlichen Kampfes. LOHNDIKTAT heißt ein entscheidender Schritt zur Verstaatlichung der Gewerkschaften. Das gab es schon einmal unter Hitler, als in der Deutschen Arbeitsfront (DAF, d. Vf.) Arbeiter und Kapitalisten zwangsvereinigt und die Löhne staatlich festgelegt wurden. LOHNDIKTAT heißt 'Maß halten' für die Arbeiter, Gelder für das Finanzkapital, Gelder für die Aufrüstung. LOHNDIKTAT heißt für die Eroberungspläne der BRD-Kapitalisten, was Arndt gefordert hat: 'Ruhe an der Heimatfront' …
UNSER FEIND STEHT IM LAGER DER SPD-REGIERUNG!
UNSERE WAFFE GEGEN IHN IST DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI! ...
KOLLEGEN, NEHMT DEN POLITISCHEN KAMPF AUF, INDEM IHR DIE KPD/ML STÄRKT …“ (23)
Im Gesamtkonzept des erstarkten Faschismus in der BRD, wie er seit der Jugend- und Studentenbewegung herumgeisterte, hatte das „Lohndiktat“ eindeutig eine Zuträgerrolle. Die äußere und innere Sicherheit der BRD waren möglicherweise dadurch sogar gefährdet. War das „Lohndiktat“ in der Vorstellung der KPD/ML etwa eine Facette eines möglichen Nationalismus, der den Ruf nach einem politischen Messias, der die Arbeiter aus ihrer Not retten würde, beinhaltete?
Die KPD/ML-ZK meinte am 9. Juli in der Nr. 6 ihrer Zeitung „Metallbetriebe - KPD/ML informiert“, die u. a. auch vor der Westfalenhütte zur Verteilung gebracht worden war: „Belegschaftsversammlung Westfalenhütte. Statt 15% Lohnerhöhung, 150% Antikommunismus“. Danach hat die Versammlung nicht die Verabschiedung der 15%-Forderung gebracht. Die KPD/ML-ZK rief dazu auf: „Euch auf der Westfalenhütte und auf allen Hütten Westdeutschlands stehen nun die Lohnkämpfe bevor. Seid einig in eurem Handeln. Seid einig in eurer Entschlossenheit. Seid einig im Kampf. Von den Besten von Euch, Kumpels, wird in der nächsten Zeit viel gefordert werden. Mit der organisierten Arbeiterklasse, mit deiner Partei, mit der KPD/ML zum Sieg.“ (24)
„Von den Besten“ verlangte die KPD/ML ähnliches wie von sich selbst. Die Wendung war noch nicht mal originell. Auch hier wurden die 15% mit dem demnächst (in der Wortwahl des ZK „in der nächsten Zeit“) stattfindenden Kampfes in Verbindung gebracht, der die „organisierte Arbeiterklasse“ im popularisierten Sinne inszenierte. Das ZK verband das Schicksal der „kommenden Lohnkämpfe“ fast schon mit seinem eigenen Schicksal. Denn würden sie („die Besten von Euch“) nicht im Kampf als Sieger hervorgehen, dann könnte die „KPD/ML auch nicht gestärkt“ werden. Und alle Aktionen wären somit in Frage gestellt.
Tiefergehende Interpretationen erübrigten sich an dieser Stelle schon fast. Am 8. Juli meinte die OG Würzburg der KPD/ML-ZK, dass überall die „Gewerkschaftsbonzen zu verhindern (suchten), dass die 15% Forderung aufgestellt würde“. Und namentlich wurde Hoesch stellvertretend für alle anderen Betriebe genannt. (25) Das war natürlich so nicht richtig. Aber wen interessierte das wirklich? Es entstand eine Situation, in der all das, was die Verhandlungsposition der IG Metall anbelangte, sowieso von vornherein als „Verrat“ eingestuft wurde. Da war es unerheblich, ob mit 15%, 20% oder gar 25% kokettiert wurde. Lediglich war es die mögliche Unruhe, die interessierte, oder das Schüren dieser durch die KPD/ML.
15% war eine Art Generalprobe, wie die OG Würzburg der KDP/M-ZK am 12. Juli in einem Flugblatt meinte: „GENERALPROBE FÜR METALLTARIFRUNDE. DREIEINIGKEIT ERZWINGT LOHNSTOPP … Überall versuchen die Gewerkschaftsbonzen zu verhindern, dass die 15% Forderung aufgestellt wird. Auf der Belegschaftsversammlung der Dortmunder Hoesch-Westfalenhütte versuchten sie es, indem sie krakeelten: 'Der IGM-Vorstand muss die Lage noch prüfen, vielleicht sind sogar 20 oder 30 Prozent drin!' So gelang es ihnen zu verhindern, dass überhaupt eine Forderung festgemacht wurde. Aber wir lassen uns nicht für dumm verkaufen, es bleibt dabei: Woran sollen wir gewöhnt werden? Dass wir zwar ruhig laut nach mehr Lohn rufen dürfen, dass es aber nicht mehr Lohn gibt, als die DREIEINIGKEIT von STAAT, GEWERKSCHAFT und KAPITAL erlaubt …“ (26)
Die Lohnpolitik des ZK war eine von vielen Schlachten, die geführt werden müssten. Gegen „Staat, Gewerkschaft und Kapital“ zu kämpfen, war ein schwieriges Unterfangen. Der Propaganda der KPD/ML tat das keinerlei Abbruch. Derartige Konflikte, die hier heraufbeschworen worden waren, endeten meist in einer wilden Strategie, die sich stets veränderte. Niemals konnte unter diesen Bedingungen irgendein ausgehandeltes Ergebnis der IG Metall akzeptiert werden. In der Regel wurde es abgelehnt, was auch darauf schließen läßt, dass die Kernresultate einer Einkommenspolitik für das ZK unwichtig waren. Die Rote Betriebsgruppe Noell-Salzgitter der OG Würzburg der KPD/ML-ZK ging sogar in einem Flugblatt vom 12.7. davon aus, dass die „Dreieinigkeit“ einen Lohnstopp „mit oder ohne Urabstimmung“ durchsetzen werde. (27) Insofern stand alles wiederum zur Disposition.
Andere Akzente setzte die Gewerkschaftsbroschüre der Gewerkschaftsabteilung der KPD/ML-ZB „Grundlagen und Taktik der Gewerkschaftsarbeit der KPD/ML“, die vermutlich am 10. Juli erschienen war. Ausgeführt wurde dort u. a.: „Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass sich die KPD/ML am Beginn der dritten Periode der ersten Etappe ihrer Entwicklung befindet. Gerade in dieser Periode orientiert sich die Partei stärker auf den Kampf in den Betrieben und Gewerkschaften, auf die Gewinnung der Fortgeschrittensten Arbeiter für die Partei …“
Für diese Aussagen gab es ökonomisch-praktische Gründe; denn worauf sollte sich die KPD/ML sonst beziehen? Die Etappentheorie, die womöglich nur in beiden Fraktionen der KPD/ML diskutiert worden war, legte nahe, dass sich mit ihr der Standort der Gewerkschaftsarbeit ändern würde, wenngleich die Orientierung dabei auch stets auf „Gewinnung der Fortgeschrittensten“ lag. Notgedrungen musste das ZB Aufgaben in den jeweiligen Etappen konstruieren, damit überhaupt ein Gerüst sichtbar wurde. Als gewerkschaftliche Aufgaben der KPD/ML-ZB wurden genannt: „Abgrenzung des politischen Kampfes vom wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Kampf; die Unterscheidung der Organisationsprinzipien von Partei und Gewerkschaft; der ideologische Kampf gegen alle ökonomistischen Zirkel, die den Kampf der Arbeiterklasse nur auf gewerkschaftlicher Ebene entwickeln wollen, die Bildung einer festen politischen Organisation, der marxistisch-leninistischen Partei.“
Unter diesen Umständen blieb das Abgrenzungs- und Oppositionsgerede nur ein laues Lüftchen, dass angesichts mangelnder Alternative nunmehr als pragmatische Strategie verstanden werden musste, die in die „Bildung einer festen politischen Organisation, der marxistisch-leninistischen Partei“ einfließen sollte. Die KPD/ML meinte, dass sich hier auch der „Unterschied von Gewerkschaftsorganisation und Partei“ widerspiegeln würde: „Die Partei nimmt dabei von Anfang an durch ihre Massenagitation am gewerkschaftlichen Kampf teil, sie erobert die ideologische, aber noch nicht die organisatorische Führung". Erst in der dritten Periode der ersten Etappe (der Entwicklung der Kader zur Arbeiterpartei und Auffüllung der Partei mit neu mobilisierten Parteiarbeitern, d. Vf.) „erhält die Arbeit in den Gewerkschaften eine weitere Bedeutung, die sie schon langsam über die Stufe der Massenagitation hebt … Die Partei muss aber schon in der ersten Etappe, in der ihre Taktik noch sehr begrenzt ist, eine möglichst feste Verbindung mit dem Industrieproletariat herstellen, das wichtigste Mittel dabei ist die Betriebsorganisation …“
Mit arrogantem Gestus setzte die KPD/ML-ZB Massenproletariat gegen die Fortschrittlichsten der Klasse. Das alte orthodoxe Lied, dass die „Arbeiterklasse bei allem die Führung inne haben muss“, die These von der Führerschaft des Proletariats“ also, war in sich diskriminierend, eine antiquierte Lehre, die auf eigentümliche Renaissance insistierte. Gemessen an dem rhetorischen Aufwand, den die KPD/ML betrieb, war das Ergebnis gleich Null, letztlich aber wohl dem engen Horizont dogmatischer Denkformen geschuldet.
Schicht kontra Klasse (Masse) sollte ebenfalls in das Interessenzentrum rücken. In der „zweiten Etappe des Parteiaufbaus“ ginge es nun (eigentlich nur!) um „die Gewinnung der breiten Arbeiter- und Bauernmassen für die Partei“ und „die Vorbereitung der Massen auf den Kampf um die Macht“. Die Arbeit in den Gewerkschaften würde nun „eine sehr große Bedeutung für die Partei“ haben.
„Der Grund ist einfach: Die Gewerkschaften sind die Organisation, in der die Mehrheit der Arbeiterklasse organisiert ist und in dieser Etappe ist die grundlegende Aufgabe ja gerade die Gewinnung der Mehrheit ... Die zentrale Aufgabe dieser Etappe ist die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse … Die wichtigste organisatorische Aufgabe zur Vorbereitung der Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse ist die Umwandlung der kommunistischen Parteien in wirkliche Massenparteien, also in Parteien, die nicht nur Masseneinfluss haben, sondern wirklich Arbeitermassen in sich vereinigen … Diese Umwandlung wird einmal dadurch vollzogen, dass die Betriebszellen zu wirklichen politischen Grundeinheiten der Partei werden und dann durch die Vervielfachung der Gewerkschaftsarbeit ... Die Aufgabe, die kommunistischen Parteien in Massenparteien umzuwandeln, erfordert die breite und systematische Organisierung der Gewerkschaftsarbeit mit einem ganzen Netz von Hilfs- und Sympathisantenorganisationen …“
Die zweite Phase war genauso unverbindlich wie die erste. Es gelang nicht, die These von der „Gewinnung der Mehrheit“ überzeugend zu unterfüttern. Vielmehr regierte die Schere der Ungleichheit zwischen den organisatorischen Aufgaben und demzufolge der Umwandlung in Betriebszellen, die den kollektiven Motor anheizen sollten. Diese Interpretation negierte verblüffend die bisherige Stellung der KPD/ML zu den Gewerkschaften, denn von einer „systematische Organisierung der Gewerkschaftsarbeit mit einem ganzen Netz von Hilfs- und Sympathisantenorganisationen …“ war bisher gar nicht die Rede. Und eine Alternative, etwa zur GOG oder RGO, hatte das ZB gar nicht anzubieten.
Daher musste auch die „dritte Etappe des Parteiaufbaus“ (d. h. die Etappe der Ergreifung der Macht) ohne Flexibilität auskommen. Es hieß nur lapidar: „Sie (die Gewerkschaften, d. Vf.) stellen die wichtigste Reserve für die proletarische Partei dar. Sie sind Teilhaber an der Staatsmacht; Leitungsorgane beim Aufbau der Wirtschaft; Organe zum Schutz der Arbeiter …“
Hier wurde einfach das schwammige Konzept aus der Weimarer Zeit auf die Verhältnisse der 1970er Jahre übertragen und verabsolutiert. Dass die Gewerkschaften dort nur in der Klassen- und Hierarchietheorie überhöht worden waren und nicht den Einfluss hatten, den das ZB ihnen mit Macht andichtete, sollte bekannt sein. Selbst der Aufbau des Sozialismus in der UdSSR war nicht jener „Transmissionsriemen“, der ihnen zugesprochen worden war, sondern sie waren, wie etwa die Blockparteien in der DDR, auf den Status der Gehorsamsbereitschaft und der Systemloyalität niedergedrückt worden. Ihr Verzicht auf die aktive Einflussnahme der Politik war ein Fakt. Als parteiischer Büttel waren sie o. g. Modell auch verpflichtet, und ihre Kader waren durch ihre erzwungene Parteimitgliedschaft direkt mit der Hierarchie des Staatsapparates willfährig verknüpft.
Die Gewerkschaftsarbeit der KPD/ML war insgesamt von der These bestimmt, dass „am Beginn einer Flut der revolutionären Entwicklung“ die Aufgabe darin bestehen müsse, „die Aktivität der Massen zu entfalten, sie von den sozialfaschistischen Führern zu lösen und diese zu isolieren, starke Betriebszellen aufzubauen, die Fraktionsarbeit in den Gewerkschaften zu beginnen, den Massen bei der Entwicklung neuer Kampfformen zu helfen und die Kämpfe auf eine höhere politische Stufe zu heben …“
Hier interessiert die „Fraktionsarbeit in den Gewerkschaften“. Was sie sein sollte oder was sie war, wurde nicht erklärt. Allein der Aufbau von Betriebszellen (als innergewerkschaftliche Arbeit gedacht) wäre ein Hinweis darauf, dass über sie der Einfluss der Kommunisten in den Gewerkschaften gestärkt werden könnte. Das unterstrich eher, dass das Bild der KPD/ML von der Arbeit in den Gewerkschaften in der unsinnigen Theorie bestand, gewerkschaftliche Kämpfe auf eine „höhere politische Stufe“ heben zu können. Die reinen ökonomischen Auseinandersetzungen in den 1970er Jahren waren, was die Lagebeurteilung anbelangte, erkennbar überhöht. Das ZB sprach in diesem Zusammenhang sogar von den „fortgeschrittensten Streiks“, die sich „gegen die Verrätereien der SPD-Regierung und ihre Handlanger in der Gewerkschaftsführung“ richten würden.
Dieser Krisendiskurs entsprach dem pessimistischen Abgesang auf die Sozialdemokratie. Sie wurde nur als Zerstörung wahrgenommen. Das apodiktische Urteil, frei nach Kurt Tucholsky, dass „das bürgerliche Zeitalter dahin sei“, hieß nun: „Das Zeitalter der Sozialdemokratie“ ist dahin. Daher schien es für das ZB so, als seien einige Spitzfindigkeiten etwaiger linker Betriebsräte prinzipiell gegen die Sozialdemokratie gerichtet. Sie verschmolzen stets mit dem „Aufschwung der Arbeiterklasse“, dem Gerede von einer „linken Tendenz“, oder einfach den schon erwähnten Streiks, die gegen die SPD-Regierung und die Gewerkschaftsführung gerichtet seien.
Die Gewerkschaftsarbeit der KPD/ML kann allgemeinhin als schwammige Oppositionslinie durchgehen. In diesem Zusammenhang meinte das ZB, sich von der „massenfeindlichen und liquidatorischen Linie der Gruppe 'Roter Morgen' abgrenzen“ zu müssen: „Die Gewerkschaftsfrage war ein sehr wesentliches Feld der Abgrenzung. Die Partei hat ihre Linie zur Gewerkschaftsarbeit nicht unabhängig von der politischen Arbeit und der Massenarbeit erprobt. Die entscheidende Schlacht hierfür war die Metalltarifrunde 1970, als der Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung und für die volle Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen auf der Tagesordnung stand. Diese Kämpfe zeigten, dass der Hauptstoß im Moment gegen die SPD-Regierung geführt werden muss, weil sie mit Hilfe ihrer Agenturen - der Gewerkschaftsführer und der Revisionisten – die Arbeiterklasse spaltet und die wichtigste soziale Stütze der Bourgeoisie darstellt. Diese Kämpfe zeigten weiter, dass in der beginnenden Flut das Schwergewicht des Kampfes im Betrieb liegt, dass die Linie, kühn neue Betriebsgruppen aufzubauen, richtig ist. Diese Kämpfe zeigten schließlich, dass nicht der Aufbau neuer Gewerkschaften, sondern die konsequente Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften mit dem Ziel ihrer Eroberung notwendig ist, weil die rechten Gewerkschaftsführer trotz aller Verrätereien noch einen gewissen Masseneinfluss in der Arbeiterklasse haben …“
Das war nicht nur eine beispiellose Lüge, die, wie viele andere auch, vom Parteivolk gar nicht registriert worden war, sondern der traditionsfixierte Blick auf das Netzwerk in den Betrieben, den Gewerkschaften, jene kapitalistische Steuerungsanlagen, die mit vielerlei betrieblichen Schachzügen, mit Information und Koordination, mit Vertrauensvorschuss und Rivalitäten und so manchen Raffinessen politische Strukturen zu installieren half. Das Ziel sollte nach dem ZB ihre „Eroberung“ sein, wogegen sie sich bisher vehement gewehrt hatte. Angemerkt sei, dass sie gleichzeitig einen Affront gegenüber der Gruppe „Roter Morgen“ beinhaltete, denn „die Kämpfe (gemeint war die MTR 1970, d. Vf.) zeigten, dass es nicht darum gehen würde, „neue Gewerkschaften aufzubauen“.
In der Polemik gegenüber dem ZK baute das ZB ein sog. Sicherheitspolster auf. War doch die eigene Position gegenüber dem ZK relativ schwach auf den Beinen. Ähnliches behauptete auch das ZK. Es zog nur andere Konsequenzen. Im Grunde waren beide Positionen gleich. Es kann hier nicht erkannt werden, dass die eine stabiler und die andere unstabiler war. Eine Überlebensfähigkeit hatte keine von beiden. Ständig ging es nur um Aufstieg und Zerfall, Niedergang, Aushöhlung oder Auflösung. Der Krisendiskurs war es, der stets neue Blüten hervorbrachte.
Dass die MTR 1970 eine „entscheidende Schlacht“ gewesen sein soll, die als „Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung und für die volle Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen“ geführt wurde, war stets der integrale Bestandteil der Propaganda beider KPD/ML-Gruppen. Insofern kann es nicht verwundern, dass es hier eine Kompatibilität zur MTR 1971 (und darüber hinaus auch zu allen andern Metalltarifverhandlungen) gab. Beide Gruppen sprachen ja von einer „faschistischen Verwaltung“ der Arbeiterklasse durch SPD- und Gewerkschaftsführung. Sie sprachen von einer „Faschisierung der Gewerkschaften“, zudem von „privilegierten Schichten der Werktätigen“, gar von „sozialfaschistischer Gewerkschaftspolitik“.
Wie unter diesen Umständen die „Eroberung der Gewerkschaften“, die auch „der Eroberung der Mehrheit des Proletariats“ dienen würde, zustande kommt, das war alles andere als einleuchtend. Zudem taten sich unüberwindbare Brücken auf. Hier musste sogar „der Kampf gegen die opportunistischen und sozialchauvinistischen Führer geführt werden“, die den Zielen der KPD/ML im Wege standen.
Ursprünglich war dieses Konzept mit der Stärkung der Betriebsgruppen bzw. Betriebszellen verknüpft. Hier, so die Deutung, würde sich registrieren lassen, wie weit dieser Kampf von Erfolg gekrönt war. Das Konzept wollte so etwas wie eine eigene Sozialmentalität schaffen. In dem Maße, wie sich die Betriebsgruppen zu Betriebszellen umwandeln würden (als organisatorische Hauptaufgabe gedacht), sollte sich eine der entscheidenden Voraussetzungen verwirklichen lassen: Nämlich die „Umwandlung der Partei zu einer bolschewistischen Massenpartei“.
„Die Schaffung fester Betriebszellen ist die Voraussetzung einer wirklich offensiven Gewerkschaftsarbeit im Betrieb“, meinte das ZB. Dieser Umstand charakterisierte die Differenzen zur eigenen Politik; denn mehr als nur ein paar Gruppen, in denen sich Menschen aus der bürgerlichen Mittelklasse vers. Studenten versammelten, konnten nicht auf die Beine gestellt werden. Die „Bildung und Stärkung von Betriebsgruppen“, die von außen den Anschein einer großen Gruppierung (über die massenweise verbreiteten Betriebszeitungen und Flugblätter) vermittelten, war schon bei der Konstituierung dieser ein schleichender Abbau, der als „Krötenwanderung“ (stetige Fraktionierungen der Gruppen) bezeichnet werden darf. Zudem hatte das ZB selbst durch den Abzug von sog. Kadern, die dann mit zentralen Aufgaben bedacht worden waren, mit dazu beigetragen, dass die Betriebsgruppen nur noch auf den Papier bestanden.
Als entscheidende Abgrenzung gegenüber dem ZK meinte das ZB, kommende gewerkschaftliche Organisationsformen benennen zu müssen. Gedacht war an: Gewerkschaftsfraktionen, Rote Gewerkschaftsopposition und Rote Gewerkschaften. Zur RGO wurde ausgeführt: „Sie ist die wichtigste Organisationsform.“ Ihre Aufgaben sind: „Einheit von Organisierten und Ausgeschlossenen, Einheit von parteilosen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern auf der Grundlage des Klassenkampfes, Einheit von Organisierten und Unorganisierten, Vorbereitung und Durchführung der selbständig geführten Wirtschaftskämpfe.“
Als aktuelle Aufgabe sei sie jedoch zur Zeit nicht durchführbar; denn „im Moment sind noch nicht die Kräfte zur Leitung der RGO vorhanden. Die RGO stützt sich auf feste kommunistische Betriebszellen, sie wird ideologisch geleitet durch Fraktionen der Partei in der RGO. Wir sind im Moment noch nicht in der Lage, eine RGO auf unseren Zellen aufzubauen und mit Fraktionen der Partei ideologisch auszurichten. Daher geben wir den Aufbau einer RGO im Moment nicht als Aktions- oder Agitationslosung aus“.
Die Polemik gegenüber dem ZK und seiner Gewerkschaftspolitik setzte sich damit fort. Die RGO sei „liquidatorisch“: Da es erklärt hatte: „SPD und DGB sind Organisationen der Kapitalisten, die nicht mehr erobert werden können, der Aufbau roter Gewerkschaften ist daher notwendig; Keimformen dieser roten Gewerkschaften sind die neuen RBGs (Rote Betriebsgruppen, d. Vf.), die Opposition außerhalb des DGB …“, sollte sich das ZB mit verblassenden Erinnerungen trösten:
„Im Moment muss noch in den reaktionären Gewerkschaften gearbeitet werden und die Kollegen sollen eine revolutionäre Gewerkschaftsopposition bilden, eine 'klassenkämpferische' Opposition im DGB.“ Die Gruppe „Roter Morgen“ würde weiter nicht:
„Das Wesen der Einheitsfronttaktik erkennen, des unerbittlichen Kampfes gegen die rechten Führer zur Gewinnung der Massen. Weil sie diese Taktik verkennen, setzen sie SPD und DGB gleich und behaupten, dass beide nicht erobert werden können. Selbst nach ihrer eigenen Logik ist diese Behauptung im übrigen falsch; denn auch die Gruppe Roter Morgen betont die Notwendigkeit, in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten, während ihr auch klar ist, dass es nicht möglich ist, in der SPD zu arbeiten und diese zu erobern … Der zweite Fehler der Gruppe Roter Morgen liegt darin, dass sie die Eroberung der gewerkschaftlich organisierten Massen und des Gewerkschaftsapparates verwechseln. Die Gruppe Roter Morgen behauptet, dass der Gewerkschaftsapparat ein Teil des imperialistischen Unterdrückungssystems ist und daher nicht mehr erobert werden kann.
Genau das Gegenteil ist korrekt: je mehr die Spitzen der Gewerkschaftsführung mit der Staatsmacht und dem Finanzkapital verwachsen, je mehr sie zum offenen Sozialfaschismus übergehen, desto eher wird es möglich, die breiten Massen von den Gewerkschaftsführern zu lösen und diese zu isolieren …
Die entscheidende Frage ist: Wo stehen die Massen! Wenn die Massen noch an die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer gebunden sind, dann ist es notwendig, die Gewerkschaften zu erobern und in ihnen zu arbeiten. Der Erfolg ist nicht eine Frage der Absichten der rechten Gewerkschaftsführer, sondern unserer politisch-organisatorischen Stärke und unserer Fähigkeit, die Massen gegen die Verrätereien der rechten Führer in den Kampf zu bringen. Diese Aufgabe wird von der Gruppe Roter Morgen verfälscht, weil sie die Eroberung der Gewerkschaften nie als die Eroberung der Massen und Isolierung der sozialdemokratischen Führer begreift, sondern als die Eroberung des Apparates.“ (28)
Ins Auge stachen die Korrekturversuche an der eigenen Linie, die faktisch immer wieder von politisch hoch emotionalen Interessenkonflikten ausgingen. Das ZB redete ständig um den heißen Brei herum, wenn es darum ging, die kollektive „Entproletarisierung“ durch SPD und DGB zu beschreiben. Dass die Gruppe „Roter Morgen“ ihre Mitglieder nicht gegen die „Verrätereien der rechten Führer in den Kampf bringen“ wollte, war Blödsinn. Schließlich war das ja eine entscheidende Aufgabe der RGO-Politik, sozusagen ihr politischer Imperativ. Die „Eroberung der Gewerkschaften“ musste auch für sie zwangsläufig mit der „Eroberung der Massen“ korrespondieren. Anders wäre die RGO auch witzlos gewesen. Es bleibt nur die Frage: Warum legte sich das ZB mit der „Gewerkschaftsbroschüre“ soweit aus dem Fenster, wenn am Ende die Grundlagen mehr als zweifelhaft waren? Die Antwort wäre m. E.: Der multidimensionale Ansatz schuf viele Handlungsspielräume, die in der ideologischen Auseinandersetzung mit anderen Gruppen den eigenen Mangel kaschierte.
Allgemein lässt sich konstatieren, dass beide KPD/ML-Gruppen in ihrer Gewerkschaftspolitik dem Irrtum unterlagen, dass die Lähmung des Industrieproletariats durch SPD und DGB bereits soweit fortgeschritten war, dass der Aufbau neuer gewerkschaftlicher Organisationsformen zur aktuellen Tagesaufgabe werden musste. Weder RGO (ZK) noch die diffuse „klassenkämpferische Opposition im DGB“ (ZB) waren dauerhaft organisations- und politikfähig. Kein Wunder, dass auf dem kommenden a. o. Parteitag der KPD/ML-ZK auch die Janusköpfigkeit dieser Politik zur Debatte gestellt wurde und deren Realitätsferne nebst bizarrer Deutungen von vielen Mitgliedern kritisiert wurde.
Das Ziel beider Gruppen in jenem zähflüssigen Brei, der sprachkosmetisch verkleidet, eine Vielzahl von andersartigen Rahmenbedingungen für eine kommende Gewerkschaftspolitik eröffnete, war indes die schon zum Regelwerk aufgestiegene 15%-Forderung, deren Begleitmusik enthüllte, dass der kraftvolle Emanzipationstrend, den man ihr erwartete, sich im Kern auszuhöhlen begann. Es war immer nur der „Verrat“, der angeprangert wurde. Seit dem Frühjahr 1971 bestand die Schwäche der KPD/ML darin, die 15%-Forderung mit Inhalten zu füllen. Die MTR verkam vor diesem Hintergrund zur Selbstzufriedenheit. Dass sie mehr und mehr ein politisches Schattendasein führte, lag auf der Hand.
Aber in ihr wurde auch ein politischer Nahkampf geführt, der einen Wandel in der MTR charakterisierte. Zwar titelte die „Rote Westfalenwalze“ der KPD/ML-ZB für Hoesch Dortmund am 10. Juli in ihrer Zeitung: „Neuer Verrat!“ - was gegen die Verzögerungstaktiken der IG Metall im Tarifstreit gerichtet war, doch hauptsächlich nahm man die KPD/ML-ZK und die Rote Garde ins Visier. Die „Rote Westfalenwalze“ meinte: „In der letzten Zeit habt ihr Flugblätter von der KPD/ML und Rote Garde gekriegt: Metallbetriebe 1, 2, 3, 4 und die beiden Flugblätter zur Belegschaftsversammlung. Diese Gruppe, die auch manchmal den 'Roten Morgen' verkauft, hat sich wegen grundlegender politischer Differenzen von der KPD/ML abgespalten. Über diese grundlegenden Differenzen werden wir in der nächsten RWW berichten. Ihr seht aber schon an den Flugblättern zur Belegschaftsversammlung, dass sie eine andere Linie vertritt als die KPD/ML. Sie schreiben: So wie es in der IG Chemie und Dreck verlaufen ist, wird es auch im Metallgewerbe verlaufen. Aus diesen Worten sieht man, dass sie den Kampf gegen die Gewerkschaften richtet und nicht beachtet, dass die Gewerkschaftsführer den Kampf der Kollegen verhindern. Nicht gegen die Gewerkschaften, sondern gegen die Gewerkschaftsführer muss unsere Parole lauten: KAMPF DEM LOHNRAUB! KAMPF DEM LOHN-DIKTAT! GEGEN DIE VERRÄTEREIEN DER SPD-REGIERUNG DIE GESCHLOSSENE KAMPFFRONT DER ARBEITRKLASSE!“ (29)
Der Artikel korrespondierte mit den Gewerkschaftsauffassungen beider Gruppen. Im Unterschied zur „Gewerkschaftsbroschüre“ des ZB war dieses Kauderwelsch mit einer Rollenzuweisung verbunden. Der „Rote Morgen“ würde nicht beachten, dass er den „Kampf gegen die Gewerkschaften“ richtet, dagegen setzte die „RWW“: „Nicht gegen die Gewerkschaften, sondern gegen die Gewerkschaftsführer“, was Jacke wie Hose war. Diese Haarspaltereien begleiteten beide Gruppen bis zum Zerfall des ZB, wobei es kaum Auflockerungstendenzen gab. Das RGO-Konzept war die resignative politische Form, der IG Metall mit einer eigener Organisationsstruktur beizukommen, während die Fraktionierung in den Gewerkschaften, die das ZB anstrebte, ein kläglicher Versuch war, die IG Metall irgendwo doch noch zu tolerieren.
Die OG Würzburg der KPD/ML-ZK äußerte sich am 12. Juli zu den derzeit stattfindenden Tarifverhandlungen in der Metallindustrie in einem Flugblatt so: „Überall versuchen die Gewerkschaftsbonzen zu verhindern, dass die 15% Forderung aufgestellt wird. Auf der Belegschaftsversammlung der Dortmunder Hoesch-Westfalenhütte versuchten sie es, indem sie krakeelten: 'Der IGM-Vorstand muss die Lage noch prüfen, vielleicht sind sogar 20 oder 30 Prozent drin!' So gelang es ihnen zu verhindern, dass überhaupt eine Forderung festgemacht wurde. Aber wir lassen uns nicht für dumm verkaufen, es bleibt dabei: 15% gleich 1 DM lineare Lohnerhöhung! Tarifvertragliche Absicherung der Effektivlöhne! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ (30)
Hier regierte weiter Agonie, die noch durch die Dreieinigkeit von Staat, Kapital und Gewerkschaftsführung in einen „Lohnstopp“ hineinführte. Derartige Aversionen ließen es in der kurzlebigen „Dreibundtheorie“ zu, dass die Kontroversen zu einem verallgemeinerungsfähigen Konsens wurden, der als Generalprobe für alle Tarifverhandlungen zu gelten habe. Auch sie (die „Dreibundtheorie“) war in der Auseinandersetzung auf dem außerordentlichen Parteitag Gegenstand der Debatte. Wenn hier auch dieser krude Marxismus und die dogmatische Denkform vorherrschten, so lieferte doch die Metalltarifrunde viele Hinweise auf die Kampflehre, der sich die KPD/ML verschrieben hatte.
In der „Roten Fahne“ Nr. 14/1971, die am 19. Juli mit dem Artikel „Vertrauen auf die eigene Kraft. Die Taktik der KPD/ML in der Metalltarifrunde '71“ erschien, ging es noch einmal um die IG Metall. Gleich zu Anfang des Artikels wurde die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Erfahrungen der westdeutschen Arbeiterklasse mit der Sozialdemokratie und den (rechten) Gewerkschaftsführern „das politische Erwachen der westdeutschen und Westberliner Arbeiterklasse, besonders der Arbeiterjugend beschleunigt“ (31) hätten.
Das von vornherein bestehende tief zerklüftete Zerwürfnis hatte sich demnach noch einmal deutlich verschlechtert. Jetzt solle das „Lohndiktat“ der SPD-Regierung für „Ruhe an der Heimatfront“ sorgen. Es sei, so die „Rote Fahne“, „die Antwort der SPD-Regierung auf die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse“. Mit dem „Lohndiktat“ solle verhindert werden, „dass die westdeutsche und Westberliner Arbeiterklasse genauso wie die englischen und italienischen Arbeiter von breiten wirtschaftlichen Kämpfen zu politischen Massenstreiks übergeht“. Dazu solle auch der „Lohnkampf abgewürgt und die Streikfreiheit der westdeutschen Arbeiterklasse noch weiter eingeschränkt (werden)“. Bei all diesen Maßnahmen, was sich auch in der MTR niederschlagen würde, unterstützten die Gewerkschaftsführer die SPD-Führer. Sie würden vom „Lohndiktat ablenken durch breite Reklame für flexible Altersgrenze, Steuerreform, Mitbestimmung …“.
Die Allgegenwart dieser „Zwangsmaßnahmen“ wurde nachhaltig dadurch demonstriert, dass mit der Schlagzeile die „Gewerkschaftsführung wird den Kampf verraten“ bereits ad hoc eine Normverletzung durch diese vorlag. Und im Hinblick auf die kommenden Auseinandersetzungen, die vom „Vertrauen auf die eigene Kraft“ geprägt sein müssten, sollte die breite Propaganda für den „selbständigen wirtschaftlichen Kampf“ den Einfluss der Sozialdemokratie brechen. Die „Aufstellung der 15-Prozent Forderung“ richte sich „gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung“. Der „wirtschaftliche Kampf für 15 Prozent Lohnerhöhung kann jedoch nur Erfolg haben, wenn die Politik das Kommando führt, wenn ein politischer Kampf unter Führung der KPD/ML gegen die Verrätereien der SPD-Regierung und gegen die weitere Aufrüstungspolitik geführt wird.“ (32)
Behält man die Vielzahl dieser geprägten Begriffe im Blick, wird wiederum deutlich, welche mächtigen Barrieren die KPD/ML aufgebaut hatte, die in keinem Verhältnis zum Erdachten oder zum Erreichten standen. Die KPD/ML wollte sich den tief sitzenden Wunsch „im Grünen zu wohnen“ erfüllen, obwohl sie doch in der Gosse lag. Das weich gespülte Bild vom „wirtschaftlichen Kampf für 15 Prozent“ fand ja niemals in der öffentlichen Sphäre irgendeine Billigung. Selbst bei denen, die sie noch am ehesten hätte vertreten können, war sie wohl nicht zukunftsträchtig. Denn spätestens nach dieser MTR trat ein ziemlich steiler Abfall in den Lohnforderungen ein. Ein erbitterter Kampf, wie von der KPD/ML prophezeit, trat nicht ein. Allerspätestens mit dem Untergang der ominösen Forderung nach 15% dürfte sich auch die Konstellation „selbständiger wirtschaftlicher Kampf“ plus „Vertrauen auf die eigene Kraft erledigt haben.
Der anvisierte „politische Kampf unter Führung der KPD/ML“ war eigentümlich, schal und überholt. Es gab ihn nicht, es gab noch nicht mal ansatzweise einen ernsthaften Versuch, in wirtschaftliche Kämpfe einzugreifen. Im Grunde waren beide Anläufe misslungen und durch neue Pseudotheorien ersetzt worden. Das betraf auch die sog. Vorverhandlungen zur MTR in Nordbaden/Nordwürttemberg, die am 19. Juli begonnen hatten. (33) Darüber hatte auch die Zeitung „Rotfront - die KPD/ML informiert die Kollegen der Dortmunder Metallbetriebe“, Nr. 7 vom 19. Juli, berichtet. Allerdings ging „Rotfront“ noch ein wenig weiter als das ZB. Es brachte die Verhandlungen wiederum mit „Streikverbot, Zerschlagung der revolutionären Kräfte, Zwangsmitgliedschaft in den Gewerkschaften, Lohnstopp, Notstandsgesetze, beschleunigter Ausbau der Polizei“ usw. in Verbindung. Selbst in der MTR würde all das „zu den Vorbereitungen der Kapitalisten und ihrer Lakaien“ gehören, die sich damit „auf einen Ernstfall“ vorbereiten würden.
„Unter dem Deckmantel der friedlichen Übereinkunft baut die Kapitalistenklasse ihre Kampfpositionen gegen die Arbeiterklasse aus für den Fall, wo sie ihr nicht mehr genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen kann, wo also den Arbeiter der Hunger bedroht wie heute schon in England und den USA. Die SPD-Regierung wird so lange von den Kapitalisten gebraucht, wie es ihr gelingt, die Arbeiter mit ihrer sozialfaschistischen Ideologie zu verführen.“ (34)
Die anachronistische Rhetorik lebte hier in ihrer gänzlichen Blüte auf. Die Institutionalisierung von Konfliktaustragungen wird hier einmal mehr in der SPD entsorgt, die mit ihrer „sozialfaschistischen Ideologie“ für die sichtbaren Klassenantagonismen sorgen würde. Natürlich könnte man all das als unter die Parole fassen: „Wer mich angreift, macht mich stark!“ Insgesamt dürften sich die SPD-Größen vom Gefasel der K-Gruppen wenig haben beeinflussen lassen. Selbst die „sozialfaschistischen Betriebsräte“ gingen eigentlich gestärkt aus den Angriffen hervor. Im Ruhrgebiet hatten sie bei den Betriebsratswahlen, etwa bei Opel-Bochum, Hoesch-Dortmund oder Mannesmann in Duisburg, stimmenmäßig zugelegt. Es ist auch nicht bekannt, dass das gängige SPD-Parteivolk in den Betrieben (etwa SPD-Betriebsgruppen) sich in ihrer bestehenden Struktur durch die Agitation der K-Gruppen entschieden verändert hätte.
Im Zuge der Entfaltung der Kontroversen gegen die SPD wurde die KPD/ML stets von ihrer jüngsten Vergangenheit eingeholt. In selbiger Ausgabe der „Rofront“ vom 19. Juli setzte nun die KPD/ML-ZK ihrerseits die Polemik gegen das ZB fort. (35) Im Artikel: „An die Genossen der Roten Westfalenwalze“ schrieb das Betriebs- und Gewerkschaftskomitee der Ortsgruppe Dortmund der KPD/ML: „Gegenüber früheren Äußerungen über uns ist diese Darstellung vom Ton her sehr viel sachlicher. Das ist erfreulich. Zum Inhalt muss jedoch einiges gesagt werden: Dass es zwei revolutionäre Organisationen gibt, die den Namen KPD/ML für sich beanspruchen, ist ein Skandal. Jeder Arbeiter weiß, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur möglich ist, wenn die Arbeiter sich einig sind und eine einheitliche Führung haben. Eine kommunistische Partei hat nur dann ihren Namen wirklich verdient, wenn sie es versteht, die Arbeiter unter ihrer Führung wirklich zu einen. Nur dann ist sie revolutionär. Wenn wir also um die Einheit der Marxisten-Leninisten kämpfen, so wissen wir, dass das ein Kampf gegen die Spalter der Marxisten-Leninisten ist, ein Kampf gegen die bürgerlichen Kräfte, die mit Marx und Mao auf den Lippen Verwirrung und Zwietracht unter den Marxisten-Leninisten säen und dadurch auf Jahre hinaus die kommunistische Partei in ihrem Aufbau beeinträchtigen.
Und damit kommen wir zurück zu euren Äußerungen über uns:
Unseres Erachtens nach habt ihr den Gewerkschaftsapparat von IGM, IG Chemie und anderen DGB-Gewerkschaften noch nicht als das erkannt, was er wirklich ist: eine Kampforganisation der Kapitalisten zur Niederhaltung der Arbeiterklasse. Nachdem der Kapitalismus auf der Stufe des Imperialismus die Zufuhr von Rohstoffen, die Schaffung von Absatzmärkten und die Bereitstellung von billigen Arbeitskräften in fremden Ländern (Kapitalexport) geplant hat, ist er dazu übergegangen, auch die Zufuhr der Ware Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern selbst zu planen. Dazu bedient er sich des reformistischen Gewerkschaftsapparats, der mehr und mehr mit dem Staat der Kapitalisten verschmilzt. Der DGB ist für das Kapital zu einer Streikversicherung geworden. Indem ihr nur die Gewerkschaftsführer bekämpfen wollt, unterliegt ihr dem Trugschluss, die Arbeiter könnten die Bonzen einfach abwählen, wenn sie nur wollten.
Wenn das wirklich so einfach wäre, warum ist es dann nicht schon längst geschehen? Sind denn die rechten Gewerkschaftsführer, die überall den Kampf der Arbeiter um ökonomische Verbesserung, also um einen besseren Verkauf ihrer Arbeitskraft, abwürgen, vom Himmel gefallen? Oder muss nicht am Gewerkschaftsapparat selbst etwas faul sein, wenn er immer wieder nur Arbeiterverräter an die Spitze bringt? Wie will man denn in der Gewerkschaft richtig kämpfen, wenn man dieser Frage ausweicht? Nun, wir haben die Frage oben schon beantwortet: die DGB-Führer werden eben nicht von den Arbeitern gewählt, sondern von den Kapitalisten bestellt. Es kommen eben nur solche Leute in leitende Positionen, die sich schon im Verrat bewährt haben, die - wie es in der Satzung der IG Metall so schön heißt - 'vertrauensvoll mit der Leitung' zusammengearbeitet haben.
Die Aufgabe der Kommunisten kann es unmöglich sein, auch so 'vertrauensvoll' mit den Leitungen zusammenzuarbeiten, um den DGB 'wieder zur Kampforganisation der Arbeiterklasse zu machen' (das ist er von Anfang an nicht gewesen), sondern die Millionenmassen von Arbeitern, ganz gleich ob sie im DGB organisiert sind oder nicht, über die geplanten Anschläge der Bonzen zu unterrichten und ihnen zu zeigen, was man dagegen machen kann.
Wenn ihr das nicht einsehen könnt, dann bestehen in der Tat zwischen euch und uns 'grundlegende Differenzen'. Jedoch haben nicht wir uns von der KPD/ML abgespalten, sondern die Gruppe Rote Fahne/Bochum. Das nachzuweisen ist sehr simpel: Auch die Gruppe Rote Fahne leugnet nicht, dass die KPD/ML Ende 1968 gegründet wurde. Ihr Zentralorgan war von Anfang an der Rote Morgen. Ihre Jugendorganisation war die Rote Garde. Erst seit der Spaltung gibt es einen KJVD, worin die Rote Garde NRW von den Spaltern umbenannt worden war. Der Name KPD/ML wurde von den Spaltern erst später beansprucht, wie noch aus dem 'theoretischen Organ der Roten Garde' Bolschewik 1 (vom 16. 4. 1970, d. Vf.) hervorgeht, worin sie die KPD/ML angreifen. Offenbar aber hatte die KPD/ML sich bei den Arbeitern schon einen guten Namen gemacht, denn bald darauf beanspruchten die Spalter ebenfalls diesen Namen und gründeten ein neues Zentralorgan, die Rote Fahne …
Die Spaltung sollte uns jedoch nicht hindern, für die kommende Metalltarifrunde ein Bündnis einzugehen. Als Basis dafür würden wir folgende Punkte ansehen. Gemeinsame Beratungen über Abwehrmaßnahmen gegen Übergriffe von Bonzen, SPD-Betriebsgruppe oder Polizei. Aufstellen gemeinsamer Forderungen für den Tarifkampf. Unsere Vorschläge dazu: 15% gleich 1 DM auf den effektiven Stundenlohn. Für die Angestellten eine entsprechende Forderung von 175 DM. Mindestnettolohn bzw. -gehalt: 1 000 DM. 13. Monatslohn bzw. -gehalt. Eine Entfristungsklausel gegen den ständigen Lohnraub durch Preis- und Steuererhöhungen.
Warum die Forderung 15% gleich 1 DM? Wir wissen: wir befinden uns in einer galoppierenden Inflation. Pfeiffer hat zwar den Kollegen der Westfalenhütte etwas von 4,5% Kaufkraftverlust erzählt, dabei muss er aber wohl einige für den Arbeiter unerschwingliche Luxusgüter mitgezählt haben, die z. T. sogar billiger geworden sind. Die französische bürgerliche Zeitung Le Monde errechnet dagegen einen jährlichen Kaufkraftverlust von 8 - 10% in der BRD! Das dürfte sehr viel eher den Tatsachen entsprechen. Wenn man bedenkt, dass wir bei Lohnerhöhung auch gleich in eine höhere Lohnsteuergruppe kommen, so ist diese Forderung noch sehr bescheiden.
Warum Mindestnettolohn von 1 000 DM? Vor einem Jahr errechnete man für einen normalen Haushalt ein Existenzminimum von rund 880 DM. Rechnen wir den Kaufkraftverlust hinzu, so wären das heute 968 DM. Die Forderung ist also gerade hoch genug, um die Ware Arbeitskraft, die wir den Kapitalisten verkaufen müssen, zu erhalten.“ (36)
Die „grundlegenden Differenzen, die sich im Spalter-Vorwurf äußerten, waren sämtlich konstruiert. Auf dem obersten Rang der Nomenklatur stand die administrative KPD/ML-ZK, die sich zum Jahresende 1968 gegründet hatte und deshalb als „wahre“ KPD/ML firmierte. Mit diesem Prinzip der exklusiven Selbstrekrutierung war es dem ZK möglich, so etwas wie eine eigene politische Moral zu vertreten. Sie betraf nicht nur die Gründungslegende, sondern auch die politische Aktualität in der MTR und jenes Bündnisangebot an das ZB, welches nur Schönfärberei dokumentierte. Tatsächlich hatten weder das ZK und das ZB wirkliches Interesse an dieser Einheit zur MTR. Angesichts der desolaten Zustände beider Gruppen leistete dieses Vorhaben nur einem Egalitarismus Vorschub, der sich wie Gleichheit von eingesperrten Insassen in einem Gefängnis las.
Der Versuch, sich mit der 15%-Forderung ideologisch zu profilieren, dürfte für alle Gruppen zu dieser Zeit als historische Mission gegolten haben. Sie erzeugte eine erzwungene Zwangsgemeinschaft aus Gesinnungstreuen und sollte, wie der antifaschistische Widerstand, schon bald ihren Glanz verlieren. Wie schon ausgeführt, verblasste diese Forderung alsbald und wurde von jener „kampferprobten“ Arbeiterklasse auch nicht übernommen. Immer wieder wollte die KPD/ML ihre latenten Interessen in manifeste Erfolge übersetzen. In den meisten Fällen geschah das eher durch die stillschweigenden Ergänzungen der politischen Linie, die den jeweiligen Landesleitungen und Ortsverbänden oktroyiert wurden. Die deutschen Bolschewiki brachten, dank ihrer bornierten Klassenkampflehre, nur Distinktion hervor, welche das unbestreitbare Vordringen ihrer Makulaturpolitik charakterisieren sollte.
Mit Hilfe der 15% Forderung war es auch möglich zu instrumentalisieren. Der Zugang lag in den Betrieben, in denen die SPD-Betriebsräte für „Ruhe und Ordnung“ sorgen würden. Am 19. Juli meinte die KPD/ML-ZK in einem Flugblatt, das vermutlich vor der damaligen Kokerei Hansa in Dortmund zur Verteilung gebracht worden war:
„Sie (Mitglieder des Betriebsrates, d. Vf.) forderten unsere Verkäufer, den Bürgersteig (!) vor der Einfahrt zu verlassen, da er angeblich schon zum Werksgelände gehöre. 'Als Betriebsrat gilt für uns die Friedenspflicht, und da können wir sowas nicht dulden.' Gegen unsere politische Einstellung hätten sie nichts, aber schließlich dürfe die SPD auch keine Parteipropaganda im Betrieb machen. Eine Diskussion beendeten sie schnell mit der Drohung: 'Also entweder ihr geht jetzt zurück bis zur Grenze des Werksgeländes (angeblich 150 m weiter am Briefkasten!) oder WIR HOLEN DIE POLIZEI!' So sieht also die 'vertrauensvolle Zusammenarbeit' des BR mit eurem Kapitalisten aus, Kollegen! 'Zum Wohle des Betriebs'! Nur nicht zum Wohl von euch. Und ihr habt den BR gewählt! ...
Ein solches lakaienhaftes Verhalten ist jedoch kein Einzelfall: so ließ sich doch am vorigen Donnerstag Leo Werski, SPD-V-Mann der Westfalenhütte, ähnlich zur Aktion schicken. Nur dass er das schmutzige Geschäft nicht der Polizei überlassen, sondern selbst in die Hand nehmen wollte. Nur mit Mühe konnte er davon abgehalten werden, mit einer Handvoll seiner Getreuen auf den Verkäufer loszugehen! Das sind die Mittel im tagtäglichen Kampf, die die Kapitalistenklasse und ihre Lakaien im BR anwenden, um die revolutionäre Arbeit der KPD/Marxisten-Leninisten zu behindern … Doch schon planen sie mehr: VERBOT DER KPD/ML.“ (37)
Für die alltägliche Politik der KPD/ML hatte ein erdachtes Verbot eine enorme psychologische Wirkung. Wie etwa später im Fall Günter Routhier (38) war es inspirierendes Ambiente. Was Lebende nicht leisten konnten, musste ein Toter richten. Das löste ein hohes Maß an Identifizierung aus, die sich gleichsam auch als Legitimationsquelle entpuppte. Durch die Einbindung von SPD-Betriebsräten in das kapitalistische Getriebe konnte das Ganze turbulenzreich und variierbar gestaltet werden. Das „Verbot der KPD/ML“ eröffnete Zugang für die Zielutopie, die die künftige politische Ordnung der Gruppe, die Diktatur des Proletariats, charakterisierte.
Aus dieser Konstellation heraus ergab sich auch die Kritik an der Anleitungspolitik der leitenden Gremien, die sich nicht weniger häufig in Rivalität äußerte. Dieser Interessenkampf mit Geltungsstreit und Profilierungsdrang bildete ein charakteristisches Merkmal der KPD/ML: Die Machtzentralisierung bei gleichzeitiger Unbeweglichkeit.
Vermutlich waren es Kader des KSB/ML, die die Exekutivprivilegierung des ZK in die Kritik nahmen. Am 24. Juli begann in Dortmund eine zweitägige Sitzung des Landeskomitees des KSB/ML. Dort wurde nicht nur über Fragen der Anleitung durch das LK sowie der Anleitung durch die jeweilige Ortsgruppe der Partei diskutiert, sondern auch über die Zukunft des KSB/ML und seiner „gegenwärtigen und zukünftigen Hochschulpolitik“.
„Es wurde festgestellt, dass im Zuge der Nationalisierung ein ebensolches Gremium auf Bundesebene einzurichten ist. In der betreffenden Sitzung des Landeskomitees zeigte sich, dass jede Gruppe des KSB/ML in NRW (es handelt sich hier um die Gruppen Bi, Bo, Do, Wu) (Bielefeld, Bochum, Dortmund und Wuppertal, d. Vf.) mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Es sind vornehmlich die Probleme der Bündnispolitik und der Organisation des Aufbaus. Die Möglichkeiten der Beseitigung dieser Schwierigkeiten sind einmal Kampagnen der Umgestaltung und zweitens die Inangriffnahme der Bolschewisierung … Es lag vor allem an der mangelnden Information über die einzelnen Maßnahmen der Politik. Information und Koordinierung muss daher für das Landeskomitee die Hauptseite darstellen. Für die personelle Besetzung des Landeskomitees für Dortmund ergeben sich einige Schwierigkeiten:
Die Notwendigkeit der Bolschewisierung und deren Durchführung kann nicht allein organisatorisch technisch gesehen werden. Sie muss politisch erklärt werden, d.h. die theoretischen Hintergründe zusammen mit dem ideologischen Kampf können während der Ferien nur sehr lückenhaft im KSB/ML verarbeitet werden. Das nächste Semester muss unter der Losung der Bolschewisierung stehen, der ideologischen nach innen … Die RG Do hat eine umfassende Kritik an der Politik des KSB/ML erstellt. In vielen Punkten ist diese Kritik unverständlich und weist einige Mängel auf. Die Leitung des KSB/ML wird sie aber in die laufende Kampagne einbauen und eine Stellungnahme dazu abgeben.“ (39)
Die Kritik an den „mangelnde Informationen“ der leitenden Gremien, die die „Inangriffnahme der Bolschewisierung“ verunmöglichten, sprach zu diesem Zeitpunkt eine sehr deutliche Sprache. Obwohl Entscheidungsfragen noch nicht zur Debatte standen, schaukelte sich jedoch der kommende Bruch unmittelbar hoch. Eine Restauration des KSB/ML schien, nach diesen Äußerungen, nicht mehr möglich. Alle Gruppen des KSB/ML hätten mit „ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen“, meinte die OG Dortmund, die weiter mangelnde „Information und Koordinierung“ in der Politik allgemein kritisierte. Das eigentliche Kräftemessen stand noch bevor. Wer im harten Machtpoker bestehen sollte, war indes noch nicht klar. Die Bündnistreue zur KPD/ML sollte in Zweifel geraten. Während sich die Widersprüche im ZK zu verschärfen begannen, machte das ZB der KPD/ML noch ganz auf die Propaganda zur MTR.
Am 28. Juli veröffentliche es im „KND“ eine weitere Instruktion zur MTR: „Die SPD- und IGM-Führer, die Angst vor der wachsenden Kampfkraft der Arbeiterklasse haben, wollen in diesem Jahr die Metaller überrumpeln. Damit der Verrat jedoch nicht so offensichtlich wird wie z. B. im Bergbau, werden jetzt die 'Linken' an die Front geschickt. Es ist kein Zufall, dass gerade der 'linke' Bezirksleiter Bleicher seine Umfrage macht und die Verhandlungen weitgehend vorbereitet. Er konnte im letzten Jahr von allen IGM-Führern die Arbeiter am besten täuschen und darum wird er in diesem Jahr vorgeschickt. Dabei ist die Aufgabe der 'linken' Sozialdemokraten in diesem Jahr immer mehr die offene Verteidigung der Manöver der rechten Führer.
Zu dieser Unterstützung der rechten Führer treten nicht nur die 'linken' Sozialdemokraten, sondern auch die Revisionisten (gemeint war die DKP, d. Vf.) immer offener auf. In der 'UZ' haben sie z.B. offen Bleichers Umfrage begrüßt. Wichtig ist, dass die Revisionisten immer weniger durch Ablenkungsmanöver und immer stärker mit politischen Parolen, die die Arbeiterklasse auf den falschen politischen Weg führen sollen, auftreten (z. B. Lohndiktat der Unternehmer, Kampf gegen das Rechtskartell, sichere Arbeitsplätze durch Osthandel und Ratifizierung der Ostverträge).
Wir müssen aus diesen Ereignissen der letzten Wochen, die unsere politische Einschätzung der Metalltarifrunde und unseren Plan voll bestätigen, folgende Punkte aus unserem Plan besonders herausstellen:
1. Die Agitprop auf Betriebsebene muss noch stärker politisch ausgerichtet werden. Die Verrätereien der Sozialdemokratie müssen im Mittelpunkt der Agitprop stehen.
2. Die Sozialdemokratie darf nicht nur in Gestalt der SPD-Regierung angegriffen werden, die betrieblichen Stützen der Sozialdemokratie müssen enthüllt werden. Dabei müssen besonders die 'linken' Sozialdemokraten mit immer neuen Beispielen als Schillers Handlanger im Betrieb entlarvt werden. Wir müssen dies den Kollegen sorgfältig und geduldig erklären, da noch viele Kollegen die 'linken' Führer unterstützen.
3. Der ideologische Kampf darf nicht vernachlässigt werden. Wir müssen umfassend die falschen Ansichten der Revisionisten zurückweisen und dagegen unsere korrekte politische Linie propagieren.
In der betrieblichen Agitprop sollten durch Extrablätter zumindest in den wichtigsten Betrieben die neuen Verrätereien, besonders die Vorverhandlungen, aufgegriffen und mit den betrieblichen Verrätereien der Sozialdemokratie verbunden werden. Dies ist eine gute Möglichkeit, unsere korrekte Linie propagieren und die Massen propagandistisch auf die kommenden Auseinandersetzungen vorzubereiten.“ (40)
Ganz offensichtlich war einmal mehr, dass der Hauptschwerpunkt in der MTR gegen die Sozialdemokratie gerichtet war. Es ging um „die betrieblichen Stützen“ und die „linken Führer“, die als „Handlanger im Betrieb entlarvt“ werden müssten. Das auffällige Charakteristikum kulminierte hier in einer Klischeebildung, die ganz stillschweigend voraussetzte, dass die „wachsenden Kampfkraft der Arbeiterklasse“ in „kommenden Auseinandersetzungen“ (gemeint war die MTR) einmünden würden. Die pragmatischen Lösungsversuche des ZB, das meinte, durch vielerlei Extrablätter die „Verrätereien der Sozialdemokratie“ nachhaltig entlarven zu können, setzten in gleichem Atemzug auch auf eine vermeintliche Radikalisierung der Arbeiterschaft. Die nachdrückliche praktizierte Solidarität mit Unbekannten war zwar nicht neuartig, doch sie war wohl nie überzeugender vorgetragen worden.
Die klassische Linie zur Sozialdemokratie machte auch vor den sog. „Linken“ in der SPD nicht halt. Das ZB nannte hier z. B. den Bezirksleiter Bleicher von Baden-Württemberg der „besonders gefährlich sei“. (41) Der aktuelle Anlass für eine solche Aussage waren die beginnenden Verhandlungen in der MTR und Bleichers strategische Versuche, einen Metallabschluss mit Vorreiterfunktion zu erreichen. Der provozierende Anwurf des ZB suggerierte, dass er ein (sozialer) Untertan der Kapitalistenverbände war und dass die ihm angedichtete (besondere) Gefährlichkeit in seinen Täuschungsmanövern zum Ausdruck käme. Eine sachliche Gewichtung seiner Tätigkeit gab es nicht. Bleichers Erfolgsbilanzen in diesem Tarifbezirk konnten selbst 1971 als unbestritten gelten. Bleicher, ehemals KPD-Mitglied, der von 1938-1945 im KZ Buchenwald gefangen gehalten wurde, galt als integerer Mensch, der ohne große Paukenschläge die Interessen der Arbeiter vertrat. Dennoch galt er für die Linken als „Achillesferse“ schlechthin und blieb weit über die MTR hinaus jemand, der faule Kompromisse schloss und durchweg als „linker“ Sozialdemokrat Verratspolitik betreiben würde. Man sollte die Unwissenheit des ZB als tickende Zeitbombe bezeichnen, die immer dann zu platzen begann, wenn sich die anvisierte Politik zu verselbständigen begann.
Selbst wenn eingeräumt würde, dass die sog. „Linken“ (42) für ihre besondere ruchlose Verpackungspolitik bekannt gewesen wären, so war die Theorie über sie 1971 nichts anderes als eine Erfindung. Es gab kaum Untersuchungen über die sog. innerbetrieblichen „Linken“. Sie wurden einfach gesetzt und waren überdies immer gegenwärtig. Damit beschritt man auch den selbstgewählten Weg der Isolierung, der auffällig an einen verbissenen Versuch erinnerte, jede Äußerung gegen die politische Norm als universalisierbar „links“ einzustufen.
Wachgehalten wurde das Thema der Anleitung der RG durch die Partei im ersten internen Organ des Bundessekretariats „Kämpfen und lernen“, das im August 1971 erstmals erschien. (43) Es schien hier so zu sein, dass die Frage der Theorie noch einmal aufgewärmt wurde, um möglicherweise für die kommenden Schlachten gerüstet zu sein. In dem Organ hieß es u. a.: „ … dass die Theorie gegenwärtig im Widerspruch zwischen Theorie und Praxis die Hauptseite ist.“ Besonders unterstrichen wurde „die besondere Bedeutung und Wichtigkeit der theoretischen und politischen Anleitung der RG durch die Partei. Auf der Grundlage dieser Anleitung wird die Tätigkeit der RG auch der gegenwärtigen Phase hauptsächlich von der praktischen Arbeit bestimmt. Nur so kann die RG den ihr als marxistisch-leninistische Massenorganisation der Arbeiterjugend zukommenden Beitrag zur Schaffung der Avantgarde des Proletariats erfüllen. Zusammenfassend können wir sagen: Die Hauptaufgabe der RG in der Etappe des Parteiaufbaus ist die Gewinnung der fortgeschrittenen Teile der Arbeiterjugend und ihre Heranbildung zu Kommunisten …“ (44)
Das erklärte Maximalziel war die „theoretische und praktische Anleitung der RG durch die Partei“. Die Wiedereinführung des rigiden Zentralismus etablierte sich hier offen. Völlig unverschnörkelt übernahm auch die Bundesleitung der RG die Etappentheorie des ZB, die hier danach streben würde „die fortschrittlichen Teile der Arbeiterjugend“ zu gewinnen. Auch das kann als eine Renaissance des Traditionalisten in der KPD/ML bezeichnet werden, die die praktische Arbeit bis zur „Schaffung der Avantgarde“ zur entscheidenden Antriebskraft stilisierten.
Mit dem „KDAJ“ Nr. 8/1971, der im August erschien, war die 15% Kuh noch längst nicht vom Eis. Die MTR steuerte ja unentwegt auf einen (von vielen) Höhepunkt (en) entgegen. Die Ausgabe des ZO des JV erschien mit dem Leitartikel „Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung.“ Danach wolle „die Gewerkschaftsführung mit aller Kraft darauf hinarbeiten, die Metalltarifrunde möglichst noch in den Sommermonaten hinter sich zu bringen. Denn im September kommt der Gewerkschaftstag der IGM, soll das BVG verabschiedet werden, wird mit der Steuerreform ein neuer Angriff gegen die Arbeiter gestartet. Und schließlich: Im Januar sind Betriebsrätewahlen. Bis dahin sollen die Kollegen den Verrat in der Metalltarifrunde schon vergessen haben … Das Lohndiktat ist ein wirtschaftlicher, aber vor allem ein politischer Angriff auf die Lage der Arbeiterklasse. Gegen das Lohndiktat muss die Arbeiterklasse einen umfassenden politischen Kampf führen. Auch der wirtschaftliche Kampf, der Kampf um die 15%, kann nur dann erfolgreich geführt werden, wenn der politische Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung und ihre Aufrüstungs- und Militarisierungspolitik geführt wird. Im Kampf gegen den zentralen Angriff der SPD-Regierung in der Metalltarifrunde in diesem Jahr gibt es keinen Unterschied zwischen jüngeren und älteren Kollegen, Jungarbeitern und Lehrlingen. Auch für sie muss der Kampf gegen das Lohndiktat im Mittelpunkt stehen … Das Lohndiktat ist die Antwort der SPD-Regierung auf die anschwellenden Kämpfe … Mit dem Lohndiktat will die SPD-Regierung die Kämpfe der Arbeiterklasse abwürgen und niederhalten. Kampf dem Lohndiktat! Kampf den Verrätereien der SPD-Regierung! Arbeiter, Jungarbeiter und Lehrlinge in einer Kampffront.“ (45)
Das Deutungsmonopol zur SPD-Linie lag selbstredend beim ZB. Der „KDAJ“ übernahm alle Floskeln dieser Linie, die nichts Neues darstellte, die nur umhüllt vom stimulierenden Hochgefühl des Kampfes um 15% war. Dass der „KDAJ“ ebenfalls auf eine emanzipatorische Linksbewegung der Arbeiterklasse setzte, sie schon kultisch verehrte, verwunderte auch nicht; denn schließlich war sie (der Theorie nach) der psychische Treibsatz für alle kommenden Ereignisse, zu denen auch eine anvisierte Aktionseinheit zur MTR gehörte. (46)
In seiner „Arbeiterstimme“ Nr. 12 vom August 1971 machte das SALZ Bremerhaven wohl hierzu einen ersten Vorstoß und sprach „von 11 Gruppen zur Metalltarifrunde der IGM 1971“. Die „Arbeiterstimme“ erklärte auch: „ Auf einer Beratung kommunistischer Zirkel aus verschiedenen Städten Westdeutschlands und aus Westberlin über ein gemeinsames Vorgehen in der Metalltarifrunde ist die folgende Minimalplattform für die Einschätzung der Klassenkämpfe der nächsten Zeit erstellt worden ... Wir fordern alle Organisationen, die dieser Plattform zustimmen können, auf, uns ihre Zustimmung mitzuteilen und ihre Bereitschaft zu erklären, sich an den von uns geplanten weiterführenden Diskussionen zur Vereinheitlichung der Zirkel zu beteiligen.“ (47)
Zu einer einheitlichen Forderung konnte sich, so das ZB, „der rechtsopportunistische Zirkelblock“ (48) nicht durchringen, es sei denn, man würde die Forderung nach „120 DM für alle“ und „Absicherung der Effektivlöhne durch Vorweganhebung“ als eine bezeichnen, die von allen beteiligten Gruppen vertreten würde. Dennoch waren die allgemeinen Defizite nicht zu übersehen; denn Losungen wie „Weg mit den Leichtlohngruppen“, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ oder etwa „Kampf dem arbeiterfeindlichen BVG“ dürften eher einer Bewegungssolidarität ohne Verpflichtung entsprochen haben. Vor allem, so das ZB, stand das „Lohndiktat“ und die „soziale Hauptstütze der Bourgeoisie“ (die SPD, d. Vf.) gar nicht auf der Tagesordnung der AE. Dementsprechend konnte sich das ZB dieser AE auch nur verweigern. Und nahm gar nicht erst an dieser Konferenz teil. Dies betraf auch die KPD/ML-ZK, die die AE total ignorierte. Möglicherweise hing das bereits mit dem langen Weg der Krise der KPD/ML-ZK zusammen, die sich ab dem Monat August doch entscheidend verschärfen sollte. Nach eigenem Bericht spaltete sich wohl zuerst der KSB/ML Hamburg im August.
Die Positionierungen waren in den verschiedenen Papieren nicht einfach zu überblicken. Vertieft werden sollen sie hier nicht. Es ging aber in diesem Streit u. a. um Fragen, die es seit der Gründung der KPD/ML gab und die sich an den schon von vielen Grundeinheiten öfter kritisierten Leitungsmethoden der Zentrale festmachten. Die Solidarität, schrieb eine abgespaltene Fraktion, hätte „als Basis der Kritik“ die Partei verlassen. Und: „Die in den Thesen vorgebrachte Kritik ist keine innerparteiliche Kritik mehr, sie wird bereits von außen vorgebracht … Wer ist denn für den Zustand der Partei verantwortlich, wenn nicht diejenigen, die in verantwortlicher Funktion gestanden haben? In dem Augenblick, wo sie zur Verantwortung gezogen werden, tun sie so, als hätten sie mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt …“
Die parteitreue LL Wasserkante bzw. Hamburg äußerte sich zu den Thesen wie folgt: „Die Position, die in diesen Thesen zum Ausdruck kommt, ist nicht neu. Es ist haarscharf die Position, die die MLHO in Kiel vor über einem halben Jahr einnahm … Die ehemalige KSB/ML-Leitung hat zwar die Position der MLHO übernommen, aber sie war zu feige, deren Konsequenz auf die Partei anzuwenden, nämlich die Auflösung der Organisation …“
In langen Ausführungen wandte sie sich gegen die MLHO gegen die „Spontaneisten“, gegen die Spalter, die unter dem Deckmantel der Theorie den „wissenschaftlichen Sozialismus als ein Produkt der Intellektuellen“ bezeichneten und die nicht verstanden hätten, dass der Sozialismus „in die Arbeiterklasse hineingetragen werden“ müsse. Die Aufgabe der KPD/ML sei es, „aus dem abstrakten Klassenbewusstsein ein konkretes zu machen, aus der sinnlichen Erkenntnis der Ausbeutung eine rationale zu machen und den spontanen Kampfwillen zu rüsten mit den allgemeinen Erfahrungen der bisherigen Kämpfe …“ (49)
Überall ist Krise - das als Leitmotiv zu verstehen, wäre nicht falsch. Der Autoritätsverfall der Leitungen vers. ZK dürfte nicht mehr zu übersehen gewesen sein. Die Verweigerung der praktisch-politische Unterstützung der Ortsverbände enthüllte die gesamte Machtdeflation der KPD/ML, die durch die Erzeugung von Illusionen über die eigene Stärke die Dauermisere nur noch verstärkte. Wenn die parteitreue Linie ein „konkretes Klassenbewusstsein“ einforderte, dann war das natürlich nur ein krudes Kontrastbild, das die Aussichtslosigkeit der Gruppe, wieder an Stärke und Kraft zu gewinnen, widerspiegelte.
In dieser Situation war die Unterstützung des ZK durch Radio Tirana gewiss. In „Die marxistisch-leninistische Weltbewegung wächst und erstarkt“ konnte man das stakkatohafte Jubellied über die „immer siegreiche KPD/ML“ vernehmen. Bis zu seinem Tod hatte Ernst Aust ja ein besonderes Verhältnis zu Enver Hoxha, dem 1. Parteisekretär aufbauen können. Und auf seine Weise ließ er über den Sender Sympathie für die KPD/ML verkünden. Die Radiokommentare waren u. a. in „Ausgewählte Sendungen von Radio Tirana“ erschienen, die vom TKB/ML bzw. vom Rotfront-Verlag der Gruppe im August erstmals herausgegeben worden waren. (50) Nach Einstellung dieser übernahmen die ML Aachen, ein Produkt des außerordentlichen Parteitags der KPD/ML, ab ca. Oktober 1972 neben ihrer „Roten Stimme“ die Herausgabe.
Ein neu gewähltes ZK musste unterdessen wohl anerkennen, dass es offenbar ihre latenten Kurswechsel gegenüber der Basis nicht mehr offen vertreten konnte. Dies kristallisierte sich u. a. auch in der Frage der Einheit der Marxisten-Leninisten heraus. Hier wurde mehr und mehr deutlich, dass der Alleinvertretungsanspruch des ZK starke Risse aufwies. Das konnte einem Papier eines Teils der OG Dortmund der KPD/ML-ZK aus dem August entnommen werden. Laut späterer Bolschewistischen Linie (BL) der KPD/ML in Dortmund hieß es in diesem Text, der auch im Organ „Parteiaufbau“ verbreitet worden war:
„1. Das neugewählte ZK entfaltet im Zeitraum des nächsten halben Jahres eine revolutionäre Bewegung für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML in allen Bereichen der Partei und der Massenorganisationen, unter allen Parteigenossen und Sympathisanten. Dabei werden konkrete Richtlinien für die Durcharbeitung der Spaltungsgeschichte und für ihre korrekte Darstellung in allen Parteiebenen sowie für den ideologischen, politischen und organisatorischen Kampf gegen alle für die Spaltung verantwortlichen Elemente - gleich ob in unserer Partei oder in der Gruppe ROTE FAHNE Bochum (KPD/ML-ZB, d. Vf.) - vom ZK, vom Politbüro, im engen Kontakt mit den unteren Parteiorganisationen erarbeitet. Ziel der Untersuchungen und der Propagierung ihrer Ergebnisse muss es sein, die korrekte Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Partei auf der einen und der Gruppe ROTE FAHNE Bochum auf der anderen Seite sowie der aktuell bedeutsamen Widersprüche und ihrer Natur entschieden in Angriff zu nehmen.
2. Das ZK setzt sich im nächsten Vierteljahr mit dem ZB in Verbindung und macht Vorschläge zur Überwindung der Spaltung. Das ZK informiert im gleichen Zeitraum die wichtigsten Gremien der Partei im Besonderen und alle Parteigenossen im Allgemeinen über den Stand der Initiative.
3. Das ZK (und Politbüro) gibt im Verlaufe des o.g. halben Jahres eine Stellungnahme für alle Genossen der Partei und der Massenorganisationen ab. Es berichtet darin über den Stand der Gespräche mit der Gruppe Rote Fahne Bochum, über den Charakter der Widersprüche, und fügt eine Stellungnahme der Gruppe Rote Fahne zu den gleichen Fragen bei …
4. Bei positivem Verlauf der Gespräche mit der Gruppe Rote Fahne Bochum erfolgen konkrete ideologische, theoretische und praktische Anleitungen für alle Ebenen, die den revolutionären Kampf für die Einheit der Marxisten-Leninisten führen müssen. Jeder negative Verlauf muss gegenüber den Parteigenossen von Seiten des ZK exakt begründet werden.
Die Gruppe Rote Fahne Bochum gehört zur marxistisch-leninistischen Bewegung und gehörte zur Partei. Die Spaltung der KPD/ML in zwei schadet der Verankerung im Proletariat und der proletarischen Kaderbildung … In vielem ist die Tätigkeit der Gruppe Rote Fahne ihrem Wesen nach der unseren mindestens zu 70:30 gleich.
Die Aufgabe drängt angesichts der Metalltarifbewegung und der bevorstehenden Illegalisierung der revolutionären Kräfte. Es ist eine Aufgabe, die entschieden, verbindlich und geschlossen in Angriff genommen werden muss. Es ist hier notwendig, Rahmen zu sprengen, z. B. auf Prestigefragen im Interesse der Revolution zu verzichten.
Zentrale und untere Ebenen der Partei prüfen auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus und disziplinierter Arbeit den Charakter der Widersprüche und die politischen Konsequenzen. Dieser Kampf ist selbst ein Beitrag zur ideologischen Erziehung der Partei.“ (51)
Für die Hardliner im ZK mussten diese Ideen weltfremd wirken. War es doch gerade die Erstgeburt, die aus der KPD/ML die feste Einbindung in den Kanon der wahren Marxisten-Leninisten machte. Der Hauch von Liberalisierung konnte ihm nicht gefallen. Die Revidierung der Glaubenslehre mit dem Stalinschen Vergleich 70:30 erweckte eher den Anschein, dass die einzige legitime Hüterin des KPD-Erbes nicht mehr das einzige Trägerelement dieser Bewegung war.
Den „Rahmen zu sprengen, z. B. auf Prestigefragen im Interesse der Revolution zu verzichten“, war Rebellion. Wenn sie auch unter dem Deckmantel des Versuchs, erneut dem Sultanismus zur Macht zu verhelfen, (52) gestartet worden war, so wurde ersichtlich, dass die bisherigen Plattheiten nun einen anderen Namen bekommen mussten. Überhaupt war hier zu erkennen, dass das ZK unbeweglich war und dass seine bisherige Überlegenheit in Frage zu stellen sei. Aber die BL bzw. der hier geforderten Einbindung des ZB (auch in die MTR) ins revolutionäre Geschehen war natürlich auch weit davon entfernt, seine Kritik weit zu spannen. Auch ihr ging es wohl nur darum, das dogmatisch-verzerrte Bild ein wenig zu lockern, um dann mit dem ZB dort weiter zu machen, wo sie beim ZK aufgehört hatte. Insofern, was sich erst später herausstellen sollte, endete der Entwurf der BL in einem beispiellosen Desaster, das sich durch die ZB-Pleite noch zu verstärken schien. Zumindest hatten diese Genossen zwei Crashs hintereinander erlebt, was für die Moral gerade nicht erträglich war.
Im Bereich der betrieblichen Politik wurde weiter nach Strippenziehern, Verblendeten und Verführten gesucht, die willfährige Agenten des kapitalistischen Systems waren. Es ging um „Beistandspakte“ und wiederum um das „Lohndiktat der SPD-Regierung“. Die Verpflichtung auf dieses doktrinär-politische Verhängnis dürfte nichts anderes als ein eingefressenes Feindbild gewesen sein, welches sich stets durch eine maßlos verzerrte Emotion nährte und schon aufdringlich einem latenten unausweichlichen Konflikt entgegensteuerte.
Die Nr. 9 des „Röhrenkiekers“ (Betriebszeitung der Roten Mannesmann-Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK), die im August erschien, meinte dann auch: „Lohndiktat der SPD-Regierung soll auch bei uns durchgesetzt werden! Danach muss „im September mit einer harten Front der Kapitalisten gerechnet werden. Sie haben schon einen Beistandspakt gebildet, bei Thyssen z. B. wurde 1 1/2 Monate volle Pulle produziert - nicht weil plötzlich Aufträge da waren, sondern als Vorbereitung auf Streiks im Herbst. Worauf können wir im Herbst bauen? Nur auf unsere eigenen Kräfte! Der konsequente Kampf gegen das Lohndiktat kann nur ein Kampf gegen die SPD-Regierung sein … Deshalb kann unser Kampf nur unter der Parole stehen: Gegen Lohndiktat und Lohnraub! Gegen das Kapital und seine SPD-Regierung- Die geschlossene Front der Arbeiterklasse!“ (53)
Mit diesem Sozialhass wurde die SPD in eine Rolle hineinmanövriert, die sie gar nicht hatte und die von den maoistischen Gruppen total überbewertet worden war. Die Agenten dieses Repressionsapparates saßen, wie an dem Beispiel des „Röhrenkiekers“ zu entnehmen war, überall. Ihr Überwachungsapparat hatte die Fäden weit gespannt und perfektionierte ihn ständig - bis zum angedachten Verbot der KPD/ML. Auf eine ahnungslose Naivität ließ sich diese Politik reduzieren. Die Verrätereien der SPD im Betrieb waren eingebunden in die weltweite Willkür der Kapitalisten und Imperialisten, ihrer wahren Machtbesessenheit, die sie (die SPD) zur Schlüsselfigur überhaupt machte.
Eingedenk der Tatsache, dass die SPD in ihrem politischen Handeln weit überschätzt wurde, ihre sog. „arbeiterfeindliche Politik“ als Diktum eines politisch diktatorischen Handelns verstanden wurde, dürfte das Projekt „Lohndiktat“ nichts anderes als eine krasse Erfindung, die selbstredend auch der Tradition entsprach, gewesen sein. Alle Anstrengungen, die darauf hinausliefen, der SPD eine Diktatur zu unterstellen, komplizierten das Auftreten in den Betrieben umso mehr.
„Der Hammer“, die Betriebszeitung der Roten DEMAG Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK, Nr. 5 für DEMAG Duisburg aus dem August spiegelte dieses Bild. Auf 14 Seiten wurde u. a. in langen Ausführungen die Linie des Verrats von Ernst Reuter über Brandt bis Brenner gezogen. Von ihnen würden sich „die Kollegen verraten fühlen“. Und der 9%-Forderung der Großen Tarifkommission (54) wurde entgegengehalten: „15% auf den vollen Lohn gleich 1 DM für alle. 1 000 DM garantierter Mindestlohn, Tarifliche Absicherung der Effektivverdienste, Weg mit dem Punktesystem, 13. Monatslohn statt Treueprämie, Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.“ (55)
So sehr sich auch die K-Gruppen ins Zeug legten, und wie hier, als betriebliche Opposition mit einem eigenen Forderungskatalog operierten, so standen sie dennoch allein auf weiter Flur. Ihnen machte ja nicht nur das weit verzweigte System der Betriebsoligarchie zu schaffen, sondern, wie schon ausgeführt, auch die erbitterte Konkurrenz untereinander.
Bei Krupp in Essen war es u. a. die DKP, die an den maoistischen Gruppen kein gutes Haar ließ. Die Nr. 6 der „DKP-Tatsachen“ für Juli/August meinte: „Was ist links - und was ist rechtsextrem? Wie ist das mit den Linksextremen? Will man dieses Wort überhaupt benutzen, so hat fast jeder Leser von 'tatsachen' in den Krupp-Betrieben schon Gelegenheit gehabt, solche 'linken' Spinner unter dem Namen 'KPD/ML', 'Rote Garde', 'Rote Fahne' kennenzulernen. Diese Wirrköpfe, die mit Kommunisten nicht das Geringste zu tun haben und die ihren dümmsten und jämmerlichsten Ausdruck bei der ins Kriminelle abgerutschten Baader/Meinhof-Gruppe finden, sind gerade gut genug, um Verwirrung zu stiften.
Denn mancher Kollege ist da noch, der sagt, das sind doch auch Linke, sind doch auch Kommunisten. Die Wahrheit: Das sind weder Kommunisten noch Linke! Das sind Leute, die die Aufgabe haben, uns Kommunisten zu schaden! Denn eben sowenig, wie jemand, der von sich behauptet Napoleon zu sein auch ein solcher ist, sondern höchstens reif ist für eine gewisse Anstalt, haben Leute, die viel Rot in ihrer Zeitung verwenden, sich hochtrabend 'Marxisten-Leninisten' nennen, schon etwas mit der Kommunistischen Partei zu tun.
Vielmehr lassen sich in der Argumentation dieser so genannten 'Linksextremen' verblüffende Parallelen zur Argumentation der rechtsextremen NPD und CDU/CSU finden. Gleich dem Rechtsklüngel verleumden sie die Verträge von Moskau und Warschau, beschimpfen sie die Gewerkschaften und die DKP, predigen sie Feindschaft zur DDR und UdSSR. Und das wollen Linke, wollen Kommunisten sein? Die DKP aber ist die demokratischste Partei auf dem Boden der Bundesrepublik, sie vertritt konsequent die Interessen der Arbeiter und Angestellten, sie tritt ein für mehr Demokratie, für Mitbestimmung, für Frieden und Sicherheit in Europa. Wer die DKP als eine extreme Partei verleumdet, tut das aus sehr durchsichtigen Gründen voller Böswilligkeit.“ (56)
Die DKP nutze ihre Stellung in den Betriebsräten und den V-Leute-Körpern natürlich aus, um mit dogmatischer Wortwahl und anachronistischer Agitation Fundamentalkritik an den K-Gruppen zu äußern. Die ihnen nahestehenden SPD-Betriebsräte ließen es auch gerne zu, dass die DKP sie durch ihre Hauspostillen unterstützte. Die orthodoxe Haltung der DKP, ihr Pragmatismus und der „Verrat am Marxismus-Leninismus“, der im bekannten Revisionismusvorwurf gipfelte, war wiederum für die Maoisten der Anlass, die Liaison der DKP mit allen Verrätern, vor allem ihrer betrieblichen und örtlichen Stützen (etwa SPD), zu predigen. Die Gegensätze in den Betrieben waren somit unversöhnlich. Da es auch keine Vereinheitlichung in Lohnforderungen gab, musste sich jede Seite mit einem Pyrrhussieg zufrieden geben. (57)
Die am 2. August erschienene Nr. 15 der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB veröffentlichte einen weiteren Artikel zur Metalltarifrunde. Im Artikel „Die KPD/ML stärken. Der politische Kampf muss im Vordergrund stehen“ hieß es zu den MTRs 1970 und 1971: „In der Metalltarifrunde 1970 beteiligte sich die KPD/ML zum ersten Mal in ihrer kurzen Geschichte am Massenkampf der westdeutschen und Westberliner Arbeiterklasse. Die Partei verteilte an vielen Betrieben Flugblätter und Betriebszeitungen, die den Lohnkampf der Metaller unterstützten und ihm mit der Hauptparole 'Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung - Die geschlossene Front der Arbeiterklasse' das politische Ziel zeigte. Auch 1971 wird die KPD/ML während der Metalltarifrunde klar und eindeutig das politische Ziel zeigen: Sie wird den Hauptschlag gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung führen. Sie wird zeigen, dass das Lohndiktat der wichtigste politische Angriff auf die Arbeiterklasse ist. Denn die westdeutsche und Westberliner Arbeiterklasse tritt immer breiter und massenhafter für Lohnforderungen in den Kampf …
Damit dieser Kampf sich nicht ausweitet, damit die Arbeiterklasse nicht zu politischen Forderungen übergeht, soll der Massenkampf durch das Lohndiktat von vornherein abgewürgt werden und zerstört werden. Deshalb geht die SPD-Regierung dazu über, die Gewerkschaften immer mehr zu verstaatlichen, um mit Hilfe der Gewerkschaftsführer den Kampf der Arbeiterklasse zu zerstören. Deshalb will sie der Arbeiterklasse das Recht rauben, im freien Kampf Lohnforderungen durchzusetzen. In der Metalltarifrunde geht es um mehr als um reine Lohnfragen. Es geht um die gesamte imperialistische Politik der SPD-Führer, gegen die die KPD/ML den Kampf führen wird … Gegen diese Verratspolitik der SPD-Führer … muss der politische Kampf geführt werden.
Das Zentralbüro der KPD/ML hatte mit der Hauptlosung 'Kampf dem Lohnraub! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse' die richtige Richtung angegeben. Auf dem Höhepunkt der Kämpfe, als im Herbst hunderttausende Metaller und Stahlarbeiter spontan für 15 Prozent Lohnerhöhung in den Kampf traten, ging die Klarheit des politischen Kampfes dagegen in vielen Betriebszeitungen der KPD/ML verloren. Sie beschränkten sich nur noch auf den wirtschaftlichen Kampf und auf Aufrufe zum Streik. Hier zeigte sich die Jugend und Unerfahrenheit der Partei. An vielen Orten war die KPD/ML nicht Führerin, sondern ökonomistischer Nachtrab der Arbeiterklasse.“ (58)
Blickt man auf die Transformation der SPD-Linie, so äußerte sie sich auf dreierlei Weise:
- in der Parole „Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung - Die geschlossene Front der Arbeiterklasse“ (manchmal auch „Kampffront“);
- im Hauptschlag, der gegen das „Lohndiktat der SPD-Regierung“ gerichtet war;
- und im „Kampf dem Lohnraub - Für 15% Lohnerhöhung“.
Diese drei Tendenzen erfuhren noch eine ungeahnte Verstärkung, indem das ZB einen möglichen „Massenkampf gegen das Lohndiktat“ konstruierte. Und sogar meinte, dass die Stahl- und Metallarbeiter spontan für „die 15%-Forderung in den Kampf traten“. Für 1971 prophezeite das ZB, dass es um mehr als nur um Lohnfragen gehe. Es gehe „um die gesamte imperialistische Politik der SPD-Führer“, also um ein Politikum sondergleichen.
Das war ein beispielloses Tempo in der Entwicklung der Linie zur Sozialdemokratie. Wie schon ausgeführt, erhielt sie ihre Dynamik durch die Ausweitung der Programmpolitik der Zentrale, die die Grundlagen für die sich, nach Auffassung des ZB, stets verschärfende Verratspolitik der SPD schuf. Nach einer gewissen Anlaufphase war sie zu einer, nach heutiger Sicht, massenmedialen Agitation geworden. Stets wurde sie, fast lückenlos, mit Berichten über die SPD, die u. a. der „KND“ herbeitrug, verändert, verbessert, verfeinert oder drastisch verändert. Der Siegeszug dieser Linie endete im bekannten Weltverständnis des Zentralbüros, das sich spätestens bis zum Massaker während der Olympischen Spiele 1972 in München (September) in das aggressive Feindbild schlechthin verwandelte.
Die Politisierung gegen das Lohndiktat brachte auch einen unmittelbaren Nahkampf mit sich, der den Behauptungswillen dieser Linie noch unterstreichen sollte. Erstmalig fanden während der MTR 1971 sog. „Kurzkundgebungen“ statt, die die Stärke der KPD/ML vermitteln sollten, die aber auch auf eine Gegenöffentlichkeit insistierten; denn bisher waren die Vertreter der KPD/ML in den Betrieben nur durch die BZ bekannt. Durch diese Art von Kundgebungen war der Kurswechsel vollzogen. Diese Selbstreferenzialität war garniert mit bunten Häppchen der betrieblichen „Kampfprogramme“ der jeweiligen BG. Eine solche „Kurzkundgebung“ fand etwa Anfang August vor Ford in Köln statt. Dort gab die BG der KPD/ML-ZB ihre Betriebszeitung „Rote Schwung-Scheibe“ heraus. (59)
Die Versuche des ZK, dem ZB hier nachzueifern, waren doch recht mühsam. Es mag an dem Zwitterdasein der KPD/ML gelegen haben, dass die Kommunikation insgesamt nicht funktionierte. Und die Darstellung der „echten“ KPD/ML in der Öffentlichkeit auch an der Krähensolidarität lag, die beide Gruppe untrennbar miteinander verband. Meistens beschränkte sich das ZK auf die innerbetriebliche Propaganda.
Etwa Zeitgleich erschienen am 2. August für die Westfalenhütte in Dortmund (Hoesch) die „Metallbetriebe“, Nr. 8 der KPD/ML-ZK und eine „RWW“ (Extra). Im Hauptartikel der „Metallbetriebe“ (ehemals „Rot Front“) forderte das ZK für die MTR „15% auf den Effektivlohn gleich 1 DM mehr“. (60) Die „RWW“ legte nach und meinte: „15% LOHNERHÖHUNG AUF LOHNGRUPPE 7 FÜR ALLE LOHNGRUPPEN“. Der Forderungskatalog beider Gruppen schien sich anzunähern, wurde aber durch die Polemik der „RWW“ wieder zunichte gemacht. Das Wortgetümmel setzte an den bereits schon öffentlich gemachten zahlreichen Kontroversen an, in denen es um ein Bündnisangebot zur MTR ging.
In dem Artikel „Vertrauen auf die eigene Kraft“ meinte die „RWW“ zu einem Artikel des ZK vom 19. Juli: „An die Genossen vom Roten Morgen. KOMMUNISTISCHE PARTEI ODER ERSATZGEWERKSCHAFT? Ihr habt uns in 'Rot Front' ein Bündnis für die Metalltarifrunde angeboten. Erst werden wir auf eure Forderungen eingehen; denn es ist die Pflicht der KPD/ML, die Einheit der Marxisten-Leninisten herzustellen, nach dem Grundsatz: Erst Klarheit - dann Einheit. Die Differenzen müssen auf den Tisch, die richtige Linie muss sich durch Überzeugung und im Kampf durchsetzen …
Ihr werft uns vor, wir hätten den 'Gewerkschaftsapparat' noch nicht als das durchschaut, 'was er wirklich ist: eine Kampforganisation der Kapitalisten zur Niederhaltung der Arbeiterklasse.' Ihr werft uns vor, wir hätten noch nicht erkannt, dass der 'Gewerkschaftsapparat mehr und mehr mit dem Staat und den Kapitalisten verwächst.'
Genossen vom 'Roten Morgen', allerdings haben wir erkannt, dass die Führer der Gewerkschaften, deutlichste Spitze 'Kollegen' Arendt und Leber, direkt mit dem Finanzkapital und dem Staatsapparat verwachsen. Auf Betriebsebene haben wir dafür auch genug Beispiele. So z.B. Hölkeskamp mit seinen 480 000 pro Jahr. Wir machten auch immer auf die Folge dieses Zusammenwachsens von Kapitalisten, SPD-Regierung und Gewerkschaftsführern aufmerksam: dass dieser Dreibund gemeinsam das Lohndiktat gegen die Arbeiterklasse durchsetzt, dass sie in gemeinsamer Front energische Schritte zur Verstaatlichung der Gewerkschaften einleiten …
Aber, Genossen vom 'Roten Morgen', habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, wieso die SPD-Regierung das Lohndiktat im Bergbau und Chemie ohne größeren Widerstand der Kollegen durchsetzen konnte? Da genügt es eben nicht vom 'Dreigestirn: Kapital, Staat und Gewerkschaftsapparat' zu reden, wie ihr es in 'Metallbetriebe 2' getan habt, sondern dazu müsst ihr endlich die Rolle der SPD-Regierung begreifen, die zur Zeit das größte Übel für die Arbeiterklasse ist. Die SPD-Regierung, die selber als 'Arbeiterregierung' immer weniger von den Arbeitern unterstützt wird, erhält sich ihren Einfluss den Kollegen vor allem über die rechten Gewerkschaftsführer: Brenner, Pfeifer bis zu Werski sind ihre TREUEN AGENTEN DIREKT IN DER ARBEITERKLASSE.
SIE geben der SPD-Regierung ihre Stärke, weil sie direkt im Betrieb die Angriffe der SPD-Regierung durchführen und den Kampf dagegen abwürgen: wie das bei den Notstandsgesetzen, bei den Fahrpreiserhöhungen des Dortmunder SPD-Stadtrats, beim Lohndiktat im Bergbau und in der Chemie, beim Abwürgen der 15%-Forderung auf der WH war.
SIE kommen also den Kollegen mit Argumenten wie: Die SPD-Regierung ist in Gefahr - also Opfer bringen. SIE ketten die Kollegen mit ihrer Demagogie an die Sozialdemokratie und halten sie damit von der KPD/ML, der wirklichen Arbeiterpartei ab …
Genossen vom Roten Morgen, wenn ihr das erkannt hättet, dass die Stärke der SPD-Regierung darin besteht, dass sie sich auf die rechten sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer stützen kann, dann würdet ihr nicht einen Kampf gegen den DGB als 'Organisation der Kapitalisten' führen, dann würdet ihr nicht einen antibürokratischen Kampf gegen den 'Gewerkschaftsapparat' führen …
Ihr werft uns vor: 'Indem ihr nur Gewerkschaftsführer bekämpfen wollt, unterliegt ihr dem Trugschluss, die Arbeiter könnten die Bonzen einfach abwählen, wenn sie nur wollten'. Ihr geht noch weiter und tut so, als ob wir 'vertrauensvoll mit den Leitungen' (zusammenarbeiten, d. Vf.) wollten, um den DGB wieder zur Kampforganisation zu machen. Es sieht ganz so aus, als ob ihr unsere Zeitungen nicht gelesen hättet. Unsere Parole heißt nicht 'Eroberung von Pöstchen' oder 'Vertrauensvolle Zusammenarbeit', sondern: GEGEN DIE VERRÄTEREIEN DER SPD-REGIERUNG - DIE GESCHLOSSENE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE.
Das heißt: Wir kämpfen IN DER GEWERKSCHAFT, um die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse, die Einheitsfront von unten gegen die verräterischen sozialdemokratischen Führer herzustellen. Also, wenn WIR von Eroberung der Gewerkschaften reden, dann meinen wir nicht, was IHR euch darunter vorstellt: Eroberung des 'Gewerkschaftsapparates', sondern Eroberung der Massen im Kampf gegen die falschen Führer. Das vermag eine starke Kommunistische Partei. Und deshalb müssen als erstes die Betriebsgruppen, die Grundorganisationen der KPD/ML gestärkt werden ...
UND WAS IST EUER WEG? Weil ihr dem Kampf in den Gewerkschaften kein politisches Ziel gebt, stellt ihr dem 'Gewerkschaftsapparat' eure Roten Betriebsgruppen (RBG's) als Ersatzgewerkschaften entgegen. IHR RADIERT EUCH ALS KOMMUNISTISCHE PARTEI, WIE IHR EUCH JA NENNT, SELBST AUS. Ihr beraubt die Arbeiterklasse ihrer stärksten Waffe, der Kommunistischen Partei - und bietet dafür Ersatzgewerkschaften an.
Euer Bündnisangebot zeigt, wie weit ihr schon zu einer Ersatzgewerkschaft heruntergekommen seid. Auf der Grundlage 'Gemeinsamer Beratungen über Abwehrmaßnahmen gegen Übergriffe von Bonzen, SPD-Betriebsgruppe oder Polizei' und den wirtschaftlichen Forderungen macht ihr ein Bündnisangebot!!!
Genossen vom 'Roten Morgen', habt IHR denn noch nicht begriffen, dass dieses Jahr ein Bündnis, das nur auf wirtschaftlichen Forderungen beruht, zerbrechen muss? Denn wer ist der Feind, der uns angreift? - Die SPD-Regierung hat doch das Lohndiktat erlassen, um ihre Eroberungspläne auf dem Rücken der Arbeiterklasse durchzuführen. Sie rüstet auf noch und noch. Sie wird weder vor staatlichen Schlichtungsmanövern, Polizeieinsatz oder gar Streikverbot zurückschrecken, um die 'Ruhe an der Heimatfront' zu erhalten!
DESHALB bieten wir euch ein Bündnis an, das angesichts des Lohndiktats auf der einzig richtigen Grundlage steht, auf der Grundlage: KAMPF DEM LOHNRAUB! KAMPF DEM LOHNDIKTAT! GEGEN DIE VERRÄTEREIEN DER SPD-REGIERUNG - DIE GESCHLOSSENE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE! Zu euren wirtschaftlichen Forderungen ist zu sagen, dass die Forderung nach 15% auf den Effektivlohn spalterisch ist, weil dieses Jahr die fortschrittlichen Kollegen die Tradition vom letzten Jahr fortgeführt haben und 15% (wie letztes Jahr auf den Tariflohn) gefordert haben. Deshalb heißen UNSERE wirtschaftlichen Forderungen: 15% von Lohngruppe 7 auf alle Lohngruppen. Kampf den Leichtlohngruppen und Altersabschlägen.“ (61)
Die Polemik beider KPD/ML-Gruppen bei Hoesch war schon symptomatisch für den Krieg der Sinnlosigkeit. Die unversöhnlichen Lager, so schien es, waren der Dauerbelastung des ewigen Streits gar nicht gewachsen. Neben den Wiederholungen in der Agitation fiel auf, dass hier Unbelehrbare sich ihren Weg suchten. Für die (arbeitende) Öffentlichkeit musste zwangsläufig der Eindruck entstehen, dass keine der beiden Gruppen sich verständlich machen konnte. So entstand ein Nährboden aus Missachtung, gegenseitigem Misstrauen und stetiger Verfälschung der Positionen, die jeden Entfaltungsspielraum verhinderten.
Am Beispiel des Slogans „15% LOHNERHÖHUNG AUF LOHNGRUPPE 7 FÜR ALLE LOHNGRUPPEN“ („RWW“) lässt sich die dummdreiste Art und Weise, Politik zu betreiben, deutlich klar machen. „15% auf den Ecklohn“, gefordert von „Metallbetriebe“, sei „spalterisch“, so die „RWW“. Dabei war es gerade sie, die bei der Zentrale der KPD/ML-ZB als Vorzeigebetriebsgruppe galt und vormals selber noch die Ecklohnforderung vertrat, aber nach einem Einwand der Betriebs- und Gewerkschaftskommission beim ZB, nun die Lohngruppe 7 ins Spiel brachte. Weil es um die Konkurrenz auf der Westfalenhütte ging, wurde interveniert und eine Forderung ins Spiel gebracht, die niemandem half oder gerecht wurde. Weder die Lohngruppendebatte noch die eigentliche Forderung nach 15% waren geeignet, irgendeine Seite zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Ein respektables Gegengewicht hatte keine der Gruppen aufbauen können.
Auch das Bündnis zur MTR, das die „RWW“ „Metallbetriebe“ anbot, dürfte nur einem Neutralisierungsaspekt entsprochen haben. Es sollte unter der Parole stehen: „KAMPF DEM LOHNRAUB! KAMPF DEM LOHNDIKTAT! GEGEN DIE VERRÄTEREIEN DER SPD-REGIERUNG - DIE GESCHLOSSENE KAMPFFRONT DER ARBEITERKLASSE!“
Nach dem Kenntnisstand der Dinge hatte das ZK in ihrer betrieblichen Agitation hier ebenfalls kein Blatt vor den Mund genommen und sich wohl gänzlich (teilweise auch in der Wortwahl) dem Parolismus des ZB angeschlossen. Weswegen also das Bündnis nun auf einmal von unterschiedlichen Positionen ausging und andere, sogar besondere Prämissen, wie sie in den Parolen des ZB zum Ausdruck kämen, anführte, musste unerklärlich bleiben. Es ging wohl nur um die Herausarbeitung der Rolle des „Lohndiktats“ auf der Westfalenhütte und der Darstellung der eigenen, vermeintlich überlegenen Position. Das bezog sich selbstredend auch auf den Wirrwarr um die richtige (oder richtigere) Gewerkschaftsarbeit. Hier entpuppte sich jenes Konglomerat von ideenloser Träumerei und einem tradierten Weltbild, welches sich in gewisser Hinsicht auf Zwergengröße reduzieren ließ.
Das maßgebliche Organ während der MTR 1971 war der „KND“, der sich, so das ZB später, zu einem „heimlichen Zentralorgan“ mauserte. Das ZK hatte dem nichts entgegenzusetzen. Seine Instruktionen nahmen nie die umfassenden Erörterungen, an wie sie im „KND“ nachzulesen waren. Die Anzahl der vielen Berichte aus den Betrieben, der Wirtschaft, der Politik und Kultur, der Außenpolitik und des Internationalismus - bis hin zu Ökologie und zum nationalen und internationalen ML-Lager - waren reich an Informationen und warfen durchaus einen realen Blick auf die gesellschaftlichen Zustände der BRD in den 1970er Jahren. Zudem erschien die Ausgabe zwei Mal in der Woche. Vor allem waren es die aktuellen Kampagnen des ZB, die teils erläutert und konkretisiert wurden und die den Parteiarbeitern als Anleitung zum Handeln dienen sollten. Zwischen 1970 und 1973 gab es in der ML-Bewegung eigentlich kein vergleichbares Organ.
Am 7. August erschien der „KND“ Nr. 59 mit dem Leitartikel: „Klare politische Fronten im Betrieb: Gemeinsame Stoßtrupps von SPD- und DKP-Verrätern gegen KPD/ML“. Dazu erschien auch noch eine neue „Instruktion der Gewerkschaftsabteilung“ der KPD/ML-ZB zur MTR. (62)
Zielstrebig versuchte der „KND“, garniert mit einer giftigen Mischung von Geltungssucht und irrationaler Argumentation, ein Ausmaß an Angriffen gegen die KPD/ML zu konstruieren, das hypertrophe Formen annahm. Er beschwor die Symbiose zwischen Staat, Kapitalisten, Gewerkschaftsbürokratie und SPD, die unvermeidlich zum Stoß gegen die KPD/ML gerade in der MTR ausholen würden. Das glich einer Dolchstoßlegende, einer allgemeinen Verschwörungstheorie, die schon beinahe durch das Organ glaubwürdig gestaltet wurde; denn überall würden SPD und DKP ihr Unwesen treiben, überall würden sie an „vorderster Front“ stehen, wenn es darum ginge, die KPD/ML in die Enge zu treiben, und überall würden sie erstaunliche Kontinuität beweisen, wenn es darum ginge, die Arbeiterklasse an ihrem Kampf zu hindern. Der „KND“, der für die damaligen Verhältnisse stets aktuell war, signalisierte zur MTR auch den Sonderweg des ZB, das auf ein klassenkämpferisches militantes Proletariat gerade in dieser Runde hoffte.
Das vielbeschworene zu erweckende Klassenbewusstsein des Proletariats, das in dieser MTR von ausschlaggebender Bedeutung schien, war für das ZK zum Maßstab geworden. In der Nr. 9 der „Rotfront - die KPD/ML informiert die Kollegen der Dortmunder Metallbetriebe“ vom 10. August hieß es: „… die KPD/ML kämpft am konsequentesten gegen das Lohndiktat der Kapitalisten und der SPD-Regierung kämpft und deckt schonungslos den Verrat der Bonzen auf. Das wird auch weiter geschehen. Kämpft alle mit …“ (63)
Nun könnten diese Sätze als Polemik gegen die „RWW“ verstanden werden, die dem ZK unterstellte, es würde nicht gegen das „Lohndiktat der SPD-Regierung“ kämpfen. Ob dem so war, kann nicht beantwortet werden. Doch mit Hartnäckigkeit vertrieb das ZK die Annahme, es würde in der betrieblichen Agitation nicht auf das Pferd SPD setzen. In mancher Hinsicht war es sogar leicht, einfach eine vorgefertigte Theorie, wie hier, zu übernehmen. Das ZK verstand es sogar, die Mission SPD nicht mit einer esoterischen Geheimsprache zu verkleistern, wie es später von den K-Gruppen öfter getan wurde, sondern das Maß an „Klarheit“ war nicht zu übersehen. Das „Lohndiktat“ sei eine Maßnahme der Kapitalisten und der Regierung. Damit räumte es alle Verständnisbarrieren aus dem Weg, musste aber erkennen, dass das doch beträchtliche Probleme mit sich brachte, die sich spätestens beim Verteilen der Betriebspresse negativ niederschlugen.
Mit der Herausgabe der „Kommunistischen Arbeiterpresse“ der KPD für Hoesch meldete die Gruppe nun auch dort ihren Führungsanspruch an. Eine Vorentscheidung für die Hoesch-Betriebe war damit getroffen. Die KPD/ML war nun nicht mehr die einzige Gruppe, die diese Bereiche für sich beanspruchen konnte. Das Klassenbewusstsein zu erwecken, lag nun auch in den Händen der KPD, die mit ihrem Kampfprogramm zu MTR, das gegen die Kapitalistenklasse und die SPD gereichtet war, gleich zu punkten versuchte.
Ein Artikel in der „Rotfront“ Nr. 9 setzte sich dann auch gleich mit der KPD auseinander. Im Artikel „Schaumschläger“ wurde ausgeführt: „Kollegen! Die Spaltung in der Arbeiterbewegung ist eine Tatsache unter der wir alle zu leiden haben, weil nur durch die Einheit der Arbeiterklasse unter Führung ihrer revolutionären kommunistischen Partei der Kampf gegen die imperialistische Kapitalistenklasse siegreich geführt werden kann. Umso schlimmer ist es, wenn die kommunistische Bewegung selbst von Spaltungen erschüttert ist und daraus Resignation und Ablehnung vieler Kollegen resultieren ... Prinzipienloses ideologisch ungeklärtes, auf Geltungssucht beruhendes Spaltertum in der kommunistischen Bewegung kostet uns das Vertrauen der Arbeiter - die Kapitalisten danken es den Spaltern. Kollegen, eine solche Spaltergruppe taucht seit neuestem vor den Hoesch-Betriebstoren auf und versucht, euch durch ihre 'Kommunistische Arbeiterpresse' zu verwirren. Das Üble dabei ist, dass sich in ihren Reihen ein Großteil persönlich ehrlicher Genossen findet, die sich aber selbst nicht klar sind über ihre Rolle in ihrer Organisation KPD. Sind das pure Behauptungen? Nein! Ein unabdingbares Prinzip kommunistischer Politik ist es, den Kollegen in allen Fragen reinen Wein einzuschenken. Tut das die neue KPD hier in Dortmund? Nein! Aus der 'Kommunistischen Arbeiterpresse' erfahren wir: 'Mit der Herausgabe der ersten Kommunistischen Arbeiterpresse bei Hoesch hat die Betriebszelle Westfalenhütte der KPD ihre Propagandaarbeit aufgenommen. Die Kommunistische Arbeiterpresse wird regelmäßig erscheinen und von Kollegen geschrieben, die sich in der Betriebszelle der KPD bei Hoesch organisiert haben.'
Tatsache ist, dass die Kommunistische Arbeiterpresse keine Betriebszeitung einer 'Betriebszelle bei Hoesch' ist, sondern dass die erschienene Nr. 1 eine zentrale Zeitung, Ausgabe Hoesch ist, die nur den Hoesch-Artikel beispielsweise zu einem AEG-Artikel zu vertauschen bräuchte, um als 'Ausgabe AEG' verteilt werden zu können. Bezeichnenderweise ist verantwortlich für den Inhalt Maria Bergmann, Westberlin. Kollegen, es gibt keine 'Betriebszelle', d. h. kein Mitglied, keine Gruppe einer korrekten kommunistischen Partei im Betrieb, die nicht selbst für den Inhalt ihrer Betriebszeitung verantwortlich wäre …
Es heißt in der Kommunistischen Arbeiterpresse: 'Wir, das sind die in der Betriebszelle Westfalenhütte zusammengeschlossenen Kollegen, ziehen mit unserer Organisierung in der KPD und dem Aufbau der Betriebszelle bei Hoesch die Lehren aus den Kampferfahrungen der letzten Jahre und der Zuspitzung der Widersprüche zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten auf der ganzen Welt.' Genossen und Betriebszelle der KPD, Gruppe Rote Fahne Westberlin, welchen Anteil an den Kampferfahrungen der letzten Jahre habt ihr? ... Es ist unvereinbar mit der kommunistischen Ehrlichkeit gegenüber den Kollegen, die Existenz von Betriebszellen, -gruppen usw. vorzutäuschen, in der Hoffnung, bei einigen Kontaktveranstaltungen dann erst die fortschrittlichen Kollegen kennenzulernen. Wer in dieser Art Lügen über den eigenen Organisationsstand verbreitet, sät Illusionen unter den Arbeitern und untergräbt ihr Vertrauen in unsere Arbeit …
Eure Führer haben vor einiger Zeit Arbeitskontakte zum ZK der KPD/ML aufgenommen. Sie waren aber zur Zusammenarbeit nur bereit, unter der Bedingung, auf Grund ihrer Verdienste in der Studentenbewegung ins ZK der KPD aufgenommen zu werden. Diese erpresserische Forderung ist vom ZK der KPD/ML zurückgewiesen worden. Jeder, der in die KPD/ML aufgenommen werden will, muss den einzig korrekten Weg von der Kandidatur zum Mitglied durchstehen. Eure Führer haben dies abgelehnt - es war ihnen zu wenig ... Genossen von der KPD, Gruppe Rote Fahne Westberlin, wir fordern euch auf, euch öffentlich mit uns auseinanderzusetzen, anstatt mit Falschmünzerei über Betriebszellen usw. zu operieren und Verwirrung zu stiften. Ziel dieses Kampfes muss es sein, für die Einheit der Kommunisten, der Marxisten-Leninisten zu kämpfen und den Interessen der Arbeiterklasse zu dienen ...“ (64)
Das, was die KPD/ML zu kritisieren meinte, entsprach jedoch genau ihrer Diktion. Ihre Funktionsfähigkeit nährte sich aus dem Glauben, in der „Kampferfahrung“ ganz oben zu stehen. Das wurde der KPD schlichtweg abgesprochen. Das Wesen der K-Gruppen zeichnete sich gerade durch einen, mehr oder minder, stets wechselnden Einfluss aus. Die Autonomie einer Gruppe war nur relativ. Ihre Hegemonie war streng genommen das Ergebnis des Zusammenwirkens von ungleichen Entwürfen und Weltendeutungen, die eng mit dem Status einer Gruppe in ihrem Einflussbereich zusammenhingen. Deshalb war die KPD in den Augen der KPD/ML für Hoesch auch nur ein kurzatmiger Rückgriff auf die Studentenbewegung und die „KAP“ aus „Lügen“ genährt; denn die Betriebszelle der KPD, die nicht existieren würde, würde „nur Verwirrung stiften“. Letztlich schlug sich die KPD/ML mit ihren eigenen Argumenten. Sie hielt ihre Politik für übermächtig und sollte daran, wie alle anderen Gruppen, scheitern.
Mit dem „Kampfprogramm der KPD/ML zur Metalltarifrund“, das nicht in der „Roten Fahne“, sondern im „KND“ Nr. 60 erschien, legte das ZB am 11. August seine Strategie fest. Dort hieß es: „Das Kampfprogramm der KPD/ML zur Metalltarifrunde ist erschienen. Unter der Losung: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung wird es in dem Rote-Fahne-Extrablatt veröffentlicht, das ab Donnerstag, den 12. 8. vor vielen Metall- und Stahlbetrieben Westdeutschlands und Westberlins von Genossen der KPD/ML und des KJVD vertrieben wird. Ebenfalls wird das Kampfprogramm in Sondernummern aller Betriebsgruppen der KPD/ML in den Metall- und Stahlbetrieben veröffentlicht werden, um die Arbeiterklasse auf den Kampf auszurichten.
Das Kampfprogramm zielt auf die Ausrichtung des politischen Kampfes: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Front der Arbeiterklasse - dies sind die Losungen, unter denen der Kampf stehen muss. Gegen die politischen Knebelungsversuche der SPD-Führer, gegen die Pläne zur Verstaatlichung der Gewerkschaften müssen die Metaller und Stahlarbeiter den politischen Kampf aufnehmen. Die Knebelungspläne der SPD-Regierung sollen die 'Ruhe an der Heimatfront' sichern, die die Flick und Thyssen für ihre Eroberungspläne nach Ost und West brauchen. Für die Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung und für die Unterstützung der US-Imperialisten bei ihrem Krieg gegen die Völker Indochinas und das palästinensische Volk sollen die Arbeiter durch Steuererhöhungen und Zwangssparen ausgepresst werden.
Keine Steuererhöhungen! Kein Zwangssparen! Keine Mark von unserem Lohn für die Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung! Für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse mit den heldenhaften Völkern Indochinas und Palästinas! Gegen die Knebelungsmaßnahmen im Innern, die diese imperialistische Politik absichern sollen, lauten die Losungen: Auflösung des Bundesgrenzschutz! Gegen KPD-Verbot und Notstandsvorbereitung! Der Lohnkampf ist gerichtet auf die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse gegen alle spalterischen Forderungen: 15% Lohnerhöhung auf den Ecklohn für alle! Gegen die Spaltung durch Leichtlohngruppen, Altersabschläge und Punktsysteme! Gegen die Lohnraub- und Krisenangriffe muss die Forderung aller Metaller sein: Kampf dem Lohnraub - Garantierter Mindestlohn 1 000 DM Netto - Gegen Arbeitshetze und Entlassungen - 7 Stundentag bei vollem Lohnausgleich!
Nur durch das Vertrauen auf die eigene Kraft kann gegen die SPD-Führer und deren Agenten im Betrieb der Kampf geführt werden! Organisiert Euch in den Betriebsgruppen der KPD/ML! Arbeiter, Euer Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Führer kann nur erfolgreich sein, wenn eine revolutionäre kommunistische Partei die westdeutsche und Westberliner Arbeiterklasse führt. Obwohl die KPD/ML noch eine junge Partei ist, hat sie diese Aufgaben angepackt. Mit ihrem Zentralorgan Rote Fahne enthüllt sie alle Verrätereien der SPD-Regierung, mit ihren Betriebszeitungen entlarven ihre Betriebsgruppen zahlreiche SPD- und DKP-Betriebsräte als Schillers Handlanger im Betrieb. Nur eine solche Partei kann allen Arbeitern den richtigen Weg weisen und den Kampf um Lohn und Brot mit dem Kampf gegen die Aufrüstungspolitik und Notstandsvorbereitungen verbinden. Nur eine solche Partei kann allen Arbeitern und Werktätigen ihr Ziel zeigen: die Zerschlagung des bürgerlichen Klassenstaates und die Errichtung eines sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates. Gegen den Kapitalismus - Für den Arbeiter- und Bauernstaat! Stärkt die KPD/ML!“
Die „KND“- Redaktion erklärt zum „Kampfprogramm“: „Das Erscheinen des Kampfprogramms ist ein großer Ansporn für die gesamte Partei, es unterstützt den Kampf der Metaller, gibt ihm Ziel und Richtung und vereinheitlicht ihn. Das Kampfprogramm der KPD/ML war vom Zentralbüro der KPD/ML erstellt worden. Auf der Grundlage einer politischen Einschätzung der Lage in der Metalltarifrunde war es entworfen worden. Der Entwurf dieses Kampfprogramms sollte von allen Betriebsgruppen und Grundeinheiten der Partei diskutiert werden und Stellungnahmen über das Kampfprogramm an das Zentralbüro verfasst werden, damit das Kampfprogramm wirklich ein Kampfprogramm der gesamten Partei ist und eine möglichst große Einheit erzielt wird. Gleichzeitig sollte der Entwurf des Kampfprogramms möglichst vielen sympathisierenden Kollegen, im Betrieb vorgelegt werden, die zur Verbesserung des Kampfprogramms beitragen sollten, um die Verbindung der Partei zur Arbeiterklasse auch an diesem Punkt zu stärken. Die Förderung dieser Diskussion durch das ZB ist ein weiterer Fortschritt in der Arbeit der Partei.
In fast allen Betriebsgruppen der Partei fand eine lebhafte Diskussion statt. Über 40 Stellungnahmen der unteren Leitungen und der Betriebsgruppen erreichten das Zentralbüro. In allen Stellungnahmen wird das Kampfprogramm einhellig begrüßt … Diese Tatsachen zeigen eindeutig, dass durch die Anleitung des Zentralbüros zur Metalltarifrunde das politisch-ideologische Niveau und der Zusammenschluss der Partei gefördert und verbessert werden konnten. Doch liegen noch große Aufgaben bei der Verbesserung des politisch-ideologischen Niveaus der Parteiarbeit vor uns: dies zeigt sich hauptsächlich daran, dass viele Stellungnahmen sich noch darauf beschränken, einzelne Fragen zu kritisieren und die Kritik nicht verallgemeinern.
Die Kritiken richten sich hauptsächlich darauf, dass die sich im internationalen und nationalen Rahmen verschärfende Krise, die die westdeutschen Imperialisten zwingt, abenteuerliche Eroberungspläne vorzubereiten, nicht klar genug genannt wurde. Da besonders der internationale Rahmen fehlt, fehlt dementsprechend auch eine Parole zur internationalen Solidarität mit der Arbeiterklasse anderer Länder und den unterdrückten Völkern. Der Arbeiterklasse wurde nicht ausreichend gezeigt, mit welchen Kampfmitteln und Kampfformen sie ihre Forderungen vertreten muss, es fehlte die Erläuterung der Parole: Vertrauen auf die eigene Kraft. Die Partei wurde nicht umfassend genug propagiert. Die Notwendigkeit der Stärkung der Partei darf nicht allein aus ihrer Schwäche hervorgehen, sondern muss sich aus den Aufgaben und ihrer korrekten politischen Linie ergeben. Diese Kritiken haben mit dazu beigetragen, das Kampfprogramm zu einer noch schärferen Waffe zu schmieden und so den Kampf der Arbeiterklasse und der Partei voran zu treiben. Dieses Kampfprogramm gilt es in den nächsten Tagen breit in die Arbeitermassen zu tragen, ihnen die Notwendigkeit des politischen Kampfes zu zeigen und den Kämpfen das Ziel vor Augen zu führen, die Errichtung des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates!“ (65)
Die Gedankenführung des ZB zur Metalltarifrunde basierte auf den Versuch einer politischen Steuerung einer möglichen Streikbewegung für 15%. Politisch stellte sich auf absehbare Zeit die Aufgabe, ungeachtet aller anderen Losungen und Forderungen, in eine mögliche spontane Bewegung einzugreifen. Alleine schon die Unterstützung des „Kampfes der Metaller“, den das „Kampfprogramm“ sich zu eigen machte und das ihm „Ziel und Richtung“ weisen würde, ihn sogar „vereinheitlicht“, verwies auf das Zentralproblem; den Dauerkonflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Dass das ZB sein Heil in den Floskeln suchte, wurde am „Kampfprogramm“ relativ deutlich. Denn es ging mit ihm um „die korrekte politische Linie“. So prognostizierte das ZB auch die „Notwendigkeit der Stärkung der Partei“ in dieser MTR. Die naive Leitidee, den Arbeitermassen die „Notwendigkeit des politischen Kampfes zu zeigen“, verwischte natürlich die Grenzen der Möglichkeiten, die die KPD/ML in der „Führung der Arbeiterklasse“ zu haben meinte.
Von Interesse ist hier abermals das „Lohndiktat“, das die „politische Einschätzung“ der Sozialdemokratie in dieser MTR widerspiegeln würde. Die gesamte ZB-Politik löste sich quasi in ihm auf. Und reduzierte den neuzeitlichen Staatsapparat auf seine „abenteuerlichen Eroberungspläne“, die „Aufrüstungspolitik“ und die „Notstandsvorbereitungen“, die durch die SPD-Führung und ihrer Agenten im Betrieb institutionalisiert würden. Nun könnte dieser Schachzug als moderne Politikgeschichte aufgewertet oder verstanden werden, denn alle politischen Machteinflüsse und Positionen wurden zurückgeführt auf das „freie Spiel“ der Sozialdemokratie. Und nie wieder gab es in der maoistischen Bewegung eine solche Zusammenballung der gedächtnislosen Reaktionen auf jene kühnen Theorien, denen von der Methode und Interpretation her jedoch niemand nachging.
Das Problem der Linie zur Sozialdemokratie wäre, sozialgeschichtlich betrachtet, zuallererst eine Frage der Instrumentalisierung bzw. ihrer Verschränkung auf soziale, ökonomische, politische und kulturelle Entwicklungen. Innerhalb dieser wollte das ZB ihre politische Totalität herausarbeiten. Mit der These der „Faschisierung der Sozialdemokratie“ von Anfang an hatte die KPD/ML-ZB ihr Hauptziel erreicht: Sie war die „Dampfkraft“ der deutschen Geschichte schlechthin, aber, um im Bild zu bleiben, sie konnte nicht alleine den Dampf produzieren. Daher erfand das ZB kurzer Hand Beschleunigungsprozesse, die sich in dieser MTR als „Verrätereien“ besonders herauskristallisieren sollten.
Der Brennpunkt lag also in den schicksalsträchtigen Betrieben, in denen es gelingen musste, zum „Großen Sprung“ (Mao) anzusetzen. Aus den angeführten Gründen dürfte jedoch hervorgehen, dass diese Versuche definitiv zum Scheitern verurteilt waren. Das Scheitern des ZB hatte unstrittig viele Ursachen. Eine davon könnte in der MTR gelegen haben; denn sie signalisierte ja den Stellenwert der politischen Auffassungen zur SPD, mit denen die KPD/ML-ZB sich selbst ins Abseits stellte. Mit ihrer Vorgeschichte und der aktuellen Bezugnahme entsprach sie der Legierung von Alt und Neu. Die zugespitzten Spannungen entsprachen jedoch nicht den Hoffnungen des ZB. Weder entblößte sie sich bis auf die Haut, noch betrat die Klasse die Bühne der ersehnten Konflikte. Auch insofern war das Programm zur MTR ein Wegweiser für die uferlos wirkenden Konzeptionen.
Jene fanden sich auch in der „Stellungnahme zur ehemaligen KPD/AO und jetzigen KPD“ wieder. Der „KND“ veröffentlichte in der Ausgabe Nr. 60 eine Erklärung des ZB: „Gegen die Spalter der Kommunistischen Arbeiterbewegung. Zur programmatischen Erklärung der KPD-Aufbauorganisation anlässlich ihrer Umbenennung in KPD“:
„In der 'Roten Fahne' Nr. 21 der ehemaligen KPD-Aufbauorganisation kündigte diese Gruppe an, dass sie sich ab sofort KPD nennt. Sie veröffentlicht eine Programmatische Erklärung, in welcher sie ihre grundsätzlichen Stellungnahmen zur Frage der Programmatik, der Strategie und Taktik darlegte. Mit dieser Erklärung verbindet sie , 'ausgehend von dem Wunsch nach Einheit aller Marxisten-Leninisten …, die Absicht, dem Zirkelwesen und dem Sektenstreit ein Ende zu setzen, um die Arbeiterklasse und die übrigen Werktätigen unter der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands zusammenschließen'. Gerade weil diese Gruppe an einigen Betrieben des Ruhrgebiets seit der Umbenennung in KPD mit Betriebszeitungen aufgetaucht ist, ist es notwendig, die Auseinandersetzungen mit den Ansichten und der Politik dieser Gruppe voranzutreiben.
Der KND wird in einer mehrteiligen Serie eine erste Analyse der Programmatischen Erklärung vornehmen. 1. Parteiaufbau: Wie steht es wirklich mit den Vorstellungen der KPD/AO über den Parteiaufbau und dem 'in der ursprünglichen Namensgebung liegenden Fehler'? Woher kommt dieser Fehler, wenn immer die richtigen Auffassungen über die Etappen des Parteiaufbaus vorhanden waren? In der 'Vorläufigen Plattform der Aufbauorganisation für die Kommunistische Partei Deutschlands' (vgl. RPK 13. 3. 1970, d. Vf.) heißt es: Die Gruppe von Genossen, die sich als KPD/AO konstituiert, 'begründet ihre politische Tätigkeit als KP/Aufbauorganisation mit dem Ziel, eine revolutionäre Kommunistische Partei auf nationaler Ebene zu schaffen. Die Parteigründung setzt voraus, dass die Organisation auf nationaler Ebene in den proletarischen Massen verankert ist, das heißt, dass die KPD-Aufbauorganisation ihren Führungsanspruch in Massenkämpfen verwirklichen muss, indem sie die Richtigkeit ihrer politischen Linie in den Kämpfen selbst überprüft. Gegenwärtig kann noch keine revolutionäre Organisation den Anspruch erheben, sich KPD zu nennen.
Denn das Prinzip der organisierten Klassenanalyse, die Verankerung der künftigen Partei in den Massen, nimmt gerade erst ihren Anfang'. Weiter unten wird von 'einer zu frühzeitigen Parteiproklamation' gesprochen, womit nur die KPD/ML gemeint sein kann. Folglich vertrat die Aufbauorganisation zu Beginn ihrer politischen Tätigkeit folgende Auffassungen über die Etappen des Parteiaufbaus: Vor der Gründung der Kommunistischen Partei liegt eine Etappe der Schaffung der Partei auf nationaler Ebene und der Verankerung in der Arbeiterklasse. Diese Etappe, in der die Kommunistische Partei noch nicht besteht, sondern in der die Gründung vorbereitet wird, entspricht folgerichtig eine Aufbauorganisation. Diese Aufbauorganisation organisiert die Analyse der Klassen in der bürgerlichen Gesellschaft und 'verwirklicht ihren Führungsanspruch in Massenkämpfen …, indem sie die Richtigkeit ihrer politischen Linie in den Kämpfen selbst überprüft'.
Somit steht fest: Die KPD/AO vertrat genau diejenige Vorstellung von den Etappen des Parteiaufbaus, die sich in dem falschen Namen der Aufbauorganisation niederschlägt, - eine Vorstellung, die mit den Stalinschen Etappen des Parteiaufbaus nichts zu tun hat. Diese Vorstellung kennt nicht die Etappe der Formierung, der Schaffung der Partei, der Gewinnung der Avantgarde der Arbeiterklasse für den Kommunismus, die Etappe des Zusammenschlusses der Parteikader. Sie kennt auch nicht die zweite Etappe der Entwicklung der Kommunistischen Partei, die Etappe des revolutionären Massenkampfes, der Gewinnung der Millionenmassen für die proletarische Vorhut, die Etappe der Verwandlung der Partei aus einer Organisation der Vorbereitung und der Massenagitation in eine Organisation der revolutionären Aktionen der Millionenmassen.
Die Schaffung eines nationalen Kadergerüstes der Partei, die Entwicklung zur Arbeiterpartei und die Auffüllung der Partei mit neumobilisierten Parteiarbeitern im Verlaufe der proletarischen Bewegung, die Ausarbeitung eines Programms und allgemeiner Grundlagen von Strategie und Taktik - das alles sind Aufgaben der Partei in der ersten Etappe ihrer Entwicklung. Die Entwicklung der Kommunistischen Partei zur Massenpartei, ihre Verankerung in den breiten Massen des Volkes, die Heranführung der breiten Massen der Werktätigen an die Kampfpositionen der Partei, die Führung von Massenkämpfen und die 'Verwirklichung ihres Führungsanspruchs in Massenkämpfen' - das alles sind Aufgaben der Partei in der zweiten Etappe ihrer Entwicklung. Die Genossen der KPD/AO werfen nicht nur Aufgaben beider Etappen der Parteientwicklung durcheinander. Die Schaffung einer 'vorläufigen' Aufbauorganisation widerspricht auch grundsätzlich dem Aufbau einer Kommunistischen Partei. Offensichtlich widersprechen nicht nur die 'Aufbauorganisations'-Vorstellungen, sondern auch die Vorstellungen der Genossen der KPD/AO über die Schritte und Methoden der Schaffung der Partei dem Marxismus-Leninismus, ganz unabhängig vom Namen. So stellt sich die Behauptung: 'Der Wahl eines falschen Namens entsprachen also in keinem Augenblick ihrer politischen Tätigkeit falsche Vorstellungen über die Etappen des Parteiaufbaus' als ziemlich plumpes Betrugsmanöver heraus …
2. Die marxistisch-leninistische Bewegung:
Wie die Genossen der KPD/AO feststellen, gibt es mehrere Parteien und Organisationen in Westdeutschland, die den Anspruch auf die Führung der Marxistisch-leninistischen Bewegung erheben; folglich ist es gerade für eine Organisation wie die KPD/AO, die sich bisher aus den prinzipiellen ideologisch-politischen Auseinandersetzungen herausgehalten hat, notwendig, sich spätestens in der Programmatischen Erklärung anlässlich der Umbenennung in KPD von den anderen Organisationen abzugrenzen. Es ist nicht möglich, will man nicht als politischer Taschenspieler dastehen, sich ernsthaft in Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) umzubenennen, ohne sich von den Gruppen … die sich zur marxistisch-leninistischen Bewegung zählen, abgegrenzt zu haben. Was sagt die Programmatische Erklärung zur marxistisch-leninistischen Bewegung? Da finden wir 'verantwortungslose Parteigründungen, wie die der KPD/ML … deren ideologische und organisatorische Haltlosigkeit offenkundig war. Dieser Organisation fehlte von Anfang an das bolschewistische Verständnis des demokratischen Zentralismus, die Fähigkeit, den ökonomischen mit dem politischen Kampf, den Kampf um die Tagesinteressen der Arbeiterklasse mit dem Kampf für den Sozialismus, die Theorie mit der Praxis zu verbinden. Die Spaltung dieser Organisation in drei Gruppen des gleichen Namens ist nur der organisatorische Ausdruck ihrer falschen politischen Linie, Ausdruck der Tatsache, dass sie der historischen Aufgabe, dem Aufbau der Kommunistischen Partei, nicht gerecht wurde …
Mit der Feststellung, dass die KPD/ML in drei Gruppen zerfallen ist, ist für die Genossen der KPD/AO die KPD/ML erledigt. Die Genossen machen sich nicht einmal die Mühe, diese 'Gruppen' auseinanderzuhalten, als ob sie im Grunde alle drei das gleiche darstellten und nicht tiefgreifende ideologische und politische Gegensätze zwischen ihnen bestünden. Den Genossen dürfte nicht entgangen sein, dass sich alle drei 'Gruppen' seit der Spaltung der Partei weiterentwickelt haben und mehr oder weniger ihre Auffassungen zu wichtigen Fragen des Programms, der Strategie und Taktik niedergelegt haben. Oder haben die Genossen der KPD/AO bereits ihre Auffassung zur Linie der KPD/ML in der Gewerkschaftsarbeit, in der Frage des Kampfes gegen die Sozialdemokratie, zur Einschätzung der internationalen Lage usw. dargelegt? Oder was haben die Genossen zur Theorie der 'Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus' und zur Gewerkschaftslinie der Gruppe 'Roter Morgen' zu sagen …?“ (66)
Die Seitenhiebe auf die KPD/AO (bzw. KPD) entsprachen in zugespitzter Form den Gründungslegenden der KPD/ML. Der gesamte Text des „KND“ war so gehalten, dass er neben der Darlegung der Konturen der ZB-Organisation die historischen Zuschnitte (Programm, Strategie, Parteiaufbau, Taktik, ML-Bewegung, Gewerkschaftslinie, internationale Lage und Sozialdemokratie) der Gruppe verteidigte. Die Verwandtschaft zur KPD/ML-ZK, die in einer ähnlichen Form die Aufnahme der Betriebsarbeit der KPD in „Rotfront“ bereits scharf kritisiert hatte, ist nur zu deutlich. Die anhaltenden Debatten, etwa um die Gewerkschaftsfrage oder die „Zwei Wege-Theorie“, wurden etwa nicht als unterschiedliche Theorieangebote der konkurrierenden KPD/ML-Gruppen verstanden, sondern nur als krude reflektierte Begrifflichkeiten, die in dieser Kombination als zählebige Reste institutionell fest verankerter Argumente gewertet werden müssen.
Die Darstellung über die „drei KPD/ML-Gruppen“ (ZB, ZK, RW) durch den „KND“ kam hier einer Verunsicherung gleich, die, grob skizziert, von einem ML-Lager ausging, dem die KPD/ML-ZB vorstand. Da die Träger der ML-Bewegung bzw. einzelne Gruppen nicht genannt wurden, jedoch immer wieder von anderen Publikationen des ZB, etwa der „Roten Fahne“, als kleinräumige Personenverbände abgestempelt worden waren, kam der „KND“ auf die Idee, deren Existenz ohne jedwede Differenzierung mit einer „falschen politischen Linie“ gleichzusetzen. Die schweren Dauerkonflikte um die KPD/ML bzw. deren Namen interessierte nicht mehr. Dieser angestrengte Hochmut gehörte mit zum universellen Primat der KPD/ML, deren sichtbare politische Schwächen stets kompensiert worden waren und der nur durch die durchtränkten Sätze zur Sozialdemokratie zum Geist aller ZB-Theorien werden konnte.
Ein „Extrablatt“ der „Roten Fahne“ des Zentralbüros vom 18. August charakterisierte die typischen Anstrengungen zur MTR 1971. Unter dem Titel „Aufruf des Zentralbüros der KPD/ML zur Metalltarifrunde '71: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung“ hieß es: „Die Tarifverhandlungen für 4 Millionen Metaller und Stahlwerker stehen bevor. Umfassend ist das Komplott, das die SPD-Regierung im Auftrag der Kapitalisten und in enger Zusammenarbeit mit den IGM-Führern schmiedet. Am 17. Mai versammelt Brandt in Bonn die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer. Sie beschließen, dass zur Stützung der SPD-Regierung die Lohnforderungen der Arbeiterklasse verraten werden müssen. Am 4. Juni legte Schiller zusammen mit Brenner in der 'Konzertierten Aktion' fest, dass die Lohnerhöhungen unter 7 Prozent bleiben sollen. Einen Monat später wird unter Aufsicht des Bundeskanzleramtes dies Lohndiktat gegen die Chemiearbeiter durchgesetzt. Jetzt soll das Lohndiktat auch gegen die Metaller durchgesetzt werden.
In den Betrieben verhindern SPD-Betriebsgruppen und zahlreiche SPD-Betriebsräte die Aufstellung der gemeinsamen 15-Prozent-Forderung und spalten damit die einheitliche Kampffront. Gleichzeitig hat Brenner den Kapitalisten seine Forderungen schon genannt, haben in Baden-Württemberg Vorverhandlungen stattgefunden, geben SPD-Betriebsräte preis, dass im Urlaubsmonat August die Verhandlungen beginnen sollen. Darum soll am 13./14. August die Geheimtagung des IGM-Vorstands stattfinden, bei der die letzten Ausführungsbestimmungen für den Verrat festgelegt werden. Diese Tatsachen zeigen: SPD-Regierung und sozialdemokratische Gewerkschaftsführer wollen auch gegen die Metaller ihr Lohndiktat durchsetzen.
Das ist die Antwort der SPD-Regierung darauf, dass die westdeutsche Arbeiterklasse, ihren englischen, italienischen, polnischen Klassenbrüdern folgt und mit immer größeren Streiks auf den Kampfplatz tritt. Mit dem Lohndiktat wollen die SPD-Führer diese Kämpfe der westdeutschen Arbeiterklasse ersticken und die Gewerkschaften an die Kette des imperialistischen Staates legen. Daher ist es jetzt dringend erforderlich, dass sich die westdeutschen Arbeiter unter einheitlichen Forderungen zusammenschließen …
Mit dem Lohndiktat will die SPD-Regierung einen weiteren Schritt zur Verstaatlichung der Gewerkschaften unternehmen: die Gewerkschaften, die wirtschaftlichen Kampforganisationen der Arbeiterklasse, sollen direkt unter die Anweisung der Regierung gestellt und die innergewerkschaftliche Demokratie beseitigt werden … Arbeiter, darum müssen wir unseren gemeinsamen Kampf unter die Hauptparole stellen: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse! ... Die Führer der Sozialdemokratie unterstützen die Flick und Thyssen nicht nur durch ihr Lohndiktat. Unter der Maske der 'Vermögensbildung' und der 'Steuerreform' rauben sie Euch den Lohn, beschließen sie ein Zwangssparen und neue Steuererhöhungen. Mit diesem Geld will SPD-Rüstungsminister Schmidt die Kriegskassen der westdeutschen Imperialisten füllen, will er neue Panzer und Raketen für die Bundeswehr kaufen. Besonders die Arbeiterjugend wird durch die verstärkte Ausbeutung geknebelt …
Diese Aufrüstungspolitik bedeutet, dass die Eroberungspläne gegen die DDR fester geschmiedet werden … Dagegen müssen wir uns unter den Parolen zusammenschließen: Keine Steuererhöhungen! Kein Zwangssparen! Keine Mark von unserem Lohn für die Aufrüstungspolitik der SPD-Regierung! Für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse mit den heldenhaften Völkern Indochinas und Palästinas! ... Die Staatsmacht wird ausgebaut, um Euren politischen und wirtschaftlichen Kampf zu verhindern. Die Mittel sind das Lohndiktat, das neue Betriebsfriedensgesetz und die Notstandsgesetze, die jetzt durch neue Streikverbotspläne verschärft werden sollen. Die SPD-Regierung sammelt dafür schon ihre Truppen: der Bundesgrenzschutz wird auf die Zerschlagung von Streiks gedrillt, die Polizei übt Bürgerkriegsmethoden.
Die Arbeiterklasse soll besonders dadurch entwaffnet werden, dass ihre stärkste Waffe, die revolutionäre KPD/ML, verboten werden soll. Dafür wollen die SPD-Führer das KPD-Verbot aufrechterhalten. Dagegen muss der Kampf aufgenommen werden: Gegen KPD-Verbot und Notstandsvorbereitungen! Auflösung des Bundesgrenzschutzes! ... SPD und Gewerkschaftsführer wollen Euren Lohnkampf abwürgen und stellen deshalb spalterische Forderungen auf. ... Der Lohnkampf muss einheitlich gegen alle Spalter geführt werden: 15 Prozent Lohnerhöhung auf den Ecklohn für alle! Gegen die Spaltung durch Leichtlohngruppen, Altersabschläge und Punktesystem! ... Diese Lohnerhöhungen müssen durchgesetzt werden, die Effektivlöhne gesichert werden … Die Kapitalisten wollen die Krisenfolgen auf die Arbeiterklasse abwälzen. Auch dagegen müssen wir uns im Lohnkampf wehren: Kampf dem Lohnraub - Garantierter Mindestlohn: 1 000 DM netto - Gegen Arbeitshetze und Entlassungen - 7-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich … Das sind die politischen und wirtschaftlichen Forderungen, für die Ihr in diesem Jahr kämpfen müsst … Arbeiter, lasst Euch von den großen Worten der SPD-Minister nicht vom Kampf gegen das Lohndiktat abhalten. Lasst nicht zu, dass die einheitliche Kampffront gespalten wird … KPD/ML und KJVD werden gemeinsam gegen alle Spaltungsversuche auftreten.
Die SPD-Führer und IGM-Führer haben an vielen Orten verhindert, dass die einheitliche 15-Prozent-Forderung aufgestellt wird, sie haben die Arbeiter vertröstet und gleichzeitig die Vorverhandlungen begonnen … Ihr Ziel ist klar. Ihr sollt durch frühzeitige Verhandlungen überrumpelt werden … Daher dürft Ihr Euch nicht auf die IGM-Führer verlassen, sondern nur auf Eure eigene Kraft und auf die Partei, die fest auf Eurer Seite steht und alle Verrätereien enthüllt: die KPD/ML … Keine Tarifverhandlungen im Urlaubsmonat August! Vertrauen auf die eigene Kraft! Organisiert Euch in den Betriebsgruppen der KPD/ML! Arbeiter! Euer Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Führer kann nur erfolgreich sein, wenn eine revolutionäre kommunistische Partei die westdeutsche und Westberliner Arbeiterklasse führt … Nur eine solche Partei kann allen Arbeitern den richtigen Weg weisen und den Kampf um Lohn und Brot mit dem Kampf gegen Aufrüstungspolitik und Notstandsvorbereitungen verbinden. Nur eine solche Partei kann allen Arbeitern und Werktätigen ihr Ziel zeigen: die Zerschlagung des bürgerlichen Klassenstaates und die Errichtung eines sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates. Gegen den Kapitalismus - Für den Arbeiter- und Bauernstaat! Stärkt die KPD/ML!“ (67)
Das „Extrablatt“ mit der großflächigen Beschreibung der bisherigen politischen Ergebnisse des ZB zur Sozialdemokratie sollte hier noch einmal grundlegend vereinheitlicht werden. Das „Extrablatt“ als schillerndes Kunterbunt aller Klischees zu bezeichnen, trifft den Kern. Tatkräftig strickte das ZB an der Legende, dass die KPD/ML „allen Arbeitern den richtigen Weg weisen (kann) und den Kampf um Lohn und Brot mit dem Kampf gegen Aufrüstungspolitik und Notstandsvorbereitungen verbindet“. Der dauernde Konflikt mit der SPD, der als permanenter Machtkampf in die ML-Geschichte eingehen sollte, sollte arbeiterfreundlich zugleich sein. Diese beschönigende Auffassung wollte einen breiten Mobilisierungseffekt zur MTR hervorbringen. Mobilisiert werden sollte alles, was gegen „alle Spaltungsversuche“ war.
An dem „Extrablatt“ fiel die eigentümliche Konstellation von Bedingungen auf, unter denen der Kampf um 15% vonstatten gehen sollte. Das mögliche Verbot der KPD/ML wurde in den Zusammenhang mit dieser Forderung gebracht. Da der Konfliktfall SPD zur folgenschweren Allianz mit dem Staat mutierte, sollte die „eigene Kraft“ eine Rettungsfunktion besitzen. Mit dem Appell, sich in den „Betriebsgruppen der KPD/ML zu organisieren“, schleppte das ZB den Ballast der nostalgisch verklärenden Betriebsarbeit der KPD weiter mit sich herum, die sich selbst in den ca. 50 prognostizierten Betriebsgruppen eher als Relikt aus vormoderner Zeit darstellte.
Da die Tarifrunde in ein beschleunigendes Tempo überging, ließ es sich keine Seite nehmen, ihre Forderungen breit zu propagieren. In ähnlicher Form wie das „Extrablatt“ der „Roten Fahne“ bereitete auch die Nr. 10 der „Rotfront“ der KPD/ML-ZK für Hoesch (Dortmund) am 16. August ihre Auffassungen auf. Die Ausgabe, die von einer „internationalen Stahlkrise“ ausging, Kurzarbeit als „willkommene Gelegenheit“ der „Kapitalisten und ihren Gewerkschaftsbonzen“ bezeichnete, „die Schillerschen Lohnleitlinien und das Lohndiktat der SPD-Regierung in der Metalltarifrunde durchzusetzen“, ließ es sich nicht nehmen, mit jener Eigenart zu argumentieren, die vom ZB bekannt war. Angefangen vom „Vertrauen auf die eigene Kraft“ bis zur Floskel der „Organisierung in den Betriebsgruppen der KPD/ML“ enthielt „Rotfront“ alles, was man als SPD-Linie des ZK bezeichnen könnte. (68)
Und noch eines erschien in diesem Zusammenhang wichtig. Gegen den „zunehmenden Polizeiterror“, auch in der MTR, demonstrierte am 10. August in München die KPD/ML-ZK mit den Roten Zellen (ML). Die Demonstration soll unter dem Motto „SPD - Wegbereiter des Faschismus“ gestanden haben. (69) Es bleibt auch an dieser Stelle lohnend, den weiteren Weg des ZK zwischen einer eigenen politischen Linie und der raffinierten Übernahme des ZB-Jargons zu verfolgen.
Mit der Aufnahme der Betriebsarbeit durch die KPD im Ruhrgebiet verschärfte sich auch der Ton der ideologischen Auseinandersetzung. Ein längerer Artikel in der „Roten Fahne“ der KPD vom 13. August bestätigt diese Annahme. Unter: „AKTIONSEINHEIT, EINHEITSFRONT, IDEOLOGISCHER KAMPF“ meinte die Zeitung: „Der Kampf um die Einheit der marxistisch-leninistischen Kräfte in Westdeutschland und Westberlin muss von einer materialistischen Einsicht in den Prozess … Die marxistisch-leninistischen Neugründungen waren nicht in der Lage einen bestimmenden Einfluss auf die Revolte zu gewinnen. Sie wurden im Gegenteil ihr Opfer. Denn die kleinbürgerlich-linksradikalen Studenten, die diesen Parteien beitraten, hätten umerzogen werden müssen. Im Rahmen eines entfalteten Demokratischen Zentralismus wären sie innerhalb und außerhalb der Partei in der Organisations- und Untersuchungsarbeit herangebildet, wären sie zu Parteiarbeitern revolutioniert worden …
In Westdeutschland und Westberlin schlugen die negativen Resultate dieses Prozesses besonders heftig durch, weil der Stamm marxistisch-leninistischer Kader, der mit dem Revisionismus gebrochen hatte, schwächer war als der anderer imperialistischer Länder und weil der Bruch zu einem sehr späten Zeitpunkt erfolgte. Da die ersten Schritte des Parteiaufbaus mit der Wendung der Hochschulrevolte in Richtung des Marxismus-Leninismus zusammenfielen, waren sie einfach nur Ausdruck dieser Wendung. Die Geschichte der Spaltungen der KPD/ML fand auf einer Ebene statt, die grundsätzliche Positionen für den Kampf des deutschen Proletariats noch gar nicht erreicht hatte …
Aus dieser Lage zogen wir Anfang 1970 den Schluss, dass in der bestehenden, völlig zerfaulenden und zur Massenwirksamkeit unfähigen KPD/ML eine kommunistische Linie nicht durchsetzbar sei, und gründeten die KPD-Aufbauorganisation. In unserer Plattform bewiesen wir, dass die schrittweise Ausarbeitung einer nationalen Strategie nur in einem organisatorischen Rahmen möglich ist, der ALLE Elemente des Demokratischen Zentralismus von Anfang an entwickelt und zwischen der Organisations- und Untersuchungsarbeit ein unzerreißbares Band knüpft. Weil wir konsequent nach diesen Prinzipien handelten, weil wir, wenngleich mit schwachen Kräften, in die Klassenkämpfe eingriffen, weil wir die demokratische Beratung auf allen Ebenen ununterbrochen fortsetzten, hat es in unseren Reihen weder Fraktionen noch Abspaltungen gegeben. Die Praxis selbst hat die Richtigkeit der von uns in der Plattform niedergelegten Methode bewiesen. Während jene, die uns beständig nach der 'Klassenanalyse' fragten, auch heute in der Bestimmung der Klassenkämpfe keinen Schritt weitergekommen sind, haben wir mit der Programmatischen Erklärung einen Schritt in Richtung des strategischen Plans zum Sturz der Kapitalistenklasse unternommen.
Es liegt auf der Hand, dass eine Spaltung nützlich und notwendig ist, wenn sie Klarheit über die wichtigsten Fragen der revolutionären Bewegung bringt, wenn das Ergebnis der Spaltung tatsächlich die Herausbildung entgegengesetzter Plattformen fördert. Unter diesem Gesichtspunkt muss man auch den Verlauf und die zeitliche Dauer von Spaltungen sehen. Die Tatsache, dass der im Rahmen der KPD/ML Parteien ausgetragene Kampf keine Tendenz zeigt, zu dieser Klarheit zu führen, hat viele Arbeiter und Intellektuelle in die Arme des Revisionismus getrieben oder hat sie zu der Ansicht gebracht, unsere gegenwärtige Lage sei durch den Kampf miteinander rivalisierender Zirkel gekennzeichnet, die allesamt die Ebene der dialektischen Verbindung von Theorie und Praxis noch nicht erreicht hätten, daher auch unfähig seien, zur Erarbeitung einer nationalen Strategie vorzustoßen …
Die Existenz mehrerer Parteien mit marxistisch-leninistischem Anspruch über einen längeren Zeitraum hinweg behindert ernstlich die Organisation des Proletariats und liefert den Revisionisten eine unschätzbare Propagandawaffe. Wir müssen deshalb die Kommunistische Partei unter Anspannung aller Kräfte im nationalen Rahmen aufbauen, und gleichzeitig zu einer beschleunigten Klärung der Grundfragen mit den anderen ML-Organisationen gelangen. Wir haben die Programmatische Erklärung veröffentlicht und von ihr ein Aktionsprogramm abgeleitet, das gibt uns die Möglichkeit, die Richtung des ideologischen Klärungsprozesses auf eine nationale Strategie hin entscheidend zu beeinflussen. Die wahren marxistisch-leninistischen Kräfte müssen sich in EINER Kommunistischen Partei zusammenschließen.“ (70)
Die Fragen nach Genesis, Strukturen, Bedeutung und Verfall der KPD/ML, „die (die) grundsätzliche Positionen für den Kampf des deutschen Proletariats noch gar nicht erreicht hatten“, brachten aus der Sichtweise der KPD, die sogar eine „Spaltung“ der Bewegung (wohl auch der KPD/ML, d. Vf.) für „nützlich und notwendig“ hielt, nun ihrerseits einen Führungsanspruch hervor. Hier wirkte auch deutlich der Sog der Differenzen der internationalen ML-Bewegung und deren heftige Konkurrenz untereinander nach, die die Kurzlebigkeit der Gruppenbildungen im Gepäck hatte.
Im Hinblick auf die KPD/ML war das Urteil der KPD eindeutig: „Die Tatsache, dass der im Rahmen der KPD/ML Parteien ausgetragene Kampf keine Tendenz zeigt, zu dieser Klarheit zu führen (gemeint war u. a. die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus, Erarbeitung einer Strategie und Taktik, d. Vf.), hat viele Arbeiter und Intellektuelle in die Arme des Revisionismus getrieben oder hat sie zu der Ansicht gebracht, unsere gegenwärtige Lage sei durch den Kampf miteinander rivalisierender Zirkel gekennzeichnet, die allesamt die Ebene der dialektischen Verbindung von Theorie und Praxis noch nicht erreicht hätten, daher auch unfähig seien, zur Erarbeitung einer nationalen Strategie vorzustoßen …“
Doch stand die KPD selbst einem unübersehbaren Dilemma gegenüber. Auf sie wirkte der endogene Entwicklungsprozess ihrer eigenen Herkunft, die ja eine zentrale Bedeutung besaß und die, mal mehr, mal weniger, immer wieder von der KPD/ML kritisiert wurde: Die unmittelbare Verknüpfung der Organisation mit der (Berliner) Studentenbewegung, die sich auch, was die Führung dieser Gruppe anbelangte, an Namen wie Horlemann oder Semler festmachen ließe. Die blanke Ignoranz der KPD/ML und deren Schädlichkeit für die Bewegung schien unüberlesbar: „Wir müssen deshalb die Kommunistische Partei unter Anspannung aller Kräfte im nationalen Rahmen aufbauen, und gleichzeitig zu einer beschleunigten Klärung der Grundfragen mit den anderen ML-Organisationen gelangen …“, formulierte die KPD, die mit ihrer „Programmatischen Erklärung“, die in der „RPK“ Nr. 21 vom Juli veröffentlicht worden war, einen sicheren Hafen ihrer Organisationsphase erreichen wollte, die auch in der Aufnahme der Betriebsagitation im Ruhrgebiet gipfelte. Das musste aus bekannten Gründen für die KPD/ML irritierend wirken, die in der Folge nichts ausließ, diese unzulässige Mischform ihrer Betriebsarbeit zu kritisieren.
Der Überblick über die Differenzpolitik der Gruppen, die sich auch rein sprachlich voneinander unterschieden (man vergleiche nur die „Rote Fahne“ der KPD mit dem „Roten Morgen“ der KPD/ML-ZK), lässt aufs Ganze gesehen nur den Schluss zu, dass deren hektische Gründungen überhaupt nicht durch tiefgreifende Unterschiede gekennzeichnet waren. Die historische Entwicklung hatte einfach zu verschiedenartigen Erscheinungsformen der K-Gruppen-Bewegung gehört. Sie waren in etwa durch gemeinsam gemachte Erfahrungen lose miteinander verbunden, und aus ihrem Rüstzeug, dem Marxismus-Leninismus, holten sie sich jeweils das heraus, was für sie passte. Die unstet wandernden Gruppen respektierten sich auch nicht untereinander. Ein schönes Beispiel für diese segmentierten Kleingesellschaften war eine am 13. August stattfindende Aktion gegen den „Nazifreiheitsmarsch der Aktion Widerstand des Bundes Heimattreuer Jugend und der Nationalrevolutionären Jugend (NRJ)“, zu der gleichzeitig KPD, KSV, KPD/ML-ZK, KPD/ML-ZB, KPD/ML-NE, PL/PI, griechische, türkische, italienische Marxisten-Leninisten und der KB/ML Westberlin aufgerufen hatten.
ZB und ZK, die die Rolle der SPD als unverrückbaren Bestandteil der AE und die „führende Rolle der SPD-Führer als Vorbereiter einer neuen Nazidiktatur“ betont wissen wollten, führten in einer Erklärung aus: „Im Verlauf der Vorbereitungen gab es schwerwiegende Differenzen zwischen den Organisationen, die PL/PI und der KB schieden schließlich aus. Einen Tag vor der Kundgebung verlangte die KPD/AO plötzlich die Reden zu zensieren und nannte als Vorbedingung, dass die Reden von ihnen gehalten werden können. Sie kritisierten unseren Standpunkt, die SPD als Wegbereiter des Faschismus anzugreifen und bewiesen damit erneut ihren sozialdemokratischen Standpunkt. Außerdem verlangten sie, dass wir nicht als Partei auftreten ...“ (71)
Die Positionen der Gruppen entsprachen, wie auch an vielen anderen Stellen deutlich zu Tage trat, deren Macht und Herrschaftseinfluss. Es kam auf die Durchsetzungschancen ihrer Politik an, und die Probleme des „Ideologischen“ wiesen nur darauf hin, dass der Kampf um die Absicherung der Einflussgebiete im Deutungsmuster der Gruppen nach Prestige augenfällig hervortrat. Der Monopolanspruch mit einer sanktionierten politischen Linie ließ nunmehr keinen Raum (mehr) für Gemeinsamkeiten, die manch einem Historiker sogar als „typisch“ für K-Gruppen vorkommen mögen. (72)
Zu den allgemeinen Orientierungsentwürfen für 1971 war die MTR die Kristallisation, allgemeine Auslegung und Interpretation. Im „KND“ erschien am 14. August das „Kampfprogramm des KJVD“ der KPD/ML-ZB zur Jugendmetalltarifrunde (JMTR) zusammen mit dem „Aufruf des ZB der KPD/ML zur Metalltarifrunde“. (73) Beide Aufrufe enthielten nichts Neues, setzten jedoch erneut Duftmarken und ergossen sich in Abgrenzung. Die Programmatik zur SPD wurde hartnäckig und dezidiert verteidigt. Das Vokabular übernahm standesgemäß der „KDAJ“ vom 16. August, der in seinem Beitrag zur MTR auf die verallgemeinernde Begriffssprache (Worthülsen) des ZB zurückgriff. (74)
Der Tarifabschluss im GEW-Bereich (Gas-Wasser-Elektrizität) durch die gemeinsame Tarifkommission IG Bergbau und Energie/Gewerkschaft ÖTV (70 DM plus 6,5%) vom 14. August (75) war für die MTR eine Art Vorwarnung. Der Abschluss, der zunächst scheinbar ignoriert worden war, sollte zur Tendenz für alle kommenden Abschlüsse werden. Aber wohl eher aus Traditionsgründen heraus galt das Hauptinteresse der K-Gruppen mehr dem Stahl- und Metallsektor, der spätestens seit den Septemberstreiks 1969 favorisiert wurde. Dementsprechend beschäftigte sich die „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB auch mit dem „Metallkampf 1971“. Die Ausgabe vom 16. August widmete sich gleich in mehreren Artikeln dieser Runde, die durch die „selbständige Kampfführung der Arbeiterklasse für 15%“ (76) ein eigentümliches Gepräge erfuhr. Es ging nun nicht mehr um einen einfachen Kampf, sondern um eine „selbständige Kampfführung“, die schon symbolischen Charakter annahm. Denn sie forderte von den Kämpfenden eine Reihe von Verhaltensritualen ein und vertraute dabei auf einer, nicht näher ausgeführten, Kampfkraft, die nun greifen müsste.
Der Strom an Artikeln zur MTR war nicht zu überblicken. Die „RWW“ der KPD/ML-ZB vom 20. August war sich fast sicher, „dass schon in der allernächsten Zeit das Lohndiktat der SPD-Regierung auch bei den Metall- und Stahlarbeitern durchgesetzt werden soll“. (77) Diese Beobachtung konnte auch die KPD/ML-ZK teilen, die angesichts einer Opel-Gesamtbetriebsratskonferenz, die am 23.8. in Berlin beginnen und bis zum 25.8.1971 dauern sollte, vermerkte: „DIE RICHTIGEN FORDERUNGEN - DIE LAGE DER ARBEITERKLASSE. Um die richtigen Forderungen aufzustellen, müssen wir uns die Situation, in der sich die Arbeiterklasse im Herbst 1971 befindet, noch mal vor Augen halten. Wir befinden uns am Anfang einer neuen größeren Krise. Es sieht zwar beim Opel, oberflächlich betrachtet, noch ganz gut aus, aber das kann und wird sich bald schlagartig ändern … Um ihren Platz als angesehene, kapitalkräftige Imperialisten zu behalten und möglichst noch zu verbessern, brauchen die westdeutschen Imperialisten die Schillerschen sogenannten 'Lohnleitlinien', das Lohndiktat. Die SPD-Regierung und ihre Kettenhunde, die Gewerkschaftsbürokratie, sind am besten in der Lage, das Lohndiktat in der Arbeiterklasse durchzusetzen, weil sie immer noch über einigen politischen Kredit bei vielen Arbeitern verfügen. Das Lohndiktat der SPD-Regierung ist das Mittel der Ausbeuter, die Krise auf das arbeitende Volk abzuwälzen.
DAS LOHNDIKTAT IST EIN NEUER SCHRITT AUF DEM WEG ZUR VERSTAATLICHUNG DER GEWERKSCHAFTEN. DAS GRUNDRECHT DER ARBEITER UM HÖHERE LÖHNE ZU STREIKEN SOLL ABGEBAUT WERDEN! DIE MITTEL DAS DURCHZUSETZEN, SAHEN WIR IN DER CHEMIE. SIE HEISSEN POLIZEIKNÜPPEL UND ZWANGSSCHLICHTUNG …
Die erste Pflicht einer klassenbewussten und kämpferischen Gewerkschaft wäre es, die Arbeitermassen in den Betrieben auszurichten und den Kampf vorzubereiten unter der Parole: ZERSCHLAGT DAS LOHNDIKTAT. Kollegen, die richtigen Forderungen haben wir schon in der letzten Zündkerze (die am 7. Juli bereits in der „Zündkerze“ propagiert worden waren, d. Vf.) aufgestellt:
1. 15% gleich 1 DM mehr ab 1.10.1971
2. tarifliche Absicherung des Effektivlohns
3. 13. Monatslohn (tariflich abgesichert)
4. Wegfall der Lohngruppen 1 und 2
5. Volle Bezahlung des 24.12. und Sylvester
6. Voller Lohnausgleich bei 6 Stunden Samstagsschicht
7. Weg mit dem Punktebewertungssystem - Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.“ (78)
Es war nicht übersehbar, dass das ZK wortgewaltig und noch radikaler als das ZB war, denn „Zerschlagt das Lohndiktat“ war in der Presse des ZB nicht zu finden. Und auch die „Polizeiknüppel“ in der MTR waren nicht nur einfache Kuriositäten, sondern dürfen der Scheidelinie in der Tarifrunde entsprochen haben. Außer den KPD/ML-Gruppen befand sonst niemand mehr, dass praktisch ein Ausnahmezustand in dieser Runde vorherrschte, der wenig Spielraum zuließ. Die stets wachsenden Schritte auf dem Weg der „Faschisierung“ konnten faktisch nach eigenem Gutdünken formuliert werden. Dieses Vorgehen erstreckte sich immerhin über eine ganze Dekade und setzte im entschlossenen Hinterland viel Energie bei der Agitation frei.
Die RBG Bochum (Opel) der KPD/MK-ZK war sich sicher, dass eine Vertrauensleuteversammlung vom 23. August bei Opel-Rüsselsheim eine Forderung von 11% abgelehnt hatte, und forderte „volle 15%“. (79) Die 15%-Forderung war weiter in Bewegung und wurde von verschiedenen Zirkeln auch nicht vorbehaltslos übernommen. Dies zeigte die Aktionseinheit verschiedener Gruppen zur MTR, worüber erneut die KPD/ML-ZB am 23. August berichtete: „Als beispielsweise die Tarifkommission Unterweser am 23. August nicht 10, sondern 11 Prozent beschloss, erklärte der 'Kommunistische Bund Bremen' (KBB, d. Vf.), der zum Zirkelblock gehört: 'Die Ablehnung der 10 Prozent Forderung ist ein Erfolg der konsequenten Kollegen im Kampf gegen die Lohnleitlinien. Den Lohnkampf konsequent führen, heißt zu kämpfen für 11 Prozent und keinen Pfennig weniger … Der Kampf um die Durchsetzung der 11 Prozent ist der Kampf gegen die Lohnleitlinien.' So wird die Arbeiterklasse in die Irre geführt - denn die IGM-Führer werden die 11 Prozent genauso wie die 10 Prozent in den anderen Bezirken drücken.“ (80)
15% war nicht unbedingt ein nachahmenswertes Modell, was hier deutlich ersichtlich wurde. Trotz des mehr oder minder lebhaften Widerspruchs dürfte sie eine ambivalente Funktion gehabt haben. Es gelang ihr, unterschiedliche Strömungen im marxistischen Lager zu beeinflussen, aufzuwerten und sogar zu Meinungswechseln zu animieren. Sie polarisierte deutlich.
So meinte die DKP bei Hoesch Dortmund in ihrer Zeitung „Heisse Eisen“ am 23. August zur Lohnrunde: „Wollen wir also unseren Besitzstand lediglich wahren, dann muss unsere Forderung bei linearer Lohn- und Gehaltsbewegung, auf das gängige mittlere Effektiv-Einkommen bei den Hütten bezogen, zwischen 10 und 11% liegen, um bei derben Verhandlungen 8% zu erreichen, die dann wieder zu 6% echt bei uns landen.“ (81)
Es war gerade die Westfalenhütte in Dortmund, die immer wieder der Ausgangspunkt für Zweckbündnisse war, was an der starken Präsenz der DKP-Betriebsgruppe und der Tatsache, dass deren Mitglieder im BR und V-Leutekörper stark vertreten waren, gelegen haben mag. Das ZB beklagte des Öfteren in ihren Publikationen die Ignoranz der DKP ihren Betriebsgruppen gegenüber. Was für die Betriebsebene galt, galt auch auf Orts-, Landes- oder Bundesebene. Der „Linksradikalismus“ war seit den „Düsseldorfer Thesen der DKP“ (hier besonders der These 41) immer wieder Anlass, die „Maoisten“ scharf zu kritisieren. Bündnisse mit der KPD/ML waren strikt untersagt. Vielleicht ist so zu erklären, warum sich die DKP gegenüber der 15%-Forderung bzw. einem Abschluss in dieser Höhe doch eher verhalten verhielt?
Die Große Tarifkommission der IG Metall für die Eisen- und Stahlindustrie tagte in NRW am 26. August. Auf dieser sollen, nach Angaben des ZB, „die fünf Vertreter der Hoesch Westfalenhütte Dortmund, Bruns, Pfeiffer, Troche, Vernholz und Simon, die 15%-Forderung der Kollegen verraten“ haben. Zur DKP meinte die „Rote Fahne“ in einem Extrablatt zur MTR: „Die DKP gehe immer offener den Weg des Lohndiktats. So hat der D'K'P-Vertreter Vernholz (Hoesch-Westfalenhütte) in der Sitzung der großen Tarifkommission für Stahl NRW zwar den Beschluss der Vertrauensmännerleitung der Westfalenhütte nach einer Erhöhung der Löhne um 15 Prozent linear vertreten, hat aber gleichzeitig seine persönliche Meinung propagiert, nämlich 13 Prozent! Dies zeigt die Handlangerdienste der D'K'P-Führer für die Manöver der Sozialdemokratie deutlich …“ (82)
In „Heisse Eisen“ legte sie (die DKP, d. Vf.) sich dann doch nach langem Zögern auf 15% fest und meinte: „Sind diese Forderungen von 15% berechtigt? JA! Sie entsprechen der notwendigen Erhöhung des Reallohnes der Arbeiter und Angestellten und den Zielvorstellungen des DGB. Diese Vorstellungen beliefen sich auf eine Reallohnerhöhung von 10,4% bei einer angenommenen Preissteigerungsrate von 2%. In Wirklichkeit stiegen jedoch die Preise in Nordrhein-Westfalen um 6,1%. Daraus ergibt sich, erst bei der Durchsetzung einer 15%igen Lohnerhöhung kann der Reallohn gesteigert werden.
Daher ist es äußerst bedauerlich, dass die Große Tarifkommission für Eisen und Stahl in NRW mit ihrer 10%igen Forderungen von den Zielvorstellungen des DGB abrückte. Das knappe Abstimmungsergebnis (40 gegen 36 Stimmen) zeigt, wie umstritten dieser Beschluss ist … Eine 15%ige Lohnerhöhung führt zur Erhöhung der Massenkaufkraft, damit zur Belebung unserer Wirtschaft; das sichert unsere Arbeitsplätze … Wir stimmen den Kollegen zu, die sagen: Mit 10% darf man sich nicht abfinden! Bei Verhandlungen mit den Metallbossen gibt es einen Verhandlungsspielraum nach oben und nicht nur nach unten. Die Kollegen haben recht, die sagen, jetzt kommt es auf die Kampfkraft, auf die Geschlossenheit der Belegschaft an.“ (83)
Wie der Umschwung zu erklären ist, ist nicht mehr gänzlich zu erklären. Vermutlich durfte der Druck aus dem V-Leute-Körper doch relativ stark gewesen sein. Die Annahme, dass die „Kampfkraft“ zur Durchsetzung der Forderung mitentscheidend sei, war selbst für die orthodoxen Gruppen oberstes Ziel ihrer Propaganda. Die tradierte Verhandlungsstrategie, mit der sich die GTK gerade nicht beliebt gemacht hatte und die in den verknöcherten Verhältnissen erstarrte, enthüllte ihre Eigenart, über die Köpfe der Metaller hinweg, Tarife abzuschließen und wohl nur schichtenspezifische Interessen wahrzunehmen.
Im „KND“ erklärte sich die KPD/ML-ZB am 27. August noch einmal zur GTK. Danach hätte sie für die MTR 9% gefordert. Auf dieser Sitzung sei auch, so der „KND“, über die KPD/ML gesprochen worden. An „mehreren Stellen … wurden Flugblätter und Betriebszeitungen herumgereicht“. (84)
Wohl eine Sondernummer des „KND“ titelte seine Ausgabe Nr. 65 am 28. August mit dem Leitartikel: „Vorbereitung des Lohndiktats auf breiter Front - Tarifkommissionen fordern 10%“. Danach stehen in der Metalltarifrunde die Uhren auf fünf Minuten vor 12. Jetzt „gehen die IGM-Führer schnell auf breiter Ebene dazu über, in Tarifkommissionen 10 und 11 Prozent Forderungen aufzustellen:
- In Nordrhein/Westfalen: 10 % für die Stahlarbeiter;
- In Hessen: 11%;
- Für Nordbaden-Nordwürttemberg-Hohenzollern: 11%;
- Für Niedersachsen: 50 Pfennig auf den Ecklohn;
- Für das Unterwesergebiet: 11%;
- Für Schleswig-Holstein: 10%.“
Und: „ … die in der Großen Tarifkommission sitzen, haben die Forderungen der Kollegen verraten. Die einheitliche Forderung aller Stahl- und Metallarbeiter nach 15-Prozent-Lohnerhöhung auf den Ecklohn für alle. Diese Arbeitervertreter verraten die Interessen der Kollegen. Sie sind die Handlanger der SPD-Regierung. Sie sollen das Lohndiktat durchsetzen. Gestern haben sie dazu einen entscheidenden Schritt gemacht, haben anerkannt, dass die Regierung den Gewerkschaften den Lohn diktiert. Die SPD-Regierung hatte gute Vorbereitungen getroffen. Am 17. Mai rief Brandt die Gewerkschaften zu sich … In Geheimverhandlungen am 13./14. August wurde die 10-Prozent-Forderung vom IGM-Vorstand festgelegt. Am 23. August gab das SPD-Bundeswirtschaftsministerium den Gewerkschaften eine klare Anweisung für die Metalltarifrunde: Neue Tarifvereinbarungen dürfen die Übereinkunft in der Chemieindustrie vom Juli 1971 nicht erreichen. Das bedeutet: Die Lohnerhöhung soll unter 10% liegen …
Der Beschluss der Großen Tarifkommission zeigt: Auf die rechten Gewerkschaftsführer ist kein Verlass. Sie stehen nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern im Lager der SPD-Regierung. Sie wenden alle Tricks an, um die Arbeiterklasse zu betrügen. Deshalb müssen die Stahlarbeiter den Kampf selbst in die Hand nehmen, sonst sind sie verraten und verkauft. Sie müssen sich auf ihre eigene Kraft verlassen, sonst sind sie den arbeiterfeindlichen Maßnahmen der SPD-Regierung ausgeliefert. Die KPD/ML weist darum allen Arbeitern den richtigen Weg im Kampf unter der Parole: Vertrauen auf die eigene Kraft! Das Lohndiktat der SPD-Regierung kann nur durchbrochen werden, wenn die Arbeiter ihre Sache selbst in die Hand nehmen. Darum: Arbeiter und Jungarbeiter und Lehrlinge in eine Kampffront unter der Parole: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung!“ (85)
Die Argumentation des „KND“ glich hier, wie in den meisten Fällen, der scharfen Distanzierungen von der SPD. Für ihn traf es zu, dass sie bereits seit dem Mai an der „Verratspolitik“ strickte. In „Geheimverhandlungen“ sei dann eine faktische Absprache auf 10% beschlossen worden. Ob die politische Macht der SPD soweit reichte, wie es der „KND“ glaubhaft machen wollte, wurde zumindest in der damaligen ML-Bewegung scharf diskutiert. Der allgemeine Trend dürfte sich wohl der Auffassung des „KND“ angenähert haben, wenn auch die Rolle der SPD sicherlich unterschiedlich interpretiert worden war. Aber überall, das war die Gemeinsamkeit im ML-Lager, war sie nicht diejenige Partei, die die Interessen der Arbeiter vertreten würde. Aufs Ganze gesehen, war sie sogar an den unterdrückenden Verhältnissen beteiligt, und ihr schroffer Widerstand gegen hohe ökonomische Forderungen, wie sie in der MTR 1971 aufgestellt worden waren, musste selbst außenstehenden Beobachtern als abstoßende Muffigkeit erscheinen. (86)
Den Vorstoß des IGM-Vorstandes, für die MTR 1971 Forderungen der Tarifkommissionen, die zwischen 9-11% lagen, anzuerkennen, wertete der „KND“ in seiner Ausgabe Nr. 66 vom 30. August als „einen weiterer Schritt der IGM-Führer zur Durchsetzung des Lohndiktats der SPD-Regierung“. (87) Und die „Rote Fahne“ der KPD/ML-ZB Nr. 17 vom 30. August führte zur MTR aus: „Deshalb trifft die SPD-Regierung allseitige Vorbereitungen zur Durchführung der Notstandsdiktatur. Deshalb verstärkt die SPD-Regierung die Härte, mit der sie das Lohndiktat bei den Metallern in der Metalltarifrunde durchsetzen soll. Deshalb plant die SPD-Regierung im Herbst umfassende Steuererhöhungen, um die Rüstung zu erhöhen. Deshalb 'reformiert' sie die Bundeswehr und verschärft die Wehrpflicht, um die westdeutsche Arbeiterjugend als Kanonenfutter für ihre künftigen Eroberungspläne zu gebrauchen. Deshalb entwerfen und beschließen die Gewerkschaftsführer neue Antreiberlohnordnungen … Das ist das alte Lied der Imperialisten, das die SPD-Führer für die Arbeiterklasse bereit haben. Gegen diese Großmachtpolitik muss die Arbeiterklasse den Kampf aufnehmen. Gegen die Eroberungspläne der SPD-Führer! Für einen sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat!“
Die allgemein auffallende und wiederkehrende Argumentation, die die SPD bezichtigte, nun mit „aller Härte das Lohndiktat bei den Metallern in der Metalltarifrunde durch(zu)setzen“, beherrschte mit erstaunlicher Zählebigkeit jede Debatte. Der Herd künftiger Gefahren, die SPD, war durch eine alle Lebensbereiche durchdringenden (machtvollen) „Großmachtpolitik“ zu charakterisieren. Diese Formulierungen erlaubten dem ZB, der SPD sozusagen auf Lebenszeit den Gang in die „Notstandsdiktatur“ zu unterstellen. Daran würden sich die Geister scheiden. Ihre „imperialistischen und kriegstreiberischen Pläne“, die „Stellung zum Lohndiktat“ und der „Kampf der Arbeiterklasse“ dagegen würden u. a. die grundlegenden Unterschiede zur KPD/ML-ZK skizzieren, so die „Rote Fahne“.
In der schon erwähnten Ausgabe hieß es zur KPD/ML-ZK: „Eine proletarische Partei kann nur in den Stürmen der Massenbewegung heranwachsen. Die Unterschiede zwischen der Gruppe 'Roter Morgen' und der KPD/ML sind keine Haarspaltereien … Am 1. Juli 1970 wurde das Zentralbüro der KPD/ML gebildet. Das war der vorläufige Abschluss des Kampfes zweier Gruppen in der KPD/ML. Seitdem gibt es zwei Organisationen, die sich KPD/ML nennen. Einmal ist das unsere Partei mit ihrem Zentralorgan ROTE FAHNE, zum anderen ist das die Gruppe 'Roter Morgen'. War das eine prinzipienlose Spaltung oder ein notwendiger Kampf? Das war und ist ein notwendiger Kampf. Das wird klar, wenn man die damaligen und heutigen Streitfragen betrachtet. Die Auseinandersetzung entzündete sich an folgenden vier Fragen:
Diese strittigen Fragen sind keine Haarspaltereien … sondern grundlegende Fragen der Arbeit der kommunistischen Partei. Die Gruppe um den 'Roten Morgen' verlangte im März 1970 in einer Plattform: Die Hauptseite der gegenwärtigen Arbeit muss die Theorie sein, der Jugendverband darf keine organisatorische Selbständigkeit haben und die bestehenden Gewerkschaften müssen gespaltet werden. Diese Ansichten wurden im Verlauf des Kampfes als falsch und mit den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus nicht vereinbar zurückgewiesen, weil sie den Kampf für die Interessen der Arbeiterklasse behindern und den proletarischen Charakter der Partei und des Jugendverbandes bedrohten. Deshalb führte der Kampf zur politischen und organisatorischen Trennung beider Gruppen: Am 19. April 1970 wurde das KJ-Inform, die Bundesleitung des KJVD, gebildet, in dem sich ein Teil der fortschrittlichen Kräfte sammelte, dann folgte für die Partei die Gründung des Zentralbüros (ZB), das als erste Aufgabe das neue Zentralorgan der KPD/ML, die Rote Fahne, herausgab. Die Richtigkeit dieses Kampfes hat sich bestätigt: Seitdem erlebt die KPD/ML in ihrer politischen und organisatorischen Entwicklung einen stetigen Aufschwung …
Welche Unterschiede heute zwischen der Gruppe 'Roter Morgen' und der KPD/ML bestehen, und wie sie behoben werden können, das wollen wir anhand unserer Einschätzungen zur Metalltarifrunde zeigen … Im Mittelpunkt des Kampfes der KPD/ML steht das Lohndiktat der SPD-Regierung. ... Wie steht die Gruppe 'Roter Morgen' zum Lohndiktat der SPD-Regierung? ... Was das Lohndiktat politisch bedeutet, welchen politischen Zweck im Rahmen der imperialistischen Pläne es hat, wird nirgends erläutert. Es wird nur gesagt, dass durch Schillers 'Lohnleitlinien' der Reallohn der Arbeiter gedrückt wird. ...
Ebenso wird die politische Entwicklung, die in der westdeutschen Arbeiterklasse vor sich geht, verkannt … Was sind die Ursachen der Fehler der Gruppe 'Roter Morgen'. Zwei Ursachen sind hier zu nennen. Einmal schätzen die Führer der Gruppe 'Roter Morgen' den Charakter des westdeutschen Imperialismus falsch ein. So hatte sie eine Theorie von den 'Zwei Wegen' des westdeutschen Imperialismus entwickelt, die dazu führte, dass der nach allen Seiten kriegstreiberische Charakter des westdeutschen Imperialismus und seines Vorkämpfers, der SPD-Regierung, nicht erkannt wurde … Der andere Fehler ist der, dass die Genossen vom 'Roten Morgen' nicht erkennen, dass die Arbeiterklasse sich allmählich von den betrieblichen Führern der Sozialdemokratie löst, dass sie bereit ist, selbständig in den Kampf zu ziehen …
Die Fehler der Gruppe 'Roter Morgen' führen dazu, dass sie der Arbeiterklasse einen falschen Weg weisen … Der imperialistische Charakter des Lohndiktats, der jetzt in der verschärften Währungskrise immer deutlicher wird, wird verschwiegen - die Verrätereien der Sozialdemokratie auf Betriebsebene werden verdeckt. Das sind die wichtigsten Fehler der Gruppe 'Roter Morgen' in der Metalltarifrunde '71 aufgrund ihrer massenfeindlichen Linie … Die KPD/ML ist bemüht, die Einheit der marxistisch-leninistischen Bewegung herzustellen. Eine solche Einheit darf natürlich nicht eine prinzipienlose Einheit sein, sondern muss auf klaren Grundsätzen beruhen … Da es in diesem Jahr mit dem Lohndiktat um einen politischen Angriff geht, muss ein einheitliches Aktionsbündnis auch auf politischen Parolen beruhen. Solche Bündnisse sind von unseren Betriebsgruppen an einigen Orten den Betriebsgruppen des 'Roten Morgen' angeboten worden. Die Einheit der Marxisten-Leninisten im ideologischen und politischen Kampf herstellen - das ist die richtige Methode. Die einheitlichen Kampfforderungen müssen lauten: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse.“ (88)
Um es zu wiederholen: Die Scheidelinie SPD war eine Dauerunternehmung des ZB. Sie war ein rationales Dauerkalkül, von der Überlegung getragen, die Führung im ML-Lager zu übernehmen. Der größte Kontrahent des ZB, das ZK, musste isoliert werden. Dass es dabei auf zuweilen recht merkwürdige Formulierungen zurückgriff und mit viel Missmut das ZK angriff, lag in der Gründung der KPD/ML-ZB begründet, auf die einleitend in der „RF“ noch einmal eingegangen worden war. Die angeblich „massenfeindliche Linie“ des „Roten Morgen“, der die Parolen „Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse“ (nur) variiert hatte, verunmöglichte damit auch ein „Aktionsbündnis“ zwischen diesen beiden Gruppen in der MTR.
In diesem Streit spiegelten sich nicht nur die umfassenden Auseinandersetzungen um die SPD wider, auch die Bezichtigung, dass das ZK nicht erkennen will, „dass die Arbeiterklasse sich allmählich von den betrieblichen Führern der Sozialdemokratie löst, dass sie bereit ist, selbständig in den Kampf zu ziehen …“, war eine ideologische Aufladung, die von der Leitvorstellung beherrscht war, dass die politische und soziale Emanzipation nur über einen nebulösen Kampf erreicht werden könnte. Dass die „Zwei-Wege-Theorie“ den allseitigen „kriegstreiberischen Charakter des westdeutschen Imperialismus“ nicht erkennen würde und dass sie den „Vorkämpfer“, die SPD, rein stiefmütterlich behandeln würde, war natürlich barer Unsinn. Aber diese geistigen Freiheiten nahm sich jeder heraus, der irgendwo in der Bewegung zu Wort kommen wollte.
Es gehörte zu den charakteristischen Eigenarten der maoistischen Bewegung, dass man deren Politik in allererster Linie an der Parteipresse ablesen konnte. Hier konnten entweder friedliche oder antagonistische Widersprüche miteinander koexistieren, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre. Hier war der Ort, wo sich die Differenzierungen herauskristallisierten, hier vollzogen sich auch die folgenreichen Veränderungen und die nostalgisch bemühten Traditionalismen. Der Kampf um die bedeutenden Positionen endete zumeist in der propagandistischen Verklärung einzelner Aktionen oder Taten der Arbeiterschaft. Dieses recht abstrakte Bild verbreitete der „KND“ zur MTR in seiner Ausgabe Nr. 66 vom 31. August. Er verwies auf ein Flugblatt der KPD/ML-ZB, dass vor „den wichtigsten Metall- und Stahlbetrieben der Bundesrepublik und Westberlins, in denen Betriebsgruppen der KPD/ML und des KJVD existieren“, verteilt worden war und meinte: „Arbeiter! Am Montag beschloss der IGM-Vorstand, die verräterischen 9-11%-Forderungen der meisten Tarifkommissionen zu übernehmen. Die 80 Pfennig Forderung von Klöckner Bremen wird auf 11% gedrückt. Die Arbeiterjugend auf eine angemessene Erhöhung der Lehrlingslöhne vertröstet. Das ist ein weiterer Schritt zum Lohndiktat der SPD-Regierung. Damit verraten die sozialdemokratischen IGM-Führer die 4 Millionen Metaller und Stahlwerker an ihre in Bonn regierenden Parteifreunde … Seit sich vor zwei Wochen die Währungskrise verschärft hat, drohen die SPD-Führer noch offener mit Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, befiehlt Schiller ein noch härteres Lohndiktat:
Die Metaller und Stahlwerker sollen weniger als 7% erhalten. Die Dollarkrise erschüttert das imperialistische System bis in die Grundmauern, zeigt den Bankrott des US-Imperialismus und gibt den Weltmachtträumen der Krupp und Thyssen neue Nahrung … Die SPD-Führer treiben eine offene Weltmachtpolitik: In Westeuropa wollen sie sich durch eine erweiterte EWG ihre Vorherrschaft sichern. Nach Osteuropa schaffen sie sich durch das Zusammenspiel mit den verräterischen Führern der Sowjetunion Stützpunkte, von denen aus das großdeutsche Reich wiederhergestellt werden soll. Die Westberlin-Vereinbarungen sind ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Hinter großen Friedensreden wollen die SPD-Führer ihre Aufrüstungspolitik verbergen ...
Besonders scharf gehen die SPD-Führer gegen die Arbeiterjugend vor: Ein immer größerer Teil wird in Uniform der Bundeswehr gepresst, zugleich wird die Arbeiterjugend durch Altersabschläge und Leichtlohngruppen noch stärker unter das Lohndiktat gezwungen. Der KJVD, der Kommunistische Jugendverband Deutschlands, die Jugendorganisation der KPD/ML, weist den Kämpfen der Arbeiterjugend Weg und Ziel. Wie kann sich die Arbeiterklasse wehren? Arbeiter! Die Führer der DKP behaupten, dass ihr den IGM-Führern vertrauen sollt, dass eure Kampfbereitschaft sie zwingt, statt des Lohndiktats die 15%-Forderung durchzusetzen. Das sind durchsichtige Lügen. Die IGM-Führer sind es doch, die auf Anweisung der SPD-Regierung und der Konzernherren nur 9 bis 11% fordern, um dann zwischen 6 bis 7 Prozent abzuschließen.
Darum sagt die KPD/ML: Nur ohne und gegen die sozialdemokratischen Führer können wir den Kampf führen. Darum müssen unsere Parolen lauten: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Vertrauen auf die eigene Kraft! Arbeiter! Die SPD-Führer behaupten: Fordert niedrige Löhne, dann könnt ihr eure Arbeitsplätze sichern. Die DKP-Führer tönen: Fordert hohe Löhne, dann könnt ihr eure Arbeitsplätze sichern. Beide führen euch in die Irre. Denn Krisen mit großer Arbeitslosigkeit sind ein Lebensgesetz des Kapitalismus. Allein das sozialistische Lager weist den Weg.
Während das ganze imperialistische System von der Dollarkrise erschüttert wird, wächst und blüht das sozialistische Lager mit der Volksrepublik China an der Spitze. Dort hat die Arbeiterklasse die Staatsmacht und der sozialistische Aufbau schreitet voran. Die Arbeiterklasse muss keine Steuern zahlen, die Preise bleiben stabil, die Arbeitsplätze sicher. Das chinesische Volk hat keine Auslandsschulden. Der chinesische Renminbi und der albanische Lek sind die stabilsten Währungen der Welt. Da sie vollkommen unabhängig vom imperialistischen Währungssystem sind, trifft sie die Dollarkrise nicht. Darum sagt die KPD/ML: Für einen sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat!“ (89)
Der kurze Blick auf die Gegenwart der MTR wurde sogleich von der abstrakten Wortwahl des Politischen abgelöst. Die SPD-Führer würden nun „eine offene Weltmachtpolitik“ betreiben, was in die Nähe von Hegemonie erringen käme. Der Weg, den die SPD laut „KND“ einschlagen würde, wäre gesäumt mit der „Aufrüstungspolitik“, die das „Lohndiktat noch härter“ machen würde. Die Ergebnisse dieses ewigen Geschiebe und Gezerre mündeten in ein Vabanquespiel ein. Dieses endlose Kräftemessen mit der Sozialdemokratie war das unverwechselbare Kennzeichen der ZB-Gruppe schlechthin. Die Dauerkonflikte bündelten über fast 3 Jahre hinweg alle Aktivitäten der KPD/ML-ZB.
Am Beginn des Monats September, zur MTR, erschien die Nr. 7 des „Parteiarbeiters“ der KPD/ML-ZB. Das Funktionärsorgan enthielt u. a. den „Politischen Plan der Partei für (den) September 1971“.
In diesem war dem Lohndiktat“ breiter Raum eingeräumt worden: „Die zentrale Aufgabe der SPD-Regierung im Berichtszeitraum war die Durchsetzung des Lohndiktats in der Chemie-Industrie und die Vorbereitung des Lohndiktats in der MTR! Welche Bedeutung hat das Lohndiktat? Wir haben schon gesehen, dass sowohl gegen die politischen Rechte als auch die wirtschaftlichen Errungenschaften der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen eine umfassende Offensive von der Sozialdemokratie geführt wird. Das Lohndiktat betrifft beide Bereiche dieser Offensive und ist auch aus diesem Grund der wichtigste Angriff auf die Arbeiterklasse. Das Lohndiktat hat folgende Bedeutung:
An vielen Stellen war eine Überlappung mit schon formulierten Ansätzen festzustellen. Der lang währende Konflikt setzte sich hier unvermindert fort. Das „Lohndiktat“ wurde zu einem experimentellen politischen Versuchslabor, das die internationalen Machtverhältnisse neu aufmischen würde. Die 4 Punkte, die das ZB angeführt hatte, dürfte die Quintessenz gewesen sein. Im Kampf um nationale Machtpositionen sollte jeder bremsende Missstand verhindert werden. Vor allem deshalb sollte das „Lohndiktat“ politisch und ökonomisch begründet werden. Deshalb kann die Erläuterung zu ihm als ein koordiniertes System verstanden werden. Die eigentliche Aufgabe bestand danach darin, dessen schroffe Paraphrasen durch zentral gesteuerte Aktivitäten umzusetzen.
Durchweg sollte es einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Seine proklamierte Universalität wurde zudem auch durch eine weitere Variante bereichert, um die sog. „linke Sozialdemokratie“. Der „Parteiarbeiter“ meinte unter: „Die revolutionäre Bewegung in Westdeutschland“: „Die spontane Bewegung der Arbeiterklasse steht immer noch unter starkem Einfluss der linken Sozialdemokratie. Aber immer deutlicher wird, dass es einen Kampf um die Führung dieser Bewegung zwischen den Marxisten-Leninisten (und dabei besonders der KPD/ML) und diesen demagogischen Agenten der Sozialdemokratie gibt. Die Partei gewinnt dabei immer mehr Einfluss und tritt nun wirklich in die dritte Periode ihrer Entwicklung ein. Ihr taktischer Spielraum wird im Verlaufe der Kämpfe größer, ihre Sicherheit bei der Vorausschau der Ereignisse wächst mit ihrer programmatischen Arbeit.“ (91)
Über diese Schattenseite der Sozialdemokratie ist seit der Weimarer Zeit viel debattiert worden. Und es hatte den Anschein, dass deren eigene Utopie in dem sog. Pro und Contra aufging. Mal wurde sie mit schneidender Schärfe angeprangert, mal war sie ein Teil des Bildungsbürgertums, das ständig Kritiker hervorbrachte, aber an der Programmatik der SPD schlechthin festhielt. Das ZB entschied sich für die Variante, die „linke Sozialdemokratie“ als besonders gefährliche „demagogische Agenten“ (siehe Bleicher) zu bezeichnen. Eine Chance zur Korrektur war demnach nicht vorgesehen. In der Bündnispolitik zur MTR spielte sie keine Rolle. Sie, wenn sie überhaupt existierte, wurde möglicherweise imaginär in der Betriebspresse mit unterschiedlicher Intensität angegriffen. Namen wurden genannt, ihr besonderer „Verrat“ herausgestellt und gegen die sozialdemokratische Ideologie mit linker Verpackung agitiert.
Überhaupt wurden programmatische Absichtserklärungen im Zuge der MTR immer wieder verfasst. So meinte der „Parteiarbeiter“: „Auch innerhalb der marxistisch-leninistischen Bewegung kann die Partei trotz ihrer Jugend die Führung erobern. Gerade die Spaltungsversuche der KPD/AO sind der letzte Beweis dafür. Anfang Juli nahm die 'Sektion Rhein-Ruhr' der KPD/AO ihre Arbeit im Ruhrgebiet auf. In völlig prinzipienloser Weise machten sie sich an die Spaltung der revolutionären Kräfte im Ruhrgebiet. Die KPD/AO gab unter dem Namen KPD eine programmatische Erklärung heraus, die durch und durch antikommunistisch und voller Fehler ist. Diese Erklärung hatte keinen anderen Sinn, als die marxistisch-leninistische Bewegung weiter zu spalten und die Arbeiterklasse zu verwirren. Die Partei hat von Anfang an einen offenen ideologischen Kampf gegen sie geführt und ihren spalterischen Charakter aufgezeigt. Im Rahmen der Bündnispolitik zur MTR ist eine breite ideologische Auseinandersetzung innerhalb der marxistisch-leninistischen Bewegung eingeleitet worden, über deren Ergebnisse wir jetzt noch nichts sagen können … Der ideologische Kampf für die Einheit der westdeutschen Marxisten-Leninisten hat ein neues Niveau erlangt. Der Kampf gegen die linken und rechten Ansichten der Gruppe Roter Morgen ist auf der Grundlage der Erarbeitung der Linie zur nationalen und internationalen Situation zu einem konkreten Kampf um die Einheit geworden. Das schnelle Reagieren auf die verstärkte Spaltertätigkeit der KPD/AO ist ein weiteres Beispiel für die wachsende ideologische Reife der Partei.“ (92)
Die Aufnahme der (Betriebs-)Arbeit durch die KPD/AO (KPD) im Ruhrgebiet sollte vom ZK und ZB gleichermaßen als „Spaltungsversuche“ bzw. „Spaltertätigkeit“ angeprangert werden. Sie würde „Verwirrung in die Arbeiterklasse“ tragen und die „marxistisch-leninistische Bewegung spalten“, hieß es hochtrabend. Dagegen müsse ein breiter „ideologischer Kampf für die die Einheit der westdeutschen Marxisten-Leninisten“ geführt werden. Die Anerkennung dieses Lagers durch das ZB bedeutete natürlich nicht, dass deren eigentümliche Einfärbung die Führung inne zu haben, aufgegeben oder in Frage gestellt worden wäre. Ganz im Gegenteil: Indem gleichermaßen auch gegen die „linken und rechten Ansichten der Gruppe Roter Morgen“ agitiert wurde, kamen diese Äußerungen aus dem „Parteiarbeiter“ in die Nähe einer Schlüsselstellung im beinharten Kampf um die Einflussgebiete, vor allem im Ruhrgebiet, wo es der KPD über den Zeitraum von 1972 hinaus gelingen sollte, als Konkurrenz zu KPD/ML aufzutreten.
Die „sozialfaschistische Verwaltung der Arbeiterklasse“, wie es im Org.-Bericht des „Parteiarbeiters“ Nr. 7 hieß, würde sich besonders in der MTR zeigen. Es sei nun an der Zeit, endlich die „fortschrittlichsten Arbeiter für die KPD/ML zu gewinnen“. Die Lösung dieser Aufgabe, also, der Verlauf der „Klassenschlacht“ gegen die SPD, sei „für die Entwicklung der westdeutschen Revolution“ entscheidend. (93) Die Exklusivität der politischen Linie zur SPD führte hier in das unaufhaltsame Vordringen eines abstrusen und selbstgerechten Revolutionismus, ein Kernstück der ZB-Theorien überhaupt.
Paradoxerweise ließ gerade die MTR 1971 erkennen, dass überall vom Aufbau eines „Revolutionären Bündnis“ geredet wurde, es aber eigentlich nie, wenn von der schwammigen AE einmal abgesehen wird, zustande kam. Einen Vorstoß wagte Anfang September das Landessekretariat des KSB/ML NRW, von dem aus auch später eine erste Offensive gegen das ZK um Ernst Aust eingeleitet wurde. Ein „Rundbrief“ forderte dazu auf, alle Gruppen, Kollektive und Sympathisanten des KSB/ML in eine „umfassende Kampagne am Ort“ einzubinden, um „die ideologischen und organisatorischen Voraussetzungen für den Aufbau des Revolutionären Bündnis zu schaffen“: „Die Notwendigkeit (auch des Aufbaus einer Zeitung des KSB/ML, d. Vf.) ergibt sich aus der Verschärfung des ideologischen Kampfes gegenüber revisionistischen und neorevisionistischen Gruppen angesichts der Kampfstärke der Arbeiterklasse und ihrer Partei der KPD/ML einerseits und der zunehmenden Bolschewisierung und des Aufbaus des KSB/ML andererseits …“ (94)
Nun war diese Art von Selbstreinigung nicht von langer Dauer. Die permanenten Konflikte drängten zwar auf eine Lösung, doch die Cliqueninteressen waren das übergeordnete Thema. Am Ende stand die Erkenntnis, dass es dem KSB/ML gelingen müsse, „revolutionär gesinnte Studenten-Organisationen“ zu gewinnen, „um die Revisionisten und Spalter an der Hochschule entscheidend schlagen zu können“. Dieser Wunschtraum der Rekrutierung des Nachwuchses ging auch an die Adresse des Zentralbüros, sogar des KSV und die SAG, die folgendermaßen in die Debatte mit einbezogen worden waren: „Wie dringend diese Aufgabe in NRW angepackt werden muss zeigt folgende Überschau: Die Rote Fahne Bochum hat ihre Hochschullinie korrigiert und geht dazu über, besonders im Ingenieurschulbereich Sympathisantenkollektive aufzubauen. Der KSV (Studentenorganisation der Gruppe Rote Fahne Westberlin - KPD) ist als regionaler Verband in NRW gegründet worden. Mit der RPK verfügt er über ein zentrales Organ. Es ist anzunehmen, dass es ihm über RPK-Korrespondenten leicht fallen wird, im kommenden Semester in NRW Fuß zu fassen. Die PL/PI hat sich mit dem SAG in Bochum eine Agentur geschaffen.“ (95)
Die KSB/ML-Interessen sollten sich die Konkurrenz am Ort teilen. Das war nicht unwichtig; denn deren linke Alleinherrschaft an den Universitäten war beendet. Und deren Kleinarbeit musste sie, wohl oder übel, etwa dem KSV überlassen, der ihm deutlich den Rang ablief. Erfolgserlebnisse hatte der KSB/ML schon lange nicht mehr verzeichnen können. Daher auch die schon erwähnte Intervention an die zentralen Leitungen, die aber zunehmend starr und bürokratisch auf die Probleme des KSB/ML eingingen. (96)
Die Zuspitzung der Probleme schilderte im Januar 1972 die „Bolschewistische Linie (BL) der ehemaligen KPD/ML (RM)“ aus dem September 1971: „Die heftigste Zuspitzung erfuhren die Auseinandersetzungen, als sich die beiden Landesleitungsmitglieder, die ebenfalls in der Ortsgruppenleitung Dortmund waren, auf einer nach langer Zeit einberufenen Akklamations-Landesleitungs-Sitzung weigerten, dem Antrag des Landessekretariats an das ZK und an den Parteitag zuzustimmen, den das Landessekretariat durchpeitschen wollte, den Genossen X. (Frankfurt) nicht nur aus dem ZK zu säubern, sondern praktisch auch aus der Partei auszuschließen, indem man ihm subjektives wie objektives Spaltertum vorwarf. Der Genosse X. hatte in der Tat in einigen Punkten eine unsolidarische Kritik an dem Verfasser der Zwei-Wege- und Konkurrenztheorie geübt (Bestechungsvorwurf etc.), hatte aber sehr wesentliche Punkte der Kritik gegen das rechtsopportunistische Treiben dieses Genossen vorgetragen, was den eigentlichen Grund für diesen faktischen Ausschlussantrag des Landessekretariats abgab.“ (97)
Die als „rechtsopportunistische Linie“ charakterisierte Position dürfte schon in gewisser Weise einer Untergangsstimmung entsprochen haben, die sich als heftige Bürokratiekritik bemerkbar machte. Doch wie weit das gehen sollte, davon hatte wohl keiner der Kritiker eine auch nur annähernde Vorstellung gehabt. Die eigentliche Startphase für den außerordentlichen Parteitag, der schlampig vorbereitet werden sollte und ebenso zu Ende ging, war m. E. an diesen Kritiken abzulesen. Das zeigte auch der „Perspektivplan des KSB/ML Dortmund“ vom September, der für das WS 1971/72 angab, „die fortschrittlichsten Studenten für den KSB/ML zu gewinnen und sie im KSB/ML zu organisieren“, der aber auch die bisherige Traditionsheiligkeit der sog. „Massenlinie“ aufs Korn nahm und nun davon sprach, „Rote Studienkollektive“ aufbauen zu wollen. (98)
Langsam begann es in der KPD/ML-ZK zu gären. Am 3. September forderte der Parteibeauftragte der Roten Garde Worms der KPD/ML-ZK die „Einstellung der RGZ“: „Die RGZ (Rote Garde Zeitung, d. Vf.) trägt zur Spaltung der Arbeiterklasse bei, indem nicht durch ein ZO gegen die Spaltung der Arbeiterklasse angekämpft wird, indem man den Arbeitern nicht die Funktion der Sub- und Popkultur enthüllt, indem Lehrlings- und Arbeiterkorrespondenzen nicht in einem ZO stehen.“ (99)
Es kann kein ernst zunehmender Zweifel daran bestehen, dass der außerordentliche Parteitag weit vor dem eigentlichen Termin stattfand. Wichtige Entscheidungen sollten im Sommer 1971 getroffen werden. Doch hielt sich hier die Rebellion noch in Grenzen, wenngleich (noch) die weltumspannenden Spielarten des sog. „Rechts- und Linksopportunismus“ auf alles und jeden angewandt worden waren.
Auf der ZK-Sitzung vom 4./5. September, die einberufen worden war, weil einige Genossen im Zusammenhang mit der „Zwei-Wege-Theorie“ verleumdet worden waren, kam es zwar nicht zum Eklat, doch einige der Autoritäten des ZK wankten bereits. Im „Parteiaufbau“, dem Funktionärsorgan des ZK, war in der Ausgabe 6 zur ZK-Sitzung lesen: Das ZK beschäftigt sich „ausführlich mit dem Revisionismusvorwurf gegen den Genossen … und dessen 'Zwei-Wege-Artikel'. Es hat festgestellt, dass dieser Artikel gewisse rechte Fehler enthält, die bei vorheriger gründlicher Diskussion im ZK hätten ausgeräumt werden können. Aus diesen Fehlern jedoch eine durchgängige Linie zu ersehen, die Genosse … intrigenhaft durchgesetzt habe, ist eine grobe Verletzung des Prinzips Einheit-Kritik-Einheit … Der auf der Landesleiterkonferenz erhobene Vorwurf der aktiven Bestechung an … und der passiven Bestechung gegen … ist eine Verleumdung gegen die beiden Genossen und degradiert die aktive Solidarität, die unter den Mitgliedern einer bolschewistischen Partei unbedingt notwendig ist, zu einem kriminellen Akt.“ (100)
Die buchstabengetreue Orthodoxie fiel hier neben der Kritik an „gewissen rechten Fehlern der „Zwei-Wege-Theorie“ auf, die nun einem einzelnen Mitglied des ZK zugeschrieben worden waren. Auch der nicht definierte „Bestechungsversuch“ sollte erkennen lassen, dass dem ZK doch der Wind des unverhüllten Misstrauens entgegen zu wehen begann. An die Stelle der solidarischen Kritik trat der starrsinnige Vorwurf, eine einzige Person für eine zentrale politische Linie des ZK verantwortlich zu machen. Im Konfliktfall wehrte sich das ZK stets mit Energie gegen jedwede ideologische Verzerrungen, die ihm nicht in den Kram passten. Der Verweis auf den „kriminellen Akt“, der in dieser Umgebung stets Siedehitze war, reihte sich ein in diese bunt gewordene Vielfalt der Anfeindung und der Verächtlichmachung einzelner Positionen.
Ohnehin hatten diese Vorwürfe Struktur. Die MTR war nahezu für sie prädestiniert. Die am 4. September erschienene Nr. 67 des „KND“, die mit dem Leitartikel „Verschärfter Kurs der SPD-Führer: Bundesgrenzschutz - Polizeireform“ erschien, sprach von nun beginnenden „Niederhaltungen der erstarkenden Arbeiterklasse“, die auch ihre KP, die KPD/ML, beträfe. Zeigen würde sich das an den Anträgen zum IG-Metall-Gewerkschaftstag, der ein Verbot „maoistischer Gruppen“ fordern würde. Gerade in der MTR sei „eine der wichtigsten Methoden der sozialfaschistischen Verwaltung der Arbeiterklasse die Einengung oder Aufhebung der Legalität der revolutionären Organisation“. An „erster Stelle steht dabei die Aufhebung der Legalität der KP. Die SPD-Führer wollen jetzt das KPD-Verbot, das sie schon 1956 voll unterstützt haben, gegen die KPD/ML anwenden“.
Für den „KND“ bot sich die Möglichkeit, die MTR 1971 publizistisch auszuschlachten. So konnte er hier einen Vernichtungsangriff gegen andere Gruppen starten. In seiner schon typischen Manier erklärte er etwa zum KAB/ML: „Kein einziges Wort verlieren sie über die Verschärfung der sozialfaschistischen Angriffe der Sozialdemokratie gegen die Arbeiterklasse, die sich in Anträgen zum Verbot 'maoistischer Gruppen' und in Anträgen zum erleichterten Ausschluss von oppositionellen Gewerkschaftern ausdrückt … Kein Wort zu den Verbotsanträgen gegen die 'Maoisten', kein Wort über die Gefahr der Wiederanwendung des KPD-Verbots. Dies zeigt das Verdrehen des Charakters der Sozialdemokratie und ihrer Handlanger im Gewerkschaftsapparat. Die Führer des KAB verschweigen bewusst, dass an den Punkten, wo die Sozialdemokratie nur noch schwer ihre Maske der Politik der inneren Reformen aufrechterhalten kann, wo sie die Arbeiterklasse nur noch schwer unter Kontrolle halten kann, sie immer offenere Methoden der sozialfaschistischen Verwaltung der Arbeiterklasse anwendet.
Die Führer des KAB setzen ihre Politik der Verdrehung des Charakters der Sozialdemokratie in der gleichen Nummer der Roten Fahne noch die Krone auf, wenn sie ein paar Seiten später über die Duisburger Verbotsanträge schreiben: 'Wie konnte es dazu kommen, dass die Vertreterversammlung diesen reaktionären Vorstoß nicht abwehrte? ... Die Antwort ist einfach. Seit längerem verteilt eine Gruppe der Aust-KPD/ML vor mehreren Betrieben in Duisburg sogenannte Betriebszeitungen. In diesen Betriebszeitungen, in denen einige Studenten ihre Buchweisheiten von sich geben, werden die Gewerkschaften als arbeiterfeindliche Organisationen hingestellt …
Unter diesen Bedingungen hatten die Initiatoren des obigen Antrags leichtes Spiel … Die Ultralinken der Aust-KPD/ML liefern geradezu die Munition für Reaktion und Chauvinismus. Diese Dreieinigkeit einer Handvoll Arbeiterfeinde spielen sich gegenseitig die Karten zu: dieses teuflische Spiel wird jedoch kläglich enden.' Die Einzigen, die allerdings kläglich enden werden, nämlich immer mehr im Sumpf des Rechtsopportunismus sind die Führer des KAB. Mit ihrer 'Begründung' der Verbotsanträge erweisen sich die Führer des KAB als echte Agenten der Sozialdemokratie, als Demagogen, die die Arbeiterklasse in die Arme der Sozialdemokratie treiben … Die Führer des KAB zeigen mit ihrem Artikel zum Gewerkschaftstag, dass sie bewusst den Charakter der Sozialdemokratie verdrehen, dass sie sich bewusst absetzen von der Einschätzung der Sozialdemokratie zu Beginn einer revolutionären Flut, so wie Thälmann sie für 1928 vorgenommen hat und wie sie von der KPD/ML auf die heutige Situation angewandt wird.“ (101)
Die „Ultralinken“ hatten es dem KAB/ML angetan. Seine politischen Ansichten, die über Willi Dickhut (102) mehr und mehr über den Zeitraum 1971 hinaus an Einfluss gewannen, waren eine durchsichtige Tarnung ihrer Einflussziele, die abgeschrieben erschienen, wenn an das Umfeld der maoistischen Gruppen gedacht wird. Seine politischen Aufsätze oder Kommentare hatten wenig Neues zu bieten. Sie bestanden aus einem Sammelsurium zahlreicher Kanäle. Die Nachrichten, die sich etwa in der „Kommunistischen Pressekorrespondenz“ wiederfanden, entstammten ähnlichen Quellen, die der „KND“ stets ausgewertet hatte. Seine publizistische Tätigkeit dürfte sich daher eher auf das Wiederkäuen bekannter Arbeiterismen beschränkt haben, die über das KPD-Mitglied Willi Dickhut in die Gruppe getragen worden waren. Eine bahnbrechende Wichtigkeit des KAB/ML, KABD und der späteren MLPD, war nicht zu erkennen. Sein spezifischer Charakter blieb im Arbeitermilieu ohne Arbeiter verhaftet. Zur MTR blieb er relativ sprachlos. Jedenfalls war die „Rote Fahne“ ein politischer Selbstläufer, der an den Rockschößen ihres Interpretationsmonopolisten Dickhut hing.
Für Bayern stellte die GTK der IG Metall am 6. September die Forderungen für die MTR auf. Darüber berichtete die Rote-Druckerei-Arbeitergruppe der KPD/ML-ZK in München: „HINTER DEN KULISSEN: MITGLIEDER BESCHISSEN! Jetzt ist die IG Metall mit ihren Forderungen rausgerückt: IN BAYERN GANZE 10%!
Kein Wort von tariflicher Absicherung, kein Wort von den Forderungen der Kollegen und fortschrittlichen Gewerkschaftler. Die Arbeiter haben 15% aufgestellt. Wo sind die geblieben? 15% gleich eine DM sind nicht zu viel verlangt. Davon werden allein 10% von der Inflation, durch höhere Steuern und Sozialabgaben wieder aufgefressen. Eine DM mehr für alle Arbeiter, das entspricht 15% vom Effektivlohn der Lohngruppe 7. Das ist eine klare Summe, an der nicht herum gedeutet werden kann. Warum eine DM für jeden? Preisgalopp und Arbeitshetze treffen jeden, auch die Frauen und die ausländischen Arbeiter. Wir verlangen: Der Effektivlohn soll tariflich abgesichert werden. Wenn die Kapitalisten über die 'schlechte Ertragslage' jammern, schwenken ihre Handlanger im DGB gleich ein. Noch Anfang des Jahres hielt der DGB 15% mehr Lohn für richtig …
Die 15%, die die Kollegen von Opel, Ford, Hoesch, Mannesmann, Siemens usw. aufgestellt haben, werden in den Wind geschlagen. Die gewerkschaftliche Demokratie ist Brenner einen Dreck wert. Mit welch kaltblütiger Demagogie wurden nicht die fortschrittlichen Vertrauensleute auf den Vertreterversammlungen niedergebügelt? Jeder Ansatz von Opposition wurde im Keim erstickt …
Die IGM hat eine Aufgabe: den Lohnstopp der SPD-Regierung zu erkämpfen, die Arbeiter an der Leine zu behalten. Nur keine 'wilden Streiks, Ruhe an der Heimatfront, Ruhe an der Kostenfront.' Auch diesmal wird sie nicht mit 10% abschließen, sondern uns mit 7% abspeisen …
METALLER STEHT AUF - ZERBRECHT DAS LOHNDIKTAT!
100 000de von Metallern haben 1969 und 1970 die Zeichen gesetzt. Stellt sich der Gewerkschaftsapparat nicht hinter unsere Forderungen, so werden wir sie auch ohne und gegen die IGM-Bonzen durchsetzen. Denn die sogenannten wilden Streiks sind eine wirklich neue Kampfform der Arbeiterklasse. Sie wurden aus der Not geboren, aus der Not, weil sich der DGB-Apparat voll und ganz auf die Kapitalistenseite geschlagen hat. Wir müssen daran anknüpfen und weiter machen. Gleichzeitig müssen sich alle ehrlichen Gewerkschafter innerhalb der Gewerkschaften zusammenschließen, die Verräter bekämpfen und fest für die Forderungen der Kollegen eintreten. Gewerkschaftsmitglied und Gewerkschaftsapparat sind zweierlei Stiefel, die wir Kommunisten sehr gut auseinanderhalten können. Wenn wir danach handeln, werden wir Metaller es schaffen, was sich die Kollegen aus allen Industriezweigen von uns erhoffen: Einen Durchbruch an der Lohnfront.
Die Metaller standen stets in der ersten Reihe im Kampf um die wirtschaftlichen und politischen Forderungen der Arbeiterklasse. Deswegen schauen alle Kollegen im Herbst auf uns. Es wird auch ihnen einen gewaltigen Auftrieb geben, wenn es nach der Metall-Tarif-Bewegung heißt: Metaller brechen Lohndiktat. Die KPD/Marxisten-Leninisten und ihre Roten Betriebsgruppen werden diesen Kampf entschlossen und nach besten Kräften unterstützen! Wir fragen nicht danach: Gewerkschaftsmitglied oder nicht. Kommunist oder nicht? Sondern für die Interessen der Arbeiter oder gegen sie!“ (103)
Im Gewand der moralischen Kritik startete die Arbeitergruppe der KPD/ML-ZK ihren Feldzug gegen die IG Metall, wobei das „Lohndiktat“ auch hier eine zentrale Rolle für politische Äußerungen bot: „Metaller brecht das Lohndiktat“, der „Durchbruch an der Lohnfront“ müsse erreicht werden. All das war mit phantasievoller politischer Lesekunde verwoben. Die Kulthaltung, dass die KPD/ML den „Kampf entschlossen und nach besten Kräften unterstützen“ wolle, las sich wie ein geselliges Beisammensein. Die KPD/ML mutierte zu einer moralischen Person mit weltbürgerlichem Brüderlichkeitsideal und Gesinnungsethik.
Jene skurrilen Auswüchse dürfte die spätere „Bolschewistische Linie (BL) der ehemaligen KPD/ML (RM)“ im Kopf gehabt haben, als sie am 6. September von den Folgen der „Zwei-Wege-Theorie“ aus Dortmund berichtete: „Die heftigste Zuspitzung erfuhren die Auseinandersetzungen, als sich die beiden Landesleitungsmitglieder, die ebenfalls in der Ortsgruppenleitung Dortmund waren, auf einer nach langer Zeit einberufenen Akklamations-Landesleitungs-Sitzung weigerten, dem Antrag des Landessekretariats an das ZK und an den Parteitag zuzustimmen, den das Landessekretariat durchpeitschen wollte, den Genossen X. (Frankfurt) nicht nur aus dem ZK zu säubern, sondern praktisch auch aus der Partei auszuschließen, indem man ihm subjektives wie objektives Spaltertum vorwarf. Der Genosse X. hatte in der Tat in einigen Punkten eine unsolidarische Kritik an dem Verfasser der Zwei-Wege- und Konkurrenztheorie geübt (Bestechungsvorwurf etc.), hatte aber sehr wesentliche Punkte der Kritik gegen das rechtsopportunistische Treiben dieses Genossen vorgetragen, was den eigentlichen Grund für diesen faktischen Ausschlussantrag des Landessekretariats abgab.“ (104)
Die Lagerumbrüche, die sich argwöhnisch auszudrücken begannen und als „heftige Zuspitzung“ gedeutet wurden, charakterisierten die innere Zerbrechlichkeit der KPD/ML, die sich kaum noch intensiv gegen die informelle Gesinnungsgruppen aus dem eigenen Lager, mit dem Drang möglicher Unterwanderungen, wehren konnte. Natürlich gab es Ausschlüsse und Ausschlussanträge von Anfang an, nur dürften sie hier, kurz vor dem außerordentlichen Parteitag, eine wesentlichere Bedeutung gehabt haben. Die zahlreichen politischen Diskussionszirkel, die entstanden sein dürften, sollte das ZK auch gar nicht mehr überblicken können.
Unbestreitbar ist, dass sich eine beharrliche Kritik am ZK den Weg zu bahnen begann. Der Parteibeauftragte für die Rote Garde (RG) der OG Worms der KPD/ML-ZK im LV Südwest formulierte am 10. September folgende Kritik: „KRITIK DER OG WORMS AM RECHENSCHAFTSBERICHT DES ZK. Dem ZK ist immer noch nicht bewusst, in welcher Situation die Partei steht, welche ungeheure Wichtigkeit der 2. Parteitag hat, was er leisten kann und muss und wie deshalb der Rechenschaftsbericht inhaltlich aussehen muss.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Sorgen der Partei steht in dieser Periode (gemeint war die Periode der Formierung, der Schaffung der Partei, d. Vf.) … die Partei selbst … Die heftigen Versuche der Ökonomisten, die Partei als bewusste Vorhut der Arbeiterklasse von innen heraus zu liquidieren, sie als Nachtrab der spontanen Arbeiterbewegung, als Gratisbeilage zur Gewerkschaft zu festigen und sie mit Opportunisten aller 'Schattierungen' KJVD (der KPD/ML-ZB, d. Vf.), KAB (KAB/ML, d. Vf.) und KPD/AO prinzipienlos zu vereinigen, (müssen zurückgewiesen werden) … Was heißt nun in der jetzigen Situation, im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit steht die Partei selbst? D. h., wir müssen jetzt den Kampf gegen den Ökonomismus führen, der in Worten für die Diktatur des Proletariats ist, in Taten aber die KPD/ML auf das Niveau einer für die Bourgeoisie annehmbaren Gratisbeilage zur Gewerkschaft herabzerrt. Wird der Ökonomismus in der Partei nicht liquidiert, so ist die Liquidation der KPD/ML als Vorhut der Arbeiterklasse, als bolschewistische Partei unabwendbare Folge!!
Deshalb muss der II. ord. Parteitag folgende Aufgaben haben:
1) Kampf gegen den Ökonomismus mit all seinen Erscheinungsformen in der Partei
2) Schaffung einer Grundlage für den weiteren revolutionären Parteiaufbau (Plan zur Organisierung der zu leistenden Arbeit, Funktion und Inhalt des ZO, Form und Inhalt unserer Agitation und Propaganda usw.)
3) Wahl einer starken Zentrale und RM-Redaktion, die fähig sind, der bewusste Vortrupp der Partei zu sein, d.h. die Organisation der Revolutionäre sowie die Massenorganisationen auf allen Gebieten und in allen Fragen ihrer Tätigkeit auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus korrekt anzuleiten … Der bisherige RB dient in keiner Weise der Existenz und der Einheit unserer Partei in der jetzigen Situation, sie dienen im Gegenteil der Sabotage des Parteiaufbaus:
1) Der Rechenschaftsbericht konzentriert sich dadurch nicht auf die kommenden und ohne Umschweife anzugehenden Fragen unserer Partei
2) Das ZK benutzt diesen Rechenschaftsbericht als Vorwand, um den Parteitag wieder einmal verschieben zu können … Damit wird den Ökonomisten in der Partei für einen weiteren Monat Aufschub gegeben. Dieser Rechenschaftsbericht dient also objektiv den Ökonomisten in der Partei und es ist GANZ KLAR zu ergänzen und herauszustellen: GERADE DEN ÖKONOMISTEN IM ZK. Aus dem letzteren ist es verständlich, dass der Rechenschaftsbericht so aussieht und in dieser Form aufrechterhalten wird. Er dient der Sabotage des Parteiaufbaus!“ (105)
Der „Kampf gegen den Ökonomismus mit all seinen Erscheinungsformen in der Partei“ bot der intellektuellen Front alle Möglichkeiten faktisch nach Gutsherrenart aufzutreten. Ein wesentliches Dilemma der KPD/ML bestand nun darin, stets jene Barrieren aufzubauen, die sie in die selbstverschuldete Unmündigkeit hineinführte. Die nicht näher genannten „Ökonomisten im ZK“, die den vorläufigen RB dazu benutzen, um „den Parteitag … verschieben zu können“, konnten unter diesem Vorwurf, wie selbstverständlich, diskreditiert werden. Selbige standen diesen Vorwürfen machtlos gegenüber, der noch einmal durch die Einlassung, dass auch dadurch die „Sabotage des Parteiaufbaus“ stattfinden würde, mit explosivem Treibstoff angeheizt worden war. Man traf hier bereits auf viele, teils versteckte, Kritiken, die zwar noch oberflächlich waren, jedoch im Kern die Unfähigkeit des ZK herausstellten. Es war, nach diesem Bericht, nicht mehr eine „starke Zentrale“. Auch deren Initiative für den „weiteren revolutionären Parteiaufbau“ entsprach wohl nicht mehr der Erwartungshaltung einer Mehrheit der Parteimitglieder.
Aus dem immer wiederkehrenden Schlagwort „Ökonomismus“ las sich eine eigentümliche, gebrochene politische Beschränkung heraus. Es war benutzt worden, um (gewünschte) positive, politische Veränderungen herbeizuführen; denn die Überbetonung der rein ökonomischen Faktoren der „Ökonomisten“ führe nur zu einer Zurückzerrung der Arbeiterbewegung auf die traditionellen Strukturen des Staates. Oftmals wurde dieser Zusammenhang auch als „Nachtrab“, manchmal auch „Opportunismus“, verstanden, d. h. das Zurückzerren der KP auf den gewerkschaftlichen Kampf. Diese Begrifflichkeit enthüllte gleichzeitig das dichte Geflecht aus politischen Illusion und eilfertigen Anpassung an die bestehende Bewegung. Der „Ökonomismus“ als unüberwindbar wirkende Schranke dürfte u. a. als treibende Barriere in die maoistische Bewegung eingegangen sein. Er gehörte neben vielen anderen Anwürfen mit zu den stetigen Kritiken, die sich sogar einer gewissen Widerstandsfähigkeit erfreuen konnte. Bis heute dürfte sie sich gehalten haben.
In der MTR 1971 hatte er an Schwungkraft gewonnen. In ihm vereinigte sich eine besonders krass heterogene Mischung von unvermittelt nebeneinander existierenden Widersprüchen, die allerorts ausbrechen sollten. So warf das ZB dem KB Bremen und der AE zur MTR im September „unverhüllten Ökonomismus“ vor. (106) Den gleichen Vorwurf sollte das ZB am 6. September gegenüber dem KB/ML Flensburg äußern, denn an den „Fragen des Lohndiktats“ würden sich „die Parteien und politischen Gruppen“ scheiden. Die Scheidelinie beträfe den „Ökonomismus“, der „die Metaller vom Kampf gegen das Lohndiktat“ abhalten würde. (107)
Die Tarifrunde könnte auch als Experimentierfeld der K-Gruppen verstanden werden. Die KPD z. B. vermied es strikt, die 15% als allgemeine Forderung zu vertreten oder zu übernehmen. Stattdessen propagiere sie in ihrer „Kommunistischen Arbeiterpresse“ vom 10. September die „GESCHLOSSENE FRONT FÜR DIE 120 DM FORDERUNG“: „In der Hauptforderung nach 120 DM für alle wurde klargestellt, dass bei den ständig steigenden Lebenshaltungskosten 120 DM die Mindestsumme ist, die die Arbeiterklasse in dieser Tarifrunde erkämpfen muss …“ (108)
Diese politische Strategie offenbarte den schwelenden Interessensgegensatz zwischen ihr und dem Rest der maoistischen Bewegung. Im Streit um das Modell in der MTR dürften die KPD und deren Forderung nach „120 DM Mindestsumme“ allenfalls Seltenheitswert besessen haben. Zumindest konnte sie sich, im Gegensatz zur 15%-Forderung, nirgendwo effektvoll durchsetzen. Der „Ökonomismus der KPD“ war in dieser Form für den „Roten Morgen“ „reformistisches und revisionistisches Gedankengut“. Beides würde sich in einer Unterschätzung der „betrieblichen Kämpfe“ zeigen, meinte der „Rote Morgen vom 13. September in seiner Ausgabe 9 in der Artikelserie „Zum Kampf zweier Linien in der Gewerkschaftsfrage“. (109) Ähnliches war bereits von „KND und der „Roten Fahne“ des ZB betont worden.
In der Nr. 18 der Ausgabe vom 13. September lautete der Leitartikel: „IGM-Führer auf dem Weg zum Lohndiktat der SPD-Regierung. DKP-Führer decken Verrat - Die Forderung bleibt 15 Prozent.“ U. a. wurde formuliert: „Die IGM-Führer haben die Weichen für das Lohndiktat der SPD-Regierung gestellt. Am 13. und 14. August legten sie auf der Geheimtagung des Vorstandes fest, dass die Forderungen der Großen Tarifkommissionen in den Bezirken um 10 Prozent liegen sollen. Die Forderungen entsprachen mit 9 bis 11 Prozent dieser Richtschnur - bis auf die 80-Pennig-Forderung für die Bremer Klöckner-Werke. Am 30. August nahm der IGM-Vorstand die verräterische 11 Prozent-Forderung einstimmig an, und drückte Klöckner auf 11 Prozent. Der Verrat ist offenkundig. Mit der Behauptung, die wirtschaftliche Situation, besonders die Dollarkrise lasse eine höhere Forderung nicht zu, schwenken die IGM-Führer offen auf die Politik der SPD-Regierung ein. Sie gehorchen Schillers Befehl: Der Metallabschluss muss unter dem der Chemie liegen, also unter 7 Prozent …
Damit sind die Klassenfronten klar: Die IGM-Führer wollen das Lohndiktat der SPD-Regierung durchsetzen. Sie wollen für ihre Parteifreunde in Bonn den Kampf der Arbeiterklasse abwürgen und unterdrücken. Die IGM-Führer zeigen offen, dass sie auf der Seite der übelsten Feinde der Arbeiterklasse, auf der Seite der SPD-Führer stehen. Die Dollarkrise und die daraus folgende verstärkte Eroberungspolitik der SPD-Regierung nach Ost und West lässt ihnen keine andere Wahl. Für diese Politik müssen sie mit der Durchsetzung des Lohndiktats die 'Ruhe an der Heimatfront' schaffen. 15 Prozent oder Lohndiktat der SPD-Regierung - das ist nicht nur ein Lohnkampf, sondern ein politischer Kampf für oder gegen die Arbeiterklasse …
Die Führer der DKP, die sich Kommunisten nennen, haben sich ganz auf die Seite der SPD- und IGM-Führer gestellt … Wenn die DKP-Führer sagen, die SPD-Regierung hätte das Lohndiktat gar nicht nötig, so täuschen sie bewusst die Arbeiterklasse. Denn gerade zu dieser Politik sind die SPD-Führer von den Konzernherren an die Regierung geholt worden. Eroberungspolitik nach außen, Unterdrückung und Raub demokratischer Rechte nach innen - so lautet der klare Auftrag für die SPD-Führer … Die DKP-Führer wollen nur 9 Prozent. Das ist die Linie des Verrats zur direkten Unterstützung des Lohndiktats und der Eroberungspolitik der SPD-Führer … Die DKP-Führer stehen ganz auf Seiten der Feinde der Arbeiterklasse. Allein die KPD/ML hat klar Kurs für die Interessen der Arbeiterklasse und gegen die Verrätereien der SPD- und Gewerkschaftsführer gehalten ...
Gegen die Verratspolitik der SPD, DKP- und IGM-Führer bleibt die wirtschaftliche Forderung in der Metallindustrie '71: 15 Prozent! Gegen die Abwiegeleien und das Bestreben, den Kampf abzuwürgen, setzt die KPD/ML: 'Vertrauen auf die eigene Kraft'. Gegen alle Versuche, die Kämpfe der Arbeiterklasse und der Werktätigen mit dem Lohndiktat abzuwürgen und die Arbeiterklasse gegen die Unterdrückungspolitik der SPD-Führer wehrlos zu machen, setzt die KPD/ML: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung! Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse.“ (110)
Mit viel spitzer Polemik zog das ZB gegen die SPD zu Felde. Die wahre Maxime sei 15%. Die präventive Politik des ZB lebte nicht nur vom „Lohnkampf“, sondern vom „politischen Kampf“, der jetzt erfolgen müsse. Die gleichzeitige „Ruhe an der Heimatfront“ diene nur dazu, „die Kämpfe der Arbeiterklasse und der Werktätigen … abzuwürgen und die Arbeiterklasse gegen die Unterdrückungspolitik der SPD-Führer wehrlos zu machen“. Das Wesentliche für ein solches Urteil blieb die rein gedankliche Fixierung auf ein Phantom, für das das ZB wortgewandt stritt.
In der gleichen Ausgabe sollte die „Rote Fahne“ gegen den konkurrierenden Block der AE polemisieren. Es schien so, als ob hier deren letzte Stunde geschlagen hätte. Im Mittelpunkt des Disputs stand die Sozialdemokratie: „Am Kampf gegen die Sozialdemokratie fällt die Entscheidung. Ein Block von 17 Zirkeln und die KPD/AO auf dem Wege zum Revisionismus“: „Am 30. August nahm der IGM-Vorstand die verräterischen 9 bis 11 Prozent-Forderung einstimmig an … Das heißt: Die IGM-Führer wollen das Lohndiktat der SPD-Regierung durchsetzen … Somit bestätigt sich, was das Extrablatt der ROTEN FAHNE Mitte August vorhersagte: 'SPD-Regierung und sozialdemokratische Gewerkschaftsführer wollen auch gegen die Metaller ihr Lohndiktat durchsetzen'. Das Lohndiktat wurde von der SPD-Regierung erlassen, damit die wachsenden Kämpfe der westdeutschen und Westberliner Arbeiterklasse erstickt und so die 'Ruhe an der Heimatfront' für die ungestörte Weltmachtpolitik der SPD-Führer hergestellt wird. Damit zeigen sie, dass sie wirklich gegenwärtig der Hauptfeind der Arbeiterklasse sind. Darum heißt die Parole der KPD/ML in der Metalltarifrunde: Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse' … Diese klare, den Interessen der Arbeiterklasse entsprechende Politik wird nicht nur von den SPD-Führern, sondern auch von einigen, sich kommunistisch nennenden Gruppen angegriffen.
Zu ihnen gehört ein Block von 17 marxistisch-leninistischen Zirkeln, die sich in der Metalltarifrunde zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen haben. In einer gemeinsamen Plattform erklären sie: 'Wir gehen von der Einschätzung aus, dass wir in den Tarifkämpfen die Arbeiterklasse gegen ihren Hauptfeind, die Bourgeoisie (Kapitalistenklasse) führen müssen und nicht die Hauptagitationslinie auf die Entlarvung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer richten dürfen.' Folgerichtig heißt eine ihrer Hauptparolen: 'Gegen die Angriffe der Kapitalistenklasse die einheitliche Kampffront der Arbeiterklasse.' … Diese Ansicht des Blocks vereinfacht die wirklichen Verhältnisse gefährlich, besonders im Zeitalter des Imperialismus ... Mit der Jahrhundertwende ist das Zeitalter des Imperialismus angebrochen. Die wirtschaftliche und politische Macht vereinigt sich in den Händen einiger tausend Kapitalisten. Immer breiter wird der Kampf der Arbeiterklasse und aller werktätigen Schichten. Deshalb braucht die dünne Schicht der Monopole und Konzernherren eine Stütze, einen zuverlässigen Verbündeten, der die Kämpfe spaltet und abwürgt und so die Herrschaft der Konzernherren sichert.
Die mit vielen Posten in Staat, Verwaltung und Wirtschaft bestochenen Führer der Sozialdemokratie und des modernen Revisionismus ... waren und sind die besten Verbündeten der Konzernherren. Ob an der Regierung oder nicht, sie verfügen über den größten Einfluss in der Arbeiterklasse. Sie verteidigen die kapitalistische Herrschaft und lenken den Kampf mit der Behauptung in die Sackgasse, der Kapitalismus könne durch Reformen geändert werden ... Die KPD/ML hat Lenins Lehre angewandt und rechtzeitig die Verrätereien enthüllt - der sich kommunistisch nennende Zirkelblock dagegen deckt die Verrätereien" z.B. in Bremen wo der KBB die 11% gegen die 10% unterstützte.
Das ist also der Kampf der Zirkel gegen das Lohndiktat - ein kleines Täuschungsmanöver der IGM-Führer und die Zirkel gehen ihnen auf den Leim. Sie unterstützen die IGM-Führer gegen die Arbeiterklasse. Das ist kein Zufall: Die Wendungen sind unumgänglich, solange der Zirkelblock nicht klar erkennt, dass die Sozialdemokratie gegenwärtig die soziale Hauptstütze der Kapitalistenherrschaft ist. Ein noch viel raffinierteres Spiel, die Sozialdemokratie zu stützen, treibt die 'Aufbauorganisation für die Kommunistische Partei', die sich seit einigen Wochen ohne Rücksicht auf die noch bestehende, wenn auch verbotene KPD, frech als 'KPD' ausgibt.
Diese Gruppe tarnt sich als scharfer Gegner der IGM-Führer, ohne einen umfassenden politischen Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung zu führen. Stattdessen fordert sie den 'aktiven gewerkschaftlichen Kampf' und verbreitet die Hauptparole '120 DM für alle' ... Weil die KPD/AO den Lohnkampf auf den rein gewerkschaftlichen Kampf beschränken will, steht das Lohndiktat der SPD-Regierung folgerichtig nicht im Mittelpunkt des Kampfes der KPD/AO … Folglich verschweigt die KPD/AO die Rolle der SPD-Regierung. Sie verschweigt, dass die IGM-Führer das Lohndiktat durchsetzen wollen, um ihren sozialdemokratischen Parteifreunden in Bonn zu helfen. Deshalb ist der Kampf der KPD/AO gegen die IGM-Führer ein Scheinkampf. Sie richtet ihren gewerkschaftlichen Kampf auch nicht auf die breite Masse der Kollegen aus, sondern wendet sich bewusst nur an einen Teil der Arbeiterklasse: die gewerkschaftlichen Vertrauensleute …
Folglich fordert die KPD/AO, den gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörper zu stärken - und nicht die Kampfkraft der gesamten Arbeiterklasse. Folglich fordert sie, die Tarifkommission durch Vertrauensleute zu wählen - und nicht die Mehrheit der Kollegen zum Kampf gegen das Lohndiktat zu mobilisieren ... Die Parole der KPD/AO: 'Die Vertrauensleute sollen den Kampf führen', verhindert die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse und kettet den Kampf weiter an die Sozialdemokratie. Es ist dann nur noch ein kleiner Schritt, wenn die KPD/AO den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten besondere wirtschaftliche Vorteile verschaffen will ... Der Scheinkampf der KPD/AO zeigt sich am schärfsten in ihrer Stellung zu den DKP-Führern im Betrieb. Die DKP-Führer sind die geschicktesten Handlanger der SPD-Regierung. Nach außen treten sie gegen das Lohndiktat und für 15 Prozent auf, hinter verschlossenen Türen jedoch unterstützen sie in jeder Weise die SPD-Führer …
Diese Tatsachen zeigen: Der Weg der Zirkelgruppen, besonders der KPD/AO führt zum Revisionismus. Sie werden diesen Weg weiter gehen, solange sie - einen gewerkschaftlichen und nicht einen vorwiegend politischen Kampf führen; nicht den Hauptstoß gegen die Verrätereien der SPD-Führer richten, - nur einen Scheinkampf gegen die IGM-Führer betreiben, weil sie nicht als die sozialdemokratischen Handlanger für Schillers Lohndiktat enthüllen.
Die KPD/ML wird weiter ihre klaren Forderungen propagieren: Kampf dem Lohndiktat der SPD-Regierung als politische Hauptforderung; 15 Prozent auf den Ecklohn linear für alle als die wichtigste Lohnforderung; 'Vertrauen auf die eigene Kraft' als die wichtigste taktische Forderung.“ (111)
Der Block der AE stellte bekanntermaßen den Souveränitätsanspruch der SPD-Linie, vor allem wie sie von beiden KPD/ML-Gruppen vertreten worden war, in Frage. Deutlich hob er hervor: „Wir gehen von der Einschätzung aus, dass wir in den Tarifkämpfen die Arbeiterklasse gegen ihren Hauptfeind, die Bourgeoisie (Kapitalistenklasse) führen müssen und nicht die Hauptagitationslinie auf die Entlarvung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer richten dürfen.“ (112) Damit endete jedoch nicht die Ära dieser politischen Linie in der BRD. In einem tieferen Sinn jedoch zerfiel dieses anachronistische Gehäuse. Unter dem Anprall der AE sah sich das ZB gezwungen, diesen „Zirkelblock“ abzustrafen: „Sie unterstützen die IGM-Führer gegen die Arbeiterklasse. Das ist kein Zufall: Die Wendungen sind unumgänglich, solange der Zirkelblock nicht klar erkennt, dass die Sozialdemokratie gegenwärtig die soziale Hauptstütze der Kapitalistenherrschaft ist“, erklärte das ZB und blieb ihrer toten Ideologie treu. Genauer genommen trieb sie mit rücksichtsloser Energie diese modernisierte, von Misserfolgen heimgesuchte, Leitlinie weiter voran. Dem Rivalen, der KPD, schrieb das ZB ins Stammbuch: „Diese Gruppe tarnt sich als scharfer Gegner der IGM-Führer, ohne einen umfassenden politischen Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung zu führen. Stattdessen fordert sie den 'aktiven gewerkschaftlichen Kampf' und verbreitet die Hauptparole '120 DM für alle' ... Weil die KPD/AO den Lohnkampf auf den rein gewerkschaftlichen Kampf beschränken will, steht das Lohndiktat der SPD-Regierung folgerichtig nicht im Mittelpunkt des Kampfes der KPD/AO … Folglich verschweigt die KPD/AO die Rolle der SPD-Regierung. Sie verschweigt, dass die IGM-Führer das Lohndiktat durchsetzen wollen, um ihren sozialdemokratischen Parteifreunden in Bonn zu helfen …“
Die Polemik gegen die KPD besaß die Aufgabe, über ein Rastermuster zur politischen Weltendeutung zu gelangen. Dass sie durch die Parole „120 DM für alle“ leugnen würde, dass „die IGM-Führer das Lohndiktat durchsetzen wollen“ und sich dabei von den „sozialdemokratischen Parteifreunden“ helfen lassen, entbehrte zwar jeder Grundlage, brachte aber im System des Führungsanspruchs die „wahrhaft revolutionäre Rolle“ des Zentralbüros zum Ausdruck. Kein Wunder, dass die Konsequenz aus deren Verhalten und ihrer Linie war: „Der Weg der Zirkelgruppen, besonders der KPD/AO führt zum Revisionismus …“
Nun hatte das ZB mit gleichberechtigten Ansichten neben ihm nichts am Hut. Daher musste auch hier die Sprengwirkung des Schlagworts „Revisionismus“ dazu herhalten, um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen: Die KPD gehöre nicht zum Lager des ML! Möglich machte das auch der unsägliche Glaubensfanatismus, der alle großen und auch kleinen Parteien auszeichnet. Die Werbekraft der ideologischen Programmatik der KPD/ML-ZB beharrte darauf, dass sich an der „Linie zur SPD“ die Revolutionäre von den Nichtrevolutionären scheiden würden.
Im „Roten Morgen“ Nr. 9 vom 13. August erschien unterdessen der Artikel: „Antifaschistischer Kampf und Parteiaufbau. Eine Kritik an dem Artikel: Erklärung der Ortsgruppe Freiburg.“ Der Verfasser führte aus: „Im Roten Morgen 2/1971 ist eine Erklärung der Ortsgruppe Freiburg abgedruckt worden. Es handelt sich um eine Erklärung darüber, warum die Ortsgruppe Freiburg zu antifaschistischen Aktionen in Freiburg geschwiegen bzw. sich nicht beteiligt hat. Diese Erklärung ist äußerst fadenscheinig und offenbart sowohl eine sektiererische Linie im antifaschistischen Kampf als auch das Unvermögen, die Beziehung zwischen der Gewinnung der Vorhut der Arbeiterklasse und Kampf gegen den Faschismus als dialektische Einheit zu betrachten. Während sich der KJVD (Jugendorganisation der KPD/ML-ZB, d. Vf.) den Revisionisten anbiedert und ihnen hinterher trabt, kapselt sich die Ortsgruppe Freiburg ab und überlässt ihnen das Feld.
Wie ist es zu dieser Erklärung gekommen? In Freiburg veranstalteten die Faschisten der AKON, NPD, 'Aktion Widerstand' usw. eine Demonstration zum 100. Jahrestag der 'Reichsgründung', um reaktionäres und chauvinistisches Gedankengut in die Massen zu tragen. Die Ortsgruppe Freiburg weigerte sich, an einer Gegendemonstration teilzunehmen. Darüberhinaus versäumte sie es, rechtzeitig eine öffentliche Begründung für diese Haltung abzugeben. Die Ortsgruppe sagt nun, dass Kritik und Unverständnis ... nur deshalb aufgetreten seien, weil die Ortsgruppe ihren Standpunkt nicht rechtzeitig öffentlich dargelegt habe … Die Rolle der Kommunistischen Partei, der KPD/ML, besteht dann darin, diesen bewaffneten Kampf anzuführen, wie es der Avantgarde würdig ist. Die anderen antifaschistisch und demokratisch gesonnenen Teile des Volkes werden in diesem Moment am bewaffneten Kampf teilnehmen, ohne Rücksicht auf Partei- oder Religionszugehörigkeit ...
Damit die KPD/ML zum führenden Kern der Arbeiterklasse wird, muss sie die Strategie und Taktik der westdeutschen Revolution erarbeiten, muss sie mit ihrer Agitation und Propaganda zunächst hauptsächlich die Fortgeschrittensten des Proletariats auf das Niveau der revolutionären Marxisten-Leninisten heben, in die Partei aufnehmen und zu Kadern heranbilden ... In unserer Propaganda müssen wir den untrennbaren Zusammenhang zwischen Imperialismus, Faschismus und Krieg aufzeigen, den Arbeitern die Rolle des Staates erklären und die Notwendigkeit und Methoden der Abschaffung des bürgerlichen Systems vermitteln …“ (113)
Auf die besonderen Konstellationen solcher „antifaschistischen Aktionen“, die nicht nur in Freiburg die Gemüter erhitzten, soll an anderer Stelle eingegangen werden. Hier interessiert zunächst nur der Anwurf einer „sektiererischen Linie im antifaschistischen Kampf“, die sich als hemmende Schranke für das ZK erweisen sollte; denn nach dem außerordentlichen Parteitag erklärte sich ein Teil dieser Gruppe zur ML Freiburg und kehrte dem ZK den Rücken. Möglicherweise hatte dieser Disput dazu beigetragen. Zwar waren die Vorwürfe gegen die OG hanebüchen, doch war die Form der Kritik durch das ZK ein weiterer Beweis für deren Unfähigkeit, ihre eigene und verkrustete Politik aufzugeben. Zu seinen Zielen gehörte weiterhin die Absicht, die Ansichten rebellisch gewordener Gruppen zu beschneiden, um sie klein zu halten und sie mit allgemeinen Aussagen über die Rolle der KP zu übertölpeln. Später sollte einem Teil des LV Südwest der KPD/ML-ZK vom ZK nicht nur eine „sektiererische Linie“ vorgeworfen werden, sondern „Rechtsopportunismus“, der sogar zur „Hauptgefahr“ in der Partei werden sollte und der sich auch im ZO breit machen würde.
Die Übertölpelungsstrategie wurde immer dann angewandt, wenn mit deren Hilfe politischer Druck auf die Gegenseite ausgeübt werden sollte. So setzte die Nr. 13 der „Rotfront - Die KPD/ML informiert die Kollegen der Dortmunder Metallbetriebe“ vom 20. September ganz auf die Polemik gegen DKP und „RWW“. Die Zeitung bezichtigte die DKP, die Verbotsanträge gegen die KPD/ML zu unterstützen, und warf der „RWW“ vor, sich nicht genügend von der DKP abzugrenzen. Auch die Arbeiterschaft bei Hoesch wurde dazu aufgerufen, sich von ihren Verrätern abzugrenzen, um sich gegen „Lohndiktat und Aufrüstungspolitik zusammenschließen“. (114)
Wie weit der Einfluss der AE zur MTR 1971 reichte, ist nicht bekannt. Aber ein Teil der Auseinandersetzungen wurde durch verschiedene Publikationen bekannt gemacht. Am 25. September begann in Hamburg eine zweitätige Konferenz von Gruppen und Organisationen aus Westdeutschland und Westberlin (115), die wohl eine Fortsetzung bisheriger Konferenzen (vom 25. Juli und 11. September) war. Auch auf dieser kam es, wie schon bei den vorhergegangenen, zu wesentlichen Differenzen, die wieder einmal auf eine „kleinbürgerliche Linie“ zurückgeführt wurden. (116)
Die MTR und die Verbotsanträge waren auch auf dem am 27. September beginnenden Gewerkschaftstag der IGM, der bis zum 2. Oktober dauern sollte, präsent. Laut KPD/ML-ZB wurde dort die Entschließung des Vorstands, der „die Strafverfolgung und das eventuelle Verbot von Maoisten und anderen Linksextremisten gefordert“ hatte, von der Mehrheit der Delegierten angenommen. Der Antrag lautete: „Ihre Aktivitäten (die der Maoisten. d. Vf.) konzentrieren sich zunehmend auf die Herstellung und Verteilung zahlreicher betriebsbezogener Schriften, in denen eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Gewerkschaften geführt und deren Haupt- und ehrenamtliche Funktionäre in der übelsten Weise beschimpft werden.“
Der BKA meinte in seinem „Klassenkampf“: „Für alle sichtbar wurden auf dem Gewerkschaftstag die Vorstellungen der IG Metall-Spitze und ihres großen Anhangs unter den Delegierten zur augenblicklichen Tarifrunde (MTR, d. Vf.). Vor allem wurde beschlossen, weiterhin an der 'Konzertierten Aktion' von Kapitalisten, SPD-Regierung und Gewerkschaftsführung teilzunehmen, an einem Gremium, durch das die Politik der Gewerkschaften direkt an die Ziele des kapitalistischen Staatsapparates und damit an die Interessen der Kapitalisten gebunden wird. Otto Brenner bekannte sich in einer Grundsatzrede voll zur Konzertierten Aktion und zu einer Tarifpolitik, die 'der heutigen Wirtschaftslage entspricht'. Jede andere Politik als die des Vorstandes würde nämlich dazu führen, dass 'unsere eigenen Mitglieder die Organisation nicht mehr ernst nehmen würden …
Die Gewerkschaftsspitze steht auf der Seite der SPD-Regierung und damit auf der der Monopolkapitalisten. Denn Monopolkapital und Staat sind im Augenblick fieberhaft damit beschäftigt, durch eine Senkung des Lebensniveaus der arbeitenden Bevölkerung eine große wirtschaftliche und politische Offensive gegen die anderen kapitalistischen Staaten und zur Eroberung der 'Ostmärkte' einzuleiten, - zur Stabilisierung und Vergrößerung der Profite der westdeutschen Kapitalisten. Deshalb ist es das Ziel der IG Metallführung, in der jetzigen Tarifrunde einen Abschluss in der Höhe des in der 'Konzertierten Aktion' festgesetzten Lohndiktats von ca. 7% UND DAMIT EINE REALE LOHNSENKUNG durchzusetzen …“ (117)
Das legendenumwobene Geschichtsbild mit dem möglichen Verbot der Maoisten, oder eines Teils von ihnen, war im Sommer 1971 zu einem Bestandteil linker Agitation und Propaganda geworden. Es sollte sich bis weit nach 1977 halten. Vor allem im Zuge der Fahndung nach der RAF war vom westdeutschen Staat immer wieder das Verbot dieser Gruppen gefordert worden. Doch dieses Gemälde glich einer totalen Überschätzung des Wirkens der Maoisten. Der Dreh- und Angelpunkt war einfach, dass sich die Kontinuität der Weimarer Kommunistentätigkeit keineswegs fugenlos fortsetzen ließ. Insofern war der Staatsschutz selbst idealistisch; denn von einer praktischen Staatenzertrümmerung konnte weder 1971 noch 1977 und auch nicht in den Jahren danach, geredet werden. Diese Katastrophe blieb also aus.
Was nicht ausblieb, war die schon mehrmals erwähnte Konstruktion zwischen MTR und Verbot der Maoisten. Selbst der BKA sollte sich hier an das „Lohndiktat“ anhängen und die „Eroberung der Ostgebiete“ (Profite der Kapitalisten) plus „reale Lohnsenkungen“ als (eigentlichen) politischen Nerv in dieser Runde bezeichnen. Auch insofern setzte sich das phantastisch gefärbte Gemälde fort. Zum MTR-Kult meinte der „Rote Morgen“ Nr. 10 vom 27. September:
„BÜRGERLICHE PRESSE SOLL LOHNRAUB IN DER PROPAGANDA VORBEREITEN …
Die gesamte bürgerliche Presse wurde in einer seit dem 2.Weltkrieg noch nicht da gewesenen Weise zur Vorbereitung eines Lohnkampfes eingesetzt. Mit Verdrehungen, Lügen und Unterschlagungen versucht die Bourgeoisie die Kampfkraft der Metallarbeiter zu schwächen … Wirtschaftsführer, Bankbosse und führende Politiker kamen täglich in der Presse zu Wort. Ihr Klagen und Jammern diente dem einen Zweck, die wahre Wirtschaftssituation der Großkonzerne vor den Arbeitern zu verschleiern. Die Bankrotte der Kleinen werden in aller Ausführlichkeit breitgetreten. Der Riesenwirbel um Olympia und Voigtländer (in Braunschweig, d. Vf.) soll den Eindruck erwecken, als ginge es den Kapitalisten insgesamt höchst dreckig. Natürlich wird verschwiegen, von wem die Kleinen geschluckt werden bzw. wer an den Bankrotten verdient. Ebenso wie alles getan wird, um Unruhe über bevorstehende Massenentlassungen bei Rheinstahl, Mannesmann, Krupp und Hoesch zu vermeiden …
Auch in diesem Metallkampf wurden trotz aller Versuche der Bonzen, Forderungen der Kollegen zu unterdrücken, klare Forderungen erhoben: Bei Klöckner/Bremen waren es 16%, bei Maschinenfabrik Deutschland (Hoesch - MFD, d. Vf.) und einigen kleineren metallverarbeitenden Betrieben in Dortmund 15%, bei Opel/Bochum forderte eine Belegschaftsversammlung 15% - 1 DM. Die KPD/ML hat ihre Forderung 15% - 1 DM, Absicherung der Effektivlöhne, 1 000 DM Mindestnettolohn, gegen Arbeitsplatzbewertung und Punktsystem, gleichen Lohn bei gleicher Arbeit in vielen Flugschriften propagiert und begründet ...
DAS WAHRE GESICHT DER IGM-BONZEN
Bei der Festlegung der IG-Metall-Forderung in den einzelnen Tarifgebieten zeigten die Gewerkschaftsbonzen dann wieder ihr Gesicht. Was sie auf den Versammlungen in den Betrieben nicht wagen konnten, geschah. In den Kommissionen wurden 9 - 11% auf den Tariflohn festgesetzt. Von linearer Anwendung wollte man auch nichts mehr hören, da dann ja 'die Facharbeiter auch den Besen nehmen könnten' (Gewerkschaftsbonze Tuchmann in Dortmund).“ (118)
Die Politik der „Ruhe an der Heimatfront“ war nörgelnder Konservatismus, in sich verknöchert. Die KPD/ML unterlag dem Trugschluss, dass das Ansinnen des Bonner Staates (automatisch) mit möglichen administrativen Maßnahmen gleichzusetzen wäre. Dass die Ideologie des Staatsapparates darauf hinauslief, einen Vormarsch zu wagen, war ein Leitsatz, der nichts mit der politischen Praxis zu tun hatte. Fast wäre man geneigt zu sagen, dass der „Ritt nach Osten“ der Ideologie der Rechten entsprach. Ohne jedes Augenmaß bediente sich die KPD/ML den Positionen, die sich durch die Schroffheit ihrer Aussagen auszeichneten. Bei gleichzeitiger weltumspannender MTR ging es ohne Fingerspitzengefühl weiter: Noch nie sei die Presse („seit dem 2.Weltkrieg (in) noch nicht da gewesener Weise“) zur Vorbereitung eines Lohnkampfes eingesetzt“ worden. Doch die 15% sei die Forderung der Stunde.
Das ZB ließ in der „Roten Fahne“ Nr. 19 vom 27. September verlauten: „Brandts Krimreise - Ein unheilvoller Akt!“ Mit jener schroffen Schlüssigkeit, die bekannt ist, verlegte sich das ZB hier auf „die Verschärfung der Kriegsgefahr in Europa durch den westdeutschen Imperialismus“. Die Sozialdemokratie erweise den „westdeutschen Imperialisten so gute Dienste“ und treibe „aktiv die innere Faschisierung voran. Der Krim-Besuch Brandts hat gezeigt, dass der westdeutsche Imperialismus ebenso entschieden von den Völkern bekämpft werden muss, wie der US- und SU-Imperialismus.“
Auch zwei weitere Artikel in der Ausgabe (zum einem „Metalltarifrunde '71: Glatter Ablauf - Notfalls mit Gewalt“ und zum anderen: „Bundesgrenzschutz: Polizeiarmee für den Bürgerkrieg gegen die Arbeiterklasse. SPD-Regierung erließ neues Gesetz. Der Name ist nur Tarnung“) sollten den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Notstandsvorbereitungen und MTR erkennen lassen. In typischer Wendung erklärte das ZB „die Ratifizierung des Moskauer und Warschauer Vertrages, das Berlin-Abkommen und die europäische Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ als „Kriegsgefahr gegen die DDR“, um gleichzeitig das Ökonomieprogramm der Kapitalisten, die auch durch geringe Lohnabschlüsse zur „wirtschaftlichen und militärischen, als auch zur politisch führenden Macht in Westeuropa“ werden wollten, scharf zu kritisieren. (119)
Endlich meldete sich dann auch die RJ/ML des KAB/ML zur Metalltarifrunde. Am 30. September hieß es im „Rebell“ Nr. 35:
„METALLLER KAMPFENTSCHLOSSEN. KOLLEGEN FORDERN 15% MEHR LOHN … Die Brandt, Schiller und Co. stimmten ein in dieses alte Lied. Brandt sprach von der 'Verantwortung für das Gemeinwohl', das die Gewerkschaften hätten und griffen direkt die Tarifautonomie der Gewerkschaften an. Kapitalistenfreund Schiller mahnte die Kollegen in sattsam bekannter Weise zigmal zur 'Zurückhaltung, Vernunft' usw. … Die Lebenshaltungskosten im Juni sind gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,2% gestiegen. In einzelnen Bundesländern sogar auf über 6%. Damit wurde seit 20 Jahren der absolut höchste Stand erreicht. Lebensmittel, Auto-, Straßenbahn-, Strompreise werden täglich von den Kapitalisten in die Höhe getrieben. Gleichzeitig zieht die SPD-Regierung die Steuerschraube immer stärker an. Allein 1970 stieg das Lohn- und Gehaltssteueraufkommen um über 30%. Das genügt den Kapitalisten aber noch lange nicht. Um ihre Profite auch in der durch Profitgier verursachten Wirtschaftskrisen möglichst hoch zu halten, wurden tausende Kollegen auf die Straße gesetzt, arbeiten über 40 000 Metaller kurz, wurden beinahe in jedem Betrieb die Überstunden abgebaut und durch Rationalisierungsmaßnahmen die Arbeitshetze unerträglich verschärft. So stiegen die Umsätze, zumeist mit wenigen Arbeitskräften, z.B. bei Daimler-Benz um 23%, bei Siemens um 22%, bei Hoesch um 19%, bei Krauss-Maffei sogar um 40%. Schauen wir uns im Gegensatz dazu jetzt die Gewinne der Kapitalisten an, so können wir eines feststellen: PROFITE UNVERMINDERT HOCH …
KAMPF DEM LOHNDIKTAT! RAUS AUS DER KOZERTIERTEN AKTION!
In ihrem Bestreben, die Monopole in ihrer Profitjagd bestens zu unterstützen, hat sich die SPD-Regierung einen besonderen Trick einfallen lassen: das Lohndiktat! Kapitalisten, Regierung und rechte Gewerkschaftsführung haben in der Konzertierten Aktion dieses arbeiterfeindliche Diktat ausgehandelt. Durch sogenannte Lohnleitlinien zwischen 7 und 8% sollen die Löhne der Kollegen möglichst niedriggehalten werden, die Profite unangetastet. Dieses Lohndiktat gilt es jetzt im Metall-Tarifkampf zu durchbrechen. Es gilt die Lehren aus dem Kampf der Chemie-Kollegen zu ziehen. Durch den Einsatz von knüppelnden Polizisten, von Streikbrechern und durch Bestechungsversuche gelang es Chemie-Kapitalisten und Regierung, einen Abschluss im Rahmen des Lohndiktats durchzusetzen. Die rechten Gewerkschaftsführer mischten dabei aktiv mit und verrieten die kampfentschlossenen Chemieler mit mageren 7,8% mehr Lohn. Wenn heut Leute vom Schlage des IGM-Boss Brenner verkünden, dass es 'selbstverständlich im Interesse aller läge, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung zu unterstützen', so dient das den rechten Gewerkschaftsführern nur zur Vorbereitung eines neuerlichen Verrats …
Eines haben die Kollegen ganz klar erkannt: Eine angemessene Lohnerhöhung setzen wir nur durch, wenn wir kampfentschlossen in die Tarifrunde gehen. Was angesichts der Kapitalistenprofite angemessen ist, haben die Kollegen deutlich zum Ausdruck gebracht. Bei MAN fordern sie 15%, bei Hoesch 15%, bei Kugelmüller 14%, bei Siemens und AEG 15%, Klöckner 17%, Ford 16%. In vielen Resolutionen tauchen auch noch die Forderungen nach einem 13.Monatseinkommen und einer Kündigungsklausel auf, falls die Preise mehr als 2-3% steigen. Der Kommunistische Arbeiterbund hat die wirtschaftlichen Forderungen der Metaller für diesen Herbst zusammengefasst:
LINEAR 15% MEHR LOHN
Die IG-Metallbosse übergingen wie üblich die Forderungen der Kollegen stillschweigend und stellten ihre eigene auf: 11% mehr Lohn. Von einer linearen Lohnerhöhung reden sie überhaupt nicht, Zusatzforderungen fallen ebenfalls unter den Tisch, obwohl Brenner noch kurz zuvor meinte, dass solche zusätzlichen Forderungen sehr bedeutend seien. Mit der 11% Forderung liegen die IG-Metallführer ziemlich nahe an den Lohnleitlinien Schillers. Sie geben damit klar zu erkennen, dass sie wie in der Chemie-Tarifrunde bereit sind, das Lohndiktat von Kapitalisten und SPD-Regierung zu erfüllen. Für die Metaller heißt das nichts anderes, als dass es jetzt notwendig ist, ihre Forderung nach einer linearen Lohnerhöhung von 15% entschlossen weiter zu stellen und gegen alle Angriffe auch von Seiten der rechten Gewerkschaftsführer zu verteidigen. Allein so wird es uns gelingen, eine Lohnerhöhung zu erkämpfen, die sich nicht an dem orientiert, was die Kapitalisten zu geben bereit sind, also ein Almosen, sondern sich nach ihren Profiten richtet und das sind nun einmal 15% mehr Lohn!“ (120)
Nach den bisherigen Erkenntnissen der Gruppe zum „Linksradikalismus“, der speziell in der Form der beiden KPD/ML-Gruppen auftreten würde, war dieses politische Manifest nichts anderes als die Proklamierung der Leitsätze der Konkurrenten. Vor allem fiel hier auf: Die Übernahme der 15%, eine Festschreibung von Lohnerhöhungen durch die sog. Lohnleitlinien, die Verbindung der MTR mit den Notstandsvorbereitungen des Staates („knüppelnde Polizisten“), die Agitation gegen die rechte Gewerkschaftsführung. Aber vor allem war es das „Lohndiktat“, das als bevorzugte Zielscheibe der Kritik das Ausmaß der Verbindung zwischen „Kapitalisten, Regierung und rechter Gewerkschaftsführung“ aufzeigen sollte.
Die Übernahme der verkappten KPD/ML-Linie war natürlich außergewöhnlich für den KAB/ML (KABD), der sich hier umstandslos bediente. Bei der Suche nach den Hilfsmitteln für seine Linie fiel er selbst auf jene „Kleinbürgerlichkeit“ zurück, die er u. a. mitverantwortlich für das Versagen im Klassenkampf gemacht hatte. Offenbar war dieser Artikel das direkte Ergebnis einer äußerst unglaubwürdigen Haltung. Der hassgeschärfte Blick der Gruppe gegen jede Unterminierung der „Massenlinie“ sollte hier einen tiefen Riss bekommen. War doch gerade das „Lohndiktat“ mit seinen einprägsamen Formulierungen die Erfindung der „Kleinbürger“. Abgesehen von einigen Interpretationskorrekturen, stieß der Artikel doch übel auf: Er verklärte den gesamten Forderungskatalog zur MTR. Es kam der Gruppe nicht in den Sinn, dass sie einem politischen Interessenkalkül aufgesessen war, das sich im Ergebnis an unterschiedlichen Mythen in der MTR orientierte (z. B. die fehlerhafte Darstellung über eine 15%-Forderung bei Hoesch, Klöckner oder AEG).
Wer immer sich auch in der MTR profilieren wollte, er musste an vielen Fronten auch viele Schlachten führen. In der „Rotfront - KPD/ML informiert“ Nr. 17 von Anfang Oktober 1971 war immer noch die Tarifrunde und jene Forderung eines Teils der Linken im Gespräch, die den Sturm der Arbeiterklasse auslösen sollte: 15% bei gleichzeitigem „Kampf dem Lohndiktat des Kapitals, seiner SPD-Regierung und DGB Bonzen!“ Daneben entfachte einer der vielen Widersprüche der beiden KPD/ML-Gruppen einen alten Brandherd neu: Die Stellung zur DDR! Die „Rofront“ titelte einen Artikel in ihrer Ausgabe mit: „Genossen von der Gruppe Rote Fahne/Bochum (Rote Westfalenwalze): Nehmt die Ulbricht-Brille doch ab!“
Weiter hieß es: „Werdet euch doch selber erstmal einig. Was soll das: zwei KPD/MLs auf einmal? Das sagen viele Kollegen, wenn der Rote Morgen, das Zentralorgan der KPD/ML, und die Rote Fahne, die Zeitung einer angeblichen weiteren KPD/ML verkauft werden. Diese Kollegen haben Recht! Aber Einheit kann es nur durch Klarheit der Unterschiede geben, vor allem durch die Klarheit der Abgrenzung von den als Kommunisten getarnten DKP-Revisionisten. In dieser wichtigen Frage allerdings hapert es bei der Gruppe Rote Fahne/Bochum, die auf der Westfalenhütte die 'Rote Westfalenwalze' herausgibt. Neuerdings gehen die Führer dieser Gruppe sogar so weit, dass sie Schriften des Arbeiterverräters und Antikommunisten Ulbricht herausbringen. Diese rechten Führer der Gruppe Rote Fahne/Bochum begründen das damit, dass Ulbricht bis zum Jahre 1956, dem Jahr, in dem die revisionistische Chruschtschow-Bande auf dem XX. Parteitag der KPdSU ihre völlige Abkehr von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus erklärte, ein lupenreiner Kommunist gewesen sei. Die KPD/ML erklärt dazu, dass dies ein ganz und gar falscher Standpunkt ist, dass dies die Tatsachen auf den Kopf stellt! ...
Genossen der 'Roten Westfalenwalze', blickt euch in der Geschichte der Arbeiterbewegung um! Bereits in den zwanziger Jahren unterstützte der Verräter Ulbricht die Brandler-Thalheimer-Bande, die im ZK der KPD dem Genossen Ernst Thälmann in den Rücken fiel und den Hamburger Aufstand verriet. Damals übte Ulbricht noch unerkannt eine scheinheilige Selbstkritik. Im Jahre 1935 war es vor allem der Verräter Ulbricht, der auf dem Brüsseler Parteitag der KPD dafür sorgte, dass sich die opportunistische Ansicht durchsetzte, dass in Deutschland der bewaffnete Kampf gegen den Hitlerfaschismus nicht aufgenommen werden konnte. Das war der offen propagierte Verzicht auf die Revolution. Im Jahre 1952 wies Ulbricht seine Marionette Reimann an, auf dem Parteitag der KPD dafür zu sorgen, dass der revolutionäre Programmpunkt: 'Sturz des Adenauer-Regimes' aus dem Programm der KPD gestrichen wurde. Dies war der entscheidende Anfang vom revisionistischen Ende der KPD …
Revolutionäre Genossen in der Gruppe Rote Fahne/Bochum, bedenkt, dass eure rechten Führer genau dieselbe Position wie der Verräter Reimann beziehen. ... Denkt aber vor allem auch darüber nach, warum die rechten Führer eures Zentralbüros vor einer Diskussion über die Spaltung der KPD/ML, die sie ja verbrochen haben, kneifen! Wahrscheinlich wisst ihr gar nicht alle, dass zu der von der 'Roten Westfalenwalze' vor zwei Wochen angekündigten Veranstaltung zum Lohndiktat zwar keine Kollegen von der Westfalenhütte anwesend waren (möglicherweise auf Grund einer Panne), dafür aber Vertreter des spalterischen Zentralbüros der KPD/ML. Als die rechten Spalter des Zentralbüros von der KPD/ML aufgefordert wurden, zu den tatsächlichen (neorevisionistischen) Hintergründen der Spaltung Stellung zu nehmen, gaben sie den Wink, die Veranstaltung für beendet zu erklären. Dies ist eine schwere Niederlage, denn die Spalter müssen die Wahrheit fürchten. Genossen und Kollegen, bedenkt auch, dass führende Mitglieder der Ortsgruppe Dortmund der Gruppe Rote Fahne/Bochum den korrekten und konsequenten Kampf der KPD/ML gegen den Arbeiterverräter und Klassenfeind Ulbricht als 'antikommunistisch' verleumden … Kollegen, stellt die Verteiler der Roten Westfalenwalze und der 'Roten Fahne' zur Rede! Verlangt von ihnen Rechenschaft zu diesen Fragen! Revolutionäre Genossen der Gruppe Rote Fahne/Bochum, verlasst die neorevisionistischen Spalter des Zentralbüros! Schließt euch der KPD/ML und ihren Organisationen an! Für die Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML!“ (121)
Neben vielen historischen Unkorrektheiten (etwa Ulbrichts Rolle auf der Brüsseler Parteikonferenz der KPD von 1935, Reimann-Ulbricht-Kontroverse um das Programm der KPD von 1952) fiel auf, dass das ZK mit reiner Demagogie versuchte, ihre Standpunkte abzuklären und für die „Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ zu werben. Der Vorwurf der „neorevisionistischen Spalter des Zentralbüros“ war an einen potentiellen politischen Einfluss bei Hoesch geknüpft, wie aus mehreren Formulierungen herauszulesen war. Die „Ulbrichtsche Brille“ wechselte im Verlaufe der Geschichte der KPD/ML mehrere Male den Besitzer. Allerdings konnte, mit oder ohne Brille, von beiden Seiten nie erklärt werden, weshalb die kapitalistischen Restaurationskräfte seit der Gründung der DDR von 1949 ständig die Oberhand hatten und warum der dortige dogmatische Marxismus sich aus seiner (Staats-)Gläubigkeit und einer stets latent vorhandenen ökonomischen Misswirtschaft speiste.
Natürlich waren die Edition der AGW von Walter Ulbricht, die (Neu-)Herausgabe seiner „Geschichte zur deutschen Arbeiterbewegung“ und „Zur Sozialistischen Entwicklung der Volkswirtschaft seit 1945“ ein gefundenes Fressen für das ZK. Auch die „Bolschewik“-Ausgabe mit dem zentralen Referat über die „antifaschistische-demokratische Revolution in der DDR“ enthüllte den „revisionistischen Kurs des Zentralbüros“. Diese konfliktreichen Auseinandersetzungen sollten sich auch auf dem außerordentlichen Parteitag widerspiegeln, wenn etwa an die Debatten über die Geschichte der KPD/ML gedacht wird.
„Rotfront“ war es auch, die mit einem Artikel über die „Ruhe an der Heimatfront“ dort weitermachte, wo sich das ZB profiliert hatte. Die Zeitung sah in ihrer Ausgabe Nr. 15 vom 4. Oktober den „westdeutschen Imperialismus bei seinem verschärften Konkurrenzkampf“ um die Vorherrschaft kämpfen. Gleichzeitig verbreitete sie die Mär, dass die „westdeutschen Imperialisten es verstanden haben, in ihrem Kampf gegen den bankrotten Dollar-Imperialismus eine Einheitsfront der EWG zustande zubringen“. Und: „Darum sicherte ihnen Otto Brenner seine volle Unterstützung zu. Darum wurde alles getan, um auf dem IGM-Tag Zustimmung für das Lohndiktat der SPD-Regierung zu bekommen. Darum die unverhüllten Drohungen gegen klassenbewusste Vertrauensleute und besonders gegen Kommunisten …“ (122)
Solche Blüten konnten sich nur im Nebel der Schattenspiele verbreiten, die verbissen zum Vortrag gebracht worden waren. Der Versuch der Umsetzung der „Zwei-Wege-Theorie“ in dieser Ausgabe zeigte, dass man selbst auf dem eigenen Felde ein Fremder war. Dennoch erschien es so, als ob viele der theoretischen „Errungenschaften“ des ZB überall als kopierenswert erschienen, wenn etwa an die Artikelserie des „KND“ zur „Metalltarifrunde“ gedacht wird. Parallel dazu fanden, nach dieser Ausgabe, auch wieder „Einheitsfrontgespräche“ beider KPD/ML-Gruppen zur MTR statt, wo, laut einer undatierten Ausgabe „RWW“, über „einige ernste Differenzen“ debattiert worden war. Die Gespräche sollten weitergeführt werden, um die „Zerrissenheit der revolutionären Arbeiterbewegung auch bei Hoesch zu überwinden“. (123)
Der angekündigte Rundbrief „Revolutionäres Bündnis“ des KSB/ML Dortmund erschien in seiner ersten Ausgabe Anfang Oktober 1971. Zur Herausgabe hieß es: „Das RB ist das Organ des Organisationskollektivs des KSB/ML. Es soll alle 14 Tage erscheinen und hat die Funktion einer Zeitung. Es soll die politische Linie der KPD/ML, die beiden Seiten des Bündnisses, auf der einen, den Kampf des Proletariats gegen den Imperialismus im allgemeinen und der nationalen Monopolbourgeoise im besonderen, auf der anderen den Kampf des KSB/ML unter Leitung der KPD/ML an der Hochschule, die richtige Theorie und Praxis auf beiden Seiten des Bündnisses klar darstellen …“
Auch als Organisationsform sollte ein „Revolutionäres Bündnis“ konstituiert werden. Aufgabe des 'Revolutionären Bündnis' sollte es sein, „den Spaltpilz im geschlossenen und einheitlichen Kampf zu vernichten und die Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML, der Roten Garde und dem KSB/ML (zu) erreichen. Das Revolutionäre Bündnis ist das Instrument der Partei zur Arbeit unter den Studenten. Mit dieser Kampf- und Kommunikationsform sind wir in der Lage, die Fortschrittlichen anzusprechen und das Revolutionäre Bündnis der fortschrittlichen Studenten mit der Arbeiterklasse konsequent in die Praxis umzusetzen“. (124)
Praktische Resultate gab es wohl nicht, denn eine zweite Ausgabe der Zeitung war wahrscheinlich nie erschienen. Auch wenn eine zweite Ausgabe erschienen sein sollte, so war es gerade der KSB/ML Dortmund, der den Kampf des „KSB/ML unter der Leitung der KPD/ML“ Lügen strafte. Denn die Noch-Untertanen gehörten alsbald zu den konsequenten Kritikern der (Massen-)Linie des ZK und sollten ihre hier gemachten Aussagen in gewisser Weise auch wieder rückgängig machen. Er stellte die „Kampf- und Kommunikationsform“, die mit im „Revolutionären Bündnis“ geschaffen werden sollte, auf den Kopf. Die eigentümliche Janusköpfigkeit des KSB/ML Dortmund ließ erahnen, dass der Durchhaltegedanke doch mehr überwog. Zugleich sollte er aber über den engen örtlichen Rahmen hinaus eines jener Ausstrahlungszentren bilden, die im Roten-Punkt Dortmund eine gewisse Bedeutung erlangten. (125)
Ein angedachtes „Revolutionäres Bündnis“ sollte es in der MTR 1971 nicht geben. Ob die Zeitung des KSB/ML überhaupt darauf insistierte, ist mir nicht bekannt. Die Zeitungen des ZB beschäftigten sich nicht damit. Stattdessen las man im „KND“ Nr. 77 vom 9. Oktober neben Erläuterungen der Zentrale zu „IGM-Bonzen und Kapitalisten - Einig gegen die Metaller“ die Erklärung des KJ-Inform, der Bundesleitung des KJVD der KPD/ML-ZB: „Gegen die Spalter der Kommunistischen Arbeiterbewegung - KPD führt Arbeiterjugend in die Irre.“
Jugend, Arbeiterklasse und MTR waren in diesem Artikel eine unverrückbare Einheit. Hier müssten sich alle Kräfte bündeln, um einer „einheitlichen Front von der Sozialdemokratie über die Revisionisten bis hin zu der Reaktion in der CDU/CSU“ die Stirn zu bieten. „Der Hauptstoß des Kampfes muss sich gegen die Sozialdemokratie richten. Der Kampf in der Metalltarifrunde sei in erster Linie ein politischer Kampf gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung und muss ohne und gegen die sozialdemokratischen Führer im Vertrauen auf die eigene Kraft geführt werden“, meinte der „KND“. Doch man müsse auch wachsam gegenüber den Spaltern der Arbeiterjugend sein: „Auf breiter Ebene sind inzwischen zahlreiche Zirkel und Gruppen dazu übergegangen, den Kampf der Arbeiterjugend in der Metalltarifrunde auf einen rein gewerkschaftlichen Kampf zu reduzieren, die Arbeiterjugend vom politischen Kampf gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung abzulenken und wirtschaftliche Forderungen wie z.B. die 500 DM Forderung (Zirkelblock, KPD/AO usw.) zu propagieren, die die Arbeiterjugend von ihrer Klasse trennen, die die Bemühungen der Sozialdemokratie aller Schattierungen stützen. Ein Beispiel hierfür liefert die KPD/AO. Inzwischen haben sie ihre Spaltertätigkeit auch unter der Arbeiterjugend im Ruhrgebiet ausgedehnt … Der Kampf in der MTR muss ein politischer Kampf gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung sein ... Um ihren ökonomischen Kampf gegen die Kapitalisten nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, führen sie einen Kampf gegen die IGM-Führer. Folgerichtig wendet sich die AO nicht an die gesamte Arbeiterjugend …
Die KPD/AO führt die Arbeiterjugend nicht gegen den Hauptfeind der ganzen Klasse, die Sozialdemokratie, sie will sie nicht in den politischen Kampf gegen das Lohndiktat der SPD-Regierung führen, sondern die Kämpfe auf die rein gewerkschaftliche Stufe zurückzerren, die sie längst zu verlassen beginnen, sie stellt wirtschaftliche Forderungen auf, die die Versuche der Sozialdemokratie, die Arbeiterjugend von ihrer Klasse zu trennen, unterstützt. Damit versinkt sie immer mehr in den Sumpf des Opportunismus und Revisionismus … Der KJVD dagegen zeigt der Arbeiterjugend beharrlich, dass die Arbeiterjugend zusammen mit der ganzen Klasse nur erfolgreich kämpfen kann, wenn sie mit den richtigen politischen Losungen kämpft und wirtschaftliche Forderungen stellt, die der Einheit dienen, dass dieser Kampf um die Einheit ein politischer Kampf gegen die Sozialdemokratie ist.“ (126)
Überblickt man die bisherigen Äußerungen zu „Lohndiktat“ und „politischen Losungen“, so fällt auf, dass es im eigentlichen Sinne überhaupt keine politischen Losungen gab. Denn der primäre Kampf gegen „das Lohndiktat der SPD-Regierung“, die in abgewandelten Formen immer wieder zur „Hauptlosung“ deklariert worden war, zerfiel bei näherer Betrachtung in den irreführenden Kurzschlussgedanken, mit ihr gesellschaftsverändernde Kräfte erreichen zu können. Sie sollte ja zur selbständigen Instanz mit erstaunlicher Zählebigkeit aufsteigen (daher „politische Losung“). Eine solche Losung sagte indessen gar nichts über Erfolg oder Misserfolg dieser hochfliegenden Pläne aus. Sie konnte auch nicht überprüft werden; denn wer sollte sich auch selbst in die Lage versetzen, die Grauzone, in der sie sich befand, mit Licht zu überfluten?
An ihr schieden sich die politischen Geister, was als besserwissende Mäkelei gelten kann. Der Vorwurf an die KPD zur MTR, sie sei in den „Sumpf des Opportunismus und Revisionismus“ geraten, war natürlich Interessenegoismus und von dem Postulat getragen, dass sie (die KPD) die „Arbeiterjugend nicht gegen den Hauptfeind der ganzen Klasse, die Sozialdemokratie“, führe. Das ZB bzw. der KJVD hatten die Exklusivrechte an der Linie zur Sozialdemokratie. Wer, wie hier die KPD, sie anzweifeln oder verfälschen sollte, der konnte sich einige Zeit später in diversen Organen der Zentrale wiederfinden und wurde mit den gängigen Parolen ideologisch „zertrümmert“.
Nun war der Oktober 1971 ein bedeutender Monat. Erstmals erschienen am 10. Oktober in der Nr. 6 von „Parteiaufbau“, dem innerorganisatorischen Organ des ZK, die „Vorbereitungsmaterialien zum 1. Außerordentlichen Parteitag der KPD/ML“ (ZK), der am 27. November beginnen sollte. (127) Flankierend erschien in der Nr. 11 des „Roten Morgen“ vom 11. Oktober der Artikel „Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz“, der eine weitreichende Bedeutung haben sollte. Der sog. „Kampf zweier Linien“ war nicht mehr aufzuhalten. Ob er bereits voll entbrannt war, dürfte eine andere Frage gewesen sein. Doch er stellte intellektuelle Geschwätzigkeit und einen minderwertigen Praxisanspruch des ZK gegenüber. Nach „Zehn Jahre KPD/ML - Eine bebilderte Selbstdarstellung“ führte die Schrift für den Oktober 1971 aus: „Auch im Roten Morgen spielte sich dieser Kampf (der „Kampf zweier Linien“, gegen das „Liquidatorentum“, d. Vf.) ab. Zeitweilig liegt die Mehrheit der Redaktion in den Händen der Liquidatoren. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Roten Morgen, das Zentralorgan der Partei, in ein Diskussionsorgan zur Führung des ‚Kampfes zweier Linien‘ zu verwandeln. Dazu heißt es im Roten Morgen 10/1971 unter der Überschrift ‚Der fehlende Kampf zweier Linien führt zur Stärkung des Rechtsopportunismus‘ … In einem ganzseitigen Aufruf ‚Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz‘ in der Oktober-Ausgabe des Roten Morgen antworten in einem vom Genossen Ernst Aust initiierten Artikel Hamburger Arbeiter auf den ‚Versuch unter dem Deckmantel des Kampfes zweier Linien die Partei zu zerstören …“ (128)
Ernst Aust schien seine Felle davonschwimmen zu sehen. Der initiierte Artikel las sich wie eine Vorlesungsnachschrift, der aber die geeignete Fachdisziplin fehlte. Er war durch und durch in der Dickhutschen Terminologie verfasst, wonach es gelten würde, die Kleinbürger dort zu schlagen, wo man sie antreffe. Das formulierte Ziel („Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz!“) ließ erkennen, dass die kleinen Dorfschulmeister im ZK sich nun zu akademischen Koryphäen gemausert hatten. Der lancierte Arbeiter-Artikel, der die Vorherrschaft der Intellektuellen als Fluch für die Partei bezeichnete, schilderte dramatisierend die Entwicklung der KPD/ML-ZK. Der Artikel las sich wie eine Generalabrechnung mit allen, die irgendwo das Agentenstadium durchlaufen hatten und nun dabei seien, aus der KPD/ML ein „bürgerliches Hauptquartier“ zu machen.
Der Artikel „Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz. Gegen den Versuch, unter dem Deckmantel des Kampfes zweier Linien innerhalb der Partei und des Kampfes gegen den Ökonomismus, die Partei zu zerstören!“ erklärte weiter: „Genossen, uns reicht 's. In den beiden letzten Ausgaben des ROTEN MORGEN mussten wir lesen, dass wir einer Partei angehören, die eine 'bürgerlich, reaktionäre' Linie verfolgt, deren Hauptquartier von 'objektiven Agenten der Bourgeoisie' erobert wurde, das man niederschlagen müsse, um einen neuen 'revolutionären Kern' in 'der Partei' zu 'bilden'. Einen Kern, der sich dann endlich im Kampf gegen den Faschismus mit den DKP-Revisionisten verbindet. Wir danken dem ROTEN MORGEN, dass er uns nach dem Prinzip 'Lasst hundert Blumen blühen' in so überaus plastischer Weise den Kampf zweier Linien in der Partei vor Augen führte, so dass es uns möglich ist, die übelriechenden Sumpfblüten der Reaktion von den Blumen des Sozialismus zu unterscheiden. Wir hätten allerdings gewünscht, dass die Redaktion des ROTEN MORGEN die Artikel unter der Spalte 'Kritik und Selbstkritik' und den namentlich … gekennzeichneten Artikel besser als nicht die Meinung der Redaktion gekennzeichnet hätte, um Verwirrung unter den Lesern zu vermeiden. Keineswegs aber vertreten wir die Meinung, dass solche Artikel nicht in den ROTEN MORGEN gehören, weil unsere Gegner sich vielleicht über unsere Streitigkeiten lustig machen und sie für Angriffe gegen uns ausnützen könnten ... Vor nichts haben die Führer dieser reformistischen, revisionistischen und neorevisionistischen Parteien und Gruppen mehr Angst, als sich offen und hart kritisieren zu lassen.
Dass solche Beiträge im ROTEN MORGEN erscheinen können, ist nicht ein Zeichen unserer Schwäche, sondern der ideologischen Stärke unserer Partei; Kritik und Selbstkritik sind ein festes Prinzip in unserer Partei. Das ändert jedoch nichts am Inhalt, an der Tendenz dieser Artikel: 'Das Hauptquartier bombardieren!' Haben wir das nicht schon einmal gehört? Damals als der objektive Agent V. M. im ZK und in Westberlin einen fraktionistischen Putschversuch unternahm. Später, als die Dickhut-Genger-Gruppe zur Spaltung der Partei schritt. Und kürzlich bei uns, als wir das Zimmer des Hamburger Fraktionisten W. L. betraten, dem es gelungen war, den KSB/ML gegen die Partei aufzubringen und der sich hinter dem Rücken der LL der er selbst angehörte, zu Vereinigungsgesprächen mit anderen Gruppen traf, und wir an der Wand den Spruch prangen sahen 'Das Hauptquartier bombardieren'.
Aus Erfahrung wird man klug. Das, was sich hier in den Artikeln des Landesverbandes Südwest abzeichnet, haben wir in den letzten drei Monaten in Hamburg durchexerziert. Es begann damit, dass eine knappe Handvoll intellektueller Genossen unserer Partei ursprünglich den Kampf zweier Linien in der Partei entdeckte. Von da ab sabotierten sie die praktische Arbeit des Landesverbandes. Wollten wir uns schulen oder praktische Aufgaben der Zellen in der politischen Arbeit besprechen, kreuzten sie mit Papieren auf, die unbedingt besprochen werden mussten ... Der Gipfel ihrer Erkenntnis war schließlich der, dass sie feststellten, die Arbeiterklasse könne kein Klassenbewusstsein entwickeln, nur sie, die Intellektuellen, seien dazu in der Lage. Die Arbeiter vertreten die bürgerliche Ideologie, während sie die proletarische vertreten. Was dann betreffs der Partei zur Folge haben müsste: Sie, die Intellektuellen, müssen in jedem Fall die Führung innehaben ...
Wir haben keine Lust, uns mit Dogmatikern herumzuschlagen, die lediglich einige Zitate von Lenin, Stalin und Mao Tsetung herbeten können, die nicht in der Lage sind, ihr jeweils angelesenes Buchwissen mit den heutigen Verhältnissen des Klassenkampfes in der Bundesrepublik nach der Methode der konkreten Analyse in Verbindung zu bringen ... Worin haben die Autoren der Kritik im Roten Morgen recht? 1. Dass es in der Partei praktisch seit dem massiven Erscheinen von Betriebszeitungen im LV Südwest und später auch nach Gründung des ZBGK einen Trend zum Ökonomismus gab, wovon auch der ROTE MORGEN beeinflusst wurde. Aber wohlgemerkt, einen Trend, eine Tendenz zum Ökonomismus. Es ist bösartig und unsolidarisch zu behaupten, es habe sich dabei um eine Linie von Konterrevolutionären gehandelt, die diese in die Partei getragen hätten, um sie in den Sumpf des Opportunismus zu führen ...
Warum kreuzt ihr erst heute mit eurem Artikel auf? Hat doch der ROTE MORGEN bereits vor Monaten in Erkenntnis vorhandener Abweichungen den Artikel 'Über die Verbindung von ökonomischem und politischem Kampf' gebracht, der von Radio Tirana in vollem Wortlaut gesendet wurde ... Sicher gibt es den Kampf zweier Linien in der Partei. Die kurze Geschichte unserer Partei zeigt eine Reihe von Beispielen dafür. Gibt es diesen Kampf nicht mehr, ist die Partei revisionistisch entartet. Und es ist notwendig, diesen Kampf gegen rechts- und 'links'opportunistische Auffassungen bewusst zu führen, darüber bestehen zwischen euch und uns grundsätzliche Unterschiede, die zu Antagonismus führen können, wenn ihr euch nicht korrigiert und rechtzeitig Selbstkritik übt. Wir sind der Meinung, dass man beim Kampf zweier Linien innerhalb der Partei die in ihrem Wesen nach unterschiedlichen Arten von Widersprüchen, die zwischen uns und dem Feind und die im Volk richtig unterscheiden und behandeln muss, damit die Partei auf der Grundlage der Prinzipien des Marxismus-Leninismus und der Maotsetungideen ihre Einheit verstärkt ...
Wir sind der Meinung, dass die Widersprüche innerhalb der Partei nach dem Prinzip 'Einheit-Kritik-Einheit' und der Richtlinie 'aus früheren Fehlern lernen, um künftige zu vermeiden' und 'die Krankheit bekämpfen, um den Patienten zu retten', zu lösen sind ... Und noch ein Punkt, in dem ihr recht habt: Dass der ideologische Kampf gegen Gruppen außerhalb der Partei, die sich marxistisch-leninistisch nennen, vernachlässigt wurde, dass die Gefahr - wie es sich in der Mai-Nummer des ROTEN MORGEN ausdrückte - zur prinzipienlosen Vereinigung bestand. Aber Genossen, habt ihr nicht auch den Fehler gemacht, den ihr bei uns anprangert? Was habt ihr in Südwest, wo sich das Zentrum des KAB befindet, dazu beigetragen? Die Westberliner Genossen haben einen Artikel gegen die KPD/AO für den ROTEN MORGEN geschrieben. Die Münchener Genossen haben in einer Broschüre die Roten Zellen und was da bei ihnen sonst noch existiert aufs Korn genommen. Wir haben eine umfangreiche Broschüre gegen das neorevisionistische SALZ ... herausgebracht. Ihr aber und ein anderer Landesverband auch habt durch Schweigen geglänzt ...
Worin liegen die Ursachen für die aufgetretenen Fehler in der Partei? ... Für uns aber liegen die Ursachen dieser Fehler klar auf der Hand. Sie liegen im Spontaneismus begründet ... Ihr sagt: Wir müssen einen neuen 'revolutionären Kern' schaffen. Wir sind der Meinung, dass es diesen revolutionären Kern in der Partei sehr wohl gibt. Ohne ihn hätten wir keine Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten und ohne ihn hätte der Kampf gegen die rechtsopportunistische Dickhut-Genger-Gruppe nicht geführt werden können, ohne ihn hätte es keine Plattform gegeben, in der die Aufgaben der Partei für die jetzige Phase im wesentlichen korrekt bestimmt waren. Spätesten nach der Plattform aber traten die Fehler auf. Sie wurden nicht zur Grundlage der Arbeit der gesamten Partei ... Inzwischen sind die Einsichten und die Möglichkeiten vorhanden, den entsprechenden Schritt zu tun. Nehmen wir ihn in Angriff. Sorgen wir jetzt dafür, dass für die Genossen, die mit zentralen Aufgaben betraut sind, die Bedingungen vorhanden sind, sie auch auszuführen. Stärken wir unseren revolutionären Kern durch korrekte Kritik und frisches Blut.“ (129)
Die allenthalben spürbare Organisationskrise betrauerte die verlorengegangene Einheit aller Genossen in der KPD/ML, die die inneren Konflikte als „Kampf zweier Linien“ deuteten und verurteilte die „Dogmatiker“. Die aufgestaute Aggression, die hier zum Ausbruch kam, legte die inneren Konflikte des ZK offen. Der Spannungsbogen, der sich kurze Zeit später entlud, ließ das Sendungsbewusstsein der KPD/ML-ZK auf einen Tiefpunkt zusteuern. Dem „neuen revolutionäre Kern“, der, so die Kritiker, jetzt geschaffen werden müsse, entgegneten die Verfasser des Artikels, die gleichzeitig die nicht näher bestimmten „Hamburger Fraktionisten“, einem Teil des LV Südwest und auch der ZBGK (Vorwurf „Ökonomismus“), dass es diesen „revolutionären Kern“ in Gestalt der KPD/ML schon geben würde und dass dieser sich im Kampf „gegen die Dickhut-Genger-Clique“ bereits herausgebildet habe.
Mit derartigen Vorstellungen verband sich eine Sakralisierung der eigentlichen Macht- und Legitimationsquelle der KPD/ML, die Gründung am 31. Dezember 1968/1. Januar 1969. Damit verband sich immer wieder der Anspruch, souveräner Teil der Arbeiterklasse zu sein. Der leidenschaftliche Appell des Artikels nährte sich aus der verklärten Vergangenheit und dem Mythos, die „Dickhut-Genger-Clique“ vernichtend geschlagen zu haben. Die ausgeschmückte Zukunft, der Weg des ZK also, der mit der Aufnahme von „frischem Blut“ wieder zur aufzurichtenden Größe werden sollte, ließ dann doch eher an einen Auserwähltheitsglauben denken.
Es war nicht unerheblich, dass zum gleichen Zeitpunkt in der Nr. 11 des „Roten Morgen“ der Artikel: „Erklärung des ZK der KPD/ML: Den Roten Morgen von Opportunisten reinhalten!“ erschienen war. Hieß es darin doch: „Der Artikel 'Antifaschistischer Kampf um Parteiaufbau' im ROTEN MORGEN Nr. 9/1971 verstößt in mehreren Punkten gegen Prinzipien des Marxismus-Leninismus. Am schwerwiegendsten sind die Folgerungen des Artikels in der Frage von taktischen Bündnissen mit der DKP. Hier liegt die schwerste rechtsopportunistische Abweichung gegenüber dem modernen Revisionismus im ROTEN MORGEN seit Erscheinen vor. Der Artikel muss deshalb (obwohl er durch namentliche Zeichnung indirekt als Diskussionsbeitrag eines Genossen gekennzeichnet wurde) entschieden zurückgewiesen werden. Die Ursache für die rechtsopportunistischen Folgerungen des Artikels bilden von Anfang an eine idealistische und subjektivistische Einschätzung der Klassenkräfte.
Aus der Feststellung Mao Tsetung 'Die Haupttendenz in der heutigen Welt ist Revolution', die sich auf das gesamte imperialistische Weltsystem bezieht, wird mechanisch abgeleitet, dass dem Imperialismus auch in Teilen der Welt keine vorübergehenden taktischen Siege mehr gelingen können. Daraus wird weiter gefolgert, dass es dem westdeutschen Imperialismus in Zukunft nicht mehr gelingen kann, die faschistische Diktatur zu errichten ... Diese Einschätzung bedeutet eine leichtfertige Unterschätzung des Gegners, die sowohl zu 'links'- als auch zu rechtsopportunistischen Konsequenzen führen kann. Weiter zeigt sich das idealistische Herangehen des Autors in einer mechanistischen, automatischen Verbindung vom Faschismus mit der proletarischen Revolution ... Zusammen mit der falschen Auslegung von 'Haupttendenz Revolution' ergibt sich daraus ein einziges, im voraus klares Schema der Revolution in Westdeutschland: die Bourgeoisie faschisiert ihren Staat, das Proletariat verschärft den antifaschistischen Kampf in dem Augenblick, in dem die Bourgeoisie versucht, den Faschismus zu errichten, findet die proletarische Revolution siegreich statt ... So einfach geht das.
Das Schema klärt die Genossen nicht im Geringsten darüber auf, dass die Revolution äußerst schwierig ist, dass sie im Zickzack verläuft und durchaus andere Wege gehen kann ... Eine weitere klassenanalytische Einschätzung findet sich bei der Beurteilung von NPD und 'Aktion Widerstand'. Der Autor übernimmt ohne Untersuchung die Einschätzung der DKP, dass die NPD usw. Hauptstütze der Faschisierung wäre. Das ist völlig falsch ... Entgegen dem Artikel muss festgestellt werden, dass CDU und SPD die hauptsächlichen politischen Träger der Faschisierung sind und auch in der nächsten Zeit bleiben werden ... Die subjektivistische Analyse führt bei der Anwendung auf die Frage des Bündnisses mit der DKP zu den schwersten rechtsopportunistischen Fehlern im ROTEN MORGEN seit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1967 ...
Schließlich und endlich: Die vorgeschlagene Taktik zeugt von einem unbegreiflichen Misstrauen in die Massen und besonders die fortschrittlichen Arbeiter. Offenbar meint der Autor, dass sie unsere antirevisionistische Propaganda 'nicht verstehen' werden. Er meint also, dass wir keine überzeugenden Argumente gegen den Sozialfaschismus besitzen. Und auf dieser Basis möchte er sie gewinnen. Wen anders als Opportunisten wird er aber auf diese Weise gewinnen? Also: … möchte die Partei dadurch stärken, dass er sie an den modernen Revisionismus und sogar indirekt an die SPD kettet, und dass er 'Gruppen' gewinnt, auf der Basis des Verzichts auf antirevisionistische Argumente! Jedes weitere Wort erübrigt sich: Der Artikel hat der Partei, auch als Diskussionsbeitrag und als 'Kritik' gekennzeichnet, sehr geschadet. Es war ein Fehler, ihn überhaupt zu veröffentlichen.“ (130)
Die Antwort des ZK auf den Artikel, der einem einzigen Genossen zugeschrieben wurde, war zunächst ein Produkt der politischen Phantasie. Es war kein Zufall, dass er mit dem Artikel „Schluss mit dem intellektuellem Geschwätz“ korrespondierte. Man fand hier beide Elemente wieder, die in dem geborstenen Gehäuse KPD/ML immer wieder mit Vorliebe genannt wurden, den „Rechts- und Linksopportunismus“. Das ZK bediente sich gerne dieser historischen Mythen, weil dadurch der Rückgriff auf die angeblich gemeinsam durchlebte Geschichte am Besten erhalten werden konnte. Der eigentliche Affront des ZK machte mobil gegen ein angedachtes Bündnis mit der DKP. In der maoistischen Bewegung galt das als zutiefst verwerflich, was vor allem die KPD/ML-ZB erfahren musste. In der Welt der Traditionalismen, der Symbole und der hehren Werte hatte sie nun mal keinen Platz, wie etwa auch der Trotzkismus, mit dem sich allerdings die KPD/ML Jahre später (als KPD, nachdem sich die ehemalige KPD(AO) aufgelöst hatte und deren Namen frei geworden war) vereinigen sollte. (131)
Die Vorstellung der besonderen historischen Mission der KPD/ML setzte sich in der Ausgabe Nr. 11 des „Roten Morgen“ unvermindert fort. Der emphatische Ruf nach der Einheit in der KPD/ML und der Kampf gegen die „neorevisionistische Linie“ des Zentralbüros könnten als kosmopolitische Vision des ZK bezeichnet werden, das hier in seiner typischen Mischung aus Wortklauberei, Emotionen und Phantasie eine Melange aus zähem Gebräu und rhetorischer Verbannung erzeugte.
Der Artikel „Rote Fahne Bochum - Oder der revisionistische Wurm“ meinte: „Wenn man sich heute mit Sympathisanten und Mitgliedern der Gruppe 'Rote Fahne' Bochum unterhält und sie fragt, wieso es denn zwei KPD/ML's gäbe, was der Unterschied zwischen ihrer Gruppe und der KPD/ML, deren Zentralorgan der 'Rote Morgen' ist, sei, erhält man ungefähr die Antwort: Ach die, das sind die Ezristen, die schwarze Linie, das sind die, die sich ins stille Kämmerlein zurückziehen und Theorie machen wollen. Und die Genossen des Zentralbüros verkünden stolz: Damals, 1968, als wir die Partei gründeten ... Dabei war keiner von ihnen dabei. Nun gut, werden sie sagen, darauf kommt es auch gar nicht an. Hauptsache, wir haben die richtige Linie. Sicherlich haben sie eine Linie, nur ob es die richtige ist? Wie es jedoch zur Abspaltung ihrer Gruppe von der KPD/ML kam, das versuchen sie ihren Mitgliedern zu verschweigen. Wie alle Spalter versuchen sie die Notwendigkeit der Spaltung ideologisch zu begründen. Heute, nach anderthalb Jahren liest sich das so:
Die Auseinandersetzung entzündete sich an folgenden vier Fragen:
Das liest sich gut, nur stimmt es nicht. Zum Beispiel Punkt 2. Niemand in unserer Partei ist der Meinung, dass die Intellektuellen den Sozialismus in die Arbeiterklasse tragen, sondern das tut die Partei. Sie mussten schon einen Satz in der Januar-Ausgabe 1971 des ROTEN MORGEN sinnentstellend verdrehen, um zu diesem Unsinn zu kommen. Genauso ist es mit der Behauptung, wir seien der Meinung, die Jugendorganisation der Partei, die ROTE GARDE, müsse am 'Gängelband' geführt werden. Wir sind doch keine Kinder-Bewahranstalt. Sie sollen uns nachweisen, wo solch ein Schwachsinn steht. Zu Punkt 4 können sie unsere Antwort in dem Artikel 'Kampf zweier Linien in der Gewerkschaftsfrage' nachlesen. Die Frage bleibt, ob solche fiktiven, erfundenen Gründe Anlass genug waren, eine Spaltung herbeizuführen, statt - wie wir damals vorschlugen - sie auszudiskutieren. Sie sollen doch ehrlich sein. Sie wollten die Spaltung ... Doch zuerst einmal zu den Gründen, die wirklich zur Spaltung führten und die heute die Gruppe 'Rote Fahne' ihren Mitgliedern zu verschweigen sucht. Es handelt sich dabei um tatsächlich grundlegende Fragen. So stellten sie beispielsweise die These auf, dass die Partei von 'unten nach oben' aufzubauen sei. Sie lehnten es ab, bei der Entwicklung der Partei verschiedene Phasen zu unterscheiden. Sie warfen dem ROTEN MORGEN Trotzkismus vor, weil er meinte: Das Proletariat muss die anderen Klassen und Schichten führen, d.h. die anderen Klassen und Schichten müssen sich ihm unterordnen. Sie propagieren die Entfaltung einer 'massiven Praxis' und behaupteten, immer und unter allen Umständen sei im Widerspruch zwischen Theorie und Praxis die Praxis die Hauptseite und unterstellten, wer der Meinung ist, dass die Theorie die hauptsächliche Seite zwischen Theorie und Praxis sein könnte, wolle 'die Praxis liquidieren'. Nun ist das Theorie-Praxis-Verhältnis für die jungen marxistisch-leninistischen Parteien allerdings eine wichtige Frage, an die man nicht leichtfertig herangehen kann. Was an 'Theorie', was an konkreter Analyse seitens der modernen Revisionisten vorliegt, ist nicht brauchbar ... Darin scheint die die Gruppe Rote Fahne allerdings anderer Meinung zu sein.“
In Anlehnung an Mao Tsetung und seine Schrift 'Über den Widerspruch', in der er ein Primat der Theorie favorisiert, wenn „noch kein politischer Kurs, keine Methode, kein Plan, keine Richtlinie vorhanden ist“, folgerte die KPD/ML-ZK: „Diese Gedanken Mao Tsetungs wurden von der Gruppe Rote Fahne Bochum bzw. ihrem Jugendverband, dem KJVD in 'schöpferischer Weise weiterentwickelt' ... Bei ihnen werden die Bedingungen, unter denen die Theorie Hauptseite werden könnte, folgendermaßen bestimmt (Bolschewik Nr.1, mit dem sie die Spaltung ideologisch rechtfertigen wollten):
1. ... die andere Seite des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis (die Praxis) muss zunächst entfaltet werden, damit die Theorie zur hauptsächlichen Seite wird ...
2. Die Theorie wird erst dann zur hauptsächlichen Seite des Widerspruchs, wenn die Fragen, die aus der Praxis gestellt werden, derart überhand nehmen, dass eine weitere Arbeit unmöglich wird ...
3. Wenn z.B. sich im Ruhrgebiet eine neue Partei gründen würde, und ihre Agitation und Propaganda würde sich derart entfalten, dass der Bestand unserer Gruppe nicht mehr gesichert wäre, da die Mitglieder der anderen Partei unseren Mitgliedern ideologisch überlegen wären, dann würde die Theorie zur hauptsächlichen Seite des Widerspruchs zwischen Theorie und Praxis werden, denn eine weitere Ausdehnung der Praxis ist nur dann möglich, wenn die ideologische Auseinandersetzung mit dieser Partei intensiv geführt wird …
Niemals und zu keinem Zeitpunkt hat die Partei behauptet, dass man die Praxis liquidieren, sich ins stille Kämmerlein zurückziehen und die Theorie ausarbeiten solle. Wenn es solche Erscheinungen des Liquidatorentums gab - und es gab sie - wurden sie entschieden bekämpft. Eine proletarische Partei greift vom Tag ihrer Gründung an, und zwar in der ersten Phase ihres Aufbaus vorrangig propagandistisch in die Massenkämpfe des Proletariats ein, mit dem Ziel: Die Vorhut des Proletariats für den Kommunismus zu gewinnen, was nach Stalin heißt: Kader bilden, eine Kommunistische Partei schaffen, Programm und Grundlagen der Taktik ausarbeiten. Und natürlich können die Klassenanalyse, das Programm, eine richtige politische Linie nur in enger Verbindung mit der Praxis des Klassenkampfes der breiten Massen ausgearbeitet, entwickelt, überprüft werden. Was nicht heißt, dass die im Aufbau befindliche Partei die Klassenkämpfe schon führen muss ... Das alles wurde von der Gruppe Rote Fahne nicht beachtet. Wild stürzte sie sich in das, was sie Praxis nannte und war bass erstaunt, dass die Arbeiter ihren ständigen Aufrufen zum Streik nicht folgten.
Allmählich kamen sie dahinter, dass in dieser Praxis der Wurm stecken musste. Stillschweigend korrigierte man einige Positionen, die man zuvor noch als Grund für die Spaltung ausgegeben hatte ... Erklärtes Ziel der Gruppe 'Rote Fahne' ist, unsere Partei zu zersetzen und zu zerschlagen, was eindeutig in der Broschüre 'Zwei Wege in den Sumpf des Opportunismus' zum Ausdruck kommt. Wobei sie sich nicht scheuen, Namen von Genossen unserer Partei dem Klassengegner preiszugeben. In dieser Broschüre ..., die sich mit dem zur Diskussion gestellten Artikel 'Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus 'beschäftigt, wird der Versuch der Spaltung unserer Partei unternommen ... Wir wissen selbst, dass der 'Zwei-Wege-Artikel' Fehler enthält (idealistisches Herangehen, missverständliche, teils falsche Formulierungen). Aber das ist nicht das Wesen der Sache. Das Wesen der Sache ist, dass hier das erste Mal von westdeutschen Marxisten-Leninisten der Versuch gemacht wurde, auf der Grundlage einer breit entfalteten Diskussion zu einer korrekten Einschätzung der Entwicklungstendenzen des westdeutschen Imperialismus zu kommen. Wohl nicht umsonst hat ihn die Partei der Arbeit Albaniens in ihrem theoretischen Organ 'Pruga e Partise' 5/71 bis auf den Schlussteil 'Unsere Taktik' nachgedruckt.
Die Diskussion um den 'Zwei-Wege-Artikel' ist in der Partei noch nicht abgeschlossen. Sie wird, weitergeführt, sicher zu brauchbaren Ergebnissen führen. Ein Fehler war es, dass dieser Artikel, bevor er ausdiskutiert war, schon in einigen Veröffentlichungen der Partei als Linie seinen Ausdruck fand. Nachdem die Gruppe 'Rote Fahne' Bochum mit der Methode 'sich wild in die Praxis stürzen' Schiffbruch erlitten hatte, stürzte sie sich genauso 'wild in die Theorie' oder besser, in das, was sie darunter verstehen. Das, was die Gruppe 'Rote Fahne' unter Theorie versteht, ist nicht die konkrete Analyse einer konkreten Situation, sondern das unkritische Abschreiben der 'Theorie' der modernen Revisionisten. Dabei hat sie einen neuen, den 6. Klassiker des Marxismus-Leninismus entdeckt: Walter Ulbricht. Kein 'Bolschewik', keine Broschüre, in der nicht zigmal dieser Renegat, dieser Verräter der deutschen Arbeiterklasse zitiert wird. Damit hatte schon W. D. in seinem 'Revolutionären Weg' Nr. 2 begonnen. Warum haben sie ihn jetzt ausgeschlossen, wenn sie jetzt bereit sind, seine neorevisionistischen Theorien zu übernehmen? ...
In diesem Licht muss man auch die Herausgabe von Schriften Ulbrichts durch die Gruppe 'Rote Fahne' Bochum sehen, die einzig und allein den Zweck verfolgt, den revisionistischen Plunder in die Arbeiterbewegung zu tragen ... Anstatt die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung kritisch vom marxistisch-leninistischen Standpunkt aus zu untersuchen, schreiben sie aus den Lehrbüchern der Revisionisten ab. Das führt dazu, dass sie zum Beispiel die korrekte These von der Notwendigkeit des Sturzes des Adenauer-Regimes im 'Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands' der KPD von 1952 als linkssektiererisch bezeichnen. Der logische Schluss: Die Partei des Proletariats darf nicht mehr den revolutionären Sturz der herrschenden Klasse propagieren, da das die Massen noch nicht verstehen können. Fürwahr, ihr Weg in den Sumpf des Revisionismus ist offensichtlich ...
Hier wird offensichtlich, was sich auch in ihrer praktischen Arbeit, in ihren ständigen Bündnisangeboten an die DKP-Führung ausdrückt ... Wie offensichtlich ihre Rolle als Handlanger der modernen Revisionisten zur Spaltung der marxistisch-leninistischen Partei und Bewegung bereits ist, beweist ihr 13.-August-Artikel in Nr.17 der 'Roten Fahne'. Dieser Artikel könnte wortwörtlich aus dem 'Neuen Deutschland', dem Zentralorgan der SED, abgeschrieben sein. In diesem Artikel wird die 'Mauer' durch Berlin zum antifaschistischen Schutzwall empor gejubelt. Jeder marxistisch-leninistische Arbeiter in der DDR würde ihnen diesen Artikel um die Ohren schlagen, weil er besser als die Epigonen der Ulbricht-Clique weiß, warum die Mauer entstand. Sie entstand durch eben diese Politik der Ulbricht-Regierung, die, anstatt den Klassenkampf in der DDR fortzusetzen, sich der ökonomistischen Linie des materiellen Anreizes der Sowjetrevisionisten anpasste, die, statt die ideologische Revolutionierung voranzutreiben und die Diktatur des Proletariats zu festigen, es zuließ, dass eine neue Bourgeoisie aus Partei- und Staatsfunktionären, Managern und Technokraten entstand ...
Alle Mitglieder der Gruppe 'Rote Fahne' Bochum und des KJVD sollten umgehend den Kampf gegen diese neorevisionistische Linie aufnehmen und die organisatorischen Konsequenzen ziehen, sonst werden sie unweigerlich im Sumpf des Revisionismus landen.“ (132)
Unumstößlich stand für das ZK fest, dass die Mitglieder des ZB nun den „Kampf gegen diese neorevisionistische Linie“ aufnehmen müssten und dass es an der „Zeit sei, nun organisatorischen Konsequenzen zu ziehen“. Andernfalls würde man „unweigerlich im Sumpf des Revisionismus landen“. Diese Quintessenz verdeckte nicht die Vermessenheit der Sprache des ZK; denn der „Revisionistische Wurm“-Artikel mit dem Konterfei von Ulbricht, der aus dem Kopf der „Roten Fahne“ des ZB hervor lugte, war so angelegt, dass er sich alle Hintertüren offenhielt. Weder die Spaltungsfrage, die Gewerkschaftsfrage, die „Zwei-Wege-Theorie“, die Klassenanalyse noch etwa Fragen zur Geschichte der DDR und der Entwicklung der dortigen Arbeiterbewegung seit der Gründung kamen tatsächlich auf den Prüfstand.
Der Vorwurf des „Neorevisionismus“ war in sich auch gar nicht tragbar, da eine Darstellung bzw. Analyse des Revisionismus plus seiner Charakteristika in der KPD/ML überhaupt fehlte. Das Instrument zur Lösung aller Fragen war das des alten Ruhms, der Spiegel der Vorzeit, in dem das ZK sein zweites Ich schlummern sah. Er spiegelte alles wider: neben Absichtserklärungen vor allem auch die verzerrte Geschichte der Gruppe. Dass der „RW 2“ (133) nun auf einmal mit dem Anfang einer revisionistischen Entwicklung gleichgesetzt wurde, wo Dickhut doch von Ernst Aust persönlich dazu aufgefordert worden war, sich mit diesen Theoriefragen in der bekannten Form des Organs auseinanderzusetzen, und der „RW“ zu dieser Zeit in der KPD/ML (jedenfalls sind mir keine anderen Kritiken bekannt) als unumstritten galt, musste hier wie ein Hohn wirken. Ernst Austs Passion war: Jede Gedankenführung für sich in Anspruch zu nehmen, die seinem politischen Zweck entsprach. Man kann spätestens an dieser Stelle nicht mehr davon ausgehen, dass er im Steinbruch der Vergangenheit nach ganzen Felsen suchte.
Das ZB antwortete in der „Roten Fahne“ Nr. 21 vom 25. Oktober auf diesen Artikel des „Roten Morgen“: „Haltlose Angriffe auf die KPD/ML oder politischer Kampf? Zu einem Artikel im 'Roten Morgen' Nr. 11.“. Es schrieb: „Die Nummer 11/71 des 'Roten Morgen' (Zentralorgan der Gruppe 'Roter Morgen', die seit der Spaltung der Partei unter dem Namen KPD/ML weiterbesteht) unternimmt zum ersten Mal den Versuch, eine zusammenfassende Antwort auf den Kampf der Partei gegen die falschen Ansichten des 'Roten Morgen' zu geben. Dieser Versuch kann als gründlich misslungen gelten. So schreiben sie: 'Das, was die Gruppe 'Rote Fahne' unter Theorie versteht, ist ... das unkritische Abschreiben der 'Theorie' der modernen Revisionisten. Dabei hat sie einen neuen, den sechsten Klassiker des Marxismus-Leninismus entdeckt: Walter Ulbricht. Kein 'Bolschewik' (Theoretisches Organ der KPD/ML), keine Broschüre, in der nicht zig mal dieser Renegat, dieser Verräter der deutschen Arbeiterklasse, zitiert wird'.
Diese Behauptungen sind einfach lächerlich. Sie können nur von jemandem erhoben werden, der die Politik unserer Partei nicht kennt oder sie ganz bewusst in ein falsches Licht stellen will. Wer will den Beweis antreten, die Theorie der KPD/ML, so wie sie im Bolschewik niedergelegt ist, sei bei den Revisionisten vom Schlage der DKP, der SED oder der KPdSU-Führung abgeschrieben? Die KPD/ML vertritt in der Theorie und in der Politik den Standpunkt der Arbeiterklasse. Und der Gruppe 'Roter Morgen' ist es bisher nicht ein einziges Mal gelungen, uns einen falschen Standpunkt nachzuweisen. Wer nur behauptet, und seine Behauptungen nicht beweist, macht sich selbst unglaubwürdig. Der 'Rote Morgen' glaubt, einen 'revisionistischen Wurm' in der Theorie der KPD/ML gefunden zu haben, weil wir Sätze von Ulbricht zitieren, als er noch Kommunist war und für die richtige Politik der Arbeiterklasse eintrat. In der schweren Zeit nach 1933, als die Hitlerfaschisten den Führer der deutschen Arbeiterklasse, Genossen Ernst Thälmann, einkerkerten, gehörte Walter Ulbricht neben Wilhelm Pieck zu den unbestrittenen Führern der KPD.
Wer die Politik Ulbrichts und Piecks in dieser Zeit als revisionistisch beschimpft, der begibt sich auf den Pfad des Antikommunismus und zieht die revolutionäre Tradition der KPD in den Schmutz. Als 1946 die SED aus dem Zusammenschluss von KPD und SPD hervorgegangen war, führten Ulbricht und Pieck die SED und die DDR auf dem richtigen Weg für die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands und für den Aufbau des Sozialismus. Ulbricht verfolgte die richtige Stalinsche Politik und verteidigte die sozialistischen Errungenschaften der DDR gegen die kriegslüsterne Politik der USA und der Adenauer-Regierung. Wer diese Politik der SED und der DDR unter Führung Ulbrichts als falsch und als Verrat an der Arbeiterklasse verleumdet, der redet den Gegnern und Verfälschern des Kommunismus das Wort. Er befindet sich im Gegensatz zur internationalen kommunistischen Bewegung, die die Politik der SED und der DDR vorbehaltlos unterstützte. Der 20. Parteitag der KPdSU bedeutete einen Wendepunkt in der Geschichte des Kommunismus, als der rechte Abweichler Chruschtschow und seine Anhänger die richtige Politik Stalins verdammten. Indem die Revisionisten vom Schlage Chruschtschows die Politik Stalins brandmarkten, die die Politik des Sieges des Sozialismus und der Zerschlagung Hitlerdeutschlands war, verurteilten sie den Kommunismus.
Ulbricht stellte sich damals bedingungslos auf die Seite Chruschtschows. Um sich das Wohlwollen und die politische und militärische Rückendeckung durch die Moskauer Führer zu erkaufen, verriet er den Kommunismus, die deutsche Arbeiterklasse und das ganze deutsche Volk. Seit dem 20. Parteitag der KPdSU entartete die Politik der SED ebenso wie die Politik der Mehrzahl der osteuropäischen Kommunistischen und Arbeiterparteien unter dem Befehlsstab Moskaus zu einer revisionistischen, bürgerlichen Politik. Eine neue Klasse bürgerlicher Emporkömmlinge, die sich der Partei und des Staates der Arbeiterklasse bedienten, verwandelte die DDR in eine kapitalistische Republik, die die SED und Ulbricht einschlugen, weil sie sich in das Schlepptau der Sowjetrevisionisten begaben, anstatt am Marxismus-Leninismus festzuhalten und auf die Kraft des deutschen Volkes zu vertrauen ...
Die KPD/ML hat sich nie auf den Revisionisten Ulbricht berufen und sie hat auch nicht vor, es zu tun. Sie beruft sich auf Ulbricht, als er noch Kommunist war. Sie beruft sich auf Ulbricht als einen Führer der KPD und der SED, solange diese Parteien den richtigen Kurs verfolgten ... Was nun die eigenen Theorien des 'Roten Morgen' angeht, so sind die 'Zwei Wege des westdeutschen Imperialismus' noch einmal öffentlich bestätigt worden: 'Wir wissen selbst, dass der 'Zwei Wege-Artikel' Fehler enthält ... Aber das ist nicht das Wesen der Sache. Das Wesen der Sache ist, dass hier das erste Mal von westdeutschen Marxisten-Leninisten der Versuch gemacht wurde, auf der Grundlage einer breit entfalteten Diskussion zu einer korrekten Einschätzung der Entwicklungstendenzen des westdeutschen Imperialismus zu kommen ...
Die Zwei-Wege-Theorie besagt: Es gibt zwei verschiedene Teile des Monopolbürgertums, sowohl in der Wirtschaft, als auch in der Politik. Die eine Abteilung der Monopolherren ist für den Zusammenschluss Westeuropas unter westdeutscher Vorherrschaft und für eine Politik gegen die Großmächte USA und Sowjetunion. Ihre Partei ist vor allem die CDU ... Die andere Abteilung des Monopolbürgertums ist für die Unterwerfung Westdeutschlands unter die beiden Großmächte. Ihre Partei ist vor allem die SPD. In diesem Sinne erkennt die 'neue Ostpolitik' der SPD-Regierung angeblich die Grenzen in Europa an (Warschauer und Moskauer Vertrag) und strebt vor allem die Anerkennung der DDR an.
Die KPD/ML hat diese abwegigen Behauptungen scharf in der Schrift 'Zwei Wege in den Sumpf des Opportunismus' (im September 1971, d. Vf.) zurückgewiesen. Diese Theorie ist grundsätzlich falsch und man kann auf einer solch falschen Grundlage unter keinen Umständen zu richtigen Ergebnissen und zu einer richtigen politischen Linie kommen ... Der 'Rote Morgen' ist mit seinen zwei Wegen selbst auf eine Bahn geraten, die ihn sehr nahe an das theoretische Rüstzeug der sowjetischen und der DKP-Revisionisten heranführt. Wenn der 'Rote Morgen' eine wirkliche ernsthafte Auseinandersetzung scheut, dann soll er auch nicht versuchen, uns mit vollkommen unbegründeten 'Beweisen' 'revisionistische Würmer' zu unterstellen. Vor allem aber soll er endgültig die 'Zwei Wege' zum übrigen Gerümpel falscher und opportunistischer Theorien werfen.“ (134)
Die Kontroverse um die Politik Ulbrichts nebst „sozialistischer Errungenschaften“ des „Arbeiter- und Bauernstaates blieb als Erzfeinddebatte haften. Für beide KPD/ML-Gruppen galt der Revisionismus, neben der Sozialdemokratie, als Ursprung alles Bösen. Selbst der Faschismus gebar sich in gewisser Weise aus diesen Trägern und deren eingeteufelten politischen Verworrenheiten, wobei besonders perfide war, dass er (der Revisionismus) im Gegensatz zur KPD/ML auf eine gewisse Volkstümlichkeit setzte, die ihr abhanden gekommen war. Das ZB machte es sich relativ einfach: Indem es auf die geschichtliche Entwicklung der einstigen SBZ setzte und Stalin mit ins Boot holte, gelang es ihm, seinen politischen Katechismus voll auszuspielen.
Beide Artikel, der des „Roten Morgen und der der „Roten Fahne“, stellten die Richtigkeit ihrer Programmatik in den Vordergrund, ihr politisches Programm, welches einen anspruchsvollen Gedankenaustausch nicht zuließ. Emotionen und Geschichtsklitterungen waren vorherrschend. Die überholte Vergangenheit fesselte indes immer noch und besaß Kraft genug, auf derselben Linie zu anderen Standpunkten zu gelangen. So machte für beide Gruppen der „Geist des Bösen“ (der Revisionismus, d. Vf.) aus der Revolution ein gefräßiges Ungeheuer. Zwischen diesen beiden Polen der schrankenlosen Bewunderung und des grenzenlosen Hasses schwebten beide Gruppen. Neben dem steilen Aufstieg Ulbrichts (ZB) stand sein Untergang von Anfang an (ZK). Dennoch blieb vorher und nachher eigentlich alles ungeklärt, was von Belang gewesen war.
Je länger die Tarifrunde 1971 dauerte, umso deutlicher wurde auch, dass die politische Mythenbildung mehr und mehr eine wichtige Rolle spielen sollte. Die „Rote Fahne“ Nr. 20 des ZB, die am 11. Oktober mit dem Leitartikel „Gewerkschaftstag: IGM-Führer auf dem Weg zur Staatsgewerkschaft. IGM-Führer stimmen für Schillers Konzertierte Aktion“ erschien, meinte: „Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall wurde klar, dass die Führer der IGM die wichtigsten Stützen der Großmachtpolitik der SPD-Regierung sind und bereit sind, ihren Beitrag zu dieser Politik zu leisten. So riefen sie nach einer Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche, um im gleichen Atemzug ein Verbot der marxistisch-leninistischen Organisationen zu verlangen. So riefen sie nach 'permanenten Reformen', zeigten gleichzeitig aber Verständnis dafür, dass diese Reformen nur dazu dienen, die Polizei, den Bundesgrenzschutz und die Armee zur besseren Unterdrückung der Arbeiterklasse zu 'reformieren'. Der ganze Gewerkschaftstag diente der Ausrichtung der IGM-Funktionäre auf die Unterstützung der arbeiterfeindlichen Politik der SPD-Regierung. Die IGM-Führer zeigten sich in den wichtigsten Fragen nicht nur als wertvolle Handlanger der SPD-Regierung, sondern auch als Vorreiter der imperialistischen und reaktionären Pläne der westdeutschen Großkapitalisten.
Schiller hatte in einer Grußadresse an die IGM-Führer aufgefordert 'solidarisch mit der SPD-Regierung zusammenzuarbeiten', um die gegenwärtige Krise des kapitalistischen Währungssystems dazu auszunutzen, die westdeutschen Imperialisten zur führenden Macht auf diesem Gebiet zu machen. Brenner übertraf die Wünsche Schillers und betonte, dass die IGM die wirtschaftliche und politische Einigung Europas wolle ... In Wahrheit ist die Beherrschung der EWG und des aggressiven NATO-Bündnisses nicht die Grundlage für den Frieden in der Welt, sondern die Grundlage für den Krieg gegen die DDR. Dass die IGM-Führer diese Tatsache kennen, zeigt sich an der bedingungslosen Unterstützung der 'Neuen Ostpolitik'.
Auf dem 10. Gewerkschaftstag der IGM verkündete Brenner nicht nur, dass Berlin schon immer zu Westdeutschland gehört habe, sondern forderte auch, die DDR in den Herrschaftsbereich des westdeutschen Imperialismus einzuverleiben ... Brenner begnügte sich auf dem Gewerkschaftstag nicht damit, diese Kriegspläne der SPD-Regierung zu verteidigen. Er stimmte auch den Drohungen zu, die der zweite Vorsitzende der IGM, Loderer, gegen die DDR aussprach: 'Wir fordern die DDR auf, sich nicht zum internationalen Störenfried der allseitig gewünschten Entspannung zu entwickeln'. Das heißt doch nichts anderes, als der DDR zu drohen, falls sie nicht freiwillig ihre Rechte aufgibt, wie es in Berlin geschehen ist, militärischen Druck auszuüben ... Von besonderer Wichtigkeit ist aber, dass die IGM-Führer sich zum Vorkämpfer der reaktionären Entwicklung im Inneren Westdeutschlands dadurch gemacht haben, dass sie die Verfolgung und Unterdrückung der kommunistischen Bewegung fordern ... In der Entschließung 14 des IGM-Vorstandes werden das Verbot und die polizeiliche Verfolgung der Kommunisten gefordert ... Die Arbeiterklasse muss das erkennen und den Kampf gegen den Imperialismus aufnehmen. Sie muss die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer und vor allem die SPD-Führer beiseiteschieben, um für eine bessere Zukunft, ohne Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung, zu kämpfen.“ (135)
Auch hier erwies sich die verzerrte Wahrnehmung und Darstellung der Realität einflussreicher als der Charakter der Wirklichkeit selbst. Der „Krieg gegen die DDR“, der vorbereitet werden würde, kann neben der Sozialdemokratielinie als zweiter Tempelbau des ZB betrachtet werden. Daher hing die neue Gesetzgebung der sozialliberalen Koalition engstens mit ihm zusammen, wie auch der projektierte Kapitalvorstoß nach Osten. Doch damit befand sich das ZB in einer aussichtslosen Position. Zusammen mit der nachzuholenden Revolution im Westen Deutschlands wurde die antifaschistisch-demokratische Revolution im östlichen Teil zu einer zukunftsweisenden Legitimationsgrundlage für die allgemeinere Revolution (in beiden Teilen Deutschlands) überhaupt. Das Spannungsfeld DDR („Bonn treibt zum Krieg“) zog sich durch unendliche Theorien (inklusive der Übernahme der preußischen Hegemonialpolitik), doch waren sie letztlich nichts anderes als das Werk hochmütiger (Welt-)Pläne und ausgedachter Projekte.
Bis hierher konnte der Eindruck gewonnen werden, dass die Unkenntnisse über politische Zusammenhänge nur einer intellektuellen Unruhe geschuldet waren. Doch dem scharfsinnigen Beobachter fällt auf, dass sie Tradition hatten. Die Unkenntnisse waren fundamentaler Natur. Dem ZB gelang es trotz dieser Tatsache immer wieder, durch seine verzweigte Propaganda den Eindruck zu erwecken, das große Thema „Krieg“ stehe doch wohl unmittelbar auf der Tagesordnung. Indessen bildete die MTR die komplexere Problematik. Der kommende Abschluss in den verschiedenen Tarifgebieten sollte noch einmal Energien frei setzen. Für den 13. Oktober 1971 waren in NRW Tarifverhandlungen für die metallverarbeitende Industrie angesetzt. Eine Extraausgabe der „Zündkerze“ der RBG der KPD/ML-ZK für Opel Bochum, die am 11. Oktober erschien, sollte die 15%-Forderung verteidigen und den bekannten Forderungskatalog (136) noch einmal untermauern. (137) Ähnlich argumentierte die „Rotfront - Die KPD/ML informiert die Kollegen der Dortmunder Metallbetriebe“ vom 11. Oktober mit der Stoßrichtung: „Unser Kampf gilt nach wie vor dem Lohndiktat der Brandtregierung. Unsere Forderung lautet nach wie vor: 15% = 1 DM.“ (138)
Aufgrund der bisherigen Auseinandersetzungen um die „neorevisionistische Linie“ der KPD/ML-ZB waren die Einheitsfrontgespräche zur MTR zwischen den Betriebsgruppen des ZB und des ZK bei Hoesch in Dortmund ins Stocken geraten. Das ZK der KPD/ML entfachte in der „Rotfront“ vom 11. Oktober die Debatte erneut. Im Artikel „Die rechten Führer isolieren. Stellungnahme zum Kommentar der Roten Westfalenwalze zu unserer gemeinsamen Erklärung“ meinte die BG: „In den Gesprächen zwischen Rot Front und Rote Westfalenwalze kamen wir immer wieder an Punkte, wo die Genossen der Roten Westfalenwalze Ansichten vorbrachten, die denen der SED, nachdem sie den Marxismus-Leninismus 'revidiert', d. h. über Bord geworfen hatte, ähnelten. So wussten sie eindeutig, dass die Hauptstoßrichtung des westdeutschen Imperialismus ein 'Ritt nach Osten' sei, so war für sie die Berliner Mauer nicht etwa eine Bankrotterklärung der Ulbricht-Clique, sondern ein 'antifaschistischer Schutzwall'. Das sind Standpunkte, die wir unmöglich hinnehmen können. Sie entsprechen der SED-Propaganda der 60er Jahre, die die Tatsachen auf den Kopf stellt. Über die Rolle der SPD als derzeitigem politischem Hauptfeind der Arbeiterbewegung und als derzeitige soziale Hauptstütze der Kapitalistenklasse in der Arbeiterklasse waren wir uns sehr bald einig, wenngleich die Genossen der Roten Westfalenwalze sich schwer damit tun, einzusehen, dass die SPD von ihrem Wesen her nichts anderes als die CDU ist, nämlich eine durch und durch bürgerliche Partei. Sie ernannten die SPD zur Paktiererpartei, und dass heißt doch wohl: Arbeiterpartei, die mit den Kapitalisten paktiert. Das ist jedoch nach unserer Ansicht heute die DKP. Die DKP ist daher auch der ideologische Hauptfeind der Arbeiterbewegung, ihm muss daher auch in ideologischer Hinsicht unser Hauptaugenmerk gelten. Dazu jedoch finden sich die Genossen der Roten Westfalenwalze noch nicht bereit. Dann nämlich müsste ihre Konsequenz die sein, genau zu untersuchen, wer im Zentralbüro ihnen die Ulbrichtsche Made in den Speck setzte und warum. Sie kämen damit den tatsächlichen Ursachen der Spaltung durch das Zentralbüro auf die Spur.“ (139)
Neben den vielen existierenden Hauptfeinden der KPD/ML-Gruppen kam hier eigentlich ein neuer hinzu: Der „ideologische Hauptfeind der Arbeiterbewegung“ in Gestalt der DKP. Die Abgrenzung von ihr, folgt man der Rangordnung der Hauptfeinde (140), sollte zu einer trügerischen Modeerscheinung werden. Alles war irgendwie simplifizierend angelegt und die Agitation gegen sie irreführend und schulmeisterlich. Doch war das doch die entscheidende Abgrenzung zwischen den Maoisten und der Orthodoxie überhaupt. Dass das ZB als „neorevisionistischer“ Klüngel, nachdem es die Literatur eines Ulbricht, Grotewohl, Norden, aber auch die Parteitagsprotokolle der SED wieder entdeckt hatte, prinzipiell in Frage gestellt und letztlich als DKP-Verschnitt bezeichnet worden war, sollte nicht verwundern. Obwohl das ZK sich sehr schwer damit hat, eine alternative „Ulbrichtsche Brille“ zu entwerfen, beharrte es auf seinem pointierten Urteil. Für das ZK sollte sich sogar die „Stellung zum Revisionismus“ als ein historischer Wendepunkt in der Geschichte dieser Gruppe darstellen. Wie man hier an „Rotfront“ sieht, war die „Ulbrichtsche Made“ das Drehbuch für die Zukunft. Spätestens mit der Auflösung des Zentralbüros war aus dem vertrauten Klagelied und der offenen politischen Konflikte das Einheitslied der Solidarität geworden.
Unmittelbar nach einem Gespräch der GTK mit den Arbeitgebern in Süddeutschland am 17. Oktober erklärten die zuständigen Gremien der IG Metall das „Scheitern der Verhandlungen“. Damit begann für diesen Tarifbezirk die Schlichtung. Über das Scheitern der Verhandlungen berichteten die RKJ der GIM, die RWW und die „Zündkerze“ der KPD/ML-ZK bei Opel Bochum am 18. Oktober. (141)
Um das bereits konstatierte Urteil der KPD/ML-Gruppen noch einmal zu wiederholen: Die MTR 1971 war ein Politikum, das in der „Ruhe an der Heimatfront“ das hervorstechende Phänomen sah. „Der Hammer“, die Betriebszeitung der Roten DEMAG Betriebsgruppe der KPD/ML-ZK in Duisburg, Nr. 6 vom 18. Oktober titelte einen ihrer Artikel dementsprechend mit: „Ruhe an der Heimatfront“. Danach wollten „das Kapital, ihre SPD-Regierung und IGM-Bonzen das Lohndiktat von 6-7% durchsetzen. Der erste Schritt zur Durchsetzung des Lohndiktats waren die unverschämt niedrigen Forderungen der IGM-Führung“. Jetzt gelte es, mit der KPD/ML den „Kampf gegen das Lohndiktat des Kapitals zu führen, seiner SPD-Regierung und den DGB-Bonzen“. (142)
Auch für NRW erklärte die GTK die Verhandlungen nach einem Angebot von 4,5% für gescheitert. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich scheinbar auch die DKP die fossile Formulierung vom „Lohndiktat“ zu Eigen gemacht hatte. Zur Forderung der Arbeitgeber, die zwischen 9 und 11% lag, meinte sie in den „DKP-Informationen“ vom 19. Oktober, dass in dieser Tarifrunde „die Unternehmer ein Lohndiktat erzwingen wollen“. (143) Die SPD würde nun die Schlichtung in der Tarifrunde übernehmen, titelte die „Rote Fahne“ des ZB, Nr. 21 vom 25. Oktober, und leitete damit gleichzeitig über zur These von der politischen Reaktion, die die SPD verkörpern würde. Der Artikel „Sozialdemokratische Großmachtpolitik“, der an den Reisen von Scheel (nach New York) und Schiller (nach Washington) anknüpfte, meinte, dass das „die entscheidenden Stationen der neuen Großmachtpolitik der westdeutschen Imperialisten“ seien. Das „Auftreten der beiden SPD-Minister machte deutlich, welche Ziele die westdeutschen Imperialisten verfolgen: Einkreisung und völlige Isolierung der DDR im Zusammenspiel mit den heutigen Führern der Sowjetunion, Ausbau der westdeutschen Vormachtstellung in Europa, Ausnutzung der Schwäche der amerikanischen Konkurrenten …
Dieses Ziel ist eine ungeheuerliche Anmaßung. Die DDR soll zu einem Staat herabgewürdigt werden, der allein von der Gnade Bonns abhängig ist. Sogar die Mitglieder der Vereinten Nationen sollen nach der Pfeife Bonns tanzen ... Scheels Auftritt in der UNO zeigt, dass die SPD-Regierung das gleiche Ziel wie die CDU-Regierung anstrebt - nur mit anderen Mitteln. Sie sagt, wir wollen die DDR anerkennen, aber nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Das heißt schlicht und einfach: Die DDR soll durch das geschickte Taktieren der SPD-Regierung unter den Willen der westdeutschen Imperialisten gezwungen und abhängig gemacht werden. Erst dann will Bonn die DDR 'anerkennen'. Dann bedeutet 'Anerkennung' nicht mehr Verzicht, sondern Bestätigung der Pläne zur Eroberung der DDR. Scheel gelang es, diese Politik in New York in der UNO durchzusetzen ... Zuerst muss die DDR unter das Diktat Bonns, dann Anerkennung. Deshalb war Scheels erster Gesprächspartner in New York Sowjetaußenminister Gromyko, der die Bedingungen Bonns annahm.“ (144)
Die gewinnhungrige SPD, die jetzt die „Einkreisung und völlige Isolierung der DDR“ betreiben würde, setze auch in der MTR auf diesen harten Kurs. Nach dem „KND“ Nr. 80 vom 20. Oktober bedeutete das Scheitern der Verhandlungen, dass das „Lohndiktat offen und hart in den zentralen Verhandlungen durchgesetzt werden soll“. (145) Der „Rote Morgen“ Nr. 12 vom 25. Oktober sprach in diesem Zusammenhang vom „Maulkorb für Metaller“. (146)
Die am 25. Oktober erschienene „RWW“ für die Westfalenhütte (Hoesch-Dortmund) führte aus: „SPD-REGIERUNG UND IGM-BONZEN FÜR HARTE DURCHSETZUNG DES LOHNDIKTATS … Das heißt, auch die Werbetrommel rühren für das Lohndiktat, denn ihre Eroberungspläne im Dienste des Finanzkapitals kann die SPD-Regierung nur durchführen, wenn sie immer kampfstärker auftretende Arbeiterklasse knebelt und ausplündert …
KAMPF DEM LOHNDIKTAT DER SPD-REGIERUNG! GEGEN DIE VERRÄTEREIEN DER SPD-REGIERUNG DIE GESCHLOSSENE FRONT DER ARBEITERKLASSE!
Kollegen, besonders im Stahlbereich wird das Lohndiktat ganz hart und offen durchgesetzt. Denn hier gibt es keinen Spielraum für große Betrügereien. Hier können die Gewerkschaftsführer nicht wie im Metallbereich mit dem Gerede um ein 13. Monatsgehalt von der 15%-Forderung ablenken. Außerdem ist die Krise schon besonders weit fortgeschritten und eine immer breitere Kampffront der Kollegen stellt sich gegen die Krisenangriffe: Jetzt müssen alle erkennen, dass es die SPD-Regierung ist, die hinter dem Lohndiktat steht und es gegen die Arbeiterklasse durchpeitschen will. Jetzt ist es notwendig, dass sich alle Kollegen den Parolen der KPD/ML anschließen:
KAMPF DEM LOHNDIKTAT DER SPD-REGIERUNG! VERTRAUEN AUF DIE EIGENE KRAFT!
STÄRKT DIE KPD/ML! 15% LOHNERHÖHUNG AUF DEN ECKLOHN FÜR ALLE!“ (147)
Angesichts der kommenden Tarifvereinbarung in der MTR kann dieser Artikel als das letzte große Aufbäumen bezeichnet werden. Überzeugende Argumente für die 15% konnte indes die „RWW“ nicht mehr benennen. Sie pochte auf die Initialzündung Arbeiterklasse gegen SPD-Regierung. Eine „immer breitere Kampffront der Kollegen stellt sich gegen die Krisenangriffe …“, meinte sie, wobei man nie sicher sein konnte, was die „RWW“ unter „Krisenangriffen“ verstand. Überblickt man noch einmal die gesamte Argumentation der KPD/ML-Gruppen in der MTR, dann darf nicht unerwähnt bleiben, dass die düsteren Prognosen und die pessimistischen Diagnosen überwiegten. Es bildete sich die immer schärfer werdende Polemik gegen die SPD heraus, die dem Niedergang und einem fatalen Dilemma entgegen strebte. Ihre Zurückdrängung wurde angestrebt, möglicherweise sogar ihre Vernichtung durch eine Revolution.
Die in der Zwischenzeit herangereifte Polemik gegen das ZK (das nun wohl die „Zwei-Wege-Theorie“ insgesamt zu verantworten hatte), die in NRW u. a. neben der KSB/ML-Leitung Dortmund auch von der OG Gruppenleitung der KPD/ML-ZK getragen wurde, setzte sich am 19. Oktober in dem Papier „KPD/ML-ZK-OGL Dortmund: Kritik der OGL Dortmund an der 'Theorie' von den Zwei-Wegen des westdeutschen Imperialismus und ihrer Auswirkungen auf die Praxis der Partei“ fort. Wenn auch die Offensive der Kritik hier eher verhalten war, so war sie dennoch merklich zugespitzt: „Diese Kritik kommt sehr spät. Sie ist ein Ergebnis der Untersuchung der Praxis im LV NRW - die Widersprüche zwischen LS (Landessekretariat, d. Vf.) und OGL sind eben Widersprüche, die auf gegensätzlichen Einschätzungen der Sozialdemokratie, der SPD speziell, beruhen auf der Einschätzung dessen, was 'soziale Hauptstütze der Bourgeoisie im Proletariat' heißt. Dabei wird jene Linie, die wir rechtsopportunistisch nennen, vom Genossen X vertreten, und es ist im LV NRW seitens der LS bereits begonnen worden, die sie in die Tat umsetzt. Der Rechtsopportunismus zeichnet sich gerade dadurch aus, die Propagierung der Partei zu bremsen und seine Verbindung zur Theorie des Reformismus herzustellen, in der SPD das 'kleinere Übel' zu sehen, dass man dem Strauß-Faschismus vorziehen muss u. ä. Beide Dinge sind im LV NRW (LS und Gen. X) festzustellen, so im Kampf gegen unseren sog. 'Linksradikalismus', im Verzicht auf die Propagierung der Partei in der Zündkerze, im Voluntarismus ohne ersichtliche politische Perspektive zur Metalltarifrunde, in der Ableitung politischer Reife aus dem SPD-Wahlsieg in Bremen kurz: in der Verteidigung und den Versuchen zur Durchsetzung der Zwei-Wege bzw. Zwei-Taktiken-Theorie …
Genossen, warum ist unsere Kritik an der Zwei-Wege-Theorie so scharf, obwohl doch in letzter Zeit im Zentralorgan und auch anhand von Kommissionspapieren festzustellen ist, dass die Diskussion der Theorie die Breite der Partei erfasst hat und dass Hinweise dafür da sind, dass die Theorie zur Zeit zurückgenommen wird …
Wir sind davon überzeugt, dass der Genosse, der sie entworfen hat, einen wichtigen Beitrag für die Programmatik, für die Strategie und Taktik unserer Partei, d.h. für den Parteiaufbau selbst leisten wollte. Wir sind indessen der Meinung, dass dieser Beitrag zu widersprüchlich, zu missverständlich und fehlerhaft ist, als dass er nicht im Zentralorgan, in dem er erschienen ist, nach letzter Kritik und Selbstkritik in der Partei offen und voll liquidiert werden muss. Besonders gefährlich erscheinen uns die Methode des schematischen Spekulierens, die rechtsopportunistische Tendenz 'SPD-günstiger', die in der Partei und im Proletariat schwere Verwirrung anrichten kann, weil sie dazu verführen kann, in eine Abwartehaltung gegenüber dem westdeutschen Imperialismus zu geraten, statt die Verankerung der Partei in den proletarischen Massen unter Entlarvung des gesamten imperialistischen Systems beschleunigt voranzutreiben. Die Position des Kaninchens gegenüber der Schlange ist in der Partei deswegen noch nicht zum Durchbruch gelangt, weil diese Theorie zu wenig der Praxis der Partei entsprach, als dass sie hätte schon voll zum Tragen kommen können.
Wir sind der Meinung, dass sich die untersuchten Gegenstände, an die sich der Autor der Zwei-Wege-Theorie herangemacht hat, von außerordentlicher Bedeutung für die Entwicklung des revolutionären Kampfes sind. Wir meinen, dass unter Bezug auf den gegenwärtigen Stand der Klassenkämpfe z.B. die Frage der Verstaatlichung des Gewerkschaftsapparates und hierbei auftretender ökonomischer und politischer Interessenwidersprüche zu Teilen der westdeutschen Bourgeoisie von äußerster Wichtigkeit sind. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung des Sozialfaschismus, der Charakter des modernen Revisionismus u. a. zu nennen. Die Praxis der KPD/ML muss dahin entwickelt werden, programmatische Tätigkeiten immer mehr nach den Notwendigkeiten des Parteiaufbaus und des Kampfes um die Verankerung in den Massen usw. auszurichten, unter korrekter Verbindung von Theorie und Praxis, d.h. dass die Theorie eine Richtschnur für die Praxis ist und aus dieser sich schöpft.“ (148)
In dieser Grundlinie des vagen „Rechtsopportunismus“ mit linker Etikettierung stellte sich alsbald heraus, dass die „wahren“ Marxisten-Leninisten in ihrem Kampf gegen alle Abweichler, Unterstützung von der PdAA über „Radio Tirana“ erhielten, jedenfalls berichtete das die spätere Bolschewistischen Linie (BL) der ehemaligen KPD/ML RM (KPD/ML-ZK) aus Dortmund am 22. Oktober. (149) Möglicherweise griff auch die Rote Garde Kiel/ML in diese Debatte ein; denn im Oktober ließ sie verlauten: „Die Rote Garde Kiel/ML betrachtet es als ihre vorrangige Aufgabe, durch die ideologische Auseinandersetzung mit den anderen ML-Zirkeln hier am Ort und in der BRD im Kampf gegen den modernen Revisionismus und alle anderen Sorten von kleinbürgerlicher Ideologie in den Reihen der Arbeiterklasse zum Zusammenschluss aller wahren Marxisten-Leninisten in der nationalen KP beizutragen …“ (150)
Anfang November 1971 tagte eine „Zentrale Arbeiterkonferenz der KPD/ML-ZK“. Vom Landesverband (LV) Süd-West der KPD/ML hieß es dazu: „Dort triumphierten die Ökonomisten mit Hilfe der Versöhnler über die Genossen, die versuchten die proletarische Linie zu verteidigen, die aber aufgrund eigener 'linker' Fehler sowie theoretischer Schwächen nicht hinreichend fähig waren ... Im Roten Morgen hatte sich eine bürgerliche Linie mit dem Verzicht auf einen aktiven ideologischen Kampf und des Ökonomismus (und) Tradeunionismus durchgesetzt.“ (151)
Fraglos kam hier jetzt alles zusammen, was die Häufung von Anwürfen betraf und was die Spannungen anheizte. Dabei stand der „Rote Morgen“ mit seiner „bürgerlichen Linie“ im Zentrum der Kritik. Der innerinterne Streit, der von anhaltendem Misstrauen gegenüber einzelnen Landesverbänden getragen war, stellte sich vermutlich auch gegen Tendenzen, autonome Gruppen zuzulassen. Der Machtegoismus des ZK sollte dies aber nicht verhindern können. Die Oberaufsicht führte vermutlich, wie schon bei vielen anderen Auseinandersetzungen, die sog. „proletarische Linie“. Insgesamt blieb ungeklärt, was sie in der KPD/ML-ZK zum Ausdruck bringen wollte. Man könnte vermuten, dass die Tendenzen, entgegen einer „Massenlinie“ zu arbeiten, eine „bürgerliche Linie“ förderte, die zudem noch gegen die Interessen der Arbeiter gerichtet war. Die „proletarische Linie“ sollte sie (die „Massenlinie“) wieder in den Vordergrund bringen. Doch dieser abgenudelte Begriff hatte in der KPD/ML seit Dickhuts Zeiten schon längst an Schlagkraft verloren und dümpelte nur noch so vor sich hin. Hier sollte sich auch der TKB/ML einklinken, der die Brennpunkte in der Schrift „Die brennendsten Fragen unserer Bewegung“ zusammenfasste und keinen Zweifel daran ließ, dass er das ZK im Wesentlichen im Kampf gegen alle „opportunistischen Schattierungen“ unterstützen werde. (152)
Als „opportunistische Schattierung“ wäre auch die „Theorie des KSB/ML als Studentenpartei“ zu bezeichnen. Anfang November verfasste der KSB/ML Dortmund das Papier „Aus Fehlern lernen!“. Ausgeführt wurde darin u. a. „Diese Theorie hatte ihren Nährboden darin, dass viele KSB/ML-Gruppen versuchten, die Aufgaben der Partei noch einmal selbst zu lösen. Sie lag begründet in einem falschen Verständnis zur Partei. Die Genossen begriffen nicht, dass die Partei unser ideologisches, theoretisches und organisatorisches Zentrum ist. Sie machte den Versuch, den KSB/ML aus ihrer eigenen Analyse des Imperialismus seit 1945 in der Einschätzung der Studentenbewegung abzuleiten.
Diese Theorie lief darauf hinaus, die Existenz des KSB/ML vom Kampf der Studenten gegen die Bourgeoisie herzuleiten, d.h., diese Theorie versucht, die 2. Juni-Bewegung fortzusetzen. Ein weiterer Ausdruck dieser Theorie war das Konzept einer zweiten MO (Massenorganisation, d. Vf.) um den KSB/ML herum. Der KSB/ML sollte konspirativ in dieser zweiten MO arbeiten. Ein weiterer Ausdruck dieser Theorie war eine schematische Übertragung von den Prinzipien des Aufbaus der Partei auf den Aufbau des KSB/ML. Am ausgeprägtesten trat das bei der sogenannten Bolschewisierung zutage. Die Theorie des KSB/ML als Studentenpartei muss in ihrer Erscheinungsform aufgedeckt und völlig ausgemerzt werden. Das Ziel der Ausrichtung auf die Partei muss es sein, allen Genossen ideologisch und politisch klarzumachen, was es heißt, unter dem DZ (demokratischen Zentralismus, d. Vf.) der Partei zu arbeiten.“ (153)
Der KSB/ML, der insgesamt als Studentengruppe wenig an Perspektive zu bieten hatte und der seit seiner Umbenennung mit dem Makel, Anhängsel des ZK zu sein, umzugehen hatte, stand vor seinem Aus. Erkennbar war das an dem Spiegelbild der Unbeweglichkeit und des achselzuckenden Abwartens. Die später aufgestellten Behauptung, dass der KSB/ML zwangsläufig für die Krise des ZK verantwortlich war, war in sich absurd. Andererseits trugen gerade Leitungen des KSB/ML (wie die der OG Dortmund) mit dazu bei, mit scharfer Zunge das ZK zu kritisieren.
Schneller als erwartet, ging ein anderer Teil des ZK in Dortmund dazu über, sinngemäß bereits Konsequenzen zu ziehen. Anfang November erschien dort die „Stellungnahme der Ortsgruppenleitung Dortmund zur Stellungnahme des Landessekretariats NRW zur Landesleiterkonferenz.“ Darin hieß es: „Die OGL vertritt die Auffassung, dass der Antrag des Landessekretariat ebenfalls spalterisch ist (es geht hier darum, einen Genossen aus der Organisation auszuschließen, d. Vf.). Die Gen. vom LS haben ihre subjektive Empörung über die Vorwürfe des Genossen X über eine sachliche Betrachtung der Sache gestellt. Das kommt darin zum Ausdruck, dass sie dem Genossen X bewusst spalterische Umtriebe unterstellen. In der Konsequenz läuft das darauf hinaus, den Genossen X aus der Partei zu säubern. Der Antrag des LS hält die subjektive Seite des Gen. X nicht auseinander von der objektiven Seite seines Produkts und kommt deswegen zu dieser spekulativen Annahme. Wenn man so handelt und urteilt, fördert man nicht die Einheit und Geschlossenheit der Partei. Trotz seiner besonders schwerwiegenden Fehler ist der Gen. X kein Parteifeind. Ein bewusster Spalter (wie GG und WD) ist aber kein Parteifeind! In diesem Zusammenhang muss auch der Vorwurf des LSL, der Gen. Z verhalte sich gegenüber der Behandlung des Falles X wie im Falle WD versöhnlerisch, entschieden zurückgewiesen werden. Abgesehen davon, dass dieser Vorwurf schlicht erfunden ist, muss die Tendenz, den Gen. X mit WD auf eine Stufe zu stellen, scharf bekämpft werden, zumal das sicherlich aufrichtige subjektive Motiv des Gen. Im Gegensatz zu WD darin bestand, den Revisionismus zu bekämpfen! Von diesem Standpunkt aus kommt das LS zum Schluss seines Antrags zu der Konsequenz: Ausschlaggebend für seine Parteimitgliedschaft ist eine ernsthafte Selbstkritik in der OG …
Das läuft auf eine Demütigung des Gen. X vor dem Gen. Y hinaus. Der Gen. Y ist nicht die Partei. Zudem gehen die internen Beratungen sehr wohl vor, denn dieser Fall ist vor allen Dingen eine Sache des ZK, da der DZ verletzt worden ist. Genossen vom LS, überlegt Euch Eure Haltung und korrigiert sie! Wegen der objektiv spalterischen Tendenz Eures Antrages haben ihn die beiden LL-Mitglieder der OGL Dortmund abgelehnt ... Unsere Bedenken zur Zwei-Wege-Theorie haben wir bereits früher dargestellt. Unserer Auffassung nach sind sie ebenfalls nicht vom Tisch, wenn sich der Gen. X dazu hinreißen lässt, eine verdrehte Kritik anzufertigen. Mit der Ablehnung seines objektiv spalterischen und unsolidarischen Antrags aber sind seine Bedenken nicht aus der Welt geschafft. Genossen vom LS, bedenkt, dass mit dem Hinweis auf schwere Fehler und ideologische Schwächen berechtigte Kritiken nicht weggewischt werden können! Auch wir mussten erleben, dass sich der Gen. Y manchmal in der OG Bochum lästiger Kritiken mit dem Hinweis zu entziehen sucht: 'Jetzt müssen wir erst die ideologische Schwäche des Genossen untersuchen.'
Die OGL Dortmund vertritt die Auffassung, dass die zwischen dem LS und ihr bestehenden Widersprüche in dieser Frage in solidarischer Kritik und Selbstkritik und in der Praxis gelöst werden können. Sie widerspricht damit der Auffassung des LSL, dass aus diesen Widersprüchen 'hier und jetzt' die Konsequenz eines unmittelbaren Antrags auf Abwahl des LS folgen müsse. Der organisatorische Kampf ist dem ideologischen und politischen auf jeden Fall untergeordnet. Die Lösung der Widersprüche zwischen dem LS und der OG Dortmund muss ebenso in Angriff genommen werden wie die Lösung der Widersprüche in der OG Dortmund. Dabei werden wir nicht länger dulden, dass in opportunistischer Weise an den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten vorbeigeredet wird, eine Tendenz, die der LSL (Landessekretariatsleiter, d. Vf.) erst wieder bei seinem jüngsten Besuch an den Tag legte, als er in Gegenwart des gesamten übrigen LS sowie der OG Dortmund erklärte, wenn die Widersprüche im Detail auf den Tisch gelegt würden, würde er abreisen … Das ist insofern von Bedeutung, als Äußerungen wie 'Mit dem SW das ist eine Scheiße! Die haben so viele Delegierte auf dem Parteitag. Und die schießen auf unseren X!' dazu geeignet sind, als karrieristisch verstanden zu werden. Eine Stellungnahme des LSL dazu steht noch aus, obwohl er von uns schon des Öfteren darauf hingewiesen wurde.“ (154)
Die internen Papiere hatten immer eine wichtige Aufgabe: Sie schilderten die Organisationsverhältnisse, blieben nicht bei einer Kritik stehen, sondern forderten von den Zentralen politische Veränderungen, u. U. sogar „Erziehungsmaßnahmen“ (über eine Kontrollkommission) einzuleiten. Insofern könnte man sie sogar als „Wasserträger“ des ZK bezeichnen, denn die Leitungen auf Betriebs-, Landes- und Ortsebene waren dem ZK, laut DZ, schriftlich verpflichtet. Die OG Dortmund schien sich, wie aus den vorliegenden Materialien zu schließen ist, besonders mit Kritiken hervorzutun, die alle mehr oder weniger eine nicht zu unterschätzende Rolle beim außerordentlichen Parteitag spielen sollten Die Fehde, um die es hier ging, schaukelte sich wieder einmal an der „Zwei-Wege-Theorie“ hoch, deren Behandlung durch die LSL und den scheinbar aufbrechenden Widersprüchen hierüber zwischen der OGL Dortmund und der zentralen LSL. Auch an der Delegiertenfrage zum Parteitag schienen sich hier die Geister zu scheiden. War sie doch auch immer zeittypisch. Gerade das sog. Mitspracherecht bezüglich der Wahlen der zentralen Leitung war nie uninteressant. Meistens waren sie durch windige Manöver im Vorfeld bereits entschieden worden. Das Wahlvolk hatte sie ergo am Wahltag nur noch per Akklamation (!) zu bestätigen.
„Gegen Lohndiktat und Lohnraub - Für 15%“ lautete ein Flugblatt der Roten Garde Dortmund im November. Das Flugblatt wandte sich „Gegen das Lohndiktat des Kapitals, seiner SPD-Regierung und DGB-Bonzen“ und setzte dagegen „die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse“. Vor allem das von Schiller (SPD) „im Auftrag der Kapitalisten verhängte Lohndiktat soll nun von der IGM durchgesetzt werden. Was in diesem Jahr schon im Bergbau- und Chemiebereich gelang, soll auch in der Metallindustrie erreicht werden: striktes Einhalten des Lohndiktats und somit Sicherung der Riesenprofite der Kapitalisten. Und das bei ständig steigenden Preisen. Das bedeutet nicht nur Lohnstopp, sondern Lohnraub.“ (155) Hier schloss sich die Nr. 18 der „Rotfront - KPD/ML informiert“ (Anfang November) an und meinte, dass „die Durchsetzung eines kommenden Lohndiktats“ verhindert werden müsse. Aufgefordert wurde auch dazu: „Schließen wir uns zusammen gegen das Lohndiktat und die Aufrüstungspolitik! Kampf den Vorbereitern des Faschismus.“ (156)
Die bunte Melange aus den unübersehbaren alten Argumenten drapierte sich mit einem verwirrenden Pluralismus. In einem Atemzug wurde das „Lohndiktat“ mit der „Aufrüstungspolitik“ und „den Vorbereitern des Faschismus“ gleichgesetzt. Das ging als Grundkonstellation zügig in die MTR ein und verschmolz allgemein mit Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik.
Ein „Extrablatt“ des „Der Kampf der Arbeiterjugend“ (KDAJ) des KJVD der KPD/ML-ZB vom 1. November rief dazu auf: „Nein zum Lohndiktat der SPD-Regierung! Kampf dem Schlichtungsverrat!“ (157) Das Extrablatt, das auf dem Höhepunkt der MTR herausgegeben worden war, wandte sich vor allem gegen einen bevorstehenden Schlichtungsverrat in NRW durch den CDU-Mann Katzer. Das sog. „Zwischenband“, der Schlichter, war für eine Tarifrunde nicht unüblich. An ihm schienen sich im linken Lager die Geister zu scheiden. Die zerstreuten Hintersassen aus Wirtschaft oder Politik legten sich in der Regel auf Lohnvorgaben, die aus dem Arbeitgeberlager kamen, fest, oder sie orientierten sich, wie in dieser Tarifrunde, an den sog. „Lohnleitlinien“ des Wirtschaftsministeriums der Bundesregierung. Ihre Schlichtersprüche, was aus anderen Tarifrunden bekannt war, sollten im Sinne der wirtschaftlichen Stabilitätskriterien als Reformwerk für andere Tarifrunden gelten. Die kurzlebige Kräftekonstellation trug indes zwitterhafte Züge. War sie doch in einem sog. „sozialen Hexenkessel“ nicht unbestritten. Und ihr Auftreten wurde sogar hier und da von der IG Metall als „exklusiver Club“ bezeichnet. Doch akzeptierte sie in der Regel die vorgeschlagenen Schlichter.
Den „Schlichtungsverrat“ in Nordwürttemberg-Nordbaden (7, 5%, d. Vf.) umschrieb das ZB in seinem „KND“ vom 6. November (Nr. 85) mit den Worten: „Mit dem 7,5-Prozent-Schiedsspruch in Nordwürttemberg-Nordbaden ist in der MTR 71 der entscheidende Schritt zum Lohndiktat durchgeführt worden. Nachdem die IGM-Führer durch ihren 'Linksaußen' Bleicher die 7,5 Prozent anerkannt haben, ist jedem Kollegen die Größenordnung klar, in der sich der endgültige Abschluss bewegen soll. Der 'linke' Bleicher war von der Zentrale für diesen entscheidenden Schritt auserwählt worden, weil er den Verrat noch am besten verkaufen kann und weil er über seine Leute in den Betrieben noch eine starke Kontrolle über die Metaller hat. Die Kapitalisten werden wahrscheinlich dem jetzigen Ergebnis noch nicht zustimmen und versuchen, dass CDU-Katzer oder die Regierung ein besseres Schlichtungsergebnis für sie herausholen. Mit der wahrscheinlichen Ablehnung der 7,5 Prozent durch die Kapitalisten am nächsten Dienstag beginnt dann der Höhepunkt der Tarifkämpfe in diesem Jahr. Wichtig am Schiedsspruch sind weiter die sieben Monate Laufzeit. Dies bedeutet, dass im nächsten Frühjahr Chemie-, Berg-, Metaller, Bauarbeiter und Textilarbeiter innerhalb von zwei Monaten in Tarifverhandlungen eintreten. Das ist eine hervorragende Gelegenheit für den Kampf der Arbeiterklasse, aber auch für einen von der Regierung verordneten Lohnstopp …
Gleichzeitig wollen die SPD-Führer in der nächsten Woche das neue BVG durchpeitschen. In den letzten Monaten haben sich die bürgerlichen Parteien über die Grundlinie dieses Gesetzes - die verstärkte Knebelung der Arbeiterklasse durch aktive Beteiligung verräterischer Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre - geeinigt. Dabei ist dieser Entwurf an einer entscheidenden Stelle geändert worden: Die politische Betätigung der Betriebsräte, die zur ideologischen Bekämpfung der Kommunisten gedacht war, wird gestrichen, weil die Sozialdemokratie fürchten muss, dass diese politische Betätigung in ihr Gegenteil verkehrt und zu ihrer Bekämpfung genutzt wird. Diese Entscheidung ist ein deutliches Zeichen für den Aufschwung der revolutionären Bewegung in Westdeutschland. Die DGB-Führer haben mit ihrem Beschluss, auf Protestdemonstrationen zu verzichten und dem Gesetz zuzustimmen, die Arbeiterklasse offen verraten; damit ist zugleich das gesamte Lügengebilde der DKP-Führer zusammengebrochen, die der Arbeiterklasse weismachen wollten, die DGB-Führer könnten entschlossen gegen die SPD-Regierung kämpfen …
Unsere politischen Ziele sind in der jetzigen Lage: Der Kampf gegen die Verrätereien der Sozialdemokratie muss am Beispiel des Lohndiktats, des BVG und des Schmidt-Plans durchgeführt werden. Wir dürfen dabei Lohndiktat und BVG nicht als zwei gänzlich verschiedene Dinge betrachten, sondern wir müssen das zeitliche Zusammentreffen beider Ereignisse auch zu einer verdoppelten Entlarvung der Sozialdemokratie benutzen. Weiter muss in der MTR der Kampf besonders gegen die 'linken' Demagogen wie Bleicher und gegen den weiteren Schlichtungsverrat von SPD- und CDU-Führern geführt werden. Beim BVG müssen wir besonders der Verrat der DGB- und DKP-Führer als wichtigste Nebenaufgabe herausstellen …
Diese Lage erfordert verdoppelte Anstrengungen von uns mit Beginn der nächsten Woche. Das ZB der KPD/ML hat daher beschlossen, ein RF-Extrablatt herauszubringen, das den Verrat in der MTR, das neue BVG und Schmidts Mobilmachungspläne darstellt. Der Vertrieb dieses Extrablattes und der RF 22/71 sowie ein Ankündigungsflugblatt, u. U. verbunden mit einer Betriebszeitung, werden die wichtigsten Agitpropaufgaben der Partei in der nächsten Woche darstellen. Wir müssen dazu alle Kräfte zusammenfassen und können dann durch unsere politische und organisatorische Geschlossenheit neue Siege erringen.“ (158)
Der Hinweis auf die „verdoppelte Entlarvung der Sozialdemokratie“ verhalf dem künstlich erstarkten ZB in der MTR noch einmal zu einem gewaltigen Schub. Es holte mit vielen „Extrablättern“, u. a. der „RF“ (sowie auch mit der „Roten Fahne“ Nr. 22, die am 8. November mit der Schlagzeile erschien: „Metalltarifrunde '71: Über Schlichtungsverrat zum Lohndiktat. SPD-Regierung stellt gemeinsam mit der CDU die Weichen“), Betriebszeitungen und Flugblättern dazu aus, der Sozialdemokratie mit wortgewaltiger Rabulistik auf den Pelz zu rücken. Der „Aufschwung der revolutionären Bewegung“ in Deutschland, die insgesamt aus dem „verstärkten Kampf der Klasse“ abgleitet wurde, die durch (unterschiedlichen) politische Manöver durch die Sozialdemokratie „geknebelt“ werde, wurde als klassische Prämisse gesetzt. Daran hatten sich KPD und Komintern bereits stets die Zähne ausgebrochen, wenn es um die Analyse der Realitäten ging. Beim ZB erklang dieses Horn in gewohnter Manier. Der „Rote Morgen“ brachte in seinen Ausgaben Nr. 13 vom 8. November und 14 vom 22. November keine Berichte vom Abschluss in Nordwürttemberg-Nordbaden. Stattdessen beschäftigte er sich auf vielen Seiten mit dem 30. Jahrestag der Partei der Arbeit Albaniens, dem 6. Parteitag der PAA und dem Auftritt des Genossen Ernst Aust in Tirana (Nr. 14).
Parteitage kamen und gingen zu dieser Zeit. Am 7. November wurde bekannt, dass die 1. Außerordentliche Parteikonferenz der KPD/ML, die für den 7./8. November geplant war, nicht stattfindet. Vom LV Süd-West des ZK hieß es dazu: „Die zunächst für heute und morgen geplante 1. Außerordentliche Parteikonferenz der KPD/ML-ZK findet nicht statt … Es bahnte sich ein a. o. Parteitag an. Dadurch, dass zu diesem quasi ... nur Proletarier zugelassen werden sollten, setzte das ZK die Linie, den ideologischen Kampf nicht in der ganzen Partei zu führen, sondern sich 'wichtige' Teile, hier die Arbeiter, zu sichern, fort ... Auf diesem 'Proletarierparteitag' sollte denn auch die Politik der Partei entschieden werden. Bezeichnenderweise fehlte bei der für den geplanten a. o. PT vorgesehenen TO die Hauptsache: Die Erarbeitung der Politik der Partei, die Linie unserer Agitation und Propaganda.“ (159)
Das war ein Paukenschlag. Das unverwechselbare Profil des ZK, sich Mehrheiten zu sichern, zu kontrollieren und zu verhindern, war vom LV Süd-West relativ deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Die schleichende Machtdeflation des ZK mit dem Nimbus des zentralen Herrentums kam hier tatsächlich in die Nähe einer Amtsaristokratie, die darauf insistierte, einen „Proletarierparteitag“ abzuhalten, der alle Widersprüche unter den Tisch kehren sollte. Gegen diese ritualisierten Tendenzen wurden viele Einwände ins Feld geführt, die sich insgesamt auch dagegen wandten, dass das entscheidende Glied auf dem Parteitag fehle, nämlich „die Erarbeitung der Politik der Partei“. Die Verschiebung des Parteitags war ein Hinweis darauf, dass der wachsende Autoritarismus des ZK von einem erheblichen Teil der Mitglieder der KPD/ML nicht mehr getragen wurde und dass die noch trügerische Ruhe einen erheblichen Knacks bekommen sollte. Mit Sicherheit gab es zu diesem Zeitpunkt schon keine Standortbestimmung des ZK mehr. Seine zählebigen Vorstellungen reichten allemal aus, um Enver Hoxha im „Roten Morgen“ zu hofieren und sich der VR China und Mao Tsetung anzubiedern.
Gesamtmetall lehnte am 9. November den Schiedsspruch von Veit für Nordwürttemberg-Nordbaden (7,5%) ab. Für den 12. November setzte die IG Metall für diesen Tarifbezirk die Urabstimmung an. Es ging nun wieder um die ursprüngliche Forderung (11%). (160) Der „KND“ Nr. 86 vom 10. November trug dieser Entwicklung Rechnung und meinte, dass der „Weg zur Staatsgewerkschaft“ nun schon sehr weit fortgeschritten sei. (161) Laut KPD/ML-ZB einigen sich bereits „die IGM- und Kapitalistenvertreter in Nordwürttemberg/Nordbaden auf die Durchsetzung des Lohndiktats: 7,5% mehr Lohn und Gehalt, Laufzeit des Vertrages 15 Monate bis zum 31.12.1972.“. Allgemein wurde diese Vereinbarung in der ML-Bewegung mit dem ZB als „offener Schlichtungsverrat der IGM-Führer“ bezeichnet. (162)
Kurz vor dem außerordentlichen Parteitag der KPD/ML-ZK beschloss die Große Tarifkommission der IG Metall am 15. November, laut RKJ der GIM, „in Sindelfingen einstimmig, beim Hauptvorstand 'Streik zum frühestmöglichen Termin' zu beantragen“. Zur möglichen Aussperrung meinte sie: „Da seit dem Metallarbeiterstreik von 1963 die führenden Gewerkschaftsfunktionäre wissen, dass auf jeden größeren, offiziell von einer Gewerkschaft ausgerufenen Streik sofort die Aussperrung folgt, beschloss die Tarifkommission mit Schwerpunktstreiks in den Betrieben der beiden Oberscharfmacher auf der Unternehmerseite, SCHLEYER Daimler-Benz und FRANKENBERGER Audi-NSU zu beginnen ...“ (163)
Die immer wieder von der IG Metall angeführte Überlebensstrategie in dieser Tarifrunde, hatte natürlich die Tendenz, möglichst ungeschoren aus dieser Tarifrunde herauszukommen. Es galt, gegenüber den Mitgliedern das Gesicht zu wahren. Aus diesem Grunde verlegte sie ihre sog. Schwerpunkttaktik auf jene Betriebe, die traditionell als „kampfstark“ bezeichnet wurden. Die „Rotfront - Die KPD/ML informiert die Kollegen der Dortmunder Metallbetriebe“ vom 15. November kritisierte dieses Vorhaben scharf und forderte dazu auf, den Streiks auf alle Betriebe auszudehnen. „Kollegen, bleibt hart“, meinte die Zeitung, „wehrt Euch gegen das Lohndiktat“. (164)
Das geschichtslose Phantasieprodukt „Lohndiktat“ bekam durch das plötzliche Aufkommen eines Streiks der Metaller in Nordwürttemberg-Nordbaden neue Nahrung. Wie der BKA Freiburg berichtete, streikten am 16. November die Kollegen für „die vollen 11%“: „Die Kolleginnen und Kollegen in Nordwürttemberg/Nordbaden streiken nicht ohne Grund. Die Lage der Arbeiterklasse hat sich seit dem letzten Jahr laufend verschlechtert. Immer häufiger und frecher versuchen die westdeutschen Monopolkapitalisten auf dem Rücken der Arbeiterklasse ihren Anteil am Weltmarkt auszubauen …“ (165)
Vielerorts erschienen zur MTR Unmengen von Zeitungen, Betriebspressen und Sonderdrucke. Tendenz der Berichterstattung zum Ende der Tarifrunde: „Der Verrat ist eingeplant!“ Eine Extraausgabe des „Schwungrads“, der Betriebszeitung der KPD/ML-ZK für KHD Köln, richtete sich am 18. November gegen die Taktik der IG Metall in NRW. (166)
Insbesondere hatte das Lavieren der IG Metall in NRW dazu geführt, wie von der ML-Bewegung gemutmaßt wurde, dass es ihr nur noch um eine reine Abwicklung der Tarifrunde ginge. Der „Verrat“ sei von langer Hand vorbereitet worden. Ein Triumpf wäre nur möglich, so der „KND Nr. 89 vom 20. November, wenn die „Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse“ jetzt erstarken würde. Der Verhinderungsstrategie der IG Metall setzte der „KND“ entgegen: „Die meisten Streiks der letzten Wochen hatten die IGM-Führer noch mühsam unter ihrer Kontrolle, doch allmählich lösen sich die Metallarbeiter immer stärker von den IGM-Führern und beginnen selbständige Kämpfe. (167)
Mit dem Erscheinen der Nr. 23 der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB am 22. November war die offene Feindseligkeit gegenüber der IG Metall letztendlich voll ausgebrochen. Der Leitartikel verlautete: „Metalltarifrunde '71: Kampfkraft der Arbeiterklasse lässt sich nicht unterdrücken. Hunderttausende von Metallern haben in den letzten Wochen gezeigt, welche große Kraft in der Arbeiterklasse steckt, wenn sie in den Kampf tritt. Obwohl die SPD- und IGM-Führer diese Streiks fest kontrollieren wollten, konnten sie die Kraft der Metaller nicht vollkommen unterdrücken oder in ihre Bahnen lenken ... Die wachsende Kampfkraft der westdeutschen Arbeiterklasse soll gehemmt werden, und der Streik, eine scharfe Waffe in der Hand der Arbeiterklasse, soll entschärft werden. Spaltung, Täuschung und offene Drohungen sind die Mittel der sozialdemokratischen IGM-Führer ... Je spalterischer die IGM-Führer auftreten, desto offener und schärfer können die Kapitalisten vorgehen. Am 16. November drohten sie mit einer umfassenden Aussperrung ... Das ist eine eindeutige Lehre: Die Arbeiterklasse ist stark genug, gegen die Drohungen der Kapitalistenklasse zu kämpfen.
Der Kampf der Arbeiter wird heute in erster Linie von den Verrätern in den eigenen Reihen verhindert. Darum sagt die KPD/ML, dass eine feste Kampffront der Arbeiterklasse nur entstehen kann, wenn die verräterischen SPD-, DGB- und IGM-Führer entlarvt und besiegt werden. Nur auf diese Weise kann die Einheitsfront der Arbeiterklasse und aller Werktätigen geschaffen werden ... Das Lohndiktat der SPD-Regierung ist im Moment der zentrale Punkt, mit dem die SPD-Regierung die in den letzten Jahren schnell angewachsenen spontanen Streiks im Keim ersticken will ... Die IGM-Führer sind dabei ihre besten Helfer, um das Lohndiktat gegen die Arbeiterklasse durchzupeitschen.
SPD-Regierung, IGM-Führer und Metallkapitalisten bereiten gemeinsam die Durchsetzung des Lohndiktats vor ... Das Lohndiktat der SPD-Regierung soll die 'Ruhe an der Heimatfront' für einen neuen Handelskrieg und neue Märkte der westdeutschen Imperialisten sichern … Das Lohndiktat der SPD-Regierung ist die Antwort auf die wachsende Kampfkraft der westdeutschen Arbeiterklasse. Mit Staatsschlichtung und Streikverbot sollen die Kämpfe im Keim erstickt werden ... Immer mehr Kollegen erkennen den wahren Klassencharakter des Bonner Staates, der die Kämpfe der westdeutschen Arbeiterklasse knebeln und ersticken will. Es ist die historische Aufgabe der Arbeiterklasse, Totengräber dieses imperialistischen Systems und dieser imperialistischen Staatsmacht zu sein. Die Arbeiterklasse benötigt dazu zuerst eine festgefügte Partei, die mit klarer Linie und fester Disziplin, gestützt auf die Erfahrungen des Marxismus-Leninismus und der Mao-Tsetung-Ideen den revolutionären Sturz des Bonner Staates vorbereitet und an der Spitze der Arbeiterklasse durchführt. Arbeiter, diese Partei ist die KPD/ML.
Sie hat in den letzten Monaten die Verrätereien der SPD- und IGM-Führer enthüllt und entschlossen gegen Schlichtungsverrat und Lohndiktat gekämpft. In diesem Kampf ist die Partei politisch erstarkt und organisatorisch gewachsen. Sie wird jetzt erst recht den Kampf gegen die Verrätereien der SPD-Regierung entfachen. Der Verrat der SPD- und IGM-Führer darf und wird unseren Kampf nicht lähmen, sondern er wird ihn weiter voranbringen. Die KPD/ML wird weiter trotz aller Verbotsdrohungen eine klare, revolutionäre Linie vertreten, sie wird jetzt erst recht alle Verrätereien enthüllen und bekämpfen. Darum: Gegen die Verrätereien der SPD-Regierung die geschlossene Kampffront der Arbeiterklasse. Stärkt die KPD/ML!“ (168)
Der Übergang zum „revolutionären Sturz des Bonner Staates“ und die Berufung auf die „Erfahrungen des Marxismus-Leninismus und der Mao-Tsetung-Ideen“ in dieser MTR, wie das ZB meinte, war ungewöhnlich offen. Im Sinne der sozialromantischen Legenden sollte die Tarifrunde in einem bewusst ausgetragenen Konflikt enden. Dazu gehörte das Verweben des „Lohndiktats“ mit allem, was das ZB bisher zu ihm nannte. Hinzu kam der Terminus der „festgefügten Partei, die mit klarer Linie und fester Disziplin“ über genügend Handlungsautonomie verfüge, um Erfolge zu erringen. Dieser ins Auge stechende Befund war der unverrückbare Fixpunkt jeglicher Strategie und Taktik, jedoch die einzige praktikable Methode, um überhaupt aus dieser MTR so etwas wie eine Solidaritätsbeziehung zwischen Arbeiterschaft und KPD/ML aufzubauen.
Auf die Aussperrung der Arbeitgeber im Tarifkampf in Nordwürttemberg-Nordbaden reagierte die „Was Tun?“ vom 23. November mit dem Artikel: „Die ... von GESAMTMETALL verhängte Aussperrung bestätigte dann in den Augen der Kollegen, die unsere Flugblätter und Plakate zu Gesicht bekommen hatten, die Richtigkeit unserer Analysen und Prognosen. In den Großstädten herrschte folgende Situation vor: die streikenden Metaller verloren immer mehr den Kontakt zur Gewerkschaft, so dass bei zwar unverminderter Streikbereitschaft sich eine gewisse Demobilisierung zeigte. In den Streiklokalen türmten sich die von der IGM herausgegebenen Streik-Nachrichten. Da erfahrungsgemäß die Streikfront abbröckelt, wenn ein Streik keine neuen Impulse mehr erhält, gingen wir dazu über, diese Streik-Nachrichten in der Stadt zu verteilen. Wir stießen damit auf unerwartetes Interesse. Vor allen Dingen in Stuttgart zeigte sich die Popularität der Aktion. Überall wurden wir in Diskussionen verwickelt, zeitweise bildeten sich so viele Diskussionsgruppen, das der Gehweg blockiert war …“ (169)
Vergegenwärtigt man sich die Komplexfaktoren in der MTR, so war klar, dass die Privilegienträger beider Seiten in die Defensive geraten waren. Die Auseinandersetzungen mit den traditionellen Scharmützeln (Forderung - Gegenforderung, Streik (Androhung) und Aussperrung) folgten einem festgefügten Ritual. Letztlich reichte man sich irgendwo auf mittlerer Ebene die Hand. Doch diese Auseinandersetzungen waren damals für die ML-Parteien von entscheidender Bedeutung. Hinter diesem unablässigen Machtkampf ging es um einen weitreichenden (materiellen) politischen Einfluss beider Seiten, den die Marxisten-Leninisten kaum überschauen konnten. Sie klopften halt nur hohle Phrasen und sahen aus jeder Spannung schon die „rote Sonne der Revolution“ leuchten. (170)
Die typischen Reibungsflächen sind also müßig zu beschreiben, zumal sich die Kernaussagen der beiden KPD/MLs ständig wiederholten. Das hochmütige Auftreten des ehemaligen Arbeitsministers Hans Katzer, der für NRW von Gesamtmetall als Schlichter für NRW beauftragt worden war, löste eine Welle der Empörung aus, die schnell als zusätzliche Verschärfung in die MTR 1971 eingehen sollte. (171) Dieses Vorhaben wurde noch durch die Äußerung Brenners vom 18. November, dass in dieser Tarifrunde eine „besondere Schlichtung“ möglich wäre, verschärft. (172) Tatsächlich sollte die GTK der IG Metall für NRW am 24. November dem Schlichtungsspruch von Katzer (7,5%) zustimmen. (173) Am 27. November berichtete die Betriebsgruppe Hoesch Westfalenhütte Dortmund der KPD/ML-ZB in der „RWW“, dass es um einen Streik auf breiter Front ginge. Unter dem Slogan „Am besten wir streiken gleich mit“ wurde erneut die Ausweitung von Streikaktionen auf alle Betriebe gefordert. (174)
Erst sehr spät befasste sich die KPD/ML-ZK in der Nr. 15 des „Roten Morgen“ vom 6. Dezember (nach dem außerordentlichen Parteitag) mit der Situation in der MTR. Unter der Titelüberschrift „Metaller im Streik“ wurde mobil gegen die „Dreieinigkeit von Kapital, Staat und DGB Apparat“ gemacht. Von der Beschreibung der ökonomischen Lage der Arbeiterschaft, ihrer sozialen Stellung, der ablaufenden politischen Prozesse in dieser Tarifrunde her, ergab sich in diesem Artikel eine tendenzielle Übereinstimmung mit der KPD/ML-ZB. Die „Profitverluste der Kapitalisten“ würden dazu führen, dass sie „auch während der Krise ihr Süppchen kochen wollen“, was national und international von Bedeutung wäre. „Die westdeutschen Kapitalisten müssen, um die Hände für ihre imperialistische Politik frei zu haben, Ruhe an der Heimatfront schaffen.“ (175) Unverändert hielt auch das ZK an der 15%-Forderung fest. In seiner Nr. 16 vom 27. Dezember geißelte der „Rote Morgen“ den 7,5%-Schlichterspruch und bezeichnete ihn als „Faschisierungsmaßnahme“. „Was die Arbeiterschaft jetzt brauche“, sind „Revolutionäre Gewerkschaften“, hieß es als Quintessenz des „Schlichtungsbetrugs“. (176)
Der Ablauf der Tarifrunde war für beide KPD/ML-Gruppen auch eine Standortbestimmung. An ihrem Höhepunkt angelangt, trat deutlich zu Tage, dass sie ein mögliches verbreitetes Missbehagen, das aus der Unzufriedenheit eines Teils der Arbeiterschaft mit der Führung der IG Metall resultierte, nicht kanalisieren konnte. Vor allem ihre Propaganda gegen den „Schlichtungsverrat“ verpuffte vollends, so dass sie sich nur noch in allgemeine Floskeln flüchten konnten. Das war typisch für das Anspruchsdenken dieser Gruppen. Das „Lohndiktat“, das wohl der „intelligenteste Teil“ dieser Tarifrunde war, lenkte immer wieder das Augenmerk auf die Umsturzphantasie („Den Kampf um Lohn zu verbinden mit dem Kampf um die Aufhebung des Lohnsystems“ („Roter Morgen“)), was durchaus als folgenreich gewertet werden kann; denn sie sollte als Rechtfertigungsideologie Einzug in die MTR halten. Nach fast einem halben Jahr Metalltarifrunde blieb die Erkenntnis, dass die Professionalisierungsbestrebungen der KPD/ML allenfalls zum Hilfspersonal reichten. Politisch und ökonomisch betrachtet, entsprach ihr verbissener Abwehrkampf gegen die „Machenschaften des Kapitals“ nur dem Leben einer Sektierergruppe, die der Faszination der egoistischen Eigeninteressen unterlag.
Am 29. November erschien, von der KPD/ML-ZB herausgegeben, das letzte „Rote Fahne“-Extrablatt zur MTR 1971. Es griff unter dem Titel „Metalltarifrunde '71 - Kampf dem Schlichtungsverrat“ das sog. „Schlichtungsdiktat von Stuttgart: 7,5 Prozent für 7 Monate - 1972 Lohnstopp?“ an. Dort hieß es: „Mit 'Opfern' konnte die Arbeiterklasse ihre Lage noch nie verbessern. Die herrschende Klasse hat bisher aus der Arbeiterklasse immer nur Opfer herausgepresst, um damit ihre Aufrüstungspolitik zu bezahlen und die Arbeiterklasse für sie bluten zu lassen ... Genauso steht es auch mit den 7,5 Prozent gegen die Metaller. Sie dienen nicht nur der 'Wiedergewinnung der Stabilität' der Kapitalistenherrschaft, denn sie sind ein weiterer Schritt, um die westdeutsche Arbeiterklasse unter staatlicher Kontrolle zu stellen. Die in den letzten Jahren angewachsenen Kämpfe der westdeutschen Arbeiterklasse sollen im Keim erstickt werden. Darum hat die SPD-Regierung das Lohndiktat erlassen.
Bonn denkt an 7,5 Prozent mehr Lohn - so hieß es am 23. August in der bürgerlichen Presse über einige Erklärungen von Schillers Staatssekretär Hermsdorf. Eine Woche später unterschrieb Bleicher den Brief der Bezirksleitung Baden-Württemberg an die Kapitalisten, in denen die verräterischen 11 Prozent gefordert wurden ... Der IGM-Vorstand hat Bleicher als Vorreiter des Schlichtungsverrats bestimmt, weil er durch seine 'kämpferischen' Reden die Arbeiterklasse am besten spalten kann. Gerade der 'linke' Bleicher war es, der die Arbeiterjugend vom Kampf abgetrennt hat ... Auch für die gesamte Arbeiterklasse soll der Lohnstopp noch durchgeführt werden. Nur sieben Monate soll die Laufzeit des neuen Tarifvertrages betragen ...
In den Betrieben wächst die Bereitschaft, ohne die IGM-Führer zu kämpfen. Daher geben diese Herren sich alle Mühe, die Streiks auf eine Stunde zu begrenzen. Dort, wo es ihnen nicht mehr gelingt, werden Streiks abgewürgt, SPD-Betriebsräte feuern fortschrittliche Kollegen wie bei Krupp in Essen oder bei Opel in Rüsselsheim ... Der Schlichtungsverrat in Nordwürttemberg/Nordbaden ist direkt von der Regierung gesteuert worden ... So wie SPD und CDU im Bundestag zusammenarbeiten, so spielen auch ihre Schlichter in der Metalltarifrunde ein abgekartetes Spiel. Nachdem SPD-Veit seinen 7,5 Prozent-Schiedsspruch abgegeben hat, wird CDU-Katzer jetzt in NRW seinen Schiedsspruch verkünden. Arbeiter, die Kumpanei von SPD und CDU soll Euch verwirren und den Weg zum Lohndiktat ebnen ... lasst Euch nicht ablenken von denen, die das Lohndiktat beschlossen haben: von Brandt und Schiller. Arbeiter, nur der gemeinsame Kampf ohne und gegen die rechten Gewerkschaftsführer, der Kampf gegen Schlichtungsverrat und Lohndiktat kann uns zum Erfolg führen.“ (177)
Das Proletariat, dem in der heraufziehenden Auseinandersetzung nur der „Kampf gegen Schlichtungsverrat und Lohndiktat“ übrig blieb, hatte sich nicht als politischer Machtfaktor herausgebildet. In der Tarifauseinandersetzung blieb nur seine überhöhte Stellung übrig. Die einzige Positionsverbesserung gipfelte in einem langen Verteilungskonflikt um Prozente, der nicht zu Gunsten der Lohnabhängigen entschieden worden war. Zum kollektiven Messias, wie von den beiden KPD/ML-Gruppen angedacht, wurde das Proletariat nicht. Auch die Scheidelinie 15% war wohl nur reine Fiktion. Und so verwundert es auch gar nicht, dass im Extrablatt der „RF“ die 15%-Forderung keine Rolle mehr spielte. Zur Wahrheitsfindung hatte sie sowieso nie beigetragen. Und die förmliche Dressur, unter die sich die Gruppen täglich stellten, wenn es um die Verbreitung dieser Parole ging, lag damit auf der Hand. Das Ende der Tarifrunde stellte keinen fundamentalen Antagonismus dar. Eine zunehmende Politisierung war nicht festzustellen, höchstens kam es eher zu empörten Widersprüchen oder anklagenden Resolutionen. Die KPD/ML-Gruppen standen genau zwischen diesen Fronten und rieben sich gegenseitig monoton, zwanghaft und fremdbestimmt in diesen (gegenseitig) auf.
War die MTR also nur ein isolierter Schauplatz der KPD/ML? Das damals viel diskutierte direkte Eingreifen, das ein selbstbewusstes Proletariat stilisierte, könnte m. E. auch als grobes Missverständnis der realhistorischen Bedingungen bezeichnet werden. Immerhin wurde die Häufigkeit der total überschätzten politischen Faktoren zum Fakt. Und die Übernahme der traditionellen Protestformen mit (organisierten) Streiks und allen möglichen Zwischen- und Übergangsstufen verblasste in der Modernität schnell zu rein lockeren Zusammenschlüssen mit Protestveranstaltungen. War unter diesem Aspekt der außerordentliche Parteitag des ZK der KPD/ML vielleicht auch nur eine solche „Protestveranstaltung“? Jedenfalls war die heraufziehende Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.
Am 17. November verfasste ein Teil der Roten Garde Kiel/ML eine „Erklärung zur Politik des Thälmannkampfbund-ML“, jener Gruppe, die sich zu einem Teil dem ZK annähern sollte, was nicht unwichtig war; denn gleichzeitig holte dieses zu einem Schlag gegen die RG Kiel aus und warf ihr „Opportunismus“ vor: Die Einheit aller Marxisten-Leninisten sei nur in „einer bolschewistischen Partei“ möglich. (178)
Als am 22. November ein Bericht der Redaktionssitzung des „Roten Morgen“ für die Nr. 14/1971 bekannt geworden war, dürfte es bereits ein facettenreiches Netz von Kritikern gegeben haben, die ihre Ideen zu verbreiten gedachten. Aus einer solchen Sitzung lag der folgende Bericht vor: „In der Sitzung von Nr.14/71 war mir völlig klargeworden, dass der ideologische Kampf von 9-11/71, der dann so jäh abbrach, nichts als ein Operettenstück, inszeniert vom RM-Verantwortlichen … war, um den ideologischen Kampf abzuwürgen. Die mangelhafte Form der Selbstkritiken sowie des Antifaschismusartikel von … war zurückzuführen auf Nicht-Diskutieren in der Redaktion und Eigenmächtigkeit bei der Veröffentlichung. Ein Pappkamerad sollte abgeschossen werden können ...
Der Artikel VERBOT DER KPD/ML wurde von der Redaktion an … in Auftrag gegeben. Er wurde vor Drucklegung nicht mehr kontrolliert. Anstoß erregte, dass das Flugblatt der RG Burghausen faksimiliert wurde, ohne dass den Verkäufern Maßnahmen vermittelt wurden, falls die Polizei eingreift. Das wurde als Politik des Leichtsinns verurteilt. Inhaltlich kritisiert wurde, dass der spontanen Arbeiterbewegung revolutionäre Züge unterschoben werden …“ (179)
Möglicherweise waren die Debatten um den „Roten Morgen“, die Tatsache, dass ein ideologischer Kampf dort unterdrückt worden war, das Lavieren des ZK und die Vernachlässigung der sog. „Massenlinie“ einige der Gründe, die dazu führten, dass für den 27. November ein außerordentlichen Parteitag der KPD/ML (erneut) einberufen wurde. Ein „Extra“ zum außerordentlichen Parteitag sollte versuchen, den Hauptströmungen, die dort vertreten waren, auf die Spur zu kommen.
Inhaltsverzeichnis
Am 27. November fand der außerordentliche Parteitag der KPD/ML-ZK statt, der am 28. November fortgesetzt wurde. Zu ihm gibt es eine Reihe von Dokumenten, die die rivalisierenden Linien widerspiegeln und die das Konfliktniveau bis dicht an die Schwelle zum offenen Zusammenstoss anhoben. Bei der ideologischen Prägung wetteiferten in erster Linie jene Ideen miteinander, die im gegenwärtigen Zustand der KPD/ML, allgemein betrachtet, eine äußerst große Entfremdung zwischen ihr und den Massen sahen. Jene tiefreichenden Widersprüche, die schon als unüberbrückbar erscheinende Gegensätze erfahren worden waren, verstärkten die Annahme, dass der Dauerkonflikt bereits lange vor der Einberufung dieses Parteitages schwelte. Zurückzuführen wäre dieser Konflikt auf die Spaltung der KPD/ML im Frühjahr 1970, die viele der Fragen, die das ZK seit dieser Zeit für gelöst hielt, aber unbeantwortet ließ, erneut an die Oberfläche spülte. Die Vergangenheit holte das ZK also wieder ein. Selbiges konnte am Ende des chaotischen Parteitages mit vermutlich drei Sitzungen das dichotomische Gefüge kaum noch auseinanderhalten und ergoss sich in die Flucht nach vorne. Die KPD/ML-ZK dürfte Ende 1971 fast vor dem endgültigen Aus gestanden haben. Die Partei, die sich ab dem Dezember 1971 in viele Fraktionen mit einer Reihe von örtlichen Zirkeln aufspaltete (möglicherweise bis zu 40-50 Gruppen), schaffte es dennoch, sich unter der Führung von Ernst Aust und einigen Getreuen, zunächst etwa in Hamburg und München, dann mit Hilfe eines Teils der Gruppe (West-)Berlin und später eines Teils des TKB/ML sowie der RG Kiel/ML, zu rekonstruieren. Zuvor war noch auf dem Parteitag von Ernst Aust ein sog. „Exekutivkomitee beim ZK der KPD/ML“ ins Leben gerufen worden, um die KPD/ML unter ihrem alten Namen fortführen zu können.
Dieser Beitrag zum Außerordentlichen Parteitag (später nur noch a. o. PT, d. Vf.) wird sich zunächst mit den Berichten anderer Gruppen, soweit sie mir vorlagen, beschäftigen, dann anhand der mir vorliegenden Berichte der verschiedener Gruppen der KPD/ML-ZK mit dem Verlauf des Parteitags selbst und schließlich den mit den offiziellen Verlautbarungen des „Exekutivkomitees“ (wie sie im „Roten Morgen“ veröffentlicht wurden). Für diesen Ansatz gibt es mehrere Gründe: Erstens können so die Wahrnehmungen des Krisenparteitages durch die verschiedenen Gruppen und die Entscheidungen, die dort getroffen wurden (oder auch nicht!), besser geschildert werden, zweitens könnte aus den Kontroversen, die sich auf dem Parteitag ihren Weg bahnten, das untergehende Zeitalter der KPD/ML, wenn nicht gar der maoistischen Gruppen insgesamt, abgeleitet werden und drittens wäre diese Wendemarke ein Hinweis darauf, dass der sich dahinschleppende Zusammenbruch mit seinen dramatischen Wendungen letztlich ohne Alternative blieb. Alles könnte in die Frage einmünden: Hatte sich mit dem Parteitag nicht die Mär von der „bolschewistischen Kaderpartei“, die die Massen in den revolutionären Kampf um die „Diktatur des Proletariats“ führen sollte, für alle Zeiten erledigt? Und war die Gruppenbildung nach dem November 1971 nichts anderes mehr als ein letztes Aufbäumen? Selbige waren ja alle insgesamt noch weit bis in die Mitte der 1970er Jahre in jene Nomenklatur des Marxismus-Leninismus verstrickt, die zwar die Bedeutung der (revolutionären) Theorie anerkennen sollte, aber prinzipiell „praxisnah“ blieb.
Nun gab es natürlich etwa ab Dezember 1971 keine objektiven Berichte über den a. o. PT Wer hätte solche auch schreiben können? Insgesamt, das kann vorab festgehalten werden, war eine klammheimliche Freude bei den konkurrierenden ML-Gruppen über das dortige Zerbersten festzustellen. Allen voran die KPD/ML-ZB und der KAB/ML bzw. KABD entblödeten sich kurz nach der Beendigung des Parteitags nicht, ihre dumpfen, besserwisserischen und abgedroschenen Phrasen über die „Linkssektierer“, denen die Basis eine gehörige Abfuhr erteilt hätte, preis zu geben und ihren Appell von der korrekten „proletarischen Linie“ ohne Kleinbürger in das politische Spektrum der Bewegung hineinzutragen. Dabei waren sie selbst ja nichts anderes als jene gescholtenen „Kleinbürger“, denen ihr eigener Stand quasi in den Kopf gestiegen war, sich dort ausbreitete und als Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bis auf Weiteres ein Schattendasein zu führen begann.
Die Dürftigkeit ihrer Aussagen, die nichts anderes als gängige Schlagworte produzierten, hinterließ eher den Eindruck, dass sich hier die vollständige Verwirklichung einer Gespensterpolitik niederschlug. Ihre private Caritas gipfelte scheinbar in der sog. „Aasgeiertheorie“, die davon ausging, an dem Zerfall des Parteitages partizipieren zu können. Das ZK selbst konnte später durch Auffüllung, etwa durch den schon erwähnten TKB/ML, sein angekratztes Image aufwerten. Allerdings ist nicht bekannt, dass das ZK darüber hinaus kurzfristige und nennenswerte personelle Zuwächse erzielte.
Im Verlaufe des Jahres 1972 wurde, etwa in den Organen der neu entstehenden Gruppen, Manöverkritik an der KPD/ML-ZK geübt. Zu nennen wären z. B. die „Klapro“ („Klassenkampf und Programm“), das Organ der ML Dortmund, später „KFR für den Wiederaufbau der KP“, aber auch die spätere „Bolschewistische Linie“ in der KPD/ML oder etwa der LV Niedersachsen der KPD/ML-ZK , der mit dem Organ „Die Massenlinie“ bekannt wurde. Auch im „Neuen Roten Forum“ der KG(NRF), der Broschüre der RGK/ML „Gegen Revisionismus, Reformismus und Opportunismus! Kämpfen wir für die Einheit aller Marxisten-Leninisten in der Bolschewistischen Partei“ und der ML Bochum „Schlag zu und schon geht es los. Die KPD/ML und der Klassenkampf in der BRD“ konnte vieles zur aktuellen Lage der KPD/ML-ZK und seinen Theorien nachgelesen werden. (1) Der a. o. PT der KPD/ML war bis etwa zur Auflösung der KPD (8./9. März 1980 in der Nähe von Gelsenkirchen) in den Organen verschiedener linken und maoistischen Gruppen präsent. In diesem Beitrag werde ich versuchen, wenigstens einen groben Überblick über die Behandlung des a. o. PT durch verschiedene Gruppen zu geben. Dabei werde ich auch auf verschollen geglaubte Stellungnahmen, wie etwa das „Maskenballpapier“, eingehen. In der KPD/ML-ZK selbst waren die Erschütterungen, die der a. o. PT verursacht hatte, noch bis etwa 1979 festzustellen.
Die Äußerungen in der „Geschichte der MLPD“, die sich 1985 angeblich als Kennerin der Geschichte der KPD/ML-ZK und des a. o. PT outete, mussten indes anders bewertet werden. Ihr ging es darum, den Nachweis zu erbringen, dass schon immer die „kleinbürgerlichen Kräfte ihren Führungsanspruch“ in der KPD/ML praktizierten“ und dass der Zerfall der KPD/ML letztlich in der Aushebelung der „Septemberbeschlüsse“ zu suchen sei. (2) Ein Teil des TKB/ML, der sich wohl bis spätestens Februar 1972, dem neuen ZK annähern sollte, brach mit der Schrift „Die brennendsten Fragen unserer Bewegung“ schon relativ früh eine Lanze für Ernst Aust. (3) Ohne lebhaften Widerspruch war das alles natürlich nicht zu haben, was selbst das ZK einräumen musste. Insgesamt setzte sich aber wieder jene Zentralbürokratie durch, die die Einwände der Kritiker im Nachhinein mit der Theorie des „Rechtsopportunismus“ als „gefährlichste ideologische Hauptgefahr“ abstrafte. (4)
Auf diese Weise stellte sich natürlich keine Entspannung ein, weder im ZK selbst noch in den neuen Landesverbänden; denn die diagnostizierten Anwürfe waren längst nicht vom Tisch. Und die tatsächlichen Machtverhältnisse, die mit der geläufigen Selbstbezeichnung KPD/ML nur die alten Strukturen erhärtete, signalisierten weder politisches Durchsetzungsvermögen noch Eindämmung der Krisenherde. Man könnte auch sagen, dass bei näherem Hinsehen keine der Differenzen ausgeräumt worden waren. Allein das „Exekutivkomitee“ und sein großsprecherisches Gerede brachten der dezimierten KPD/ML nicht die große Stunde der Revolution. Die defensive Modernisierung, die den Umbau einleiten sollte, enthüllte einmal mehr die große Schwäche des Leitungspotentials. Als kleine Machtelite musste sie sich in Zukunft mit starken Gegenkräften aus dem eigenen Lager auseinandersetzen, die im Prinzip zwar alle dem Marxismus-Leninismus huldigten, aber als Aktionsgruppen nicht weiter machen wollten oder konnten wie bisher. Die kommende „Bolschewistische Linie“ in der KPD/ML“, vielleicht der führende Exponent aus NRW in Sachen Kritik am ZK, sollte die überwiegend turbulenten Zeitläufte in die Worte kleiden: „Die alte KPD/ML ist tot!“ (5) Aber auch die Neue blieb die Alte. Die bisherige labile Bürokratie sollte durch die absolute Bürokratie ersetzt werden.
Nun hatte die Exekutive ein festes Bündnis mit denen versprochen, die als „ehrliche Marxisten-Leninisten“ (6) mithelfen wollten, die Partei zu führen. Ihre Exklusivstellung, die als verloren galt, wollte sie unter allen Umständen zurückerobern. Sie verpasste der KPD/ML wieder einmal jene Sätze, die seit ihrer Gründung zur unumstößlichen Wahrheit geworden waren: „Die proletarische Linie fürchtet den Kampf nicht, sondern wird ihn bewusst führen, sie wird nicht auf eine Spaltung der Partei hinarbeiten, sondern die Spaltung mit allen Mitteln des prinzipienfesten Kampfes verhindern …“ (7)
Die kraftvoll formulierten Sätze waren nicht einfaches Phlegma, sondern das Kraftzentrum der Politik der KPD/ML schlechthin. Die Gruppe, die nach dem a. o. PT durch eine Restaurationsphase ging, sollte dadurch neu aufgewertet werden. Doch mehr als ein reines Lippenbekenntnis mit der üblichen Ideologie brachte das ZK nicht hervor. Auch hier sollte die „proletarische Linie“ zu einem Legitimationsprinzip werden, das die Stellung des ZK absichern und wirkungsvoll gegen die Kontrahenten abstützen sollte. Formal betrachtet diente sie auch dazu, das Monopol des politischen Bildungsprozesses zu erhalten. Zudem blieb die erdrückende Mehrheit der „Königstreuen“ unangetastet, was einen nachhaltigen Einfluss auf kommende Entscheidungen nach sich ziehen sollte. Möglicherweise wurde das ZK nach dem a. o. PT mächtiger denn je, denn die 2. Sitzung des 1. a. o. PT sollte formulieren, dass die nun eingeleitete Bolschewisierung eine „Abgrenzung von allen Liquidatoren und Opportunisten“ bedeute. (8) Der „korrekte marxistisch-leninistische Standpunkt“ (9) war somit weisungsgebunden und die vollmundig formulierte „Abgrenzung“ nichts anderes als ein schikanierender und reglementierender Anachronismus.
Diese Behauptung, die von einem hohen Maß an Durchsetzungskompetenz getragen worden war, dürfte das Ideal schlechthin gewesen sein. Und ein erstaunlicher Optimismus in Sachen „Standpunkt“ und „Abgrenzung“ sollte sich anschließen. Meinte das ZK doch im „Roten Morgen“ Nr. 1/2 vom 17. Januar 1972, dass der „Hauptschlag in diesem Kampf notwendigerweise gegen die „links’sektiererischen Losungen“ geführt werden müsse. Für die Partei müsse die Aufgabe gelten, „den Bazillus des Liquidatorentums völlig auszumerzen“. Das sog. „Linkssektierertum“ wurde zugleich auf den „Rechtsopportunismus“ ausgedehnt, so dass gar nicht mehr zu unterscheiden war, welche einschnürenden Zugriffe nun primär zu bekämpfen waren. Der „ideologische Kampf“ müsse gegen alle links- und rechtsopportunistische Auffassungen geführt werden, hieß es lapidar. Er sei nicht nur auf die eigene politische Linie anzuwenden, sondern müsse auch auf die „gesamte marxistischen-leninistischen Bewegung“ übertragen werden. (10)
Die zahllosen Variationen des immer gleichen Themas bedeuteten indes nichts anderes als einen schmerzhaften Autonomieverlust, der sich in den Parolismus flüchtete. Das ZK insistierte darauf, eine Notlage zu erfinden, um eine vorweggenommene Loyalität aller Mitglieder und Gruppen zu verlangen. In dem Maße, wie sich die marxistisch-leninistische Bewegung von allen linken und rechten Elementen reinigt, würde es auch der KPD/ML gelingen, sich tiefer „in den Massen zu verankern“ und der „bolschewistischen Kampfpartei“ zum Sieg zu verhelfen. (11)
Dieser Verdrängungsdruck brachte im Ergebnis eine erneute konservative Wende mit der beflissenen Anbiederung auf die Gründungslegende hervor, die dazu herhalten musste, die Ausübung der späteren Duelle zu rechtfertigen: „Dies war ein Ereignis (die Gründung der KPD/ML, d. Vf.) von großer historischer Bedeutung für die Entwicklung der westdeutschen Arbeiterbewegung. Es war ein bewusster revolutionäre Akt der besten Kräfte des westdeutschen Proletariats.“ (12)
Die mögliche Integrität anderer Gruppen wurde somit nachträglich noch einmal unterminiert. Und Solidarität untereinander konnte nur als dubios erscheinen. Auf längere Sicht war damit der Kompetenzbeweis, die Gründung der KPD/ML, Fakt. Der administrative Zentralismus des ZK ließ trotz der vielseitigen Selbstkritiken, die im „Roten Morgen“ seit dem Dezember veröffentlicht worden waren, keinerlei Grundlagen für eine kollektive Zusammenarbeit mit anderen zu. Die Zügel der Disziplinierungsmaßregeln wurden noch strenger und ausgefeilter gehandhabt. Die Partei müsse insgesamt nun „in der Lage sein, ihre führende Rolle in der marxistisch-leninistischen Bewegung zu behaupten und auf allen wichtigen Gebieten der revolutionären Theorie zu verwirklichen.“ (13)
Mit hochgehaltenem Anspruch war der Krise der KPD/ML nun gar nicht zu begegnen. Im Gegenteil: Ihr sozialer Kollektivegoismus zeugte von weiteren latenten Konflikten, die weder zu proletarisierten Konstellationen im ZK noch zu langlebigen politischen Ergebnissen führen sollten. Mit einer interessensneutralen Ideologie konnte die KPD/ML auch wenig anfangen - ihre politischen Stellungnahmen (14) zwang sie sich nahezu selbst auf, was ihre Wirkungsmöglichkeiten enorm einschränkte. Möglicherweise operierte die KPD/ML nach dem a. o. PT nur noch als „strategische Clique“. Und die sich weiter befehdenden Fraktionen innerhalb und außerhalb des ZK waren voller Ranküne, die als Dauererscheinungen weiter durch die Bewegung waberten.
Um den letzten Rest des Vertrauens gegenüber dem Parteivolk zu wahren, erklärte das ZK freimütig, dass die „Hinaussäuberung der fast ausschließlich Intellektuellen, aus der Studentenbewegung stammenden Liquidatoren aus der Partei … nach dem Stalinschen Grundsatz geschah, dass ‚die Partei dadurch gestärkt wird, dass sie sich von allen opportunistischen Elementen säubert“. (15)
Die vehemente Attacke gegen den „kleinbürgerlichen“ Wurm war nichts anderes als der altmodische Starrsinn jener Führungsclique, die erst die Intellektuellen mit breiter Brust aufnahm, um sie sodann als feindliche Hydra zu bekämpfen. Dass sie zur nachhaltigen Unterstützung des politischen Status quo der KPD/ML Maßgebliches beigetragen hatten, war Schnee von gestern. Ihr eminent wichtiger Einfluss sollte kurze Zeit später wieder hervortreten; denn im „Schattenkabinett“ des ZK, dem Ernst Aust vorstand, hatten die freiberuflichen Akademiker (mit hauptamtlich arbeitenden „Berufsrevolutionären“ im ZK) bis auf Weiteres ein Exklusivrecht an der Politik der KPD/ML. Als Ergebnis dieser Partizipation lugte nun aus dem „Roten Morgen“ eine Art Kryptopolitisierung hervor, die in der übertriebenen Abwehrreaktion, etwa gegenüber dem KAB, der als „Zentrum der Zirkel“ bezeichnet worden war (16), gipfelte. Dass vor langer Zeit die KPD/ML-ZB sich dem KAB/ML bereits zugewandt hatte und dieser nicht unerheblich für die Konstituierung des ZB gewesen war, wurde vom ZK einfach ignoriert. Der Grund dafür dürfte u. a. in der Rolle Willi Dickhuts in der KPD/ML gelegen haben, der zum Tübinger KAB wechselte und dort die Rolle des Übervaters übernahm. Dieser hätte u. a. die „Abweichungen“ in die Partei getragen und „aus der KPD kommend, noch vielen revisionistischen Ballast mit sich herumgeschleppt“. (17)
Vergegenwärtigt man sich das beschleunigte Tempo der Selbstkritiken des ZK, die seit der Sondernummer „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ (18) vom 27. Dezember 1971 bis etwa zum Abschluss des 2. Ordentlichen Parteitags aus dem Juli 1972 erschienen waren, dann fällt auf, dass der Anspruch, die provinziellen Grenzen überschreiten zu wollen, doch arg ins Hintertreffen geraten waren. Aufs Ganze gesehen musste das ZK daher seinen neumodernen Schwung, der ja u. a. ein Ergebnis des a. o. PT („Bolschewisierung“ nach außen und nach innen) gewesen sein sollte, vortäuschen. Auf die gesellschaftspolitischen Ereignisse der Zeit und deren Impulse zu reagieren, sollte nach dem Wegfall von Kerntheorien (etwa der „Zwei-Wege“ Theorie) schwer fallen. Die harschen Verkrustungen der Widersprüche, die nun auftraten, sollten sich im „Roten Morgen“ selbst herauskristallisieren. Er wurde sozusagen in bürokratischer Form weiter geführt, und vor allem war nicht zu erkennen, dass er seit dem a. o. PT einen (theoretischen) Sprung nach vorne gemacht hatte.
Die Signatur seiner Renaissancebestrebungen beschrieb er mit den Worten: „Es ist deshalb auch in den kommenden Monaten eine wichtige Aufgabe der Partei, das Programm weiter auszuarbeiten und eine wissenschaftliche Strategie und Taktik zu entwickeln … Auch die Haupttendenz bei uns ist Revolution. Wir müssen die Massen konsequent im Sinne der gewaltsamen Revolution erziehen. Wir müssen in die Kämpfe eingreifen und sie so führen, dass sie zu einer Kriegsschule der Massen und unserer Kader für die Revolution werden.“ (19)
Mehr hatte man nicht anzubieten. Diese hypothetischen Optionen könnten auch als vorrevolutionär bezeichnet werden; denn Ähnliches konnte bereits in der „Grundsatzerklärung“ der KPD/ML aus dem Januar 1969 nachgelesen werden. Der abstrakte Wunschtraum nach der Erarbeitung des Programms der Partei, das „wissenschaftlich“ erarbeitet werden müsse, blieb auf wenige Köpfe beschränkt. Und überlebte nur in der Parasitenform. Spätestens mit der „Kieler Rede“ von Ernst Aust (Juni 1975) zeigte sich das ganze Dilemma der KPD/ML: Sie drehte das Rad der Geschichte in jene vorrevolutionäre Zeit zurück, in der der Anspruch auf einen gesamtdeutschen Nationalstaat basierte. Und „Deutschland dem deutschen Volk“ mit einer Verschmelzung beider Staaten durch eine Revolution zu einem Nationalstaat ließ die neuerliche Souveränitätsfrage nun in einem anderen Licht erscheinen. Das deutsche Teilungsgebiet stellte für derart kühne (mögliche rechte) Neukonstruktionen in der KPD/ML alle Facetten bereit, und es verwunderte nur, dass das ZB der KPD/ML und deren „Neue Deutsche Ostpolitik“ mit dem Vermerk auf „Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik“ lupenrein kopiert worden war, wo es doch seitenweise in der zweiten Jahreshälfte 1971 wegen der allzu nahen Tendenz zur preußischen Großmacht und dem damit verbundenen Schlagwort „Revisionismus“ gescholten worden war.
Der Doppelcharakter des a. o. PT, der einerseits der unabdingbaren starken Exekutive zur Macht verhelfen wollte und andererseits nur einen asketisch knappen Abriss der zukünftigen Aufgaben der KPD/ML erstellte, hinterließ ein unüberschaubares Feld, auf dem zwar gesät, aber nicht geerntet werden konnte, zurück. Mangels Parteimasse war die obligatorische Publikation, der „Rote Morgen“, zu einem unverbindlichen Organ geworden, das auch weiterhin zu einem Dreh- und Angelpunkt des Machtkampfes zwischen der KPD/ML und anderen Gruppen werden sollte. Der Ausgang der Konflikte zugunsten des ZK konnte dort stets nachgelesen werden.
Neben der schon erwähnten Hamburger Basis, einer Münchener oder Bayern-Gruppe etc. waren es vor allem Teile des TKB/ML, der RG Kiel/ML und später Abspaltungen von der KPD/ML-ZB, die das ZK als quantitativen Zuwachs zu verzeichnen hatte. (20) Das war nicht viel. Aber immerhin konnte so eine gewisse Konsolidierung erfolgen, die gleich den „Verfassungseid“ über die korrekte Linie der KPD/ML mitlieferte. Der Anlass der Gruppen, die zu Aust stießen, war mit einer Frontalattacke gegen die einstigen Mitspieler verbunden, eigentlich ein Ereignis von drittrangiger Bedeutung, das die willkommene Chance sah, Front gegen alles zu machen. Bestes Beispiel dafür war der Teil des TKB/ML, der zu Aust wechselte und gleichsam mit seiner Kritik „die kleinbürgerlichen Theorien“ desselben Nestes, aus dem sie einst gekrochen kamen, als „reaktionäre Theorien“ verteufelten, die „die Herrschaft der Intellektuellen“ manifestieren sollten. Damit war der Klärungsprozess erfolgt. Durch die „Hinaussäuberung der Liquidatoren, Versöhnler und Menschewisten hat die KPD/ML ihre führende Rolle erheblich gestärkt“. Vor allem hätte die Partei „Schluss gemacht mit dem intellektuellen Geschwätz, mit den ‚unabhängigen Königreichen‘ und der kleinbürgerlichen Undiszipliniertheit“. Die Partei sei nun „konsequent auf den Klassenkampf ausgerichtet …“ (21)
Die „revolutionäre Kampfentschlossenheit“ des TKB/ML mit dem Charakter einer apokryphen kleinen Parteiorganisation gipfelte in ebensolchen schroff postulierten Zielen, die von der KPD/ML-ZK bekannt waren. Die revolutionäre Absicht des TKB/ML, die in der Losung „Reform oder Revolution“ schlechthin gipfelte, glichen sich in allen Punkten jenen schwammigen Formulierungen des Parteiprogramms der KPD/ML an, das selbst als großer Inspirator gefeiert worden war, und keinerlei Hehl daraus machte, dass „die Wiedererrichtung der Diktatur des Proletariats in ganz Deutschland“ (22), die schon republikanische Kampfrhetorik war und mit radikalem Duktus und schwärmerischem Engagement vorgetragen wurde, die Initialzündung für die Mischung von romantischen, idealistischen und politischen Elementen schlechthin war. Die geschickt manipulierte Revolutionserwartung mit den typischen Wendungen, gleich für den ganzen Erdball sprechen zu müssen, mussten gemischte Gefühle aufkommen lassen; denn der verwegene Experimentversuch ließ zwar Funken sprühen, doch der alldeutsche Operationsradius war nur Demagogie, eine rückwärts gewandte Idee mit unverbindlichen und leerformelartigen Aussagen.
Natürlich müssen diese späteren Ergüsse der KPD/ML m. E. auch auf den a. o. PT zurückgeführt werden. Die dortige Neuausrichtung, die später als kluger Schachzug von Ernst Aust und seinen neuen Mitstreitern im ZK gefeiert worden war, dürfte die letzte Chance für eine politische Identitätsstiftung gewesen sein, die tatsächlich aber niemals wahrgenommen worden war und letztlich verspielt wurde. In allen Bereichen der Politik und der Theorie hatte sich die KPD/ML von dem verabschiedet, was als „Geist der Revolution“ einst noch durch ihre Programmatik huschte. Die privatistische Biedermeierei führte das ZK unwiderruflich in die Sucht hinein, nach weiteren vermeintlichen Sündenböcken zu suchen, die für eine verfehlte Politik verantwortlich gemacht werden konnten.
Der erste neue und geringfügige Anlass brachte weitere Eruptionen hervor. Die beginnende Kritik der „Bolschewistischen Linie der ehemaligen KPD/ML (Roter Morgen)“ aus dem März 1972, kurz nach dem a. o. PT, führte im Artikel des „Roten Morgen“, Nr. 6 vom 13. März 1972, „Die Einheit aller Marxisten-Leninisten im Kampf gegen den modernen Revisionismus erringen“ zu der Aussage: „Wir werden schonungslos diejenigen Elemente entlarven, die sich in der marxistisch-leninistischen Bewegung eingenistet haben, und die das Ziel verfolgen, die Revolutionäre in den Sumpf des modernen Revisionismus zu zerren.“ (23)
Das Zerstörungsritual, das die exemplarische Bestrafung der „üblen Karrieristen und Opportunisten“ (24) verlangte, legte den Verdacht nahe, dass das neue ZK seine Machtstrukturen noch rigoroser ausnutze als vorher. Aber sie enthüllten auch die Hilflosigkeit dieser blindwütigen Prozesse, die an die Stelle der politischen Erfolge getreten waren. Wie sehr „Ruhe und Ordnung“ kurz nach der Arbeitsaufnahme des neuen ZK gefährdet waren, zeigte der Artikel über die „Einheit aller Marxisten-Leninisten“, der den gesamten Druck, der seit dem a. o. PT aufgebaut worden war, an jene Mitglieder der „Bolschewistischen Linie“ aus NRW weiter gab, die dem sog. Modernisierungsgerede keinen Glauben schenken wollten und infrage stellten, dass das ZK die einzige Partei sei, die „einzige legitime Fortsetzung der alten KPD/ML (RM) ist“. (25)
Die Kooperation jener Genossen mit dem ZB der KPD/ML brachte ihnen jedoch außer den bekannten allgemeinen Postulaten nicht viel; denn das schon angeschlagene ZB konnte sie zwar in die Parteiarbeit integrieren, interessierte sich aber nicht wirklich für sie. Ihr aufbrechender Protest gegen das ZK war zudem privilegiert; denn sie waren ehemals in der KPD/ML-ZK mit Leitungsaufgaben betraut gewesen und fanden sich nun in der Rolle von „normalen Parteiarbeitern“ kaum zurecht. Daher mündete ihr Protest eher in sog. Regelverletzungen ein, die das ZK begangen hätte. Seine „Abweichungen“ vom Marxismus-Leninismus kulminierten in dumpfen Vorwürfen über die „Cliquen der bürgerlichen Subjekte, die unter Ausnutzung der Fehler der alten KPD/ML (RM) ihr liquidatorisches Kapitulantentum“ verbreitet hätten. (26)
Mit diesen Vorwürfen schwelte das alte Konfliktpotential weiter; denn die Stellungnahme war nichts anderes als eine defensive Hilfsmaßnahme, die die „bürgerliche Linie der Plattform des ZK der KPD/ML“ zum Anlass nahm, ihre politische Konfiguration auf das ZB zu übertragen, um nun die Spaltung aus dem Frühjahr 1970 erneut zu überprüfen, „um (damit) den Weg zu einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei freizumachen“. (27)
Diese kurzlebige Parallelität führt vor Augen, dass alle brauchbaren Ansätze der KPD/ML-ZK für eine Fusion mit Teilen der KPD/ML-ZB ausreichten. Die Verfechter des Status quo der Gründung der KPD/ML, die aus der „Protestpartei“, die am Anfang stand, eine Gruppe mit zunehmender Ratlosigkeit machte, verrieten auf ihren politischen Volksfesten eher ihre Peinlichkeiten und waren vielleicht nichts anderes als „Bewegungs-Publizisten“, die die bestehenden Verhältnisse in ihren Publikationen allenfalls auffächerten, um sie dann jeweils vor Beginn einer neuen Session (sprich: Hauptschwerpunkt) mit radikalliberaler Oppositionshaltung an den Arbeitsmann zu bringen.
Der a. o. PT der KPD/ML-ZK ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Gruppe, die sich stets in sozialrevolutionären Tönen ergoss, nur notdürftig zusammengekittet war. Die liberale Renaissance aus dem November brachte als allgemeine Erkenntnis hervor, dass die wesentliche Schwäche dieser Protestbewegung darin bestand, ihren Weg in die Politik als Gegenentwurf zur Bürgerlichkeit der bestehenden Parteien in der BRD zu betrachten. Insofern waren diese Gruppen nur ein konkurrierendes Element, das im Schatten dieser nur halbierte Triumphe feierte. Eine Alternative zu den Parteien in der BRD war nicht realisierbar. Als selbständige Formation liquidierte sie sich schon sehr früh selbst. Womöglich war eine wichtige Zäsur dafür der a. o. PT der KPD/ML-ZK.
Zuerst war es wohl die KPD/ML-ZB, die über den Parteitag berichtete. In der „Roten Fahne“ und im „KND“ gab sie bekannt, dass die KPD/ML-ZK „organisatorisch zerfallen“ sei. Zum Parteitag selbst führte sie aus: „Auf dem derzeit stattfindenden dritten Parteitag haben sich die antagonistischen Widersprüche bis zur offenen Spaltung zugespitzt. Der Kampf wurde begonnen mit der Ablehnung der revisionistischen Zwei-Wege-Theorie durch die überwiegende Mehrheit der Delegierten der Gruppe Roter Morgen. Offenkundig hält eine Minderheit weiterhin an dieser absurden und von uns zurückgewiesenen Theorie fest. Der Kampf entzündete sich ferner an der Frage des Parteiaufbaus. Hier gab es zwei entgegengesetzte Pole. Auf der einen Seite offene Liquidatoren, die den Roten Morgen zum theoretischen Diskussionsorgan, zu einem Forum mehrerer Zirkel zur Führung des ideologischen Kampfes machen wollten. Diese Liquidatoren kehren nun nach der Spaltung zum Zirkelkampf zurück und hoffen, dass sich die richtige Linie in der Auseinandersetzung zwischen theoretischen Organen einzelner Ortsgruppen durchsetzen wird.
Die Erklärung des 'Exekutivkomitees' berichtet, die zweite Fraktion habe die richtige Auffassung von der Rolle des Zentralorgans der Partei verteidigt. Sie habe, so heißt es, die Rückkehr zum Zirkelkampf entschieden zurückgewiesen, den demokratischen Zentralismus und die Prinzipien des ideologischen Kampfes innerhalb der Partei verteidigt. Diese Fraktion habe jetzt das 'Exekutivkomitee' geschaffen. Zwischen diesen beiden Polen sind noch weitere Ansichten und Linien aufgetreten. Der Zerfall der Gruppe Roter Morgen ist eine ganz notwendige und konsequente Folge ihrer ideologischen Grundlage, der 'Plattform des ZK' vom Frühjahr 1970 (Schwerpunkt in der Theorie). Auf einer solchen Grundlage mussten sich die auseinanderstrebenden Kräfte mehr und mehr verstärken. So kommt es, dass innerhalb der Gruppe Roter Morgen bzw. zwischen ihren verschiedenen Fraktionen heute ein Kampf um die Frage des Parteiaufbaus geführt wird, wie er in seinem Kern bereits vor etwa 2 Jahren von der KPD/ML gegen die liquidatorische Linie des 'ZK' geführt worden ist. Die Gruppe Roter Morgen ist in der Frage des Parteiaufbaus keinen einzigen Schritt seit damals weitergekommen und hat sich damit selbst einer festen ideologischen und organisatorischen Grundlage beraubt …“ (28)
Der Maßstab zur Beurteilung des Parteitags fehlte voll und ganz. Das ZB diskreditierte mit populistischem Radikalismus die Schwachstellen des ZK. Der Zerfall der Gruppe sei „eine ganz notwendige und konsequente Folge ihrer ideologischen Grundlage, der 'Plattform des ZK' vom Frühjahr 1970“ gewesen, mutmaßte das ZB. Mit spitzfindigen Wortgefechten, die auf die Spitze getrieben worden waren, wurde rückblickend die Abwendung vom ZK für die Parteigenossen nochmals zur Pflicht gemacht. Anstatt dass eine fundierte Kritik glaubwürdig vorgetragen wurde, feierte, wie meistens, hier die blutleere Begriffsrabulistik einen Triumpf nach dem anderen.
Dem theoretischen Aktivismus aus den Spaltungszeiten, begegnete das ZB mit dem Hinweis auf die „liquidatorische Linie des ZK“. Diese Kritik, die sich an einer abstrakten Polemik labte, könnte sogar als Gesinnungskontrolle bezeichnet werden; denn die Debatte, etwa um den Parteiaufbau, blickte mit Bitterkeit und Empörung auf die selbstgestellten Fallen. Das ausgelöste Scheitern des ZK lag mit e. E. nicht in verfehlten intellektuellen Erwartungen begründet, sondern wohl vor allem in einem volkstümlichen Radikalismus, der seit der 1968ger Bewegung eingeschlummert war. Das war die Sonderstellung der KPD/ML die, im Gegensatz zu vielen anderen Gruppen, als erste den Erlösungsglauben an die Weltrevolution im eklektischen Stil aus der Ahnengalerie des Marxismus zusammenfügte. Das eher verwirrende Konglomerat aus wilden Ideen, fand ihre kleine Gemeinde in Gesellschaftskritikern, die nicht unbedingt Marxisten-Leninisten waren, aber sich dadurch charakterisieren ließen, dass sie mit dem Aufgreifen von sozialistischen bzw. frühsozialistischen Ideen der noblen Idee, gleichwohl auch Utopie, der gerechten, emanzipierten und freien Gesellschaft aller Bürger zum Sieg verhelfen wollten.
Folgenreicher zugespitzt: Die Gralshüter der Weltrevolution sahen in einem möglichen Untergang der KPD/ML auf dem a. o. PT ihr transzendentes Ziel in Frage gestellt. So war der Artikel des Exekutivkomitees „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“, eine Art umgekehrtes Erweckungserlebnis, ein befreiendes Schlüsselerlebnis; denn einfach Weitermachen hieß die Devise und zwar ohne die „Liquidatoren“. Mit kritischem Räsonieren wollte sich niemand begnügen, auch das ZB nicht, das die fehlenden „Grundlagen“ des ZK wie empirische Beweisstücke in ihre Propaganda einbaute, um zu verdeutlichen, dass die Haupthelden des ML in der korrekten KPD/ML, dem ZB saßen.
Es ist schwer zu entscheiden, letztlich aber auch eine müßige Frage, was das Blendwerk des ZB eigentlich hervorbrachte? Seine Defensivideologie, mit dem unvermeidlichen „immer den Marxismus-Leninismus wählen“, ließ erkennen, dass die starren Positionen nicht aufgegeben würden. Mit Zirkelschlüssen konnte es ebenso wenig anfangen, wie mit den aufgeworfenen Fragen der verschiedenen Gruppen auf dem a. o. PT Der „Zirkelkampf“, der nun entstehen sollte, wollte nicht als Lehre oder Möglichkeit begriffen werden, mit der bisherigen politischen Romantik aufzuräumen. Das betraf das ZK ebenso wie das ZB. Das „Liquidatorentum“, das als Grundtendenz des Marxismus-Leninismus faktisch alle Abweichungen auf sich vereinigen konnte, war in epigrammatischer Kürze nichts anderes als: Wo etwas zerfällt oder zerrüttet wird, da entsteht die Tradition neu. Alle Fraktionen wollten oder konnten nicht begreifen, dass sie sich in einem kollektiven Romantikerkreis befanden, der seine Begründungsmuster und Denkfiguren, die als ideelle Stereotypen frei kursierten, aus den Grundüberzeugungen jener Lehre ableitete, die dem Anspruch nach, mutig ausgesprochen, als wissenschaftliche Maxime (wissenschaftlicher Sozialismus plus Ökonomie) in ihre Agitation und Propaganda einfloss. Die (nützliche) Scharnierfunktion, die der Marxismus als Erbe hinterließ, sollte gerade nicht als Möglichkeit begriffen werden, die Vielzahl von Anstößen, die er hinterlassen hatte, als Erneuerungsanstrengungen zu begreifen. Es hatte eher den Anschein, dass so der Maoismus zu einer neuen Erweckungsbewegung wurde, der den liturgisch-politischen Kanon der Altvorderen einfach benutzte. Damit blieb er vom wirklichen marxistischen Denken weit entfernt. Und blieb isoliert.
Am 6. Dezember 1971 gaben einige Genossen aus dem KJ-Inform bekannt, dass sie sich der KPD/ML-ZK unterstellen. KPD/ML-ZB und KJVD müssten „völlig zerschlagen werden“. Die sog. „KJ-Inform-Fraktion“ machte geltend, „dass die KPD/ML (in der MTR, d. Vf.) die Verletzung des marxistisch-leninistischen Leitsatzes, dass das Volk und nur das Volk die Triebkraft ist, die die Weltgeschichte macht“, betrieben habe. Die ganze Linie der Partei sei von Anfang an „trotzkistisch und von Anfang an revisionistisch“ gewesen. KPD/ML und KJVD sind „von Anfang an Spalterorganisationen. An der Spitze dieser Spalterorganisation steht ein bewusster Agent der Bourgeoisie … Wir haben anderthalb Jahre für die Konterrevolution gearbeitet. Wir müssen das ZB bekämpfen, es maximal isolieren und dabei fraktionistische Methoden anwenden …“ (29)
Die Alternative für die Genossen war seinerzeit die KPD/ML-ZK, die „die überzeugten Genossen (der KPD/ML-ZB, d. Vf.) in einer neuen Gruppe sammeln wollten“. Interessant war, dass der „Rundbrief“, mit dem sich die Genossen der KPD/ML-ZK unterstellt hatten, mit keinem Wort den a. o. PT erwähnte. Und auch nicht zu den dort debattierten Fragen Stellung bezog. Offensichtlich hatte er in der KPD/ML-ZB zwar Verunsicherung ausgelöst, doch das Urteil war hinsichtlich der „Mutter aller Parteien“ unumstößlich gewesen. Das ZB sei eine „Spalterorganisation“ gewesen und man müssen nun „fraktionistische Methoden“ anwenden.
Zu tatsächlichen ideologischen und parteipolitischen Differenzierungen, außer dem Hinweis, dass das ZB in der MTR nicht auf die Massen vertraut hätte, nahm die Fraktion keinerlei Stellung, was an die politische Ohnmacht des ZK in seinem Aufruf „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ erinnerte. Die verschnörkelte Polemik, die nach dem Text zu urteilen, mit dem pathetischen Zorn des Gerechten formuliert worden war, war von der Hoffnung getragen, die Vorreiterrolle des ZK nach dem a. o. PT wieder einzuführen. Doch der gesamte Zustand der KPD/ML wurde künstlich im Zustand der Latenz gehalten. Dass erst einige Monate die dahinvegetierende KPD/ML-ZB weitere Verluste hinnehmen musste, und die Aust-Partei sich rühmen konnte, mit diesen Genossen auch einen Teil des geistigen Produkts des ZB „eingekauft“ zu haben, warf einen deutlichen Blick auf die neubefestige ZK-Herrschaft nach dem Parteitag.
Meiner Erinnerung nach war der a. o. PT nicht das Gespräch in der ZB-Organisation schlechthin. Es ging immer noch um die MTR bzw. deren Ende. Und auch die Stoßrichtung galt zu dieser Zeit weiter „den Verrätereien der SPD-Regierung“. Mir selbst sind erste Ergebnisse des Parteitags durch die BL der KPD/ML -ZK Dortmund bekannt gemacht worden, später dann über die „Wortprotokolle“ des Parteitags, auf die in diesem Beitrag leider nicht näher eingegangen werden konnte. Das ZB hatte den Übertritt der Dortmunder stets als großen Sieg gefeiert. Doch er war letztlich nichts anderes als ein Pyrrhussieg; denn alsbald sollte sich ein Teil der BL wieder vom ZB lossagen. Doch zunächst wurde der Sieg der BL über das ZK in der „Roten Fahne“ bekannt gemacht.
Am 7. Februar 1972 erschien die Nr. 3 der „Roten Fahne“ zwar mit dem Leitartikel „Ein neuer Schritt zum Faschismus. Brandt will Staatsapparat säubern“, doch das Hauptaugenmerk wurde in dieser Ausgabe auf die Einheit der Marxisten-Leninisten gelegt. Veröffentlicht wurde der „Offene Brief an die KPD/ML (Roter Morgen) und die KPD/ML (Rote Fahne).“ Dies geschah natürlich nicht ohne Hintergedanken. Einleitend wurde die traditionelle Nahrungsstelle bemüht, in der es darum ging, die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ als unabdingbare Aufgabe für die westdeutsche Revolution einzufordern. Trotz der reorganisierenden Forderung herrschte im Grunde völlige Hilflosigkeit; denn die angedachte Mobilisierung der Marxisten-Leninisten blieb, außer der BL, generell aus. Deshalb hatte dieser Zustrom eine besondere Bedeutung. Er kam einem kraftvollen Auftrieb für das ideologische Gerüst des ZB relativ nahe, das seit den Gründungstagen die Konstituierung des ZB bestimmt hatte.
Die Artikel „Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf“ (Januar/Februar Ausgabe 1970 des „Roten Morgen“) und „Plattform des ZK“ (März/April Ausgabe 1970) wurden faktisch von der BL verworfen. Weil die „Hegemonie des Proletariats“ dort verneint worden war und auf die „korrekte Anwendung der Massenlinie“ verzichtet wurde, hätte es eine „Clique bürgerlicher Subjekte … unter Ausnutzung der Fehler der alten KPD/ML (RM)“ auf dem a. o. PT leicht gehabt, „ihr liquidatorisches Kapitulantentum zu verbreiteten“ und einen „spalterischen Akt zu Wege zu bringen“. (30)
Diese Ideenwelt, die die diametral entgegengesetzten Ansichten aus der Frühphase des ZB verwarf, entwickelte ihre eigene Dynamik und mischte auf eklektische Weise den Klassenkampfparolismus der „Roten Fahne“ mit der angedachten falschen Politik des „Roten Morgen“ in den „Frage der Massenlinie“. Damit bekam auch die Spaltung aus dem Frühjahr 1970 ein bemerkenswertes neues Gesicht. Die „Politik der Spaltung“ könne auf einer „falschen Linie der Plattform“ nicht mehr weiter fortgeführt werden. Die Spaltung sei daher „erneut zu überprüfen, um den Weg zu einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei freizumachen“. (31)
Das war die eigentliche Philosophie, geradezu mit einem rührenden Enthusiasmus vorgetragen. Das ZB dachte gar nicht daran, die Spaltung „zu überprüfen“. Was hätte das auch für einen Sinn gemacht? Die Grundlage der ZB-Organisation war nun mal der Bruch. Und dieser wurde dezidiert verteidigt. Die angedachte „offene und solidarische Diskussion über die Grundfragen der westdeutschen Revolution“, war dementsprechend nichts anderes als herrische Arroganz, die ihre Schatten schon lange weit vor sich her geworfen hatte. Dass die Eruption der KPD/ML-ZK in der dumpfen Schwüle der Gewitter keine elektrisierende Konflikte eröffnete, wusste wohl auch die BL. Die bevorstehende Bewegung zum ZB hin, war daher schon früh eine der letzten Ausläufer der Debatte um die „Einheit der Marxisten-Leninisten“. Allerdings nahm deren politische Legitimationskrise noch einmal einen rasanten Aufschwung; denn am 8. Oktober 1977 schlossen sich KBW, KPD/ML und KPD in einer Aktionseinheit gegen ein drohendes Verbot in Bonn zusammen und demonstrierten gemeinsam. Das Geflecht, das sich hier versammelte, sollte sich nie wieder begegnen.
Zum „Offenen Brief“ meinte das ZB einleitend: „Es lebe die Einheit der Marxisten-Leninisten! Nun gibt es aber verschiedene starke Kräfte in der marxistisch-leninistischen Bewegung, die die Intelligenz als die revolutionäre Kraft betrachten und meinen, sie müsste die Führung in der westdeutschen Revolution übernehmen … Die überwiegende Mehrheit der KPD/ML (Roter Morgen) hat die Partei überhaupt aufgegeben und will in die Studierstube zurückkehren, um einen Plan des Aufbaus der Partei, das Programm und die Linie einer marxistisch-leninistischen Partei zu entwickeln. Die Gruppe ist in sich wieder in mehrere Teile gespalten. Um den Genossen Ernst Aust hat sich außer dem gesamten technischen Apparat der KPD/ML (Roter Morgen) nur noch Bayern und ein Teil des Westberliner Landesverbandes der KPD/ML (Roter Morgen) gesammelt.
Diese Gruppe ist der Ansicht, dass zwar verschiedene Fehler in der Politik der KPD/ML (Roter Morgen) gemacht worden sind, dass es aber keinen Anlass dazu gibt, etwa die Grundlagen der Spaltung der KPD/ML Anfang 1970 zu überprüfen und Selbstkritik zu üben. Genauso wie die erste Gruppe hat die KPD/ML (Roter Morgen) um Ernst Aust keine politischen Grundlagen, keinerlei Antwort auf die Grundlagen der westdeutschen Revolution. Die Theorie vom friedlichen und vom imperialistischen Weg, von den zwei Wegen des westdeutschen Imperialismus, ist nun fallengelassen worden. Die dritte Gruppe ist der Ansicht, dass heute die bolschewistische Partei notwendig ist und dass es keinerlei Anlass dafür gibt, ins Zirkelwesen zurückzukehren. Sie ist der Ansicht, dass es sowohl den Marxismus-Leninismus, als auch die Arbeiterklasse und eine kommunistische Bewegung gibt. Die Schaffung einer einheitlichen KPD/ML scheint ihr nicht nur notwendig, sondern auch möglich. Sie hat sich deshalb an unsere Partei, die bolschewistischen Genossen in der ehemaligen KPD/ML (Roter Morgen) und an die heutige KPD/ML (Roter Morgen) um Genossen Ernst Aust gewandt, um mit diesen Genossen und Organisationen eine offene und solidarische Diskussion über die Grundfragen der westdeutschen Revolution zu beginnen ... Die KPD/ML muss alle Anstrengungen unternehmen, auf einer prinzipiellen Basis zur Einheit der Marxisten-Leninisten in Westdeutschland zu kommen.“ (32)
Die heiß umkämpfte Problematik der Spaltung der KPD/ML, war, wie schon angemerkt, von zentraler Bedeutung. Sie war der Transformationsprozess schlechthin und hatte genügend Erklärungskraft herausgebildet, um den „Sonderweg“ des ZB ohne Selbstkritik am Leben zu erhalten. Das ZB versuchte mit geheimnisvoller Motorik, durch die Verbindung mit verschiedenen Erklärungsansätzen, seinen dauerhaften Antagonismus zu begründen. Ernst Aust habe „keine politischen Grundlagen, keinerlei Antwort auf die Grundlagen der westdeutschen Revolution“. Natürlich hatte das ZB diese auch nicht. Auf lange Sicht gelang es ihm aber, die weltgeschichtlich historische Mission über die „bolschewistische Partei“ als unentrinnbares Ganzes gegenüber allen Angriffen auf ihre Linie zu verteidigen.
Die denkbar vagen Verweise auf die „Zwei Wege“ Theorie des westdeutschen Imperialismus, die das ZK als analytische Errungenschaft verteidigt hatte, bewegten sich in der Erklärung des ZB auf unsicherem Boden. Damit sollte dem ZK ganz und gar der Stempel des unseriösen aufgedrückt werden. In diesem Zusammenhang kokettierte das ZB offenbar mir der tiefen Zäsur der KPD/ML-ZK. Durch die Betonung, dass es kein „Zurück zum Zirkelwesen“ gibt, verbreitete es durchaus den Irrtum von einer stabilen ML-Bewegung. Dabei war das ZB ja nichts selbst nichts anderes als ein Zirkel unter vielen. Die irreführende Vorstellung von der Überlegenheit der KPD/ML-ZB gegenüber allen anderen Gruppen, die in diesen und ähnlichen Statements immer wieder mitschwang, war typisch für diesen Zeithorizont, der den „Großen Sprung“ niemals unter Beweis stellen konnte.
Kehrt man noch einmal zu der Ausgangsfrage, der Spaltung der KPD/ML, zurück, so ruft sie in Erinnerung, dass sie von beiden Gruppen nur notdürftig erklärt worden waren. Während das ZK die „Normverletzung“ durch das ZB nicht hinnehmen wollte und seine Wortführer teils offen, teils verdeckt angriff, berief sich das ZB im Stile eines konservativen Verschwörungsbundes auf Traditionsmuster, denen zufolge die programmatischen Hoffnungen auf jenen revolutionären Kräften lagen, die die revolutionsfördernden Prozesse beschleunigen könnten. Womöglich allein aus diesem Grunde heraus, gelangte dem ZB mit seiner „Linie zur Sozialdemokratie“, die als Versatzstück im embryonalen Prozess begann um dann in einer demographischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Dynamik riesigen Ausmaßes, die weit über alle Ansätze des ZK hinausgehen sollte, aufzugehen. Diese politische Linie war das konstitutive Element der Revolutionserwartungen des ZB, sozialgeschichtlich betrachtet, eigentlich ein atemberaubendes Phänomen mit nachhaltigen Effekten über den Zeitraum 1973 hinaus.
Im „Offenen Brief“ der BL, der nicht im „Roten Morgen“ erschien, aber in der „Roten Fahne“ 3/1972, hieß es: „Der erste außerordentliche Parteitag der alten KPD/ML (Roter Morgen) hat mit seiner Mehrheit die Partei aufgelöst. Eine Clique bürgerlicher Subjekte, die unter Ausnutzung der Fehler der alten KPD/ML (RM) ihr liquidatorisches Kapitulantentum verbreiteten, ist es gelungen, diesen spalterischen Akt zu Wege zu bringen. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Anschauungen lässt sich folgender Grundzug des Liquidatorentums feststellen: Verneinung der Hegemonie des Proletariats, was seinen Ausdruck darin findet, dass sie der Ansicht sind, dass die Intellektuellen die Führung innehaben müssen, weil sie angeblich über das Wissen unserer Zeit verfügen. In metaphysischer Weise erklären sie, dass die Gründung der KPD/ML spontaneistisch und damit bürgerlich gewesen sei, dass also die KPD/ML nur ihrer Erscheinungsform nach proletarisch, ihrem Wesen nach bürgerlich gewesen sei. Während sie der alten KPD/ML (RM) die Ehre zubilligen, nur 100 Prozent revisionistisch gewesen zu sein, steigern sie sich bei der Einschätzung der KPD/ML (Rote Fahne) in die absurde Behauptung, sie sei '200 Prozent revisionistisch'.
Die liquidatorischen Kapitulanten meinen, dass es erforderlich sei, einen Plan anzufertigen, der unter Umgehung des Erkenntnisprozesses (die richtigen Ideen kommen aus der gesellschaftlichen Praxis) alle Einzelheiten des Parteiaufbaus bereits beinhalten soll. Sie steigern sich in die idealistische Behauptung, dass die Ideen den Vorrang vor der Materie haben (so erklärte es sogar offen ein Hauptvertreter der Liquidatoren in Nordrhein-Westfalen, der ehemalige KSB/ML-Landesverantwortliche) … Nachdem es 1970 in der KPD/ML zur ersten Spaltung kam, ist das nun die zweite Spaltung, deren verheerende Wirkung die Auflösung der Partei war. In unserem Landesverband befinden sich die Vertreter der bolschewistischen Linie in der ehemaligen Partei und ihren Massenorganisationen in der Minderheit. Das ist die Folge der schlechten sozialen Zusammensetzung in der Partei sowie das Ergebnis der falschen Politik ihrer Leitungen. Außerhalb von NRW hat sich ebenfalls das Liquidatorentum durchgesetzt. Die Landesverbände Wasserkante und Bayern verließen den Parteitag schon auf einer zweiten Sitzung und traten damit aus der Partei aus. Anschließend führten sie einen eigenen Parteitag durch, auf dem sie sich neu konstituierten.
Durch ihren Auszug verzichteten sie darauf, den Kampf gegen das die Liquidatorentum offensiv zu führen, und indem sie an den alten Fehlern festhielten, verzichteten sie darauf, gemeinsam mit uns und anderen Genossen in anderen Landesverbänden das Liquidatorentum zu schlagen. Objektiv sind sie damit falsch vorgegangen, einige sogar subjektiv. Die heutige KPD/ML (RM) kann damit ebenfalls nicht den Anspruch erheben, dass sie die legitime Fortsetzung der alten KPD/ML (RM) ist, denn weder ihre Verfügungsgewalt über das Zentralorgan noch über die Finanzen der Partei berechtigt sie zu diesem Anspruch. Zugleich jedoch halten sie offensichtlich an den alten Fehlern fest. Der grundsätzliche Fehler der alten KPD/ML (RM) war, dass auch sie seit dem Roten-Morgen-Artikel 'Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf' und der Plattform des ZK faktisch die Hegemonie des Proletariats verneinte und damit zusammenhängend auf die korrekte Anwendung der Massenlinie verzichtete.
Davon abgeleitet ergaben sich weitere Fehler wie z. B. Trennung von Theorie und Praxis, Dekretierstil der Leitungen, Kommandoallüren leitender Funktionäre, Unterdrückung des ideologischen Kampfes und Verzicht auf das Prinzip Kritik-Selbstkritik, das zum formalen Ritus erstarrte ... Ihren ersten Niederschlag fand diese falsche Politik in der Behauptung, dass die KPD/ML die Vereinigung von Kommunisten aus der alten KPD mit Intellgenzlern aus der '2. Juni-Bewegung' darstellte, zu der die Studentenbewegung hochgejubelt wurde. Später, unter dem Einfluss von liquidatorischen Elementen in Westberlin, die zeitweise die Redaktion des Roten Morgen usurpiert hatten, wurde diese falsche Einschätzung programmatisch festgelegt, indem sie davon ausgingen, dass das der materielle Ausdruck der Vereinigung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung sei. Die Intelligenzler seien der Kopf, der denke, und die Arbeiter seien das Herz, das also vom Kopf gesteuert wird ...
Damit setzten sich die Verfasser des Artikels 'Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf' in klaren Widerspruch zum Marxismus-Leninismus. Die Partei war für sie nicht mehr die die proletarische Partei, sondern die der Intelligenzler. Ihnen gehörte also die Führung. Die Kritik der späteren Gründer der KPD/ML (RF) wurde zurückgewiesen, ohne auf deren Argumente wirklich einzugehen ... In der Plattform wurde weiter festgelegt, dass Kommissionen gebildet werden, die 'zur Analyse des heutigen Imperialismus und seiner Klassenverhältnisse ...' bestimmt waren. Komitees sollten gebildet werden, die 'als Organe der Verbindung zu Massenagitation- und Propaganda' bestimmt waren. Diese Komitees sollten Handlangerdienste der Kommissionen erfüllen, indem ihre Aufgabe die 'Untersuchung an Ort und Stelle einerseits sowie der theoretischen Analyse des heutigen Imperialismus und seiner Klassenverhältnisse in den Kommissionen andererseits' war. Die Rote Garde wurde zum Theoriezirkel degradiert, der von der Partei bevormundet werden sollte. Ergebnis: Liquidation des größten Teils der Roten Garde und Unterdrückung des ideologischen Kampfes in Partei und Massenorganisationen ... Ergebnis: Zwei-Wege-Theorie, Theorie vom kleinbürgerlichen Konkurrenzdenken. Die Komitees wurden gar nicht erst gebildet, weil sich die Unmöglichkeit ihrer Aufgabenstellung klar zeigte, ohne dass jedoch die Plattform daraufhin überprüft wurde.
Als einziges Komitee wurde das 'Zentrale Betriebs- und Gewerkschaftskomitee' (ZBGK, d. Vf.) gebildet (mit den entsprechenden Ablegern in den Landesverbänden), losgelöst von der Theorie und damit theorielos. Ergebnis: Handwerkelei, schließlich Ökonomismus. Da aber Theorie und Praxis nicht zu trennen ist, 'setzte sich die Dialektik spontan durch' in Form einer Anwendung der Zwei-Wege-Theorie auf die Gewerkschaftsfrage (SPD/DGB-Block), was zur Folge hatte, das wir die eigenen Interessen des DGB-Apparates über seine Agentenfunktion für die Bourgeoisie stellten. Deutlichster Ausdruck: Kampf gegen Bonzendiktatur in der ZÜNDKERZE (Opel Bochum). Die Gründer der KPD/ML (RF) nützten nicht alle Möglichkeiten des ideologischen Kampfes in der Partei und gingen fraktionistisch vor.
Sie gerieten unter den Einfluss des Rechtsopportunisten W. D. und des Provokateurs P.W. Beide jedoch wurden noch 1970 aus der KPD/ML (RF) hinaus gesäubert. Die endgültige Einschätzung der Rolle des Genossen GG muss das Ergebnis einer Auseinandersetzung sein. Zwar hat die KPD/ML (RF) viele Fehler gemacht, aber für uns gilt zumindest das gleiche. Wir müssen davon ausgehen, dass es keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die KPD/ML (RF) eine 'durch und durch revisionistische Organisation ist' ... Die Verfechter der bolschewistischen Linie der ehemaligen KPD/ML (RM), sind deshalb der Ansicht, dass die Spaltung 1970 hauptsächlich durch die falsche Politik in Fragen der Massenlinie hervorgerufen wurde, während solche Leute wie W. D. und P. W ... spalterisch diese Linie ausnützten, um ihre karrieristischen Ziele zu verwirklichen.
Ihr Hinaussäubern aus der KPD/ML ist ein Indiz dafür, dass die KPD/ML (RF) den Karrierismus dieser Herren durchschaut hat. Wir meinen, dass es unverantwortlich ist, die Politik der Spaltung auf der Grundlage der falschen Linie der Plattform weiter fortzuführen. Wir wenden uns deshalb an die bolschewistischen Überreste der ehemaligen KPD/ML (RM) und an die KPD/ML (RF), die Spaltung erneut zu überprüfen, um den Weg zu einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei freizumachen. Diese Einsicht ist nur möglich, wenn alle die bürgerliche Linie der Plattform aufs Schärfste bekämpfen, um auf dem Boden des Marxismus-Leninismus den Kampf für die proletarische Revolution zu führen. Diese Einheit kann nicht von heute auf morgen erreicht werden, sondern ihr muss ein ideologischer Kampf vorausgehen, der vom Ziel beseelt sein muss, die bolschewistische Partei zu schaffen ... Wir wenden uns deshalb an die bolschewistischen Vertreter der alten KPD/ML (RM), die heutige KPD/ML (RM) und die KPD/ML (RF) als die brauchbarsten Ansätze einer solchen KP und laden sie ein, Gespräche über die oben genannten Fragen zu führen. Wir erklären uns bereit, die organisatorische Durchführung zu übernehmen. Ferner erwarten wir, dass sowohl die heutige KPD/ML (RM), als auch die KPD/ML (RF) diesen Offenen Brief in ihren Zentralorganen abdrucken und uns eine Stellungnahme zu unseren Ansichten und Vorstellungen zukommen lassen.“ (33)
Am auffälligsten las sich hier die Kritik am langlebigen Dauerproblem der Spaltungsgründe. Teilweise bekam man den Eindruck, als ob der „Offene Brief“ eine Loyalitätserklärung an die KPD/ML-ZB war, die „brauchbare Ansätze“ hätte und sich nur (!) durch eine „falsche Politik in Fragen der Massenlinie“ ins Abseits gestellt habe. Nun könnte gemutmaßt werden, dass die BL den Schritt zum ZB nur aus Gründen der kurzfristigen Ursachenforschung der Spaltung der KPD/ML-ZK auf dem a. o. PT gewagt hatte. Vieles spricht dafür; denn die wohlweisenden Ratschläge kontrastierten nur das vibrierende Krisengefühl beider Gruppen und ihren unüberwindlichen Optimismus, der gleichwohl mit pessimistischen Untertönen gefärbt war.
Für die BL war, trotz aller Kritiken, die KPD/ML die Alternative. Jetzt gehe es um den „ideologischer Kampf … der vom Ziel beseelt sein muss, die bolschewistische Partei zu schaffen“. Hier sprach die BL dann auch ihre Kritik am bisherigen Standesdünkel des ZK aus- die KPD/ML bestehe noch gar nicht. Sie müsse erst geschaffen werden. Als Zeitdiagnose lag die BL damit im Trend der Zirkel. Insofern war sie ein kluger Beobachter, der die Stimmung erfasst hatte, was nicht heißt, dass die BL auf Wühlereien verzichtete. Ihre Schlagworte, aber auch die Tatsache missliebige Meinungen, wie bisher, zu diffamieren, waren überspannt und aufsässig. Die mit allen Intrigen vertrauten Mitglieder der BL, standen sicherlich den „Parteifeinden“, die sie in ihrem „Offenen Brief“ genannt hatten, in nichts nach. Auch das war ein Trend der Zeit, und sicher auch keine wohlgemeinte Hilfsmaßnahme an die Adresse des ZB. Wichtig erscheint die Tatsache, dass der manipulative Gebrauch der Anwürfe an alle Gegner nach diskriminierenden Methoden gestrickt war. Das vibrierende Krisengefühl des a. o. PT mag sich in diesen ausgedrückt haben.
Angesichts der Vielzahl der inneren Krisenherde der KPD/ML, ist es außerordentlich schwierig, einen Komplex wie die BL und deren Einfluss auf die weitere Entwicklung der KPD/ML, korrekt zu beurteilen. Unter Vorbehalt kann man jedoch sicherlich sagen, dass die BL argumentativ-plausibel ihre deprimierenden Enttäuschungen mit dem ZK als eine der wenigen Gruppen 1972 verarbeitet hatte. Sie beschleunigte sicherlich nicht den Niedergang der KPD/ML, aber sie trug mit dazu bei, dass sie die Presseknebelung und die Zensur durch das ZK nicht mittrug. Ihre, an das ZB gerichtete Erwartungen lösten sich schnell wieder auf. Vermutlich auch deshalb, weil sie die Krisenprobleme des ZB als Outsider nicht unbedingt wahrnehmen konnte. Zudem überlagerten sich fast politischen Fragen die das ZB auf den Prüfstand stellte mit dem ZK, auch jene, die im Verlaufe des Jahres 1972 eine unaufhaltsam Kraft geworden waren und sich im heraufziehenden Chaos niederschlugen.
Die Vertrauenskrise, die aus dem ZK rüber schwappte, sollte mit einer allgemeinen Legitimationskrise des ZB zusammenfließen. Die düstere Realität des politischen Systems des ZB war weitgehend aufgezehrt. Insofern war es interessant, dass die BL zur Politik des ZB wenig sagte. Zumindest wagte es der „Offene Brief“ nicht, jene politische „Linie zur Sozialdemokratie“ (vom einfachen „Lohndiktat“ bis hin zur NAR und den Vorbereitungen eines „Krieg(s) gegen die DDR“) auch nur ansatzweise zu kritisieren. Das mag seinerzeit taktische Gründe gehabt haben, dennoch war sie für die BL im Hinblick auf ihren Standortwechsel wohl nicht von hinreichender Bedingung. Selbst der eigentliche Revisionismusvorwurf des ZK an die Adresse des ZB war den Verfassern des Briefs keine Zeile wert. Sie wehrten sich nur gegen die Behauptung, dass es „keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass die KPD/ML (RF) eine 'durch und durch revisionistische Organisation‘ sei.“ Jenes unübertreffliche Guthaben des ZB, an vielen SED-Komponenten partizipiert zu haben, und damit mit Rechtfertigungsprinzipien zu hantieren, war für die BL wenig interessant. Aber vielleicht hatte die Formulierung „durch und durch“ doch einen versteckten Hinweis auf revisionistische Schattierungen? So gesehen, hielt sich die BL auch eine Hintertür offen. Und spätestens mit der allgemeinen Legitimationskrise des ZB zum Jahresende 1972, flog der Funke ins offene Pulverfass. Damit war dann auch das Thema BL beendet. Einzelne Funktionäre der Gruppe waren zum Anfang des Jahres 1973 noch in verschiedenen Leitungsfunktionen des ZB tätig, etwa im Februar/März in der PLL der KPD/ML NRW, andere waren als OG Mitglieder aktiv, wieder andere gingen zur KPD/ML-ZK zurück, oder gründeten als Produkt des a. o. PT etwa die ML Duisburg mit.
In Dortmund selbst, wo ein erheblicher Teil der Mitglieder der BL aktiv waren, sollten sie sich nach ihrer Konstituierung als BL (im Februar 1972) noch einmal zum ZB äußern. Am 13.3.1972 erschien vermutlich die letzte Ausgabe der „Rotfront“ (Betriebszeitung der KPD/ML-ZK bei der Dortmunder Hoesch-Westfalenhütte) die allerdings von der BL herausgegeben worden war. (34)
U. a. wurde unter der Überschrift „Die Arbeiterklasse braucht eine einheitliche kommunistische Partei“ erklärt: „Die KPD/ML hat zwei Prinzipien des Marxismus-Leninismus aufgegeben: Die Massenlinie und die Hegemonie des Proletariats. Stattdessen hatte die Ideologie der Studentenbewegung Einzug in die Partei gehalten. Die Hauptaufgabe der Partei sei es, die Theorie zu schaffen. Theorie schaffen, damit war gemeint, dass die Intelligenzler nun die wichtigste Aufgabe bekommen sollten und die Arbeiter dann die Drecksarbeit ... So setzte sich immer mehr eine falsche Politik durch. Schließlich kamen einige sogar auf die Idee, dass die Partei sich nicht mehr an den Lohnkämpfen beteiligen dürfe, weil das konterrevolutionär sei ... Schon 1970 kam es aus diesen Gründen zur Spaltung der Partei. Es entstand noch eine Organisation mit Namen KPD/ML, die sich eben deshalb vom ZK lossagte, weil sie diesen falschen Standpunkt ablehnte. 1971 schließlich entwickelte sich die falsche Politik des ZK soweit fort, dass einige sogar die Partei abschaffen wollten. Auf dem Parteitag hatten sie die Mehrheit und lösten die Partei auf.“
Zur KPD/ML-ZB hieß es: „Was die KPD/ML betrifft, so verhält sie sich weitgehendst korrekt. Auch wenn sich die Gruppe Roter Morgen ebenfalls KPD/ML nennt, so trägt sie diesen Namen heute zu Unrecht. Es kommt darauf an, wer die korrekte Politik macht, und nicht wer die Führung beansprucht. Deshalb ist die KPD/ML (Rote Fahne) die korrekte Trägerin des Namens KPD/ML und nicht die Gruppe Roter Morgen, deshalb ist die Rote Fahne die Zeitung der Marxisten-Leninisten und nicht der Rote Morgen.“
Man habe sich auch deshalb der KPD/ML-ZB angeschlossen, weil sie in mehreren Punkten „der beste Ansatz für eine Kommunistische Partei“ sei. Aufgezählt wurden:
Zusammenfassend hieß es: „Wir haben lange genug die alten, falsche Politik der aufgelösten KPD/ML (Roter Morgen) mitgemacht, einige sogar in maßgeblichen Funktionen. Wir hatten die Fehler noch nicht richtig erkannt oder gingen von falschen Voraussetzungen an die Sache heran. Nun haben wir die wesentlichen Fehler erkannt und die Lehren daraus gezogen. Unsere Aufgabe besteht nun darin, dafür zu kämpfen, dass alle ehrlichen Genossen und Gruppen die ehrliche Kommunisten sind, sich in der KPD/ML organisieren, und vor allem, dass den Arbeitern klar gemacht wird, dass nun der ernsthafte Kampf für eine einheitliche, korrekte, in den Massen verankerte KP geführt wird.
Wir sind keine neue Partei, sondern wir haben eng begrenzte Aufgaben, nämlich die Notwendigkeit der Einheit der Marxisten-Leninisten zu propagieren ... Wir fordern deshalb alle Kollegen auf: Unterstützt die KPD/ML! Das könnt ihr vor allem tun, wenn ihr die Genossen der KPD/ML und ihre Zeitungen, sei es die Rote Fahne oder die Betriebszeitungen (wie z.B. bei Opel 'Die Presse', beim Bochumer Verein 'Die Walze' oder bei der Hoesch-Westfalenhütte 'Die Rote Westfalenwalze') kritisiert. Das ist die letzte von uns herausgegebene Rot Front. Unsere weitere Arbeit dient der KPD/ML.“ (35)
Dieser Text war gänzlich anders formuliert als der, der im „Offenen Brief“ zu lesen war. Eigentlich spielte es keine Rolle, an wen er gerichtet wurde. Entscheidend war, dass er eine eigentümliche Mischung von Scheitern und Erfolg bilanzierte. Zum einen fielen die die Aussagen über die „falsche Politik der aufgelösten KPD/ML (Roter Morgen)“ ins Auge, die eine der wichtigsten Meinungsträgergruppen auf der Dortmunder Westfalenhütte war. Die Mitglieder der jetzigen BL hätten „die Fehler noch nicht richtig erkannt oder gingen von falschen Voraussetzungen an die Sache heran“. Jetzt seien die Fehler korrigiert worden, und die Aufgabe sei es nun, die „KPD/ML zu unterstützen“. Die „Rotfront“ bot als Alternative die KPD/ML-ZB an, die „sich weitgehendst korrekt“ verhalten würde, was ihre „Massenlinie“ anbelange, die „Führung der Arbeiterklasse (auch organisatorisch, d. Vf.) und die Gewinnung der Fortgeschrittenen“.
Damit war sie nicht auf dem Laufenden. Gerade die „Massenlinie“ war es, die von verschiedenen Parteiorganisationen und Fraktionen des ZB kritisiert worden war. Allgemein kann gesagt werden, dass die Kritiken in einer sog. „Nachtrabpolitik“ gipfelten, der zufolge das ZB sich nur an Aktionen der Arbeiterklasse anhängen würde und keine selbsttragende Politik entwickeln würde. Das ZB selbst hatte sich immer wieder in die Parole geflüchtet „Auf die Massen in der MTR vertrauen“, was darauf hinaus lief, dass es selbst ein genügendes Misstrauen in die eigenen Aktionen hatte. Meinte die „Rote Fahne“ Nr. 25/1971 vom 20. Dezember doch: „Das Zentralbüro der KPD/ML ist bei seiner letzten Beratung mit den Funktionären der Landeskomitees zu dem Ergebnis gekommen, dass die KPD/ML der Aufgabe, die Initiative der Massen zu entfalten, in der Metalltarifrunde nicht genügend nachgekommen ist, dass die wichtigste Schwäche unserer Arbeit die Unterschätzung der Kräfte und die Linksentwicklung der Arbeiterklasse ist ... Und genau hier liegt der entscheidende Fehler in unserer Politik in der Metalltarifrunde …“ (36)
Aber auch in vielen der anderen angeschnittenen Fragen der BL, spiegelten sich die Unkenntnisse über den Zustand der ZB-Organisation wider. Etwa in der Frage nach der „Führung der Arbeiterklasse“, die dort auch „organisatorisch“ verwirklicht werden würde. Das ZB war auf diesen Sektoren kein „Hegemon der Revolution“. Seine verschiedenen Modernisierungskrisen mündeten alle in die Legitimationskrise ein, die sich im Verlaufe des Jahres 1972 herauskristallisierten. Dies betraf vor allem auch die Führungsschwächen, die gemessen an den Erwartungen nur begrenzt erfolgreich war oder gänzlich ausblieben. Das Aufbegehren der ZB-Oppositionen, die den aktiven Protest führte und über das generelle Verhältnis von Erwartung und Erfüllung reflektierte, schwankte zudem ständig zwischen der Unmöglichkeit politische Konflikte initiieren zu können und deren Durchsetzungsmöglichkeiten. Da beides in der MTR 1971 nicht realisiert werden konnte, zerbröckelte somit langfristig das Gehäuse des ZB. Die BL befand sich 1972 auf einem politischen Weg, der ähnlich wie bei der KPD/ML-ZK, das Sprengpotential bereits mit sich führte.
Trotzdem warb die BL weiter um das ZB. Im Januar 1972 erschien, von ihr herausgegeben, eine Broschüre mit dem Titel: „Es lebe die einheitliche, korrekte, in den Massen verankerte KPD/ML!“ (37) Für den Anschluss an das ZB plädierten deren führende Mitglieder. Das Tempo der Veränderung der BL in kürzester Zeit wirkte schon atemberaubend. Die zahlreichen Krisensignale aus den Reihen des ZB blieben ungehört. Die kühnsten Hoffnungen ruhten in dieser Broschüre immer noch auf die KPD/ML, in der „einheitlichen KPD/ML“ muss korrekterweise gesagt werden. Immer noch meinte man, dass beide Gruppen sich vereinigen könnten. Einem solches Komplexphänomen wie die KPD/ML konnte wohl niemand beikommen. Denn sie betrat ja quasi mit einem einzigen Schritt die politische Bühne. Sowohl Ereignisse, Antriebskräfte aber auch die verschiedenen Aktionsfelder und politischen Schauplätze, verunmöglichten überhaupt eine Stabilität der Gruppe. Dazu kamen die permanenten innerparteilichen Kämpfe, die die Reihen doch stark dezimierten.
Die Folgen davon waren in dem dramatischen Zusammenbruch auf dem a. o. PT 1971 abzulesen, wo verschiedene Ansprüche und Interessen angemeldet worden waren und Ultimaten gestellt wurden. Das Politikertreffen mit Protest und Machtanspruch brachte als eine aggressive Schubkraft die BL hervor, deren politische Entscheidungsfindung, nach der Auswertung ihrer Dokumente zu urteilen, auf Thesen zurückging, die in den Turbulenzen, in denen sie den Anschluss an das ZB wagte, auf bekannte Grundmuster der maoistischen Bewegung beruhten.
Die Veränderung in der Kräftekonstellation der KPD/ML-ZK, sollte dem ZB einen kurzfristigen Triumph bescheren. Mangels Masse hatte das ZK ihre Rolle als „erster Held der Revolution“ scheinbar verspielt. Als Antwort auf die „rechten- und linken Liquidatoren“, die auf dem a. o. PT ihr Unwesen trieben, meinte das ZB im Januar 1972 im Papier: „Die organisatorischen Aufgaben der KPD/ML bis zum 1. Mai 1972“:
„Bei der Schaffung des ZB der KPD/ML im Kampf gegen die 'linken Liquidatoren' und die Rechten wurden hauptsächlich Erfolge erzielt, was die Entwicklung der Partei zur bolschewistischen Partei betrifft.. . Zugleich säuberte sich die Partei von 'linken' und rechten Opportunisten. Das war nur möglich, weil das ZB sich als politischer Kern der Partei erwies, der die programmatische Arbeit vorantrieb. Das war aber auch nur möglich, weil das ZB entschlossen daran ging, durch die Schaffung verschiedener Organe den politischen und organisatorischen Kampf der Partei zu zentralisieren. Die Schwäche des ZB bestand zugleich darin, dass es auf dem organisationspolitischen Gebiet keinen umfassenden und offensiven Kampf führte, dass es sich auf die Verteidigung einzelner gefährdeter Grundsätze beschränkte. Indem das ZB aber weder einen wissenschaftlichen Plan des Parteiaufbaus besaß, noch beständig diesen Plan zusammen mit der Entwicklung der politischen Linie ausarbeitete, blieb die Partei relativ schwach im Kampf gegen das Zirkelwesen außerhalb der Partei und konnte auch nicht entscheidend auf die organisationspolitische Diskussion der gesamten Bewegung Einfluss nehmen.“ (38)
Das war offenbar ein Eingeständnis, das aber die brodelnde Unruhe in der KPD/ML-ZB nicht aufhalten konnte. Hier kam man den späteren Selbstkritiken des ZK relativ nahe. Der fehlende „wissenschaftliche Plan des Parteiaufbaus“, der hier Niedergeschlagenheit ausdrückte, markierte möglicherweise die lähmende Furcht vor einem ähnlichen Ende wie es in der KPD/ML-ZK zu beobachten war. Der ungenügende „Kampf gegen das Zirkelwesen außerhalb der Partei“, ließ anklingen, dass die bisherigen Konzepte, dort Einfluss nehmen zu können, nicht ausreichten. Dieser Konfliktkurs sollte sich noch durch die Formulierung, dass es nicht gelang, „auf die organisationspolitische Diskussion der gesamten Bewegung Einfluss nehmen“, verschärfen.
Die Verhärtung dieser Fronten, die das ZB auch in die Selbstisolierung trieb, hatten nun gar nichts mehr mit der einstigen Aufbruchsstimmung zu tun, die selbstredend noch daran glaubte, gegen den konkurrierenden Pluralismus außerhalb der Partei zu bestehen und eine Bresche in das Zirkelwesen zu schlagen. Die politische Vereinspraxis des ZB hatte die Interessenorganisationen außerhalb der Partei ständig geleugnet oder wissentlich übersehen. So gab es weder im „KND“, der „Rote Fahne“ oder anderen Publikationen des ZB detaillierte Auskünfte darüber, was überhaupt unter „Zirkelwesen“ zu verstehen sei, welche Zirkel es an welchen Orten gab, was deren politisches Programm ist, und in welchen Betrieben/Stadtteilen sie arbeiten.
Die Agitation gegen konkurrierende Gruppen beschränkte sich in der Regel, auf die großen ML-Gruppen. So sollte es nicht verwundern, dass, die Spaltung auf dem a. o. PT wohl als anarchistische Bestrebungen der „rechten und linken Gruppen“ durchging. Das ZB bestand die Kraftprobe nicht. Dass sie auch die Ergebnisse des Parteitages, sofern es welche gab, schlichtweg leugnete, lag m. E. an der eignen Unbeweglichkeit, die den internen Konfliktschlichtungen 1972 mehr Aufmerksamkeit widmen musste als ihr lieb war. Das politische Entgegenkommen der BL, gleichwertige Mitglieder einer Organisation auch so zu behandeln, war im Endeffekt nur eine symbolische Aufwertung der eigenen Anstrengungen, selbst eine Partei aufzubauen und dafür Kader zu rekrutieren. Hierbei war die BL nur wirkungsvolle Pressepropaganda.
Das ZK der MLPD beschäftigte sich in seiner „Geschichte der MLPD“ (s. o.) ebenfalls mit den „Ursachen des Zerfalls der KPD/ML“. (39) Vorweggenommen meinte es: In der KPD/ML setzte sich eine „kleinbürgerliche Linie“ durch, die verhinderte, dass Marxismus und Arbeiterbewegung miteinander verschmolzen. Mit der „Aufhebung der Septemberbeschlüsse des ZK“, sei eine Situation eingetreten, die darauf hinausliefe, „eine revolutionäre Partei zu zerschlagen, aber nicht, sie aufzubauen“. Die Folge davon wäre gewesen, dass ein „kleinbürgerlicher Führungsanspruch“ praktiziert worden sei. Eine solche Linie sei vom ZK „zur Leitlinie der Partei erhoben“. (40)
Zum a. o. PT hieß es weiter: „Obwohl die proletarischen Kräfte einen standhaften und ideologischen Kampf gegen alle kleinbürgerlichen Abweichungen führten, hatten sie sich nicht durchsetzen können und wurden immer wieder diffamiert als Rechtsabweichler, Fraktionisten, Revisionisten, Ökonomisten usw. Die kleinbürgerlichen Genossen führten den ideologischen Kampf längst nicht mehr mit dem Ziel der Einheit. Mit der kleinbürgerlichen Linie der ‚Hauptseite Theorie‘, der ‚Hauptseite Zentralismus‘ und der ‚Revolutionären Gewerkschaftsopposition‘ hatte die KPD/ML (RM) sich zunehmend von der Arbeiterklasse isoliert. Unter diesen Voraussetzungen führte die KPD/ML (RM) im November 1971 einen außerordentlichen Parteitag durch. Der Rechenschaftsberichtsentwurf - der im Übrigen auf dem Parteitag gar nicht zur Sprache kam - bestand aus allgemeinem Gefasel, abgehoben von den Problemen des Klassenkampfes und der wirklichen Situation der Partei.
Statt die Widersprüche zu klären, sollten sie übertüncht werden, um die Partei wieder zu einigen und zu festigen. So musste kommen, was vorauszusehen war: Die Widersprüche entluden sich explosionsartig und der Parteitag war beendet, bevor er richtig begonnen hatte. Nach den ‚Dokumenten zur Entwicklung der Widersprüche in der Partei‘, ‚Kurze Darstellung des bisherigen Verlaufs des 1. Außerordentlichen Parteitags der KPD/ML, sowie ‚Protokoll der Sitzung des außerordentlichen Parteitags der KPD/ML vom 27. November 1971‘, spielte sich Folgendes ab:
Nachdem die 1. Tagung wegen schwerwiegender organisatorischer Versäumnisse abgebrochen werden musste, beschlossen die Delegierten, wer die Vorbereitung der 2. Tagung übernehmen sollte. Das Zentralkomitee wurde nicht damit beauftragt, da es fragwürdig sei, ob vom ZK eine korrekte Vorbereitung erwartet werden könne. Das ZK sollte aber die politische Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags weiter führen.
In der Vorbereitungskommission waren auch drei Mitglieder des Präsidiums des Parteitags, das am ersten Tag gewählt worden war. Zwei dieser Mitglieder unternahmen einen Putschversuch gegen das Zentralkomitee. Sie versuchten durchzusetzen, das die Vorbereitungskommission sich selbst ermächtigte, die Funktion des ZK zu übernehmen, während das amtierende ZK ausgeschaltet werden sollte. Es handelte sich bei diesen Putschisten um Leute aus Niedersachsen und Südwest …
Man hatte sich zwar geeinigt, am zweiten Sitzungstag in die eigentliche Geschäftsordnung einzusteigen und den Rechenschaftsbericht zu verabschieden. Doch bevor das geschah, das heißt, bevor der außerordentliche Parteitag im eigentlichen Sinne begonnen hatte, forderten einige Genossen zur Personaldebatte und zur Neuwahl eines ‚Provisorischen ZK‘ und der ‚Roter-Morgen Redaktion‘ zu schreiten. Sie wollten damit die leitenden Positionen in der Partei an sich reißen …
Doch die Sprengung der KPD/ML war längst besiegelt. Sie zerfiel in zahlreiche Gruppen. Trotz seiner Bemühungen verblieben Ernst Aust nur die Gruppe Hamburg und München … Unfähig, die die wirklichen Ursachen des Liquidatorentums zu erkennen, schrieb Ernst Aust über das neue Exekutivkomitee am 2. Dezember 1971 in einem Rundbrief: ‚Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren‘ … Als wesentliche Ursache der Spaltung erkannte er aber nicht, dass dieses Zentralkomitee mit einer kleinbürgerlichen ‚Plattform‘ die Partei in den Abgrund geführt hatte …
Nicht das Zentralkomitee hat die proletarische Linie liquidiert, das haben die anderen Gruppen getan; das Zentralkomitee hat bloß nicht aufgepasst. So einfach war das für Ernst Aust.“ (41)
Mit großer Anstrengung versuchte die „Geschichte der MLPD“ den Zerfall der KPD/ML auf dem a. o. PT (erneut) den „kleinbürgerlichen Kräften“ um Ernst Aust zuzuschreiben. Die Einheit des Proletenkults und die Abkehr von der kleinbürgerlichen Chimäre wurden liturgisch endgültig besiegelt. Beides diente der MLPD auch als Druckmittel für kommende Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen; denn Fortschritt war in dieser Organisation nur ohne sie zu haben. Sich mit der Aura des rechtgläubigen und rechtmäßigen Handels zu umgeben, verstand die MLPD am Besten.
Doch der eigentliche Hauptverursacher der Misere war für die MLPD Ernst Aust, der die „Ursachen der Spaltung nicht erkannte“ und die „Partei in den Abgrund geführt hatte“. Aust, der von Dickhut mit dem Bann der „Kleinbürgerlichkeit“ belegt worden war, habe mit dem ZK „die proletarische Linie liquidiert“. Mit diesen Anwürfen verschmolzen die Glaubensaktivitäten der MLPD und ihr starrer Konservatismus unauflöslich zu einer Grundhaltung, die zur kompromisslosen Verteidigung ihres Status quo, frei von jeglicher Anfechtung, führte. Der alte Streit zwischen den beiden sog. „Arbeiterführern“, der seit der Gründung der KPD/ML zwischen ihnen schwelte, war die Rückkehr zur selbstgerechten Rücksichtslosigkeit, die in arrogant-naiver Manier die Ergebenheit für die eine oder andere Position einforderte.
Der Fanatismus mit dem die MLPD voller Schadenfreude dem a. o. PT begegnete, war nicht eine einfache Verhärtung der Fronten, sondern die Befestigung und Dogmatisierung jener universalgeschichtlichen Geisteshaltung, die mit nostalgischen Erinnerungen an eine Gegenreformation mit schikanöser Unterdrückung erinnerte. Und bis heute in dieser Gruppe Geltungskraft behalten sollte. Dass die MLDP sich keine Mühe machte, die eigentlichen Divergenzen auf dem a. o. PT zu benennen, war nur bezeichnend. Die Prinzipien seinen „verraten worden“! Wirkungsvoller konnte ein Pamphlet gegen die „Kleinbürger“ auch gar nicht sein. Sich in diesem Triumphgefühl wiegend, wollte die MLPD zu einem neuen Kraftbeweis mobilisieren und sich der „wirklichen Situation der Partei annehmen“.
Längst hatte der KAB/ML, aus dem KABD und MLPD krochen, die Kraftprobe mit der KPD/ML gesucht, sich in hohlen Phrasen verrannt und das gräuliche Gespenst des „Kleinbürgertums“ als Menetekel an die Wand gemalt. Längst hatte er die heilige Autorität des Ultramonopolisten in Sachen Arbeiterbewegung, Willi Dickhut, als Bollwerk gegen die Handlanger der Verfälschung des ML ins Feld geführt, und längst hatte er jene Frontalattacken geritten, die einer populären Laienpredigt nahe kamen. In regelmäßigen Abständen wiederholte er seine ideologische Indoktrination mit einem solchen Ausschließlichkeitsanspruch, dass die Argumente der Gegenseite, selbst dann, wenn sie diskutierenswert erschienen, sich jedem Gehör verweigerten.
Damit verband sich eine Konzeption, die hinter der geschlossenen Fassade nach gutsherrlicher Atmosphäre roch. Der a. o. PT der KPD/ML als solcher interessierte die MLPD in der Rückschau nicht. Ihr kam es darauf an, die Grundlagen für ihr missionarisches Engagement, den Mythos von der überlieferten Mentalität mit parteiischem Gehorsam und Gefügigkeit durchzusetzen. Doch die lange Vorgeschichte des KAB/ML, der wieder und wieder als proletarische Gegenloge zur KPD/ML bezeichnet worden war (42), mündete in der schulmeisterlichen Belehrung der Bewegung: „Mit einer kleinbürgerlichen Denkweise lässt sich keine revolutionäre Partei aufbauen. Die kleinbürgerlichen Elemente begriffen noch nicht einmal die Ursachen ihres Scheiterns.“ (43)
Damit hatte sich der a. o. PT für die „Geschichte der MLPD“ erledigt. Der knorrige Repräsentant der alten Arbeiterbewegung sollte sich in arroganter Aversion geübt haben und die schnöden „Kleinbürger“ waren für immer (wenn sie es nicht schon vorher waren) und endgültig als inhuman abgestempelt. Demzufolge hielt sich auch die zählebige Legende von der vollzogenen Annäherung der Arbeiterkader an den KAB/ML, die schon früh vor der „verfrühten Parteigründung der KPD/ML“ warnten und die nachzuholenden Voraussetzungen für eine solche Gründung, ohne allerding irgendwelche programmatischen Ziel zu benennen, einforderten. (44)
Ohne Übertreibung wird man sagen können, dass die MLPD immer dann gewaltige Energien freisetze, wenn an ihrem reglementierten Gehäuse gekratzt worden war. Die Elendigkeit des „kleinbürgerlichen Lebens“ spielte bei der Bewertung des a. o. PT insofern eine mitentscheidende Rolle. Und gehörte zu den großen Merkwürdigkeiten jener Epoche, die mit dem Zauberschlüssel des ML auf die bruchlose Vergangenheit setzte. Der arbeitertümelnde Generalist Willi Dickhut, insistierte mit seinen Textinterpretationen der Klassiker („Zettelkasten“) auf die politische Repression gegenüber allen seinen Gegnern, denen er keine positiven Züge abgewinnen konnte. Selbst ihre Läuterung konnte nicht akzeptiert werden. Sie blieben Fremde im eigenen Land.
Insgesamt war der a. o. PT für diesen „Arbeiterverein“ ein kitschiger Fortsetzungsroman der Geschichte, über die seit den Gründungstagen der KPD/ML bereits der Stab gebrochen worden war. Ein eintöniges Panorama, das unter dem rührseligen-bigotten Motto: „Arbeiterklasse kontra Kleinbürger“ lief. Mit einem bunten Potpourri aus Neuigkeiten, moralischen Sentenzen, verweigerten Sachberichten, Rätseln und Bilder, war der a. o. PT zu einer geheimen Konklave geworden, in der nach Herzenslust geputscht und integriert werden konnte. Mit narzisstischer Eitelkeit und bizarrer Egozentrik, wurde der „kleinbürgerliche Individualismus“ hochstilisiert und als subversive Sozialfigur eingeführt. Auf dieselbe Weise löste der KABD/MLPD später alle anderen Probleme. Die „Proletarier der Geistesarbeit“ verfehlten allerdings in ihrer konservativen Borniertheit ganz und gar, dass sie sich selbst auf dem gleichen unsicheren Terrain wie ihre Glaubensbrüder befanden.
Im Juni/Juli 1972 erschien vermutlich der Entwurf eines Rechenschaftsberichtes des KAB/ML und der KPD/ML-RW für den 1. Zentralen Delegiertentag (ZDT) des KABD, der am 5. August 1972 stattfand. Zur Entwicklung der KPD/ML hieß es dort: „Die Gruppe um den Revolutionären Weg geriet in die Minderheit und musste sich gegen die Liquidatoren ständig zur Wehr setzen. Dieser Kampf wurde erschwert, weil durch die ultralinke Linie beider KPD/ML (gemeint sind die KPD/ML-ZB und die KPD/ML-ZB, d. Vf.) die Arbeiter abgestoßen wurden, die keinen Unterschied machten zwischen den verschiedenen KPD/ML. Der Name KPD/ML wurde so in Misskredit gebracht, dass auch unsere Gruppe um den Revolutionären Weg davon betroffen wurde ... Es wurden Fehler gemacht gegenüber den liquidatorischen Zersetzungsversuchen der Genger-Leute in Wuppertal, den Stolz-Leuten in Köln und den Baer-Leuten in Duisburg ... Die Dortmunder Gruppe der KPD/ML bezog eine gemeinsame Linie mit der Duisburger Gruppe Udo Baers (nach dem a. o. PT der KPD/ML-ZK vom 27./28. November 1971, d. Vf.). Nach dieser neuen Linie war die KPD/ML (RM) eine durch und durch revisionistische Partei ... Die zum Genger-ZB übergelaufene Gruppe um Günter Ackermann gab einen 'Offenen Brief' heraus, worin sie erklärt, die KPD/ML (RM) habe den 'Revisionismus zum Prinzip erhoben' und forderte zum Übertritt in die KPD/ML-ZB auf. Umgekehrt veröffentlichte eine von Genger bis zu Aust wechselnde Gruppe aus dem Roten Morgen eine Erklärung, wonach die KPD/ML-ZB durch und durch revisionistisch sei. Der Bochumer Kommunistische Studentenbund spaltete sich, wovon eine Gruppe die sofortige Liquidierung der KPD/ML forderte.
Auch Peter Weinfurth machte sich mit eigenen umfangreichen Papieren bemerkbar und forderte, sich in jeder Ausgabe widersprechend, den ideologischen Aufbau der Partei. Einige Gruppen der KPD/ML haben sich einfach aufgelöst so wie die Alsdorfer und Lörracher. Andere sind in Passivität verfallen wie die Freiburger Gruppe der KPD/ML-RM ... Das trifft auch auf die Westberliner Gruppe 'Neue Einheit' zu, die sich im ideologischen Kampf gegen die Ezra-Gerhard-Gruppe der proletarischen Linie des Revolutionären Wegs angeschlossen hatte und die Vereinigung anstrebte. Das ging so lange gut, bis zwei kleinbürgerliche Studenten Mitglied wurden, die aus der Gruppe 'Kommunistischer Bund' (KB/ML, d. Vf.) kamen.
Es dauerte nicht lange, und sie provozierten Auseinandersetzungen mit dem ZK des KAB/ML und dem Verantwortlichen des RW. In diesem Verlauf zerschlugen sie die sich anbahnenden Einigungsbestrebungen ... Die zweite Tendenz, die wir bei diesen Kleinbürgern vorfinden und die nur scheinbar im Widerspruch zur ersten steht, ist die prinzipienlose Vereinigungsmacherei. So kam der Popanz KPD/ML zustande, der nach dem Zerfall in zahlreiche Zirkel nunmehr schrittweise wieder zusammengefügt werden soll. Eine neue prinzipienlose Annäherung und Vereinigung zwischen alten und neuen Gruppierungen ist im Gange. So nahm das ZB Gengers unbesehen die Ackermann-Gruppe auf und diktierte ihr den 'Offenen Brief ... (gemeint ist wahrscheinlich das Dokument der 'Bolschewistischen Linie der KPD/ML', d. Vf.). Es handelt sich hier um dieselbe Plattform vom April 1970 gegen die proletarische Linie des Revolutionären Wegs, an der Günter Ackermann mitgearbeitet hatte und die wesentlich zur ersten Spaltung beitrug. Diese gleiche Plattform hatte er bis vor kurzem verteidigt. Und dieser prinzipienlose Geselle wurde vom ZB mit dem 'Offenen Brief' nach Hamburg geschickt, um den Landesverband Wasserkante der KPD/ML, der sich erst nach dem Parteitag vom Roten Morgen getrennt hatte, für den Genger-Laden zu gewinnen bzw. zu überreden, allerdings erfolglos.“ (45)
Der KABD/MLPD hatte immer ein Faible für die Gegenüberstellung von fundamentalen Gegensätzen, die die Schwachstellung der „linken- und rechten“ Sektierer benennen sollten. Doch diese waren genau seine Schwachpunkte. Indem er nämlich wegen dürrer Alternativen immer wieder auf einen langgedehnten Lernprozess in Sachen Marxismus-Leninismus verwies, flüchtete er sich in hypothetische Annahmen, die jeweils die Konkurrenten des politischen Lagers bestimmten. Es gab nur eine Trägerschicht der Revolution- das war die eigene Organisation. Dementsprechend kam es bei der Beurteilung des a. o. PT und der neuen Gruppenbildung zu jenen antiquierten Anachronismen, die unter demütigende Rache gefasst werden können.
So wurde die KPD/ML als „Popanz“ bezeichnet und die „prinzipienlose Vereinigungsprojektmacherei“ der Gruppen den „kleinbürgerlichen Studenten“ zugeschrieben. Die Liniengruppen wurden öffentlichen diskriminiert und die Führer dieser Gruppen, namentlich genannt. Sicherlich war das nicht auf den Mist des Arbeitervereins gewachsen, doch hier hatte es eine eindeutige Tendenz: Die Erfolge der eigenen Organisationsbildung sollten herausgestellt und die Trennungslinien abgesteckt werden. Die eigenen Schwächen des politischen Systems wurden selbstgerecht übertüncht. Vor allem war es das personalistische Geschichtsbild, dass nach Auffassung des KABD/MLPD die maoistische Geschichte in ihren Anfängen bestimmt hätte. Die Lust an provokativen Wiederholungen
Der „Kommunistische Bund Bremen“ hatte sich in seiner „Wahrheit“ u. a. mit dem Zerfall der KPD/ML beschäftigt. In der Nr. 1 vom Januar 1973 schrieb er unter dem Titel „Wie sich das Linkssektierertum selbst zu Grabe trägt“ u. a.: „War es schon nichts als leere revolutionäre Phrase, vom Klassenkampf zu sprechen, so gelang es der KPD/ML nicht einmal, die marxistisch-leninistische Organisation und anderen demokratischen Organisationen … in einer Aktionseinheit zu vereinigen. Das Ergebnis einer dreijährigen Politik ist (auch auf die KPD/ML-ZB gemünzt, d. Vf.) dass diese ‚Partei‘ den demokratischen Zentralismus ebenfalls nicht entfaltet hat und ihre Leitung … ein isolierter bürokratischer Kopf ist, wie auf der anderen Seite die gesamte Organisation das Dasein einer politischen Sekte führte, die sich immer mehr von den Massen isoliert, anstatt sich mehr und mehr mit ihnen zu verbinden. Die organisatorische und politische Krise äußert sich in dem Austritt ganzer Ortsgruppen an den Orten, an denen kommunistische Zirkel eine revolutionäre Politik in der Arbeiterklasse entfalten … Die Leitung selber … hat offenbar die Absicht, diesen Prozess der inneren Krise und Auflösung der Organisation noch zu beschleunigen …“ (46)
Für die politisch engagierten Zeitgenossen des KBB verliefen die Fronten mit Eindeutigkeit: In der KPD/ML herrschte der „bürokratische Kopf“, eine Melange von Zensur und Knebelung, von der Öffentlichkeit bzw. „von den Massen“ weitgehend isoliert. Durch halsbrecherische Theorien, die als „leere revolutionäre Phrase“ charakterisiert worden waren“, beschleunigte sich die „inneren Krise und Auflösung der Organisation“. Der KPD/ML wurde eine geringe Ausstrahlungskraft bescheinigt. Sie führte „das Dasein einer politischen Sekte“, der es nicht gelang, sich „mehr und mehr mit ihnen (den Massen, d. Vf.) zu verbinden“.
Der Frontalangriff auf die KPD/ML verpuffte jedoch als inhaltsleerer Appell. Wie ein Liberaler, mokierte der KBB sich über deren Politik und den schlimmen organisatorischen und praktischen Auswüchsen. Weil diese politische Strömung (der KBB, d. Vf.) selber doch diffus war, schraubte er die Ansprüche an eine ML-Organisation für die damalige Zeit ziemlich hoch: „Die KPD/ML missachtet die Grundlagen der Kommunistischen Politik, die materialistische Untersuchung der konkreten und besonderen Erscheinungen des Klassenkampfs… Die KPD/ML missachtet das Grundprinzip der Kommunistischen Politik, die ständige Überprüfung der Theorie in der Praxis, das Prinzip von Kritik und Selbstkritik.“ (47)
Diese Miniaturskizze über die KPD/ML war dennoch irreführend. Und zeigte auch, dass der KBB nichts mit den internen Vorgängen beider Gruppen anfangen konnte. Die Verallgemeinerungen über deren Zustände kamen einer politischen Diskriminierung nahe; denn dass die KPD/ML „die Grundlagen der Kommunistischen Politik missachten“ würde, traf nun gar nicht zu. Ganz im Gegenteil: Beide KPD/ML-Gruppen waren ja davon beseelt, dass Erbe des Kommunismus mit aller Macht zu verteidigen. Dass der KBB selbst über keine dieser Grundlagen, verfügte, sei nur am Rande erwähnt. Überdies definierte er sie nicht. Und die Legende über die KPD/ML, die später auch öfter in der „Wahrheit“ verbreitet worden war, war ein alter Zopf, der die konträren Meinungen, die aufeinanderprallten, nicht widerspiegelte. Die „Wahrheit“, die in der Rest-Bewegung nicht ohne Einfluss war, ließ nicht erkennen, dass sie aus den Niederlagen der KPD/ML andere Konsequenzen zog, als diese selbst, nämlich keine. Letztlich verhaspelte sie sich selbst in die gleichen Denk- und Sprachblasen, die sie vermeintlich zu kritisieren glaubte. Die welthistorischen Missionen der „materialistischen Untersuchung … des Klassenkampfs“, der als Fremdkörper durch diesen Artikel geisterte, sollte wohl einen Überlegenheitsanspruch zum Ausdruck bringen, war aber nichts anderes als ein realitätsblindes Zeitbild.
Die Grundsatzkontroversen auf dem a. o. PT dürften von den verschiedenen Fraktionen des KSB/ML, der als „Intellektuellenflügel“ im Schrifttum zum a. o. PT auftaucht, mit getragen worden sein. Namentlich war es im Ruhrgebiet der Dortmunder und der Bochumer KSB/ML, die dort die Hegemonieträume des ZK zunichte machten. Aus den verschiedenen Fraktionen, die dort auftraten, sollte sich ein Teil zu den ML Bochum (48) fraktionieren, ein anderer zur ML Dortmund (später Kommunistische Fraktion für den Wiederaufbau der KPD, die den „Kommuniqué-Organisationen“ der Zeitschrift um das „Rote Forum“ bzw. „Neues Rote Forum“ nahe stand, die wiederum später mit die KBW -Ortsgruppe Dortmund bilden sollte).
Bereits im Dezember 1971 sollte der KSB/ML Dortmund mit einem eigenen Flugblatt auftreten, das nach dem a. o. PT die „Frage nach der Einheit der Marxisten-Leninisten“ problematisierte. Danach sei die „Einheit aller Marxisten-Leninisten … wichtig … um mit allen fortschrittlichen und revolutionären Studenten … gemeinsam gegen die Schläge der Bourgeoisie vorzugehen“. Dabei gelte es, aus den letzten „Erfahrungen des Kampfes der KPD/ML“ zu lernen. Er wisse (der KSB/ML, d. Vf.), „dass die Frage dieser Einheit auch die Frage des Erfolges oder Misserfolges des Kampfes gegen die Bourgeoisie ist, dass jede unbegründete und prinzipienlose Spaltung unbedingt zu vermeiden ist, dass vielmehr alle Spalter entlarvt und verjagt werden müssen“. (49)
Die exklusive Politikfähigkeit des KSB/ML war die eine Sache, dass ätzend ironisierende „aus den Erfahrungen der KPD/ML“ lernen, die andere. Man weiß nicht, wie das zu deuten war? Angesichts des heraufziehenden Gewitters, waren Teile des KSB/ML wohl noch darum bemüht, der in Agonie liegenden KPD/ML noch einige Referenzen zu erweisen. Doch eher sollte als wahrscheinlich gelten, dass die Aussagen zur „prinzipienlose Spaltung“ einer Abwehrhaltung entsprachen, die in ihrer Perzeption den drohenden Zerfall noch einmal aufhalten wollte. Obwohl nun gerade dieser das Bild bestimmte, Programmatik und Politik ohnmächtig waren, und das Fernziel auf Eis lag, war man noch darum bemüht, die Fassung zu wahren. Es sollte allerdings nicht lange dauern, bis der KSB/ML seine sakrosankte Haltung gegenüber der KPD/ML und dem ZK gänzlich aufgab.
Am 31. Dezember 1971 veröffentlichte ein Teil des Dortmunder KSB/ML, laut BL, ein Protokoll über eine KSB/ML-MV: „Es soll eine LDK stattfinden. Dies ist ein Beschluss der Landesleitung NRW der KPD/ML. Die Mehrheit dieser Landesleitung ist der Ansicht, dass zu dieser Landesdelegiertenkonferenz 30 Delegierte aus den über 300 Organisierten des Landesverbandes NRW gewählt werden müssen. Ein entsprechender Wahlschlüssel wurde mit Mehrheit verabschiedet, der für Dortmund sechs Delegierte (zwei aus der Ortsgruppe, zwei aus der Roten Garde (RG, d. Vf.), zwei aus dem KSB/ML) zulässt. Der radikale Bruch der Landesleitungsmehrheit mit dem Revisionismus sieht so aus:
Das Verhältnis von Konspiration und Demokratie wird keiner Überlegung unterzogen und wer es anspricht, des Versuchs verdächtigt, den ideologischen Kampf abwürgen zu wollen. Nach Gutdünken wird die Zahl 30 als gerade noch konspirativ bezeichnet, ohne das näher auszuweisen. Außerdem ist die Mehrheit, die den radikalen Bruch zu machen vorgibt und die KPD/ML unterschiedslos als Popanz bezeichnet, der Ansicht, dass nur im Rahmen der Organisation (unter Einbeziehung der Massenorganisationen Rote Garde und KSB/ML, aber unter Nichtbeachtung der Betriebsgruppen) die Delegierten auszusuchen seien. Auf die Frage eines (der Mehrheit zuzurechnenden) Landesleitungsmitgliedes, ob denn Vertreter der bisherigen Landesleitungen von Partei, Roter Garde und KSB/ML dabei sein werden, um über ihre bisherige Politik Rechenschaft zu leisten, kam die Antwort - und der Frager zeigte sich davon überzeugt! -, dass die Massen vernünftig genug sein werden, auf eine Anwesenheit dort zu verzichten! Ist eine solche Argumentation nicht ein Hinterherlaufen hinter der Spontaneität der Massen? Hier wird ein Wahlschlüssel ausgeklüngelt, der in höchst komplizierter Weise versucht, die erschienenen Positionen zu berücksichtigen, statt eine politische Entscheidung zu fällen, was richtig oder falsch ist.
Kein Landesleitungsmitglied konnte Kriterien angeben, wonach sich die Fortschrittlichkeit einer solchen LDK bemisst. Das müsse, so argumentierte die Mehrheit, den Massen überlassen bleiben. Ein Dortmunder Landesleitungsmitglied (und bisheriger KSB/ML-Verantwortlicher) ging sogar so weit, dass dort eine Minimalplattform erarbeitet werden sollte, die dem Durchschnitt der dort vertretenen Meinungen entspricht, da man nicht die Illusion haben kann, dass es dort zu einer Klärung der Standpunkte kommen wird … Ein gegenseitiges Sichvertrautmachen mit den Standpunkten in den verschiedenen Orten des Landesverbandes wird als illusorisch abgetan, da die sich laufend änderten. Wieso ist eine solche Politik anders als die des ZK, das es auch nicht für nötig befand, die Grundorganisationen der Partei über die verschiedenen Standpunkte in den Landesverbänden rechtzeitig aufzuklären und so den Parteitag vorzubereiten, was ja einer der Hauptvorwürfe gegen das ZK war? Sollte das etwa der radikale Bruch mit dem Revisionismus sein, dass jetzt dem Spontaneismus noch mehr Tür und Tor geöffnet wird. Soll das etwa heißen: Käseglocken zerschlagen?
Ein weiterer Einwand blieb von der Mehrheit der Landesleitung unbeachtet: ein Landesleitungsmitglied argumentierte so: wo sich die Parteigenossen als Vorreiter des Fortschritts den Massen präsentiert haben (was Duisburg für sich in Anspruch nimmt), werden sie gewählt; wo die Parteimitglieder bisher den ideologischen Kampf unterdrückt haben (was von Köln und Bochum sowie Dortmund behauptet wird), werden sie ebenfalls gewählt, da ja niemand anders sich zutrat, gegen sie etwas zu sagen, oder aber es werden auf antiautoritär-putschistische Weise zufällige Wortführer gewählt. Der Logik wurde nicht widersprochen … Sie bildeten vor dem Parteitag die Mehrheit mit dem Standpunkt: 'Wir brauchen nur zu betonen, dass wir die Vorhutorganisation sind, dann sind wir es auch!' Jetzt haben sie mit dieser Illusion 'radikal' gebrochen und daraus den Schluss gezogen: 'Nichts kann sich mehr als Partei ausweisen! Wir müssen voraussetzungslos an die Sache gehen. Wer diesen Schritt nicht mitmacht, der gehört zur Aust-Clique!' (Mit Worten wie Clique sind sie heute ebenso schnell dabei wie früher mit Worten wie Klüngel!) …
Welche Motivationen erklären eine solche Politik zum radikalen Bruch mit dem Revisionismus? Es gibt einmal die 'links'radikale Variante, dass man selbst bisher unterdrückt war, dem Rechtsopportunismus kritiklos hinterher getrabt ist und jetzt alles antiautoritär niederreißt. Dieses Motiv ist immerhin ehrlich, wenn auch nicht sachlich ausgewiesen, und solche Genossen wird man im Endeffekt auch von der Falschheit ihres Tuns überzeugen können, denn sie sind trotz alledem ja diskussionsbereit, da sie von der Richtigkeit ihres Standpunktes überzeugt sind.
Es gibt eine zweite Haltung, die auf dasselbe Ergebnis hinausläuft und die sich zur Zeit an die erste anhängt: mit einem Unterschied! Diese Genossen bezeichnen von vornherein alles, was nicht auf ihrer Linie liegt, als bürgerlich, ultrarechts usw. Sie können für ihren Standpunkt heute genauso wenig Argumente beibringen, wie sie es für ihre früheren Standpunkte konnten. Sie leisten eine Selbstkritik nach der andern, aber jede Selbstkritik kritisiert in Wirklichkeit gar nicht sie selbst, sondern andere. Sie behaupten, bisher nur bürgerliche Manager gewesen zu sein, und das im Auftrag der Partei! Sie gehen nonchalant über die Widersprüche, die - auch in dieser Frage - in der Partei bestanden haben und bei denen sie sehr wohl Partei ergriffen haben, hinweg. Sie geben großzügig zu, dass es irgendwelche Widersprüche gegeben hat, aber die Partei sei ja jetzt kaputt. Und da sie ellenlange Monologe halten können, in denen sie zahlreiche allgemeine Weisheiten des Marxismus-Leninismus verbraten, um nicht vor sich selbst konkret reden zu müssen, walzen sie jeden Einwand nieder. (Auch wenn ihnen das heute mal nicht gelingt, so werden sie wie ein Phönix aus der Asche steigen, wenn sie nicht entlarvt werden können!). Das ist die Haltung von Rechtsopportunisten oder gar prinzipienlosen Karrieristen, die unter den Fahnen des ideologischen Kampfs segeln und in Wirklichkeit den ideologischen Kampf abwürgen …
Die alte KPD/ML ist tot. Viele ihrer Mitglieder wenden sich heute dem Sumpf zu, ja sie hat selbst bereits tief im Sumpf gesteckt. Es ist notwendig, sich von diesen Elementen zu reinigen … Genossen, es ist nicht unsere Absicht, uns hier reinzuwaschen und zu behaupten, wir seien die Bolschewiken. Wir haben nie auf dem Standpunkt gestanden, dass die KPD/ML bereits die bolschewistische Partei sei. Angesichts der mangelnden Verankerung in den arbeitenden Massen, angesichts des Fehlens eines klaren Programms wäre das vermessen gewesen. Wir haben im Gegenteil gegen diejenigen immer gekämpft, die versucht haben, die Partei zu einem Gott zu erheben. Wir stehen aber sehr wohl auf dem Standpunkt, dass die Gründung der KPD/ML bei allen Zufälligkeiten und Wirrnissen, die schon dabei existiert haben und sich zu einem erheblichen Teil bis heute fortgesetzt haben und teilweise potenziert haben, ein revolutionärer Akt war.
Wir sind der Ansicht, dass die am 31.12.1968 verabschiedete Grundsatzerklärung der KPD/ML im Wesentlichen richtig war und ist. Wir sind ferner der Ansicht, dass die Plattform des ZK vom März 1970 (vgl. 30.3.1970, d. Vf.) ein Fortschritt war und dass daher die Trennung zwischen ZK-Partei und ZB-Partei von der Hauptseite her korrekt war. Wir waren ebenfalls der Meinung und sind es nach wie vor, dass der ideologische Kampf um die Plattform jedoch nicht geführt worden ist (oder doch nur so minimal, dass es nicht der Rede wert ist, so dass Zustimmung und Ablehnung derselben teilweise ein Zufallsprodukt war, ja, dass in der Plattform selbst liquidatorische Nebenseiten enthalten waren, die im ideologischen Kampf hätten beseitigt werden müssen.
Wenn an Passagen der Plattform Kritik geübt wurde, so wurde sie als eine Aufweichung der Front hin zum ZB missdeutet und ohne Prüfung verworfen. Somit wurde nicht gesehen - und das ZK wollte es lange Zeit nicht wahrhaben - dass auch die ZB-Partei einige korrekte Seiten hatte. Der Hinweis darauf, dass wir zwar allgemein beanspruchten, die Hauptseite unserer Tätigkeit sei die Theorie, dass aber gerade theoretische Ergebnisse von der ZB-Partei vorgelegt wurden, die zum Teil dem Marxismus-Leninismus entsprechen, die Schlussfolgerung, dass also die ZB-Partei als zu 70% kommunistisch anzusprechen sei, wurde von der Mehrheit des Landesverbandes NRW in ihrer Auseinandersetzung mit der Ortsgruppenleitung Dortmund verworfen. Die Herren Zwei-Wege-Theoretiker fanden dafür nur Gelächter! Während wir betonten, dass sich unsere Partei erst noch durch ihre Praxis auszuweisen hat und wir keineswegs jetzt schon behaupten können, die bolschewistische Partei zu sein, warf uns die Landesleitung NRW vor, damit nicht mehr auf dem Boden der Partei zu stehen. Wir sahen uns zum Rückzug genötigt. Das war ein schwerer Fehler, denn mit diesem Schritt war zugleich der Abwürgung des ideologischen Kampfes der Boden bereitet. Jetzt, da wir zugegeben hatten, in dieser Frage voreilig gehandelt zu haben (wir hatten einen Antrag an den Parteitag gestellt, das ZK solle Prestigedenken fahren lassen und Verhandlungen mit dem ZB aufnehmen, um so einer ideologischen Auseinandersetzung auf allen Ebenen den Weg zu bereiten, brauchte man auch unsere übrige Kritik nicht ernst zu nehmen, zumal ihr Vorreiter wegen seines idealistischen Herangehens an die Frage aus dem ZK ausgeschlossen worden war und Bestrebungen bestanden, ihn aus der Partei zu säubern - natürlich wegen 'Fraktionismus und Spaltertum'! Man konzedierte großzügig, dass die Zwei-Wege-Theorie noch nicht die Linie der Partei sei, ja dass sogar einiges daran falsch sei (das herausgefunden zu haben man aber für sich selbst in Anspruch nahm, während wir ja nur die – natürlich falschen - ZB-Argumente vorgebracht hätten), aber wir sollten nicht propagieren dürfen, was gegen die Zwei-Wege-Theorie gerichtet war, da ja die Diskussion noch in der Schwebe war!
Der Zwei-Wege-Theoretiker wurde vorübergehend wegen der ihm gemachten Vorwürfe sogar von seinen ZK-Funktionen suspendiert, aber das ZK hielt es nicht für nötig, diejenigen zu befragen, die ihm Vorwürfe gemacht hatten. So saß er denn zum Parteitag wieder im ZK! Die rechtsopportunistischen Vertreter des 'radikalen Bruchs' in Dortmund haben sich während der gesamten Auseinandersetzung auf die Seite des Landessekretariats geschlagen, haben dementsprechend gegen die Ortsgruppenleitung Dortmund eine putschistische Politik betrieben, da sie ihr Vorgehen ja nicht politisch begründen konnten. In der Tat war ihr Handeln das von bürgerlichen Managern, aber nicht mit Zustimmung der Partei, sondern einer Fraktion der Partei.
So haben sie sich gegen den Versuch, die Ortsgruppe aus Mitgliedern der Massenorganisationen zu vergrößern, gewehrt, indem sie die vorgesehenen Kandidaten als ideologische Nullen oder Karrieristen beschimpft haben. So haben sie sich mit Hinweis auf überregionale Funktionen geweigert, die Anleitung der Massenorganisationen am Ort durchzuführen, bzw. sich dort kontrollieren zu lassen. Von ihrer Seite wurde gegen uns der Vorwurf des Fraktionismus und der Vereinigungsprojektmacherei erhoben, und zwar ohne Prüfung der Sachlage, weil man sich der Unterstützung durch das Landessekretariat (das einer von ihnen vor den Massenorganisationen großzügig als Landesleitung ausgab) gewiss war. So wurde von diesen Herrschaften der ideologische Kampf in der KPD/ML geführt …
Noch wagten sie es nicht, das Zirkelwesen offen zu propagieren, noch reden sie nur davon, die Partei sei so gut wie kaputt, noch entscheiden sie nur in einzelnen Gremien (wie der Landesleitung), wo sie sich unkontrolliert wähnen, so dass der endgültigen Zersplitterung Vorschub geleistet wird. Und Einwände dagegen sind in ihren Augen 'mangelndes Vertrauen in die Massen'! Sie können nicht angeben, wohin der Zug fährt, aber sie wissen mit Bestimmtheit, dass alles bisher Gemachte falsch war! Das ist Metaphysik des radikalen Bruchs! Das entspricht genau dem, was zahlreiche Delegierte auf dem Parteitag vertreten haben, dessen Ergebnis ein totaler Auseinanderfall der Partei ist! Das ist das Nichtbegreifen der Verantwortung, die die Partei vor dem Proletariat hat. Davon war bisher hier auch nichts zu hören. Lenins Feststellung: 'Das Proletariat besitzt keine andere Waffe im Kampf um die Macht als die Organisation.' ist für sie gleichbedeutend damit, den ideologischen Kampf hintenan zu setzen!
Wir haben Fehler gemacht, gewiss. Möglicherweise beruht unsere Agitprop gegen Lohndiktat und Aufrüstungspolitik auf einer falschen Theorie. Aber: wir haben uns stets darum bemüht, das, was wir zu sagen hatten, auszuweisen. Gewiss: es trug handwerklerische Züge, bedingt dadurch, dass die Partei in der Tat über ein Zirkelstadium bisher nicht hinausgekommen ist. Bedingt auch dadurch, dass jeder von uns mit verschiedenen Funktionen beladen war, deren gleichzeitige Erfüllung uns nicht möglich war. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass zukünftig ROTFRONT vom Komitee des KSB/ML herausgegeben wird, wie es einer der Sektenhäuptlinge hier vortrug, ist doch etwas eigenartig. Wo kann denn der KSB/ML seine Kompetenz ausweisen? ... Wir nehmen zur Kenntnis, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Organisation nicht mehr existiert …“ (50)
Die langen Ausführungen eines Teils des KSB/ML Dortmund, der zum Ende seiner Ausführungen zum Schluss kam, dass „die Organisation nicht mehr existiert“, belegen auch, dass das „totaler Auseinanderfall der Partei“ auf dem a. o. PT viel tiefer ging, als es nach außen den Anschein hatte. Es waren wohl nicht nur „rechte und linke Liquidatoren“ und „Fraktionisten“, die der „endgültigen Zersplitterung Vorschub“ leisteten, sondern auch wohl die „theoretischen Ergebnisse des Marxismus-Leninismus“, die verhinderten, dass sich überhaupt „Massenorganisationen am Ort“ entwickeln konnten. Wieder gerieten eine Vielzahl der Theorien des ZK in den Fokus der Kritiken. U. a. die „Zwei-Wege“ Theorie, die wohl, wie keine andere Theorie, den tiefen Bruch auf dem a. o. PT charakterisierte, und die sich sogar zum realen Spaltpilz entwickelt hatte.
Widerstandlos wollte sich der Dortmunder Rest-KSB/ML nicht aufgeben. An dem Papier ist herauszulesen, dass der an der Gründung der KPD/ML festhielt und auch, dass er das ZB mit Argwohn betrachtete. Die Spaltung der OG selbst, die auf die Auseinandersetzungen des LSeK mit der OG-Leitung Dortmund zurückzuführen seien (51), hätte eine „putschistische Politik“ zur Folge gehabt, und sie sei den „bürgerlichen Managern“ in der Ortsgruppe zuzuschreiben, die eine „Fraktion in der Partei“ bildeten. Offensichtlich befand sich die OG Dortmund (inklusive RG und Parteigruppe) in einem Ausnahmezustand. Das Aufbäumen gegen die sichtbaren Misserfolge, die schwelende Unruhe unter den Gremien und das stetige Lavieren der Interventionsgruppen, wurde in die Formulierung gepackt:
„Die alte KPD/ML ist tot. Viele ihrer Mitglieder wenden sich heute dem Sumpf zu, ja sie hat selbst bereits tief im Sumpf gesteckt. Es ist notwendig, sich von diesen Elementen zu reinigen …“ (52)
Es schien so, dass der gepanzerte Arm der Revolution noch wirkte, wenn darauf insistiert wurde, sich „zu reinigen“. Dabei fehlten auch hier die politische Koordination, Aktionsfelder oder kommende Kampagnen. Die Zeitung „Rotfront“ sollte die Stimmungslage verbessern, womöglich sollte sie sogar den Untergang der Gruppen in Dortmund gänzlich verhindern. Dass die Zeitung in „Stahlhart“ umbenannt werden sollte, war eine Grundsatzentscheidung oder eine einfache bedingungslose Kapitulation vor den Auseinandersetzungen. Ob „Rotfront“ oder „Stahlhart“, jeder Versuch, darüber das Scheitern erklären zu wollen, glich der eigenen Überschätzung in diesem Diskurs.
In den verschiedenen Papieren wurde auch Kritik der KSB/ML Ortsgruppen Hamburg, Köln, Bochum oder Würzburg laut. Durchweg wurde dort den Durchhalteparolen des kommenden „Exekutivkomitees“ der KPD/ML-ZK eine Absage erteilt. Aber es war wie ein Sturm im Wasserglas- oder Liberalisierungsoptimismus. Mit der KPD/ML wollten alle irgendwie weiter machen, aber nicht unter der politischen Führung des Komitees, die als „Bürokratenkopf“ doch abgewirtschaftet hatte. Einige Gruppen sollten sich spalten und bei anderen Hochschulorganisationen mitarbeiten, der KSB/ML Bochum z. B. sollte sich wieder nach einer Spaltung reorganisieren und war auch noch weit über das Jahr 1973 aktiv.
Der Aktionsausschuss der Marxistisch-Leninistischen Gruppen in NRW zum 1. Mai, in denen die Marxisten-Leninisten Dortmund eine wichtige Rolle spielten, gab im April 1972 die Broschüre „Aufruf der Marxisten-Leninisten zum ROTEN 1. MAI 72 - Im Kampf gegen imperialistische Unterdrückung und revisionistischen Verrat die Kommunistische Partei schaffen!“ heraus.
Die Broschüre rechnete mit der Politik der KPD/ML-ZK und der KPD/ML-ZB ab und griff insbesondere den „spontaneistischen Attrappenschwindel der KPD und der KPD/ML“ an. Nach dem a. o. PT ging es ihnen um eine analytische Klärung der Programmatik der Gruppen. Zur Gruppenbildung nach dem Parteitag wurde ausgeführt: „Es gibt heute zahlreiche Gruppen und Organisationen, die sich marxistisch-leninistisch nennen. Ungefähr genau soviel 'Programme' werden der Arbeiterklasse zum 1. Mai vorgehalten. Die einen überbieten sich in radikalen gewerkschaftlichen Forderungen, andere dreschen revolutionär klingende Phrasen, die dritten laufen der DKP hinterher. Ein kommunistisches Programm, das der Arbeiterklasse wirklich eine Perspektive im Kampf gegen den imperialistischen Staat bietet, gibt es nicht. Vielmehr halten die meisten Gruppen ihre Wünsche schon für Realität und sehen nicht, dass sie bloß der spontanen Arbeiterbewegung hinterherlaufen, statt ihr eine revolutionäre Perspektive zu öffnen …
So leugnet die 1. Mai-Parole des ZB (KPD/ML-ZB, d. Vf.): 'Arbeitereinheistfront gegen Notstand, Militarismus und Revanchismus' schlicht, dass die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, die die Einheitsfront der Arbeiterklasse nur zum Sturz des Imperialismus führen könnte, nicht einmal in den geringsten Ansätzen existiert. Das Üble dieser Attrappenpolitik des ZB ist, dass sie viele fortschrittliche Arbeiter und Marxisten-Leninisten an der Herausarbeitung einer marxistisch-leninistischen Programmatik der Revolution in Westdeutschland hindert. Diese Politik führt dann auch dazu, durch die Übertragung der Parolen der KPD von 1930, den Kampf gegen Imperialismus und Revisionismus völlig falsch zu bestimmen. Wir stehen heute weder vor dem unmittelbaren Sturz der Großbourgeoisie, noch bildet die SPD heute die entscheidende aktive Kompromisslerpartei, die die Arbeiterklasse an der Errichtung ihrer Diktatur hindert. Vielmehr gilt es heute, die revolutionäre Partei des Proletariats erst im Hinblick auf solche Aufgaben aufzubauen und dabei die modernen Revisionisten als Hauptspalter der Arbeiterklasse zu bekämpfen. Denn als Agenten des Sozialimperialismus sind es gerade die modernen Revisionisten, die große Teile von fortschrittlichen Arbeitern davon abhalten, wirklich den Kampf zum Sturz der Bourgeoisie und zur Schaffung einer wirklich kommunistischen Partei aufzunehmen. Mit seinem Mai-Aufruf veranstaltet das ZB also nur viel Lärm um sich selbst. Es geht weder auf die zentralen programmatischen Fragen, noch auf den real stattfindenden Klassenkampf ein.
Die sog. 'KPD', ein Westberliner Zirkel, der sich neuerdings in Dortmund angesiedelt hat, versucht die Schwierigkeit zu vermieden, indem sie gänzlich auf eine zusammenhängende politische Propaganda zum 1.Mai verzichtet. Sie stellt ein gewerkschaftliches Kampfprogramm auf, das sich als gewerkschaftliches Oppositionsprogramm in den Rahmen der DGB-Veranstaltung zum 1. Mai einpassen ließe. Der DGB fordert dort: Für eine bessere Welt! - Für die qualitative Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen. Die 'KPD' fordert den Kampf gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der arbeitenden Massen durch Monopolkapital und SPD-Regierung. Der DGB fordert: Für sichere Arbeitsplätze! Für gerechtere Entlohnung! Die 'KPD' fordert: Für den 7-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich! Es fragt sich, warum dieser Zirkel sich eigentlich komm. Partei nennt, da mit diesem Namen doch vor allem der revolutionär-politische Kampf gegen den imperialistischen Staat verbunden ist. Mit vielen Worten versuchen die Genossen durch ihr gewerkschaftliches Kampfprogramm zuzudecken, dass sie nicht in der Lage sind, der Arbeiterklasse und den breiten Volksmassen den Weg zum Sturz des imperialistischen Staates und der Errichtung der Diktatur der Arbeiterklasse aufzuweisen.
Der Weg, den sie aufzeigen, ist der des Reformismus und Ökonomismus. Sie wollen gerade als Voraussetzung für den politischen Kampf gegen den Imperialismus und Revisionismus die Einheit der Arbeiterklasse im ökonomischen Kampf erreichen. Sie 'übersehen' dabei, dass der ökonomische Kampf der Arbeiterklasse immer aufs Neue ihre Bindung an den imperialistischen Staat selbst herstellt, dass die Überwindung der Spaltung nicht auf Grundlage des Kampfes um die Verbesserung der Lebensbedingungen, sondern nur auf Grundlage des Kampfes gegen die politische Unterdrückung erreicht werden kann. Der Popanz 'KPD' hält also noch in üblerer Weise die Marxisten-Leninisten und fortschrittlichen Arbeiter von der Aufgabe ab, das marxistisch-leninistische Programm der Revolution in Westdeutschland herauszuarbeiten.
Die wichtigste Aufgabe der Marxisten-Leninisten besteht also nicht darin, sich als entwickelte kommunistische Partei auszustaffieren, wie es der Rote Morgen (KPD/ML-ZK, d. Vf.) und das ZB tun, noch sich als gewerkschaftsoppositionelle Bewegung der radikalen Gegengewerkschaft aufzuspielen, wie es die 'KPD' tut. Die zentrale Aufgabe der Marxisten-Leninisten ist nicht, die alten Losungen der kommunistischen Partei zu wiederholen, sondern das Programm und das Gesicht der kommunistischen Partei in Westdeutschland erst einmal herauszuarbeiten. Das geschieht nicht dadurch, dass irgendwelche Popanze ihre höchst privaten Einschätzungen und abgeschriebenen allgemeinen Verse dafür ausgeben. Das Programm der Kommunisten kann nur auf Grundlage einer umfassenden Analyse des westdeutschen Imperialismus, seiner Pläne, seiner Krisen, des Klassenkampfs, der Zurückweisung der Auffassungen der Revisionisten auf der einen Seite und der Zusammenfassung der konkreten Erfahrungen der Massen im Klassenkampf entstehen. Nur so ein Programm, das aus tiefer wissenschaftlicher Einsicht in die konkreten Verhältnisse des Imperialismus und die Bewegung der Klassen, sowie aus den Erfahrungen unserer engsten Verbundenheit mit dem Kampf der Massen gegen Ausbeutung und Unterdrückung hervorgeht, kann den konkreten Weg zum Sturz der Bourgeoisie und zur Errichtung der Diktatur der Arbeiterklasse aufzeigen. Gerade der Zerfall der KPD/ML-RM, der Mutter fast aller Möchtegern-KPD-s, hat unerbittlich gezeigt, dass der organisatorische Popanz dieser Organisationen keinen bewussten Beitrag zur Herausbildung des Programms der Kommunisten in Westdeutschland leistete, sondern unter dem unverhältnismäßigen 'Ballast' ihres Anspruchs , bolschewistische Partei des Proletariats zu sein, ständig zwischen reformistischer und ökonomistischer Anpassung an die DKP und 'linke' Elemente der SPD und sektiererischem von den Massen losgelösten Geschrei hin und her schwankt. Solches Schwanken drückt sich in den verschiedenen 'Mai-Programmen' der KPD/ML-s und 'KPD' und anderen Zirkeln aus. Statt die zentrale Notwendigkeit, die revolutionären Partei der Arbeiterklasse erst einmal herauszubilden, in den Mittelpunkt der Propaganda zum 1.Mai zu stellen, speilen sich diese Zirkel großsprecherisch als diese Partei auf und stellen radikale wirtschaftliche Forderungen an den Staat, oder behaupten völlig aus der Luft gegriffen, dass Revolution und Faschismus direkt vor der Tür stünden. Reformistische Forderungen und unverständliches Phrasengedresch zeigen aber keinen Ausweg aus imperialistischer Unterdrückung und revisionistischem Verrat …“ (53)
Der Text las sich wie eine moralische Eroberung der richtigen Positionen des Marxismus-Leninismus. Indem vor allem das ZK und das ZB auf die „engste Verbundenheit mit dem Kampf der Massen“ verzichten würde, würden sie „viele fortschrittliche Arbeiter und Marxisten-Leninisten an der Herausarbeitung einer marxistisch-leninistischen Programmatik der Revolution in Westdeutschland“ hindern. Der Zerfall der KPD/ML-ZK hätte zudem gezeigt, „dass der organisatorische Popanz dieser Organisationen keinen bewussten Beitrag zur Herausbildung des Programms der Kommunisten in Westdeutschland“ leisten würde, „sondern unter dem unverhältnismäßigen 'Ballast' ihres Anspruchs , bolschewistische Partei des Proletariats zu sein, ständig zwischen reformistischer und ökonomistischer Anpassung an die DKP und 'linke' Elemente der SPD und sektiererischem von den Massen losgelösten Geschrei hin und her“ schwenken würde. (54)
Nun können die ML-Gruppen in NRW als Gegenpol zur KPD/ML bezeichnet werden. Das Ergebnis der Krise der KPD/ML gipfelte für sie in der Episoden- und Kampagnenpolitik dieser, die mit der Vielzahl der Unbekannten Politik machte. Zu dieser Zeit war es relativ leicht, „Sündenböcke“ auszumachen. Diese politische Kultur instrumentalisierte gerne, und sie war gegenüber dem Marxismus autoritätsgebunden. Auf den Marxismus vers. Leninismus berief man sich gerne oder ausschließlich, um die Gegner abzustrafen, zu verurteilen oder sie in einem Namenszug mit den „großen Verrätern“ der Arbeiterbewegung zu nennen. Bei den Marxistisch-Leninistischen Gruppen war es nicht anders. Da einige Vertreter von ihnen auf dem a. o. PT anwesend waren und von den dortigen Ereignissen exklusiv berichteten, lasen sich ihre Verlautbarungen wie ein Neubeginn, zwar nicht unter alter Flagge, aber unter dem gleichen Kapitän.
Es fiel auf, dass die ML-Gruppen ein gehöriges Misstrauen gegenüber politische Aussagen der KPD/ML-Gruppen hatten. Meinten sie doch: „Wir stehen heute weder vor dem unmittelbaren Sturz der Großbourgeoisie, noch bildet die SPD heute die entscheidende aktive Kompromisslerpartei, die die Arbeiterklasse an der Errichtung ihrer Diktatur hindert. Vielmehr gilt es heute, die revolutionäre Partei des Proletariats erst im Hinblick auf solche Aufgaben aufzubauen und dabei die modernen Revisionisten als Hauptspalter der Arbeiterklasse zu bekämpfen. Denn als Agenten des Sozialimperialismus sind es gerade die modernen Revisionisten, die große Teile von fortschrittlichen Arbeitern davon abhalten, wirklich den Kampf zum Sturz der Bourgeoisie und zur Schaffung einer wirklich kommunistische Partei aufzunehmen …“ (55)
Die Abwendung von der SPD als „soziale Hauptstütze der Bourgeoisie“ schien wenig begründet gewesen zu sein. Der Aufbau der Partei des Proletariats, vor dem die Marxisten-Leninisten stehen würden, erinnerte zwar an die Dickhutschen Einlassungen, war aber insgesamt die konsequente Fortsetzung einer der Debatte des a. o. PT Beibehalten bzw. ergänzt wurden die Thesen zum „modernen Revisionismus“ bzw. „Sozialimperialismus“ und deren „Agenten“. Hier hatte die KPD/ML noch arge Spuren hinterlassen, die allesamt im „Roten Morgen“ und der „Roten Fahne“ nachzulesen waren. Das eigentlich Neue war der Schlachtruf „Bauen wir eine starke bolschewistische Partei“ auf. Dieser tauchte in den Thesen der ML-Gruppen zwar nicht auf, war aber nicht zu überhören. Das machte die Widersprüche des Projekts aus, dass sich doch, trotz allem Trennenden, irgendwo wieder unter dem Dach der KPD/ML zusammenfand. Die Polemik der Gruppen nach dem a. o. PT klang auch eher verhalten. Ihre moderate Status-quo Politik und die Schattenlinien ihrer Programmatik, tendierten definitiv auf ein KPD/ML-konsolidierendes Programm.
Die vielleicht wichtigste Schrift der Gruppe dürfte jedoch das Papier: „Den Parteiaufbau bewusst in Angriff nehmen. Ein Beitrag zum ideologischen Kampf gegen revisionistische Auffassungen zum PA“ gewesen sein. Die Schrift, die vermutlich bereits schon kurz nach dem a. o. PT verfasst worden war, wurde vermutlich im Februar in ersten Ausgabe, und im April 1972 in einer zweiten verbreitet. Im Wesentlichen wurde hier über „die ML Theorie des Parteiaufbaus“ reflektiert. Die KPD/ML war hier Gegenstand der Debatte.
U. a. hieß es dort: „Unmittelbar nach Bekanntwerden der Ereignisse auf dem a. o. Parteitag traten in den Dortmunder Massenorganisationen die Leitungen zurück und wurden durch gewählte Komitees ersetzt, die den ideologischen Kampf um die entscheidenden Fragen anleiten sollten. Im Verlauf dieses Kampfes zeigte es sich jedoch klar, dass diese Komitees die Konzentration und Weiterentwicklung der richtigen Ansichten erschwerten, indem sie die unausgewiesenen Struktur der alten Partei fortsetzen. Korrekt ist dagegen, dass die fortschrittlichen Genossen sich im Kampf unter allen bewussten Marxisten-Leninisten, ob sie nun Studenten, Lehrlinge, Schüler oder Arbeiter sind, durch ihre Initiative Arbeit für den Parteiaufbau herausstellen. Wir erkannten, dass dazu als erster Schritt notwendig ist, die Ergebnisse der Landesdelegiertenkonferenz NRW zusammenzufassen und die Papiere aus Duisburg, Dortmund und Bielefeld und die Kritik daran zu verarbeiten …
Mit ihrem Pamphlet 'Aufruf an alle Marxisten-Leninisten' hat sich die bürgerliche Fraktion der Dortmunder ehemaligen OG zumindest theoretisch auf die Position der 'Roten Fahne Bochum' gestellt, und mit der Behauptung, es gäbe eine bolschewistische Partei, ihre subjektiven Wünsche zur objektiven Wirklichkeit erklärt. Obwohl wir in diesem Papier die wesentlichen Kritikpunkte an dieser Position in allgemeiner Form schon darstellen, werden wir in nächster Zeit mit einer Kritik an der Theorie und Praxis der 'Roten Fahne Bochum' den Kampf gegen diese Auffassungen konkret weiterführen.
Bei der Beurteilung der Entwicklung der Widersprüche in der KPD/ML und unserer gegenwärtigen Lage gehen wir von folgendem aus" Der a. o. Parteitag war als 'bewusstester Ausdruck der KPD/ML' nicht in der Lage, ein ideologisch führendes Zentrum für den Aufbau der bolschewistischen Partei zu schaffen. Er hat offenbart, dass die KPD/ML einen losen Zusammenschluss verschiedener Zirkel mit unterschiedlichen politischen Linien darstellt. Keine dieser Linien hat sich bisher als bewusster Ansatz für den Parteiaufbau ausgewiesen; vielmehr waren alle Auffassungen mehr oder weniger deutlich gekennzeichnet durch das grundlegend bürgerliche Wesen des Zirkelverbandes KPD/ML. Auf der Grundlage einer ORGANISATORISCHEN AUFFASSUNG von der Partei existierten die verschiedenen Linien kampflos nebeneinander, ohne dass ein bewusster Kampf zweier Linien geführt worden wäre.
Der a. o. Parteitag hat offenbart, dass sich die KPD/ML nicht auf dem Fundament einer wissenschaftlich begründeten Linie zum Parteiaufbau gegründet und entwickelt hat. Gegründet wurde die Partei auf der Grundlage der bloßen Absicht, eine ml Partei aufzubauen. Aus den bei der Gründung vertretenen bürgerlichen Auffassungen entstand in der Entwicklung der KPD/ML die durchgängige Linie der ANBETUNG DER SPONTANEITÄT UND DER HERABMINDERUNG DER ROLLE DER BEWUSSTHEIT.
Der a. o. Parteitag hat offenbart, dass die KPD/ML ein organisatorischer Popanz war, der mit radikalen Phrasen und einer ökonomistischen Praxis zahlreichen Marxisten-Leninisten Sand in die Augen streute. Die KPD/ML hielt viele Marxisten-Leninisten davon ab, die zentralen Fragen für den Aufbau der bolschewistischen Partei wirklich anzupacken: Die Polemik um die Linie des Parteiaufbaus mit allen Marxisten-Leninisten zu führen und durch die Konkretisierung und Anwendung des ML und der MTI (Mao Tse-tung-Ideen, d. Vf.) auf die 'brennenden Fragen unserer Bewegung' die wissenschaftliche Linie für den Parteiaufbau und damit die Partei selbst herauszubilden…
DIE GRÜNDUNG DER KPD/ML HATTE EINE REVOLUTIONÄR-PROPAGANDISTISCHE BEDEUTUNG. Der Akt der Gründung der KPD/ML (31.12.1968, zum 50. Jahrestag der Gründung der KPD) propagierte erstmals, mit der revisionistisch entarteten KPD und dem modernen Revisionismus endgültig zu brechen, durch die Schaffung einer ml Partei, die mit dem ML und den MTI gewappnet ist. In der Grundsatzerklärung hob der Gründungsparteitag richtig hervor, dass 'ohne die Führung durch eine revolutionäre Partei, die gemäß der revolutionären Theorie und dem revolutionären Stil des ML aufgebaut ist ... es unmöglich (ist), die Arbeiterklasse und die breiten Volksmassen zum Sieg über den Imperialismus und seine Lakaien zu führen.'
Das Hervorheben der Notwendigkeit, eine ml Partei aufzubauen, war das große Verdienst der Genossen des Gründungsparteitags. Ihr noch größerer Fehler bestand aber darin, dies für eine ausreichend Plattform für den Aufbau einer ml Partei zu halten. Der Gründungsparteitag hatte keine Klarheit darüber geschaffen, auf welche Weise die Partei aufgebaut werden soll. Die Genossen stellten sich allgemein auf die Polemik zur Generallinie der kommunistischen Bewegung, d.h. sie grenzten sich von der grundlegenden Revision bestimmter Wahrheiten des ML durch die Sowjetrevisionisten und ihre Lakaien ab. Die Genossen des Gründungsparteitags entwickelten aber keine Klarheit in der Frage, wodurch sich der Aufbau der ml Partei vom Aufbau einer revisionistischen unterscheiden soll. Ihr Vorhaben, der KPD-DKP eine neue Organisation gegenüberzustellen, war nicht das Resultat eines ideologischen Kampfes innerhalb der gesamten kommunistischen Bewegung Westdeutschlands und ging nicht von dem ml Verständnis über das grundlegende Wesen einer ml Partei aus … Dass den Genossen das Wesen des modernen Revisionismus beim Parteiaufbau völlig unklar, beweist ihre 'Erklärung' der revisionistischen Entartung der KPD in der Grundsatzerklärung …
Die spontane Entwicklung der KPD/ML war notwendig bürgerlich, denn sie setzte der herrschenden bürgerlichen Ideologie keine ml Bewusstheit in den zentralen Fragen des Parteiaufbaus entgegen. Der Gründungsparteitag hatte keine Klarheit in diesen Fragen geschaffen. Die Genossen gingen praktisch davon aus, dass sich im Rahmen einer nationalen Organisation und auf der Grundlage der allgemeinen Prinzipien des ML und der MTI die Linie für den Parteiaufbau entwickeln ließe. Die revolutionäre Praxis innerhalb dieses organisatorischen Rahmens sollte dabei die entscheidende Erkenntnisquelle bilden. Heute müssen wir erkennen, dass diesen Auffassungen von der Entwicklung der Linie zum Parteiaufbau auf Grundlage einer nationalen Organisation und der eigenen Praxis eine revisionistische Theorie von der Partei und eine vulgärmaterialistische Weltanschauung zugrunde liegt. Das revisionistische Parteiverständnis drückte sich in der Vorstellung aus, dass der ideologische Kampf sich nur innerhalb eines vorhandenen organisatorischen Rahmens entwickeln könne. Im Widerspruch zwischen Ideologie und Organisation ging man von der Hauptseite Organisation aus und revidierte damit die grundlegende Erkenntnis der ml Parteitheorie, dass die Organisation der Revolutionäre nur das Resultat ihres ideologischen Kampfes und nicht seine Voraussetzung sein kann …
DIE PLATTFORM DES ZK DER KPD/ML. Die 'Plattform' war eine Antwort des ZK auf den Versuch der Roten Garde NRW (später KJVD) die bürgerliche Politik des Zirkelverbandes KPD/ML mit dem Programm 'Kühn die Massen mobilisieren' zu überwinden. Die Antwort des ZK auf ihre Theorie, die Partei aus den spontanen Kämpfen der Arbeiterklasse zu entwickeln, blieb trotz des richtigen Hervorhebens der besonderen Bedeutung der revolutionären Theorie heute, nur ein Ausdruck des bürgerlichen Wesens der KPD/ML … Die Plattform des ZK war nicht das Ergebnis eines ideologischen Kampfes um die Fragen der Spaltung, sondern ein Mittel, die aufgetretenen Widersprüche zu verdecken. Die Plattform gab keine Antwort auf die Spaltung. Sie ging konkret darauf nicht einmal ein. Vielmehr versuchte sie, die wirklichen Widersprüche in der Partei zu verschleiern: Den Widerspruch zwischen dem Anspruch einer bolschewistischen Partei und der an allen Ecken und Enden auftretenden Notwendigkeit, die Grundlagen dieser Partei erst einmal zu schaffen …
Dem ökonomistischen Programm des KJVD 'Kühn dem spontanen Kampf der Arbeiterklasse hinterherzulaufen' hielt die Plattform die revolutionäre Fahne der Hauptseite Theorie im Widerspruch Theorie und Praxis entgegen. Das Hervorheben der hervorragenden Bedeutung der revolutionären Theorie gegenüber der spontanen Bewegung heute hatte im Verhältnis zu der weitverbreiteten Anbetung der Spontaneität und der Herabminderung der Rolle der Bewusstheit in der ml Bewegung eine wahrhaft revolutionäre Bedeutung.
ZERFALL DER KPD/ML
Die verschiedenen Bestandteile der revisionistischen Linie der KPD/ML stehen nicht zufällig nebeneinander. Ihre gemeinsame Grundlage liegt in der Anbetung der spontanen Arbeiterbewegung und in der Notwendigkeit, die ökonomisch-revisionistische Praxis auch theoretisch zu rechtfertigen. Zu dieser Praxis und zu diesen Rechtfertigungen konnte es nur kommen, weil wir kein Verständnis für den grundlegenden Widerspruch der die Entwicklung einer revolutionären Partei als bewusster Vorhut der Arbeiterklasse bedingt, hatten. Wir haben keinen klaren Trennungsstrich zwischen denen gezogen, die eine Partei aufbauen, die für die Arbeiterklasse nur einen organisatorischen Wurmfortsatz ihrer eigenen Spontaneität bildet, und denen, die die Partei als BEWUSSTEN VORTRUPP der Arbeiterklasse verstehen. Wir haben keinen Trennungsstrich gezogen zwischen denen, die nur die 'Wissenschaftlichkeit' des Bewusstseins der Arbeiterklasse entwickeln wollten und denen, die wie Lenin davon ausgingen, dass der wissenschaftliche Sozialismus und das politische Klassenbewusstsein erst in die Arbeiterklasse von außen hineingetragen werden muss. In diesem Punkt zeigt sich, dass die KPD/ML von Anfang an die grundlegende Rolle der kommunistischen Partei als Trägerin der Bewusstheit gegenüber der Spontaneität nicht verstanden hat. D.h. dass die Genossen, die innerhalb der KPD/ML gearbeitet haben, gewollt oder ungewollt eine revisionistische Partei aufgebaut haben.
Während der Vorbereitungen des a. o. Parteitags bemühten sich in der KPD/ML zahlreiche proletarische Kräfte, eine Kritik zu entfalten an der ökonomistischen und revisionistischen Praxis der Partei. Die bürgerlichen Vertreter der Partei entwickelten daraufhin immer stärker ein Gerippe zur allgemeinen Rechtfertigung der ökonomistischen und revisionistischen Praxis der Partei. Trotz zahlreicher Kritiken am Ökonomismus und an der Vereinigungsprojektmacherei anderen ML-Organisationen gegenüber war diese bürgerliche Linie nicht bereit, ihre Positionen infrage stellen zu lassen und sie zu korrigieren. Sie ging vielmehr daran, die proletarischen Kräfte mit bürokratischen Mitteln zu liquidieren. In Hamburg beförderten die Vertreter der bürgerlichen Linie den ganzen KSB/ML aus der Partei, als dieser die bürgerliche Linie entlarvte. Alle aufrechten Genossen, die den Kampf um die Frage des bewussten Parteiaufbaus aufrecht erhielten, wurden aus der Partei gesäubert. (Das führte in kurzer Zeit in Hamburg dazu, dass in der Parteiopposition die gesamten ehemaligen Mos und die Mehrheit der ehemaligen Parteigenossen saßen). Aus der RM-Redaktion wurden die Kritiker ausgeschlossen.
Der schwarze Häuptling Ernst Aust wollte dieses Schicksal allen Genossen in der Partei zukommen lassen, die den Kampf zweier Linien in der Partei entfalteten. Sein Artikel im Roten Morgen 'Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz' (vgl. 11.10.1971, d. Vf.), unter den er auch noch demagogisch 8 Arbeiteradressen setzte, wurde zur Plattform für den Kampf der bürgerlichen Linie gegen die proletarischen Kräfte in der Partei.
Der Versuch der bürgerlichen Linie, sich jeder Kritik zu entziehen und mit organisatorischen Tricks Politik zu machen, fand ihren Höhepunkt in der systematisch vorbereiteten Spaltung der KPD/ML auf der 2. Sitzung des a. o. Parteitags. Der Auszug der Aust-Clique mit dem Landesverband Bayern und deren Selbsternennung zur bolschewistischen Partei (‚Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren‘) bildeten einen wichtigen Faktor für den organisatorischen Zerfall der KPD/ML.
Die dritte Sitzung des a. o. Parteitags erreichte eine Einheit über die Notwendigkeit des radikalen Bruchs mit der bisherigen bürgerlichen Politik der KPD/ML. Doch diese Einheit war keine bewusste Einheit. Es bestanden verschiedene Auffassungen über die inhaltliche Füllung der Politik des radikalen Bruchs. Es wäre nur die Fortsetzung der alten bürgerlichen Politik gewesen, wenn die Delegierten auf dieser Basis ein zentrales Gremium geschaffen hätten.
Der Zerfall der KPD/ML ist nicht, wie die bürgerliche Linie behauptet, das Werk böser Liquidatoren, sondern ein unvermeidliches Ergebnis dreier Jahre. Mit dieser bürgerlichen Politik kann nicht allein im Rahmen der alten KPD/ML gebrochen werden. Diesen Rahmen erhalten, hieße, die alte Politik fortzusetzen. Der Zerfall der KPD/ML kann nur richtig als eine notwendige Erscheinungsform der ersten Phase der Politik des radikalen Bruchs verstanden werden …“ (56)
Die Ausführungen zur inneren Entwicklung der KPD/ML lasen sich wie ein Schuldbekenntnis. Der Zerfall der KPD/ML liegt in der „Anbetung der Spontaneität und Herabminderung der Rolle der Bewusstheit und dreier Jahre bürgerlicher Theorie und Praxis“ begründet. Die oppositionellen Traditionalisten brachen, da sie stets vom „radikalen Bruch“ redeten, allenfalls mit der Form des Parteiaufbaus, den die KPD/ML auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Der ständig im Munde geführte „bewusste Parteiaufbau“, müsse sich an einer „wissenschaftliche Linie für den Parteiaufbau“ messen lassen. Erst dann kann sich die „Partei selbst herauszubilden“. Diese Thesen können als Resümee des Papiers der ML-Gruppen bezeichnet werden. Sie entsprangen aber kaum einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten für einen Parteiaufbau überhaupt. De facto lag hier nichts anderes vor als ein Rückzug in die pläneschmiedende Ohnmacht mit den berühmten Selbstkritiken, die sich hier an Konfrontationen und Reibungen festmachen lassen.
Zudem war ein wichtiger Bestandteil der Kritik die sog. „bürgerliche Linie“, die dem Marxismus-Leninismus und den Mao Tsetungideen total widersprachen. Demzufolge hätte man mit der KPD/ML eine „revisionistische Partei aufgebaut“. Die ML-Gruppen NRW, die, bevor sie sich zu verschiedenen örtlichen ML-Gruppen konstituierten, zunächst noch als „Fraktion in der KPD/ML“ auftraten, entpuppten sich zunehmend als Verständigungsliberale. Da die KPD/ML dieses und jenes nicht verstanden hätte, und der „fehlenden ideologischen Kampf“ gegen den Revisionismus“ sich als grundlegende Schwäche entpuppte, müsste nun alles nachgeholt werden- sozusagen eine nachzuholende Modernisierung der KPD/ML. Mit dem Festhalten am großen Ziel, die Kommunistische Partei aufzubauen, in der die „brennenden Fragen unserer Bewegung“ geklärt werden und die „wissenschaftliche Linie für den Parteiaufbau“ die Oberhand gewinnen würde, könnte die ML-Bewegung revolutioniert werden.
Jene wilden ideenpolitischen Auseinandersetzungen hatten die maoistische Bewegung seit den ersten Tagen bestimmt. Es ging immer um einen elastischen Organisationsstatus, der entweder mit dem „alten“ Establishment (Ernst Aust als „schwarzer Häuptling“) nichts anfangen konnte und misstrauisch wurde, oder um eine Neuformierung auf alter Grundlage. Beides war mit dem a. o. PT aus den Köpfen nicht verschwunden. Der alte Dickhutsche „Bund“ wurde entweder zentralisiert oder einfach demokratisiert. Mehr als partielle Konzessionen waren nicht festzustellen, jedoch ein Zuwachs der Machtgewinnler, die nun ihrerseits mit napoleonischer Größe schritten.
Im Rechenschaftsbericht der ABG vom April 1972 wurde zum a. o. PT ausgeführt: „Der a. o. Parteitag der KPD/ML-ZK ist in totaler Zersplitterung geendet. Die Ortsgruppe München halte als einzige noch zu Aust, habe aber auch politisch völlig abgewirtschaftet. Allerdings habe in Bayern die ‚Aust-Clique‘, die sich sonst vollkommen isoliere, noch einen geringen Einfluss in einigen ländlichen Gebieten. Die KPD/ML-ZB habe weiter an Bedeutung verloren, es sei ihr nicht gelungen, die sich in Scharen im KJVD organisierenden Jugendlichen zu halten und ihre Stützpunkte auf den Dörfern weiter aufzubauen.“ (57)
Die Beschreibung über den Ablauf des Parteitags ähnelte den Ausführungen des KABD/MLPD. Hier fehlte nur der Hinweis auf die „Kleinbürgerei“, oder die „fraktionistischen Wilden“, die den Parteitag nach ihren Wünschen gestaltet hätten wie es die „Geschichte der MLPD“ vermerkte. Dem Bericht der ABG war nicht viel zu entnehmen. Es schien ihm aber nicht entgangen zu sein, dass der a. o. PT eine „totale Zersplitterung“ nach sich zog. Typisch für die ABG war, wie dem kurzen Auszug des RB zu entnehmen war, der Verzicht auf eine Darlegung möglicher Ursachen des Zerfalls der KPD/ML. Später, etwa in „10 Jahre Antwort auf die Frage „Was Tun?. 10 Jahre Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, meinte er in der Rückschau: „Auch die ‚links‘-sektiererischen Feinde der Einheit, die KPD/ML und andere Grüppchen, erlitten eine harte Niederlage …“ (58)
Dem AB, der sich in seiner Politik an den schwäbischen KABD-Verband anlehnte, war der Ausgang des a. o. PT völlig egal. Die „Linkssektierer“ waren „Feinde der Arbeiterklasse“, die auf einer Stufe mit dem „Parteifeind“ Hugo Lanz standen, der in München, wie die „KAZ“ Nr. 22 vom April 1972 berichtete, sein Unwesen trieb. (59) Auf Dauer blieb die KPD/ML für den AB der Gegner der „Linkssektierer“ schlechthin, ohne dass er sich sonderlich profilieren konnte.
Eine der wichtigsten Kritiken an der KPD/ML nach dem a. o. PT legten die Marxisten-Leninisten Bochum vor. Die Gruppe, bzw. eine der Gruppe von mindestens drei Gruppen mit dem gleichen Kürzel, setzte sich zusammen aus ehemaligen ZK- und ZB-Mitgliedern. Aus dem März 1973 datierte die 64-seitige Broschüre mit dem Titel „Schlag zu, schon geht es los - Die KPD/ML und der Klassenkampf in der BRD.“
„Die Bewegung nähert sich heute immer mehr einem Wendepunkt in ihrer jungen Geschichte. Die Zersplitterung wird zu einem Hemmschuh, der bald jeden Fortschritt in der praktischen revolutionären Arbeit von Anfang an unmöglich macht … Die Organisation des Roten Morgen war die erste marxistisch-leninistische Organisation auf westdeutschem Boden nach der totalen Entartung der KPD. Die Organisation Roter Morgen hat in der Vergangenheit einen entscheidenden Beitrag zur revolutionären Bewegung geleistet. Sie hatte eine Anzahl korrekter Positionen aufgrund der richtigen Anwendung wesentlicher Erfahrungen der Arbeiterbewegung auf die Klassenkampfsituation in der BRD entwickelt (Hauptseite Theorie, die Etappen des Parteiaufbaus, richtige Ansätze zu einer Gewerkschaftslinie, Einheit der Marxisten-Leninisten). Heute ist sie im Wesentlichen von ihren korrekten Positionen abgerückt und kultiviert den Opportunismus.
Wir, ein Zirkel der Marxisten-Leninisten Bochum, halten es für unsere Pflicht, den Opportunismus des Roten Morgen zu kritisieren und nachzuweisen, dass der Rote Morgen heute nicht mehr die führende Kraft innerhalb der revolutionären Bewegung ist. Der Rote Morgen hat heute nichts mehr gemein mit DER KPD/ML, die für eine kurze Zeit die führende Rolle innerhalb der ML-Bewegung spielte … Wie viele andere Zirkel, so ist auch der unsere ein Ergebnis der Spaltung der alten KPD/ML. Seither stand eine intensive Auseinandersetzung mit den falschen Ansichten des Roten Morgen auf der Tagesordnung, aber keine dieser Gruppen hat diese wichtige Aufgabe bisher geleistet. Das vorliegende Papier kann für sich in Anspruch nehmen, die erste zusammenhängende Kritik an den Positionen des Roten Morgen zu sein. Es stellt sich zur Aufgabe, den unausgewiesenen Parteianspruch des Roten Morgen zurückzuweisen und in der Kritik zu einigen wichtigen programmatischen Fragen Stellung zu nehmen …
Die kommunistische Partei der Arbeiterklasse muss vor allem ideologisch aufgebaut werden. Von dieser Erkenntnis müssen wir uns heute mehr denn je leiten lassen, um begangene Fehler nicht zu wiederholen. Die Partei ideologisch aufbauen heißt heute konkret, die grundlegenden programmatischen Fragen zu lösen. Der ideologische Kampf, soll er Klarheit bringen und zur Einheit führen, muss eben die grundlegenden Fragen einer konkreten kommunistischen Politik in der BRD zum Gegenstand haben. Die wichtigste Aufgabe der ML-Bewegung, die Vereinheitlichung auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms, das nur erarbeitet werden kann im Kampf zwischen den verschiedenen kommunistischen Gruppen und in klarer Abgrenzung zur 'Revolutionstheorie' der DKP muss unbedingt angepackt werden.
Der Rote Morgen, der dies auch schon einmal erkannt zu haben schien, hat diese Ansicht zu Gunsten einer 'richtigeren' Ansicht über Bord geworfen, indem er eine frühere Position im ZK zur Linie erhoben hat (s. dazu Ernst Aust in seiner Selbstkritik nach dem Zerfall der alten KPD/ML). Diese Abweichung fand bereits ihren Ausdruck im Roten Morgen Nr.8/1970 (vgl. Sept. 1970, d. Vf.) im Artikel: 'Über die Aufgaben des RM: Dem Klassengegner die Faust ins Gesicht'. In diesem Artikel heißt es: 'Ist nicht unsere Hauptaufgabe der Parteiaufbau und damit verbunden die Gewinnung der Besten der Arbeiterklasse? Sicherlich ist die ideologische Auseinandersetzung mit den anderen ML-Gruppen eine wichtige Sache, doch wichtiger ist: Dem Klassengegner die Faust ins Gesicht.'
In diesen Sätzen ist bereits das angelegt, was nun endgültig vom 2. Parteitag als Linie festgelegt wurde, nämlich die Politik des 'Heran an die Massen' durch Initiierung und Führung breiter Massenaktionen, wie es das ZB einmal nannte. Hierin steckt auch schon die ZB-Theorie von der Gewinnung der fortschrittlichen Arbeiter, wie sie der RM heute 'neu' der Bewegung auftischt.
Der Rote Morgen hat bis auf den heutigen Tag keinen ernsthaften Versuch gestartet, diese Aufgabe zu erfüllen. Ein Beispiel, wie 'ernsthaft' die theoretische Arbeit beim Roten Morgen betrieben wird, zeigt die Kritik am Zwei-Wege-Artikel. In der 'Sonderbeilage zum II. Parteitag' heißt es: 'So wurde die revisionistische Zwei-Wege-Theorie entlarvt und zurückgewiesen.' Wir wissen, dass dies nicht passiert ist. Will man uns etwa weismachen, dass die paar Sätze in der 'Selbstkritik des ZK' nach der Spaltung eine Entlarvung darstellen sollen? Das ist eine Schludrigkeit nicht nur gegenüber dem Verfasser, sondern auch gegenüber der ganzen Bewegung. So etwas trägt in keinem Fall zur Vereinheitlichung bei und ist nicht als konsequenter ideologischer Kampf zu verstehen. Haben die Autoren des Roten Morgen immer noch nicht begriffen, dass es nicht ausreicht, sich abzugrenzen, um jemanden zu überzeugen, dass man die falschen Ansichten zerstören muss und die richtigen entwickeln? Nur wenn man sich die Mühe gibt, die richtigen Ideen umfassend zu entwickeln und die falschen Ideen ausführlich zu kritisieren, wird der ideologischen Aufbau vorangetrieben und wird es Erfolge bei der Vereinheitlichung der Bewegung geben …
Nicht zufällig ist die marxistisch-leninistische Bewegung in Westdeutschland im Wesentlichen aus der 2. Juni Bewegung hervorgegangen, die zumindest ansatzweise eine solche Bewegung zur Herstellung einer revolutionären öffentlichen Meinung war. Unter dem Banner des Marxismus-Leninismus müssen wir diese Aufgabe weiter fortführen. Dass sie noch lange nicht erledigt ist, beweist die relative Isolierung der ml-Organisationen unter den breiten Massen. Als wir den Genossen des Roten Morgen angesichts der Münchner Olympiade (gemeint war der RAKT vom 2.9.1972, d. Vf.) vorhielten, die Massen würden den Kampf des RM mit der Staatsgewalt nicht unterstützen, wurde dies anfänglich bestritten, während man uns hinterher weismachen wollte, die Aktion habe sich an die Fortgeschrittenen gewandt. Was will der Rote Morgen mit Aktionen wie der 'Schlacht am Karlstor' eigentlich erreichen? Dass die fortschrittlichen Arbeiter vor Mitleid ausrufen, 'Denen müssen wir helfen'? Oder sollen sie sich sagen, 'Die Roten sind aber stark, die können ja glatt eine Polizeiabsperrung durchbrechen. Wir stehen auf der Seite des Stärkeren.'? Beides taugt nichts und hilft nicht, die Reihen der Revolution wirklich zu stärken. Die revolutionäre Bewegung wartet weder auf den barmherzigen Samariter, noch braucht sie Bewunderer ihrer taktischen Stärke. Wir müssen die fortschrittlichen Arbeiter für die kommunistische Idee gewinnen, dafür dass unsere Sache eine gerechte Sache ist sie letztlich Unterstützung finden wird, weil sie sich auf die objektiven Gesetzmäßigkeiten stützt. Unsere Stärke besteht in der Stärke des Marxismus-Leninismus und der Mao Tse-tung-Ideen. Unsere Autorität unter den Arbeitern kann sich zur Zeit nur auf die Autorität dieser Ideen stützen, nicht aber auf eine vermeintliche taktische Stärke …
Der Rote Morgen hat völlig den Sinn für die Wirklichkeit verloren und schwebt in einer Traumwelt, die zerplatzen wird wie eine Seifenblase. Angesichts des Münchner 'Massenprozesses' gegen Kommunisten stellte er fest: 'Die Kapitalistenklasse und ihre Justiz planten mit diesem Prozess einen VERNICHTENDEN Schlag gegen die Organisation, die sei am meisten fürchteten; die die größte Gefahr für sie darstellt: die Partei des Proletariats.' (Der vernichtende Schlag der Justiz sah dann so aus, dass der Richter auffällig die Brille putzte, die Richterin alberte und die Beisitzerin Männchen malte, während die Genossen den Imperialismus entlarvten. - Vgl. dazu die Berichte des RM) Wenn die Reaktionäre vernichtende Schläge gegen die Revolutionäre führen wollen, weil sie sich dazu gezwungen sehen, so scheren sie sich einen Dreck um die Meinung der Völker, wenn deren Druck auf sie nicht ganz massive Formen annimmt …
Der Fehler des Roten Morgen liegt eben darin, dass er weder das Besondere unserer Situation noch die allgemeinen Aufgaben der Kommunisten richtig versteht. Die Aufbauschung der aktuellen Klassenkampfsituation, die Überbewertung des Niveaus der gegenwärtigen Massenbewegungen führt dazu, dass man sich im spontanen Gang der Dinge verliert, indem man sich (der 'Partei') die Aufgabe stellt, an der Spitze der heute zwangsläufig noch vorwiegend ökonomischen Kämpfe zu marschieren. Die Kommunisten müssen aber auf jeden Fall daran festhalten, die Politik oben an zu stellen. Gerade weil wir die Massen heute so gut wie gar nicht in politische kämpfe gegen den kapitalistischen Staat führen können, besteht unsere Arbeit heute notwendigerweise im Wesentlichen aus der Propaganda in ihren verschiedenen Formen. Die Massen können die Idee des politischen Kampfes gegen die Bourgeoisie im Moment noch nicht ergreifen, weil ihnen die eigenen Erfahrungen fehlen und ihnen somit die Notwendigkeit des Sturzes der Bourgeoisie noch nicht einleuchtet. Es ist falsch und sehr gefährlich, diese Wahrheit nicht zu berücksichtigen und die Arbeit der kommunistischen Organisationen auf die Führung der ökonomischen Tageskämpfe zu konzentrieren. Das sagen uns auch ganz eindringlich die Erfahrungen der ml-Bewegung in Form der gescheiterten ZB-Politik ...
Eine Partei, die heute die ersten Schritte hin zu den Massen macht, kann das nur über die Propaganda und die Gewinnung der fortschrittlichen Arbeiter leisten. Das sind die Hauptmethoden in der jetzigen Situation, um näher heran an die Massen zu kommen. Die aktuell wichtigere Aufgabe ist jedoch die Herstellung der Einheit der Marxisten-Leninisten, die hauptsächlich mit der Methode des ideologischen Kampfes um das Programm und damit um die grundlegenden Fragen der kommunistischen Politik in der BRD gelöst wird.
Der Rote Morgen zieht heute gewaltig gegen die Zirkel zu Felde, die sich zu einem großen Teil aus der alten KPD/ML selbst heraus gebildet haben. Er tut das vor allem unter dem Aspekt, dass die Grundfragen geklärt sind, dass ein kühner Aufschwung der Massenbewegung da ist, und dass man nun eine Partei braucht, die die Massen und ihre Aktionen anführt. Dass die Bewegung heute so zersplittert ist und dass es so viele Zirkel gibt, erklärt er folgendermaßen: 'Die Zersplitterung der Bewegung hat hauptsächlich ihre Ursache darin, dass in starkem Maße kleinbürgerliche Kräfte, zum Beispiel Studenten, in der revolutionären Bewegung vertreten sind.'
Aus dieser Einschätzung resultiert in der Praxis eine Politik, die zum großen Teil an der ml-Bewegung vorbeigeht, den Fragen der Revolution, die heute von den (überwiegend intellektuellen) Revolutionären aufgeworfen werden, ausweicht und sich stattdessen auf solche Fragen der Kollegen, wie sie aus dem oben angeführten Hamburger Beispiel hervorgehen, ausrichtet. So sagte der Vorsitzende Ernst Aust auf mehreren Veranstaltungen im Ruhrgebiet: 'Wenn der ganze Saal voll von revolutionären Intellektuellen ist und nur fünf Arbeiter da sind, so spreche ich nur für diese fünf.' Dass der Genosse Aust für solche Kalauer auch noch Beifall bekommt, ist das traurige Verdienst der bisherigen Erziehungsarbeit solcher 'bolschewistischer Parteien' wie der RM, die dazu geführt hat, dass die Genossen heute nicht mit Entschlossenheit auf die Klärung der strittigen Fragen drängen, sondern sich lieber an einer Feierstunde ergötzen …“ (60)
Die wichtigsten Aussagen der Broschüre gipfelten wohl in den Sätzen: „… dass der Rote Morgen heute nicht mehr die führende Kraft innerhalb der revolutionären Bewegung ist. Der Rote Morgen hat heute nichts mehr gemein mit DER KPD/ML, die für eine kurze Zeit die führende Rolle innerhalb der ML-Bewegung spielte … Wie viele andere Zirkel, so ist auch der unsere ein Ergebnis der Spaltung der alten KPD/ML. Seither stand eine intensive Auseinandersetzung mit den falschen Ansichten des Roten Morgen auf der Tagesordnung, aber keine dieser Gruppen hat diese wichtige Aufgabe bisher geleistet …“ (61)
Die KPD/ML hatte nach Auffassung der Gruppe, ihren Status in der ML-Bewegung verloren. Sie war nichts anderes mehr als ein Zirkel unter vielen. Die Partei des Proletariats müsse erst aufgebaut werden. Die „führende Kraft“ würde es heute nicht mehr geben. Das Versagen der KPD/ML begründete die Gruppe auch mit dem bisherigen fehlerhaften Parteiaufbau. Heute müsse die Partei „ideologisch aufgebaut“ werden, was heute konkret heißen würde „die grundlegenden programmatischen Fragen zu lösen“. Einen führenden Zirkel bzw. Partei würde es heute nicht geben. Trotz aller sog. Errungenschaften der KPD/ML, müssten die „Grundfragen der Bewegung“ erst geklärt werden.
Sieht man einmal von dem tragenden Glauben der Gruppe ab, der in der KPD/ML immer noch eine überindividuelle Organisation sah, dann verdichtet sich das Bild, dass die ML-Gruppen mit anderen Zirkeln gemeinsam hatte: Zwar habe der „Rote Morgen“ in der „Vergangenheit einen entscheidenden Beitrag zur revolutionären Bewegung geleistet“, doch das Versagen sei nur allzu deutlich. Es ging neben der fehlenden Theorie auch um ein praktisches Hinterherhinken. Diese Positionen hatte sich vermehrt im Zuge des a. o. PT herauskristallisiert, die u. a. als „Ergebnis der Spaltung der alten KPD/ML“ bezeichnet worden waren.
Unübersehbar war in „Schlag zu, schon geht es los“ die Kritik am „spontanen Opportunismus“ der KPD/ML, den die NHT zu Beginn der 1980er Jahre später einfach in „naiver Opportunismus“ (zur Charakterisierung der ML-Bewegung) umformulieren sollte. Im a. o. PT , der die ML-Bochum als Produkt hervorbrachte, sah die Gruppe eine „Entlarvung“, die sich mit dem II. Parteitag fortsetzen sollte. Als „Entlarvung“ bzw. Selbstentlarvung wurde u. a. auch die Theorie „Heran an die Massen“ bezeichnet. Sie sei der praktische Hemmschuh der Bewegung. Gleichwohl hielt die ML-Bochum und die spätere KGB/E doch gerade an dieser „Massentheorie“ fest. Die Hegemonie der KPD/ML war die bisherige Klammer der Bewegung. Ihre Auflösung auf dem a. o. PT bedeutete faktisch eine metapolitische Veränderung unter den Zirkeln mit enormer Tiefenwirkung für deren weitere Entwicklung. Es gab nicht mehr ein „Kaiser“ und ein Reich“, sondern „viele Kaiser und viele Reiche“.
Eines der unbekannten Papiere, möglicherweise aber das gehaltvollste, der damaligen jungen ML-Bewegung war das sog. „Maskenballpapier“. Mir liegt es nur noch fragmentarisch und in einer schlechten Kopie vor. Das Papier hatte wohl ca. 100 Seiten und dürfte, so meine Vermutung, von ausgetretenen KPD/ML-Mitgliedern in Westberlin nach 1975 verfasst worden sein, was aus den dezidierten Kenntnissen über die KPD/ML zu schließen ist.
Es ging hier um die Nachzeichnung der westdeutschen ML-Geschichte und deren Theorien, die ihren Ausgangspunkt mit der Gründung der KPD/ML nahmen. Ausgehend von der Jungend- und Studentenbewegung, der Geschichte des westdeutschen Staates von 1945 bis 1967, des SDS und seiner Interpretation des Marxismus, leitete das Papier zum „revolutionären Subjekt“ über, welches seine „kleinbürgerliche Existenz“ verrät und in der Revolte „der Zwischenschichten“ sich voll der „gesellschaftlichen Widersprüche“ bewusst war. Die Bezeichnung der Studentenbewegung als „kleinbürgerlicher Schicht der Intelligenz“, die sogar als „radikal-demokratische Bewegung“ bezeichnet worden war, lebte nach Aussagen der Verfasser, von ihrer „eigenen spontanen Entwicklung“, die sich konsequenterweise in der Gründung der KPD/ML niederschlug.
Die ML-Fraktionen fanden alle Theorien wieder, die es seit der Geschichte der Arbeiterbewegung gegeben hätte (anarchistische, marxistische, maoistische sozialdemokratische, trotzkistische, revisionistische, syndikalistische und rätedemokratische). Entscheidende Bedeutung hätte die „GPKR“ gehabt, die zum Zeitpunkt des Zusammenbruch der Studentenbewegung eine breite Mobilisierungskraft im Hinblick auf die ML-Gruppen gehabt hätte. Die „zwei Strömungen“, die sich herausbildeten, wovon die „Spartakusbriefe“ die eine war, die andere, die durch die „Randfiguren“ der alten KPD (u. a. Ernst Aust) repräsentiert wurde, hätten sich dem „Karrierismus“ verpflichtet und der „theoretischen und politischen Klarheit“ keine Bedeutung beigemessen (Fortsetzung der „alten kommunistischen Bewegung“).
Nach einer Darlegung der verschiedenen Zirkelströmungen von 1969 bis ca. 1975, in denen es um den Kampf „proletarische kontra kleinbürgerliche Linie“, ging, und der sich vor allem in den Auseinandersetzungen um den richtigen Kurs der KPD/ML niederschlug, kamen die Verfasser auch auf den a. o. PT zu sprechen. Er sei eine „Selbstverwandlung der kleinbürgerlichen Linie“ mit der „Vorherrschaft der Liquidatoren“ gewesen. Die „ungenügende Revisionismuskritik“, die seit den „Revolutionären Wegen“ das Bild der KPD/ML bestimmte, führte zum „theoretischen Bankrott“ dieser, der allerdings schon mit der „Gründungserklärung“ angelegt gewesen sein soll. Die Forderung nach einer neuen Etappe der Theorie, die vom LV Südwest der KPD/ML auf dem a. o. PT gefordert worden war, sei indes nichts anderes gewesen als die Konservierung des „Führungsanspruchs der Intellektuellen“.
Schließlich wurde die „Sondernummer“ des „Roten Morgen“ vom 27. Dezember 1971 „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ zur „allgemeinen theoretischen Grundlage der KPD/ML“. Doch auch hier sei der „Bankrott der KPD/ML als bereits existierende Partei des Proletariats mehr oder weniger offen ausgesprochen … und theoretisch begründet worden“. Da der „ideologische Kampf nicht geführt werde“, würde die KPD/ML so „auf das Niveau der anderen ML-Organisationen herabgezogen“. (62)
Das „Maskenballpapier“ proklamierte, wie übrigens viele andere, einen Neuanfang auf ideologisch-theoretischer Grundlage. Lange bevor andere Gruppen die Theorie entdeckten und sie für sich reklamierten (etwa der Kreis um die „AzD“), forderten die versprengten Genossen „die Wiederherstellung der Theorie in Westdeutschland“ sowie eine „Rückbesinnung auf die geschichtsphilosophischen Gehalte des Marxismus“. Diese Aufgabenstellung würde „die Fragestellung nach der Geschichte der revolutionären Theorie“ implizieren. Heute sei diese Standortbestimmung „notwendiges Resultat der gesellschaftlichen Verhältnisse“. (63)
Insgesamt war das tatsächlich ein anderes Niveau, das über die bisherigen Kritiken verschiedener ML-Fraktionen am a. o. PT weit hinausging. Die Ablehnung der Charakterisierung der Bewegung als „revisionistisch“ dürfte ebenfalls zu den Errungenschaften dieses Ansatzes gehört haben. Lange bevor die NHT sich zur Definition der Bewegung als „naiv-opportunistisch“ (s. o.) anschickte, hatte das „Maskenballpapier“ diese Formulierung bereits benutzt: „Wir schlagen die Definition naiv-opportunistisch vor!“
Trotz aller positiven neuen Ansätze bekam man den Eindruck, dass der Marxismus-Leninismus Schutzburg und Bastion zugleich blieb. Das „Maskenballpapier“ bewegte sich noch im Rahmen dieses „naiven Opportunismus“, der die Vorlage für die eigene Opposition bildete. Die Sonderstellung des Papiers mit der Formulierung der „Rückbesinnung auf die geschichtsphilosophischen Gehalte des Marxismus“, war der eigentliche Kern, der mit Tiefenwirkung und Realitätskraft ausgestattet war, und der selbst die ersten „Krisis-Ansätze“ der Gruppe um Robert Kurz zu Beginn der 1980er Jahre in den Schatten stellte. Die Definition der „Arbeiterbewegtheit der Linken“ durch diese, war dann auch nicht neu. Der „Traditionalismus“ der Bewegung wurde ebenso wie ihre „Vorbilder“ in Frage gestellt. Heute würde es schließlich nicht mehr um die „Sanierung der ML-Bewegung“ gehen, sondern um die „gründliche Ausformulierung von Alternativen“. (64)
Leider ist unbekannt, wohin sich die Gruppe bewegte, was aus ihr geworden ist und ob es noch weitere Veröffentlichungen gab. Zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte wurde das „Maskenballpapier“ wohl nicht. Die dezidierten Kenntnisse über den a. o. PT lassen dann auch vermuten, dass die „Wilden“ sich keiner „Fraktionsdisziplin“ unterwarfen und selbständig begannen, fernab von der „spontanen Bewegung“, die immer die ML-Gruppen bestimmt hatte, ein großes Maß von Unabhängigkeit zu entwickeln.
Ebenfalls von mir unbekannten Verfassern stammte das Papier: „Die ganze Wahrheit muss heraus, Ernst Aust.“ Es könnte zwischen dem August 1972 bis Ende 1973 in Dortmund verfasst worden sein. Möglich ist, dass es aus dem Umkreis der KFR stammte. Es griff in die Diskussion um den Anschluss von Teilen der KPD/ML-ZB und des KJVD an die KPD/ML-ZK ein und zog nach dem a. o. PT Bilanz: „Der Rote Morgen trägt ein erhebliches Maß an Verantwortung, dass sich gewisse Opportunisten auf beiden Seiten einnisten konnten und dass sich die KPD/ML lange Zeit mit Elementen herumschlagen musste, deren Existenz dem Roten Morgen immer aufs neue die Möglichkeit zu Diffamierungen der proletarischen Linie bot. Nachdem sich die KPD/ML (RM) im 'Wurm-Artikel' erneut als der große Saubermann gefeiert hatte, passierten einige Peinlichkeiten, die schließlich im Zusammenbruch der Organisation und im erneuten Bestreben einer um den Roten Morgen gescharten Gruppe, eine zweite Organisation mit Namen KPD/ML ins Leben zu rufen, endeten. Verfahren wurde auch hier, auf dem außerordentlichen Parteitag, nach dem Motto: Wo Ernst Aust ist, da ist die KP! Die Linie spielt dabei keine Rolle! Man verlässt, nach vergeblichen Geschäftsordnungstricks, die eine Grundsatzdebatte verhindern sollen, den Parteitag und erklärt schließlich die verbliebenen Genossen für ausgeschlossen. Man schwingt sich auf: 'Die KPD/ML ist stärker als alle Liquidatoren' und hat doch den Liquidatorentum die Steigbügel gehalten.
Im Dezember 1971 heißt es zur 'kleinen' Zahl der Liquidatoren (und anderer, die man pauschal in denselben Topf kehrte): 'Sie nutzten gewisse Fehler und Unklarheiten, die in der Plattform des ZK, welche seit eineinhalb Jahren die Grundlage der politischen Arbeit unserer Partei ist, enthalten sind, aus. Dort wurde das Verhältnis zwischen wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung sowie die Rolle der Intellektuellen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Herkunft beim Parteiaufbau teilweise zweideutig und fehlerhaft dargestellt. Woraus sie jetzt ihren kleinbürgerlichen Führungsanspruch herleiten. Ferner wurde in der Plattform die Hauptaufgabe nicht korrekt bestimmt, so dass man annehmen konnte, dass gegenwärtig beim Parteiaufbau allein die Schaffung der revolutionären Theorie, die Ausarbeitung der Klassenanalyse Hauptaufgabe der Partei sei und man sich auf sich um ein theoretisches Organ scharende Zirkel beschränken könne. Das ist natürlich falsch.' (Diskussionsbeitrag der Zentrale zur Weiterentwicklung der Plattform des ZK, RM-Sondernummer, Dezember 1970). (65)
Immerhin könnte gemutmaßt werden, dass der a. o. PT den Herrschaftsanspruch der Intelligenz zurückwies. Die „Plattform“, die ein Gegenstand der Debatte war, war unmittelbar mit den Schlägen, die nun gegen die „Liquidatoren“ geführt werden müssen, verknüpft. Wie „N. N.“ bemerkte, wies das „Exekutivkomitee“ nun wieder alle bisher gemachten Aussagen (etwa die Bedeutung der „Klassenanalyse“ oder die „revolutionären Theorie“) zurück. Und beschränkte sich darauf, all denjenigen keine Steine in den Weg zu legen, die die reuige Rückkehr zur KPD/ML verunmöglichten. Die Lösung für alle Probleme, sah die Gruppe um das ZK weiter in der „Plattform“.
„N. N.“ führte dazu aus: „Ernst Aust: 'Wer sich nicht auf den Boden der Plattform des ZK stellt, ist damit aus der KPD/ML ausgeschlossen!' Damit wurden die Einwände gegen die vom ZK vorgelegte, in den Grundorganisationen jedoch kaum diskutierte Plattform des ZK vom Tisch gewischt. Die Existenz dieser Plattform soll allen Genossen helfen, abweichlerische Linien als solche zu erkennen, eventuelle Unklarheiten zu überwinden, sowie vom Willen zur Einheit zu einer wirklichen, prinzipienfesten Einheit zu gelangen. Diese Plattform ist das entscheidende Instrument, um die Einheit der Partei in der jetzigen Phase zu verwirklichen …“ (66)
Für das Selbstverständlich der KPD/ML schien die „Plattform“ immer noch von enormer Bedeutung zu sein. Es war ein Credo von vielen, vielleicht sogar das Credo schlechthin. Die Kernaussagen wurden auch nie in Frage gestellt. Das „Exekutivkomitee“ machte sie sogar zur Voraussetzung für eine (neue) Mitgliedschaft in der KPD/ML. Da mindestens 2/3 der Delegierten auf dem a. o. PT die „Plattform“ in der bisherigen Form ablehnte, wurde sie auch zur praktischen Konsequenz für das Aust-ZK. Es schloss die Mehrheit der Partei, die nun nicht mehr diesen „bolschewistischen Kurs“ mitmachen wollten, einfach aus. Das dürfte ca. 95% der Basis betroffen haben. Nun könnte das als politische und soziale Selektion bezeichnet werden, die mit der Dominanz Führung zur einheitlichen Ausrichtung der kommenden Politik der KPD/ML wurde. Es spricht viel dafür, diese These beizubehalten; denn der Ausschluss der „Rechtsopportunisten“ um 1975, zeigt, dass die Gesinnung der „Plattform“ noch allgegenwärtig war, und dass der a. o. PT die konservative Linie des „Exekutivkomitees“ als Parteiloyalität verstand. (67)
Die Aussagen der KPD zum a. o. PT der KPD/ML gipfeln in der These, dass die Gruppe gerade deswegen zerfallen musste, weil es ihr seit ihrer Gründung an politischer Weitsicht seid mangelte. Vor allem ihre Undiszipliniertheit war es, die das negative Bild über sie erhärtete. Politisch-organisatorisch sei sie kaum ausgereift gewesen, was die verschiedenen Spaltungen forcieren musste. Außerdem hätten ihre politischen Abweichungen vom Marxismus-Leninismus und die ungenügende Abgrenzung von den Abweichlern aller Schattierungen zur katastrophalen Schwächung der Partei geführt.
In der „Roten Fahne“ Nr. 28 vom 16.7.1975, meinte sie dann auch im Artikel „Für die Einheit der Marxisten-Leninisten!“: „In ihrer heutigen Gestalt ist sie nicht 1968, sondern 1972 gegründet (worden). Erst damals begann sie eine einheitliche Linie zu entwickeln und sich aus einem Zirkelverband in Richtung Partei zu verändern. Vorher gab es u. a. den a. o. Parteitag, wo sich die Anhänger der KPD/ML-ZK in fünf verschiedene Gruppierungen zerstritten ... und 75 Prozent der Parteitags-Delegierten die KPD/ML verließen.“ (68)
Die angebliche Konsolidierung der KPD/ML 1972 (nach dem a. o. PT) war ein Irrglaube, der sich im weitesten Sinne aus der Unkenntnis über sie nährte. Eine „einheitliche Linie“ hatte es in der KPD/ML sowieso nie gegeben. Was es vor und nach dem a. o. PT gab, war der autoritäre, schroffe und hierarchische janusköpfige Status quo in der Politik. Doch 1975, als sich im Mai/Juni gleich zwei Delegation westdeutscher Marxisten-Leninisten (die KPD und die KPD/ML) zu Besuchen in der VR China aufhielten, sollte sich das Bemühen einer verstärkten politischen Zusammenarbeit beider in punktuellen Aktionen niederschlagen. Dass die KPD der KPD/ML „politisch am nächsten stehen würde“ (69), war eine Aussage von Ernst Aust, die kaum Gewicht hatte, und sich schnell als Makulatur erwies. Es sollen sich sogar hier und da Vertreter beider Organisationen getroffen haben, um Möglichkeiten einer intensiveren Zusammenarbeit auszuloten.
Die KPD, die in einem umfangreichen Schrifttum die Gründungsgeschichte der KPD/ML mehr oder weniger untersucht hatte, kam später zu dem Entschluss, dass die ideologischen Auseinandersetzungen weiter geführt werden müssten. Selbiges war auch von der KPD/ML zu vermerken, die erkennen ließ, dass die KPD ihr ihre politischen Positionen aufzwingen würde. Die Aussagen des „Roten Morgen“ waren nun wiederum zu relativieren und die angedachten politischen Gemeinsamkeiten drifteten nun doch wieder weit auseinander. Der a. o. PT hatte beide Gruppen fest im Griff. Als politisch-administrative Realität nagte er bis weit über das Jahr 1975 am Gerüst beider Gruppen. Erst mit der Auflösung der KPD im März 1980, war der Streit beendet. Die KPD/ML übernahm den Namen der frei gewordenen KPD und nannte sich fortan auch so.
In einem im „Arbeiterkampf“ vom 14. Januar 1980 verbreiteten Artikel „KPD vor der Auflösung“ (70) wurde die Krise der KPD in den Zusammenhang mit der Krise der ML-Gruppen gestellt. Eine Generaldebatte blieb jedoch hier aus. Vor allem schien die Annäherung an die Grün-Alternative Entwicklung das Bild zu bestimmen und das „sozialistische Sammelbecken“ schien favorisiert zu werden. Dass die KPD/ML und ihre Entwicklung, die sie nach dem a. o. PT nahm, hier keine Rolle mehr spielte, war dem Umstand zuzuschreiben, dass sich jede aufgelöste Gruppe oder noch aufzulösende einem „sozialistischen Block“ und der „Diskussion mit der Linken öffnen“ müsse. Was daraus geworden ist (u. a. durch die Auflösungen in die „Grüne Partei“ hinein), kann heute im bundesdeutschen Parlament verfolgt werden. Die angebliche Modernisierung, die die KPD/ML nach dem Parteitag nahm, wurde auch noch später vom „Arbeiterkampf“ als Altlastenbeseitigung betrachtet und sollte fortan keinerlei Rolle mehr spielen.
Der a. o. PT hatte eine Vielzahl von Dokumenten hervorgebracht, die kurz nach der Beendigung, vor allem aber zu Beginn des Jahres 1972 bis etwa zur Mitte des Jahres bekannt gemacht wurden. Neben den „Wortprotokollen“ sind es vor allem folgende Dokumente gewesen:
Bei der Fülle dieser Materialien erscheint es äußerst schwierig, die einzelnen Positionen (oder die, die für eine Gruppe maßgeblich waren) herauszukristallisieren und die Fraktionen zu benennen. In der mir zugänglichen Literatur ist durchgängig von „5 Fraktionen“, die sich mit oder nach dem a. o. PT gebildet hätten, die Rede. Das kann hier weder dementiert oder bestätigt werden. Da sich alle dort gebildeten Gruppen um Publizität bemühten und die nachträgliche „Bearbeitung“ ihrer Positionen nicht auszuschließen war, können hier immer nur Fraktionen und Strömungen so benannt werden, wie sie sich in den Dokumenten niederschlugen. Unmöglich erscheint es mir, jede Strömung, jede Gruppe und jede Abspaltung, zu charakterisieren. Teils deckten sie sich, teils wichen sie nur in Nuancen voneinander ab. Im Verlaufe des Parteitags vermischten sie sich sogar. Die einen war nun „spontaneistisch“ eine andere, was sich im Hauptvorwurf an alle anderen Gruppen - außer dem ZK - äußerste, „liquidatorisch“ „menschewistisch“ und „putschistisch“ (da sie die Auflösung der KPD/ML verlangten, sich weigerten die Reglementarien des Parteitags anzuerkennen oder den Parteitag vorzeitig verließen), wiederum andere wurden als „subjektivistisch“ und „sektiererisch“ charakterisiert, da sie die „Massenlinie“ vernachlässigten. Mir erscheint es nicht angebracht, jede einzelne Position, die sich in den Dokumenten niederschlugen, zu bewerten. Jedoch soll versucht werden, die Hauptstränge der Gruppenbildungen herauszuarbeiten. Das vorliegende Material bildet dementsprechend auch nur den äußeren Rahmen. Die Kritiken sollen möglichst zusammengefasst und anschließend beurteilt werden. Die Dokumente müssen überdies einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben, da sie hier sonst den Rahmen sprengen würden.
Der RB des ZK hatte sich vor und während des Parteitags nur halbherzig mit den Kritiken aus den Parteiorganisationen beschäftigt. Generell ist zu sagen, dass er die Vorwürfe, die an die Adresse des ZK gerichtet waren, mit harschen Worten zurückwies. Die „Liquidatoren“ hätten die Partei in die Krise geführt. Ihre Auffassungen seien falsch, da sie „mechanisch seien“, und „der bürgerlichen Weltanschauung Tür und Tor“ öffnen würden. Der Kampf zweier Linien in der Partei müsse sich jetzt „gegen die verschiedenen liquidatorischen Auffassungen richten“. Revisionistische und abweichlerische Positionen müssen „in der Partei bekämpft und liquidiert werden“. Der „Liquidatorenvorwurf“ schien der Hauptvorwurf zu sein, den das ZK anbrachte, um die Kritiker abzustrafen. Alle „ultralinken und opportunistischen Abweichungen“ (besonders gegen Freiburg gerichtet) seien „konterrevolutionär“ und dienen nur „kleinbürgerlichen Auffassungen“.
Mit dem letzteren Vorwurf hatte sich der führende Kern der KPD/ML wohl am nachhaltigsten beschäftig, was aus dem „Rechenschaftsbericht“ zu entnehmen ist. Danach hätten die „Intelligenzler“ mehr und mehr das Ruder übernommen und die KPD/ML in einen reinen „Theoriezirkel“ verwandeln wollen. Der fortschreitende Ausverkauf der Partei sei auf jene Genossen zurückzuführen, die den „ideologischen Kampf nicht führen wollten“. Damit hätten sie „die korrekte Linie der Partei verlassen“. Nur die „proletarische Linie“, Überwindung des „Opportunismus und Selbstkritik“ würde wieder zur Einheit führen.
Das Bild, das das ZK von der Organisation zeichnete, glich einer innerstädtischen Bauweise mit hochgezogenen Zäunen. Was das ZK als eigenen, „schwerwiegenden Fehler“ anerkannte, war, dass es nicht in allen wesentlichen Fragen die Parteibasis befragt hätte und somit den „demokratischen Zentralismus mangelhaft verwirklicht“ hätte. So sei die „Vorbereitung des Parteitags nicht korrekt angegangen“ worden. Kritiken seien „nicht zusammengefasst und eingeschätzt“ worden, was dazu geführt hätte, dass die „Entwürfe nicht gründlich und breit“ in der Partei debattiert worden seien. So seinen die „antagonistischen Widersprüche“ unausbleiblich geworden.
Die anonyme Unwirtlichkeit dieser Kritiken zeigte an, dass es dem ZK auf dem Parteitag gar nicht darum ging, vorliegende Kritiken an seinem Leitung- und Führungsstil sowie an einer Reihe von Theorien (besonders der „Zwei Wege“ Theorie) als ernst zunehmende Beiträge zu betrachten, sonders es ließ durchblicken, dass sich alle die sich nicht auf die Grundlagen der KPD/ML stellen würden, sich als „ausgeschlossen“ betrachten sollten. Es beharrte schließlich auf seiner „korrekten Linie“. Die aufgetretenen politischen und ideologischen Widersprüche seien nun mit den Mitteln der „Entfachung des ideologischen Kampfes“ zu lösen.
Die Beschwörung der klassisch-romantischen Einheit der Partei, wurde mit formalen Anforderungen an die Parteimitglieder angereichert. Zukünftig müsse die KPD/ML die „Bolschewisierung mit Macht“ vorantreiben (materielle Bedingungen des ZK verbessern, Arbeitsbedingungen ändern, Führungsschwäche durch bessere Anleitungen (Kaderschulung) ersetzen). Die viel diskutierte „Reformbewegung“, die nun einsetzen müsse, sei durch eine „klare Beschlussfassung“ zu ergänzen. Sie sei es auch, die zur „Einheit der Partei“ führe. Ein Zurück zum „Zirkelwesen“ darf es nicht mehr geben. (71)
Der mehr locker abgefasste RB machte nicht den Eindruck, dass das ZK gewillt war, sich dem Parteitag offen zu stellen. Ganz im Gegenteil: Durch den Rücktritt des ZK auf dem a. o. PT kündigte es bereits an, dass ein neues ZK das bereits bebaute Areal beerben würde und mit der KPD/ML in der bisherigen Form weiter machen würde. Die „Sünden“ aus der Gründerzeit („ungenügende Anleitung von Massenkämpfen“, „fehlerhafte „Kaderbildung“ und „Aufnahmepolitik“, „Erstellung des Programms“, „kein Schulungsprogramm“, „fehlende Verankerung in den Betrieben“, „geringe Erfolge in der Klassenanalyse“, „unzureichende Einhaltung der Konspiration“, „Nichtvorbereitung auf die Illegalität“) wurden auf die Partei selbst abgewälzt bzw. den „opportunistischen Auffassungen“ zugeschrieben.
Zu alldem gesinnte sich der einbetonierte, überbordende Ehrgeiz, tatsächlich zu meinen, es könnte hier einen Neuanfang geben. Das ZK vertrat tatsächlich die Auffassung, dass es die Ursachen der Fehler beseitigen könne, indem es „die Partei im Kampf zweier Linien (neu) aufbauen könne“. (72) Angesichts der dortigen Verhältnisse eine ganze Ideologie der Verunsicherungen zu entfesseln und die Strukturen des Miteinander über Bord zu werfen, war der politische Rückhalt in der Partei auf den Nullpunkt gesunken. Eine ähnliche Entwicklung sollte sich übrigens in der KPD/ML-ZB breit machen. Hier war es ja u. a. auch der Egoismus der Parteifürsten, die Kritiken aus den Parteigruppen stets mit dem Schwert beantwortete.
Die (West-)Berliner Ortsgruppe forderte u. a. den „radikalen Bruch mit dem modernen Revisionismus“ und den „radikalen Bruch mit der revisionistischen Politik der KPD/ML“. Was hier zum Ausdruck kam, war der Vorwurf der unverhohlenen Bindung der KPD/ML an jene Ideologie, von der das ZK im Übrigen annahm, sie vernichtend durch ihre Gründung geschlagen zu haben. Gemeint war die Entartung der KPD und ihr moderner Ableger, der sich in der Form der DKP konstituiert hatte, schlicht eine neue Auflage des „modernen Revisionismus“. Dieses Phänomen schien sich auf dem Parteitag einen Weg gebahnt zu haben. Fast alle Positionen beharrten auf jenen schwammigen Formulierungen, die sie in ihrer Orientierungslosigkeit auch nicht weiterbrachten, wenn sie etwa forderten „alle Fehler schonungslos aufzudecken“ und den „wissenschaftlichen Sozialismus, das revolutionäre Bewusstsein, das wahrhafte Klassenbewusstsein in die spontane Arbeiterbewegung“ zu tragen. (73)
Die Antikritik war somit keine. Vielleicht nur eine biedere Polemik, die das einforderte, was sein könnte und möglich wäre. Gemessen, etwa an den Auseinandersetzungen, die im ZB geführt worden waren, war hier, was die (West-)Berliner Position anbelangte, kein vorwärtstreibender Beitrag zu ersehen. Man hielt gerade an den Errungenschaften des Marxismus-Leninismus im Ganzen fest, und meinte sogar, dass man sich nun zusammenschließen müsse, „um die revolutionäre Partei aufzubauen“. (74)
Positionieren konnte sich auch damit die LL Niedersachsen bzw. deren Landesverband. In dem Organ „Massenlinie“ vertraten sie die Ansicht, dass weiter „die Notwendigkeit besteht, den Aufbau einer korrekten marxistisch-leninistischen Partei“ voranzutreiben. Der „Kampf zweier Linien“ sei jetzt reif- das könnte als Schlachtruf bezeichnet werden, der jetzt in die „Propaganda“ für den ML einmünden und sich in einer „(zu) entwickelnden politischen Linie niederschlagen“ müssen. Danach hätte die KPD/ML nie eine solche besessen. Das ZK wurde direkt mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die „Politik des Parteiaufbaus“ ein „bürgerlicher Weg“ und das „Produkt von Zufälligkeiten“ war. Das rüttelte in der Tag an den Kernproblemen der KPD/ML, die dem hilflos gegenüber stand und zur bekannten Notlösung griff.
In „Massenlinie Nr. 3“ ging der LV Niedersachsen noch einen Schritt weiter. Nachdem deren Delegierte den Parteitag verlassen hatten und als „offene Liquidatoren“ verunglimpft worden waren, sprachen sie von „einem neorevisionistischen Sumpf“, der sich fest gesetzt hätte. Mit einer „Kampf-Kritik-Umgestaltung“ (75) könnten neue „politische Perspektiven unserer Organisation“ entwickelt werden. Zudem seien alle Beiträge auf dem Parteitag außerordentlich „subjektivistisch“ gewesen und dienten nicht „zur prinzipiellen Klarheit und Einheit“.
Die Forderung nach einer „KKU“ war auch von Celle vertreten worden, die die Auffassung vertraten, dass die „Zentrale einer ml-Partei noch nicht bestehe“. Jetzt sei der „ideologische Kampf die Hauptseite“. Allerdings müsse der führende Kern jetzt „konsolidierte werden“. Der Eindruck entstand, dass der modellmäßige ML als schematisches Etwas betrachtet und starr interpretiert worden war. Die Loyalität zur Zentrale, die hier herausgelesen werden könnte, beruhte auf Konzessionen, die mit der „KKU alles bewegen wollte und nichts erreichte. Die „KKU“, die Überprüfung des Ist-Zustandes der KPD/ML, schonte die Pfeiler der Politik der KPD/ML und gab zur gleichen Zeit zu erkennen, dass deren egalitäre Zielsetzung zu verurteilen ist.
In diesem Widerspruch standen viele Gruppen auf dem a. o. PT Etwa auch der LV Südwest, deren Delegierte auf dem Parteitag als „Menschewisten“ galten. In seinem Beitrag forderte er den unnachgiebigen „Kampf zweier Linien“ und die „Führung des aktiven ideologischen Kampfes“. Der „Kampf zwischen bürgerlicher und proletarischer Linie muss die weitere Entwicklung der Partei“ bestimmen. Nach einer Untersuchung der Parteiarbeit ab 1969, folgerte der LV u. a. die „Klassenanalyse“, zu erstellen und den „Kampf gegen Ökonomismus und Reformismus“ aufzunehmen. Für den LV schien das die sauberste Lösung zu sein. Der Bürokratismus des „Roten Morgen“, der sich stets in den „Ökonomismus“ flüchtete, sollte nun endlich liquidiert werden. Dies betrifft auch die „Zwei-Wege“ Theorie, die allen „idealistischen Theorien“ Vorschub leisten würde.
Das relativ grobe Raster, das auf Täter-Kriminalistik insistierte und für milde Urteile gegenüber der Zentrale plädierte („Selbstkritik“ üben!), polarisierte durchaus. Gerade der Faktor der „schweren Abweichungen im Roten Morgen“, der auf die „Opportunisten“ zurückgeführt worden war, ließ, um bei der Kriminalistik zu bleiben, die alten Delikte wieder im Rampenlicht erscheinen. Daran könne man das „momentane Zirkelwesen“ der Partei ablesen, das unter den Augen des Chefredakteurs gedieh.
Ganz entscheidend war, dass das bisherige Leitbild der „Mutter aller Parteien“, wie die KPD/ML-ZK oft bezeichnet worden war, von einem Großteil der Delegierten nicht mehr mitgetragen wurde. Das war auch die Kernaussage der OG Freiburg der KPD/ML, die meinte, „dass in den 3 Jahren Existenz der KPD/ML die bolschewistische Partei nicht geschaffen wurde“. Die OG, die von „kleinbürgerliche Intellektuellen“ geführt werden, führte als den entscheidenden Hemmschuh für die Entwicklung der KPD/ML, die die Unterminierung der „revolutionären Theorie“ an. Das war zumindest, was die Urteilsfindung über den Zustand der KPD/ML anbelangte, wohl der weitreichendste Beitrag. Diese Mangel führte zwangsläufig dazu, dass sich eine „bürgerliche Linie des Opportunismus, der prinzipienlosen Spaltung und Säuberungen sowie Organisationsbasteleien, ein enger Praktizismus, Rechtsopportunismus und Rechtsopportunismus“ durchgesetzt habe.
Wie viele andere Strömungen auf dem a. o. PT so ging auch Freiburg davon aus, das nun ein „harter ideologischer Kampf für die korrekte Linie“ erfolgen muss, wobei die Gruppe nicht erklären konnte, was denn die „korrekte Linie“ überhaupt ausmachen würde. Insofern war die Abrechnung mit der KPD/ML wiederum ein Nachgeben gegenüber der doktrinären Haltung der Führung der Partei, die ähnliches verlauten ließ. Die populäre Meinung des ideenpolitischen Kampfes war allen Gruppen gleich. Und die politisch-sozialen Kritikpunkte, die geäußert worden waren, zielten womöglich nur darauf ab, Unklarheiten zu klären. Man kann sagen, dass man mit dem Marxismus-Leninismus in seiner Gesamtheit nicht brach.
Einen neuen Aspekt brachte der LV Bayern in die Debatte ein. Ihm ging es darum, die „Einheit in der Partei herzustellen“. Damit werde auch die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ erreicht. Zur Zeit herrschen in der KPD/ML ein „entpolitisierendes Klima“. Mit der „Waffe des ML“ müsse an die Lösung der Aufgaben herangegangen werden.
Der Rückgriff auf den ML war eine Art Schutzklausel. Unter ihr fand man sich immer wieder zusammen. Ob außerhalb oder innerhalb der KPD/ML, es machte keinen Unterschied. Das Status-quo Argument mit den eingeforderten Änderungen, war nichts anderes als ein Interesseneinwand der jeweils konkurrierenden Gruppe. Die Bewahrung des Bewährten schien sich als einvernehmliche Haltung durchzusetzen.
Verwunderlich war es somit nicht, dass der „Grundsatzantrag des LV Südwest“, der von der These ausging, dass „die Mehrheit des ZK auf der ganzen Linie versagt“ habe und eine „Überwindung des Ökonomismus und Spontaneismus“ forderte. Das sei die wichtigste Bedingung für die „Zerschlagung der revisionistischen Theorien in der Partei“. (76)
Dass die „Resolution der LL NDS“ forderte, den „Kampf gegen die wirklichen Spaltern der Partei“ aufzunehmen, konnte nach den Anwürfen gegen sie nicht verwundern. Die deutlichen Abweichungen in der Partei seien wie folgt zu charakterisieren: Zum einen sei „eine ökonomistische-spontaneistische Linie“ festzustellen, zum anderen „das Versöhnlertum“, das sich in einer „prinzipienlosen Einheitsmeierei“ äußern würde. Jetzt müsse der „ideologische Kampf mit aller Energie geführt werden“. (77)
In diesem Spannungsgebräu gab es keine Lösung der Krise der KPD/ML. Die Idee einer solchen war auch spätestens mit dem Aufruf der Exekutive der KPD/ML: „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ vom Tisch. Insofern waren die Oppositionspositionen letztlich auch dazu völlig ungeeignet, die KPD/ML auf den Weg der Einsicht zu bringen. Eine politische Willensbildung war gar nicht möglich. So waberten die verschiedenen Argumente vor sich her. Entscheidungsgremien über die Form der weiteren Debatten hatte der a. o. PT nicht anzubieten. Die Ursprungsidee, die Partei zu einen, wurde schnell verworfen, was übrigens schon lange vor der Einberufung des Parteitages Fakt war.
Hamburg, das mehr oder weniger Aust gefolgt war, meinte in seiner Kritik, dass die „Gefährlichkeit der Liquidatoren“ darin bestehe, dass sie „objektive und subjektive Agenten der Bourgeoisie“ seien. (78) Sie stellten ein „bürgerliches Hauptquartier in der Partei“ dar. Ihr „Putschismus“ zerstöre die Partei. Und sie betreiben „offene Spaltungspolitik“. Hamburg, das mit seiner Kritik auch den LV Südwest im Auge hatte, war wiederholt nach vorne geprescht, um seine Solidarität mit Ernst Aust auszudrücken. So war der fingierte Artikel „Schluss mit dem intellektuellen Geschwätz“ aus dem „Roten Morgen“ vom Oktober 1971 auch von jenen unterzeichnet, die an der Hausmacht des ZK unerschütterlich festhielten. Die LL Hamburg meinte dann auch, dass die „Partei voranschreiten würde“ und „Schritt für Schritt ihre Mängel beheben und ihre Fehler korrigieren“ würde. (79)
Der Ablauf des Parteitages selbst wurde in den Dokumenten als „chaotisch“ beschrieben. Der erste Sitzungstag war wegen schwerer organisatorischer Mängel abgebrochen worden. Das ZK war nicht dazu in der Lage, den Parteitag überhaupt vorzubereiten. So wurde es unterlassen, den Delegierten die Vorbereitungsmaterialien rechtzeitig zukommen zu lassen, dem Parteitag eine Struktur zu geben und dafür zu sorgen, dass den Delegierten allseitiges Rederecht zugebilligt wird. Mit der Vorbereitung der zweiten Tagung wurde es nicht mehr beauftragt. Es sollte aber die „politische Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags weiterführen“.
Das Chaos schien sich auch in der Vorbereitungskommission breit zu machen. Vermutlich putschten zwei Mitglieder des Präsidiums, das am Vortage gewählt worden war, gegen das ZK. Sie versuchten, zu erreichen, dass die Vorbereitungskommission sich selbst ermächtigte, die Funktion des ZK zu übernehmen, während das amtierende ZK ausgeschaltet werden sollte. Wie aus den Dokumenten teilweise hervorgeht, handelte es sich dabei um Mitglieder der KPD/ML aus NDS, Südwest und Teile von Freiburg. Ernst Aust eignete sich mit seiner Hausmacht (vor allem Hamburg und München) den technischen Parteiapparat an, schloss ca. 90% der Partei aus und bildete im Anschluss an den a. o. PT das „Exekutivkomitee beim ZK der KPD/ML“. (80)
Es sollte nicht lange dauern bis sich das „Exekutivkomitee“ meldete. Bereits am 2. Dezember gab es das Faltblatt „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ heraus. Auch die „Sondernummer“ des „Roten Morgen“ vom 27. Dezember 1971 trug diesen Titel. In dem Faltblatt wurde ausgeführt:
„Zur Zeit findet ein außerordentlicher Parteitag statt. Die zweite Sitzung dieses außerordentlichen Parteitages ist mit einer wichtigen Entscheidung für die weitere Entwicklung der Partei abgeschlossen worden. Den Marxisten-Leninisten in der KPD/ML ist es gelungen, einen Angriff von innen auf die Existenz der Partei, den die offenen und versteckten Liquidatoren mit Hilfe der Versöhnler eingeleitet haben zurückzuweisen und einen klaren Trennungsstrich zwischen bolschewistischer und menschewistischer Linie, zwischen Partei und Zirkel zu ziehen ... Die Einheit der Reihen in der KPD/ML gegenüber dem Klassenfeind ist nicht mehr gewahrt worden. In der Partei traten antagonistische Widersprüche auf.
Die Hauptverantwortung dafür, dass sich Widersprüche in der Partei zu antagonistischen entwickelt haben, trägt das Zentralkomitee. Das ZK hat kaum eine seiner Aufgaben in den letzten drei Jahren erfüllt. Vor allem hat das ZK eine wesentliche Aufgabe nicht wahrgenommen: Die bei der Durchführung der Plattform gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen, die richtigen zu konzentrieren und in die Partei zu tragen. Für die Durchsetzung der richtigen Ideen und die Ausmerzung der falschen Ideen in der Partei hat das ZK nicht gekämpft. So konnten sich Abweichungen vom Marxismus-Leninismus über Monate und Jahre zur Linie entwickeln, die schließlich die Politik ganzer Landesverbände erfassten, so konnte sich auch der Opportunismus in der Partei breitmachen …“ (81)
Von wem dieses Faltblatt lanciert worden war, war nicht mehr eindeutig zu ermitteln. Es war nur zum Teil mit der „Sondernummer“ des „Roten Morgen“ identisch. Vermutlich stammte es aus dem Umfeld der Aust-Gruppe, da es von Ernst Aust selbst unterzeichnet worden war. Es beschwor die „Einheit der Partei“ und propagierte die Idee der Zurückweisung der „Liquidatoren“. Wenn auch die Zentrale bzw. das dezimierte Präsidium in Selbstkritik machte, so war dennoch die Verteidigung der „Plattform des ZK“ aus dem März 1970 eine der Grundlagen für die kommende Politik der KPD/ML. Das Faltblatt, das die Selbsterhaltungsinteressen betonte, ging davon aus, dass auf dem a. o. PT zwei Gruppen gegeben haben soll: 1. die Liquidatoren, 2. die Versöhnler.
„Die Mehrheit der anwesenden Delegierten entschied sich zum offenen Fraktionismus“. Es seien Elemente, „die ganz eindeutig gegen die Beschlüsse der ersten Sitzung des Parteitages verstoßen hatten, ja sogar die Partei als Popanz, der sofort aufgelöst werden muss, bezeichneten und ihre Anwesenheit auf dem Parteitag nur damit erklärten, dass sie bestimmte Verbündete (nämlich die etwas versteckteren Liquidatoren aus den Landesverbänden Südwest und Niedersachsen) mit ihrer Stimme noch unterstützen wollten, als stimmberechtigte Mitglieder auf dem Parteitag beließen. Diese Haltung beweist unmissverständlich den Verrat an den Prinzipien der bolschewistischen Partei, beweist den schleichenden und heimtückischen Liquidierungsversuch am demokratischen Zentralismus der Partei.“
Das Auftreten der Liquidatoren auf dem Parteitag sei nur möglich gewesen, „durch die versöhnlerische Politik der Opportunisten, die gegen Leute nicht vorgingen, die sich offen gegen die Partei und offen für Fraktionismus aussprechen“. Diese Genossen „hätten sich in opportunistischer Art und Weise an die Mehrheit der Parteifeinde angehängt, statt sich von ihnen zu trennen. Sie haben die wichtigsten Prinzipien der bolschewistischen Partei aufgegeben, indem sie vor den Feinden der Partei kapitulierten ... Die Versöhnler haben so keinen ideologischen Kampf innerhalb der Partei geführt, sondern sie haben die Partei aufgegeben und sich einem von vielen Zirkeln angeschlossen. Denn für Marxisten-Leninisten konnte es auf dem Parteitag nur eine Konsequenz geben:
Die Aufrechterhaltung der bolschewistischen Partei durch die Säuberung der parteifeindlichen Elemente, der Liquidatoren aller Schattierungen ... Die Marxisten-Leninisten in der Partei haben diese Konsequenz gezogen, den Parteitag ohne die Feinde der Partei fortgesetzt, ein Exekutivkomitee gewählt und die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der außerordentliche Parteitag schon bald erfolgreich fortgesetzt und beendet werden kann. Die Partei wird dafür kämpfen, dass auch die Genossen, die sich opportunistisch mit der Rückkehr zum Zirkel abgefunden haben, und diejenigen Genossen, die die Situation falsch einschätzten und die falsche Linie nicht richtig erkannten, in die Reihen der Partei zurückkehren werden, wenn sie die Partei wollen, um die Revolution so schnell wie möglich durchzuführen …“ (82)
Mit der Liquidierung der Liquidatoren hatte das neue ZK bzw. das Exekutivkomitee eine karikaturreife Leistung gezeigt. Politisch blieb es bei der Unprofessionalität mit exklusiven Rechten. Den Parteitag „ohne die Feinde der Partei fortzusetzen“, war die Beibehaltung des Königreichs mit neuen Personen. Die Sonderloyalität der Exekutive wurde mit der „Aufrechterhaltung der bolschewistischen Partei“ begründet. Das glich einer überwältigenden Realitätsferne. Alle strittigen Fragen waren im zweiten Teil des Faltblatts vom Tisch. Die „Liquidatoren aller Schattierungen“ wurden martialisch niedergemacht, und es schien überhaupt so zu sein, dass die vorgeschalteten Abmahnungen aus früheren Zeiten nun in die Sanktionen einmündeten.
Auf Dauer hatten sich somit die Verhältnisse in der KPD/ML nicht gebessert. Das politische Exklusivitätsrecht, eine Partei zu bilden bzw. die alte fortzuführen, entsprach spätestens hier nicht mehr der Zeit. Die Kritik an der KPD/ML ging ja in weiten Teilen an die Substanz. Auch wenn sie meistens simplifiziert worden war, so sollte sie doch das System KPD/ML mit ihrem Freund/Feind Denken und den inneren Konflikten aufdecken. Da spielte es keine Rolle mehr, ob man ein „strammes“ oder „schlappes“ Verhältnis zum ML hatte. Pluralität war sowieso nicht gefragt. Und die Konfliktaustragung ebnete keinem noch so guten Kompromiss den Weg. Die Erhaltung der KPD/ML war somit den schrecklichsten Optimisten oder den pessimistischen Fatalisten vorbehalten. Je nach Sichtweise nahmen sie es gerne, um den Preis eines Rückschlages, in Kauf, dass die idealistische Überhöhung einer Kaderpartei weiter Bestand habe.
Am 6. Dezember 1971 erschien der „Rote Morgen“ Nr. 15. Er berichtete u. a. von einer der letzten Redaktionssitzungen des „RM“-Verantwortlichen. Neben dem Bericht über seine Tätigkeit (83) hieß es dort: „Die Spaltungsmöglichkeit war bereits Ende Juli in der Redaktion anlässlich der Debatte über die Vorbereitung des Parteitags erörtert worden. Ich hielt die Gefahr für sehr groß, stand jedoch im LV mit dieser Ansicht lange Zeit allein. Um meine Ansicht überzeugend vortragen zu können, fehlte mir ein schlüssiger Durchblick. Mein Verdacht war jedoch geweckt und spielte eine nicht unerhebliche Rolle bei der Auseinandersetzung um die Anträge des LS NRW zum Parteitag, insbesondere zum Antrag über den ideologischen Kampf, zur Stellungnahme des LS gegen den Genossen U (Frankfurt), zur 2-Wege-Theorie, zur Theorie über das kleinbürgerliche Konkurrenzdenken. In all diesen Produkten sah ich Mittel zur Unterdrückung des ideologischen Kampfes, ohne es im Einzelnen immer ausweisen zu können. Die Krone des ganzen bildete ein Antrag der OG Bochum, der eine bestimmte Theorie über den westdeutschen Imperialismus für die Partei verbindlich machen wollte und Gegenthesen gegen die 2-Wege-Theorie als Revisionismus gebrandmarkt wissen wollte. Solche Anträge konnten angesichts der Lage der Partei nur Instrument der Spaltung sein. Wenn das jedoch eingewandt wurde, wurde es sofort verdreht in die Unterstellung, man habe die Autoren solcher Anträge für Spalter erklärt. So konnte man sich die Diskussion über die Sache ersparen …“ (84)
Der Bericht war sehr aufschlussreich und schilderte schlüssig die Situation in der KPD/ML ab dem Sommer 1971, die mit einem empfindlichen Machtverlust korrespondierte. Ob der Bericht zur eigenen Rechtfertigung formuliert worden war, kann heute nicht mehr beurteilt werden. Tatsächlich deutete er den unvermeidlichen Machtkampf an, der sich in zwei Punkten ausdrücken würde: 1. In der „Zwei-Wege“ Theorie, 2. In der „Unterdrückung des ideologischen Kampfes“.
Beides charakterisierte den Ausnahmezustand in der Partei, der im politischen System der KPD/ML immer einen festen Platz hatte. Die radikale Verschärfung, die der „RM“-Verantwortliche den verschiedenen Landesverbänden und Ortsgruppen (z. B. Bochum) zuschrieb, entsprach sicherlich der Lage, doch die spätere Mythisierung des „Roten Morgen“ durch die Verantwortlichen der „RM“-Redaktion, ließ erkennen, dass sie selbst in den fortlaufenden und harschen Debatten nur populistisch agierten und den „pflichtbewussten Arbeiter“ (85) weiter als Vorbild für die Redaktion des „RM“ anboten. Die Früchte der Repression ernteten sie dann auf dem a. o. PT Sie wurden schlicht entmachtet. Und ihre Meinung wurde obrigkeitlich ad absurdum geführt. Die Intervenierung eines erheblichen Teils der Partei, die den marktschreierischen Parolen des „RM“ (86) widersprach, hatte auf die zukünftige politische Entwicklung der Zeitung allerdings keinen Einfluss. Die Zeitung blieb, auch oder gerade wegen der neugebildeten Redaktion, blieb den Traditionen der Muttersprache treu und machte in martialischer Kampfpolitik weiter.
Im „Roten Morgen“ Nr. 15 vom 6. Dezember 1971, gab es keinen einzigen Bericht zum a. o. PT. Hauptsächlich beschäftigte sich die Ausgabe mit dem „Kampf der Metaller“ während der Metalltarifrunde. (87) Auch die Ausgabe Nr. 16 vom 27. Dezember 1971 stand noch ganz im Zeichen der Tarifrunde. Auch Artikel zur VR China: („Hände weg von China“) oder etwa zur Baader-Meinhof („Staatsfeind Nr. 1) waren zu lesen. Jedoch gab es hier bereits Solidaritätsbekundungen aus Gießen, den Stützpunkten der KPD/ML/Rote Garde aus Ingolstadt, Regensburg, Kelheim und Gunzenhausen und der RG München. (88)
Die Solidaritätsbekundungen für Ernst Aust, die Speerspitzen, die gegen die „Liquidatoren“ gerichtet waren und die Unterstützung des neuen EK unter Aust, waren eher dazu geeignet, dem Altreich weiter Amt und Würden zu überlassen. Dass bis auf Gießen alle Stellungnahmen aus Bayern kamen, sollte auch nicht verwundern; denn Bayern galt als Bastion der Rekonstruktionsphase der KPD/ML. Die Loyalitätsbeweise waren unverkennbar lanciert und stülpten dem ML die „proletarische Sache“ über. (89)
Die Ausgabe Nr. 16 könnte als Generalangriff der Exekutive gegen die „Liquidatoren“ verstanden werden. Zum gleichen Zeitpunkt (am 27. Dezember). erschien die „Rote Morgen Sondernummer“ des EK der KPD/ML: „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“. Im Untertitel: „Diskussionsbeitrag der Zentrale zur Weiterentwicklung der Plattform der KPD/ML aus dem April 1970.“
Hier erklärte das Exekutivkomitee: „Die vorliegende Sondernummer des ROTEN MORGEN knüpft an die 2.Sitzung des 1. außerordentlichen Parteitages der KPD/ML an, wo der Kampf um die proletarische Linie, der Kampf um die Bolschewisierung der Partei, mit der Hinaussäuberung der Liquidatoren seinen Höhepunkt erreichte. Im ersten Teil der Sondernummer veröffentlicht das ZK einen Diskussionsbeitrag der Zentrale zur Weiterentwicklung der Plattform vom April 1970. Dieser Beitrag, der in seinen Grundzügen auf der 2. Sitzung des 1. außerordentlichen Parteitages formuliert wurde, entwickelt in negativer Abgrenzung gegen alle Liquidatoren und Opportunisten den korrekten marxistisch-leninistischen Standpunkt …
Die KPD/ML hatte in den letzten Monaten eine Periode der inneren Krise, eine Periode härtester, ideologischer und politischer Auseinandersetzungen in den eigenen Reihen zu bestehen. Diese Auseinandersetzungen führten dazu, dass die Aktivität der Partei nach außen im Kampf gegen den Klassengegner weitgehend lahmgelegt wurde. Und dass in einer Situation, in der sich die Klassenkämpfe in Westdeutschland beträchtlich verschärfen, in der die Bourgeoisie massiv zur Unterdrückung der ökonomischen Kämpfe der Arbeiterklasse überging, während sie gleichzeitig mit aller Macht die politische Unterdrückung verschärft. Insbesondere richtet sie ihre Angriffe gegen die marxistisch-leninistische Bewegung, vor allem gegen die KPD/ML, mit dem Ziel ihrer Illegalisierung. Es ist kein Zufall, dass mit der Verschärfung der äußeren Angriffe auf die Partei auch die zersetzenden Elemente innerhalb der Partei, die opportunistischen Kräfte und die versteckten Feinde ihr destruktives Treiben verstärken.
Es ist eine alte Erfahrung der kommunistischen und Arbeiterbewegung, dass in Zeiten des sich verschärfenden Klassenkampfes es auch innerhalb der Reihen der revolutionären Organisation die Spreu sich verstärkt vom Weizen scheidet. Dennoch wäre es falsch, würden wir in der Verschärfung der Angriffe von Seiten der Bourgeoisie die hauptsächliche Ursache für die Krise unserer Partei sehen. Die äußeren Bedingungen wirken nur, wie es der Genosse Mao Tsetung ausdrückte, vermittels der inneren Widersprüche. Wir haben also die Frage zu beantworten, welches die inneren Ursachen dafür sind, dass es den Liquidatoren gelingen konnte, in die Reihen der Partei Verwirrung zu tragen, sie zu spalten ...
Als die KPD/ML im harten Kampf gegen den Revisionismus gegründet wurde, begann zur gleichen Zeit der Kampf um die Bolschewisierung der Partei. Im Gründungs-'Roten Morgen' wurden Stalins Bolschewisierungskriterien propagiert, die proletarische Linie konnte die Angriffe der Revisionisten der Partei zurückschlagen. Doch dieser Kampf gegen den Einfluss der menschewistischen Linie wurde nicht konsequent fortgesetzt. Welche Fehler haben wir gemacht? Die Untersuchung dieser Frage ist noch nicht abgeschlossen. Wir können noch keine endgültige, umfassende Antwort geben. Es besteht aber Klarheit und Einigkeit darüber, dass eine entscheidende Ursache für die Spaltung hauptsächlich in den schwerwiegenden Fehlern zu suchen ist, die das Zentralkomitee unserer Partei gemacht hat ... Das ZK hat seine große Aufgabe als Führer der Partei nicht in korrekter Weise erfüllt:
Es ist kein Wunder, dass unter solchen Umständen der Kampf zweier Linien in der Partei sich auf das Äußerste verschärfte, und die fraktionistischen Tendenzen einen überaus fruchtbaren Boden finden konnten. Die Liquidatoren nützen diese Schwächen in der Partei aus, um sich selbst als die Vertreter der korrekten, proletarischen Linie herauszustellen ... Es ging ihnen in keinem Augenblick darum, unsere Partei aus der Krise herauszuführen, sondern einzig und allein um Karriere zu machen und ihre eigene liquidatorische, revisionistische Linie durchzusetzen. Sie nutzen gewisse Fehler und Unklarheiten, die in der Plattform des Zentralkomitees, welche seit 1 1/2 Jahren die Grundlage der politischen Arbeit unserer Partei bildet, enthalten sind, aus.
Dort wurde das Verhältnis von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung sowie die Rolle der Intellektuellen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Herkunft beim Parteiaufbau teilweise zweideutig und fehlerhaft dargestellt. Woraus sie jetzt ihren bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Führungsanspruch herleiten. Ferner wurde in der Plattform die Hauptaufgabe nicht korrekt bestimmt, so dass man annehmen konnte, dass gegenwärtig die Hauptaufgabe beim Parteiaufbau allein die Schaffung der revolutionären Theorie, die Ausarbeitung der Klassenanalyse sei. Woraus die Liquidatoren schlussfolgerten, dass eben dazu eine Partei nicht notwendig sei und man sich auf, sich um ein theoretisches Organ scharende Zirkel beschränken könne. Das ist natürlich falsch. Die Hauptaufgabe der Partei in der gegenwärtigen Entwicklungsperiode ist die Gewinnung der Vorhut des Proletariats für den Kommunismus. Dazu gehört: Schaffung der Partei, Heranbildung von Kadern, Ausarbeitung von Klassenanalyse und Programm. Es ist im Augenblick eine wichtige Aufgabe der Partei die Fehler der alten Plattform zu korrigieren und eine neue Plattform für den Parteiaufbau auf höherer Stufe auszuarbeiten ...
Noch zu einer anderen Sache: Es ist zu erwarten, dass aufgrund der Spaltung der Partei aus dem Zirkelgestrüpp sogenannter marxistisch-leninistische Gruppen und Grüppchen ein allgemeines Triumpfgeheul erschallen wird. Die Ideologen des Zirkelwesens, des Liga- und Bundistenkonzepts werden die Ereignisse ausnutzen, um ihre antiproletarischen Zirkeltheorien neu aufzupolieren ... Die Partei wird dadurch gestärkt, dass sie sich von allen opportunistischen Elementen säubert ... Alle diese kleinbürgerlichen Gruppen dringen auf eine oder andere Weise in die Partei ein und tragen in sie den Geist des Schwankens und des Opportunismus, den Geist der Zersetzung und der Unsicherheit hinein. Sie sind es hauptsächlich, die die Quelle der Fraktionsmacherei und des Zerfalls bilden, die Quelle der Desorganisation und Sprengung der Partei von innen heraus ... Deshalb ist der schonungslose Kampf gegen solche Elemente, ihrer Verjagung aus der Partei die Vorbedingung für den erforderlichen Kampf gegen den Imperialismus ...
Nachdem es den Liquidatoren nicht gelungen ist, die ganze Partei in ihre Hände zu bekommen und zu 'menschwisieren' haben sie mit Hilfe der Versöhnler die Reihen der Partei gespalten. Sie werden jetzt versuchen, unter dem Aushängeschild 'KPD/ML' eine menschewistische Partei aufzubauen. Es ist unsere Pflicht, ihren heimtückischen Versuch, die Arbeiterklasse zu täuschen und vor ihren kleinbürgerlichen Karren zu spannen, schonungslos zu entlarven ... Wir wissen, dass es gegenwärtig noch viele ehrliche Genossen gibt, darunter auch revolutionäre Arbeiter, die ihre Täuschungsmanöver noch nicht durchschaut haben und die ihnen aus diesem Grunde noch Gefolgschaft leisten. Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt darin, dass die Liquidatoren auf einer Welle der berechtigten Kritik schwimmen konnten, denn das Zentralkomitee und die gesamte Partei haben schwerwiegende Fehler gemacht. Ökonomismus und Spontaneismus haben tatsächlich die Politik der Partei in gefährlichem Maße beeinflusst. Wir müssen aus diesem Grund durch Kritik und Selbstkritik diese Fehler überwinden und auf dieser Grundlage alle ehrlichen Genossen, die von den Liquidatoren getäuscht werden konnten, für die bolschewistische Partei zurückzugewinnen.
Letzten Endes ist die Partei aber trotz dem schweren Schlag den die Spaltung für die Arbeiterbewegung und die Partei bedeutet, gestärkt aus dem Kampf gegen die Liquidatoren hervorgegangen. Eine Partei stärkt sich, indem sie sich purifiziert. Die bolschewistische Linie unserer Partei ist jetzt im Feuer des Kampfes gegen den Menschewismus gestählt. In Zukunft werden wir die bolschewistischen Prinzipien des Parteiaufbaus noch konsequenter verwirklichen, sie noch entschlossener gegen jeden Angriff verteidigen ... Wenn wir uns hier so ausführlich mit der Rolle der Liquidatoren beschäftigen, so deshalb, weil sie im Moment die Hauptgefahr für die Partei darstellen ... Die proletarische Linie in der Partei entlarvt den Angriff auf den historisch bewiesenen Grundsatz des Marxismus-Leninismus, dass das Proletariat im Kapitalismus die revolutionäre Klasse ist ...
Auf der 2. Sitzung des außerordentlichen Parteitages der KPD/ML bildete die Revision dieses Grundsatzes die gemeinsame Grundlage der verschiedenen kleinbürgerlichen Schattierungen:
1. der menschewistischen Gruppen, die offen auf die sofortige Liquidierung der Partei hinarbeiten und statt des Aufbaus der Partei die Auflösung der Partei in Debattenzirkel und die Herausgabe eines theoretischen Organs planen,
2. der menschewistischen Gruppen, deren Ziel es ist, für die kleinbürgerlichen Klasseninteressen die Herrschaft in der Partei zu erobern, und die aus diesem Grunde zwar nach der Liquidierung des bolschewistischen Charakters der Partei trachten, keinesfalls aber der Liquidierung der Partei überhaupt zustimmen,
3. den Versöhnlern, die sich nur dann auf die Seite der proletarischen Linie gestellt hätten, wenn sich diese in der Mehrheitsposition befunden hätte. ... Die proletarische Linie ist der Auffassung, dass sich das Klassenbewusstsein der Arbeiter spontan bildet, und zwar durch die Kämpfe, die die Arbeiter aufgrund ihrer Stellung in der sich ständig entwickelnden Gesellschaft mit Notwendigkeit immer führen ... Aber aus der Tatsache, dass die Arbeiterklasse in einer bestimmten historischen Phase kein hohes Maß an Klassenbewusstsein herausgebildet hat, darf nicht die Konsequenz gezogen werden, dass das Klassenbewusstsein prinzipiell nicht spontan in der Arbeiterklasse entsteht.
Das Klassenbewusstsein, das sich spontan in der Arbeiterklasse bildet, ist aber allgemein nur ein Bewusstsein auf der Stufe sinnlicher Erkenntnis. Dadurch dass die Partei den wissenschaftlichen Sozialismus in die Arbeiterklasse trägt ..., wird dieses Bewusstsein auf die Stufe rationaler Erkenntnis gehoben. Daraus leitet sich die Pflicht der Partei ab, den wissenschaftlichen Sozialismus in die Arbeiterklasse zu tragen ... Und es ist völlig falsch, den wissenschaftlichen Sozialismus in die Arbeiterklasse zu tragen, dadurch begründen zu wollen, dass man die Arbeiterklasse zu einer unbewussten Masse herabwürdigt ... Die Vertreter der bürgerlichen Linie in der Partei behaupten aber eisern; die Partei muss das Klassenbewusstsein in die Arbeiterklasse tragen ... Warum klammert sich nun die Handvoll kleinbürgerlicher Elemente in der Partei hartnäckig an ihre These, dass die Partei das Klassenbewusstsein in die Arbeiterklasse trägt? ...
Weil von der Beantwortung der Frage abhängt, ob man die Arbeiterklasse als die wirklich revolutionäre Klasse, die die Revolution von Anfang bis zum Ende führt und unter deren Führung allein der Sozialismus aufgebaut werden kann, anerkennt oder nicht ... Die Hauptaufgabe der Partei in der gegenwärtigen Phase beim Aufbau der Partei ist die Gewinnung und Schmiedung der Avantgarde des Proletariats ... Eine Partei, in der die Massenlinie liquidiert wird, das ist der eigentliche Wille der menschewistischen Gruppierungen in der Partei. Das ist eine Partei, die sich zum Vortrupp der Arbeiterklasse aufspielt, ohne ein Trupp der Arbeiterklasse zu sein. Das ist eine Partei, die den proletarischen Klassencharakter der bolschewistischen Partei abgelegt hat und den kleinbürgerlichen angenommen hat. Die Herrschaft des Kleinbürgertums in der proletarischen Partei ist auf diese Weise gesichert ... Die proletarische Linie in der Partei hält an der engen Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung fest.
Die proletarische Linie lernt aus den bisherigen Fehlern beim Aufbau der Partei und korrigiert sie, indem sie die Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung auf eine qualitativ höhere Stufe hebt. Die bürgerliche Linie in der Partei nimmt den bisherigen Spontaneismus der Partei als Vorwand, um mit dem Mittel der Beschwörung der Theorie den wissenschaftlichen Sozialismus von der Arbeiterbewegung zu lösen. Wer den wissenschaftlichen Sozialismus von der Arbeiterbewegung losreißt, betreibt Liquidation der Partei. Wer die Arbeiterbewegung vom wissenschaftlichen Sozialismus isoliert, verfällt in Ökonomismus. Aber Ökonomismus und Liquidatorentum sind nur die zwei Seiten einer Medaille ... Sie revidieren damit, dass die Partei der Träger des wissenschaftlichen Sozialismus ist ... Sie revidieren, dass der Aufbau der Partei die marxistisch-leninistische Weise ist, wie der wissenschaftliche Sozialismus auf unsere Verhältnisse angewandt wird ... Unsere Liquidatoren halten von Disziplin nicht viel, eigentlich gar nichts. Sie behaupten:
Bewusste Disziplin würde heißen, dass man jeden Beschluss einsieht und für richtig hält, ansonsten brauchte man Beschlüsse nicht einzuhalten ... Wir sehen, unsere Liquidatoren wollen nicht die Einheit der Partei erreichen, sondern sie zerstören die Grundlage für die Einheit der Partei ... Fassen wir zusammen: Die offenen, wie auch die versteckten Liquidatoren leugnen die Hegemonie des Proletariats innerhalb und außerhalb der Partei ... Sie scheuen sich nicht, offen für die DKP-Revisionisten Partei zu ergreifen ... Die menschewistischen Elemente in der KPD/ML richten den Hauptschlag gegen den bolschewistischen Charakter und Aufbau der Partei ... Die heutigen Liquidatoren sind diejenigen, die morgen offen mit der Bourgeoisie paktieren.“ (90)
Nimmt man den zentralen Anwurf des EK auf, dann war er primär gegen die „Liquidatoren“ aller Schattierungen gerichtet, wobei „menschewistische Strömungen“, „Versöhnler“, „linke Liquidatoren“ oder „offene Fraktionisten“ nur verschleiernde Synonyme waren. Denn es ging um jene zentrale Formulierung: „Die heutigen Liquidatoren sind diejenigen, die morgen offen mit der Bourgeoisie paktieren.“
Das Schema der Fortsetzung dieser Feindschaft war ein Rückfall auf die simplen Worthülsen, die im Kulturbetrieb der KPD/ML zwar keine traditionelle Sonderstellung einnahmen, aber symptomatisch für den Umgang mit den Kritikern waren. Die Gesetzesreligion, nach der die traditionelle Sonderstellung der neuen Exekutive darin bestand, war auch hier die „proletarische Linie“. Diese würden die „offenen und versteckten Liquidatoren“ zerstören. Damit charakterisierte sich auch die eigentliche Scheidelinie auf dem a. o. PT Die „bürgerliche und die proletarische Linie“ sind dementsprechend unversöhnlich.
Mit der Konstruktion, dass eine „bürgerliche Linie“ zur Unterminierung des „wissenschaftlichen Sozialismus von der Arbeiterbewegung“ führe, bewahrte sich das ZK eine der alten Streitfragen aus dem Frühjahr 1970. Nicht von ungefähr lautete die Sonderausgabe des „Rote Morgen“ im Untertitel: „Diskussionsbeitrag der Zentrale zur Weiterentwicklung der Plattform der KPD/ML aus dem April 1970.“ Eine „Weiterentwicklung“ oder überhaupt eine Entwicklung war hier nicht festzustellen. Die Anmerkung über „schwerwiegende Fehler des ZK“ war symptomatisch für die Akkupunktur des eigenen Geistes.
Die spezifische Nähe zur alten Feind-Symbolistik las man in den folgenden Sätzen: „Dort (in der „Plattform“, d. Vf.) wurde das Verhältnis von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung sowie die Rolle der Intellektuellen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Herkunft beim Parteiaufbau teilweise zweideutig und fehlerhaft dargestellt. Woraus sie jetzt ihren bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Führungsanspruch herleiten. Ferner wurde in der Plattform die Hauptaufgabe nicht korrekt bestimmt, so dass man annehmen konnte, dass gegenwärtig die Hauptaufgabe beim Parteiaufbau allein die Schaffung der revolutionären Theorie, die Ausarbeitung der Klassenanalyse sei. Woraus die Liquidatoren schlussfolgerten, dass eben dazu eine Partei nicht notwendig sei und man sich auf, sich um ein theoretisches Organ scharende Zirkel beschränken könne. Das ist natürlich falsch. Die Hauptaufgabe der Partei in der gegenwärtigen Entwicklungsperiode ist die Gewinnung der Vorhut des Proletariats für den Kommunismus …“
Nun hatte Ernst Aust eine Kehrtwendung von 180 Grad gemacht. Seine Dauerverwicklung in Affären, Zerstrittenheiten und Querelen, dürften arg an seiner seine Popularität genagt haben. So ist dieser Schachzug aus der „Sondernummer“ nur ein weiterer Beleg für die Neigung, dass die Heilung der KPD/ML von einem zentralen Punkt auszugehen habe: Vom ZK der Partei. Damit war die „Schaffung der revolutionären Theorie“ und die „Klassenanalyse“ endgültig Schnee von gestern. Der Abschied vom Theoriegebäude, das sowieso in der KPD/ML eher als Erneuerung eines Weltanschauungsgebräus verstanden worden war und sich aus mehr als fragwürdigen Zusammenschnitten von Ergüssen der KPD nährte, wurde in der „Sondernummer“ in die populistische Wendung gedreht. Hauptseite „revolutionäre Theorie“ sei „natürlich falsch“, verkündete Ernst Aust.
Im Zweifel auf andere Prioritäten setzen, so könnte man schlussfolgern. Dass solche populären Äußerungen in seiner Beiläufigkeit nichts an Naivität verloren hatten, passte ins Bild des Artikels, der auch mit dem erneuten Aufguss der „Massenlinie“ und der „Gewinnung der Vorhut des Proletariats für den Kommunismus“ die taktische Anpassung an das Bild von „der Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML“ vollzog.
Propagandistisch hatte der Artikel auch sonst nicht viel anzubieten. Er setze sich über die Einfärbungen des a. o. PT einfach hinweg. Die Motivation der Basis, die Debatte um die Zukunft der KPD/ML zu generalisieren, wurde als Problem emotionalisiert und im Ergebnis als neue Emanzipation verkauft. Die naiven Ab- und Ausgrenzungen, drängten heftig zur einzigen Lösung der Krise der KPD/ML nach oben: Die Rückbesinnung auf das Proletariat als „revolutionäre Klasse“. Sie war die wahre Weltanschauungspartei mit philosophischen und politischen Prinzipien. Die „revolutionäre Klasse“ zu beerben und/oder sich ihr wieder anzunähern, ging mit den „Thesen zur Bolschewisierung“ („Hegemonie des Proletariats“) aus den Gründertagen der KPD/ML in ein politisches Glaubensbekenntnis ein, das im sozialmoralischen Gefüge der KPD/ML einen besonderen Stellenwert einnahm. So konnte es ihr später auch gelingen, andere Gruppen erneut zu befriedigen und für ihre konkreten Interessen einzuspannen. Beides also, die Prinzipien plus Pluralismus, brachten einen erneuten Aufschwung der KPD/ML mit dem Blick „von oben“ und der Perspektive „von unten“ mit sich.
Die Ausgabe Nr. 1/2 des „Roten Morgen“ vom 17. Januar 1972: „Außerordentlicher Parteitag der KPD/ML erfolgreich beendet. Vorwärts auf dem Weg zur Revolution. Aus Fehlern lernen“, machte mit der Metapolitik des Verschleierns, der Abgrenzungen und der Herr-im Hause-Politik so weiter, wie es seit dem Artikel „Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren“ bekannt geworden war. Die Abstraktheit des Artikels, der nun eine „Korrektur des 2-Wege Artikels“ aus dem Dezember 1970 einforderte, eine „Korrektur der Plattform des ersten ZK und des Artikels ‚Bauen wir eine starke bolschewistische Partei auf“, in Aussicht stellte, ließ freilich die mit der Zeit immer deutlicher werdenden Spannungen, Gegensätze und Brüche prinzipiell unbeantwortet. Entlarvt wurden wieder die „Liquidatoren und Fraktionisten“, die letzten Endes die Leugnung der weltgeschichtlichen Mission des Proletariats und seiner führenden Rolle im Kampf um den Sozialismus“ betreiben würden. (91)
Das zweite ZK der KPD/ML, dem Ernst Aust vorstand, rettete sich hier mit dem „aktiven ideologischen Kampf“, der nun geführt werden müsse, in die Floskeln der angeblichen Mitbestimmung der Partei über deren weiteren Weg. Der Leitsatz, den „Rechts- und Linksfeinde“ auf dem a. o. PT geprägt hatten, wurde im „Roten Morgen“ einfach umgekehrt. Und das ZK maßte es sich an, ihn als neue Errungenschaft zu verkaufen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ZK selbst nicht wusste, gegen wen es denn jetzt überhaupt noch zu kämpfen hätte. Alle Begrifflichkeiten schienen zu verschwimmen. Die Interpretationen über „linke“ und „rechte“, „Liquidatoren“, „Menschewisten“, „Versöhnler“, „Putschisten“ oder „Revisionisten“, gipfelten schon fast im Kulturkampf.
So dürfte die „Selbstkritik des Ersten Zentralkomitees der KPD/ML“ aus der gleichen Ausgabe, die Funktion gehabt haben, das Zentralstück „Die Besten der westdeutschen Arbeiterklasse gründeten die KPD/ML“ als Eigentum in Bausch und Bogen zu verteidigen. Der Artikel gab auch bekannt, dass die zweite Sitzung des a. o. PT die „Trennung von den menschewistischen und liquidatorischen Flügeln“ brachte. Beides könnte auch als Kronzeugentheorie verstanden werden, die den Mythos der Gründung der KPD/ML, die als „Ereignis von großer historischer Bedeutung für die Entwicklung der westdeutschen Arbeiterbewegung“ gefeiert wurde, absegnete. Mit der alten Bildsprache gelang es hier zudem, die Gründung der KPD/ML als „einen entscheidenden Schritt vorwärts auf dem Weg zur Revolution“ und als „Schlag gegen das kapitalistische System“ als Volksweisheit zu deklarieren. (92) An Überhöhungen des eigenen Hauses fehlte es der KPD/ML nicht. Da mussten sogar alle traditionalistisch gesinnten Gegner passen. Selten hatte man in der maoistischen Bewegung soviel Weihrauch riechen dürfen. Und selten hatte man so viel von angeblichen nationalen Erfolgen einer Partei gelesen, wie hier.
Im „Roten Morgen“ Nr. 3 vom 31. Januar 1972 wurde die „Selbstkritik des Ersten Zentralkomitees der KPD/ML“ fortgeführt. Es ging nun um die „Herausbildung ökonomistischer Tendenzen in der Partei“. Schuld dafür hätte die „maßlose Polemik und Demagogie der opportunistischen und neorevisionistische Zirkelorganisationen“ gehabt, vor denen „die Partei zurückzuweichen begann“. Wiederum förderte die „Existenz ‚links’sektiererischer Abweichungen“ diese „ökonomistischen Tendenzen“. Weiter seien die „schwankenden kleinbürgerlichen Elemente in der Partei“ nunmehr Dogmatiker und Sektierer, die dazu neigen, „die spontane Arbeiterbewegung zu verherrlichen“. (93) Dies sei besonders im LV Südwest ausgeprägt gewesen, wo die „kleinbürgerlichen Intellektuellen einen starken Einfluss ausübten“. Die „ökonomistischen Abweichungen“ hätten sich besonders in der ZBGK gezeigt, die zu einer „Gratisbeilage der Gewerkschaften“ wurde.
Das Eingeständnis dieser katastrophalen Politik und die deutliche Existenzkrise führte die Führung der KPD/ML letztlich nicht etwa auf die eigenen Verfehlungen zurück, sondern auf die „Abweichungen von der proletarischen Linie“ und der Zersetzungsarbeit der „opportunistischen und parteifeindlichen Elemente“. Diese hintertrieben „die richtige Linie des Parteiaufbaus von oben nach unten“ und propagierten den „Zirkelgeist“.
Das alles war jene ideologische Rechtfertigung, die stets angebracht worden war, um sich auf jene Prinzipien zu stellen, von denen angenommen worden war, sie seien marxistisch-leninistisch. Die konservative Polemik des ZK mit der Entfesselung der Egoismen und des Misstrauens gegenüber dem Neuen, resultierte auf die Alleinherrschaft in der KPD/ML. Das als Metapolitik von Konservativen zu bezeichnen, wäre allemal berechtigt. Als besonders befähigte Politiker bewiesen sich die Mannen um Ernst Aust nach dem a. o. PT nun gerade nicht. Dass die Lager sich nun antagonistisch gegenüber stehen sollten, war das Verdienst des ZK der KPD/ML. Dabei war es völlig unerheblich, ob es sich um das erste oder zweite ZK gehandelt hat. Hier interessiert nur die Tatsache, dass offenbar die Verteilung der neuen Posten keine neue politische Perspektive hervorbrachte. Die KPD/ML schien sich nach dem a. o. PT nur noch als lokales Netz mit weiteren Trennlinien und Spannungen zu verstehen; denn die „kleinbürgerliche Zirkelideologie“ müsse weiter ohne wenn und aber strikt bekämpft werden. (94)
Am 14. Februar 1972 erschien die Ausgabe Nr. 4 des „Roten Morgen“ mit der Fortführung der „Selbstkritik des Ersten Zentralkomitees der KPD/ML“. Zentrales Thema war: „Die Theorie von den zwei Wegen des westdeutschen Imperialismus“. Über die anhaltenden Diskussionen dieser Theorie auf dem Parteitag, berichtete der „Rote Morgen“ nicht. Und es kann hier auch nicht darum gehen, der „Selbstkritik“ etwas abzugewinnen. Tatsache ist, dass diese Theorie vom neuen ZK mit der Begründung fallen gelassen worden war, dass sie „revisionistische Abweichungen“ begünstigte.
Die Weichspülung der „Zwei-Wege“ Theorie las sich dann so: „Die entscheidenden Fehler dieses Artikels waren, dass die Widersprüche zwischen verschiedenen Fraktionen der westdeutschen Monopolbourgeoisie überbewertet wurden. Es wurde der Eindruck erweckt, als gäbe es für den westdeutschen Imperialismus verschiedene strategische Möglichkeiten. Der Verzicht auf die eindeutige Klarstellung, dass der westdeutsche Imperialismus unter einer SPD-Regierung kein Deut seines aggressiven Charakters verliert, unterstützt indirekt die von den Revisionisten gespeisten Illusionen über den angeblichen friedlichen Charakter der SPD-Politik.“ Diese Strategie führte zu „einer Herabminderung der führenden Rolle der Arbeiterklasse bei der Revolution.“ (95)
Dass auch diese Theorie den „Liquidatoren“ zugeschrieben worden war, verwunderte nicht. Ihre „längst überfällige Säuberung“ war notwendig. Dieser in „völlige Fäulnis übergehende Ballast … sei mit den Aufgaben unserer Partei“ nicht mehr in den Einklang zu bringen, folgerte der „Rote Morgen“. (96)
Die legitime Partei der Arbeiterklasse, wie sich die KPD/ML-ZK selbst titulierte, war also von Demagogen geführt, sozusagen von einem revolutionären Pöbel; denn nicht anders waren sie Sätze über die „Fäulnis“ zu interpretieren. Diese Herrschaft der Irrationalität war es, die Schrecken verbreitete. Deshalb, so die „Selbstkritik des ZK“, war es „absolut notwendig, den Parteitag ohne die Liquidatoren und Versöhnler fortzusetzen“. (97)
Die KPD/ML dürfte sich mit dem a. o. PT total verselbständigt haben. Die Zähmung der „Liquidatoren“ brachte sie natürlich keinen Schritt nach vorne. Ganz im Gegenteil. Die schwere Niederlage des ZK, bedeutete enormen Zugzwang. Sie konnte sich mit keiner theoretischen Konzeption mehr anfreunden. Alles war vakant geworden. Und es rettete sich über - nur noch- strukturelle Veränderungen der alten Linie. Hinzu kam die Bündnistreue jener Gruppen, die ausschließlich die „12 Bedingungen“ aus der Dezember 1968/Januar 1969 Ausgabe des „Roten Morgen“ akzeptieren sollten. Der konservative Trend, den das neue ZK einschlug, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die „rechten „ und „linken“ Flügel lasteten wie ein Damoklesschwert über der ganzen Parteiarbeit. Die Zukunftsorientierung wurde auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, doch im Grunde bis auf gänzlich unbestimmte Ferne vertagt. Das Exekutivkomitee mit dem Parteiführer Ernst Aust, hatte seit dem a. o. PT ein quasi-diktatorisches Parteiregime etabliert. Pluralität von Meinungen waren out. Die KPD/ML hatte fortan vielleicht nur noch taktische Erfolge zu verzeichnen, strategisch betrachtet, hatte sich nichts verändert.
Die am 28. Februar 1972 erschienene Nr. 5 des „Roten Morgen“ veröffentlichte den Artikel „Für die Einheit aller Revolutionäre in der KPD/ML“. Dem Artikel waren die Auseinandersetzungen innerhalb des ZK auf dem a. o. PT vorausgegangen. Kurz nach der Beendigung des Parteitags, hatte sich in Dortmund die sog. „Bolschewistische Linie in der KPD/ML“ konstituiert, die kurze Zeit später die Zusammenarbeit mit der KPD/ML-ZB aufnahm. Die Gruppe war u. a. mit ihrem „Offenen Brief“ (98) bekannt geworden. Den Austritt führender Genossen aus der KPD/ML-ZK, nahm der „Rote Morgen“ zum Anlass, die Frontstellung deutlich zu verschieben, den Verfassern des „Offenen Briefes“ „prinzipienlose Vereinigung“ und „unsachliche Polemik“ vorzuwerfen. Der KPD/ML-ZB wurde die sog. „Sumpfbroschüre“ zum Vorwurf gemacht und versucht, die „schwerwiegenden Abweichungen“ seit der Spaltung aus dem Frühjahr 1970 auf alle anderen, außer der KPD/ML-ZK abzuwälzen.
Dieses Bekenntnis lief deutlich auf die früheren Konfrontationen hinaus. Die ideenpolitischen Auseinandersetzungen, die das neu gewählte ZK noch ziemlich deutlich in den bisherigen „Selbstkritiken“ hat verlauten lassen, waren nun nur noch: Trennungslinien, Reibungsflächen und gegensätzliche Blöcke. Der Schwur, die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ herstellen zu wollen, musste sich an Minderheiten messen lassen, die wohl aus reinen opportunen Gründen den Weg zum ZK suchten und somit deren lokalen Machtbasen verbreitern durften. (99)
Dass der Hinweis auf die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ den Abkömmlingen galt, war indes deutlich geworden. Fast alle Gruppen befassten sich mit der zersplitterten Bewegung, ohne aber, dass war entscheidend, sie wirklich zu wollen. Eine Aufweichung der eigenen Positionen war nirgendwo festzustellen. Bestes Beispiel dafür waren die ständigen Auseinandersetzungen in der KPD/ML über den richtigen, anzustrebenden Kurs. Niemand wollte einlenken. Es regierte die Partikularität. Höchstens von Fall zu Fall gab es Aktionseinheiten unter diesen beiden (verfeindeten) Gruppen, die auch nicht dauerhaft und von Überzeugung getragen waren. Vor allem nach dem a. o. PT war die Entfremdung noch größer geworden. Beide Gruppen griffen sich in ihren Organen hasserfüllt an. Und die Hauptschuldigen waren dementsprechend auch schnell ausgemacht. Aber auch das war der einzige Weg zur Popularität. Die „Prinzipien“ und die eigenen Ideen waren eine deutliche Absage an all diejenigen, die mit neuen Vorstellungen ankamen. (100)
Dass die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ nach dem a. o. PT bevorzugtes Agitationsmittel der KPD/ML-ZK war, ist schon hinreichend betont worden. Am 13. März 1972 beschäftigte sich das ZK erneut mit dieser Frage. Ein Artikel im „Roten Morgen“ Nr. 6 lautete: „Die Einheit aller Marxisten-Leninisten im Kampf gegen den modernen Revisionismus erringen!“
„Das Zentralbüro der 'KPD/ML-Rote Fahne' hat in seinem Zentralorgan 'Rote Fahne' Nr. 4/1972 unter dem Titel 'Für die Einheit der Marxisten-Leninisten' eine Stellungnahme zu dem 'Offenen Brief' einer Gruppe von ehemaligen Mitgliedern und Sympathisanten der KPD/ML veröffentlicht. Den 'Offenen Brief' selbst hatte das ZB in der Nr.3 der 'Roten Fahne' abdrucken lassen. Die Gruppe, die diesen 'Offenen Brief' herausgegeben hat, nennt sich 'Bolschewistische Linie der ehemaligen KPD/ML (Roter Morgen)'. Sie hat auch uns diesen sogenannten 'Offenen Brief' geschickt, mit der Aufforderung, ihn im Roten Morgen abzudrucken.
Wir haben darauf verzichtet, diesen sogenannten 'Offenen Brief' abzudrucken, weil er nichts anderes darstellt, als den demagogischen Versuch des ehemaligen Mitglieds der KPD/ML, G. A., nachdem er als übler Karrierist und Opportunist entlarvt und aus der Partei ausgeschlossen wurde, sich nunmehr beim ZB der 'KPD/ML'-Rote Fahne anzubiedern und den Marxisten-Leninisten Westdeutschlands und Westberlins einen falschen Eindruck über die Entwicklung der KPD/ML und ihr Verhältnis zur 'KPD/ML'-Rote Fahne zu vermitteln.
G. A. versucht, sich in diesem 'Offenen Brief' als Apostel der Einheit der Marxisten-Leninisten aufzuspielen, wobei es ihm nur darum geht, seine in der KPD/ML gescheiterte Karriere nun auf andere Weise fortzusetzen, und zwar unter Ausnutzung des berechtigten Wunsches vieler Marxisten-Leninisten nach Einheit aller Marxisten-Leninisten in der Bolschewistischen Partei. Worum geht es dem ZB? Ist das ZB wirklich so naiv, dass es diesen Zusammenhang nicht begreift, obgleich es doch über die Rolle des Karrieristen G. A. genügend informiert sein dürfte? ... Das Vorgehen des ZB in der erwähnten Stellungnahme lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass das ZB ehrlich und von einem korrekten Standpunkt aus an die Frage der Einheit der Marxisten-Leninisten herangeht. Warum hat sich das ZB nicht an uns gewandt, bevor es den sogenannten 'Offenen Brief' in seinem Zentralorgan abgedruckt hat, um sich über die Rolle von G. A. zu informieren? Wir hätten das ZB im einzelnen davon in Kenntnis setzen können, dass G. A. nachdem er zuvor der Hauptvertreter ökonomistischer Abweichungen in der KPD/ML war, aus reinen Karrieregründen auf dem außerordentlichen Parteitag am Ende dieses Jahres vollständig auf die Positionen der Liquidatoren übergegangen ist …
Wir hätten dem ZB klar machen können, dass es sich bei G. A., dem es leider gelungen ist, eine Gruppe von schwankenden Genossen um sich zu sammeln, um einen der übelsten Karrieristen und Opportunisten handelt, die sich in den Reihen der marxistisch-leninistischen Bewegung herumtreiben. Und wie kommt das ZB, wenn es ihm wirklich um die Einheit der Marxisten-Leninisten geht, dazu, in seinem Artikel in der 'Roten Fahne' die lügnerische Behauptung zu verbreiten, unsere Partei, die KPD/ML, sei von den Liquidatoren 'vernichtet' worden und habe sich in 'kleine' und 'kleinste' Bestandteile aufgelöst? ... Ist es verwunderlich, wenn wir unter solchen Umständen Zweifel daran haben, ob die Führung eurer Organisation ehrlich an die Frage der Einheit der Marxisten-Leninisten herangeht? Trotz dieser seltsamen Methoden des ZB sind wir bereit, mit dem Ziel der Einheit der Marxisten-Leninisten in der bolschewistischen Partei, eine sachliche Diskussion mit allen Genossen in der 'KPD/ML'-Rote Fahne und auch, falls sie dazu bereit sind, mit den Führern dieser Organisation zu führen ...
In der Stellungnahme des ZB findet sich ein Abschnitt, der die Überschrift 'Unsere Fehler' trägt. Dort werden einige Fehler des ZB aufgeführt, wie z. B. mangelnder ideologischer Aufbau der Partei und ungenügende Vorbereitung auf die Illegalität. Abschließend wird dann festgestellt, die gleichen Fehler seien auch die Fehler anderer ML-Organisationen. Zweifellos stimmt es, dass auch wir in der KPD/ML den ideologischen Aufbau der Partei vernachlässigt haben, und auch wir haben die Partei ungenügend auf die Illegalität vorbereitet. Aber was soll die Feststellung, die Fehler des ZB seien auch die Fehler anderer Organisationen? ...
Wie kann man aber davon reden, dass man den ideologischen Aufbau konsequent anpacken will, ohne dabei mit einem Sterbenswörtchen darauf einzugehen, das dass das ZB zwar die Organisation ideologisch aufbauen will, dass es aber den Mitgliedern keinen Einfluss darauf gewähren will, in welchem Sinne der ideologische Aufbau erfolgen soll. Fürchtet das ZB, dass die Mitglieder die Frage des Klassenstandpunktes, die Frage des Inhalts, des ideologischen Aufbaus der Partei in einem anderen Sinne stellen könnten, als das ZB es wünscht? Besteht da nicht der Verdacht, dass das ZB Grund hat, seinen eigenen Mitgliedern zu misstrauen? Ist dies nicht eine extreme Form, den Massen zu misstrauen? ... Leider gibt es zu viele dunkle Punkte in der Linie des ZB, die uns immer wieder auf diese Probleme, auf das Problem des Kampfes oder vielmehr des mangelnden Kampfes gegen den modernen Revisionismus stoßen.
So zum Beispiel die Tatsache, dass in der 'KPD/ML'-Rote Fahne nicht die Original-Texte der Klassiker des Marxismus-Leninismus geschult werden, sondern lediglich Schulungs-Texte, die das ZB selbst verfasst hat. Das ist bekanntlich eine Praktik, die auch von den Revisionisten angewendet wird, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sie den wahren Marxismus-Leninismus fürchten wie der Teufel das Weihwasser ... Aber nehmen wir einmal einen anderen sehr dunklen Punkt in der Linie des ZB. Es handelt sich um die Frage der Entstehung der 'KPD/ML'-Rote Fahne. Bekannter weise ist die 'KPD/ML'-Rote Fahne als Abspaltung eine Gruppe, deren Führer ein rechtsopportunistisches Programm zur Grundlage ihres Fraktionismus und ihrer verantwortungslosen Spaltertätigkeit gemacht hatten ...
Was sagt das ZB über die Entstehung seiner Organisation, der 'KPD/ML'-Rote Fahne? Das ZB macht dazu die interessante Feststellung, dass bei der praktischen Formierung der 'KPD/ML'-Rote Fahne als einer bolschewistischen Partei, der Kampf gegen die 'Gruppe Roter Morgen', gegen den sogenannten 'Ezrismus, 'von weitaus größerer Bedeutung war, als der Kampf gegen den Revisionismus'. Wir wollen nicht bezweifeln, dass es wirklich so gewesen ist, wie das ZB festgestellt hat. Wir haben in der Tat von einem Kampf der 'KPD/ML'-Rote Fahne gegen den modernen Revisionismus nicht viel gemerkt. Aber, und diese Frage richten wir wieder insbesondere an die Mitglieder und Sympathisanten der 'KPD/ML'-Rote Fahne, ist es nicht äußerst merkwürdig, dass gerade eure Organisation offenbar die einzige 'Partei' der Welt ist, die als marxistisch-leninistisch gelten will, sich auf Mao Tsetung beruft, und die nicht vor allem im Kampf gegen die Cliquen der modernen Revisionisten entstanden ist, und die es nach Aussagen eurer Führung, auch nicht nötig hat, sich hauptsächlich im Kampf gegen die Cliquen der modernen Revisionisten zu festigen? ...
Das ZB ist mit anderen Worten (weiter) der Meinung: in dem den heutigen revisionistischen Parteien innewohnenden Widerspruch zwischen proletarischer und bürgerlicher Linie wurden die äußeren Bedingungen zur Hauptseite und deshalb siegte die bürgerliche Linie. Fürwahr - eine sehr eigenartige Dialektik; oder hat das ZB hier vielleicht Dialektik mit Sophistik verwechselt? Das ZB soll doch einmal versuchen, mit seiner Art von 'Dialektik' die Tatsache zu erklären, dass beispielweise die Partei der Arbeit Albaniens nicht revisionistisch entartet ist, obwohl der äußere Druck vonseiten des Sowjetrevisionismus auf die Partei der Arbeit unbestreitbar sehr stark war ...
Das ZB vertritt tatsächlich die Auffassung, die Politik der KPD nach 1945 und die Politik der SED sei bis zum XX. Parteitag der KPdSU 1956 vollständig korrekt gewesen. Aber das ZB vertritt nicht nur diese Auffassung - es hat sogar die opportunistischen Abweichungen in der Politik dieser Parteien, die schon vor ihrer revisionistischen Entartung aufgetreten sind, übernommen, 'schöpferisch' weiterentwickelt und versucht nun, diesen revisionistischen Plunder in die marxistisch-leninistische Bewegung einzuschmuggeln. Das bedeutendste Produkt dieser Art, welches das ZB hervorgebracht hat, ist die 'Theorie' von den Etappen der Revolution in einem imperialistischen Land, wie es die Bundesrepublik ist. Das ZB hat die revisionistischen Abweichungen der KPD nach 1945 und der SED in der Anwendung der Volksfronttaktik und der Frage der antifaschistisch-demokratischen Revolution übernommen und daraus eine revisionistische Theorie der Etappen der Revolution in Westdeutschland gemacht.
Diese 'Theorie' besagt, dass wenn der Klassenkampf sich zuspitzt und die Bourgeoisie dazu übergeht, die bürgerlich-demokratische Herrschaftsform zu ersetzen - dass in einer derartigen Situation das strategische Ziel des Proletariats, der Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und die Errichtung der Diktatur des Proletariats, ersetzt werden müsse durch das strategische Ziel der Wiedererringung der bürgerlichen Demokratie. So macht das ZB aus der Taktik zur Schaffung der Volksfront im Kampf gegen die faschistische Herrschaft, aus der besonderen Taktik des revolutionären Sturzes des faschistischen Regimes, eine Strategie des Verzichts auf die Sozialistische Revolution. Das ZB geht jedoch noch einen Schritt weiter und verlangt von der Arbeiterklasse die Unterordnung seiner Klasseninteressen unter die sogenannten 'allgemein gesellschaftlichen Interessen' ... Das ZB verlangt von der Arbeiterklasse jedoch nicht nur, dass sie ihre Klasseninteressen 'den allgemeinen Interessen der Gesellschaft unterordnen' müsse, das ZB verlangt auch, dass die Arbeiterklasse im Kampf gegen den Faschismus ihre führende Rolle aufgeben solle. Zu diesem Zweck beruft sich das ZB - auf wen wohl? Auf niemand anderen natürlich, als auf den Renegaten Ulbricht ... Und ferner sagte Ulbricht: 'Die Kommunistische Partei ist eine Partei des Volkes, denn wir sagen im Aktionsprogramm, was getan werden muss, damit das normale Leben der Bevölkerung wieder in Gang kommt'. Diesen revisionistischen Standpunkt vertrat Ulbricht nach dem Krieg in der sowjetisch besetzten Zone und vor der Verschmelzung von SPD und KPD zur SED.
Diese Verschmelzung, die von Ulbricht offenkundig bereits vom Standpunkt des Verzichtes auf die führende Rolle der Arbeiterklasse in der antifaschistisch-demokratischen Revolution betrieben wurde, führte zu dem Ergebnis der Liquidierung des bolschewistischen Charakters der Partei. Das ZB verteidigt dieses Vorgehen der Ulbricht-Clique voll und ganz ... Das ZB hat des Öfteren festgestellt, dass der theoretische Kampf gegen den modernen Revisionismus heute im Wesentlichen schon als beendet angesehen werden könne, dass die albanischen und die chinesischen Genossen diesen Kampf bereits geführt hätten, dass dieser Kampf heute für uns kaum mehr Bedeutung habe. Ist es nicht naheliegend, anzunehmen, dass das ZB diese Behauptung nur aus dem einen Grund aufgestellt hat, weil es gar kein Interesse daran hat, den Revisionismus ideologisch, politisch und organisatorisch zu schlagen? ...
Wir fordern alle Mitglieder und Sympathisanten der 'KPD/ML'-Rote Fahne auf, sich ernsthaft die Frage zu stellen, und gewissenhaft zu untersuchen, ob es sich bei der Politik des ZB nicht um den von Mitgliedern des ZB systematisch und bewusst betriebenen Versuch handelt, die marxistisch-leninistische Bewegung zu zersetzen und auf den Boden des modernen Revisionismus zu zerren. Wir erinnern daran, dass G. G. heute einer der entscheidenden Führer im ZB, früher einmal, als er noch Häuptling eines Bochumer Studentenzirkels war, den Kampf gegen den 'Maoismus' zu seiner Aufgabe erklärt hat. Kann die Politik des ZB uns davon überzeugen, dass G. G. diesen Plan inzwischen aufgegeben, dass er seinen politischen Standort gewechselt hat? ...
Wir werden uns künftig noch ausführlicher mit den Theorien des ZB, aber auch mit der praktischen Politik der 'KPD/ML'-Rote Fahne, mit ihrer Agitation und Propaganda im Betrieb und auf der Straße befassen. Wir werden dies tun, um Klarheit darüber zu schaffen, welche Kräfte in der marxistisch-leninistischen Bewegung Westdeutschlands und Westberlins wirklich bereit sind, bedingungslos den Weg des Marxismus-Leninismus und der Maotsetungideen, den revolutionären Weg der Vorbereitung und Durchführung des Gewaltsamen Sturzes der Bourgeoisie und der Errichtung der Diktatur des Proletariats zu gehen. Und wir werden schonungslos diejenigen Elemente entlarven, die sich in der marxistisch-leninistischen Bewegung eingenistet haben, und die das Ziel verfolgen, die Revolutionäre in den Sumpf des Opportunismus, in den Sumpf des modernen Revisionismus zu zerren. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, die Einheit aller wahren Marxisten-Leninisten in der bolschewistischen Partei des Proletariats zu erringen und dem modernen Revisionismus weitere Schläge zu versetzen.“ (101)
Hatte der „Rote Morgen“ Nr. 5 die Verfasser des „Offenen Briefes“ noch relativ harmlos behandelt, so war in der Ausgabe Nr. 6 davon nichts mehr übrig geblieben. Der a. o. PT warf immer noch seine lange Schatten. Der Parteitag selbst hätte jene „üblen Karrieristen und Opportunisten entlarvt“, die „zuvor Hauptvertreter ökonomistischer Abweichungen in der KPD/ML waren“ und „aus reinen Karrieregründen auf dem außerordentlichen Parteitag am Ende dieses Jahres vollständig auf die Positionen der Liquidatoren übergegangen sind“. Der „Rote Morgen“ scheute sich nicht davor, in dieser Ausgabe die Namen der angeblichen „Liquidatoren“ (auch wenn nur durch Kürzel) zu veröffentlichen. Die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ wurde unter diesem Aspekt nun endgültig aufgehoben.
Der „Scheiterhaufenbrief“ der Dortmunder Genossen übte eine, für die damaligen Verhältnisse, gewaltige Ausstrahlung aus. Und er wurde von beiden Fraktionen der KPD/ML dazu benutzt, dem a. o. PT die Wende zu geben, die es möglich machen sollte, immer relativ ungeschoren aus diesem ganzen Dilemma herauszukommen. Der Brief steigerte den jeweiligen Unmut der beiden Fraktionen, deren besondere Charakteristika zu jener Zeit die beiderseitigen Ansprüche auf den Thron de KPD/ML waren. So konnte der „Rote Morgen“ der „Roten Fahne“ wieder und wieder den ungenügenden Kampf gegen den „modernen Revisionismus“ vorwerfen und mit den alten SED- und Ulbricht-Geschichten auf Stimmenfang zu gehen, die „Rote Fahne“ dagegen nahm das Scheitern des ZK mit innerer Genugtuung auf. Dem Rachefeldzug blieben, wenn man so will, beide Gruppen treu. Der a. o. PT schuf keinerlei Voraussetzungen für innere Solidarität, die so sehr beschworen worden war. Das gilt nachträglich auch für Ernst Aust, der all die fallen ließ, die ihm einst die Stange hielten. Seinem aufgesetzten Sendungsbewusstsein fehlte die angemessene Resonanz. Die quasi-religiösen Züge des „Roten Morgen“, dem er vorstand, entpuppten sich als machtstrategische Ausgrenzungen und Unterdrückungen mit alter Intellektuellenfeindlichkeit. Daran hatte Ernst Aust maßgeblichen Anteil.
In der Ausgabe Nr. 7 des „Roten Morgen“ vom 27. März 1972, erschien als Beilage Artikel „Kämpft für die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML. Erklärung von ehemaligen Mitgliedern der Gruppe 'Rote Fahne Bochum' und des KJVD.“
Nach dem „Offenen Brief“ war dieser Artikel Wasser auf die Mühlen der KPD/ML-ZK, die jeden Mitgliederzuwachs nach dem a. o. PT benötigte. Die Auffüllung des Kaders war fast schon das Gebot der Stunde. Dankbar und bereitwillig nahm es jede oppositionelle Regung aus dem ML-Lager auf. Die „ehemaligen Mitglieder der Gruppe Roten Fahne Bochum und des KJVD“ waren nun ihrerseits auf das ZK emotional fixiert, stellten einen Aufnahmeantrag. Und führten als Begründung für den Standortwechsel an, dass die „Rote Fahne“ „revisionistisch“ sei.
„Wir haben die falsche Linie des ZB an verantwortlicher Stelle vertreten und verbreitet … wir (haben) aktiv an der Ausarbeitung des Revisionismus in der Arbeiterklasse und in der revolutionären Bewegung gearbeitet. Damit haben wir gleichzeitig den Kampf des ZB gegen die Partei der Arbeiterklasse, gegen die KPD/ML unterstützt. Diese unsere Handlungen haben der Revolution ohne Zweifel Schaden zugefügt …“ (102)
Das populistische Protestpotential aus den ZB-Reihen verzichtete darauf, sich inhaltlich mit dem a. o. PT zu beschäftigen. Nur an einer einzigen Stelle sprach man von einer „Weiterentwicklung der Plattform“ auf dem Parteitag. Die Loyalität zum „Roten Morgen“ zielte dennoch auf die Dumpfheit ab, auf die Verführtheit der Gläubigen in beiden Reihen. Kurz, die vermeintliche Abkehr vom ZB führte in die Abhängigkeit vom ZK. Der Kampf, so schien es, war für beide Seiten nicht zu gewinnen, auch wenn er zeitweilige Erfolge für das ZK hervorbrachte. Das ZK-Zentrum hatte sich in dieser Auseinandersetzung auch nicht sonderlich behaupten können. Der Dauerkrieg zwischen beiden Gruppen war nur aufgeschoben worden. Die Seiten, die gewechselt worden waren, hatten sich nur der politischen Zweckmäßigkeit bedient. Die Stigmatisierung der einen brachte die Demagogie der anderen hervor.
So erging es wohl auch dem ehemaligen Literaturbeauftragten der KPD/ML-ZK, H. J. Kühn, der einst engster Vertrauter von Ernst Aust gewesen war. Stand er noch dem ZK auf dem a. o. PT loyal gegenüber, so wurde er noch während dieser lief bzw. kurz danach, zu einem der bekanntesten „Parteifeinde“, den der „Rote Morgen“ in eine Reihe mit anderen „Verrätern“ stellte. Seine loyale Haltung war nun nicht mehr gefragt. Der „Rote Morgen schrieb über seinen neuen Intimfeind in seiner Ausgabe Nr. 10 vom 23. Mai 1972:
„EINE PARTEI STÄRKT SICH, INDEM SIE SICH SÄUBERT! Der frühere Literaturbeauftragte der Partei, H.J. Kühn, wurde aus der Partei ausgeschlossen. Die Gründe für diesen schwerwiegenden Schritt waren Fraktionismus, Doppelzüngelei, Karrierismus und Diebstahl von Parteieigentum. Kühn war seit mehr als einem Jahr der Literaturverantwortliche der Partei. Da das alte ZK ihn in dieser hohen Position niemals kontrollierte, konnte er den Literaturvertrieb auf seine persönlichen Interessen ausrichten. Das ZK ließ sich davon blenden, dass der Literaturvertrieb scheinbar gut arbeitete, dass Erfolge erzielt wurden wie die Herausgabe der Stalin- und Thälmann-Werke. Zudem versicherte Kühn immer wieder mit großtönenden Worten seine Solidarität zur Partei und seine Einsatzbereitschaft. Führende Genossen ließen sich durch diese schönen Worte täuschen und hielten ihn für einen hervorragenden Kader der Partei.
Während der Kämpfe gegen die Liquidatoren zur Zeit des außerordentlichen Parteitags schlug sich Kühn auf die Seite der Bolschewiki. Er tat dies nicht, weil er der Sache des Proletariats dienen wollte, sondern weil er hoffte, diesen Kampf für seine karrieristischen Eigeninteressen ausnutzen zu können. Er spielte sich auf zu einem Sprecher der bolschewistischen Linie und tat so, als führe er konsequent den Kampf gegen alle Abweichler. Der Karrierist Kühn begann sofort, seine Position auszunutzen, um seine Macht weiter auszubauen und zu festigen. Er versuchte, sich einen umfassenden Überblick über die Partei zu verschaffen, das Politbüro unter Druck zu setzen und die Kontrolle über die Partei an sich zu reißen.
Kühn rechnete damit, dass die Partei nach dem außerordentlichen Parteitag wieder in den alten Liberalismus und Spontaneismus zurückfallen und seine Machenschaften nicht entlarven werde. Die Delegierten des außerordentlichen Parteitags machten den schweren Fehler, als sie diese kleinbürgerliche Krämerseele mit wichtigen Funktionen in der Partei betrauten. Sie waren nicht von dem Grundsatz ausgegangen, dass der proletarische Klassenstandpunkt, dass die Treue zur Arbeiterklasse ausschlaggebend ist für eine Führungsaufgabe in der Partei und nicht einzelne Talente. Sie hatten sich vom Auftreten Kühns blenden lassen und die Kritik der Massen nicht beachtet, die schon seit einiger Zeit seine Loslösung von den Massen, seine Arroganz, seinen kleinbürgerlichen Karrierismus kritisiert hatten.
Aber solche Fehler werden von Kommunistischen Partei konsequent bekämpft und beseitigt. Die Partei und das ZK erkannten, dass Kühns Politik darauf hinauslief, möglichst viel Macht in seiner Hand zu konzentrieren. Es erkannte, dass die Kritik von Rotgardisten und anderen Genossen an Kühn berechtigt war, dass Kühns Arroganz, sein aufwendiger Lebensstil, sein Eigennutz gleichbedeutend war mit fehlendem proletarischem Klassenstandpunkt. Es erkannte, dass bei der Auswahl von Kadern in erster Linie die ideologische Festigkeit ausschlaggebend ist, und erst in zweiter Linie spezielle Fähigkeiten. Denn ideologische Festigkeit erwirbt man sich nur im Kampf gegen den Klassenfeind und gegen bürgerliche Abweichungen, während einzelne Fähigkeiten meist in kurzer Zeit erlernt werden können. Die Partei forderte Kühn zur Selbstkritik auf. Sie verlangte von ihm, seine Fehler auszumerzen, und begann mit einer systematischen Kontrolle seiner Tätigkeit. Damit hatte Kühn nicht gerechnet. Er weigerte sich, Stellung zu beziehen und zögerte die Kontrolle unter Vorwänden hinaus. Als ihm schließlich ultimativ ein letzter Termin gesetzt wurde, entlarvte er sich vollkommen als Verräter, als Feind der Arbeiterklasse und als objektiver Agent des Klassenfeindes. Dieser Krämerseele ging seine persönliche Macht, sein Profit über alles.
Er eignete sich den Literaturvertrieb an, der auf seinen Namen eingetragen war und versuchte, das ZK zu erpressen, indem er drohte, er werde sein Wissen über Aufbau und personelle Zusammensetzung der Partei dem Staatsapparat ausliefern, wenn er öffentlich entlarvt und dadurch sein Literaturhandel geschädigt würde. Das hat er vermutlich inzwischen auch getan.
Zweifellos hat dieses üble Subjekt der Partei geschadet. Seine späte Entlarvung, die Tatsache, dass er noch auf dem außerordentlichen Parteitag seine schmutzigen Geschäfte treiben konnte, zeigt, dass wir viele Fehler der Vergangenheit noch nicht vollständig überwunden haben. Trotzdem ist diese neue Säuberung ein weiterer Sieg der Partei. Der konsequente Kampf um die bolschewistische Linie, vor allem die Bekämpfung des Menschewismus in Organisationsfragen, den die Partei in den letzten Wochen geführt hat, hat ihre Wachsamkeit gegenüber solchen Profitjägern und Karrieristen geschärft und ihn schließlich dingfest gemacht. Wir weisen noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass alle revolutionären Kräfte, auch solche Organisationen, zu denen wir politische Differenzen haben, nicht mehr bei diesem Klassenfeind Bestellungen aufgeben sollen …“ (103)
Das Gerangel um den Genossen Kühn war das Ernteergebnis der Auseinandersetzungen um den Massenmarkt. Kühn wurde hier, wie viele andere, politisch benutzt und mit jener eigensinnigen Ideologie belegt, die seine endgültige Demaskierung bedeutete. Die „Affäre Kühn“ zeigte, dass das Image der KPD/ML-ZK aus einem Opferritus bestand, der die Wende einläuten sollte. Vollmundig meinte das ZK dann auch: „Der konsequente Kampf um die bolschewistische Linie, vor allem die Bekämpfung des Menschewismus in Organisationsfragen, den die Partei in den letzten Wochen geführt hat, hat ihre Wachsamkeit gegenüber solchen Profitjägern und Karrieristen geschärft und ihn schließlich dingfest gemacht.“
Erwähnenswert sind diese Sätze deshalb, weil sie andeuten, wie dramatisierend die Situation nach dem a. o. PT immer noch war. Kühn wurde wie einst Hugo Lanz nur vorgeschoben, um die unsägliche Mär von der „Wachsamkeit gegenüber Profitjägern und Karrieristen“ weiter zu stricken. Wen man das Personal in der KPD/ML-ZK im Establishment nach dem Parteitag durchmustert, dann fällt auf, dass die Anzahl der Kandidaten, die Aust die Treue hielten, relativ klein war. Fast alle aus seinem engen Umfeld waren entweder ausgeschlossen worden, oder hatten von alleine das Weite gesucht. Mit einer zukünftigen „bolschewistischen Linie“, die nun die Geschicke der Partei bestimmen sollte, hatte das alles nichts mehr zu tun. Eine Epoche schien dem Ende entgegen zu gehen. Der misstrauische Umgang mit dem Gegner gehörte zu jenem innenpolitischen Stil, der das Gegeneinander-Ausspielen in der KPD/ML prägte und zum verlässlichen Bündnispartner für die Zukunft wurde.
Im Juli 1972 fand der 2. Ordentliche Parteitag der KPD/ML-ZK statt. In einer „Sonderbeilage zum II. ordentlichen Parteitag“ befand der „Rote Morgen“ vom Juli 1972, dass: „Der Parteitag ganz im Zeichen des endgültigen Sieges über die ‚links‘- und rechtsopportunistischen Elemente, die in der zweiten Hälfte des vergangen Jahres versucht hatten, die Partei von ihrem revolutionären marxistisch-leninistischen Kurs abzubringen und sie schließlich zu zerstören. Er war ein Ausdruck der Einheit der Partei, der Geschlossenheit und Festigkeit ihrer Reihen. Er war geprägt von den großen Fortschritten, die die Partei unter der korrekten Führung ihres zweiten Zentralkomitees in den vergangenen sechs Monaten seit der Hinaussäuberung der Liquidatoren und menschewistischen Versöhnler aus der Partei erringen konnte.“ (104)
Im Weiteren sang der Parteitag das schon bekannte Lied von den „Angriffen der Liquidatoren“, ihren „Angriffen auf die führende Rolle der Arbeiterklasse“, ihren Versuchen, den „kleinbürgerlichen Führungsanspruch“ zu etablieren. Auf dem a. o. PT seien die „Liquidatoren aus der Partei verjagt worden“, meinte der „Rote Morgen“ und schlussfolgerte: „Der II. ordentliche Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten war ein Parteitag der Konsolidierung der Partei und ihrer Vorbereitung auf die kommenden großen Klassenschlachten. Dieser Parteitag hat uns ideologisch, politisch und organisatorisch ausgerüstet und die Bahn frei gemacht für ein noch besseres Wachsen und Erstarken der jungen Partei der deutschen Arbeiterklasse, als dies in den vergangenen sechs Monaten der Fall gewesen war.“ (105)
Der II. ordentliche Parteitag erwies sich als besonders fatal; denn er war eingehegt von der Mär der Verjagung der „Liquidatoren“ auf dem a. o. PT und des erfolgreichen Kampfes gegen ihn. Zurückhaltung war ja noch nie das Ding der KPD/ML-ZK gewesen. Den latenten Störenfrieden konnte nur mit der klassischen Rhetorik begegnet werden, mit jenem Gefasel von der großen „Ausrüstung“ der Partei auf die „kommenden großen Klassenschlachten“. Das Kabinett Aust und sein 3. Zentralkomitee sollte hier im Übrigen jene Positionen, mit denen es einst Dickhut verteufelt hatte, als dieser davon sprach, dass erst die „ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen“ für einen erfolgreichen Parteiaufbau geschaffen werden müssten, übernehmen. Doch auch, wenn davon abgesehen wird, blieb nur die Absichtserklärung; denn die parteiinternen Diskussionen über einen Programmentwurf verliefen im Sande und war selbst im „Weg der Partei“ kein Bindeglied zwischen dem ZK und der Basis.
Zur relativen Schwäche der KPD/ML-ZK, gesellte sich im Laufe des Jahres die Rückversicherung auf jene Gruppen, die zur Auffüllung des Kadergerüstes beitrugen. Neben einem Teil der Roten Garde Kiel/Marxisten-Leninisten, gesellte sich vor allem auch ein erheblicher Teil des Thälmann Kampfbundes/Marxisten-Leninisten (Kiel), der in einer „Beilage“ des „Roten Morgen“ Nr. 17 vom 28. August 1972, eine „Erklärung“ abgab. Danach habe der TKB/ML den „Sieg der Bolschewiki in der KPD/ML gegen die Liquidatoren und Menschewiki“ auf dem a. o. PT begrüßt und würden sich mit dieser „Erklärung“ der „politischen Linie der KPD/ML unterstellen“. Aus der „Erklärung“ ging auch hervor, dass um die Machtpositionen zwischen den verschiedenen Fraktionen in Kiel (RG/Kiel und TKB/ML) hart gekämpft worden war. Und eine „kämpferische Rede von Ernst Aust“ in Kiel hätte dazu beigetragen, sich der KPD/ML-ZK und nicht der KPD/ML-ZB zu unterstellen.
Die „Rote Fahne“ Nr. 17 der KPD/ML-ZB beschäftigte sich in seiner Ausgabe vom 21. August dann auch mit dem II. ordentlichen Parteitag der KPD/ML-ZK. Im Artikel „Erst Klarheit - dann Einheit! Zum II. ordentlichen Parteitag des Roten Morgen“ hieß es: „Die Gruppe Roter Morgen hat ihren II. ordentlichen Parteitag abgeschlossen. Dieser Parteitag hat auch auf politischem Gebiet dem Liquidatorentum eine weitere Niederlage beigebracht. So räumte der Parteitag mit der 'Zwei-Wege-Theorie' auf und orientierte den politischen Kampf auf den Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik. Auch organisatorisch wurden Beschlüsse zur Bolschewisierung gefasst, die dem Liquidatorentum auch auf dieser Ebene den Boden entziehen. Diese Entwicklung muss unsere Partei sehr begrüßen. Sie ist ein Beitrag zum Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten. Was auf diesem Parteitag allerdings versäumt wurde - soweit das aus den vorliegenden Veröffentlichungen hervorgeht - das war die Analyse der ideologischen Ursachen für das Aufkommen der 'Zwei-Wege-Theorie' und auch anderer Fehler.
Es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass die kleinbürgerlichen Einflüsse in der Gruppe Roter Morgen stark sind. Diese Fehler sind nichts anderes als der Ausdruck eines tief verwurzelten 'linken' Revisionismus in der Gruppe Roter Morgen, der längst nicht überwunden ist. Obwohl wir also die Annäherung im politischen Kampf begrüßen, und die Selbstkritik in der Frage der liquidatorischen Plattform des ZK, die 1970 zur Spaltung der Partei führte, positiv bewerten, meinen wir, dass es notwendig ist, die Differenzen zwischen unseren beiden Organisationen noch einmal mit aller Schärfe zu skizzieren … Unsere Partei sieht den Weg zur Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML nach wie vor im gemeinsamen politischen Kampf und in einer prinzipienfesten und offenen ideologischen Auseinandersetzung ... Die KPD/ML wurde 1968/69 gegründet als eine wirkliche Kampfansage an den Bonner Staat und seine sozialdemokratischen und revisionistischen Handlanger. Der organisatorischen Abgrenzung vom modernen Revisionismus der KPD/DKP war die ideologische vorausgegangen. Aber schon bei der Gründung der Partei wurde sichtbar, dass die ideologische Einheit der Partei noch nicht fest war, dass die kleinbürgerliche Studentenbewegung ihre Schwankungen bis in die Reihen der Partei hineintrug.
Aber auch der moderne Revisionismus drang in die Reihen der Partei ein. So bildeten sich langsam drei Strömungen in der Partei heraus: Eine kleinbürgerlich-linksrevisionistische, eine neo-revisionistische und eine bolschewistische. Da in der Partei der ideologische Parteiaufbau, der Kampf zweier Linien kaum entwickelt war, musste die Partei schweren Schaden erleiden, wenn ihre Einheit auf die Probe gestellt würde ... Das Sektierertum - das als Echo auf den modernen Revisionismus besonders stark war - und die Einflüsse des modernen Revisionismus waren die Hindernisse bei den Versuchen, wissenschaftlichen Sozialismus und spontane Arbeiterbewegung miteinander zu verbinden. Das Haupthindernis war der 'linke' Revisionismus in der Partei. Das ZK und der Rote Morgen gerieten zusehends in die Hände dieser 'linken' Revisionisten.
Im Frühjahr 1970 erschien im 'Roten Morgen', dem damaligen Zentralorgan der Partei, der Artikel 'Bauen wir eine starke bolschewistische Partei' auf, in dem unverhohlen die Führung der Arbeiterklasse durch die Intelligenz gefordert wurde ... Das war eine durch und durch liquidatorische Plattform, die auf den energischen Widerstand der bolschewistischen Kräfte in Partei und Jugendverband stieß. Das waren nicht nur falsche Ansichten, sondern sie liquidierten in der Tat Partei und Jugendverband. Sie standen direkt der Notwendigkeit entgegen, sich mit der spontanen Arbeiterbewegung zu verbinden, aktiv den Sozialismus in sie hineinzutragen und so Programm und Taktik weiterentwickeln zu können.
Besonders die Genossen der Roten Garde, des KJVD, erkannten am eigenen Leib, welche Konsequenzen diese offensichtliche Leugnung der Hegemonie des Proletariats für die Entwicklung der Partei haben musste. Sie bedeutete nichts anderes, als die sowie schon schwachen Verbindungen zur Arbeiterklasse durchzuschneiden und so die 'links'-revisionistischen Theorien zur Linie der Partei zu machen ... Gegen diesen Unsinn im Gewand des Kampfes gegen den modernen Revisionismus traten die Bolschewisten unter der Losung 'Die Arbeiterklasse muss in allem die Führung innehaben' auf und verteidigten in Ideologie und Praxis den proletarischen Charakter der Partei. Für die Erarbeitung des Programms gaben sie die richtige Antwort, dass sich das Programm in den Stürmen und Wogen des Klassenkampfes entwickelt ...
Aber auch die ideologischen Grundlagen wurden gegen die 'links'-revisionistischen Angriffe verteidigt ... Alles Geschrei gegen den 'Dogmatismus', das dann die 'Plattform des ZK der KPD/ML' erhob, richtete sich nur darauf, eine gründliche Revision des Marxismus-Leninismus und der Maotsetungideen vorzunehmen. Zu diesem Zweck wurden die Partei und der Jugendverband zu Volkshochschulen gemacht, in zahllose Kommissionen und Komitees für die Klassenanalyse umgewandelt. Die Partei sollte sich in Studierzirkel und verschiedene Zentren auflösen und als einheitliche Partei, deren ganze Aktivität auf die Arbeiterklasse gerichtet ist und die in die spontane Bewegung den wissenschaftlichen Sozialismus ... trägt, aufhören zu bestehen. Und in der Tat: dieser Plan ist ja in der Entwicklung der Gruppe 'Roter Morgen' mit ihren vier Zentren, der Zentralen Ökonomie-Kommission (die die Zwei-Wege-Theorie ausarbeitet), der Zentralen Betriebs-und Gewerkschaftskommission (die neben schweren rechten Fehlern das DGB-Kapital als besondere 'Fraktion' des westdeutschen Monopolkapitals erfand), dem 'Roten Morgen' (der die Abweichungen 'paritätisch' verarbeitete und eineinhalb Jahre in der Arbeiterbewegung verbreitete) und schließlich dem ZK (das die Interessen der Landesfürsten, der unabhängigen Königreiche auf einen Nenner bringen sollte und nicht konnte), - dieser Plan ist so Fleisch und Blut des 'linken' Revisionismus geworden ...
Aber schon zur Zeit der Spaltung der Partei durch das ZK wurde die Linie 'Die Intelligenz muss in allem die Führung innehaben' durch administrative Maßnahmen verwirklicht. Zuerst wurde die organisatorische Selbständigkeit bei gleichzeitiger politischer Unterordnung unter die Partei als Prinzip des Verhältnisses von Partei und Jugendverband aufgehoben. Die Hauptaufgabe des Jugendverbandes sollte es sein, die Partei bei ihren Forschungen zu unterstützen ... Die liquidatorische Fraktion im ZK war aber nicht daran interessiert, wirklich die Hegemonie des Proletariats durch die Partei zu verwirklichen. Das zeigte sich auch in der Gewerkschaftsfrage, wo zu dieser Zeit propagiert wurde, die Gewerkschaften zu zerschlagen und nicht in ihnen zu arbeiten, um sie zu erobern. Auch hier vertraten die Bolschewisten eine richtige Linie der kommunistischen Arbeit in den Gewerkschaften ... Es ist völlig lächerlich, wenn heute besonders kluge Leute diese Tatsachen in ihr Gegenteil umlügen wollen. Das ZK hat durch die Aufforderung, sich diesen Ansichten zu unterwerfen, durch den Boykott der ideologischen Diskussion, durch den Ausschluss ganzer Landesverbände aus Partei und Jugendverband die Partei und den Jugendverband gespalten und trägt die Verantwortung dafür.
Auch die Tatsache, dass nicht nur Weinfurth und Dickhut fraktionistische Methoden im Kampf angewandt haben, ist kein Gegenbeweis. Wenn der demokratische Zentralismus liquidiert wird, wenn der Kampf zweier Linien unterdrückt wird, dann entsteht Fraktionismus, es sei denn, die bolschewistischen Kräfte verzichten auf den ideologischen Kampf ... Wenn heute die Gruppe 'Roter Morgen' sich von der liquidatorischen Mehrheit ihrer Organisation getrennt hat, dann ist das - lässt man den Klassenstandpunkt außer acht - Fraktionismus. Die weitere Entwicklung der KPD/ML - und unsere Partei ist die einzige Organisation, die berechtigt ist, diesen Namen zu tragen, weil sie eine wirkliche marxistisch-leninistische Politik betreibt, dem Volke dient - hat vollauf die Richtigkeit des Kampfes bestätigt, wenn wir auch keineswegs verschweigen, dass die Partei schwere rechtsopportunistische Fehler gemacht hat, die aber im Kampf gegen Dickhut und Weinfurth überwunden werden konnten ... Heute stellt das ZK in seiner Selbstkritik fest, dass die damaligen Fehler die Liquidatoren begünstigt haben ... Auch hier wird nach der Methode 'Haltet den Dieb' zu schreien verfahren. Das ist Betrug und Fortsetzung der Spalterpolitik. Ebenso unehrlich ist die Selbstkritik zur Zwei-Wege-Theorie, die ja ein Produkt der Spaltung war. Unsere Partei hat diese Theorie vollständig widerlegt ... Der 'linke' Revisionismus, der eine kleinbürgerliche Variante des modernen Revisionismus ist, ist längst nicht überwunden. Ging es bei der Spaltung der Partei 1970 um die Frage der Hegemonie des Proletariats und der Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und spontaner Arbeiterbewegung, so geht es heute bei allen Differenzen, die bestehen, um diese Frage ebenfalls ...
Unsere 'Kämpfer' gegen den modernen Revisionismus versteigen sich sogar zu der Behauptung, dass moderner Revisionismus und Sozialdemokratismus qualitativ verschieden seien. Wer führt hier eigentlich einen richtigen Kampf gegen den modernen Revisionismus? Etwa derjenige, der 'qualitative Unterschiede' zwischen modernem Revisionismus und Sozialdemokratismus konstruiert und gleichzeitig als Beispiele die Propaganda für die 'Mitbestimmung' und den 'friedlichen Übergang zum Sozialismus' anführt, oder unsere Partei, die von der qualitativen Gleichheit von modernem Revisionismus und Sozialdemokratismus ausgeht und den Sozialdemokratismus als die soziale Hauptstütze des Bonner Staates bekämpft? Der 'Rote Morgen' leitet auch hier die Arbeiterklasse in die Irre und tarnt das mit dem 'Kampf gegen den modernen Revisionismus'.
Wir müssen aber festhalten, dass bis auf Behauptungen der 'Rote Morgen' jeglichen wissenschaftlichen Beweis für seine Theorie von der sozialen Hauptstütze Revisionismus in Westdeutschland schuldig geblieben ist ... Aber der 'Rote Morgen' geht noch weiter bei seiner Revision der Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Er diffamiert die antifaschistisch-demokratische Revolution als Strategie des Verzichts auf den Sozialismus ... Warum greift der 'Rote Morgen' unsere Partei an und nicht Stalin, der nicht von einer sozialistischen, sondern einer demokratischen, friedliebenden DDR sprach? Der 'Rote Morgen' verzichtet auch hier auf konkrete Untersuchungen und betet lieber 'links'-revisionistische Theorien der KPD/AO nach. Auch hier entwaffnet der 'Rote Morgen' das Proletariat und drischt nur Phrasen. Unsere Partei wird aber um eine richtige Linie des Kampfes für demokratische Rechte ringen, ohne einen Augenblick aufzuhören, den Kampf für den Sozialismus und die Diktatur des Proletariats einzustellen, denn sie sind schließlich das Ziel der Arbeiterklasse. Unser Kampf für Demokratie will nicht 'die Macht der Monopole Schritt für Schritt zurückdrängen', sondern bessere Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse schaffen und Formen für das Herankommen an die Diktatur des Proletariats entwickeln.
Wir haben die Differenzen nun aufgezeigt. Es sind tiefgehende Differenzen. Wir müssen aber auch die Gemeinsamkeiten sehen, die die Grundlage einer Einheit im politischen Kampf und einer ideologischen Auseinandersetzung sind. Beide Organisationen wollen den Sozialismus und Kommunismus durch die Diktatur des Proletariats errichten. Beide Organisationen sehen, dass nur der bewaffnete Sturz des Imperialismus Rettung bringt. Beide Organisationen versuchen, den Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen auf die westdeutsche Wirklichkeit anzuwenden. Beide Organisationen stehen auf dem Boden der Großen Polemik und der Lehren der Großen Proletarischen Kulturrevolution. Schließlich führen wir auch einen gemeinsamen Kampf gegen Notstand, Aufrüstung und Revanchepolitik ... Vertreter des Zentralbüros der KPD/ML haben Vertretern des Zentralkomitees der Gruppe 'Roter Morgen' mündlich folgenden Vorschlag unterbreitet, wie wir ihn hier wiederholen und noch anderen Organisationen machen: Die KPD/ML schlägt vor, in ihrem theoretischen Organ 'Bolschewik' oder an anderer Stelle eine öffentliche Diskussion über das Programm der westdeutschen Revolution zu führen. Jede Organisation soll sich verpflichten, allen Mitgliedern alle Standpunkte bekannt zu machen und gemeinsam Veranstaltungen zu dieser Frage durchzuführen. Dabei sollten folgende Fragen diskutiert werden:
Es ist unbedingt erforderlich, dass der gemeinsame politische Kampf begleitet wird von einer tiefgehenden ideologischen Auseinandersetzung um das Programm ... Vorwärts zur Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML! Es lebe der Marxismus-Leninismus und die Maostetungideen! Es lebe die Diktatur des Proletariats!“ (106)
Nun könnte das Referat des ZB in der „Rote Fahne“ als Presseerklärung verstanden werden. Die Einlassungen waren nicht neu. Stets wurde wiederholt, was in beiden Reihen als bekannt vorausgesetzt werden konnte. Dennoch befleißigte sich das ZB, mit Nachdruck seine alten Positionen abzusichern, die es unter den Punkten 1-6 noch einmal besonders hervorhob. Die eingangs formulierten Sätze in der „Roten Fahne“ zum „Liquidatorentum“, gegen „NAR“, zur „Zwei-Wege“-Theorie und zur „Bolschewisierung“, trugen die Inschrift der Selbststilisierung und des Selbstherrschaftsanspruchs. Der „innere Feind“, der in der Gestalt des „Liquidatorentums“ auf dem a. o. PT aufgetreten war, war nur die Folge des Schattenkabinetts um Ernst Aust und dem „Roten Morgen“.
Alls war dementsprechend nur rhetorischer Schein, „Betrug und Fortsetzung der Spalterpolitik. Ebenso unehrlich war „die Selbstkritik zur Zwei-Wege-Theorie“ gewesen, „die ja ein Produkt der Spaltung war“. Selbst in der Niederlage des ZK war das ZB noch rachedurstig. Die Reibungen und Konflikte wurden sogleich zum „Fraktionismus“ des ZK umfunktioniert. Dem ZK wurden zudem die Grundsatzfragen jener Politik entgegengehalten, die stets zwischen „Hauptschlag Sozialdemokratie oder „Hauptschlag Revisionismus“ pendelten. Dieses seltsame Gebaren kam einem wie ein Alphabetisierungstest vor, wo die Geläuterten nun die populistische Rebellion übten. Aber der Druck wurde, wie man sah, für beide Seiten groß, denn die Dauerkonjunktur mit den immer gleichen Konflikten, führte ein gutes halbes Jahr später in die offene Feldschlacht, aus der der „Rote Morgen“ als Partizipationsmacht des ZB gestärkt hervorgehen sollte. (107)
Der am 5. Februar 1973 erschien ein Aufruf der KPD/ML-ZK an die KPD/ML-ZB. „AN DIE PROVOSORISCHE POLITISCHE LEITUNG (PPL) DER GRUPPE ROTE FAHNE BOCHUM: AUFRUF ZUR EINHEIT DER MARXISTEN-LENINISTEN IN DER KPD/ML“, wollte mobilisierende Kraft entwickeln und die Genossen des ZB der regierenden Mehrheit des ZK zuführen.
Im „Aufruf“ wurde ausgeführt: „Gegenwärtig gewinnt der Kampf um die Einheit der wirklichen Marxisten-Leninisten in einer einheitlichen Partei besondere Bedeutung. Die ZB-Organisation, die aus der Abspaltung von unserer Partei im Frühjahr 1970 entstanden ist, zerfällt. Es besteht die Möglichkeit und die große Aufgabe für uns, den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten in der KPD/ML entscheidend voranzutreiben. Viele Genossen Eurer Organisation haben bereits im praktischen und theoretischen Kampf gegen die revisionistische Linie im alten Zentralbüro erkannt, dass letzten Endes das Eindringen des modernen Revisionismus in die marxistisch-leninistische Bewegung Ursache für die Zersplitterung und Spaltung unserer Kräfte ist. Ein Teil von ihnen hat den Schritt in die Reihen der KPD/ML gemacht, in die Partei, die in der revolutionären Bewegung entstanden ist.
Die KPD/ML hat im ständigen Kampf gegen den modernen Revisionismus nicht nur die Stärkung und Festigung ihrer eigenen Reihen vorangetrieben, sondern dadurch auch den entscheidenden Beitrag für die Einheit der Marxisten-Leninisten geleistet. Jetzt kommt es darauf an, in prinzipienfester Klärung der uns noch trennenden Fragen den Weg zur Einheit in der KPD/ML zu gehen. Dem Zirkelwesen und allen Kräften, die objektiv mit ihrem Spaltertum nur dem Klassenfeind nutzen, muss ein kräftiger Schlag versetzt werden. Darum wenden wir uns mit diesem Aufruf an Euch: Lasst nicht zu, dass unter dem Deckmantel einiger 'Korrekturen' an der neorevisionistischen Linie des alten ZB, eine Spalterorganisation wiederbelebt wird!
Lasst nicht zu, dass liquidatorische Kräfte viele aufrichtige Genossen in die Arme der offenen Revisionisten, zurück ins Zirkelwesen oder ins 'Privatleben' treiben können. Kämpfen wir um jeden aufrichtigen Genossen für die marxistisch-leninistische Partei, die KPD/ML! Die bolschewistische Partei ist stärker als alle Liquidatoren.
Genossen, die KPD/ML hat von ihrem II. Parteitag im Sommer 1972 den Auftrag erhalten, den Kampf um die Einheit der Marxisten-Leninisten in ihren Reihen offensiver und ernsthafter als zuvor zu führen. Das war nur möglich unter selbstkritischer Zurückweisung eigener Fehler der Partei, die diesem Kampf geschadet haben. In der Selbstkritik des 1. ZK, nach der Verjagung der Revisionisten und Liquidatoren aus der Partei und auf dem II. Parteitag wurden schwere Fehler in der Plattform vom Frühjahr 1970 aufgedeckt. Die gesamte Partei hat in einer breiten Diskussion 'linke' und rechte Abweichungen analysiert und weitgehend überwunden.
Die Partei hat dabei besonders auch den liquidatorischen Standpunkt des Parteiaufbaus und des Kampfes um die Einheit losgelöst vom Klassenkampf zurückgewiesen. Innerhalb der Aufgaben, die uns der Klassenkampf, die Arbeiterbewegung stellen, müssen diese Fragen gesehen werden. Die Richtigkeit dieser Linie hat sich im Kampf gegen die liquidatorischen und 'links'- sektiererischen Überreste aus der Vergangenheit der Partei erwiesen. Das Prinzip Parteiaufbau und Einheit der Marxisten-Leninisten innerhalb des Klassenkampfes anzugehen, gilt genauso für den Kampf um die Einheit mit Euch, Genossen.
Allerdings wurden hierbei auf der anderen Seite von uns Fehler gemacht. Die momentane Bedeutung des Kampfes für die Einheit wurde unterschätzt. Die ideologische Auseinandersetzung mit der Linie des alten ZB wurde zwar von unserem Zentralorgan 'Roter Morgen' so intensiv wie nie geführt, die Ausrichtung der gesamten Partei auf die Überwindung sektiererischen Herangehens in der Frage der Einheit jedoch nicht genügend bzw. rechtzeitig betrieben. Mit diesem Aufruf, der auch an alle Genossen unserer Partei geht, nehmen wir gleichzeitig den Kampf gegen sektiererische und überhebliche Haltungen gegenüber Genossen anderer marxistisch-leninistischer Organisationen auf.
Wir schlagen folgendes vor: „Veröffentlicht diesen Aufruf in Eurer Organisation. Macht Euren Genossen den 'Roten Morgen' zugänglich. In einer Beilage zum 'Roten Morgen' Nr.5 (am 10. 2.1973, d. Vf.) legen wir nochmals unsere Vorstellungen vom Weg der Einheit dar. Setzen wir uns in allen Orten und auf allen Ebenen zusammen. Klären wir in sachlicher und solidarischer Diskussion die prinzipiellen Fragen, die uns noch trennen. Kämpfen wir für die Einheit aller Marxisten-Leninisten in der KPD/ML! Für eine starke bolschewistische Partei des Proletariats! Nieder mit dem modernen Revisionismus und dem Trotzkismus in allen Schattierungen! Für die proletarische Revolution!“ (108)
Wieder wurde der a. o. PT bemüht, um die Nichtwähler dem „sicheren Wahlkreis“ schmackhaft zu machen. In der Zwischenzeit galt der a. o. PT als Resteverwertung. Die Partei sei „im Kampf gegen die liquidatorischen und 'links'- sektiererischen Überreste“ mit aller Macht vorgegangen und habe sich bolschewistisch stärken können. Der Aufruf für „eine starke bolschewistische Partei“, war in Zeiten des Zusammenbruchs der KPD/ML-ZB nur konsequent. Ob der „Aufruf“ zum endgültigen Sturz des ZB beitrug, kann nicht mehr gänzlich geklärt werden. Da aber die damalige PPL sich mehrheitlich der KPD/ML-ZK unterstellte, könnte gesagt werden, dass er seine Wirkung nicht verfehlte.
Noch einmal wurde am 31. März 1973 in der letzten Ausgabe der „Roten Fahne“ der KPD/ML-ZB der a. o. PT bemüht. Unter der Überschrift
„ERNST AUSTS BEITRAG FÜR DIE EINHEIT DER ML: KPD/ML (RF) DURCH AGENTEN DER RM - FÜHRER GESPALTEN! BIBLIOTHEK, ARCHIV, DRUCKEREI UND NEUER ARBEITERVERLAG DURCH SCHLÄGERTRUPPS DES RM GESTOHLEN!“
hieß es: Die Gruppe Roter Morgen sah … eine Chance (durch den Zerfall des ZB, d. Vf.) ihren organisatorischen und technischen Apparat zu stärken. Auf der anderen Seite mussten sie unbedingt verhindern, dass unsere Organisation die Geschichte der KPD/ML überhaupt infrage stellte, weil eben das an ihre eigene Grundlage rührt, weil eben das ihren eigenen Mitgliedern die Augen öffnen wird. So machten sich die Herren vom ZK lieber daran, die Einheit der ML in der KPD/ML (sprich: GRM) zu schmieden. Sie verbündeten sich mit Teilen unserer ehemaligen Führungsschicht und unterstützten sie tatkräftig dabei, den einfachen Mitgliedern unserer Organisation Sand in die Augen zu streuen und den ideologischen Kampf weiter zu unterdrücken. Um nicht grundsätzlich ihr Parteiaufbaukonzept infrage zustellen, redete man den einfachen Mitgliedern ein, es läge nur an der falschen Spaltung 1970 - daraus entstand die ZB-Organisation - aus einer rechten Kritik an den 'linken' Fehlern des ZK.
Gleichzeitig riss man sich planmäßig mit den Mitteln der Bestechung, der Demagogie und des Gerüchtewesens den gesamten Finanz-technischen Apparat (FTA, d. Vf.) der KPD/ML RF unter den Nagel. Der ideologische Kampf wurde nicht offen geführt, die Agenten des RM verhinderten ihn tatkräftig. Mehrere Ortsgruppen wurden mit den berühmten Schallplattenerklärungen, die man immer wieder im Zentralorgan der GRM lesen kann, schnell aus der KPD/ML RF herausgebrochen. Die verräterischen Landesleitungen in West-Berlin und Baden-Württemberg vertuschten vor ihren Mitgliedern die Lage in der Organisation und den Stand der Diskussion im Bundesmaßstab. Die hartnäckigen Zweifler am Parteianspruch, an der angeblich korrekten KPD/ML-Gründung des Herrn Aust wurden entweder ausgeschlossen, oder man versuchte, sie zu isolieren. Aber der Kampf der Mitglieder unserer Organisation lässt sich nicht unterdrücken! Die Genossen nahmen Verbindung zur PPL auf, heute gibt es in beiden Landesverbänden eine starke Opposition gegen die spalterischen und unkommunistischen Machenschaften der Roten Morgen-Agenten. Die Mehrheit der übrigen Landesverbände hat Austs 5.Kolonne längst isoliert …
Während ihre Agenten der PPL und den Delegierten die Hucke volllogen und die NDK unter den Tisch zu kehren versuchten, warteten die Alarmtrupps vor dem Versammlungslokal, im NAV und anderswo auf den Einsatzbefehl. Der kam, als mit Lügen und Hinhaltetaktik nichts mehr zu machen war, als die Wahrheit auf den Tisch musste. Mit Brachialgewalt wurden Wohnungen aufgebrochen und das gesamte Material der KPD/ML RF 'beschlagnahmt', während auf der Konferenz die 'Gruppe Rote Fahne' von den Agenten für aufgelöst erklärt wurde. Das ist kein Einzelfall. Mit diesen Methoden hält sich die Aust-Clique schon lange über Wasser. Hatte es doch 1971 bei der letzten Spaltung der GRM ihr Landesverband Wasserkante gewagt, die Absetzung der spalterischen und karrieristischen Führung zu verlangen. Während noch durch schnell erdachte Lügenmärchen der Ausschluss der Genossen auf dem Parteitag (gemeint war der a. o. PT, d. Vf.) betrieben wurde, sicherte sich währenddessen Herr Aust mit seinen Schlägertrupps den gesamten finanztechnischen Apparat der GRM. Von einer Selbstkritik dieser Führung hatte man nicht als die übliche RoMo-Schallplatte gehört: In der Hauptseite hatte Ernst Aust doch immer Recht gehabt.“ (109)
Die ZB-Reste stellten die jüngsten Machenschaften der KPD/ML-ZK in einer Reihe mit den Auswüchsen auf dem a. o. PT, der damals wie heute die Oberherrschaft über den Finanz-technischen Apparat bedeutete. Der Hinweis war nicht unwichtig; denn auch 1971 gelang es Ernst Aust, die Parteipresse für sich zu vereinnahmen und verhinderte dadurch, wenigsten zeitweise, dass die anwesenden Gruppen die ML-Öffentlichkeit relativ schnell über den Verlauf des Parteitags informieren konnten. Die populistisch-rebellische Stimmung gegen den „Roten Morgen“, war aber kein Kräftemessen mehr. Zeitweilig gelang es noch u. a. im LV NRW eine Oppositionsbewegung gegen das ZK ins Leben zu rufen, doch die Parteibalance hatte das ZK für sich entscheiden können.
Allerspätestens war auf dem 3. Ordentlichen Parteitag der KPD/ML-ZK am 5. Februar 1977 der Parteitag von 1971 vergessen. Doch die Vergangenheit holte die KPD/ML-ZK wieder ein. Am 16. Januar 1979 gab das ZK der KPD/ML in einer „Erklärung des IV. Parteitages der KPD/ML“ bekannt, dass das das ZK-Mitglied Gernot Schubert aus der Partei wegen „schwerer Missachtung der innerparteilichen Demokratie, Fraktionsmissbrauch, Vetternwirtschaft, Intrigantentum, Karrierismus und einer Politik der massiven Einschüchterung“ ausgeschlossen wird. (110)
Da waren sie dann wieder, jene Vorwürfe, die seit der Existenz der KPD/ML wie ein seltenes Geschwür auf dieser Gruppe lastete. Sie prägten u. a. das Leben der Mitglieder der maoistischen Gruppen. Niemand konnte sich mehr sicher sein, dass er nicht schon Morgen unter einen latenten Verdacht geriet. Insgesamt gehörte der a. o. PT schon, wie eingangs gemutmaßt wurde, möglicherweise zum letzten Aufbäumen der maoistischen Gruppen; denn seine verbürgerlichenden Tendenzen ließen sich nicht mehr verheimlichen. Dass sie identisch mit der alten Arbeiterbewegung waren, ist nur ein Hinweis unter vielen auf Programme, Stile, Strukturen und Organisationsformen (Demokratie und Zentralismus) von Parteien oder deren Bildung. Auch die dort vermittelten Werte, der Ethos oder die sog. „kommunistische Moral“, Ordnung, Disziplin, Hierarchie und Autorität, ließen die Anfälligkeit für Spaltungen und Krisen stets latent mitschwingen. Wer sich über die negativen Folgen der heutigen bürgerlichen Parteienkultur beschäftigen will, der könnte sich mit dem a. o. PT der KPD/ML-ZK und seinen eschatologischen Fanfaren beschäftigen.
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Letzte Änderungen: 14.11.2009
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